Kitabı oku: «Es war ein reiches Leben», sayfa 5
Kapitel VI
DER ERNST DES LEBENS BEGINNT
1. Erste Prüfungen im Internat
Weil die finanzielle Lage im Lande so drückend und das Internat so enorm teuer war, entschied ich mich, mein „School Certificate“ (bei uns heißt das mittlere Reife) schneller als vorschriftsmäßig zu absolvieren.
1930 fing ich meine Ausbildung im Internat an und sollte meine mittlere Reife im Sommer 1933 absolvieren. Ende 1931 entschied ich mich jedoch, meine mittlere Reife bereits im Dezember 1932 zu probieren. Und der Direktor der Schule meinte, wenn ich das Examen im Dezember 1932 nicht bestünde, ständen mir nur noch zwei Trimester Zeit zur Verfügung, um mich auf den Sommer 1933 vorzubereiten. Deshalb bestand er darauf, dass ich mich tagsüber auf das Examen Sommer 1933 mit den normalen Klassen vorbereitete, abends aber durfte ich privat und mit anderen älteren Schülern für das im Dezember 1932 stattfindende Examen studieren. Weil jene Schüler im Sommer 1932 durchs Examen gefallen waren, mussten sie es im Dezember wiederholen und arbeiteten dafür. So hatte ich zwei Curricula zur gleichen Zeit durchzuackern.
Dezember 1932 rückte heran. Ich war wirklich schlecht vorbereitet, denn die Lehrer waren über Experimente dieser Art (zwei Curricula auf einmal, einmal mit und einmal ohne Lehrer) kaum begeistert. Letzten Endes, wenn es mir gelänge, würden die Lehrer als überflüssig gelten, da ich mich ohne Lehrer vorbereitete!
Die letzten Monate hatte ich wirklich Tag und Nacht an beiden Curricula (sie waren jedes Jahr verschieden: einmal Milton, einmal Shakespeare, einmal Coleridge, einmal Molière, einmal Goethe und die deutschen Philosophen) geschuftet. Kurz vor dem Examen wurde ich krank und in die Klinik der Schule eingeliefert. Dort hatte ich endlich etwas Ruhe, für Dezember zu arbeiten, wie ich wollte! Ich ließ das Curriculum für 1933 ganz fallen und konzentrierte mich ausschließlich auf das Examen von Dezember 1932. Direkt vom Bett stand ich auf und begab mich (allerdings sehr wacklig) in den Prüfungssaal.
Als Deutsch drankam, wurde ich – wie üblich – schriftlich und mündlich geprüft und war so schwach und heiser, dass ich bei der mündlichen Prüfung nur flüstern konnte.
2. Die große Überraschung und ihre Folgen
Als die Resultate für Dezember bekannt wurden, konnte ich meinen Augen nicht trauen – ich hatte mit Auszeichnung bestanden. Auf der Stelle wurde ich befördert und gehörte von einem Tag zum anderen nicht mehr zur Junior School, sondern kam in die sechste Klasse, wo man sich auf das „Higher Certificate“ (das Abitur) vorbereitete.
Die schnelle Beförderung wurde mir mit der Zeit peinlich, denn andere wurden neidisch: Ein Junior wird so schnell zum Senior befördert! Das gab böses Blut. Mein Bruder wollte nicht studieren und kehrte nach Hause zurück, um sich dort für die Landwirtschaft ausbilden zu lassen. So war ich allein im Internat und vermisste meinen Bruder. Man konnte es den meisten Jungen natürlich nicht erklären, warum ich die Examina so früh absolvierte, denn viele von ihnen stammten aus dem kolonialen Beamtentum. Ihre Eltern hatten gesicherte Gehälter und wussten deshalb nicht von der Not der selbstständigen Berufe.
3. Konkurrenz zwischen Internaten
Die schulische Leistung eines Internats variiert von Internat zu Internat. Es besteht auch Wettbewerb zwischen den verschiedenen Internaten. Eltern wählen die Internate nach ihrer Leistung – schulisch oder sportlich – aus. Einige Schulen sind für ihre Leistung auf sportlichem Gebiet bekannt, andere für ihre Leistung auf schulischen Gebieten, und es gibt sogar Spezialisierung in Sport und schulischen Fächern. Taunton war für die Geisteswissenschaften und für Rugby-Football bekannt. Diese Tatsache hatte für mich unvorhergesehene Folgen. Als ich plötzlich in die Unterprima befördert wurde, entschied ich mich für das Studium der Naturwissenschaften. Und dann kam für mich die große Überraschung: Die Schule verfügte über keine Lehrer, die uns die Naturwissenschaften unterrichten konnten. Geisteswissenschaftler gab es in Hülle und Fülle, aber keine Naturwissenschaftler! Der Biologielehrer war ein alter, politisch aktiver Kommunist, der an seinem Lehramt kaum interessiert und hoffnungslos veraltet auf seinem Gebiet war. Auch in Chemie und Physik fehlten die Lehrkräfte. Diese Fächer konnte man sich selbst nicht unterrichten wegen der vielen praktischen Experimente, die man selbstständig nicht durchführen konnte.
Bei der mittleren Reife hatte ich es gut geschafft, vielleicht würde es mir gelingen, das Abitur auch selbst zu erarbeiten. So lernte ich beinahe zwei Jahre lang die Textbücher einfach auswendig. Aber die mikroskopische Arbeit und die chemischen Synthesen waren ein ganz anderes Kapitel; die kann man ohne persönlichen Unterricht nie meistern.
Als der große Tag des Examens in Bristol kam und ich die ersten Fragen las, wurde mir bewusst, dass ich keine Chance hatte.
Sogar die Sprache der Fragen war mir vollkommen fremd, denn ich hatte alte Examensfragen nie vorher durchgenommen! Das Resultat war vorherzusehen: Ich fiel durch.
Kapitel VII
AUF UND AB IN MEINER AUSBILDUNG
1. Die akademische Karriere beginnt
Die Schule war sehr teuer. Da sahen meine Eltern ein, dass meine mittlere Reife als Eintrittsexamen für Oxford genügen würde, denn ich hatte ein „Honours Certificate mit Auszeichnung“ vorzuweisen. Oxford käme etwas teurer als das Internat, aber in Taunton hätte ich meine Zeit nur verloren. So sprach Vater mit seinem Freund Professor Chattaway, der Chemie-Professor im Queens College Oxford und ein Logenbruder meines Vaters war. Dieser leitete alles für mich in die Wege, damit ich in Oxford studieren konnte. Die zwei Jahre im Internat waren absolut verlorene Zeit gewesen – teure, verlorene Zeit. Ich hätte alles in einem Jahr in Oxford besser erledigen können. Wie freute ich mich, als die richtigen Vorlesungen in Oxford anfingen! Die Qualität war unvergleichlich besser als das, was ich im Internat gehört hatte. Noch dazu wurde es mir ermöglicht, in meinem ersten Jahr jeden Tag von zu Hause nach Oxford mit dem Auto zu fahren, um Auslagen zu vermeiden, bis ich mein „Erstes Öffentliches Examen“ in den Naturwissenschaften abgelegt hatte.
Ich wurde in St. Edmund Hall, einem College der Universität Oxford immatrikuliert und studierte unter Professor Gavin de Beer, Professor E. B. Ford, Professor Robert Robinson, Professor Chattaway und anderen. Professor De Beer gab hervorragende Vorlesungen in Evolution und Zoologie. Er war Franzose, sprach ein vollkommenes Englisch und war ein führender Atheist, Evolutionist und Darwinist. In späteren Jahren siedelte er nach London zur Royal Institution um. Er war aber sehr intolerant und hatte die Neigung, Menschen zu verachten, die nicht genau so dachten wie er. Ford war begeisterter Genetiker und sein Lieblingstier war Drosophila melanogaster – die Fruchtfliege. Sein Leben lang arbeitete er „Landkarten“ von den Chromosomen der Fruchtfliege aus. Professor Chattaway war der liebe Onkel im Hintergrund, der über mich wachte. Professor Robert Robinson, der Organiker, stand auf der Höhe seines Rufes im Labor in South Parks Road und besaß dort ein ausgezeichnetes Team von Chemikern.
Nach einem Jahr hatte ich alles, was ich im Internat versäumt hatte, nachgeholt und bestand mein „Erstes Öffentliches Examen“ der Universität Oxford mit „Gut“. Danach stand mir das Recht zu, Residenz in St. Edmund Hall (College) in Oxford aufzunehmen.
Mein Examinator in Allgemeinwissen auf dem Gebiet der Geschichte des Mittelalters war C. S. Lewis. Er war ein strenger Examinator und bestand darauf, dass Studenten sich klar und genau in ihrer Muttersprache ausdrücken konnten. Viele Studenten fürchteten ihn deswegen. Fing ein Student an, zu stottern und zu stammeln beim Versuch, C. S. Lewis’ Fragen zu beantworten, unterbrach er ihn: „Mein Herr, bitte hinausgehen und Ihre Gedanken ordnen und zurückkommen, wenn Sie mir eine gut gegliederte und klare Antwort geben können!“
Andererseits war C. S. Lewis wegen seiner ausgezeichneten Vorlesungen unter Akademikern und Studenten berühmt und wurde respektiert. Immer wenn C. S. Lewis sonntags predigte, war die Kirche überfüllt, im Gegensatz zu den gewöhnlich leeren Kirchen.
2. Die große Depression noch einmal
Es war im Jahr 1933. Ganz Europa war noch einmal in einer schlimmen Krise, England erging es nicht besser. Hitler wurde in Deutschland gewählt, und die Aufrüstung fing an, obwohl alle Nationen bankrott waren. Neville Chamberlain gelangte an die Macht in England – ein Mann, der von Hitler total manipuliert wurde, der mit einem Stück Papier in der Tasche von München nach London zurückkehrte und in die Welt hinausposaunte, er habe den Frieden in der Tasche. In dieser Zeit begann ich meine Studien in Oxford. Mein Vater sagte nicht viel. Aber Mutter berichtete uns, dass Vater die Finanzen für unsere weitere Ausbildung nicht finden konnte. Meine Rechnungen ruinierten die Farm. Wir sollten neue Maschinen kaufen, um Arbeitskräfte zu ersetzen, die aber zu teuer waren. Ganze Schafherden verkaufte Vater ohne ein Wort, um für die Ausbildung seiner Kinder aufzukommen. Die Bank fing an, keine Kredite mehr fürs Gut gewähren zu wollen – die Defizite waren bereits ganz und gar unwirtschaftlich.
Unsere Arbeiter wurden jeden Freitagabend ausgezahlt. Jeder kam zum Bürofenster meines Vaters, um seinen Lohn nebst Überstundengeld zu erhalten. Es waren gute, treue Leute, die ihre Löhne erhalten mussten, denn sie hatten auch ihre eigenen Verpflichtungen. Die meisten hatten Kinder. Eines Freitagabends, kurz vor 17.00 Uhr, wandte sich Vater zu mir mit einer ergreifenden Bitte: Könnte ich für heute sein Bankier werden? Die Bank gebe ihm kein Geld mehr für die am Abend fälligen Löhne. In einer halben Stunde würden die Arbeiter vor seinem Fenster erscheinen, um ihren Lohn zu erhalten. Sowohl er als auch meine Mutter hatten keinen Schilling mehr, womit sie hätten zahlen können. Nun, mein Bruder und ich hatten jede Woche Taschengeld bekommen (damals etwa 50 Pfennig), und dieses Geld hatten wir seit Jahren immer gespart. Mutter erzog uns zur Sparsamkeit. So holten Walter und ich unsere Ersparnisse aus der Sparbüchse und schenkten sie unserem Vater, der damit die ganzen fälligen Arbeiterlöhne gerade noch bezahlen konnte. Was waren wir alle froh, dass das Problem für eine Woche wenigstens gelöst war.
Aber was dann? Nächste Woche mussten wieder die Löhne ausgezahlt werden. Obwohl die Ernte schon verkauft war, hatten die Käufer kein Geld zur Bezahlung. Bis die Kornhändler bezahlten, konnte Vater keine Löhne mehr bezahlen, kein Kerosin für die Traktoren kaufen und auch keine Kolonialwaren für den Haushalt. Ende der Woche bat mich mein Vater, ihm noch einmal finanziell zu helfen, aber ich hatte kein Geld mehr; Walter, mein Bruder, auch nicht. Täglich zogen an der Farm Hunderte von jungen arbeitslosen Männern vorbei, die um Arbeit und etwas zu essen bettelten. Die Lage war trostlos und schier verzweifelt. Was war nun Vaters Plan? Würde ich, bitte, Folgendes versuchen: Ich sollte mit einem Bankscheck für ihn nach Reading zur Bank fahren, dem Bankmanager die Situation erklären und ihn um Hilfe bitten, bis die Kornhändler die Ernte bezahlten. Auf Vater hörte der Manager nicht mehr. Vielleicht würde er auf ein halbes Kind hören. Das Vorhaben war Vater äußerst peinlich, aber die Verzweiflung trieb ihn.
Das war eine schwere Aufgabe, aber vielleicht würde ein Jüngling Erfolg haben, wo ein Mann abgelehnt wurde. Alle Leute bettelten um Kredite, und die Banken mussten hart sein, um zu überleben. So übernahm ich diese unangenehme und peinliche Aufgabe, denn wir waren stolze Landleute, die gewohnt waren, niemandem etwas schuldig zu sein. Soweit ich mich jetzt nach 60 Jahren entsinnen kann, saß eine Kassiererin hinter dem Bankschalter, als ich zögernd auf sie zukam. Ich zeigte ihr den Scheck, erklärte, dass es bald Freitag (Zahltag) sei, dass wir viel Weizen verkauft hätten, dass aber die Zahlung dafür noch nicht eingetroffen sei. Sie hörte genau zu und verschwand. Nach einer für mich ewigen Wartezeit kam sie wieder. Ach Wunder aller Wunder – diesmal lächelte sie und sagte, die Sache komme schon in Ordnung, denn sie habe gerade telefonisch erfahren, dass der Getreidehändler den Scheck für das Getreide an Vater abgeschickt hatte! So kam ich Halbjüngling mit vollen Taschen triumphierend nach Hause. Was waren meine Eltern und meine Geschwister über diesen Erfolg froh! Ich fing langsam an, einen Ruf als Finanzgenie zu bekommen!
Aber die familiäre finanzielle Situation war auch für mich persönlich untragbar. So konnte mein Vater nicht weitermachen. Ich durfte ihm keine weiteren Spesen mit meiner Ausbildung auferlegen. Ich müsste eine Alternativlösung für meine Ausbildung finden. Oxford war zu teuer. Ich müsste eine billigere Universität finden ... oder aber aufs Studium überhaupt verzichten und Geld verdienen.
3. Gewichtige Entscheidungen
Wir wohnten zwischen Oxford, der Kreisstadt von Oxfordshire, und Reading, der Kreisstadt der Grafschaft Berkshire. Reading hatte eine junge Universität, die die meisten Disziplinen außer Medizin und Theologie anbot. So ging ich dorthin, um mich zu erkundigen. Dabei stellte es sich heraus, dass diese Universität mich mit Freuden aufnehmen würde – ich kam ja von der Universität Oxford und hatte meine Examen dort mit Erfolg abgelegt. Sie boten mir einen Diplom-Kursus in den Naturwissenschaften an, und der Kursus würde etwa ein Drittel so viel Geld kosten wie in Oxford. Ohne meinen Eltern ein Wort davon zu sagen, immatrikulierte ich mich in Reading und fing gleich im September 1934 an. Die Vorlesungen und die Professoren waren sympathisch – meist jüngere Menschen, die Karriere machen wollten. Einige besaßen schon ihre FRS („Fellowship of the Royal Society“, die höchste Ehre der akademischen Welt Englands), und ich kam sehr gut voran, obwohl ich besonders am Anfang die Atmosphäre von Oxford sehr vermisste.
Im Jahre 1936 bestand ich dann meinen B.Sc. (General = „Bachelor of Sciences“) in drei Fächern und 1937 bekam ich mein B.Sc. (Hon. Chem.) mit „Gut“. Dieses Diplom entspricht ungefähr einem Staatsexamen auf dem europäischen Kontinent.
Was aber weiter? Wollte ich in das Lehramt, dann müsste ich ein weiteres Diplom erwerben; was noch ein Jahr kosten würde. Dann erst wäre ich diplomierter Sekundarschullehrer gewesen. Die Aussicht, Lehrer zu werden, begeisterte mich gar nicht, obwohl meine Mutter Lehrerin war – und zwar diplomiert in Reading. Meine Eltern und ich berieten lange über meine Zukunft.
Im Herzen wollte ich Naturwissenschaftler und Forscher werden, besonders wenn ich die Biologie mit der strukturellen organischen Chemie verbinden könnte. Ich sprach mit dem Professor der organischen Chemie Dr. A. K. Mills, der bei Freunden in Heidelberg promoviert hatte. Mills kannte mich gut und war mein Tutor (jeder Student in den englischen Universitäten bekommt einen Professor über sich gesetzt, der in seinem Fach über den Fortschritt seines Protegés zu wachen hat).
Ein Tutor wacht aber nicht nur über den akademischen Fortschritt, er achtet auch auf die Charakterentwicklung seines Schützlings. Wie mein Tutor mir selber kundtat, sei er da, um mich auf allen Gebieten von der Ehe bis zur Mathematik zu beraten. Darin liegt ein großer Unterschied zwischen den britischen und kontinentalen Universitäten. Die kontinentalen Universitäten bilden einen Studenten rein akademisch aus und haben nicht darüber zu befinden, ob ein Mensch charakterlich-moralisch fähig ist, Arzt, Rechtsanwalt oder Apotheker zu werden. Wenn ein Krimineller oder ein Drogenhändler Apotheker werden will, das sei seine private Sache – wenn er einmal seine Approbation hat. Die Universität habe nur darüber zu urteilen, ob der Kandidat sein Fach kennt. Wenn er das Fach kennt, dann besteht er sein Examen. Das englische System geht davon aus, dass ein Akademiker als ganzer Mensch Akademiker sein soll. Nur ein guter Mensch soll zum Beispiel Richter werden und nur ein integrer Mensch darf Arzt werden. Aber kein Psychopath darf zum Beispiel Apotheker werden. Darüber muss der Tutor wachen – über den ganzheitlichen Menschen.
Nun, all das ist in Theorie sehr gut – wenn man wirklich gute Professoren aufweisen kann. Wenn aber Materialisten oder Egoisten die Lehrstühle innehaben – was bei der heutigen Entwicklung der Gesellschaft sehr oft der Fall ist –, dann versagt auch das Tutoren-System oft recht kläglich. Ich hatte das große Glück, in Oxford und auch in Reading ausgezeichnete Tutoren zu haben.
Da fragte ich also meinen Tutor, welchen Berufsweg ich, seiner Meinung nach, für die Zukunft einschlagen sollte. Er meinte, dass ich die Gabe der Pädagogik besitze, dass aber das Schullehramt nichts für mich sei, es würde mich, seiner Meinung nach, intellektuell nicht befriedigen. Er kannte mich sehr gut. Seine Frau war eine Deutsche, die er während seiner Zeit in Heidelberg unter Professor Karl Freudenberg kennengelernt hatte. Ab und zu sprachen wir Deutsch miteinander – ich hatte angefangen, die deutsche Sprache zu studieren –, was übrigens die anderen Professoren nicht schätzten. Hitler war 1933 an die Macht gekommen, sodass das englische Volk den Deutschen gegenüber sehr feindlich eingestellt war.
Als mein Tutor und ich über die Zukunft berieten, sagte er plötzlich, er habe noch eine Stelle für einen Ph. D.-Studenten offen. Würde ich mich dafür interessieren? Zwei Forschungsprobleme, für Doktorarbeiten geeignet, könnte er mir anbieten. Es wären theoretische Fragen großer akademischer Tragweite. Er könnte auch – Wunder aller Wunder – mir noch dazu ein kleines Stipendium von 150 DM pro Jahr (!) – so reich war ich nie gewesen – anbieten. Nun, 150 DM damals waren etwa so viel wert wie 15.000 DM heute! Ohne viel zu überlegen, sagte ich gleich zu – fuhr zu meinen Eltern nach Hause und brachte ihnen die gute Nachricht. Was waren Vater und Mutter froh! Aber das war nicht das Ende! Gleich danach sollte ich an einer Konferenz in Aberdeen (BAAS = „British Association for the Advancement of Science“) teilnehmen. Um die Hotel- und Reisespesen zu decken, bot mir mein Tutor in diesen dürren Zeiten ein Stipendium von 15 DM an! So wurde ich Doktorand in der physikalisch-organischen Chemie. Es war im Jahr 1938, und Hitler hielt ganz Europa in Atem. Neville Chamberlain war zu sehr Gentleman, ja zu naiv, um Hitler zu durchschauen. Er glaubte, was Hitler sagte! Gerade diese letzte Naivität trug dazu bei, dass der Zweite Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen ausbrach.
4. Anfang der synthetischen Arbeit in bewegter Zeit
Mittlerweile begann ich mit dem ersten Forschungsprojekt in der chemischen Synthese, an dem ich sechs Monate ohne Erfolg arbeitete. Ich hatte aber mit kniffeligen Problemen etwas Erfahrung gesammelt, sodass die Zeit nicht ganz verloren war. Mein Tutor schlug deshalb vor, dass ich das zweite Problem in Angriff nehme, denn dieses Problem war bedeutend verheißungsvoller. So fing ich mit der asymmetrischen Synthese verschiedener Alpha-Aminosäuren an, die die Basis für die Bildung gewisser optisch aktiver Ketone bildeten. Diese Arbeit mit Kleinstmengen optisch aktiver Substanzen ging, nachdem ich einmal die exakte Methodik ausgearbeitet hatte, sehr gut und flott von der Hand. In ganz kurzer Zeit synthetisierte ich Reihen von reinen optisch aktiven Ketonen, die als die Basis der Methodik für die Messung des Elektronenschubs in einem konjungierten Molekül dienen sollten. Die Arbeit gedieh schnell und gut bis zum Kriegsausbruch im September 1939. Ich hatte bereits ein Jahr am Problem gearbeitet und mein Chef war von der Arbeit begeistert.
5. Kriegsausbruch 1939
Im Herbst 1939 marschierte Hitler in Polen ein. England und Frankreich erklärten Hitler den Krieg. Die Universität wurde auf Kriegsbasis umgestellt, und viele Professoren rückten zum Militär ein. Wir, die wir blieben, mussten das ganze Gebiet von Reading gegen die befürchteten Angriffe, so gut wir konnten, sichern. Wir hatten Muster der verschiedenen Giftgase für Vergleichszwecke hergestellt – eine oft sehr heikle Angelegenheit –, und mittlerweile arbeitete ich an meiner Dissertation Tag und Nacht. So verging das erste Jahr des Krieges 1939–1940 mit synthetischer Arbeit, Gasschutzarbeit und Feuerwehrdienst.
Als dann während des Sommers 1940 Hitler Frankreich, Holland, Belgien, Dänemark und auch Norwegen einnahm, wurde die internationale Lage sehr, sehr ernst. England hatte die europäischen Häfen für Nachschub verloren. Hitler dagegen musste von jetzt an mit Waffengewalt ganz Europa bis nach Russland hinein unterdrücken, was ihn viel Energie und Soldaten kostete. Im September 1940 versuchte er, England auf dem Luftweg zu erobern, verlor aber so viele Flugzeuge (am 15. September 1940 etwa 180 Flugzeuge), dass er den Versuch aufgeben musste – was verhängnisvolle Folgen für den ganzen Krieg mit sich brachte.
Erst als England endlich die wirklichen Zwecke und Ziele Hitlers erkannte – dass er es fest im Sinn hatte, auch die Britischen Inseln mit zu erobern –, rüstete sich das Land wirklich ernsthaft zum Krieg. Bis 1940 war es der „Phoney War“ (der unwirkliche Krieg) gewesen. Jetzt wurde es todernst. Churchill wurde zum Premierminister gewählt, und Weltherrschaftsziele der Nazis wurden dem Volk dargelegt. Hitler hatte alle diese Ziele in seinem Mein Kampf sehr klar und detailliert – prophetisch – beschrieben, aber die meisten Deutschen und auch die meisten Europäer nahmen Hitlers beschriebenen Plan einfach nicht ernst. Die Deutschen glaubten damals, dass Hitlers Diktatur die Lösung der Weltprobleme bringen würde. Erst als die Tyrannei vor der eigenen Tür stand, erwachten die Engländer. Aber um ein Haar zu spät! Wenn die USA nicht geholfen hätte, wären England und deshalb auch Europa verloren gewesen.
6. Die Evakuierung der Universitäten 1940
Das Resultat all dieser Schreckensereignisse war für uns die Evakuierung der Universitäten. Mir wurde eine Stellung in der Industrie in Nordostengland angeboten. Wegen der katastrophalen Lage willigte ich ein und musste mein gedeihendes, florierendes Laboratorium in der Universität aufgeben. Aber ehe ich die Universität verließ, erwirkte ich vom Senat der Universität, dass ich meine Dissertation in der Industrie zu Ende führen durfte. Ich hatte die meisten Synthesen bereits mit Erfolg durchgeführt und die optischen Messungen mit dem Polarimeter abgeschlossen. Es blieben nur noch viele Mikroanalysen, die ich dann in Stockton-on-Tees, meiner neuen Heimat, zu Ende führen durfte.
Im September 1940 nahm ich den Zug nach Stockton-on-Tees. Durch London konnte man nicht fahren, weil die Stadt täglich von der Luft aus bombardiert wurde. Aber später bin ich oft des Nachts durchgefahren. Die Situation war schlimm. Tausende und Abertausende von Menschen mieteten Plätze auf den Bahnsteigen der Untergrundbahnen und der „Tubes“ (Tiefuntergrundbahnen), wo sie monatelang in aller Öffentlichkeit schliefen. Die Bahnen verkehrten die ganze Nacht weiter, störten aber die Schläfer nicht. Sie waren so daran gewöhnt.
Nach einer Bahnfahrt von über zehn Stunden – man musste das Land durchqueren, weil man London vermeiden musste – landete ich in Stockton-on-Tees, wo ich die nächsten vier Jahre in der chemischen Industrie als professioneller Forscher arbeiten würde.