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Kapitel VIII
ÜBERWINDUNG MEINER ATHEISTISCHEN AUSBILDUNG IN SCHULE UND UNIVERSITÄT

1. Der deutsche Freund

Einige Entwicklungen persönlicher Art, nach meiner Zeit im Internat und vor der Universitätszeit, möchte ich nun schildern, um ein genaueres Bild meines Werdeganges darzustellen.

Die materialistische Ausbildung in der Schule – besonders das Lehren der Evolution, als ob es ein Faktum der Naturwissenschaft sei – führte mich dazu, Atheist zu werden. Dieser Schritt geschah, als ich im Internat war. Meine gläubige Mutter war darüber erschüttert, dass meine teuer erworbene Ausbildung auf diese Weise ausartete. Vater war Freimaurer und sagte nicht viel. Er glaubte an einen Gott. Die Kirche verachtete er, und die anglikanische Kirche verwechselte er mit dem Christentum. Aber an Gott glaubte er.

Persönlich war ich sehr unglücklich. Die vielen Kämpfe im Internat und die wirtschaftliche Lage bedrückten mich. Zu dieser Zeit trat ein junger Deutscher als Schüler ins Internat nach Taunton ein. Er hieß Heinz Winkelshoff, war rothaarig, sehr selbstdiszipliniert und sprach gutes Englisch. Bald waren wir befreundet. Er lud mich zu sich nach Hause in den Westerwald ein. Ich verbrachte einige Wochen Ferien während des Sommers 1933 in Deutschland und lernte etwas Deutsch. Dort lernte ich andere deutsche Familien kennen. Der Sohn einer dieser Familien steckte damals in finanzieller Not. Die Familie besaß ein Herren- und ein Damenkonfektionsgeschäft. Die nationalsozialistische Partei lud diesen Sohn ein, SS-Mitglied zu werden, dann könnte man ihm die Alleinvertretung für Parteiuniformen für den Bezirk übertragen. Ein solcher Schritt würde ihm helfen, aus seinen finanziellen Schwierigkeiten herauszukommen. Daraufhin wurde er SS-Mann, und sein Geschäft blühte auf.

Im Jahre 1936 lud er mich noch einmal in den Westerwald ein, und ich nahm die freundliche Einladung an. Die Lage in der Partei hatte sich sehr zugespitzt. Eines Nachts bekam dieser Sohn den Befehl, einzurücken, um einen geheimen SS-Befehl zu erfüllen. Eine ganze Gruppe von SS-Männern sollte eine Aufgabe ausführen, die den Transport eines Autos erforderte. Für diese Aufgabe würde von der Partei ein PKW geliefert werden. Die Schwierigkeit bestand darin, dass niemand in dieser auserlesenen Gruppe Auto fahren konnte. Da fragte mich mein Freund, ob ich bereit wäre, das Autofahren für die Gruppe zu übernehmen. Ich fragte nach dem Zweck der nächtlichen Fahrt, die mir höchst verdächtig schien.

Einige Stunden später kam der Sohn des Hauses, der SS-Mann war, sehr bedrückt und niedergeschlagen nach Hause. Er habe seinem Parteichef gesagt, ich sei eventuell bereit, das Auto zu fahren, worauf der Chef wütend geworden sei, ihn einen Dummkopf genannt habe, da doch alle wüssten, dass ich Engländer sei, und kein Ausländer an wichtigen SS-Missionen beteiligt sein dürfe? Ich ging natürlich nicht mit.

Es war die Kristallnacht, in der so viele jüdische Synagogen zerstört wurden – und die SS-Gruppen hatten die Zerstörung der Synagogen durchgeführt. Mein Freund machte trotzdem weiterhin mit, obwohl er von vielen Seiten gewarnt worden war. Dieses schreckliche Ereignis zerbrach ihn. Er marschierte später im Krieg mit den SS-Truppen in das Baltikum, und dort fiel er. Wir wissen nicht, wo sein Grab liegt.

2. General Frost

Nach dieser Zeit zog ein junger englischer General in unsere Gegend in Berkshire und kaufte sich an der Themse einen schönen großen Bungalow. Er war der jüngste englische General der britisch-indischen Armee und war mehrere Jahre an der Nord-West-Grenze zwischen Indien und Afghanistan stationiert gewesen. Als dieser jüngste General der britischen Streitkräfte etwa 45 Jahre alt wurde, fand er durch das Zeugnis anderer Christen und durch das Lesen der Bibel den Weg zum persönlichen Glauben an Christus. Kurz gesagt, er wurde auf spektakuläre Weise Christ. Er hatte viel Hartes und Schweres im Leben gesehen, war nicht emotional, sondern ein echter Soldat: geradeaus, furchtlos, intelligent und grundehrlich.

Innerhalb kürzester Frist entschied er sich, die restlichen Jahre seines Lebens besser zu verwenden als in seinem Beruf als Soldat. Er wollte, wie er sich ausdrückte, nicht mehr sein Leben für den König in London einsetzen, sondern für Christus, den König der Ewigkeit, der sein Leben hingegeben hatte für ihn! So ließ er sich früh pensionieren und kaufte das Haus an der Themse, ganz in unserer Nähe. Dort baute er eine kleine Kapelle auf seinem Rasen – weil es damals keine lebendigen Gemeinden in unserer Nähe gab – und hielt jeden Sonntag Vorträge. Überall, wo er eingeladen wurde, hielt er Andachten – in Kirchen, Freikirchen und neutralen Sälen. Er hatte sehr schnell Zulauf, denn bei uns in der Nähe gab es auf diesem Gebiet keinerlei Konkurrenz!

Meine Mutter ging zu seinen Vorträgen und wurde gesegnet. Mutter lud dann ihre Schwester (Tante Addie) ein, die dadurch gläubig wurde. Dann gesellte sich eine meiner Kusinen dazu, die viel Schweres im Leben erfahren hatte. Auch sie wurde gläubig. Meine Mutter lud mich ein, sie dorthin in das Haus des Generals zu begleiten. Ich erklärte aber, dass ein Student der Universität Oxford nicht zu einer evangelistischen Versammlung gehe – nicht einmal, wenn ein General spricht! Mutter klagte ihre Not dem General persönlich, der kryptisch entgegnete, wenn Mohammed nicht zum Berg kommen wolle, dann müsse der Berg zu Mohammed gehen! Er lud mich zum Tee zu sich nach Hause ein. Nun, wenn ein Student von einem General nachmittags zum 5.00-Uhr-Tee eingeladen wurde, musste er hingehen, sonst war er nach den damaligen englischen Höflichkeitsregeln nicht mehr salonfähig, sondern gesellschaftlich durchgefallen. Ich musste also wohl oder übel hingehen.

An einem schönen Nachmittag fuhr ich zu „Watersmeet“ (so hieß sein Haus an der Themse) und wurde freundlich empfangen. Wir spielten Tennis, ruderten auf der Themse und tranken vorschriftsmäßig Tee mit der Familie. Nach dem Teetrinken führte mich der General in sein Studierzimmer, um privat mit mir zu sprechen. Er fragte mich, ob ich Christ sei. Ich antwortete, dass ich überzeugter Atheist, obwohl getauft und konfirmiert, sei. Er sagte, er sei überzeugter Christ. Er wisse, dass Christus für seine Sünden gestorben und auferstanden sei. Da lachte ich ihn und seine Naivität aus und fragte ihn, wie er als gebildeter Mann an die Märchen der Bibel glauben könnte. Christus bekannte sich zum Beispiel zum Schöpfungsbericht der Bibel. Kein gebildeter Mensch könne heute an so etwas noch glauben. Adam und Eva als Personen gab es nie, sie waren keine historischen Menschen. Christus aber glaubte an die Mythen der Bibel und verwechselte Geschichte mit Mythen. Nun, wenn Christus wirklich Gottes Sohn gewesen wäre, hätte Er nie Wahrheit mit Unsinn und Mythen verwechselt.

Im Laufe der Entwicklung unserer Unterhaltung sagte ich ihm, dass Darwins Theorien harte Fakten der Geschichte und der Naturwissenschaften seien, die Welt und die Biologie seien durch Zufall und natürliche Auslese zustande gekommen. Natürliche Auslese und Mutationen hätten dann die Entwicklung der Amöbe bis zum Menschen verursacht. Die Idee eines intelligenten Schöpfers sei höchst unwissenschaftlich, selbst die Theologen glaubten das heute nicht mehr. Gottesbeweise gebe es nicht, Feuerbach und andere hätten das längst bewiesen. Seine (des Generals) Religion sei ungebildete Fantasie und sein Glaube konzentrierte Einbildung!

Der gute ehrliche General, der eigentlich gar nicht ungebildet war, schaute mich eher traurig als böse an, gab zu, dass er von Naturwissenschaft so gut wie nichts wisse, und bekannte, dass er mit mir (dem eingebildeten jungen Studenten) nicht vorwärts kam. Gegen 23.00 Uhr verabschiedete ich mich von ihm. Ich war überzeugt, dass ich ihn gebührend geschlagen hätte. Seine Frau, Mrs. Frost, war eine wahre Lady. Nachher sagte sie mir, dass sie mich für untragbar eingebildet hielt und sie ihrem Mann geraten habe, mich aufzugeben. Ich sei für diese Dinge nicht reif, ich sei absolut hoffnungslos unbekehrbar.

Aber der treue mutige General besaß eine Waffe, die ich nicht kannte. Er verstand das inbrünstige Gebet. So betete er drei volle Wochen für mich. Erst als er volle Gewissheit hatte, dass Gott mich ihm „geschenkt“ hätte, lud er mich noch einmal zum Tee ein. Er war in mancher Hinsicht wie Samuel Hebich, der deutsche Missionar, der vor Jahren unter britischen Soldaten in Indien arbeitete. Hebich besuchte kein Haus und lud niemanden zu sich ein, bis er vorher im Gebet die Gewissheit bekommen hatte, dass er den Sieg errungen hatte. Auch der General lud mich erst dann nochmal zu sich ein.

Diesmal hatte ich natürlich keine Bedenken gegen den Besuch. Das Haus an der Themse war schön, der Tennisplatz angenehm. Das Rudern gefiel mir. Und mit dem General wurde ich im Argumentieren leicht fertig. Er verstand praktisch nichts von der Wissenschaft, ich könnte ihn jederzeit leicht zum Schweigen bringen. Ich schäme mich heute noch, wenn ich an meine Unverfrorenheit einem bewährten General gegenüber denke. Die akademische Ausbildung hatte diesen Geist der Überheblichkeit in mir direkt gezüchtet, sodass ich nicht fähig war, einzusehen, wie unweise, ja wie naiv ich handelte und dachte.

Als wir mit dem Tennisspielen, mit dem Rudern und mit dem Teetrinken fertig waren, gingen wir wiederum auf sein Studierzimmer, um unter vier Augen miteinander zu sprechen. Er war ein sehr gütiger Mann – obwohl er als General auch bestimmt auftreten konnte. Diesmal gebrauchte er aber eine ganz andere Strategie mit mir, wie es einem guten General geziemte. Er begann nämlich diesmal nicht mit Naturwissenschaft, wo er mir unterlegen war, sondern mit Lebensführung, Charakterbildung und Selbstdisziplin.

Auf dem Gebiet war er mir natürlich überlegen. Denn innerlich war ich sehr frustriert, Motivierung fehlte mir, oft war ich verzweifelt und auch schlecht gelaunt. Er als General hatte gelernt, „Nein zu sich selbst zu sagen“, (wie der Herr Jesus Christus sagte: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich“ (Mt 16,24, Mk 8,34, Lk 9,23). Nun, der General, der mit mir in seinem Studierzimmer saß und seine Zeit für mich opferte, war ein lebendes Vorbild der Jüngerschaft Christi. Er sagte „Nein“ zu sich selbst und „Ja“ zu Ihm und Seinem Willen, und zwar von ganzem Herzen. Die Einstellung seines ganzen Lebens spiegelte sich in seinem ganzen Auftreten, es leuchtete in seinen Augen und in den lieben, aber auch strengen Runzeln und Falten seines Gesichtes.

Die ganze Persönlichkeit des Generals – nicht nur seine Worte und seine Argumentationsweise – wirkte auf mich ein, während er mit mir sprach. Seine Worte beeindruckten mich, und sein ganzes Wesen unterstrich jedes Wort. Was er sprach, das war er. Was er sagte, das lebte er vor. Ich als Naturwissenschaftler konnte hohe Worte sprechen, aber dahinter, hinter meinen Worten, stand herzlich wenig. Ich war hohl, er war solide. So machte er mir klar, dass meine Sünde – die Übertretung der ewigen Gesetze Gottes – mich charakterlich kaputt machte. Die Kraft Gottes in der Vergebung der Sünde in seinem Leben strömte in sein inneres Wesen hinein, sodass Christus ihn stark machte. Diese Kraft brauchte ich. Offenbar hatte er mich gern, sodass er mir die unverblümte Wahrheit sagte. Gerade das zu tun, braucht viel Liebe, Geduld und Ausdauer. Und diese Liebe, Ausdauer und Geduld brachte er in reichlichem Maße auf.

Nach einem langen Gespräch fragte er mich direkt, ob ich diese Vergebung und deshalb auch diese Kraft in meinem Leben brauchte? Die Antwort war kristallklar: „Tausendmal Ja.“ Dann fragte er mich, ob ich die Vergebung Gottes in Christus in meinem Leben haben wollte. Was sollte ich da antworten? Die Antwort für jeden ehrlichen Menschen war „Ja“.

„In dem Falle“, sagte er, „gehen wir beide auf die Knie, um Seine Vergebung durch Christi Tod und Auferstehung zu erbitten.“

Er sprach immer so unmittelbar von seinem Verhältnis zu Christus, der sein ständiger Begleiter war, dass er unwiderstehlich war!

So beugten wir zusammen in seinem Studierzimmer die Knie, und er betete laut für mich. Als ich an die Reihe kam, konnte ich kein Wort über die Lippen bringen, der stumme Geist hatte mich erwischt! Wie sollte ich mit Ihm sprechen und zu Ihm beten wollen, an den ich nicht glaubte? Dann fragte mich der General, ob ich glaubte, dass Jesus Christus in ihm, in seinem (des Generals) Herzen wohne. Ich konnte natürlich nicht anders sein als ehrlich und sagte, dass der Geist Christi offenbar in ihm wohne. Die nächste Frage war, ob ich den gleichen Geist in meinem Herzen haben wollte. Woraufhin ich entschieden „Ja“ antwortete. Dann sagte er, dass ich nur darum bitten müsse, wenn ich ganz ehrlich sei. Denn Christus gäbe immer dem, der da bittet!

Der General gab mir absolut keine Seelenmassage, wie es so viele Evangelisten heute tun, nur um Resultate und Statistiken für ihre Missionsgesellschaften zu erzielen. Er sprach zu mir wie von Mann zu Mann. So fühlte ich mich wohl bei ihm, was dafür sorgte, dass ich letzten Endes um Vergebung meines Versagens und meiner Sünden betete. Ich war sehr bald imstande, diese Vergebung im Glauben bewusst anzunehmen. Denn ich wusste, dass Christus mich erhört hatte und dass ich einen Vertrag mit dem Herrn Jesus geschlossen hatte. So stand ich wieder auf, und der General gab mir die Hand und dankte spontan für Gottes Erhörung meines Gebetes.

Aber der treue Mann war noch nicht fertig. Er las mir die Bibelstelle vor, in der geschrieben steht, dass, wer im Herzen glaubt, errettet ist, und wer mit dem Munde bekennt, selig ist (Röm 10,10). Er fragte mich, ob ich im Herzen glaubte, was ich bejahen konnte. Aber seine zweite Frage war anders. Er fragte mich, ob ich bereit sei, Christus mit dem Munde zu bekennen? Ich war erstaunt, denn das hatte ich, meinte ich, mit dem Mund, und zwar durch das Gebet, getan.

„Nein“, sagte er, „ich meine vor Menschen bekennen.“

Das sei kein Problem, meinte ich; wenn ich vor Gott bekennen kann, dann kann ich auch vor Menschen bekennen. Der General war aber skeptisch, er sei ein Pragmatiker, sagte er, er wolle die Praxis sehen, ehe er eine Aussage wage.

„Lassen Sie uns ganz praktisch werden“, sagte er. „Wie wäre es, wenn Sie jetzt in die Küche gingen, um meiner Frau und meinen Kindern, das zu sagen, was Sie jetzt vor mir bekannt haben?“

Ich zögerte natürlich, denn seine Kinder waren teilweise älter und teilweise in meinem Alter und Mrs. Frost, obwohl sie eine perfekte Lady war, hielt von mir etwas Distanz. Das merkte ich. Als Frau erkannte sie das Wesen anderer Menschen schneller als die meisten Männer! Sie hatte sozusagen so viel Menschenkenntnis, dass ich nicht wusste, wie ich sie nehmen sollte! Die zwei Töchter ebenso. Der Sohn war ein junger Offizier und hatte für Akademiker wenig Zeit oder Sinn.

„Ist es denn wirklich nötig, der Familie in der Küche über meine privaten Erfahrungen Bericht zu erstatten?“, fragte ich.

„Nein“, antwortete er, „aber so werden Sie nie Soldat Christi werden. Sie sind eigentlich viel zu feige! Wir lernten beim Militär, aufs Wort hin zu gehorchen. Sie haben das wahrscheinlich nie getan! Und deshalb werden Sie die Verheißung von Römer 10,10 auch nicht erfahren – die Seligkeit des unkomplizierten Bekenntnisses mit dem Mund – dessen, was man im Herzen glaubt!“

Nun, ich wollte vor einem solchen General kein Feigling sein – besonders vor seiner Familie nicht. Kurz entschlossen klopfte ich deshalb an die Tür der Küche und bekannte mit meinem Mund, was ich im Herzen glaubte nach dem Wort Gottes. Im Augenblick dieses Aktes des Gehorsams meinem eigenen Gewissen gegenüber, erfüllte sich das Wort Gottes in meinem Geiste. Das Bekennen mit dem Mund, die Überwindung der eigenen Scheu, des eigenen Stolzes und der eigenen Furcht brachte verheißene „Seligkeit“. Meine Gerechtigkeit hing mit meinem Glauben im Herzen zusammen, während freimütiges Bekennen mit dem Mund mit der „Seligkeit“ des Herzens gekoppelt war.

Von dem Tag an fing ich an, bewusster Christ zu werden, obwohl ich sehr viel zu lernen hatte! Die intellektuellen Schwierigkeiten in Bezug auf Adam und Eva hinsichtlich der Evolutionslehre, der Zuverlässigkeit der Bibel waren noch keineswegs gelöst! Wenn aber die Bibel voller wissenschaftlicher Irrtümer war, wie kam es, dass Christus, der Sohn Gottes, an diesen Irrtümern festhielt? Das war das eigentliche Problem für mich. Heuchelte Er? Denn als Sohn Gottes, der das Universum, Himmel und Erde und alles, was darin lebt, erschuf, müsse Er doch gewusst haben, auch als Mensch, dass das, was Moses in Genesis 1-3 schrieb, den Tatsachen – den wissenschaftlich-historischen Tatsachen – nicht entsprach! Ich besprach diese Probleme sehr oft mit dem General. Aber er konnte mir nicht helfen. Er meinte, dass ich „nur glauben“ müsse, dann würde alles zurechtkommen! Trotzdem gab er mir eigentlich indirekt die Lösung zu allen Problemen dieser Art, indem er bemerkte, dass, wenn ich Christus und Seinem Wort vertrauen würde, auch wenn ich es rein mit dem Verstand nicht verstehen würde, Gott mir Leute in den Weg schicken würde, die in der Lage seien, mir die nötigen wissenschaftlich stichhaltigen Lösungen zu geben.

Und so ist es in meinem Leben auch gekommen. Ich musste fleißig und lange weiterstudieren, bis mir die Antworten klar wurden. Die Probleme verdunsteten nicht von selbst! Aber ich bat Gott täglich darum, mir Menschen zu schicken, die die Lösungen zu meiner Problematik kannten. Ich kam mit Professor Rendle-Short, Professor der Chirurgie an der Universität Bristol, zusammen. Wir waren sofort auf der gleichen Wellenlänge. Als bewusster Christ beschäftigte er sich eingehend mit der Bibel und auch mit den neuesten naturwissenschaftlichen Theorien. Er war theistischer Evolutionist, weil ihm die chemischen Kenntnisse, die die Evolution nach Darwin zunichte machen, nicht vertraut waren. Durch ihn lernte ich die „Gap-Theorie“ kennen, wonach eine Pause zwischen dem ersten und zweiten Vers von Genesis vorliegen soll. Gott hatte, nach dieser Theorie, eine Welt vor unserer jetzigen Welt erschaffen, die dann durch den Fall Luzifers vernichtet wurde. Nach dieser Urvernichtung erschuf Gott unsere heutige Welt von neuem, und zwar in sechs Tagen.

3. Professor Rendle-Short

Nun, diese Theorie scheint einige Probleme der geologischen Zeitalter zu lösen, aber die theologische Evidenz der „Gap-Theorie“ und die paläontologischen Tatsachen decken sich nicht. Wir besitzen keine Evidenz für diese zweite Spätschöpfung. Professor Rendle-Short war selbst eher dazu geneigt, zu meinen, dass Gott die Evolution nach Darwin heimlich gelenkt habe – er neigte, wie gesagt, zur theistischen Evolution – oder zu progressivem Kreationismus. Es war umsonst, dem feinen alten Professor klarzumachen, dass die Grundbasis der Evolutionstheorie in der schöpferischen Tätigkeit von Zufall und nicht in Intelligenz liegt. Wenn Gott nun alles durch Zufall erschuf, arbeitete Er nicht mehr mittels Intelligenz. Aber die Bibel lehrt eindeutig, dass alles durch Plan und Intelligenz zustande kam! Ich konnte mit ihm in diesem Punkt (Evolutionslehre) nicht einig werden, denn Intelligenz arbeitet immer dadurch, dass sie den Zufall ausschaltet und nicht als Arbeitsbasis benutzt. Intelligenz vernichtet effektiv den Zufall. Wenn man aber Gottes Intelligenz zu Zufall herabsetzt, braucht es gar nicht lange, bis man die Persönlichkeit und die Intelligenz Gottes auch herabsetzt, ja, verachtet.

General Frost selbst stand auf dem Standpunkt, dass der ewige Gott auf wunderbare Art und Weise in die Dimension der Zeit hineinbrach, um dort plötzlich Sein ganzes in der Ewigkeit konzipiertes Schöpfungswerk in sechs buchstäblichen Tagen entstehen zu lassen. Natürlich, die Naturwissenschaftler nahmen den General in diesem Punkt nicht sehr ernst. Und der General kannte die Sprache der Naturwissenschaftler nicht. Sein Standpunkt war, dass das Wort Gottes fester ist als das ganze Universum: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mt 24,35, Mk 13,31, Lk 21,33). Die Bibel als Gottes Konzept und Wort wird für immer bestehen, und zwar lange nachdem Himmel und Erde vergangen sind.

4. Lasst Probleme reifen!

Dieses und andere Probleme habe ich in Gedanken über 50 Jahre behalten. Ständig habe ich daran gearbeitet und auch eine Anzahl Bücher darüber geschrieben. Erkenntnisse kommen blitzschnell, wachsen aber und meist wachsen sie langsam. Wenn man nach den neu gewonnenen Erkenntnissen praktisch zu leben versucht, geschieht es gemäß meiner lebenslänglichen Erfahrung, dass Gott einem immer mehr und ergänzende Erkenntnisse dazu anvertraut. Wenn man aber die schon vorhandenen, gottgegebenen Erkenntnisse leugnet oder ihnen untreu ist, dann hört das Wachstum an Erkenntnis und Verständnis auf. Er vertraut uns nicht mehr Seine Geheimnisse an. Man wächst nicht mehr in der Gnade und der Erkenntnis des Herrn. Dies sind meine Erkenntnisse. Über 50 Jahre habe ich sie erfahren. „Wer im Geringsten treu ist, ist auch in vielem treu“ (Lk 16,10), sagt die Heilige Schrift. Wer treu ist in kleinen Erkenntnissen, wird größere erhalten. Deshalb wird theologisches Studium an sich keine großen Erkenntnisse bringen. Indem man die Grunderkenntnisse der Bibel nachzuleben versucht, wachsen weitere Erkenntnisse heran. Gott vertraut mehr Weisheit an – wie Er es bei Daniel, dem Propheten, tat. Daniel war gegenüber dem Gesetz Moses und den Essensvorschriften treu – diese Erkenntnisse über das Gesetz und Diät beachtete er. Deshalb vertraute ihm Gott so viel Einsicht (und Intelligenz) an, dass er nach Nebukadnezars Prüfmethode als zehnmal weiser galt als alle anderen Schriftgelehrten im Lande. Das Prinzip ist heute noch gleich – so wie es im Alten Testament war, so ist es auch im Neuen Testament der Fall.

General Frost liebte das prophetische Wort der Bibel und predigte oft darüber. Diesen prophetischen Aspekt des christlichen Lebens verstand ich als junger Christ gar nicht. Das Gleiche galt für die theologischen Fragen – wie die Frage des freien Willens und der ewigen Erwählung. Ich las Paul Humburg darüber (ob ein freier Wille mit ewiger Erwählung zu vereinbaren ist) und profitierte davon. Aber wie könnte der Mensch einen wirklich freien Willen besitzen, wenn Gott ihn von der Ewigkeit her zum Heil bestimmt hatte? Humburg meinte, dass die parallelen Lehren erst in der Ewigkeit vereinbart werden. Ich las deshalb sehr viel und lernte die guten Autoren beim General kennen. Aber Klarheit hatte ich in vielen Fragen noch nicht. Ich lernte vom General gründlich das eine Prinzip: Wo du einmal Klarheit hast, da handle und lebe danach, sonst wirst du deine Klarheit verlieren. Was dir aber nicht klar ist, das befiehl Ihm an, mit der herzlichen Bitte zu Gott um Klarheit. Lies und behalte im Herzen das Wort, auch wenn du mancherlei nicht verstehst. Das andere überlege in deinem Herzen, bis Gott dir Erleuchtung schenkt. So bin ich über 50 Jahre praktischer Student des Wortes Gottes geworden. Je mehr man lernt und tut, desto größer wird die daraus resultierende Erkenntnis.

5. Mein Bruder Walter stirbt

Kurz nach dieser Zeit fand auch mein Bruder zum Herrn Jesus Christus – ebenfalls durch den General. Er hatte mancherlei Schwierigkeiten, las aber lange Zeit treu in seiner Bibel und kam mit unter Gottes Wort. Als aber der General weiterzog, fand er nicht die richtige Gemeinschaft und wurde im Glauben kalt. Ich war nicht mehr zu Hause. Später, als wir in Norwegen wohnten, kam er uns mit seiner ganzen Familie besuchen und nahm immer am Bibellesen teil. Vorher wohnten wir in Genf, später dann in Wheaton, in den USA, und dann in Ankara, in der Türkei. Außer in Ankara kam er uns immer besuchen. In „The Bible Church“, Wheaton, bat er, ob er am Abendmahl teilnehmen dürfte, und nahm auch daran teil. Dort machte er einen wirklich neuen Anfang. Aber es fehlte ihm zum inneren Wachstum eine örtliche Gemeinde, in der Gegend von Wantage, wo er seine Farm hatte. Er machte bis zu seinem tragischen Tod mit 58 Jahren wenig Fortschritte im Glauben – soweit wir erkennen konnten. Walter war ein treuer Bruder und Mensch. Weil er an Gallenschmerzen litt, ließ er sich an der Universitätsklinik „Radcliff Infirmary“ in Oxford untersuchen. Der Arzt schlug ihm eine Gallenblasenoperation vor. Er wurde dort operiert ohne Zwischenfälle. Aber bald traten starke Schmerzen in der Wade auf – ein sicheres Zeichen einer beginnenden Thrombose. Nach der Operation wurde er von keinem Arzt und nicht einmal mehr von einer ausgebildeten Krankenschwester besucht oder gepflegt. Er lag im Krankenhaus, hatte Schmerzen; ohne jegliche Hilfe und mit all seinen Flaschen, Tropfapparaten und Schläuchen taumelte er allein zur Toilette, kollabierte dort und starb allein.

Sein Tod wurde uns durch die Schweizer Polizei in Einigen um 4.00 Uhr morgens durchgegeben. Gleich darauf flogen wir nach London und begaben uns zur Klinik in Oxford. Ich bat um ein Gespräch mit dem Chirurgen, der mit seinem Rolls-Royce gerade eingetroffen war. Er weigerte sich, mit mir zu sprechen, und sandte seinen jüngsten Assistenzarzt, um mich abzufertigen. Es stellte sich heraus, dass mein Bruder tatsächlich seit der Operation und der Narkose nie – nicht ein einziges Mal – irgendeinen Arzt oder irgendeine Krankenschwester gesehen hatte. Als ich mit meinen Nachforschungen anfing, stieß ich auf die abgrundtiefe Ineffizienz der englischen Staatsmedizin. Niemand fühlte sich verantwortlich – wie beim Staatswesen schlechthin! Ich musste meine Oxforder Nachforschungen bei irgendeinem Ministerium in Oxford (nicht im Krankenhaus) anfangen, das überhaupt keine Ahnung davon hatte, was im Oxforder Krankenhaus passierte! Es war unmöglich, irgendeine verantwortliche Person ausfindig zu machen. Denn in dieser Staatsklinik wurde nicht einmal die primitivste medizinische Disziplin oder Ordnung respektiert. Selbst die Patientenstatistiken waren nicht geführt. Letzten Endes sprach ich mit dem verantwortlichen Chirurgen – dem schon erwähnten sehr berühmten, steinreichen Mann –, der mir mitteilte, dass der Vorfall eine Handlung Gottes, höhere Gewalt also, sei. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass es eine sehr schwer wiegende Angelegenheit sei, Gott für unsere eigene unverantwortliche organisatorische Schlamperei verantwortlich zu machen.

Wir konnten meinen Bruder nicht zurückbringen. Seine Frau und fünf Töchter waren wie wir alle absolut erschüttert. Aber mein Bruder war für immer von uns gegangen, und wir fühlten uns sehr einsam. Er war mein einziger Bruder und Schulkamerad gewesen. Gottes Wege sind oft ganz unerforschlich. Wir können nur anbetend sagen, dass wir „nachher verstehen werden“ (Joh 13,7), was wir hier und jetzt nicht begreifen können.