Kitabı oku: «Aphorismen zur Lebensweisheit», sayfa 12
Jedenfalls soll man sich sorgfältig hüten, von irgend einem Menschen neuer Bekanntschaft eine sehr günstige Meinung zu fassen; sonst wird man, in den allermeisten Fällen, zu eigener Beschämung oder gar Schaden, enttäuscht werden. – Hiebei verdient auch dies berücksichtigt zu werden: Gerade in Kleinigkeiten, als bei welchen der Mensch sich nicht zusammennimmt, zeigt er seinen Charakter, und da kann man oft, an geringfügigen Handlungen, an bloßen Manieren, den grenzenlosen, nicht die mindeste Rücksicht auf andere kennenden Egoismus bequem beobachten, der sich nachher im Großen nicht verleugnet, wiewohl verlarvt. Und man versäume solche Gelegenheit nicht. Wenn einer in den kleinen täglichen Vorgängen und Verhältnissen des Lebens, in den Dingen, von welchen das de minimis lex non curat gilt, rücksichtslos verfährt, bloß seinen Vorteil oder seine Bequemlichkeit, zum Nachteil anderer, sucht; wenn er sich aneignet, was für alle da ist usw.; da sei man überzeugt, daß in seinem Herzen keine Gerechtigkeit wohnt, sondern er auch im Großen ein Schuft sein wird, sobald das Gesetz und die Gewalt ihm nicht die Hände binden, und traue ihm nicht über die Schwelle. Ja, wer ohne Scheu die Gesetze seines Klubs bricht, wird auch die des Staates brechen, sobald er es ohne Gefahr kann17.
Hat nun einer, mit dem wir in Verbindung oder Umgang stehn, uns etwas Unangenehmes oder Ärgerliches erzeigt; so haben wir uns nur zu fragen, ob er uns so viel wert sei, daß wir das Nämliche, auch noch etwas verstärkt, uns nochmals und öfter von ihm wollen gefallen lassen; – oder nicht. (Vergeben und Vergessen heißt gemachte kostbare Erfahrungen zum Fenster hinauswerfen.) Im bejahenden Fall wird nicht viel darüber zu sagen sein, weil das Reden wenig hilft: wir müssen also die Sache, mit oder ohne Ermahnung, hingehn lassen, sollen jedoch wissen, daß wir hiedurch sie uns nochmals ausgebeten haben. Im verneinenden Falle hingegen haben wir sogleich und auf immer mit dem werten Freunde zu brechen, oder, wenn es ein Diener ist, ihn abzuschaffen. Denn unausbleiblich wird er, vorkommenden Falls, ganz dasselbe, oder das völlig Analoge, wieder tun, auch wenn er uns jetzt das Gegenteil hoch und aufrichtig beteuert. Alles, alles kann einer vergessen, nur nicht sich selbst, sein eigenes Wesen. Denn der Charakter ist schlechthin inkorrigibel; weil alle Handlungen des Menschen aus einem innern Prinzip fließen, vermöge dessen er, unter gleichen Umständen, stets das gleiche tun muß und nicht anders kann. Man lese meine Preisschrift über die sogenannte Freiheit des Willens und befreie sich vom Wahn. Daher auch ist, sich mit einem Freunde, mit dem man gebrochen hatte, wieder auszusöhnen, eine Schwäche, die man abbüßt, wann derselbe, bei erster Gelegenheit, gerade und genau dasselbe wieder tut, was den Bruch herbeigeführt hatte; ja, mit noch mehr Dreistigkeit, im stillen Bewußtsein seiner Unentbehrlichkeit. Das Gleiche gilt von abgeschafften Dienern, die man wiedernimmt. Ebensowenig, und aus demselben Grunde, dürfen wir erwarten, daß einer, unter veränderten Umständen, das Gleiche, wie vorher, tun werde. Vielmehr ändern die Menschen Gesinnung und Betragen ebenso schnell, wie ihr Interesse sich ändert; ja, ihre Absichtlichkeit zieht ihre Wechsel auf so kurze Sicht, daß man selbst noch kurzsichtiger sein müßte, um sie nicht protestiren zu lassen.
Gesetzt demnach, wir wollten etwan wissen, wie einer, in einer Lage, in die wir ihn zu versetzen gedenken, handeln wird; so dürfen wir hierüber nicht auf seine Versprechungen und Beteuerungen bauen. Denn, gesetzt auch, er spräche aufrichtig; so spricht er von einer Sache, die er nicht kennt. Wir müssen also allein aus der Erwägung der Umstände, in die er zu treten hat, und des Konfliktes derselben mit seinem Charakter, sein Handeln berechnen.
Um überhaupt von der wahren und sehr traurigen Beschaffenheit der Menschen, wie sie meistens sind, das so nötige, deutliche und gründliche Verständnis zu erlangen, ist es überaus lehrreich, das Treiben und Benehmen derselben in der Literatur als Kommentar ihres Treibens und Benehmens im praktischen Leben zu gebrauchen, und vice versa. Dies ist sehr dienlich, um weder an sich, noch an ihnen irre zu werden. Dabei aber darf kein Zug von besonderer Niederträchtigkeit oder Dummheit, der uns im Leben oder in der Literatur aufstößt, uns je ein Stoff zum Verdruß und Ärger, sondern bloß zur Erkenntnis werden, indem wir in ihm einen neuen Beitrag zur Charakteristik des Menschengeschlechts sehn und demnach ihn uns merken. Alsdann werden wir ihn ungefähr so betrachten, wie der Mineralog ein ihm aufgestoßenes, sehr charakteristisches Spezimen eines Minerals. – Ausnahmen gibt es, ja, unbegreiflich große, und die Unterschiede der Individualitäten sind enorm: aber, im Ganzen genommen, liegt, wie längst gesagt ist, die Welt im argen: die Wilden fressen einander und die Zahmen betrügen einander, und das nennt man den Lauf der Welt. Was sind denn die Staaten, mit aller ihrer künstlichen, nach außen und nach innen gerichteten Maschinerie und ihren Gewaltmitteln anderes, als Vorkehrungen, der grenzenlosen Ungerechtigkeit der Menschen Schranken zu setzen? Sehn wir nicht, in der ganzen Geschichte, jeden König, sobald er fest steht, und sein Land einiger Prosperität genießt, diese benutzen, um mit seinem Heer, wie mit einer Räuberschar, über die Nachbarstaaten herzufallen? Sind nicht fast alle Kriege im Grunde Raubzüge? Im frühen Altertum, wie auch zum Teil im Mittelalter, wurden die Besiegten Sklaven der Sieger, d. h. im Grunde, sie mußten für diese arbeiten: dasselbe aber müssen die, welche Kriegskontributionen zahlen: sie geben nämlich den Ertrag früherer Arbeit hin. Dans toutes les guerres il ne s'agit que de voler, sagt Voltaire, und die Deutschen sollen es sich gesagt sein lassen.
30. Kein Charakter ist so, daß er sich selbst überlassen bleiben und sich ganz und gar gehn lassen dürfte; sondern jeder bedarf der Lenkung durch Begriffe und Maximen. Will man nun aber es hierin weit bringen, nämlich bis zu einem nicht aus unsrer angeborenen Natur, sondern bloß aus vernünftiger Überlegung hervorgegangenen, ganz eigentlich erworbenen und künstlichen Charakter; so wird man gar bald das
Naturam expelles furca, tamen usque recurret
bestätigt finden. Man kann nämlich eine Regel für das Betragen gegen andere sehr wohl einsehn, ja, sie selbst auffinden und treffend ausdrücken, und wird dennoch, im wirklichen Leben, gleich darauf, gegen sie verstoßen. Jedoch soll man nicht sich dadurch entmutigen lassen und denken, es sei unmöglich, im Weltleben sein Benehmen nach abstrakten Regeln und Maximen zu leiten, und daher am besten, sich eben nur gehn zu lassen. Sondern es ist damit, wie mit allen theoretischen Vorschriften und Anweisungen für das Praktische: die Regel verstehn ist das erste, sie ausüben lernen ist das zweite. Jenes wird durch Vernunft auf einmal, dieses durch Übung allmälig gewonnen. Man zeigt dem Schüler die Griffe auf dem Instrument, die Paraden und Stöße mit dem Rapier: er fehlt sogleich, trotz dem besten Vorsatze, dagegen, und meint nun, sie in der Schnelle des Notenlesens und der Hitze des Kampfes zu beobachten, sei schier unmöglich. Dennoch lernt er es allmälig, durch Übung, unter Straucheln, Fallen und Aufstehn. Ebenso geht es mit den Regeln der Grammatik im lateinisch Schreiben und Sprechen. Nicht anders also wird der Tölpel zum Hofmann, der Hitzkopf zum feinen Weltmann, der Offene verschlossen, der Edle ironisch. Jedoch wird eine solche, durch lange Gewohnheit erlangte Selbstdressur stets als ein von außen gekommener Zwang wirken, welchem zu widerstreben die Natur nie ganz aufhört und bisweilen unerwartet ihn durchbricht. Denn alles Handeln nach abstrakten Maximen verhält sich zum Handeln aus ursprünglicher, angeborener Neigung, wie ein menschliches Kunstwerk, etwan eine Uhr, wo Form und Bewegung dem ihnen fremden Stoffe aufgezwungen sind, zum lebenden Organismus, bei welchem Form und Stoff von einander durchdrungen und eins sind. An diesem Verhältnis des erworbenen zum angeborenen Charakter bestätigt sich demnach ein Ausspruch des Kaisers Napoleon: tout ce qui n'est pas naturel est imparfait; welcher überhaupt eine Regel ist, die von allem und jedem, sei es physisch oder moralisch, gilt, und von der die einzige, mir einfallende Ausnahme das, den Mineralogen bekannte, natürliche Aventurino ist, welches dem künstlichen nicht gleichkommt.
Darum sei hier auch vor aller und jeder Affektation gewarnt. Sie erweckt allemal Geringschätzung: erstlich als Betrug, der als solcher feige ist, weil er auf Furcht beruht; zweitens als Verdammungsurteil seiner selbst durch sich selbst, indem man scheinen will, was man nicht ist, und was man folglich für besser hält, als was man ist. Das Affektiren irgend einer Eigenschaft, das Sich-Brüsten damit, ist ein Selbstgeständnis, daß man sie nicht hat. Sei es Mut oder Gelehrsamkeit oder Geist oder Witz oder Glück bei Weibern oder Reichtum oder vornehmer Stand, oder was sonst, womit einer groß tut; so kann man daraus schließen, daß es ihm gerade daran in etwas gebricht: denn wer wirklich eine Eigenschaft vollkommen besitzt, dem fällt es nicht ein, sie herauszulegen und zu affektiren, sondern er ist darüber ganz beruhigt. Dies ist auch der Sinn des spanischen Sprichworts: herradura que chacolotea clavo le falta (dem klappernden Hufeisen fehlt ein Nagel). Allerdings darf, wie anfangs gesagt, keiner sich unbedingt den Zügel schießen lassen und sich ganz zeigen, wie er ist; weil das viele Schlechte und Bestialische unserer Natur der Verhüllung bedarf: aber dies rechtfertigt bloß das Negative, die Dissimulation, nicht das Positive, die Simulation. – Auch soll man wissen, daß das Affektiren erkannt wird, selbst ehe klar geworden, was eigentlich einer affektirt. Und endlich hält es auf die Länge nicht Stich, sondern die Maske fällt einmal ab. Nemo potest personam diu ferre fictam. Ficta cito in naturam suam recidunt. (Seneca de Clementia, L. I, c. 1.)
31. Wie man das Gewicht seines eigenen Körpers trägt, ohne es, wie doch das jedes fremden, den man bewegen will, zu fühlen; so bemerkt man nicht die eigenen Fehler und Laster, sondern nur die der andern. – Dafür aber hat jeder am andern einen Spiegel, in welchem er seine eigenen Laster, Fehler, Unarten und Widerlichkeiten jeder Art deutlich erblickt. Allein meistens verhält er sich dabei wie der Hund, welcher gegen den Spiegel bellt, weil er nicht weiß, daß er sich selbst sieht, sondern meint, es sei ein anderer Hund. Wer andre bekrittelt, arbeitet an seiner Selbstbesserung. Also die, welche die Neigung und Gewohnheit haben, das äußerliche Benehmen, überhaupt das Tun und Lassen der andern im Stillen, bei sich selbst, einer aufmerksamen und scharfen Kritik zu unterwerfen, arbeiten dadurch an ihrer eigenen Besserung und Vervollkommnung: denn sie werden entweder Gerechtigkeit, oder doch Stolz und Eitelkeit genug besitzen, selbst zu vermeiden, was sie so oft strenge tadeln. Von den Toleranten gilt das Umgekehrte: nämlich hanc veniam damus petimusque vicissim. Das Evangelium moralisirt recht schön über den Splitter im fremden, den Balken im eigenen Auge: aber die Natur des Auges bringt es mit sich, daß es nach außen und nicht sich selbst sieht: daher ist, zum Innewerden der eigenen Fehler, das Bemerken und Tadeln derselben an andern ein sehr geeignetes Mittel. Zu unserer Besserung bedürfen wir eines Spiegels.
Auch hinsichtlich auf Stil und Schreibart gilt diese Regel: wer eine neue Narrheit in diesen bewundert, statt sie zu tadeln, wird sie nachahmen. Daher greift in Deutschland jede so schnell um sich. Die Deutschen sind sehr tolerant: man merkt's. Hanc veniam damus petimusque vicissim ist ihr Wahlspruch.
32. Der Mensch edlerer Art glaubt, in seiner Jugend, die wesentlichen und entscheidenden Verhältnisse und daraus entstehenden Verbindungen zwischen Menschen seien die ideellen, d. h. die auf Ähnlichkeit der Gesinnung, der Denkungsart, des Geschmacks, der Geisteskräfte usw. beruhenden: allein er wird später inne, daß es die reellen sind, d. h. die, welche sich auf irgend ein materielles Interesse stützen. Diese liegen fast allen Verbindungen zum Grunde: sogar hat die Mehrzahl der Menschen keinen Begriff von andern Verhältnissen. Demzufolge wird jeder genommen nach seinem Amt, oder Geschäft, oder Nation, oder Familie, also überhaupt nach der Stellung und Rolle, welche die Konvention ihm erteilt hat: dieser gemäß wird er sortirt und fabrikmäßig behandelt. Hingegen was er an und für sich, also als Mensch, vermöge seiner persönlichen Eigenschaften sei, kommt nur beliebig und daher nur ausnahmsweise zur Sprache, und wird von jedem, sobald es ihm bequem ist, also meistenteils, beiseite gesetzt und ignorirt. Je mehr nun aber es mit diesem auf sich hat, desto weniger wird ihm jene Anordnung gefallen, er also sich ihrem Bereich zu entziehn suchen. Sie beruht jedoch darauf, daß, in dieser Welt der Not und des Bedürfnisses, die Mittel, diesen zu begegnen, überall das Wesentliche, mithin Vorherrschende sind.
33. Wie Papiergeld statt des Silbers, so kursiren in der Welt, statt der wahren Achtung und der wahren Freundschaft, die äußerlichen Demonstrationen und möglichst natürlich mimisirten Gebärden derselben. Indessen läßt sich andrerseits auch fragen, ob es denn Leute gebe, welche jene wirklich verdienten. Jedenfalls gebe ich mehr auf das Schwanzwedeln eines ehrlichen Hundes, als auf hundert solche Demonstrationen und Gebärden.
Wahre, echte Freundschaft setzt eine starke, rein objektive und völlig uninteressirte Teilnahme am Wohl und Wehe des andern voraus, und diese wieder ein wirkliches Sich mit dem Freunde identifiziren. Dem steht der Egoismus der menschlichen Natur so sehr entgegen, daß wahre Freundschaft zu den Dingen gehört, von denen man, wie von den kolossalen Seeschlangen, nicht weiß, ob sie fabelhaft sind, oder irgendwo existiren. Indessen gibt es mancherlei, in der Hauptsache freilich auf versteckten egoistischen Motiven der mannigfaltigsten Art beruhende Verbindungen zwischen Menschen, welche dennoch mit einem Gran jener wahren und echten Freundschaft versetzt sind, wodurch sie so veredelt werden, daß sie, in dieser Welt der Unvollkommenheiten, mit einigem Fug den Namen der Freundschaft führen dürfen. Sie stehn hoch über den alltäglichen Liaisons, welche vielmehr so sind, daß wir mit den meisten unserer guten Bekannten kein Wort mehr reden würden, wenn wir hörten, wie sie in unsrer Abwesenheit von uns reden.
Die Echtheit eines Freundes zu erproben, hat man, nächst den Fällen, wo man ernstlicher Hilfe und bedeutender Opfer bedarf, die beste Gelegenheit in dem Augenblick, da man ihm ein Unglück, davon man soeben getroffen worden, berichtet. Alsdann nämlich malt sich in seinen Zügen entweder wahre, innige, unvermischte Betrübnis; oder aber sie bestätigen, durch ihre gefaßte Ruhe, oder einen flüchtigen Nebenzug, den bekannten Ausspruch des Rochefoucauld: dans l'adversité de nos meilleurs amis, nous trouvons toujours quelque chose qui ne nous déplait pas. Die gewöhnlichen sogenannten Freunde vermögen, bei solchen Gelegenheiten, oft kaum das Zucken zu einem leisen, wohlgefälligen Lächeln zu unterdrücken. – Es gibt wenig Dinge, welche so sicher die Leute in gute Laune versetzen, wie wenn man ihnen ein beträchtliches Unglück, davon man kürzlich getroffen worden, erzählt, oder auch irgend eine persönliche Schwäche ihnen unverhohlen offenbart. – Charakteristisch! –
Entfernung und lange Abwesenheit tun jeder Freundschaft Eintrag; so ungern man es gesteht. Denn Menschen, die wir nicht sehn, wären sie auch unsere geliebtesten Freunde, trocknen, im Laufe der Jahre, allmählich zu abstrakten Begriffen aus, wodurch unsere Teilnahme an ihnen mehr und mehr eine bloß vernünftige, ja traditionelle wird: die lebhafte und tiefgefühlte bleibt denen vorbehalten, die wir vor Augen haben, und wären es auch nur geliebte Tiere. So sinnlich ist die menschliche Natur. Also bewährt sich auch hier Goethes Ausspruch:
»Die Gegenwart ist eine mächt'ge Göttin.«
(Tasso, Aufzug 4, Auftr. 4.)
Die Hausfreunde heißen meistens mit Recht so, indem sie mehr die Freunde des Hauses, als des Herrn, also den Katzen ähnlicher als den Hunden, sind.
Die Freunde nennen sich aufrichtig; die Feinde sind es: daher man ihren Tadel zur Selbsterkenntnis benutzen sollte, als eine bittre Arznei. –
Freunde in der Not wären selten? – Im Gegenteil! Kaum hat man mit einem Freundschaft gemacht; so ist er auch schon in der Not und will Geld geliehen haben. –
34. Was für ein Neuling ist doch der, welcher wähnt, Geist und Verstand zu zeigen wäre ein Mittel, sich in Gesellschaft beliebt zu machen! Vielmehr erregen sie, bei der unberechenbar überwiegenden Mehrzahl, einen Haß und Groll, der um so bitterer ist, als der ihn Fühlende die Ursache desselben anzuklagen nicht berechtigt ist, ja, sie vor sich selbst verhehlt. Der nähere Hergang ist dieser: merkt und empfindet einer große geistige Überlegenheit an dem, mit welchem er redet, so macht er, im stillen und ohne deutliches Bewußtsein, den Schluß, daß in gleichem Maße der andere seine Inferiorität und Beschränktheit merkt und empfindet. Dieses Enthymem erregt seinen bittersten Haß, Groll und Ingrimm. (Vergl. Welt als Wille und Vorstell., 3. Aufl., Bd. II, 256 die angeführten Worte des Dr. Johnsons und Mercks, des Jugendfreundes Goethes.) Mit Recht sagt daher Gracian: »para ser bien quisto, el unico medio vestirse la piel del mas simple de los brutos.« (S. Oraculo manual, y arte de prudencia, 240. [Obras, Amberes 1702, P. II, p. 287.]) Ist doch Geist und Verstand an den Tag legen, nur eine indirekte Art, allen andern ihre Unfähigkeit und Stumpfsinn vorzuwerfen. Zudem gerät die gemeine Natur in Aufruhr, wenn sie ihr Gegenteil ansichtig wird, und der geheime Anstifter des Aufruhrs ist der Neid. Denn die Befriedigung ihrer Eitelkeit ist, wie man täglich sehn kann, ein Genuß, der den Leuten über alles geht, der jedoch allein mittelst der Vergleichung ihrer selbst mit andern möglich ist. Auf keine Vorzüge aber ist der Mensch so stolz, wie auf die geistigen: beruht doch nur auf ihnen sein Vorrang vor den Tieren18. Ihm entschiedene Überlegenheit in dieser Hinsicht vorzuhalten, und noch dazu vor Zeugen, ist daher die größte Verwegenheit. Er fühlt sich dadurch zur Rache aufgefordert und wird meistens Gelegenheit suchen, diese auf dem Wege der Beleidigung auszuführen, als wodurch er vom Gebiete der Intelligenz auf das des Willens tritt, auf welchem wir, in dieser Hinsicht, alle gleich sind. Während daher in der Gesellschaft Stand und Reichtum stets auf Hochachtung rechnen dürfen, haben geistige Vorzüge solche keineswegs zu erwarten: im günstigsten Fall werden sie ignorirt, sonst aber angesehn als eine Art Impertinenz, oder als etwas, wozu ihr Besitzer unerlaubter Weise gekommen ist und nun sich untersteht damit zu stolziren; wofür ihm also irgend eine anderweitige Demütigung angedeihen zu lassen jeder im stillen beabsichtigt und nur auf die Gelegenheit dazu paßt. Kaum wird es dem demütigsten Betragen gelingen, Verzeihung für geistige Überlegenheit zu erbetteln. Sadi sagt im Gulistan (S. 146 der Übersetzung von Graf): »Man wisse, daß sich bei dem Unverständigen hundertmal mehr Widerwillen gegen den Verständigen findet, als der Verständige Abneigung gegen den Unverständigen empfindet.« – Hingegen gereicht geistige Inferiorität zur wahren Empfehlung. Denn was für den Leib die Wärme, das ist für den Geist das wohltuende Gefühl der Überlegenheit; daher jeder, so instinktmäßig wie dem Ofen, oder dem Sonnenschein, sich dem Gegenstande nähert, der es ihm verheißt. Ein solcher nun ist allein der entschieden tiefer Stehende, an Eigenschaften des Geistes, bei Männern, an Schönheit, bei Weibern. Manchen Leuten gegenüber freilich unverstellte Inferiorität zu beweisen – da gehört etwas dazu. Dagegen sehe man, mit welcher herzlichen Freundlichkeit ein erträgliches Mädchen einem grundhäßlichen entgegenkommt. Körperliche Vorzüge kommen bei Männern nicht sehr in Betracht; wiewohl man sich doch behaglicher neben einem kleineren, als neben einem größeren fühlt. Demzufolge also sind, unter Männern, die dummen und unwissenden, unter Weibern die häßlichen allgemein beliebt und gesucht: sie erlangen leicht den Ruf eines überaus guten Herzens; weil jedes für seine Zuneigung, vor sich selbst und vor andern, eines Vorwandes bedarf. Eben deshalb ist Geistesüberlegenheit jeder Art eine sehr isolirende Eigenschaft: sie wird geflohen und gehaßt, und als Vorwand hiezu werden ihrem Besitzer allerhand Fehler angedichtet19. Gerade so wirkt unter Weibern die Schönheit: sehr schöne Mädchen finden keine Freundin, ja, keine Begleiterin. Zu Stellen als Gesellschafterinnen tun sie besser sich gar nicht zu melden: denn schon bei ihrem Vortritt verfinstert sich das Gesicht der gehofften neuen Gebieterin, als welche, sei es für sich, oder für ihre Töchter, einer solchen Folie keineswegs bedarf. – Hingegen verhält es sich umgekehrt mit den Vorzügen des Ranges; weil diese nicht, wie die persönlichen, durch den Kontrast und Abstand, sondern, wie die Farben der Umgebung auf das Gesicht, durch den Reflex wirken.
Das Gesagte gilt nicht bloß vom Staatsdienst, sondern auch von den Ehrenstellen, Würden, ja, dem Ruhm in der gelehrten Welt; so daß z. B. in den Akademien die liebe Mediokrität stets oben auf ist, Leute von Verdienst spät oder nie hineinkommen, und so bei allem.
35. An unserm Zutrauen zu andern haben sehr oft Trägheit, Selbstsucht und Eitelkeit den größten Anteil: Trägheit, wenn wir, um nicht selbst zu untersuchen, zu wachen, zu tun, lieber einem andern trauen; Selbstsucht, wenn das Bedürfnis von unsern Angelegenheiten zu reden uns verleitet, ihm etwas anzuvertrauen; Eitelkeit, wenn es zu dem gehört, worauf wir uns etwas zu Gute tun. Nichtsdestoweniger verlangen wir, daß man unser Zutrauen ehre.
Über Mißtrauen hingegen sollten wir uns nicht erzürnen: denn in demselben liegt ein Kompliment für die Redlichkeit, nämlich das aufrichtige Bekenntnis ihrer großen Seltenheit, infolge welcher sie zu den Dingen gehört, an deren Existenz man zweifelt.
36. Von der Höflichkeit, dieser chinesischen Kardinaltugend, habe ich den einen Grund angegeben in meiner Ethik S. 201 (2. Aufl. 198): der andere liegt in Folgendem. Sie ist eine stillschweigende Übereinkunft, gegenseitig die moralisch und intellektuell elende Beschaffenheit von einander zu ignoriren und sie sich nicht vorzurücken; – wodurch diese, zu beiderseitigem Vorteil, etwas weniger leicht zutage kommt.
Höflichkeit ist Klugheit; folglich ist Unhöflichkeit Dummheit: sich mittelst ihrer unnötiger und mutwilliger Weise Feinde machen ist Raserei, wie wenn man sein Haus in Brand steckt. Denn Höflichkeit ist, wie die Rechenpfennige, eine offenkundig falsche Münze: mit einer solchen sparsam zu sein, beweist Unverstand; hingegen Freigebigkeit mit ihr Verstand. Alle Nationen schließen den Brief mit votre très-humble serviteur, – your most obedient servant, – suo devotissimo servo: bloß die Deutschen halten mit dem »Diener« zurück, – weil es ja doch nicht wahr sei –! Wer hingegen die Höflichkeit bis zum Opfern realer Interessen treibt, gleicht dem, der echte Goldstücke statt Rechenpfennige gäbe. – Wie das Wachs, von Natur hart und spröde, durch ein wenig Wärme so geschmeidig wird, daß es jede beliebige Gestalt annimmt; so kann man selbst störrische und feindselige Menschen, durch etwas Höflichkeit und Freundlichkeit, biegsam und gefällig machen. Sonach ist die Höflichkeit dem Menschen, was die Wärme dem Wachs.
Eine schwere Aufgabe ist freilich die Höflichkeit insofern, als sie verlangt, daß wir allen Leuten die größte Achtung bezeugen, während die allermeisten keine verdienen; sodann, daß wir den lebhaftesten Anteil an ihnen simuliren, während wir froh sein müssen, keinen an ihnen zu haben. – Höflichkeit mit Stolz zu vereinigen ist ein Meisterstück. –
Wir würden bei Beleidigungen, als welche eigentlich immer in Äußerungen der Nichtachtung bestehn, viel weniger aus der Fassung geraten, wenn wir nicht einerseits eine ganz übertriebene Vorstellung von unserm hohen Wert und Würde, also einen ungemessenen Hochmut hegten, und andrerseits uns deutlich gemacht hätten, was in der Regel jeder vom andern, in seinem Herzen, hält und denkt. Welch ein greller Kontrast ist doch zwischen der Empfindlichkeit der meisten Leute über die leiseste Andeutung eines sie treffenden Tadels und dem, was sie hören würden, wenn sie die Gespräche ihrer Bekannten über sie belauschten! – Wir sollten vielmehr uns gegenwärtig erhalten, daß die gewöhnliche Höflichkeit nur eine grinsende Maske ist: dann würden wir nicht Zeter schreien, wenn sie einmal sich etwas verschiebt, oder auf einen Augenblick abgenommen wird. Wann aber gar einer geradezu grob wird, da ist es, als hätte er die Kleider abgeworfen und stände in puris naturalibus da. Freilich nimmt er sich dann, wie die meisten Menschen in diesem Zustande, schlecht aus.
37. Für sein Tun und Lassen darf man keinen andern zum Muster nehmen; weil Lage, Umstände, Verhältnisse nie die gleichen sind, und weil die Verschiedenheit des Charakters auch der Handlung einen verschiedenen Anstrich gibt, daher duo cum faciunt idem, non est idem. Man muß, nach reiflicher Überlegung und scharfem Nachdenken, seinem eigenen Charakter gemäß handeln. Also auch im Praktischen ist Originalität unerläßlich: sonst paßt was man tut, nicht zu dem, was man ist.
38. Man bestreite keines Menschen Meinung; sondern bedenke, daß, wenn man alle Absurditäten, die er glaubt, ihm ausreden wollte, man Methusalems Alter erreichen könnte, ohne damit fertig zu werden.
Auch aller, selbst noch so wohlgemeinter, korrektioneller Bemerkungen soll man, im Gespräche, sich enthalten: denn die Leute zu kränken ist leicht, sie zu bessern schwer, wo nicht unmöglich.
Wenn die Absurditäten eines Gesprächs, welches wir anzuhören im Falle sind, anfangen uns zu ärgern, müssen wir uns denken, es wäre eine Komödienszene zwischen zwei Narren. Probatum est. – Wer auf die Welt gekommen ist, sie ernstlich und in den wichtigsten Dingen zu belehren, der kann von Glück sagen, wenn er mit heiler Haut davonkommt.
39. Wer da will, daß sein Urteil Glauben finde, spreche es kalt und ohne Leidenschaftlichkeit aus. Denn alle Heftigkeit entspringt aus dem Willen: daher wird man diesem und nicht der Erkenntnis, die ihrer Natur nach kalt ist, das Urteil zuschreiben. Weil nämlich das Radikale im Menschen der Wille, die Erkenntnis aber bloß sekundär und hinzugekommen ist; so wird man eher glauben, daß das Urteil aus dem erregten Willen, als daß die Erregung des Willens bloß aus dem Urteil entsprungen sei.
40. Auch beim besten Rechte dazu lasse man sich nicht zum Selbstlobe verführen. Denn die Eitelkeit ist eine so gewöhnliche, das Verdienst aber eine so ungewöhnliche Sache, daß, so oft wir, wenn auch nur indirekt, uns selbst zu loben scheinen, jeder hundert gegen eins wettet, daß, was aus uns redet die Eitelkeit sei, der es am Verstande gebricht, das Lächerliche der Sache einzusehn. – Jedoch mag, bei allem dem, Bako von Verulam nicht ganz Unrecht haben, wenn er sagt, daß das semper aliquid haeret, wie von der Verläumdung, so auch vom Selbstlobe gelte, und daher dieses, in mäßigen Dosen, empfiehlt.
41. Wenn man argwöhnt, daß einer lüge, stelle man sich gläubig: da wird er dreist, lügt stärker und ist entlarvt. Merkt man hingegen, daß eine Wahrheit, die er verhehlen möchte, ihm zum Teil entschlüpft, so stelle man sich darüber ungläubig, damit er, durch den Widerspruch provozirt, die Arriergarde der ganzen Wahrheit nachrücken lasse.
42. Unsere sämtlichen persönlichen Angelegenheiten haben wir als Geheimnisse zu betrachten, und unsern guten Bekannten müssen wir, über das hinaus, was sie mit eigenen Augen sehn, völlig fremd bleiben. Denn ihr Wissen um die unschuldigsten Dinge kann, durch Zeit und Umstände, uns Nachteil bringen. – Überhaupt ist es geratener seinen Verstand durch das, was man verschweigt, an den Tag zu legen, als durch das, was man sagt. Ersteres ist Sache der Klugheit, letzteres der Eitelkeit. Die Gelegenheit zu beiden kommt gleich oft: aber wir ziehn häufig die flüchtige Befriedigung, welche das letztere gewährt, dem dauernden Nutzen vor, welchen das erstere bringt. Sogar die Herzenserleichterung, einmal ein Wort mit sich selbst laut zu reden, was lebhaften Personen wohl begegnet, sollte man sich versagen, damit sie nicht zur Gewohnheit werde; weil dadurch der Gedanke mit dem Worte so befreundet und verbrüdert wird, daß allmälig auch das Sprechen mit andern ins laute Denken übergeht; während die Klugheit gebeut, daß zwischen unserm Denken und unserm Reden eine weite Kluft offen gehalten werde.
Bisweilen meinen wir, daß andere etwas uns betreffendes durchaus nicht glauben können; während ihnen gar nicht einfällt, es zu bezweifeln: machen wir jedoch, daß ihnen dies einfällt, dann können sie es auch nicht mehr glauben. Aber wir verraten uns oft bloß, weil wir wähnen, es sei unmöglich, daß man das nicht merke; – wie wir uns von einer Höhe hinabstürzen, aus Schwindel, d. h. durch den Gedanken, es sei unmöglich, hier fest zu stehen, die Qual aber, hier zu stehn, sei so groß, daß es besser sei, sie abzukürzen: dieser Wahn heißt Schwindel.
Andrerseits wieder soll man wissen, daß die Leute, selbst die, welche sonst keinen besondern Scharfsinn verraten, vortreffliche Algebristen in den persönlichen Angelegenheiten anderer sind, woselbst sie, mittelst einer einzigen gegebenen Größe, die verwickeltesten Aufgaben lösen. Wenn man z. B. ihnen eine ehemalige Begebenheit, unter Weglassung aller Namen und sonstiger Bezeichnung der Personen erzählt; so soll man sich hüten, dabei ja nicht irgend einen ganz positiven und individuellen Umstand, sei er auch noch so gering, mit einzuführen, wie etwan einen Ort, oder Zeitpunkt, oder den Namen einer Nebenperson, oder sonst etwas auch nur unmittelbar damit Zusammenhängendes: denn daran haben sie sogleich eine positiv gegebene Größe, mittelst deren ihr algebraischer Scharfsinn alles Übrige herausbringt. Die Begeisterung der Neugier nämlich ist hier so groß, daß, kraft derselben, der Wille dem Intellekt die Sporen in die Seite setzt, welcher nun dadurch bis zur Erreichung der entlegensten Resultate getrieben wird. Denn so unempfänglich und gleichgültig die Leute gegen allgemeine Wahrheiten sind, so erpicht sind sie auf individuelle.
Das Gesagte gilt nicht bloß vom Staatsdienst, sondern auch von den Ehrenstellen, Würden, ja, dem Ruhm in der gelehrten Welt; so daß z. B. in den Akademien die liebe Mediokrität stets oben auf ist, Leute von Verdienst spät oder nie hineinkommen, und so bei allem.