Kitabı oku: «Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Russland», sayfa 4

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Es muss noch gesagt werden, dass der Subbotnik im Kreml genauso eingehalten wird wie in der Stadt, wie im ganzen Lande. Lenin, Trotzki schleppen und sägen Holz und schaufeln Dreck, wenn es sein muss, und vermutlich mit größerer Lust, als die Mehrzahl von uns Narkominodel-Leuten es getan hat. Denn unter uns waren nicht wenige, die mit widerstrebendem Gefühl und unüberzeugt von der Einheit der Arbeit im Schlamm an den Eisenbahngleisen standen. Der Kommunist aber arbeitet mit Hand und Gehirn, freiwillig und opfermutig und weiß es nicht, wann und wo die Überstunden in seinem Tagewerk beginnen.

Radek erzählte mir von seinem Woskressennik. Er hatte mit anderen Volkskommissaren Holz durch das Borowitzkajator in den Kreml hinaufgeschleppt, und seine alte Köchin, eine simple bäurische Analphabetin, hatte ihn bei dieser Verrichtung gesehen. Die Alte war entgeistert: sie wusste doch, ihr Herr und Genosse stellte irgendetwas in der Regierung vor, jetzt leistete er diese entehrende körperliche Arbeit, wie ein beliebiger Bauernbursche bei ihr zu Hause im Dorf. Radek hielt ihr daraufhin einen populären Vortrag über den Kommunismus und das Problem der Arbeit in der kommunistischen Gesellschaft. Uralter Nebel wurde fortgeräumt aus dem Bauernhirn; der Herr hatte gearbeitet! Wirklich und wahrhaftig gearbeitet. Die Arbeit war also doch nichts Entehrendes, Erniedrigendes...

Gesang der Panflöte, herzzerreißender Gesang des Volkes der Steppen, des weiten, weißen, rassischen Landes in der Winternacht!

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Das Rote Heer

Das Rote Heer

Der Geburtstag der Roten Armee ist der Frieden von Brest-Litowsk.


Unterzeichnung des Waffenstillstands am 15. Dezember 1917. Links sitzend die Verhandlungsführer der Mittelmächte. Ihnen gegenüber an der rechten Tischseite sitzend die sowjetrussische Delegation: Kamenew, Joffe, Bizenko.

Der stupide Götze Imperialismus hieb mit dem Säbel auf den Tisch. Bedächtig und stark streckte sich da eine Faust von der anderen Seite des Tisches aus und zog den Säbel zu sich hinüber. Der Säbel wurde zum Schwert. Eines Tages wird es dem Götzen den Schädel spalten. Dann wird die Faust es in Stücke zerschlagen und wegwerfen. Und der Arbeiter wird aufhören, Soldat zu sein. – –

Russland steht seit 16 Jahren im Krieg. Die Kriege der letzten drei Jahre waren die erbarmungslosesten, die furchtbarsten dieser ganzen furchtbaren Epoche. Und doch kann man sagen: zum ersten Male ist der Krieg in Russland populär. Der Krieg, den die Bolschewiki gegen das Weltkapital führen, ist eine russische Angelegenheit. Die Wurzeln des Krieges stecken diesmal tiefer im Volke als je. Dies liegt an der Beschaffenheit des Heeres, das das Heer eines Proletariervolkes ist, und das liegt auch vor allen Dingen an der neuen Gestaltung der Disziplin, die die Truppen mit ihren Führern und die Mannschaften unter einander verbindet. Diese neue Disziplin ist sinnfälliger und für den primitiven Mann aus der Masse leichter verständlich, als es die tiefe und in den Massen noch nicht zum entschiedenen Durchbruch gelangte Idee des Kampfes ist, des kommunistischen Kampfes gegen den Weltfeind Kapital.

Auf meiner Reise nach Russland hinein, wir hatten hinter Narwa soeben die Grenze überschritten, hielt der Zug in einem Dörfchen mitten im Wald. In unserem Zuge fuhren junge Beamte und Beamtinnen der Revaler Sowjet-Expositur mit, die sangen. Alle die Lieder der Revolution sangen sie; es war ein singender Zug. Er gemahnte mich an einen anderen, in dem ich vor Jahren gefahren war, einen Kolonisten-Zug in Kanada, in dem an einem Sonntagnachmittag Psalmen gesungen wurden. Auch hier fuhren wir in Neues Land, auch hier war Andacht, die den Hörer ergriff. Als der Zug über die Grenze gefahren war und in dem rätselhaften heiligen Lande stillstand, stieg ein junger Mann, höherer Offizier der Roten Armee, wie uns gesagt wurde, hinunter zu den Grenzsoldaten, die sich sogleich um ihn scharten, und hielt eine Ansprache. Er stand da und sprach über die Armee, über den Krieg gegen die Polen, über den gegenwärtigen Stand der Operationen an den Fronten. Er stand da und sprach mit den Soldaten, solange der Zug hielt. Einer stellte Fragen, die der Offizier beantwortete. Von einem wurde er um Feuer gebeten. Zum Schluss schüttelte er allen die Hand, und der Zug setzte sich in Bewegung. Wir fuhren durch den Wald vor Jamburg, den schrecklichen Wald, in dem die Verhaue Judenitschs (Nikolai Nikolajewitsch Judenitsch war zaristischer General) noch starrten, dann über die schwankende Holzbrücke der Luga. Und jetzt war es die Internationale, die brausend durch unsern Wagen hallte.

In Moskau erzählte mir ein Schauspieler von dem gräulichsten Abend seines Lebens. An diesem Abend war der Stab und waren die Mannschaften eines Moskauer Regimentes in das Große Theater befohlen gewesen, wo ein zarentreues patriotisches Stück gegeben wurde. Nach den Aktschlüssen tönte aus den Logen, wo die Offiziere saßen, Applaus. Die Soldaten saßen stocksteif auf ihren Plätzen, die Augen wie hypnotisiert auf die Logen gerichtet und rührten sich nicht. Es wäre ihnen wahrscheinlich übel bekommen, hätten sie's getan. Der Schauspieler sagte mir: uns auf der Bühne schnürten sich die Kehlen zu. Wir spielten wie unter einer kalten Dusche und liefen nach dem letzten Wort betäubt nach Hause. –


In dem Arbeiterheer, dem Bauernheer, hat sich bereits eine neue Disziplin, nicht von oben herab, sondern aus innen sozusagen, aus der Freiheit und Freude der Gemeinschaft heraus, entwickelt. Ja sogar ein neuer Paradeschritt, der aber mit dem zaristischen Drillschritt nichts gemein hat. Ich habe diesen Schritt bei einer Parade auf dem Roten Platz vor dem Kreml staunend beobachtet! Er sieht wie das energische Stapfen eines jungen Riesen aus, der das Gehen eben erst erlernt hat.

Der Russe ist vom 18. bis zum 40. Jahre militärdienstpflichtig. Die aktive Ausbildungszeit und Dienstpflicht beträgt ein halbes Jahr. Die Arbeitspflicht der männlichen Bevölkerung Sowjet-Russlands beginnt mit dem 16. Jahre. Vom 16. bis zum 18. Jahre nimmt der Russe an den Kursen für physische Kultur teil. Neben dem Unterricht läuft parallel die militärische Ausbildung.

Die Rote Armee besteht zu vier Fünfteln aus Bauern. Wie kommt es nun, dass die Bauern die furchtbare Last des Krieges unter einer Regierung, deren Grundidee und Wesenskern ihrem Instinkt in höchstem Grade zuwider ist, nicht nur willig unterstützen, sondern, man kann es sagen, tragen? Liegt das allein an der Rigorosität der Aushebungsmaßnahmen?

Die Bauern haben in diesen drei Jahren gelernt. Das ist es. Die Offensiven Denikins, Petljuras usw. waren ursprünglich mit einer an Zahl ganz geringen, aber äußerst geschulten, hauptsächlich aus ehemaligen Offizieren bestehenden Armee unternommen. Diese Offensiven waren in ihren ersten Stadien überraschend erfolgreich. Die Weißen drangen soweit und widerstandslos vor, dass sie selber darüber beängstigt waren. Dies war ein glänzendes, nicht aus der Strategie, sondern aus der Psychologie geborenes Manöver der Bolschewiki. Sie ließen die Denikins, die Petljuras so weit vordringen, dass sie zur Stützung ihrer dünnen Frontlinie ein in aller Eile zusammengeklaubtes Volksheer aufbieten mussten, um das gewonnene Territorium zu füllen und zu halten. In ihrem Gefolge entwickelte sich sofort der Tross vorrevolutionärer Beamtenschaft, der ganze Apparat des zaristischen Militarismus und Kapitalismus. Die Bauern mussten kurzerhand das Land wieder zurückgeben, das ihnen von den Bolschewiki zu eigen gegeben worden war. Seither wissen die Bauern, dass jeder Versuch einer Restauration sie um ihren Landbesitz bringen muss. Im Herzen dem Kommunismus feind, unterstützen sie darum mit aller Kraft das Rote Heer, das Heer des Kommunismus, festigen damit das Regime der Bolschewiki, das sie auf der anderen Seite durch boshaftes Zurückhalten ihrer Korn- und Lebensmittelvorräte zu schwächen und zu sabotieren suchen. Übrigens verhält es sich mit diesem Widerstand seit einiger Zeit etwas besser; Ursache dieser Besserung sind aber wiederum die Siege der Roten Armee – nicht etwa, dass die Bauern jetzt für ihre Lebensmittel mehr Industrieprodukte bekommen als früher – es ist vielmehr eine durch die Erfahrung bestätigte Tatsache, dass die Bauern jede Regierung unterstützen, die ohne ihr Hinzutun und vielleicht sogar gegen ihren Willen erstarkt und sich befestigt. (Es mag hier allerdings neben Gründen der Vernunft auch die Angst vor den Maßnahmen der Requisition mitsprechen.) Die neuen und immer neuen Denikins und Petljuras sollen daher mit der Einberufung zum Dienst in ihre Heere unter den Bauern wenig Erfolg mehr zu verzeichnen haben.

Wie bereits erwähnt, stehen ungefähr 250- bis 300.000 Mitglieder der Kommunistischen Partei Russlands an den Roten Fronten. Diese haben nicht nur die Kontrolle über die nicht verlässlichen, aus der alten Armee stammenden Offiziere, militärische „Spez“, auszuüben, nicht nur die Propaganda in Wort und Schrift unter den breiten Massen der Soldaten, die noch nicht erfasst haben, um was es geht, wofür und gegen wen sie kämpfen, zu organisieren und durchzuführen – ihr Platz ist in den vordersten Schützengräben; sie haben vor allem die Aufgabe, das große Beispiel zu geben, sich zu opfern. Dies ist ihre Propaganda durch die Tat, Erziehungsarbeit höchster Gattung.

Die Kommunisten werden durch die Partei mobilisiert. Sie werden nach Bedarf zur Armee kommandiert, nicht als Offiziere, sondern als Mannschaften. Die Mitglieder der Gewerkschaften werden durch die Gewerkschaft mobilisiert. Die Gewerkschaften, die viele Millionen Mitglieder zählen, unter denen die Kommunisten nur einen geringen Prozentsatz ausmachen, stellen, was die Verwendbarkeit ihrer Mitglieder für die Zwecke der Armee anbelangt, die nächste Stufe nach den Kommunisten vor.

Ich erkundigte mich nach der Art der Strafen, die an der Front üblich sind. Das zaristische Heer kannte Strafen grausamster Art für Vergehen an der Front und in der Armee im Allgemeinen. Die Strafen, die in der Roten Armee üblich sind, sind durchweg moralische Strafen. Demütigung vor der Front die strengste. Auf Plünderung steht der Tod. – Der Kommunist an der Front erleidet für geringere Vergehen gegen die Disziplin härtere Strafen, als sie über den Nichtkommunisten im gleichen Falle verhängt würden. Da sein Beruf es ist, das Beispiel zu geben, wuchtet die Strafe mit äußerster Strenge über ihn nieder. Der Tag, an dem Trotzki zum ersten Male Mitglieder der Kommunistischen Partei an der Front füsilieren ließ, war der Tag, an dem dem Roten Heer seine Unbesiegbarkeit wurde. Es war ein furchtbares Experiment, über das die Partei hätte in die Brüche gehen können. Trotzki wusste das. Das Experiment gelang.

Wiederholt war ich mit Kursanten beisammen, nahm an den Vorträgen teil, die vor ihnen gehalten wurden. Kursanten sind junge, militärisch schon vorgebildete, organisierte Arbeiter, die einen halbjährigen Lehrkurs durchmachen, um darauf zu Offizieren befördert zu werden. Auch junge intelligente Bauern. Am besten eignen sich zu dieser Ausbildung die Metallarbeiter; immerhin ist die Anforderung an den Kursanten, der in kurzem Zeitraum die Elemente der Mathematik, Ballistik, Strategie zu bewältigen hat, ungeheuer. Die erstaunlichen Resultate sind nicht anders zu erklären als durch die Kraft der Begabung, die in diesen Menschen aus dem Volke geschlummert und durch die Schwungkraft, die die soziale Revolution diesen aus jahrhundertelanger Dumpfheit und unerhörter Bedrückung erwachten Seelen verliehen hat.

150 Schulen zu 600 Hörern soll es für die Ausbildung von Roten Offizieren geben – indes schwankt diese Ziffer ebenso wie die Monatezahl, die mir für die Ausbildung der Kursanten angegeben wurde; einmal waren es sechs, einmal acht Monate.

In Kursen für den Generalstab währt die Ausbildung drei Jahre. Über jeder Armeedivision stehen Kommissare, wie zur Zeit der französischen Revolution Konvents-Offiziere die Armee befehligten.

Eines der merkwürdigsten Erlebnisse meiner an Erlebnissen reichen Moskauer Zeit war jene Parade auf dem Roten Platz vor der Kremlmauer. An einem farbigen Herbstmorgen zogen Truppenteile aller Art vor der Tribüne der Volkskommissare vorbei, von der herab Trotzki an die 500 neuausgebildeten Kursanten-Offiziere eine 1½stündige Ansprache hielt. Infanterie, Maschinengewehrabteilungen, Kosaken in braunblauen Mänteln zogen vorüber, alle mit dem roten Stern der Sowjets auf Kappen und Helmen. Auch Panzerautomobile und Tanks in kriegerischer Bemalung. Jede Abteilung schrie beim Vorbeimarsch an der Trotzki-Tribüne begeistert Hurra. Trotzki und die Kommissare hoben die Hand zu ihren Mützen und Hüten und salutierten...

Die Armee ist gut genährt und gekleidet – im Verhältnis zu den Möglichkeiten der allgemeinen Notlage selbstverständlich. Der Soldat im Lande erhält um ein Geringes mehr als der Schwerarbeiter der Klasse A, der höchstbewerteten Stufe in Bezug auf die Lebensmittelversorgung. An der Front aber erhält er das Doppelte.

Ich sah während der drei Monate meines Aufenthaltes wiederholt eben eingekleidete Truppen in neuen guten Tuchmänteln, Anfang September solche in funkelnagelneuen Regenmänteln. Das Schuhwerk ist zum Teil ganz ungenügend. Es ist ein Glück zu nennen, dass Wrangel noch vor Anbruch der härtesten Winterszeit geschlagen wurde. Ansätze zu neuen Uniformen kann man bei der Roten Armee auch schon konstatieren. So den neuen Spitzhelm. Nimmt man solch einen Helm in die Hand, so sieht man allerdings, dass es kein Pickelhelm mit Stoffüberzug ist, sondern ein Stoffüberzug ohne Helm, eine Tuchnachahmung des historischen Kalmücken-Helms. Die Kavallerie zeichnet sich zum Teil durch Operettenhaftigkeit der Staffierung aus. (Wieweit diese auf das Konto der zaristischen Bestände zu setzen ist, weiß ich nicht.) Während die Fußtruppen und die Artillerie in Khaki mit Purpurstreifen (die Offiziere tragen ihre Distinktion auf den Ärmel genäht) gekleidet sind, spielt die Reiterei alle Farben, hat zum Teil gar Federtschakos auf den Köpfen. Man spricht von einer ganz exzentrischen neuen Uniform, weiß, blau, Silber und Gold, und ich weiß nicht was noch für das nächste Frühjahr.

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Michail Tuchatschewski – Михаи́л Никола́евич Тухаче́вский – 1893 – 1937

Es gibt eine Anzahl aus dem Volke hervorgegangener und emporgeworfener militärischer Genies, deren Namen in jedermanns Munde sind. Solche Namen sind: Budjonny, Gay, Sokolnikoff und außerdem das größte strategische Genie, das die Russen je besessen haben – so sagte man mir – Tuchatschewsky.

Dieser ist ein ehemaliger Offizier der Zarenarmee, noch sehr jung, Kriegsgefangener in Magdeburg, der sich nach seiner gelungenen Flucht den Bolschewiki zur Verfügung gestellt hat und bei ihnen in hohem Ansehen steht. Im letzten Polenfeldzug soll er einen schweren Fehler begangen haben, der mit Schuld an dem verhängnisvollen Rückzug der Russen getragen hat. Die Bolschewiki indes sagen: „Gut, Tuchatschewsky hat gelernt. Das nächste Mal wird er es besser machen.“

Der populäre Held der Roten Armee und des russischen Volkes aber ist der Reitergeneral Budjonny.


Semjon Michailowitsch Budjonny - Семён Михайлович Будённый – 1883 – 1973

hier als späterer Marschall der Sowjet-Armee

Budjonny ist ein Donkosak. Sein Vater war Pächter in einem kleinen Dorf am unteren Lauf des Don. Budjonny hatte den großen Krieg ohne Begeisterung mitgemacht und dachte daran, nach dem Kriege heimzukehren, das Pachtgut seines Vaters zu übernehmen und zu bewirtschaften, er gedachte zu heiraten und ein friedlich beschauliches Leben zu führen. Daran, dass er Soldat bleiben würde, dachte er nicht im Entferntesten. Bei seiner Rückkehr ins Dörfchen fand er den Vater wie auch all' die anderen Pächter eingesperrt. Als er fragte: wer das getan habe? antwortete man: der General Mamontoff. Budjonny sammelte ein paar Dutzend seiner Reiterbrüder und schlug sich dort hinüber durch, wo Mamontoff mittlerweile ein Heer gegen die Bolschewiki aufzustellen suchte. Das sind die Ursprünge der bisher unbesiegten Reiterarmee Budjonnys.

Budjonny ist einfacher Bauer geblieben. Sein Generalstabschef ist ein alter bewährter kommunistischer Agitator. In seinem Eisenbahnwagen haust Budjonny mit seiner Frau und seinem Generalstabschef. Nachts bei einem Glas Schnaps entwerfen sie ihre strategischen Pläne. Zuweilen kommen Kommissare aus Moskau zu Besuch. Zuweilen kommt auch Schaljapin und singt Budjonny und seiner Frau Arien aus Opern und alte Volkslieder. Zuweilen kommen auch Ballettänzer und tanzen Budjonny in seinem Wagen etwas vor. Budjonny ist dann besorgt, dass sie ihm mit ihren Fußspitzen seine Truhe kaputt machen könnten.

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Ich erwähnte am Anfang dieses Kapitels die neue Disziplin, die sozusagen durch Anschauungsunterricht einer neuen Kameradschaft den Massen beigebrachte Pflicht, dem Einzigen, Großen, Gemeinsamen zu gehorchen. Kein Vorgesetzter mehr und kein Untergebener – ältere und jüngere, an Kenntnissen reichere und ärmere Kameraden nur. Und der Ältere, an Kenntnissen Reichere macht dem Jüngeren und Unerfahrenen begreiflich, was nun zu geschehen hat, zu welchem Zwecke er, wenn's sein muss, sein Leben einzusetzen hat. Ein lebender Mensch mit Verstand und Gefühl „gehorcht“, kein abgerichteter Kadaver, keine Maschine. Es sind aber noch andere Handhaben zur Förderung des Einvernehmens, die uns Europäern, ja – mir ehemaligem Pazifisten eine nimmer versiegende Quelle des Erstaunens, der Bewunderung erschließen.

Man erzählte mir von den Methoden, die die Bolschewiki anwenden, um an Stellen, wo ein Truppenkörper in Ruhe und Erwartung neuer Befehle zu erlahmen droht, den Geist und die Disziplin aufzufrischen und anzufeuern. Es kommen zu solchen Abschnitten der Front Agitatoren, Gelehrte, Fachleute, Lehrer, Dichter und Rezitatoren, Schauspieler, Kinokurbler und Tänzer. Der Klub, die Lesehalle, das Theater in der Scheune wird neu belebt durch Vorträge über wissenschaftliche Gegenstände, durch alle Mittel der Belehrung und Unterhaltung – plötzlich zieht wieder Lebensfreude, Zusammengehörigkeitsgefühl, Disziplin unter die Ermatteten und Missmutigen ein.

Jede Armee besitzt ihre politische Abteilung, ihre Presse, ihren Klub, ihre Schule, ihr Theater. Was die Bolschewiki zur Behebung des Analphabetentums unter der Masse der Bauern und Arbeiter an den Fronten leisten, ist staunenswert. Was die rednerisch begabten, seelisch hochstehenden, des Überzeugens fähigen Genossen an den Fronten erreicht haben, ist von größter Bedeutung für die Geschichte der nächsten Jahrhunderte.

Je länger der stupide Götze Hekatomben armer irregeführter Sklaven gegen das Rote Heer vorwärtsstoßen wird, umso länger wird die Rote Front bestehen, umso intensiver wird die Aufklärungsarbeit und die Erziehung zum Kommunismus der organisierten und zusammengehaltenen Massen des russischen Volkes durchgeführt werden können.

Man faselte bei uns 1914 bis 1918 von dem sozialen Ausgleich, von der Annäherung der Klassen, die der gemeinsame Schützengrabendienst unter den heterogensten Individuen aus allen Schichten der Bevölkerung bewirkt haben sollte. Die Verschärfung, die der Klassenkampf bei uns seit 1918 erfahren hat, beweist das Gegenteil, will' ich meinen. Die Befreiung durch die soziale Revolution des russischen Oktobers hat einen ganz anderen Zusammenhang unter den Millionen des Volksheeres geschaffen! Wissensdrang ist erwacht unter den Stumpfsten. Menschen aus Gegenden, in die nie eine Zeitung gekommen war, lernen an der Front die Zeitung nicht nur lesen, sondern auch verstehen. Menschen, denen niemals die schöne Heiterkeit durch den Genuss eines erhabenen Kunstwerkes ins Leben gelacht hat, wohnen jetzt in Scheunen Aufführungen bei, die von den besten Künstlern der Moskauer und Petersburger Theater veranstaltet sind. Sie erfahren, was Tolstoj, was Gogol, was Tschechow war. Sehen bei 20 Grad Kälte und spärlichem Rampenlicht ein elfisches Wesen mit unbegreiflich zarten Bewegungen auf der Scheunenbühne einen Augenblick lang schmetterlingshaft an ihren traumoffenen Augen vorüberflattern. Morgen werden auf derselben Bühne Kameraden in Uniform wie sie, Studenten oder durch die Proletkult ausgebildete Arbeiter ihnen Vorträge über Dinge, die sie angehen, Fragen der Strategie, des Ackerbaus, der Völkerkunde, des Kommunismus halten. Übermorgen werden Schauspieler ihnen die neuesten politischen Nachrichten aus aller Welt mit verteilten Rollen vorspielen – sie werden sich den Bauch halten, wenn Mr. Churchill, Herr Ebert oder der Völkerbund die Bühne betritt und seine Absichten gegen Sowjet-Russland in wütenden Worten ins Parkett hinunter brüllt.

Die stärkste und wesentlichste Arbeit, die das Kommissariat für Volksaufklärung gegenwärtig zu leisten imstande ist, wird an den Fronten getan. Berichte besagen, dass in Truppenteilen der Analphabet immer mehr zum verachteten Geschöpf geworden ist. Dass der Ruf nach Entsendung gebildeter und redegewandter Genossen, Lehrer und Künstler immer nachdrücklicher ertönt.

Dieses Erlebnis des Roten Soldaten an der Front sollte dem Weltimperialismus zu denken geben.

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Die Not des bedrängten Landes wirft den Roten Soldaten, sobald sein schweres Werk an der Front getan ist, in Bezirke, wo man seiner Kraft bitter bedarf. Es ist vorgekommen, dass in einem sehr entfernten Gouvernement Arbeitstruppen die Eisenbahnschienen aufreißen und sie an einen neuen Frontabschnitt befördern mussten, weil die Eisenwerke nicht imstande waren, Schienen zu produzieren. Notstandsarbeiten, die dringend auszuführen waren, wurden während einer Pause an einer Abteilung der Front erledigt. Alles frisst der Krieg, Leben, Wohlstand und Wohlergehen. Eines aber frisst er in Russland nicht, und das ist die Seele des Volkes. Der Arbeitszwang, der für die Soldaten der kämpfenden Armee im Ruhestand eingeführt ist, sieht sich, vom Westen gesehen, härter und grausamer an, als man ihn in Russland selbst erkennen lernt. Die zur Arbeitsumstellung geeignet befundenen Truppenteile haben an der Front die Idee und mit ihr die Erkenntnis von der Notwendigkeit der Arbeit eingeimpft erhalten. Zudem haben die Organisatoren der Armee ein kluges System der Verwendung der Arbeitersoldatenmassen aufgebaut. Zu spezialisierten Zweigen der Fabrikarbeit kann man geschlossene militärische Formationen natürlich nicht gebrauchen, da diese sich ja aus Arbeitern der verschiedensten Metiers zusammensetzen. Aber zum Bahnbau, zu der für die Elektrifizierung Russlands gegenwärtig überaus wichtigen Torfarbeit, zu ähnlichen Tätigkeiten lassen sich solche Truppenkörper gut verwerten. Auch sind bereits, wie Trotzki in einem Bericht ausführte, qualifizierte Arbeiter zu Reparaturkolonnen geeint, in Gruppen und Kommandos an verschiedene Werke abgefertigt worden. Eine bedeutende Rolle spielt bei diesen Arbeitsformationen die Artillerie. Landwirtschaftliche Werkzeuge, Wagen, Schlitten und Geräte aller Art werden durch sie repariert. Der organisierte Arbeiter-Soldat entwickelt dabei auf dem Lande eine intensive Aufklärungstätigkeit.

Russland ist für den Krieg wohl gewappnet. Es wartet auf den Frieden. Alles, was ein großes Land zum Leben und zum Gedeihen benötigt, ruht in dem Boden, ruht in den Seelen. Besiegt erst der Frieden die Müdigkeit, die heute wie eine schwere Wolke über Russland lastet, besiegt er die Not, erhellt den Horizont, dann ist dieses Land in zehn Jahren das mächtigste der Erde.

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