Kitabı oku: «Teufel Marietta», sayfa 10
Drittes Kapitel
Dichters Heimkehr
In dem kleinen Landhaus in Friedrichshagen war es in diesen Wochen noch ruhiger als zur Zeit, da es bewohnt war. Die Dienerschaft hatte man entlassen und Margot war am selben Abend, an dem Erich nach Berlin gefahren war, zu ihren Eltern zurück gekehrt.
So stand das Haus, das noch vor wenigen Wochen vor Behaglichkeit und Sauberkeit strotzte, einsam und ohne Pflege da. Das helle Frühstückszimmer, in dem Erich den letzten Morgen vor seiner Entführung nach Berlin zugebracht hatte, war von niemandem mehr betreten worden. Der Kaffeetisch stand noch gedeckt, die Blumen, die längst gestorben waren, steckten noch in den Vasen; selbst die Türen der Veranda standen noch offen, und überall auf dem Fußboden, auf Tischen und Stühlen lag das welke Laub umher, das Sturm und Regen in das Zimmer getrieben hatten.
Es war früh am Morgen. Die Mauer des Hauses entlang schlich ein Mann, der einen unheimlichen Eindruck machte. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gedrückt, den Mantelkragen hochgeschlagen, trug einen Arm in der Binde und hielt im andern eine kleine Tasche. Alle Augenblicke sah er sich scheu um; trat, so oft er ein Geräusch zu hören glaubte, hinter einen Baum oder versteckte sich unter einem der vielen Sträucher, die überall wild durcheinander standen.
Fiel, was er ängstlich zu vermeiden suchte, die Sonne doch mal auf ihn, dann sah man ein fahles, eingefallenes Gesicht, einen verbissenen Mund, in dessen Winkeln es unaufhörlich zuckte, und ein Paar tiefumränderte scheue, fast irre Augen.
Er machte sich an dem eisernen Tor zu schaffen, an dem sonst jeder in weitem Bogen herumging, holte irgend ein Instrument, das einem Schlüssel nur sehr wenig ähnlich sah, aus der Tasche, setzte es kaum an – und das Tor sprang auf. Dann ging er hinein und schlug das Tor hinter sich zu.
Als er drin war, blieb er einen Augenblick stehen, atmete auf und dachte:
»Gott sei Dank? sie haben meine Spur verloren.« Er ging mit schnellen Schritten durch den Park, trat ins Haus, dessen Tür offen stand, lief die Treppen hinauf, eilte durch eine Reihe unbewohnter Räume und stand plötzlich im Frühstückszimmer. Er schloß sämtliche Türen hinter sich ab, zog den Mantel aus, nahm den Hut ab und warf sich in den Sessel, der dem Rotdorn gegenüberstand. Dann faltete er die Hände und sprach laut:
»Jetzt gib mir eine Viertelstunde, daß ich Ruhe finde, diesem Leben ein Ende zu machen.«
Dann sah er sich im Zimmer um und dachte: das waren glückliche Zeiten hier.
Er betrachtete wehmütig die verwelkten Blumen, die vor ihm auf dem Tische standen, nahm sie aus der Vase heraus, schüttelte den Kopf und dachte: wie gleicht ihr mir!
Elegisch betrachtete er den Kaffeetisch, und der Gedanke, nur einmal noch hier in dieser Stille des Morgens mit Margot zu sitzen, steigerte sich zu einem leidenschaftlichen Wunsche.
Er sah in den Marmeladentopf und sagte: verpilzt! – drückte auf ein Brötchen und sagte: steinhart! roch an der Butter und sagte: verschimmelt! – Resigniert lehnte er sich in den Sessel zurück und stöhnte:
»Es ist zu spät!«
Dann sprang er nervös auf, stürzte ans Fenster, öffnete es und sah hinaus.
»Nein!« sagte er und schüttelte den Kopf – »sie kommt nicht! Sie ist der einzige Mensch, den ich noch einmal sehen wollte! aber sie hatte allen Grund, mir böse zu sein.«
Dann nahm er das Täschchen von der Erde auf, ging zu dem kleinen Tisch, der in der Nähe der Tür stand, zog den Schub auf und holte einen Bogen Papier heraus.
Mein Tod wird sie versöhnen, dachte er, öffnete das Täschchen, griff beherzt hinein, zog einen langen, dicken Strick hervor und legte ihn neben sich auf den Tisch.
Dann nahm er die Feder, tauchte ein, beugte sich über den Tisch und schrieb:
An Direktor Blaczincitsch
Sie haben mich zu Tode gehetzt. Mir bleibt kein andrer Ausweg als der Strick.
Erich Merker.
So!« sagte er, schob den Bogen beiseite, nahm einen andern und schrieb:
Testament
Als Universalerben setze ich hierdurch Fräulein Margot Mucke ein, bei der auch in dieser letzten Stunde reuevoll meine Gedanken sind.
Erich Merker.
Er setzte Ort und Datum darunter, schloß die Augen und suchte in dieser letzten Viertelstunde, die ihm blieb, diese furchtbaren drei Wochen, die ihm wie ein Fiebertraum erschienen, zu vergessen.
Es wäre ihm vielleicht gelungen, hätte nicht die Wunde am Arm ihm die Wirklichkeit dieser Wochen schmerzhaft jeden Augenblick zum Bewußtsein gebracht. Mit diesem Duell, das mit leichten Verwundungen beider Kombattanten harmlos genug verlief, hatte Blaczincitsch seinen Zweck erreicht. Endlich war Merkers Name, der bisher nur der Besitzstand der Intellektuellen war, in die Massen gedrungen, die für diesen Skandal weit mehr Verständnis zeigten als für den Odysseus und den Ganymed.
Erich steckte in tiefen Gedanken, als draußen plötzlich jemand an der Klingel zog. Instinktiv griff er nach dem Strick und sprang auf.
Er stürzte ans Fenster, sah hinaus, jubelte, winkte und rief:
»Margot!«
Er stürzte aus dem Zimmer, lief die Treppe hinunter, öffnete und ließ sie hinein.
»Erich!« rief sie und warf sich ihm an den Hals.
»Nein, daß du da bist!« sagte er froh. Und von dem Gefühl überwältigt gingen sie, ohne daß sie ein Wort sprachen, in das Haus.
Sie waren schon im Frühstückszimmer, da sagte Margot:
»Ich bin auf dein Telegramm hin hergestürzt.« Jetzt erst sah sie ihn richtig an.
»Ja, wie siehst du denn aus!« rief sie entsetzt und fuhr sich, da sie glaubte, sie sehe nicht recht, nervös mit den Händen über die Augen.
Erich nickte und sagte:
»Das hat der Ruhm aus mir gemacht.«
Margot verstand das nicht.
»Bist du wenigstens glücklich?« fragte sie.
»In diesem Augenblick zum ersten Male, seit ich von dir ging.«
»So ist also alles anders gekommen als du dachtest?«
»Ganz anders!« erwiderte Erich.
»Und du hast keine Frau, die dich liebt?« fragte sie zögernd.
»Ein Dutzend!« erwiderte Erich.
»Also!« sagte sie traurig.
»Oh! es ist furchtbar!« rief Erich und schüttelte sich.
»Du brauchtest sie ja nicht alle wiederzulieben,« erwiderte Margot.
»Brauchte?« fragte Erich . »Ich muß! Du kennst Blaczincitsch nicht. Nach §7 meines Vertrages darf ich niemanden vor den Kopf stoßen. Weißt du, was das heißt?«
»Nein!« sagte sie.
»Daß ich sie alle, wenigstens dem Schein nach, wiederlieben muß! – Hast du eine Vorstellung davon, was das bedeutet?«
»Anstrengend denke ich es mir,« sagte Margot.
»Zermürbend!« bestätigte Erich, denn unter dem Dutzend ist nicht eine so anspruchslos und rücksichtsvoll, wie du!«
Margot schüttelte den Kopf und sagte:
»Das war vielleicht falsch von mir.«
»Falsch?« – erwiderte Erich – »weißt du denn, wie ich mich nach dir gesehnt habe? Tag für Tag – Stunde um Stunde!«
»Erich!« rief Margot froh – »aber warum hast du dann in all den Wochen nicht ein einziges Mal an mich geschrieben?«
»Weil, seit wir uns trennten, dies die erste Viertelstunde ist, die mir gehört.«
»So hast du also tüchtig geschafft?« fragte sie – und da Erich schwieg, so fragte sie weiter: »Ist das Szenarium des Thersites fertig!«
»Nicht eine Zeile habe ich geschrieben!« sagte er tonlos.
»Wirklich nicht?« rief Margot freudig.
»Das scheint dir noch Freude zu machen?« fragte Erich erstaunt.
»Wenn ich ehrlich sein soll, Erich . . .«
»Das sollst du,« sagte er.
»Nun denn« – sagte sie: »Ja! denn dann weiß ich, daß du nicht glücklich bist.«
»Verzweifelt bin ich!«
»Dann wäre es vielleicht besser gewesen,« sagte sie zögernd, »wenn alles so geblieben wäre, wie . . .«
Und Erich erwiderte aus tiefster Überzeugung:
»Margot! ob es besser gewesen wäre, fragst du? Ja, begreifst du denn noch immer nicht, wie es um mich steht?«
»Du machst mich ängstlich!« sagte sie.
»Was gäbe ich darum,« rief Erich, »wenn ich noch einmal – und wenn es nur ein paar Wochen wären! – hier mit dir – in diesem Hause leben könnte, in dieser Ruhe! – es wäre ein Glück! nicht auszudenken!«
Margot warf sich ihm an den Hals.
»Erich! so versuche es!« bat sie.
Erich schüttelte den Kopf.
»Er läßt mich nicht!« sagte er ernst. »Er ist hinter mir her! – gleich wird er hier sein und mich zurückholen.«
»So reiße dich los!« drängte sie.
»Es ist zu spät! es geht nicht mehr.«
»So flieh vor ihm.«
»Wohin?« fragte er resigniert – »es gibt keinen Ort der Welt, wo dieser Blaczincitsch mich nicht fände.«
»Doch, Erich,« beteuerte Margot, »es gibt solche Orte. Irgendeine entlegene Insel – es braucht ja nicht bei Berlin zu sein! es ist ja ganz gleich, wo wir leben, wenn wir nur zusammen sind!«
Aber Erich schüttelte den Kopf.
»Und wenn wir auf die äußerste Spitze des Himalaja flüchteten,« sagte er – »Blaczincitsch wäre vor uns oben, fertigte eine neue Postkartenserie: ›Erich Merker vom Parnaß zum Himalaja‹ an und schleppte mich laut §7 unsres Vertrages nach Berlin zurück! Sei versichert, daß er die Kosten dieser Reise dreimal herausschlüge.«
»So gehst du also zu ihm zurück?« fragte sie traurig.
»Nein!« erwiderte er bestimmt.
»Was willst du denn tun?« fragte sie.
Erich faßte sie um den Arm:
»Frag mich nicht, mein Kind,« bat er. – »Glaub mir, daß ich alles erwogen habe – es gibt keinen Ausweg.«
»Ja, ich versteh’ dich nicht, Erich,« sagte sie weinerlich.
Und Erich erwiderte:
»Wenn du es gut mit mir meinst, wirst du mir recht geben.«
»Ich verstehe . . . noch immer nicht, Erich. So willst du ohne mich . . .«
»Ja, Margot!« sagte er feierlich. »Wo ich hin will, da kann ich dich nicht mitnehmen.«
»Erich!!« schrie Margot, die endlich begriff. »Das wirst du nicht tun!«
Erich stand da und rührte sich nicht.
»Großer Gott!« – rief sie, wandte sich um, sah den Strick, stürzte auf den Tisch zu, las die Zettel, faßte sich an den Kopf. – »Ja! das ist doch undenkbar, daß das dein Ernst ist!!«
»Ich bat dich her, Margot!« sagte er in aller Ruhe, »um Abschied von dir zu nehmen. Mein Entschluß steht fest! Die wenigen Minuten, die uns bleiben, laß uns von andern Dingen reden! Ich bitte dich!«
Aber die sonst so über alle Maßen anpassungsfähige, empfindsame Margot war in dem Augenblick, da es um sein Leben ging, die verkörperte Energie.
»I Gott bewahre!« rief sie und schlug zur Bekräftigung ihrer Worte mit dem Strick, den sie in der Hand hielt, auf den Tisch. – »Das wäre ja noch schöner, wenn sich von zwei Menschen, die sich lieb haben, der eine umbringen will, und man soll dann in der letzten Viertelstunde womöglich vom Wetter reden.«
»Wozu es sich denn noch schwerer machen,« sagte Erich, »als es an sich schon ist? zumal man doch nichts daran ändern kann!«
Aber Margot fuchtelte mit dem Strick herum und schüttelte den Kopf.
»Lieber Freund!« sagte sie – »ich werde es dir nicht nur schwer, sondern einfach unmöglich machen! Du weißt ja nicht, was du tust! Du fliehst vor dem Ruhm, indem du dich an diesen Strick hier klammerst! Nein, mein Lieber, du bist überreizt; weiter nichts! Schlaf du dich erst einmal gründlich aus, wie du’s von mir her gewöhnt bist! Nachher, da wirst du den Strick hübsch dazu benutzen, um jeden zum Teufel zu jagen, der kommt, um dich noch mal in deiner Arbeit zu stören.«
»Hättest du einen Tag an meiner Seite verbracht,« erwiderte Erich, »du würdest Mitleid mit mir haben, statt mich zu verhöhnen.«
»Du glaubst, ich scherze?« fragte Margot. »Nun, du wirst bald sehen, wie ernst mir ist! Vor deinem Glück bin ich gewichen – ich glaube, ich habe es dir leicht genug gemacht! Vor Dummheiten, mein Freund, aber weiche ich nicht! Davor bewahre ich dich! verlaß dich drauf!«
»Und ich sage dir,« erwiderte Erich mit aller Bestimmtheit: »es ist keine Laune und kein Eigensinn; es ist wirklich die letzte Rettung!«
»Rettung nennst du das? Ein Brennender, der sich ins Wasser stürzt um zu ersaufen?«
»Glaubst du denn, mir fällt es leicht?« fragte Erich. »Schließlich bin ich doch jung und hätte noch manches leisten können.«
»Und unabhängig bist du auch!« ergänzte Margot.
»Ich wollte noch gar nichts sagen, wenn du finanziell von ihm abhängen würdest.«
»Noch ein Jahr weiter in dem Stil,« sagte Erich, »und ich bin ein armer Mann.«
»Was?« rief Margot entsetzt. »Auch das? Und ich denke, du scheffeltest das Geld nur so!«
»Ich?« erwiderte Erich und zog die Schultern hoch, schüttelte den Kopf und sagte: – »er!«
»Und deine Tantiemen?« fragte Margot.
»Reichen kaum für die Konventionalstrafen aus,« erwiderte Erich. »Ich kann nur froh sein, wenn ich am Ende des Jahres nichts draufzahlen muß. Und was ich früher den ganzen Monat über hier verbraucht habe – und wir haben uns gewiß nichts abgehen lassen – das geht jetzt in einer Nacht drauf.« Margot, die jetzt vor dem kleinen Tisch stand, auf dem die Zettel mit Erichs letzten Wünschen lagen, rief plötzlich freudig:
»Erich!«
»Was ist dir?« fragte er erstaunt.
»Ich habe eine Idee!«
»Was?« fragte er.
»Einen Ausweg!« rief sie strahlend.
»Margot! wenn das wäre!«
»Es ist!« bestätigte sie.
»Also?« – drängte er ungeduldig, »ja, so sag es doch!«
Aber Margot schüttelte verschmitzt den Kopf und sagte:
»Nein! fällt mir nicht ein.«
»Was bedeutet das?« fragte er erstaunt. – »Du siehst einen Ausweg und willst ihn mir nicht nennen?«
»Ja, Erich!« rief Margot glücklich, »ich glaub schon, daß dich das wundert – aber sieh mal: diesmal da denke ich eben auch mal an mich!«
»Wenn ich nur ein Wort von alledem verstünde,« sagte er.
»Verstehst du wirklich nicht?« fragte sie zärtlich.
»So sag doch, was du meinst!« drängte Erich.
»Gut! ich will’s dir sagen,« rief sie. »Aber unter einer Bedingung.«
»Nämlich?« fragte er.
»Du darfst dich nie wieder aus einem äußerlichen Grunde von mir trennen – auch dann nicht, wenn ich bereit bin.«
»Margot!« sagte er herzlich, »wie kannst du glauben, daß ich dich jemals wieder gehen ließe! – Wenn ich diesmal einen Ausweg fände, gleich, ob durch dich oder einen andern« – und dabei wurde er feierlich – »dann wirst du meine Frau, Margot!«
»Daran liegt mir nun gar nichts!« erwiderte sie.
»Das möchte ich nicht einmal.«
»Wie?« fragte er erstaunt. – »Du möchtest es nicht?«
»Das ist mir zu offiziell,« sagte sie.
»Was soll das heißen?«
»Nun, ich will, daß du mich lieb hast und bei mir bleibst – weil es eben zu deinem Glück gehört. Nicht aus Zwang oder Pflicht, weil ich deine Frau bin! – Versprich mir das!« Und sie hielt ihm die Hand hin.
Erich schlug sofort ein:
»Mein Wort darauf!«
»Also, dann will ich es dir sagen! – Du mußt ganz einfach tot sein!«
»Was muß ich?« fragte er.
»Das heißt natürlich für ihn!! für Blaczincitsch.« – und da er noch immer nicht verstand, so sagte sie: »Sieh! wenn ich dich hier nicht mehr getroffen hätte und dann auf diese Zettel da gestoßen wäre – ich hätte bestimmt geglaubt, daß du nicht mehr am Leben bist.«
»Und was hättest du getan?« fragte er.
»Das weiß ich im Augenblick nicht – aber ich glaube, ich hätte zuerst diesen Blaczincitsch und hinterher vielleicht auch mich umgebracht.«
»Und du meinst, er wird sich auch . . .?« fragte Erich zögernd.
»Wer?« rief sie. »Blaczincitsch sich umbringen? nein! das glaube ich nicht. – Aber, daß er dich dann noch suchen wird, wenn er glaubt, du bist tot, das bezweifle ich.«
Und Erich war überzeugt.
»Du hast recht!« rief er: »Für den lebenden Merker wäre er bis nach dem Südpol gereist! Für den toten wird er keinen Liter Benzin opfern.«
»Also,« sagte Margot, »wird es nur darauf ankommen, ihn davon zu überzeugen, daß du tot bist.«
»Margot, das ist eine glänzende Idee!« rief Erich.
»Und wir fahren nach den Hebriden oder Fidschiinseln, wo es keine Tees und keine Rennen, keine Ausstellungen und Bälle, keine Premieren und keinen . . .«
»Impresario gibt!« sagten beide aus einem Munde.
»Willst du?« fragte sie freudig.
»Nicht einen Augenblick überleg’ ich’s,« rief Erich. – »Alles lasse ich stehen und liegen« – dabei ging er zum Schreibtisch, »nur meine Manuskripte,« sagte er und stutzte: »Ja, was wird aus denen – und aus all den andern schönen Dingen, die ich mir noch vom Herzen schreiben wollte?«
Margot, die noch immer an dem kleinen Tisch stand, hob einen der beiden Zettel auf und rief übermütig:
»Die gehören laut diesem Testamente mir!«
»Prachtvoll!« sagte Erich.
»Und,« fuhr Margot fort – »werden um mit Blaczincitsch zu sprechen, von mir auf den Mark geworfen, und zwar als deine nachgelassenen Schriften.«
»Margot! du bist ein Juwel!« rief Erich.
»Fünf Minuten vor deinem Tode fällt dir das ein!«
»Es gibt kein sichereres Mittel, um berühmt zu werden, als zu sterben,« sagte Erich. »Ich sehe schon, wie man sich um meinen Nachlaß reißt.«
»Du wirst jedenfalls der Erste sein, der das erlebt!« meinte Margot, umarmte ihn zärtlich und sagte:
»Und ich werde so für dich sorgen und so lieb zu dir sein und dich so in Stimmung halten, daß, so Gott will, bis zu deinem fünfzigsten Sterbetage jährlich ein Band deiner nachgelassenen Schriften erscheinen kann!«
»Nur müssen wir machen,« sagte Erich, »daß wir von hier fortkommen! – Er wird mich längst vermissen und hier zuerst suchen« – dabei nahm er Hut und Mantel und steckte sich stoßweise Manuskripte in die Tasche.
Margot, die inzwischen auf dem kleinen Tisch Ordnung machte, fragte:
»Hast du nicht schnell irgend welches altes Papier, das man verbrennen kann?«
»Hier!« erwiderte Erich – »massenhaft!« und er gab ihr alle möglichen Briefe und Papiere, die er in seinen Taschen nicht unterbringen konnte, und fragte:
»Wozu?«
»Regie! mein Lieber!« erwiderte Margot, nahm es ihm ab, warf es in den Kamin und zündete es an. »Um es möglichst echt zu gestalten,« sagte sie. Dann nahm sie Aschenreste wieder heraus und zerstreute sie im Zimmer umher. »So! – Wenn es gilt etwas vorzutäuschen, sind mir Frauen euch Männern doch überlegen.«
Erich erwiderte:
»Staunenswert! an was du alles denkst!«
»Und nun alle Türen auf!« rief Margot übermütig – »das sieht nach Hast und Unruhe aus! – Richtig, da hätte ich beinahe etwas vergessen: Deine Uhr und Brieftasche bitte!«
»Wozu denn das?« fragte Erich und sah sie verständnislos an.
»Bitte!« drängte sie, nahm aus der Brieftasche alles Papiergeld heraus, tat einen Schein wieder hinein, gab ihm die andern zurück und sagte: – »Wenn einer drin bleibt, genügt’s.« Dann verteilte sie Uhr, Zettel, Stricke und Brieftasche so, daß das Ganze einen unordentlichen und hastigen Eindruck machte, warf schnell noch einen prüfenden Blick darauf und sagte: »So! und nun wird kein Mensch auf den Gedanken kommen, daß du geflohen bist.«
Erich stand grade vor dem Goethebild und rief, als er Margots Anordnungen sah:
»Und da sagst du von den Frauen: ›Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie. Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts‹.«
»Ich bitt’ dich!« drängte Margot, »deklamiere später. Sieh lieber nach, ob das nun alles auch echt aussieht.«
»Fabelhaft!« rief er.
Margot packte den Strick zusammen.
»Daran wirst du festgebunden,« sagte sie ausgelassen, »wenn du wieder zu entlaufen suchst.«
»Glaubst du wirklich, daß das noch einmal geschehen kann?« fragte Erich.
»Bei euch Männern soll man sagen!« erwiderte Margot.
»Nimm nichts mit,« bat Erich, »was mich an die Schreckenszeit meines Ruhms erinnert.«
»Gut, lassen wir ihn hier – er erhöht das Grauen! oder noch besser« – rief sie, griff nach einer Schere und zerschnitt den Strick in viele kleine Teile.
»Was soll denn das nun wieder bedeuten?« fragte Erich.
»Das wirst du gleich sehen,« erwiderte sie, schob ihm ein Stück Papier hin, drückte ihm die Feder in die Hand und sagte:
»Schreibe hierauf: Diese Teile stammen von demselben Strick, an dem ich, Erich Merker, mich erhängt habe. Ich schnitt sie selbst und bestimme sie für die Tombola des Gesindeballs.«
Erich tat ihr den Willen und sagte:
»Du bist ja außer Rand und Band.«
»Ich bin nur froh,« erwiderte sie, »ein immerhin noch brauchbares Menschenleben gerettet zu haben.«
Erich legte seinen Arm um sie und sagte zärtlich: »So reiß dich endlich von dem Anblick meiner irdischen Reste los und komm!« Als sie eben aus der Tür gehen wollten, wurden draußen ganz deutlich langsame, schwere Schritte hörbar. Erich und Margot blieben entsetzt stehen.
»Himmel!« rief Margot – »er!!« Und Erich sank in sich zusammen und sagte:
»Verloren!«
Während beide wie gelähmt vor Schreck dastanden und die Allee hinuntersahen, erkannten sie den blinden Leiermann, der sich schlürfend durch den Kies tastete.
»Gott sei Dank!« atmeten beide auf.
»Bin ich hier recht, beim Herrn Dr. Merker,« fragte der Leiermann.
»Ja!« erwiderte Margot – »wer schickt Sie denn?«
Der Leiermann schüttelte den Kopf.
»Niemand!« sagte er. —«Ich komme von wegen die drei Mark. Wenn Se diesmal nich zahlen, spiel ick den janzen Vormittag vorm Doktor sein Fenster.«
Erich, der schon vergessen hatte, daß er ja nicht mehr unter den Lebenden war, wollte etwas erwidern, aber Margot hielt ihm den Mund zu und sagte:
»Lieber Mann, das wird den Herrn Doktor nicht mehr stören.«
»Na, des wollen wer doch erst mal sehen!« erwiderte der Alte.
»Er hat Ihnen zwanzig Mark hinterlassen,« sagte Margot und ließ sich von Erich ein Goldstück geben.
»Wat hat er?« fragte der Leiermann, der glaubte, sich verhört zu haben.
»Hier sind sie!« sagte Margot und führte das Geldstück dicht an seine Hand.
Und der Leiermann stand wie vor einem Wunder und fragte:
»Ist der Herr denn etwa . . .?«
»Sie sehen, daß er noch an Sie gedacht hat!« erwiderte Margot und steckte ihm das Geldstück in die Hand.
Das vertrocknete Gesicht des alten Mannes bekam etwas Rührendes. Er schüttelte immer wieder den Kopf und konnte gar nicht fassen, daß der Herr Doktor in seiner letzten Stunde noch an ihn gedacht hatte.
»So also hab ich ihn gestört!« sagte er, und dieser Gedanke drückte ihn so stark, daß er gar nicht dazu kam, sich über das Geld zu freuen. An der Tür wandte er sich noch einmal um und sagte:
»Ich wer ihm aber doch die Liebe tun und so oft ich komme, die Ecke um das Haus rum auslassen, wenn er’s nu auch nich mehr hören kann.«
»Im Gegenteil, Alterchen!« rief ihm Margot zu, »wenn Sie ein trauriges Lied auf der Walze haben und sich ihm dankbar erweisen wollen, dann gehen Sie jetzt runter in den Garten und spielen, sobald Sie jemanden kommen hören. Der Alte versprach’s.
Dann nahm sie Erich unter den Arm und ging eiligen Schritts mit ihm hinaus.
Und der Leiermann hielt sein Wort. Er stellte sich dicht vor das Tor auf und leierte, sobald er jemanden kommen hörte, die traurige Walze »von den letzten Rosen« herunter.
Und als Erste kam atemlos eine alte Jungfer. Sie hielt sich die Hände vor die Ohren und stürzte an ihm vorüber in das Haus hinein.
Dazu noch diese entsetzliche Musik, dachte sie, wo so schon alles in mir vor Angst zittert. – Er war heut nacht nicht im Hotel, sagte sie vor sich hin, stellte sich auf die Zehen und sah auf die Veranda. Die Veranda war leer! – Sie lief von einem Zimmer ins andre – nirgends eine Menschenseele! Ich habe seinen Hotelportier bestochen, brabbelte sie vor sich hin, um den Leiermann nicht zu hören, der sie zur Verzweiflung brachte. Der Portier mußte ebensowenig Bescheid wie die Detektivbüros, die ich in Bewegung setzte. Sein Impresario war wie immer besetzt. Aber so viel weiß ich: ist ihm ein Unglück zugestoßen: er war meine letzte Liebe!
Kaum hatte die alte Jungfer das Wort ›Liebe‹ ausgesprochen, da fiel ihr Blick auf den kleinen Tisch, auf dem Brieftasche und Uhr, Stricke und Zettel lagen. Sie schrie laut auf:
»Jetzt, Herz, sei stark!« und fiel dem Backfisch, der eben voller Unruhe und Neugier ins Zimmer trat, in die Arme.
Der Backfisch stand da, hilflos die alte Jungfer im Arm, und las über deren Schulter hinweg die Zettel auf dem kleinen Tisch.
»Großer Gott!« schrie sie – »das war meine erste Liebe!« – und fiel der Prinzessin Elise Marie Theodora, die atemlos hereingewirbelt kam, in die Arme.
Die Prinzessin fing den Backfisch, an dem fest die alte Jungfer lehnte, auf und starrte fassungslos von einer zur andern.
Was mache ich bloß? dachte sie. – Wenn ich mich rühre, schlagen die beide hin. – Dabei versuchte sie vergeblich bis zu dem kleinen Tisch zu sehen, auf dem Brieftasche, Uhr, die Stricke und die Papiere lagen. Und die entsetzliche Musik da draußen machte ihre Verzweiflung vollkommen. – Ich kann doch unmöglich so stehen bleiben! sagte sie sich nach einer Weile, und dachte: wenn wenigstens Eine wieder zu sich käme.
Sie hatte noch nicht zu Ende gedacht, als sie draußen Schritte hörte.
»Gott sei Dank!« rief sie und atmete auf.
Dr. Fürst stürzte herein.
»Ist Erich Merker hier?« fragte er erregt und erschrak, als er die drei Frauen sah, die, wie zusammengewachsen, aneinander lehnten.
»Helfen Sie!« rief die Prinzessin.
»Was ist denn geschehen?« fragte er.
»Ich weiß ja auch nicht!« erwiderte sie und wies mit dem Kopf auf den kleinen Tisch: »Da! lesen Sie – oder lassen Sie mich lieber und halten Sie hier!«
Aber Dr. Fürst stand schon an dem kleinen Tisch.
Leichenblaß fuhr er zurück.
»Was ist?« drängte die Prinzessin – »so reden Sie doch!«
Dr. Fürst ließ den Kopf hängen:
»Er hat sich umgebracht!« sagte er.
»Allmächtiger!« rief die Prinzessin und sank zusammen. Dr. Fürst stürzte auf sie zu und fing sie auf. An ihr lehnten der Backfisch und die alte Jungfer.
Dr. Fürst sah hilflos von einer zur andern. Keine rührte sich, und er selbst, dem der Schreck in den Gliedern saß, drohte unter der Last der drei Frauen zusammenzubrechen.
Draußen fuhr ein Auto vor. Ein Wagenschlag wurde aufgerissen. Jemand lief über den Kies, polterte die Treppen hinauf und stürzte eilig ins Zimmer.
»Gott Lob!« rief Doktor Fürst.
Ohne auf die Gruppe zu achten, stürzte Blaczincitsch mit seiner Witterung auf den kleinen Tisch.
»Ich bin ruiniert!« rief er empört – »eine solche Rücksichtslosigkeit! – Aber so sind die Künstler!« – dann wandte er sich an Doktor Fürst: »Und für ihn habe ich mich aufgeopfert! Aber das war das letzte Mal.« – Er fuhr plötzlich zusammen: »Josef, dir fällt was ein!« rief er – die Farrar ist ja heute in Berlin! mit der muß ich eine Tournee abschließen.«
Er stürzte eilig aus dem Zimmer, kehrte plötzlich um, kam ins Zimmer zurück, nahm mit schnellem Griff die Stricke von dem kleinen Tisch und steckte sie in die Tasche; stürzte heraus, raste die Treppe herunter und lief durch den Park. Draußen wurde ein Wagenschlag aufgerissen und eine Stimme rief:
»Höchste Geschwindigkeit!«
Ein Auto wandte und raste davon.