Kitabı oku: «Die Spaltung Amerikas», sayfa 3

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2 Albert Chinụalụmọgụ „Chinua“ Achebe (1930-2013): nigerianischer Schriftsteller, gilt als einer der Väter der modernen afrikanischen Literatur.

3 Michel-Guillaume Jean de Crèvecoeur (1735-1813): franko-amerikanischer Schriftsteller.

4 Die folgenden Zitate stammen aus Letter III in Crèvecoeurs Letters from an American Farmer (1782). Hervorhebung im letzten Satz hinzugefügt.

5 Crèvecoeur im Original: „Here individuals of all nations are melted into a new race of men.”

6 George Bancroft (1800-1891): US-amerikanischer Historiker und Politiker. Als eines seiner bekanntesten Werke gilt die zwölfbändige History of the United States, from the Discovery of the American Continent.

7 Sir John Alexander Macdonald (1815-1891) war zweimal im Amt, zunächst vom 1. Juli 1867 bis zum 5. Dezember 1873 und danach vom 17. Oktober 1878 bis zu seinem Tod.

8 Alexis Charles-Henri-Maurice Clérel de Tocqueville (1805-1859): französischer Publizist, Politiker und Historiker. Er gilt als Begründer der vergleichenden Politikwissenschaft.

9 Woodrow Wilson (1856-1924): Politiker der Demokratischen Partei. US-Präsident 1913-1921.

10 Im Original „apartness“, „Getrenntheit“, ein Neologismus, der möglicherweise auf die südafrikanische ‚Apartheid‘ anspielen soll.

11 Mario Matthew Cuomo (1932-2015): US-amerikanischer Politiker der Demokratischen Partei. Er war von 1983 bis 1994 Gouverneur des Bundesstaates New York.

12 Mario Cuomo: Erklärung zur multikulturellen Erziehung, 15. Juli 1991.

13 Francis Scott Key Fitzgerald (1896-1940): US-amerikanischer Schriftsteller.

14 Mahatma Gandhi (1869-1948): indischer Rechtsanwalt, Publizist, Morallehrer und Pazifist, der zum geistigen und politischen Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung wurde.

15 Martin Luther King Jr. (1929-1968): US-amerikanischer Baptistenpastor und Bürgerrechtler.

1 „Eine neue Rasse“?

Zu Beginn wurde Amerika als eine ausgerissene Wurzel betrachtet, als die Befreiung von der erdrückenden Vergangenheit, zugleich als Eintritt in ein neues Leben, bei dem sich die Herkunft von ganz verschiedenen ethnischen Gestaden gemeinsam in ein neues nationales Gewand einwebt. „Wir haben es in unserer Macht“, meinte Thomas Paine1 zu seiner revolutionären Generation, „die Welt noch einmal ganz von vorne zu beginnen.“ Das heimliche Motto lautete: „Schau niemals zurück!“2 „Die Vergangenheit ist tot“, schrieb Herman Melville3, „die Vergangenheit ist ein Textbuch für Tyrannen; die Zukunft allein ist die Bibel der Freien.“4

I

Die Zukunft – das war Amerika. Nicht so sehr als Nation, wie Melville meinte, sondern als eine Welt an sich.

„Man kann keinen Tropfen amerikanischen Blutes vergießen, ohne dabei nicht zugleich das Blut der ganzen Welt zu vergießen. Hier, in dieser westlichen Hemisphäre, bilden alle Herkünfte und alle Menschen den Bund eines einzigen Ganzen.“

Auch für Ralph Waldo Emerson5 war Amerika, so wie für Crèvecoeur und Melville, das Destillat eines vielfältigen Planeten Erde. So, wie einst durch das Niederbrennen des Tempels in Korinth Silber und Gold einschmolzen und sich miteinander vermischten, um schließlich korinthisches Messing daraus entstehen zu lassen, so wird, schrieb Emerson in sein Tagebuch, Amerika,

„dieses Asyl aller Nationen, die Energie der Iren, Deutschen, Schweden, Polen und Kosaken und aller europäischen Stämme – ebenso der Afrikaner und der Polynesier – einen neuen Typ Mensch[6] entstehen lassen ... so kraftstrotzend, wie das neue Europa aus dem Schmelztiegel des Mittelalters hervorgegangen ist.“

Melville war ein Romanautor, Emerson ein Essayist; beide waren Dichter. George Washington7 jedoch war ein Mann, der ganz der Praxis zugewandt war. Auch er glaubte nicht weniger leidenschaftlich an die Doktrin der „neuen Rasse“. „Der Schoß Amerikas“, sagte er, „ist bereitet für die Unterdrückten und Verfolgten aller Länder und Religionen.“ Doch gebe es auch Einwanderer, die es sich in Clan-Strukturen im Schoß des Landes gemütlich machten und ihre „Sprache, ihr Verhalten und ihre Prinzipien (gute und schlechte), die sie mit sich brachten“, beibehielten – lasst sie als Individuen sich ansiedeln, vorbereitet für die „Vermischung mit unserem Volk“. Dadurch würden sie „an unsere Gewohnheiten assimiliert, an unsere Maßstäbe und Gesetze, in einem Wort: schon bald ein Volk mit uns werden“.

John Quincy Adams8, ein weiterer ganz der Praxis zugewandter Mann, bestand ebenfalls auf der Exklusivität der neuen amerikanischen Identität. Als einmal ein deutscher Baron, der über seine eigene Einwanderung nachdachte, den damaligen Außenminister Adams hierzu befragte, warnte dieser seinen Besucher, dass sich Einwanderer für eine Sache zu entscheiden hätten:

„Sie müssen ihre europäische Haut abstreifen, um nie wieder in sie hinein zu schlüpfen. Sie müssen sich nach vorne orientieren, auf ihre Nachkommenschaft, und nicht so sehr zurückschauen auf die Welt ihrer Vorfahren“.

Doch wie konnte Crèvecoeurs „Herkunftsdurcheinander“ transformiert werden in eine „neue Rasse“?

Wie konnten die desperaten Elemente aus Emersons „Schmelztiegel“ sich zu Washingtons „einer Nation“ formen? Diese Frage beschäftigte einen anderen jungen Franzosen, der Amerika ein Dreivierteljahrhundert nach Crèvecoeur betrat.

„Stell dir, sofern du, mein lieber Freund, das kannst“, schrieb Alexis de Tocqueville zurück nach Frankreich, „eine Gesellschaft vor, die aus allen Nationen der Welt geformt ist, … Menschen mit verschiedenen Sprachen, Glaubensvorstellungen, Meinungen. In einem Wort: eine Gesellschaft ohne Wurzeln, ohne Erinnerungen, ohne Vorurteile, ohne Routinen, ohne gemeinsame Ideen, ohne einen nationalen Charakter, doch hundert Mal glücklicher als unsere eigene.“

Welche Alchemie vermöchte dieses bunte Allerlei in eine einheitliche Gesellschaft zu verwandeln?

Die Antwort, so schloss Tocqueville, liegt in der Hingabe der Amerikaner an die Demokratie und an die Selbstregierung. Bürgerbeteiligung, so argumentiert Tocqueville in seiner Schrift Die Demokratie in Amerika, ist die große Erzieherin und große Einheitsstifterin:

„Wie kann es sein, dass in den USA, in dem Land, in das die Einwohner erst kürzlich immigriert sind, das sie jetzt besetzen und in das sie weder ihre Sitten noch ihre Traditionen mitbrachten; wo alle sich zum allerersten Male treffen, ohne sich vorher gekannt zu haben; wo – in aller Kürze – eine instinktive Liebe zum Land nur sehr mäßig existiert; wie, kurz gesagt, ist es möglich, dass ein jeder sich hier in die Angelegenheiten seiner Stadt, in die Angelegenheiten seines Landes und in die des Staates so eifrig einmischt, als wären es sein eigenen? Es geschieht deswegen, weil ein jeder in seinem Umfeld aktiv Anteil an den Regelungen des gesellschaftlichen Lebens nimmt.“

Einwanderer, so Tocqueville, werden zu Amerikanern durch die Ausübung politischer Rechte und bürgerlicher Pflichten, die ihnen mit der Unabhängigkeitserklärung und durch die Verfassung übertragen wurden.

Und sie wurden Amerikaner in einem eher technischen Sinne, weil die Staatsbürgerschaft, zumindest für das weiße Amerika, nicht im europäischen Stil durch das ius sanguinis – das Gesetz des Blutes – definiert wurde, sondern durch eine Übernahme des ius soli – das Gesetz des Bodens, zum Beispiel des Wohnorts9. Um Bürger zu werden, mussten Neuankömmlinge lediglich schwören, die Verfassung und die Gesetze des Landes zu unterstützen und zu verteidigen. Menschen, die auf diese Weise ihre Loyalität erklärten, auch wenn sie nicht von den „eisernen Männern“ abstammen, die die Unabhängigkeit errungen hatten, waren, mit den Worten Abraham Lincolns10, gleichwohl Amerikaner, „als wären sie Blut vom Blut und Fleisch vom Fleisch der Männer, die diese Verfassung geschrieben hatten“. In der neuen Republik ersetzte das bürgerliche Engagement die Blutlinien als Test für die Staatsbürgerschaft.

Ein halbes Jahrhundert nach Tocqueville schrieb James Bryce11, der nächste große ausländische Kommentator der amerikanischen Demokratie, sein Buch The American Commonwealth. Die Einwanderung hatte sich schon beträchtlich fortentwickelt und entfaltet. Bryces europäische Freunde erwarteten, dass es sehr lange für Amerika dauern würde, diese „heterogenen Elemente“ zu assimilieren. Bryce fiel jedoch stattdessen auf, was auch schon Tocqueville bemerkt hatte:

„Die erstaunliche Lösungsmittelkraft, mit der sich die amerikanischen Institutionen, Umgangsformen und Ideen bei den Neuankömmlingen aller Nationalitäten durchsetzen, … und wie dabei sich sehr schnell die ausländische Substanz, die in Massen hierher einströmt, auflöst und assimiliert.“

Ein ganzes Jahrhundert nach Tocqueville fand ein anderer ausländischer Besucher, Gunnar Myrdal12 aus Schweden, die Essenz jener „Lösungsmittelkraft“ in dem, was er „das amerikanische Credo“ nannte. Amerikaner „aller nationalen Herkünfte, Regionen, Bekenntnisse und Hautfarben“, schrieb Myrdal 1944, haben „das am explizitesten ausformulierte System allgemeiner Ideale“ aller Länder des Westens gemein: nämlich der Ideale der grundsätzlichen Würde und Gleichheit aller Menschen, der unveräußerlichen Rechte auf Freiheit, Gerechtigkeit und Chancen.

Schon die Schulen lehren die Prinzipien dieses Credos, meinte Myrdal. Die Kirchen predigen sie, die Gerichte verkünden Urteile, die ihnen folgen. Myrdal zeigte auf, warum das Credo selbst für jene eine Hoffnung barg, die am brutalsten von der weißen Mehrheit ausgeschlossen wurden, das Credo als der Ansporn, der die weißen Amerikaner unaufhörlich dazu anstachelt, ihren proklamierten Prinzipien gerecht zu werden, das Glaubensbekenntnis als das rechtliche Gerüst, das den Erniedrigten die Mittel in die Hand gibt, für ihre Rechte zu kämpfen. „Amerika“, so sagte Myrdal, „kämpft fortwährend um seine Seele.“

II

Das amerikanische Credo hatte seine Vorläufer, und diese Vorläufer liegen zuallererst im britischen Erbe, das soeben anderthalb Jahrhunderte kolonialer Erfahrungen gemacht hatte. Wie neu war damals die „neue Rasse“ (im Sinne Crèvecoeurs, A. d. Ü.) wirklich? Crèvecoeurs Vision wollte ein gleichmäßiges Gemisch aus europäischen Herkunftsländern. Emersons Schmelztiegel fügte großzügigerweise noch Kosaken, Afrikaner und Polynesier hinzu. In Wahrheit kam die Mehrheit der Bevölkerung in den 13 Kolonien mitsamt dem Gewicht ihrer Kultur aus Großbritannien.

Nachdem die Briten den größten Teil Nordamerikas von ihren französischen, spanischen und holländischen Rivalen befreit hatten, waren sie in der Lage, das Land nun nach ihren Vorstellungen zu formen. Die Sprache ihrer neuen Heimat, ihre Gesetze, Institutionen und politischen Ideen, ihre Literatur, ihre Regeln, Gebräuche und Gebete stammten hauptsächlich aus Großbritannien. Crèvecoeur selbst schrieb sein Buch nicht in seiner französischen Muttersprache, sondern in seinem erworbenen Englisch. Der „Fluch von Babel“, so sagte Melville, wurde in Amerika rückgängig gemacht. „Und die Sprache, die sie sprechen werden, wird die Sprache Britanniens sein.“

Daher hatte der Schmelztiegel unmissverständlich und unausweichlich einen anglozentrischen Geschmack. Ob zum Guten oder zum Schlechten, die weiße angelsächsisch-protestantische Tradition besaß für zwei Jahrhunderte den bestimmenden Einfluss auf die amerikanische Kultur und Gesellschaft, und in essentieller Hinsicht besitzt sie ihn immer noch. Diese Tradition bildete den Standard, an welchem sich auszurichten von anderen Einwanderernationalitäten erwartet wurde, die Grundstruktur, in die hinein sie sich assimilieren würden.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts beschleunigte sich allerdings die nicht-angelsächsische Immigration. Europäische Bauern, die es vielleicht niemals gewagt hätten, sich weiter als 20 Meilen von ihrem Geburtsort zu entfernen, stürzten sich nun in das bislang unvorstellbare Abenteuer einer Reise über die gefährliche See, um in einem fremden Land ein neues Leben zu beginnen. Das Land war tatsächlich sehr fremd; es erzeugte in ihnen ein Gefühl und ein Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und Sicherheit. Daher tendierten sie zunächst dazu, sich an ihre Landsleute zu klammern und an die Sprache, die Schulen und Kirchen, die sie mitgebracht hatten. Diese ethnischen Enklaven dienten als Sammelpunkte, um sich neu zu orientieren und Grundlagen einzuüben, ehe man sich in das weitere und riskantere amerikanische Leben hineinbegab.

Diese Einwanderer kamen hauptsächlich aus West- und Nordeuropa. Die Angelsachsen mochten diese Neuankömmlinge zumeist nicht, sie verachteten deren grobes Auftreten, fürchteten ihre fremden Religionen und ihre seltsamen Bräuche. Deutsche und Skandinavier wurden als engstirnig in ihrer Treue zu ihrer Sprache und zu den Gebräuchen ihrer alten Heimat betrachtet. Die deutsche Vorliebe für Biergärten und fröhliche Sonntage verursachte puritanische Ablehnung. Die Iren galten als träge und betrunken; außerdem waren sie Papisten, und ihre Treue zu Rom bedeutete, dass sie niemals loyale Amerikaner werden konnten. Sie wurden im Arbeitsleben stark diskriminiert und von der vornehmen Gesellschaft verachtet.

Der schwarze Gelehrte W. E. B. Du Bois13 konnte, als er in Great Barrington, Massachusetts, in den 1870er-Jahren aufwuchs, bezeugen, dass „der ethnische Blickwinkel viel deutlicher gegen die Iren gerichtet war als gegen mich.“

Im gleichen Maße, wie der Zustrom an Einwanderern anschwoll, nahmen auch die Vorbehalte unter den Alteingesessenen zu. In den 1850er-Jahren machten Einwanderer schon die Hälfte der Bevölkerung New Yorks aus, und sie übertrafen die Zahl der eingeborenen Amerikaner auch in Chicago. Alteingesessenen-Organisationen wie der Supreme Order of the Star-Spangled Banner und seine politische Front-Organisation, die American Party, bildeten sich und forderten einen verlängerten Einbürgerungsprozess sowie die Beschränkung der politischen Rechte für die im Ausland Geborenen. Man bezeichnete sie als die Know-Nothings, die Nichtswisser, weil sie, wenn sie nach ihren geheimen Eiden und Ritualen gefragt wurden, immer zu antworten pflegten: „Darüber weiß ich nichts.“

1856 stellten die Know-Nothings sogar mit Millard Fillmore14 einen einstigen Vorsitzenden ihrer Organisation als Kandidaten für die US-Präsidentschaft.

„Unser Degenerationsfortschritt“, so bemerkte damals Abraham Lincoln, „scheint sich mir ganz deutlich zu beschleunigen. Als Nation begannen wir mit der Erklärung, dass ‚alle Menschen gleich geschaffen sind‘. Jetzt lesen wir das gewissermaßen als: ‚Alle Menschen sind gleich geschaffen – mit Ausnahme der Schwarzen‘. Wenn die Know-Nothings die Herrschaft übernehmen, dann wird der Satz lauten: ‚Alle Menschen sind gleich geschaffen – mit Ausnahme der Schwarzen, der Ausländer und der Katholiken‘“.

Doch die Know-Nothings verschwanden so schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren. In den anderthalb Jahrhunderten seither hat keine politische Autochthonen-Partei mehr versucht, ihren Platz einzunehmen, trotz wiederholter fremdenfeindlicher Ausbrüche. Wie vorurteilsbehaftet weiße Angelsachsen in der Praxis auch waren, so schämten sie sich doch, ihre Vorurteile als Prinzip zu propagieren. Ebenso wichtig war, dass eine expandierende Wirtschaft in einem unterbevölkerten Land eines ständigen Zustroms neuer Hände bedurfte. Einwanderung behob den Mangel an Arbeitskräften – der ökonomische Bedarf überwand moralischen und ästhetischen Widerwillen.

Die Einwanderer vor dem amerikanischen Bürgerkrieg 1861–1865 verwandelten sich konstant in Amerikaner. Die Frontier beförderte, mit den Worten ihres großen Historikers Frederick Jackson Turner15,

„die Herausbildung einer zusammengesetzten Nationalität ... Im Schmelztiegel der ‚Frontier‘ wurden die Einwanderer amerikanisiert und befreit, sie verschmolzen zu einer Mischrasse, englisch weder ihrer Nationalität nach noch in ihren charakteristischen Eigenschaften.“

Im Schmelztiegel der Städte schritt auch die Assimilation zügig voran. Sogar „der Sohn eines irischen Immigranten“, berichtete Bryce 1888, „ist in jeder Hinsicht ein amerikanischer Staatsbürger, auch wenn er, was er selten tut, die erbliche Anglophobie beibehält.“

III

Nach dem Bürgerkrieg kam die sog. „neue“ Immigration aus Süd- und Osteuropa in die USA. Über 27 Millionen Menschen erreichten das Land in dem halben Jahrhundert seit General Lees Kapitulation bei Appomattox bis zum Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg – mehr als die Gesamtbevölkerung des Landes im Jahr 1850. Die neuen Einwanderer – Italiener, Polen, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Russen, Juden – ließen sich hauptsächlich in den Städten nieder, wo ihre bizarren Sitten, Trachten, Sprachen und Religionen neue Animositäten hervorriefen.

Doch hielt sich der alte Glaube an die Kraft von Bryces „wundersamem Lösungsmittel“ weiter, der helfen sollte, George Washingtons Vision von „einem Volk“ zu erfüllen. So sehr die Neuankömmlinge auch an sozialen Vorurteilen litten, sie wurden nicht von den gesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten ausgeschlossen, wodurch sie wiederum an die fundamentalen Werte des „amerikanischen Credos“ herangeführt wurden. Gewiss, die Neuankömmlinge änderten die ethnische Zusammensetzung des Landes, sie bewahrten aber auch die alte Ambition, Amerikaner zu werden.

Der anspruchsvolle Henry James16, der nach vielen Jahren im Ausland im Jahre 1904 sein Heimatland wieder besuchte, war zunächst bestürzt über das befremdliche Gewühl auf der New Yorker Einwanderer-Ankunftsinsel Ellis Island. Aber schon bald verstand und bewunderte er den

„nahtlosen Prozess der Rekrutierung unseres Menschenschlags, der Auffüllung unseres nationalen Feuertopfs, der Zuführung von frischem ... ausländischem Material in unser so heterogenes System“.

Obwohl er sich manchmal fragte, welchen Einfluss Immigration wohl auf die Amerikaner haben mag: „ethnisch und dadurch physiognomisch, sprachlich, ja, und auch ganz persönlich“; und obwohl ihm manchmal „das ethnische Gespenst“ geradewegs so vorkam wie ein Skelett auf einem Maskenball, war James doch sehr viel mehr beeindruckt von der „kolossalen“ Maschinerie, die so wirkungsvoll die Kinder von Einwanderern zu Amerikanern machte – dem politischen und sozialen Habitus, dem gemeinsamen Schulbesuch, den Zeitungen, kurz allem, was so verlässlich jenes produzierte, was James „die ethnische Synthese“ nannte. Durchaus mit Ehrfurcht sprach er dabei vom „Kessel des ‚amerikanischen‘ Charakters“.

‚Neue Rasse‘, ‚Schmelztiegel‘, ‚Feuertopf‘ oder ‚Kessel‘ – der ursprüngliche Glaube empfing seine berühmteste Metapher einige Jahre nach James’ Besuch in der Heimat. Im Jahr 1908 wurde in Washington ein Stück von Israel Zangwill17 uraufgeführt, einem englischen Schriftsteller russisch-jüdischer Herkunft. The Melting-Pot („Der Schmelztiegel“) erzählt die Geschichte eines jungen russisch-jüdischen Komponisten in New York. David Quixanos hat den künstlerischen Ehrgeiz, eine Symphonie zu schreiben, die die große, harmonische Verflechtung der verschiedenen Ethnien in Amerika zum Ausdruck bringt. Seine große Hoffnung ist die Überwindung der ethnischen Schranken und Vera zu heiraten, ein wunderschönes christliches Mädchen.

„Amerika“, ruft David aus, „Amerika ist Gottes Schmelztiegel, jener große Schmelztiegel, in dem alle Ethnien Europas sich einschmelzen und sich reformieren! ... Hier steht ihr in euren fünfzig verschiedenen Gruppen, mit euren fünfzig verschiedenen Sprachen ... und eurem fünfzigfachen blutigen Hass. ... Einen Pfifferling auf eure Fehden und Rachefeldzüge! Deutsche und Franzosen, Iren und Engländer, Juden und Russen – ab, in den Schmelztiegel mit euch allen! Gott macht jetzt den Amerikaner aus euch!“

Die Schlüsselszene spielt sich ab auf dem Dachgarten eines Hauses in einer Siedlung in Lower Manhattan. Fern im Hintergrund schimmert die Freiheitsstatue im Sonnenuntergang. Der Komponist, allein mit Vera, gestikuliert in Richtung der Stadt:

David: Dort liegt er, der große Schmelztiegel – hör doch mal! Hörst du nicht das Rauschen und Blubbern? Ah, welch ein Rumoren und Gebrodel! Egal, ob Kelte oder Südländer, Slave oder Germane, Grieche oder Syrer ... ob schwarz oder gelb ...

Vera (sich sanft an ihn schmiegend): Jude oder Nichtjude ...

David: Ja, Ost und West, Nord und Süd, Palme und Kiefer, Pol und Äquator, Halbmond und Kreuz ... Hier sollen alle eins werden, um eine Republik der Menschen und Gottes Königreich zu errichten. Ach, Vera, was ist schon die Herrlichkeit Roms und Jerusalems, wohin alle Nationen und Geschlechter zur Anbetung kommen und doch nur zurückblicken, verglichen mit der Herrlichkeit Amerikas, in das alle Menschen, gespalten nach Ethnien und Nationen, hineinströmen, um zu arbeiten und der Zukunft entgegenzublicken! ... (Weit in der Ferne, wie ein einsamer Leitstern, funkelt über dem sich verdunkelnden Wasser die Fackel der Freiheitsstatue. Von unten her erhebt sich der gedämpfte Klang von Stimmen und Instrumenten, bis sie sich zur Melodie von ‚My Country, ‚tis of thee‘ vereinigen. Langsam fällt der Vorhang).

Als in Washington der Vorhang fiel und der Autor schließlich die Bühne betrat, rief Präsident Theodore Roosevelt aus seiner Loge hinunter: „Großartiges Stück, Mr. Zangwill, ein großartiges Stück!“ „Ich bin weder ein Bernard-Shaw-Mann noch ein Ibsen-Mann, Mrs. Zangwill“, sagte Roosevelt später zur Frau des Dramatikers. „Nein, das ist genau der richtige Stoff.“ Zangwill widmete das gedruckte Stück daraufhin Roosevelt. Melting-Pot tourte vor einem begeisterten Publikum durchs ganze Land. Jane Addams18 vom Kulturzentrum Hull-House in Chicago bemerkte, dass Zangwill „Amerika einen großen Dienst erwiesen habe, indem er uns an die großen Hoffnungen der Gründer der Republik erinnerte“.

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26 mayıs 2021
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