Kitabı oku: «Sherlock Holmes - Seine Abschiedsvorstellung», sayfa 3

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»Was schlagen Sie vor?«

»Ich weiß, wo ihr Zimmer liegt. Es ist vom Dach eines Nebengebäudes aus erreichbar. Mein Vorschlag ist, daß Sie und ich heute abend dorthin gehen und ins Zentrum des Rätsels vorzudringen versuchen.«

Ich muß gestehen, daß mich diese Aussicht wenig lockte. Das alte Haus mit seiner mordschwangeren Atmosphäre, seine eigenartigen und furchterregenden Bewohner, die unbekannten Gefahren auf dem Weg dorthin und die Tatsache, daß wir uns rechtlich gesehen in eine schiefe Lage brachten, dies alles wirkte zusammen und dämpfte meinen Eifer doch erheblich. Aber es lag etwas in Holmes' messerscharfer Argumentationsweise, das es unmöglich machte, von einer Unternehmung, die ihm wichtig schien, Abstand zu nehmen. Man wußte einfach, daß sich so, und nur so, eine Lösung finden würde. Ich drückte ihm also schweigend die Hand, und damit waren die Würfel gefallen.

Doch sollte unseren Ermittlungen kein so abenteuerliches Ende beschieden sein. Es war ungefähr fünf Uhr, und der Märzabend begann schon hereinzubrechen, als ein aufgeregter Mann in ländlichem Aufzug zu uns ins Zimmer stürzte.

»Sie sind weg, Mr. Holmes. Sie sind mit dem letzten Zug gefahren. Die Lady hat sich losgerissen; ich hab sie unten in 'ner Droschke.«

»Ausgezeichnet, Warner!« rief Holmes, von seinem Stuhl aufspringend. »Watson, die Lücken schließen sich zusehends.«

In der Droschke saß eine Frau, die vor nervlicher Erschöpfung beinahe zusammenbrach. Ihr adlerartiges, ausgezehrtes Gesicht trug die Spuren einer eben erst durchlittenen Tragödie. Ihr Kopf lag matt auf ihrer Brust, als sie ihn aber hob und ihren trüben Blick uns zuwandte, bemerkte ich, daß ihre Pupillen wie winzige Punkte in einer großen, grauen Iris schwammen. Sie stand unter der Wirkung von Opium.

»Ich hab aufgepaßt am Tor, genau wie Sie mich geheißen haben, Mr. Holmes«, sagte unser Kundschafter, der entlassene Gärtner. »Als der Wagen herauskam, bin ich ihm zum Bahnhof gefolgt. Sie war wie eine Schlafwandlerin, aber als sie dann versucht haben, sie in den Zug zu kriegen, ist sie plötzlich lebendig geworden und hat sich gewehrt. Sie haben sie in ein Abteil gestoßen, aber sie konnte sich wieder herauskämpfen. Da hab ich ihr geholfen, sie in eine Droschke gesetzt, und da wären wir nun. Das Gesicht am Fenster des Abteils, als ich mit ihr weggefahren bin, das werd ich mein Lebtag nicht vergessen. Ich hätt wohl nicht mehr lange zu leben, wenn's nach ihm ginge, dem schwarzäugigen, scheelen gelben Teufel dem!«

Wir trugen Miss Burnet nach oben, legten sie auf das Sofa, und ein paar Tassen sehr starken Kaffees befreiten ihren Geist bald aus der Benebelung durch das Rauschgift. Holmes hatte Baynes herbeirufen lassen und ihm die Situation in aller Kürze erklärt.

»Nun, Sir, damit verschaffen Sie mir genau die Zeugenaussage, die mir noch gefehlt hat«, sagte der Inspektor mit Wärme und schüttelte meinem Freund die Hand. »Ich war von Anfang an auf derselben Fährte wie Sie.«

»Was? Sie waren hinter Henderson her?«

»Nun, Mr. Holmes, als Sie in High Gable im Gebüsch herumgekrochen sind, habe ich in der angrenzenden Schonung auf einem Baum gesessen und auf Sie hinabgeschaut. Es ging nur noch darum, wer von uns als erster einen Beweis in der Hand haben würde.«

»Aber weshalb haben Sie dann den Mulatten festnehmen lassen?«

Baynes schmunzelte.

»Ich war mir sicher, daß Henderson, wie der Mann sich nennt, ahnte, daß man ihn verdächtigte, und, solange er sich in Gefahr fühlte, ruhig bleiben und keine weiteren Schritte unternehmen würde. Ich ließ den falschen Mann festnehmen, damit er sich in dem Glauben wiegte, wir kümmerten uns nicht mehr um ihn. Ich rechnete damit, daß er sich dann verdrücken würde und wir eine Chance hätten, an Miss Burnet heranzukommen.«

Holmes legte dem Inspektor die Hand auf die Schulter.

»Sie werden es weit bringen in Ihrem Beruf; Sie haben Instinkt und Intuition«, sagte er.

Baynes errötete vor Freude.

»Ich hatte die ganze Woche über einen Beamten in Zivil am Bahnhof stehen. Wo immer die Leute von High Gable hingehen mögen, er wird sie nicht aus den Augen verlieren. Aber er muß sich in einer Zwickmühle gefühlt haben, als Miss Burnet sich losgerissen hat. Nun, wie dem auch sei, Ihr Mann hat sie ja dann aufgegabelt, und die Sache ist gut ausgegangen. Ohne ihre Aussage können wir keine Verhaftung vornehmen, so viel steht fest; je eher sie also sprechen kann, desto besser.«

»Sie kommt mit jeder Minute mehr zu Kräften«, sagte Holmes mit einem Blick auf die Gouvernante. »Aber sagen Sie mir, Baynes, wer ist denn dieser Henderson?«

»Henderson«, erwiderte der Inspektor, »ist Don Murillo, einstmals genannt ›Der Tiger von San Pedro‹.«

Der Tiger von San Pedro! Blitzartig fiel mir die ganze Geschichte dieses Mannes wieder ein. Den Namen hatte er sich erworben als sittenlosester und blutrünstigster Tyrann, der je ein Land, das sich zur Zivilisation zählte, regiert hatte. Stärke, Furchtlosigkeit und Tatkraft waren die Tugenden, dank denen es ihm gelang, einem sich ohnmächtig duckenden Volk zehn oder zwölf Jahre lang eine Herrschaft des abscheulichsten Lasters aufzuzwingen. Er war der Schrecken ganz Zentralamerikas. Schließlich kam es zu einer allgemeinen Erhebung gegen ihn. Doch war er ebenso gerissen wie grausam, und bei den ersten Gerüchten von aufkommenden Unruhen ließ er insgeheim all seine Schätze auf ein mit getreuen Anhängern bemanntes Schiff bringen. Der Palast, den die Aufständischen tags darauf stürmten, war leer. Der Diktator, seine zwei Kinder, sein Sekretär und all seine Reichtümer waren ihnen entwischt. Von jenem Tag an war er wie vom Erdboden verschluckt, und seine Identität hatte in der europäischen Presse seither des öftern zu Spekulationen Anlaß gegeben.

»Jawohl, Sir, Don Murillo, der Tiger von San Pedro«, wiederholte Baynes. »Wenn Sie nachschlagen, so werden Sie herausfinden, daß die Nationalfarben von San Pedro Grün und Weiß sind, dieselben Farben wie in der Nachricht, Mr. Holmes. Henderson hat er sich genannt, aber ich hab seine Spur zurückverfolgt, über Paris, Rom und Madrid bis nach Barcelona, wo sein Schiff anno 86 angekommen ist. Die ganze Zeit über haben sie ihn gesucht, um Rache an ihm zu nehmen, aber erst kürzlich sind sie ihm auf die Schliche gekommen.«

»Aufgespürt haben sie ihn schon vor einem Jahr«, sagte Miss Burnet, die sich aufgesetzt hatte und dem Gespräch aufmerksam folgte. »Es wurde schon einmal ein Anschlag auf ihn verübt, aber irgendein böser Dämon muß ihn beschützt haben. Und auch jetzt wieder ist es der edle, wackere Garcia, der sein Leben lassen mußte, während dieses Ungeheuer unversehrt davongekommen ist. Aber ein anderer wird kommen, und danach wieder ein anderer, bis der Gerechtigkeit eines Tages Genüge getan ist; das weiß ich so gewiß, wie daß die Sonne morgen wieder aufgeht.« Ihre mageren Hände ballten sich zu Fäusten, und ihr abgezehrtes Gesicht wurde weiß vor leidenschaftlichem Haß.

»Aber was haben denn Sie mit dieser Sache zu tun, Miss Burnet?« fragte Holmes. »Wie kommt eine englische Lady dazu, sich an einem solch mörderischen Unternehmen zu beteiligen?«

»Ich nehme daran teil, weil es auf dieser Welt keinen anderen Weg gibt, Gerechtigkeit zu erlangen. Was schert sich das englische Gesetz um die Ströme von Blut, die vor Jahren in San Pedro vergossen wurden, oder um die Schiffsladung von Schätzen, die dieser Mann gestohlen hat? Für euch ist es, als seien diese Verbrechen auf einem anderen Stern begangen worden. Wir aber wissen Bescheid. Wir haben durch Kummer und Leid die Wahrheit erfahren. Für uns gibt es in der Hölle keinen Teufel wie Juan Murillo – und hier auf Erden keinen Seelenfrieden8, solange seine Opfer nach Vergeltung schreien.«

»Er war bestimmt genau so, wie Sie sagen«, warf Holmes ein. »Ich habe das Schlimmste über ihn gehört. Aber inwiefern sind Sie davon betroffen?«

»Ich will Ihnen alles erzählen. Es gehörte zur Politik dieses Scheusals, jeden Mann, der sich dereinst zu einem ernstzunehmenden Rivalen entwickeln könnte, unter dem einen oder anderen Vorwand aus dem Weg zu räumen. Mein Gatte – ja, mein richtiger Name ist Señora Victor Durando – war der Gesandte von San Pedro in London. Dort haben wir uns kennengelernt und geheiratet. Nie hat ein edlerer Mann als er auf Erden gelebt. Unseligerweise aber hörte Murillo von seinen hervorragenden Qualitäten, berief ihn unter einem Vorwand zurück und ließ ihn erschießen. Sein Schicksal vorausahnend, hatte er es abgelehnt, mich mitzunehmen. Sein Vermögen wurde konfisziert, mir blieb nichts als ein Notgroschen und ein gebrochenes Herz.

Dann kam der Sturz des Tyrannen. Er entwischte genau so, wie Sie es eben geschildert haben. Aber all die Unzähligen, deren Leben er zerstört hatte, deren Nächste und Liebste unter seinen Händen Folter und Tod erlitten hatten, waren nicht gewillt, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie schlössen sich zu einem Bund zusammen, der nicht eher aufgelöst werden sollte, als bis das Werk vollbracht war. Sobald wir hinter der Maske von Henderson den gefallenen Despoten ausgemacht hatten, fiel mir die Aufgabe zu, mich in seinen Haushalt einzuschleichen und die anderen über jede seiner Bewegungen auf dem laufenden zu halten. Dies gelang mir, indem ich mir die Stellung als Gouvernante in seinem Hause verschaffte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, daß die Frau, die ihm bei allen Mahlzeiten gegenübersaß, die Gattin eines Mannes war, dessen Lebenslicht er von einer Stunde auf die andere ausgelöscht hatte. Ich zeigte ihm ein lächelndes Gesicht, kam meinen Pflichten gegenüber den Kindern nach und wartete, bis die Zeit reif wäre. Ein erster Anschlag wurde in Paris auf ihn verübt und mißlang. Darauf reisten wir in hektischem Zickzack durch ganz Europa, um die Verfolger abzuschütteln, und kehrten schließlich in dieses Haus zurück, das er bei seinem ersten Aufenthalt in England erworben hatte.

Aber auch hier warteten die Sachwalter der Gerechtigkeit auf ihn. Garcia, welcher der Sohn des ehemaligen obersten Würdenträgers von San Pedro ist, wußte wohl, daß er hierher zurückkehren würde, und erwartete ihn zusammen mit zwei getreuen Gefährten niederen Standes, die von demselben Feuer der Rache beseelt waren wie er. Tagsüber Heß sich nicht viel ausrichten, denn Murillo war überaus vorsichtig und ging ohne seinen Trabanten Lucas, oder vielmehr Lopez, wie dieser sich in den Tagen seiner Machtfülle noch genannt hatte, nie aus. Nachts jedoch schlief er allein, und dann konnte ein Rächer Hand an ihn legen. An einem bestimmten, vorher vereinbarten Abend übersandte ich meinem Freund die letzten Instruktionen, denn der Mann war ständig auf der Hut und wechselte öfters das Schlafzimmer. Ich sollte dafür besorgt sein, daß alle Türen offen waren, und ein grünes oder weißes Licht in einem Fenster, das auf die Einfahrt blickte, sollte ihm signalisieren, ob alles in Ordnung war oder ob der Anschlag besser auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden sollte.

Doch es ging alles schief. Aus irgendeinem Grund hatte ich den Verdacht des Sekretärs Lopez erregt. Er schlich mir nach und stürzte sich auf mich, als ich eben meine Mitteilung fertiggeschrieben hatte. Er und sein Gebieter schleiften mich in mein Zimmer, wo sie über mich zu Gericht saßen und mich des Verrats schuldig befanden. Sie hätten mich wohl auf der Stelle mit ihren Messern durchbohrt, wenn sie eine Möglichkeit gesehen hätten, sich den Folgen einer solchen Tat zu entziehen. Endlich, nach langen Erörterungen, kamen sie zu dem Schluß, daß meine Ermordung zu gefährlich wäre. Sie beschlossen jedoch, sich Garcias ein für allemal zu entledigen. Sie hatten mich geknebelt, und Murillo verdrehte mir den Arm, bis ich ihnen die Adresse verriet. Bei meiner Seele, er hätte ihn mir gleich ganz abdrehen können, hätte ich gewußt, was Garcia bevorstand. Lopez schrieb die Adresse auf den Brief, den ich verfaßt hatte, versiegelte ihn mit Hilfe seines Manschettenknopfes und ließ ihn durch José, den Diener, überbringen. Wie sie ihn ermordet haben, weiß ich nicht; sicher ist nur, daß er durch Murillos Hand gefallen ist, denn Lopez war bei mir geblieben, um mich zu bewachen. Ich nehme an, er hat ihm bei den Stechginsterbüschen, zwischen denen der Weg sich hindurchschlängelt, aufgelauert, und als Garcia da vorbeikam, hat er ihn niedergemacht. Zuerst hatten sie vor, ihn das Haus betreten zu lassen und ihn als auf frischer Tat ertappten Einbrecher zu töten; dann überlegten sie sich jedoch, daß im Falle einer polizeilichen Untersuchung ihre wahre Identität unweigerlich ans Licht der Öffentlichkeit käme, wodurch sie weiteren Anschlägen ausgesetzt würden. Von Garcias Tod erhofften sie sich allerdings auch eine abschreckende Wirkung auf andere und somit das Ende ihrer Nachstellungen.

Damit wäre für sie nun alles in Ordnung gewesen, hätten sie nicht in mir eine Mitwisserin ihrer Tat gehabt. Ich habe keinen Zweifel, daß mein Leben zu Zeiten an einem dünnen Faden hing. Sie sperrten mich in meinem Zimmer ein, versetzten mich mit entsetzlichsten Drohungen in Angst und Schrecken, mißhandelten mich aufs grausamste, um meinen Lebensmut zu brechen – sehen Sie nur diese Stichwunde hier in meiner Schulter und die blauen Flecke, mit denen meine Arme von oben bis unten bedeckt sind –, und als ich einmal aus dem Fenster um Hilfe zu rufen versuchte, stopften sie mir einen Knebel in den Mund. Fünf Tage lang währte diese furchtbare Gefangenschaft, und ich erhielt kaum genug Nahrung, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Heute nachmittag endlich wurde mir ein gutes Mittagessen gebracht, aber kaum hatte ich es zu mir genommen, spürte ich, daß ihm ein Rauschgift beigemengt worden war. Ich erinnere mich wie im Traum, halb geführt, halb zum Wagen getragen worden zu sein; im selben Zustand wurde ich zum Zug geschafft. Erst da, als die Räder sich schon beinah in Bewegung setzten, kam mir plötzlich zum Bewußtsein, daß ich selbst meine Freiheit in der Hand hatte. Ich sprang hinaus, sie versuchten, mich zurückzuzerren, und ohne die Hilfe dieses braven Mannes hier, der mich zu einer Droschke führte, wäre es mir nie gelungen, zu entkommen. Nun aber bin ich Gott sei Dank auf immer ihrer Gewalt entronnen.«

Wir alle hatten diesem bemerkenswerten Bericht mit gebannter Aufmerksamkeit gelauscht. Es war Holmes, der schließlich das Schweigen brach.

»Damit sind wir aber noch nicht am Ende unserer Schwierigkeiten«, sagte er kopfschüttelnd. »Die Polizeiarbeit hätten wir zwar abgeschlossen, aber die juristische Arbeit fangt erst an.«

»Genau«, pflichtete ich ihm bei. »Ein spitzfindiger Anwalt könnte die Sache immer noch so drehen, daß sie sich wie ein Akt der Notwehr ausnehmen würde. Mögen auch Hunderte von Verbrechen im Hintergrund liegen, so ist es doch nur dieses eine, für das sie belangt werden können.«

»Ach was«, sagte Baynes munter, »da habe ich aber eine bessere Meinung von unseren Gesetzen. Notwehr ist eine Sache; aber einen Mann kaltblütigen eine Falle zu locken, um ihn zu ermorden, ist eine andere, ganz gleich, was für Gefahren von ihm drohen mögen. Warten Sie's nur ab, wir alle kommen schon zu unserem Recht, wenn wir bei der nächsten Tagung des Geschworenengerichts von Guildford die Bewohner von High Gable wiedersehen.«

Es ist indessen eine historische Tatsache, daß es noch eine Weile dauern sollte, bis der Tiger von San Pedro seine verdiente Strafe fand. Dreist und gerissen, wie er und sein Spießgeselle nun mal waren, schüttelten sie ihren Verfolger ab, indem sie eine Pension in der Edmonton Street betraten und durch den Hintereingang, der auf den Curzon Square geht, wieder verließen. Von jenem Tag an wurden sie in England nicht mehr gesehen. Etwa sechs Monate später wurden in Madrid der Marquese von Montalva und sein Sekretär, ein Signor Rulli, in ihrem Zimmer im Hotel Escorial ermordet. Das Verbrechen wurde den Nihilisten zugeschrieben, und die Mörder wurden nie gefaßt. Inspektor Baynes besuchte uns in der Baker Street mit einer gedruckten Beschreibung des dunklen Gesichts des Sekretärs und der herrischen Gesichtszüge, des magnetischen Blicks der schwarzen Augen und der buschigen Augenbrauen seines Herrn. Es gab keinen Zweifel, die Gerechtigkeit hatte die beiden, wenn auch spät, ereilt.

»Ein chaotischer Fall, mein lieber Watson«, sagte Sherlock Holmes bei seiner Abendpfeife. »Es wird Ihnen kaum gelingen, ihn in der gedrängten Form, die Ihnen so sehr am Herzen liegt, zu präsentieren. Er erstreckt sich über zwei Kontinente, umfaßt zwei Gruppen geheimnisumwitterter Personen und wird überdies noch kompliziert durch die äußerst respektable Mitwirkung unseres Freundes Scott Eccles, dessen Einbeziehung davon zeugt, daß der verstorbene Garcia ein talentierter Ränkeschmied und ein Mann mit einem stark entwickelten Selbsterhaltungstrieb war. Bemerkenswert an diesem Fall ist eigentlich allein die Tatsache, daß inmitten dieses undurchdringlichen Dschungels von Möglichkeiten wir und unser geschätzter Mitarbeiter, der Inspektor, das Wesentliche immer fest im Auge behielten und so dem gekrümmten und gewundenen Pfade folgen konnten. Gibt es noch irgendeinen Punkt, der Ihnen nicht ganz klar ist?«

»Der Grund für die Rückkehr des Mulattenkochs ...«

»Ich denke, den Anlaß dazu dürfte das seltsame Geschöpf in der Küche gegeben haben. Der Mann war ein primitiver Wilder aus den Urwäldern von San Pedro, und dieser Gegenstand war sein Fetisch. Als er und sein Gefährte zu dem vorher bestimmten Versteck geflüchtet waren, wo zweifellos noch ein weiterer Verbündeter ihrer harrte, hatte ihn sein Gefährte überredet, einen so kompromittierenden Einrichtungsgegenstand zurückzulassen. Der Mulatte hing jedoch so sehr daran, daß es ihn am folgenden Tag zu dem Haus zurücktrieb, wo er aber, als er durchs Fenster spähte, feststellen mußte, daß Constable Walters die Stellung hielt. Er wartete noch einmal drei Tage, dann aber trieb ihn seine Frömmigkeit oder sein Aberglaube zu einem weiteren Versuch. Inspektor Baynes, der mit der ihm eigenen Geriebenheit den Vorfall mir gegenüber heruntergespielt hatte, war sich seiner Bedeutung in Tat und Wahrheit wohl bewußt und stellte dem Mann eine Falle, in die dieser dann auch prompt gegangen ist. Sonst noch etwas, Watson?«

»Dieser zerfetzte Vogel, der Eimer voll Blut, die verkohlten Knochen, all das rätselhafte Zeug in jener schauerlichen Küche.«

Lächelnd schlug Holmes eine Eintragung in seinem Notizbuch auf.

»Ich habe einen Vormittag im British Museum verbracht, um dies und noch ein paar andere Punkte nachzulesen. Dies hier ist ein Zitat aus Eckermanns Voodoo-Kult und Negerreligionen:

Der echte Voodoo-Anhänger nimmt nichts Wichtiges in Angriff, ohne zuvor bestimmte Opfer dargebracht zu haben, deren Zweck es ist, seine unreinen Götter günstig zu stimmen. In extremen Fällen kommt es bei diesen Ritualen zur Opferung von Menschen, verbunden mit Kannibalismus. Gebräuchlichere Opfer sind ein weißer Hahn, der lebendig in Stücke gerissen wird, oder eine schwarze Ziege, der die Kehle durchgeschnitten und deren Körper dann verbrannt wird.

Wie Sie sehen, ist unser wilder Freund bei seinem Ritual also ganz orthodox vorgegangen. Grotesk, Watson«, fügte Holmes hinzu, während er bedächtig sein Notizbuch zuklappte; »aber wie ich bereits die Gelegenheit hatte zu bemerken, vom Grotesken zum Entsetzlichen ist es nur ein Schritt.«

Die Pappschachtel9

Bei meiner Auswahl typischer Fälle, welche die außergewöhnlichen geistigen Fähigkeiten meines Freundes Sherlock Holmes illustrieren, habe ich mich soweit als möglich bemüht, denjenigen den Vorrang zu geben, die möglichst wenig Sensationelles enthielten, zugleich aber ein dankbares Feld für die Anwendung seiner Fähigkeiten boten. Unglücklicherweise ist es jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, das Sensationelle säuberlich vom Kriminellen zu scheiden, und der Chronist, der es trotzdem versucht, befindet sich ständig in dem Dilemma, daß er entweder gewisse Details, die für seinen Bericht wesentlich sind, beiseite lassen und so einen falschen Eindruck von der Sache vermitteln oder aber Themen behandeln müßte, die ihm der Zufall und nicht seine eigene Wahl an die Hand gegeben hat. Nach diesen einführenden Worten will ich mich nun meinen Notizen zu einem Fall zuwenden, der sich als eine merkwürdige und zugleich außerordentlich verhängnisvolle Verkettung von Ereignissen erweisen sollte.

Es war ein glühendheißer Tag im August. Die Baker Street war wie ein Backofen, und das gleißende Licht der Sonne auf dem gelben Gemäuer des gegenüberliegenden Hauses tat den Augen weh. Kaum zu glauben, daß dies dieselben Mauern waren, die im Winter so düster durch den Nebel lugten. Unsere Rouleaus waren halb heruntergelassen, und Holmes lag mit angezogenen Beinen auf dem Sofa und las zum wiederholten Male einen Brief, den er mit der Morgenpost erhalten hatte. Was mich betrifft, so war ich durch meine Dienstzeit in Indien gegen Hitze besser abgehärtet denn gegen Kälte, und ein Thermometerstand von neunzig10 konnte mir nichts anhaben. Indes, die Morgenzeitung bot nichts von Interesse. Das Parlament hatte Sommerpause. Alle hatten die Stadt verlassen, und ich sehnte mich nach den Lichtungen des New Forest11 oder nach dem Strand von Southsea12. Mein leeres Bankkonto hatte mich meine Ferien verschieben lassen, und was meinen Gefährten betraf, so vermochte weder das Land noch das Meer auch nur die geringste Anziehungskraft auf ihn auszuüben. Für ihn gab es nichts Schöneres, als inmitten von fünf Millionen Menschen auf der Lauer zu liegen und seine Fäden zu spinnen, die sich überallhin verzweigten und von jedem noch so leisen Gerücht oder Anzeichen eines ungelösten Verbrechens in Schwingungen versetzt wurden. Sinn für die Natur zählte nicht zu seinen vielen Gaben, und er kam einzig dann zu einer Luftveränderung, wenn er seinen Geist vom Bösewicht der Stadt abwandte, um dessen Bruder auf dem Lande nachzustellen.

Da ich den Eindruck hatte, daß Holmes für ein Gespräch mit mir zu absorbiert war, warf ich die unersprießliche Zeitung beiseite, lehnte mich in meinem Lehnstuhl zurück und verfiel in Grübeleien. Plötzlich schreckte mich die Stimme meines Gefährten aus meinen Gedanken auf.

»Sie haben recht, Watson«, sagte er. »Wirklich eine ausgesprochen unsinnige Art, einen Konflikt beizulegen.«

»Ausgesprochen unsinnig!« rief ich aus, doch mit einemmal kam mir zum Bewußtsein, daß er meinen innersten Gedanken ausgesprochen hatte, ich setzte mich in meinem Sessel auf und starrte ihn ungläubig staunend an.

»Was ist das denn, Holmes?« rief ich. »Das übersteigt jetzt aber wirklich mein Vorstellungsvermögen!«

Er lachte herzlich über meine Verblüffung.

»Sie werden sich daran erinnern«, sagte er, »daß ich Ihnen vor nicht allzu langer Zeit jene Passage aus einer von Poes Skizzen13 vorgelesen habe, wo ein logischer Geist dem unausgesprochenen Gedankengang seines Gefährten folgt, und daß Sie dies als einen Gewaltakt des Autors abtun wollten. Und als ich Ihnen entgegenhielt, genau das sei eine meiner ständigen Gewohnheiten, gaben Sie Ihrem Unglauben Ausdruck.«

»Aber nein, keineswegs.«

»Vielleicht nicht mit Ihrer Zunge, mein lieber Watson, aber ganz bestimmt mit Ihren Augenbrauen. Und als ich vorhin sah, wie Sie Ihre Zeitung beiseitewarfen und sich von Ihren Gedanken wegtragen ließen, war ich sehr froh, daß sich mir eine Gelegenheit bot, dieselben abzulesen und mich schließlich in sie einzumischen, zum Beweis dafür, daß ich mit Ihnen in Verbindung gestanden hatte.«

Damit war ich jedoch noch keineswegs zufrieden. »In dem Beispiel, das Sie mir vorgelesen haben, war es doch aber so, daß der Logiker seine Schlüsse aus den Handlungen des Mannes zog, den er beobachtete. Wenn ich mich recht erinnere, stolperte dieser über einen Steinhaufen, blickte zu den Sternen auf und dergleichen mehr. Ich hingegen habe die ganze Zeit über ruhig in meinem Stuhl gesessen; was für Hinweise könnte ich Ihnen denn damit gegeben haben?«

»Sie tun sich selber unrecht. Die Gesichtszüge sind dem Menschen verliehen worden, auf daß er damit seine Gefühle ausdrücke, und die Ihren versehen diesen Dienst durchaus getreulich.«

»Wollen Sie damit sagen, Sie hätten mir den Gang meiner Gedanken von den Gesichtszügen abgelesen?«

»Von Ihren Gesichtszügen, und insbesondere von Ihren Augen. Womöglich können Sie sich gar nicht mehr entsinnen, was der Ausgangspunkt Ihrer Tagträumereien war?«

»Nein, das kann ich nicht.«

»Dann will ich es Ihnen sagen. Nachdem Sie die Zeitung beiseitegeworfen hatten – was meine Aufmerksamkeit auf Sie lenkte – saßen Sie eine halbe Minute lang mit ausdruckslosem Gesicht da. Dann heftete sich Ihr Blick auf das frischgerahmte Bild von General Gordon14, und aus Ihrem veränderten Gesichtsausdruck konnte ich ersehen, daß eine Gedankenkette ihren Anfang genommen hatte. Sie verfolgten sie jedoch nicht sehr weit. Plötzlich wandte sich Ihr Blick dem ungerahmten Portrait Henry Ward Beechers15 zu, das dort drüben auf Ihren Büchern steht. Dann glitt Ihr Blick an der Wand hoch, und was das zu bedeuten hatte, war ganz offensichtlich. Sie dachten, mit einem Rahmen wäre dieses Portrait wie geschaffen dafür, den leeren Platz auf der Wand auszufüllen und das Gegenstück zu dem Bild von Gordon da zu bilden.«

»Sie sind mir ja ganz wunderbar gefolgt!« rief ich aus.

»Bis hierhin war es auch kaum möglich fehlzugehen. Nun aber wandten sich Ihre Gedanken wieder Beecher zu, und sie blickten scharf zu ihm hinüber, als wollten Sie seinen Charakter aus seinen Zügen erschließen. Dann verloren Ihre Augen diesen angestrengten Blick wieder, Sie schauten aber noch immer zu ihm hinüber, und Ihr Gesicht wirkte nachdenklich. Sie riefen sich die einzelnen Stationen von Beechers Lebenslauf in Erinnerung. Es war mir klar, daß Ihnen unweigerlich auch jene Mission einfallen würde, die er während des Bürgerkrieges im Auftrag der Nordstaaten erfüllt hatte, denn ich weiß noch gut, wie sehr der Empfang, der ihm seitens des hitzigeren Teiles unserer Bevölkerung zuteil geworden war, Sie entrüstet hatte. Sie hatten sich damals so sehr ereifert, daß ich wußte, Sie würden nicht an Beecher denken können, ohne daß Ihnen diese Sache in den Sinn käme. Als ich dann einen Augenblick später bemerkte, daß Ihr Blick von dem Bild abschweifte, vermutete ich, daß Ihre Gedanken sich dem Bürgerkrieg zugewandt hatten, und als ich den entschlossenen Zug um Ihre Lippen, das Funkeln Ihrer Augen und Ihre zu Fäusten geballten Hände sah, war ich davon überzeugt, daß Sie des Heldenmutes gedachten, den beide Seiten in diesem verzweifelten Kampf bewiesen haben. Dann aber verdüsterte sich Ihre Miene wieder, und Sie schüttelten den Kopf. Sie sinnierten über all das Grauen und Entsetzen, über diesen sinnlosen Verschleiß an Menschenleben. Ihre Hand tastete verstohlen nach Ihrer alten Wunde, und Ihre Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Lächeln, was mir zeigte, daß Ihr Geist sich der Lächerlichkeit einer solchen Methode der Bewältigung internationaler Verwicklungen nicht länger verschließen konnte. An diesem Punkt pflichtete ich Ihnen bei, daß das Ganze unsinnig sei, und stellte mit Vergnügen fest, daß all meine Deduktionen richtig gewesen waren.«

»Absolut richtig«, sagte ich. »Und ich muß Ihnen gestehen, daß mir die Sache jetzt, da Sie alles erklärt haben, nicht minder verblüffend vorkommt als zuvor.«

»Ein simpler Taschenspielertrick, mein lieber Watson, glauben Sie mir. Ich hätte Sie nicht damit belästigt, hätten Sie sich neulich nicht so ungläubig gezeigt. Aber mir liegt hier ein kleines Problem vor, dessen Lösung sich als schwieriger erweisen dürfte als mein bescheidener Versuch im Gedankenlesen. Ist Ihnen bei der Zeitungslektüre die kurze Notiz aufgefallen, über den außergewöhnlichen Inhalt eines Päckchens, das einer Miss Cushing aus der Cross Street in Croydon mit der Post zugestellt worden ist?«

»Nein, ich habe nichts dergleichen gesehen.«

»Nun, dann muß Sie ihnen entgangen sein. Schmeißen Sie mir doch mal die Zeitung herüber. Hier ist sie ja, direkt unter dem Wirtschaftsteil. Würden Sie so gut sein, sie mir vorzulesen?«

Ich nahm die Zeitung, die er mir wieder hingeworfen hatte, und las den betreffenden Artikel vor. Die Überschrift lautete »Ein grausiges Paket«.

Miss Susan Cushing, wohnhaft in der Cross Street in Croydon, wurde gestern das Opfer eines Vorfalles, der als außerordentlich geschmackloser Streich betrachtet werden muß, sofern sich nicht herausstellt, daß es damit noch Ernsteres und Grausigeres auf sich hat. Gestern nachmittag um zwei Uhr wurde ihr vom Postboten ein in braunes Packpapier eingeschlagenes Päckchen überbracht. Darin befand sich eine Pappschachtel, die mit grobkörnigem Salz gefüllt war. Als Miss Cushing dieses ausleerte, fand sie zu ihrem Entsetzen zwei offensichtlich erst vor kurzem abgetrennte menschliche Ohren darin vor. Die Schachtel war am vorhergehenden Morgen per Paketpost von Belfast abgeschickt worden. Es gibt keinen Hinweis auf die Identität des Absenders, und die Angelegenheit erscheint um so rätselhafter, als Miss Cushing, eine alleinstehende Dame von fünfzig, seit jeher ein zurückgezogenes Leben geführt hat und so wenige Bekannte oder Briefpartner hat, daß es für sie eine Seltenheit ist, überhaupt Post zu bekommen. Vor einigen Jahren allerdings, als sie noch in Penge lebte, hatte sie in ihrem Hause drei junge Medizinstudenten zur Untermiete, welchen sie sich später, aufgrund ihres lärmigen und ungebührlichen Betragens, zu kündigen gezwungen sah. Die Polizei ist der Ansicht, daß diese Schandtat gegenüber Miss Cushing von diesen jungen Leuten verübt worden sein könnte, die vielleicht noch immer einen Groll gegen sie hegten und hofften, ihr mit diesen Überresten aus dem Seziersaal einen Schrecken einjagen zu können. Diese Theorie wird durch die Tatsache erhärtet, daß einer der Studenten aus Nordirland stammte und zwar, soviel Miss Cushing sich erinnert, aus Belfast. Zur Zeit sind die Ermittlungen in dieser Sache in vollem Gang; zuständig für den Fall ist Mr. Lestrade, einer unserer allerfähigsten leitenden Kriminalbeamten.

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