Kitabı oku: «Teufel Marietta», sayfa 8
Zweites Kapitel
Dichters Leiden
Türen wurden geworfen, Schreibmaschinen knatterten, an verschiedenen Fernsprechern läutete es gleichzeitig, Stimmen von Männern und Frauen surrten durcheinander, Leute kamen und gingen, Boten lieferten Pakete ab, Depeschenboten brachten Eilbriefe und Telegramme, Geld klapperte, Grammophone gröhlten.
Und in all dem Lärm saß an seinem Riesenschreibtisch, der mit Briefen, Telegrammen, Manuskripten, Photographien und Akten übersät war, Blaczincitsch.
Die Hörer zweier Fernsprecher hielt er an den Ohren und bediente sie gleichzeitig. Rechts und links vom Schreibtisch saß je eine Stenotypistin, die nach seinem Diktat schrieb. Vor ihm lag die Post, die der Prokurist ihm hinschob und nach seiner Anweisung mit Bemerkungen versah. Vor dem Schreibtisch standen drei bequeme Sessel. Auf dem einen mimte eine Kinoduse eine Sterbeszene, neben dem zweiten stand eine Sängerin und sang aus der Walküre, auf dem dritten hampelte ein junger Dichter und wartete seit drei Stunden auf den Moment, in dem er bei Josef sein Gesuch anbringen könnte.
Blaczincitsch rief durch den Apparat: ganz ausgeschlossen! – diktierte: inzwischen sehe ich Ihrer telegraphischen Rückäußerung entgegen —, sagte zu der Sängerin: falsch! – rief durch den Apparat: wen? Merker? den können Sie nur durch mich beziehen – diktierte: mache Sie aber drauf aufmerksam – rief durch den Apparat: gewiß! fabelhafte Nachfrage überall her – diktierte: daß ich die beiden Operetten nur gleichzeitig abgebe – sagte zu der Kinodame: Pose! – rief durch den Apparat: sagen Sie Sr. Exzellenz, dem Intendanten, für so’n Nest wie seine Residenz . . . was? ich versteh nicht – diktierte: halte mich bis morgen gebunden und empfehle mich Ihnen – flötete durch den Apparat: ah! Exzellenz selbst! gehorsamsten Diener! . . . gewiß! – diktierte: hochachtungsvoll und ergebenst – rief durch den Apparat: was soll er? 9te Symphonie dirigieren? Merker? ja hören Se mal. . . – diktierte: P.S. Im übrigen empfehle Ihnen zu Propagandazwecken beiliegende Postkartenserie »Erich Merker von der Wiege zum Parnaß« – brüllte den Prokuristen an: Esel! mit der Schmiere sollten Sie jede Geschäftsverbindung abbrechen – flötete durch den Apparat: ja, aber liebste Exzellenz, Merker ist ja gar kein Musiker! Aber nein! das ist ein Irrtum! Merker ist ein Dichter! – sagte zur Sängerin: steif wie ein Stock – rief durch den Apparat: gewiß ist das fatal! Ich hätte das Geschäft auch gern gemacht. – Was meinen Exzellenz? – diktierte: an der Theaterkasse in den Pausen – rief durch den Apparat: gewiß! machen läßt sich schließlich alles, aber so viel ich weiß, ist Merker völlig unmusikalisch und kennt keine Note – wie? ich verstehe Exzellenz nicht – was dürfte es demnach machen? Schwierigkeiten? – das will ich meinen! – sagte zur sterbenden Kinodame: nu kommen Sie schon endlich ab, ich habe meine Zeit nicht gestohlen! – diktierte: wie als Beilage zu den Theaterzetteln – rief durch den Apparat: ach du lieber Himmel! Seine Durchlaucht der Fürst hat Ihren Vorschlag, daß Merker die 9te dirigiert, bereits akzeptiert und ist begeistert? – diktierte: und ließe Ihnen das Tausend zu Mark – das Geschäft auch gern gemacht. – Was meinen Exzellenz sich unmöglich die Blöße geben können und werde alles versuchen, um Merker zu bestimmen – diktierte: 75 Mark 50 koloriert – rief durch den Apparat: aber Exzellenz wissen aus eigener Erfahrung, wie launenhaft oft Dichter sind – diktierte: als Postpaket franko – verbeugte sich durch den Apparat: sehr liebenswürdig, wirklich sehr liebenswürdig! aber teuerste Exzellenz überschätzen mich da wohl – sagte zur Seite: wie werd ich bloß den Trottel von Intendanten los? – fuhr plötzlich zusammen, rief: Josef, dir fällt was ein! lächelte und rief halb in den Apparat hinein: Hier Blaczincitsch. Von wem werde ich verlangt? – telephonisch aus Paris? Ah so! ja aber das geht nicht! ich rede mit Exzellenz – rief in den Apparat: oh, Exzellenz haben gehört? Aber ich bitte, Exzellenz gehen doch vor! Sehr freundlich! gewiß! noch heute! Gehorsamster Diener! Und damit war er die aufdringliche Exzellenz los und hing den Hörer an.
Der Augenblick schien dem jungen Dichter, obgleich die Stimme der Sängerin grade zum stärksten Fortissimo anschwoll und die sterbende Kinoduse noch immer Lebenszeichen von sich gab, günstig. Er beugte sich schüchtern vor und sagte ängstlich:
»Wenn . . . der . . . Herr Direktor . . . vielleicht jetzt . . .«
Und Josef warf einen Blick auf ihn und sagte:
»Ach so! richtig! – Sie sind ja auch noch da!« – diktierte der Dame rechts: »Dringendes Telegramm Frau Anna Sucher, Kgl. Oper, Dresden – reichte dem Prokuristen einen Scheck – wandte sich wieder zum Dichter: »Also, Jünger Apolls, schießen Sie los!«
Und der junge Dichter sagte bescheiden:
»Wenn ich heute ungelegen komme – vielleicht daß ich dann lieber ein ander Mal – ich sehe ja, Herr Direktor sind übermäßig beschäftigt.«
»Günstiger können Sie’s überhaupt nicht treffen,« erwiderte Josef, diktierte: Können Sie Montag den 20. Philharmonie singen? – sagte zum Dichter: so’n ruhiger Vormittag ist für mich ne wahre Erholung – überschrie die Sängerin: Schluß! mäßig! Sie können das Engagement Stettin bekommen. 175 Mark Gage. Wegen des Vertrages Zimmer 7 – rief in den Apparat: Tja? wer? – ach Sie, lieber Dr. Klotz! – sagte zu einem Tippfräulein, das eben an den Schreibtisch trat: was ist denn?«
»Es ist schon wieder eine Dame da, die nach Herrn Merker fragt.«
Blaczincitsch rief in den Apparat: »Selbstverständlich, lieber Klotz, habe ich Ihren Schwank gelesen« – sagte zur Kinoduse, die endlich ausgelitten hatte: »Werden Sie wieder lebendig! Kitschig! Nehmen Se ’n dreimonatlichen Kursus auf Zimmer 15; wöchentlich viermal die Stunde zu 3 Mark 50, sagen Sie dem Abteilungschef Vertragsschema F – sagte zu dem Fräulein: schicken Sie die Dame ins Hotel Adlon.
»Von da kommt sie,« erwiderte das Fräulein.
»Na also!« – rief in den Apparat: was is, lieber Klotz? – flötete in das Haustelephon: Dr. Burg soll schnell mit dem Manuskript Dr. Klotz heraufkommen – rief in den Apparat: mein lieber Doktor, Sie wissen doch, wie sehr ich mich grade für Ihre Arbeiten interessiere – fragte das Fräulein: worauf warten Sie noch?
»Herr Merker war nicht im Hotel,« sagte die Dame.
»Kann ich dafür! bin ich sein Kinderfräulein?«
»Er ist überhaupt seit gestern abend noch nicht nach Hause gekommen,« sagte das Fräulein schüchtern.
Josef lachte und sagte, und zwar versehentlich in den Apparat: der Junge macht sich! – lachte laut in den Apparat: Hah! hah! Sie haben gehört Dr. Klotz. Natürlich waren Sie gemeint! Nehmen Sie’s nicht übel, Doktorchen! – rief wütend zur Stenotypistin: wo bleibt denn dieser Burg? – sagte in den Apparat: ich sprach nämlich grade mit Dr. Burg, der neben mir steht, über Ihren Schwank. Wie? was? ob er mir gefallen hat? ich versteh nicht.« – Dr. Burg kam, Josef brüllte ihn an: »Herr des Himmels! sind Sie endlich da? Ich schwitze hier Angst« – er winkte ihn heran und flüsterte ihm zu: »haben Sie den neuen Schwank von Dr. Klotz schon gelesen?«
Dr. Burg nickte mit dem Kopf.
»Na?« fragte Blaczincitsch.
»Gewiß! – nette Partien – flotte Handlung – ausgezeichnete Witze – aber . . .«
»Was heißt aber?« fragte Blaczincitsch – rief durchs Telephon: Halloh! wir waren getrennt, Doktorchen! sagte zu Dr. Burg: »also:«
»Gewiß!« wiederholte Dr. Burg, »aber wer ist Dr. Klotz – Außenseiter! – wir haben genug von der Sorte!«
»Das mein’ ich auch!« erwiderte Blaczincitsch und rief in den Apparat: »Also, hören Se mal zu, Doktorchen! wie gesagt, Ihr Schwank ist ja recht nett. – Aber worüber ich nicht hinwegkomme: das ist ja eine richtig gehende Handlung – wie? – ne! ne! – Se können mir glauben, das stört und hält unnütz auf. Das Publikum will heutzutage lachen – wie? Ließ sich leider nicht vermeiden, Handlung hineinzubringen? – Ja, das ist eben! na, und dann vor allen Dingen lauter neue Witze, die kein Mensch kennt! – was? das halten Sie für gut? – Ich verstehe Sie gar nicht, wo es doch Tausende der entzückendsten Sächelchen gibt, die bereits Jahre hindurch auf ihre Wirkung hin erprobt sind – wo man also gar kein Risiko läuft – — wie? – Ja, wer sagt Ihnen denn, daß man über Ihre Witze lachen wird? Wozu sich also in Gefahr begeben, wo man’s nicht nötig hat! Ne, hören Se mal, liebes Doktorchen, – was? wie? es is mühsam, sagen Sie, sich alles überallher zusammenzusuchen? Ja, kennen Sie denn mein Schwankarchiv nicht? – nicht möglich! – sagte zu einem Fräulein: dem Herrn Dr. Klotz einen Prospekt – rief in den Apparat: da finden Sie alles. Wir verfügen jetzt über 10000 Motive und anderthalb Millionen erprobter Witze, also das nächste Mal. Guten Morgen, Doktor!« Dann wandte er sich zu dem jungen Dichter und sagte:
»Also nun zu Ihnen, Jünger Apolls, Sie haben also . . .«
In diesem Augenblick kam Erich Merker, nervös, blaß, schmal, übernächtig, im Frack, mit weißer Weste, hohem Hut, zwei exotischen Orden, einer Orchidee im Knopfloch, einem Bleistiftstummel in der Hand, hereingewankt. Er ließ den Kopf ermattet hängen und sagte mit toter Stimme:
»Morjen!«
»Morgen!« erwiderte Blaczincitsch! – »na, ’s lebt sich wohl ganz fidel als berühmter Mann?«
»Scheußlich!« sagte Erich. »Ich bin einfach fertig! – Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten. – Mein Hotel ist belagert! ich muß hier schlafen!« und er wankte zum nächsten Sessel, auf den er kraftlos niederglitt. »Ach du lieber Gott!« seufzte er und schloß, noch immer den Bleistiftstummel in der Hand, die Augen. Als Erich eintrat, war der junge Dichter erregt aufgesprungen und hatte unter fortgesetzten Verbeugungen versucht, sich vorzustellen. Jetzt endlich gelang es ihm. Er verbeugte sich tief und sagte: »Eberhard Köhler.«
Erich öffnete kaum die Augen, winkte ab und sagte im Halbschlaf:
»Bitte nachher! – Sie sehen ja,« und er hob die Hand, die zitterte – »ich kann nicht mehr . . . oder geben Sie her!« – er hob kraftlos den Bleistift – »es kommt auf das eine ja auch nicht mehr an.«
Der junge Dichter sah ihn verständnislos an.
»Ach so. – Sie wollen gar kein Autogramm,« sagte Erich, der wieder munter wurde und reichte ihm mit dankbarem Blick die Hand. »Sie sind mir sehr sympathisch, junger Mann.«
»Wenn ich Ihnen dann vielleicht mein nächstes Werk widmen dürfte!« bat der junge Dichter. Erich überhörte es, hob den Bleistiftstummel hoch und sagte:
»Gestern abend war der so lang!« – dabei beschrieb er die Länge eines viertel Meters – »bis früh um 7 Uhr habe ich auf dem Lette-Fest Autogramme schreiben müssen. Ich kann den Arm nicht rühren« – er versuchte es und schrie laut auf – »wenn ich wenigstens meinen Masseur hier hätte.«
»Du weißt, daß du in einer halben Stunde zum Golf nach Frohnau mußt,« sagte Josef. »Außerdem haben alle möglichen Leute, hauptsächlich natürlich wieder Damen, angerufen. Zwei Fernsprecher und zwei meiner Damen sind den ganzen Tag über ausschließlich für dich tätig. Du wirst also begreifen, wenn ich damit dein Konto belaste.«
»Mach, was du willst,« erwiderte Erich apathisch – »mir ist schon alles vollkommen gleichgültig.«
»Und dann geben Sie dem Herrn Doktor seine Post. Geordnet ist sie doch?«
»Gewiß, Herr Direktor,« sagte eine der Damen und ging hinaus. Sie kam gleich darauf mit Stößen von Briefen bepackt, die sie auf einem Tisch vor Erich aufstapelte, zurück.
»Bitte sehr, Herr Doktor.«
Erich wich unwillkürlich zurück und hielt sich die Nase zu.
»Ich kann das Parfüm am frühen Morgen nicht vertragen,« sagte er.
»Meine Damen haben sich auch schon beschwert,« sagte Josef, »sie bekämen Kopfweh von dem Geruch. Eine fehlt heute wieder. Die Krankengelder zahlst du.«
»Es sind wieder durchweg Liebes- und Bettelbriefe,« sagte das Fräulein; und Erich erwiderte:
»Dann beantworten Sie jeden Liebesbrief mit einem Bettelbrief und schreiben dazu: nach Erfüllung der in beigefügtem Briefe ausgesprochenen Bitte erfolgt Beantwortung Ihrer heutigen Zeilen. Hochachtungsvoll
Erich Merker.«
»Glänzend!« rief Josef, der inzwischen im selben Tempo wie zuvor tausenderlei Geschäfte erledigt und scheinbar gar nicht auf das geachtet hatte, was Erich mit dem Fräulein sprach.
»Was ist glänzend?« fragte Erich.
»Die Idee mit der Beantwortung der Liebesbriefe!« rief Josef. »Erich Merker als Wohltäter! die Notiz geht noch heute an alle Blätter.«
Der Chef der Kinoabteilung stürzte ins Zimmer, und flüsterte Blaczincitsch in das Ohr, an dem grade kein Hörer hing:
»Die Dame mit dem Vermerk dreimonatlicher Unterricht, Vertrag Schema F, also auf drei Jahre, dreitausend, viertausend, sechstausend Mark, ist ein Genie, an dem nichts mehr auszubilden ist.«
»Idiot!« platzte Josef heraus, »haben Sie ihr das etwa gesagt?«
»Noch nicht!« erwiderte der.
»Ihr Glück! Meinen Sie, ich mach solchen Vertrag, wenn ich das nicht müßte? Sie ist heut schon zwölf Mille wert und wird’s bleiben, wenn Sie se nich ruinieren in den drei Monaten. Wenn wir sie dann mit der nötigen Reklame rausbringen, können wir an unsre Kinoschule ’ne Etage anbauen. – Was?« rief er durchs Telephon – »fünftausend Mark wollen Sie zahlen, wenn Sie Ihre neue Zigarette ›Erich Merker‹ nennen dürfen? Lieber Freund, da müssen Se früher aufstehen. Ich hab bereits mit der Konkurrenz für das Dreifache abgeschlossen.« – Plötzlich fuhr er zusammen, rief: Josef, dir fällt was ein! und sagte zu dem Fräulein: »Schreiben Sie: An Herrn Rennstallbesitzer Schmiedel! Gestüt Marsdorf, Mark. Da der Termin heranrückt, an dem Sie Ihren Jährlingen Namen zu geben pflegen, so erlaube ich mir, Ihnen den Vorschlag zu unterbreiten, einen Ihrer vielversprechenden Hengste nach unserem neuentdeckten Dichter »Erich Merker« zu taufen. Die gesamte Sportwelt würde das sicherlich als eine besonders glückliche Wahl begrüßen. Da ich sämtliche Rechte des gottbegnadeten Dichters zu vergeben habe, so bitte ich Sie, sich zwecks Verständigung über die Bedingungen an mich zu wenden. In vorzüglicher Hochachtung . . .«
»Was sagst du zu der Idee?« wandte er sich an Erich, der nur mit Mühe noch die Augen offen hielt.
»Und wenn du morgen eine Klistierspritze nach mir benennst – ich wundre mich über nichts mehr!« erwiderte der.
»Nicht für hunderttausend Mark beginge ich die Geschmacklosigkeit,« versicherte Josef, worauf Erich sagte:
»Na, dann bin ich beruhigt!« —
Einer der wenigen Besucher, die vorgelassen wurden, war Direktor Lenz vom Neuen Theater.
»Gut, daß Sie kommen,« sagte Erich und mühte sich vergeblich, aus seinem Sessel hochzukommen – »denken Sie, ich kann heute nicht zur Probe kommen, Blaczincitsch will durchaus, daß ich zum Polo nach Frohnau fahre, obgleich mir der Blödsinn auf die Nerven geht.«
»Haben Sie Worte?« rief Josef. »Nu urteilen Sie selbst: Was glauben Sie, wo seine Gegenwart nötiger ist? In Frohnau, wo ihn ganz Berlin in dem grauen Zylinder und dem neuen Sommergehrock, den ich ihm habe bauen lassen, bestaunt, oder auf Ihrer Probe, wo er nur im Wege steht.«
»Offen gestanden,« erwiderte Direktor Lenz, »mir ist lieber, Sie fahren nach Frohnau.«
Erich, der seinen Ohren nicht traute, rief:
»Was? das sagen Sie, Direktor?«
»Da hörst du’s!« triumphierte Josef. »Auf mich kannst du dich schon verlassen,« und Lenz, der Direktor, erwiderte:
»Nun ja, seien wir doch ehrlich, machen wir uns doch nichts vor . . .«
»Wenigstens solange wir unter uns sind,« unterbrach ihn Blaczincitsch.
Und Direktor Lenz fuhr fort:
»Hätten wir Ihren Odysseus so herausgebracht, wie Ihr Manuskript es vorschreibt, ich versichere Sie, es wäre nicht der halbe Erfolg geworden.«
»Kassenerfolg!« rief Erich – »das glaube ich gern; aber künstlerisch . . .«
»I was! lassen Sie doch die feinen Unterschiede beiseite!« fiel ihm der Direktor ins Wort.
Und Erich, der auf Grund der Erfahrungen, die er auf den Proben zum Odysseus gemacht hatte, nicht den Wunsch verspürte, dies Thema fortzusetzen, beschränkte sich auf die Bitte:
»So versprechen Sie mir, daß Sie sich wenigstens diesmal beim Ganymed an meine Regiebemerkungen halten werden.«
»Das ist unmöglich,« erwiderte der Direktor und setzte Erich, dessen Gesicht lang und länger wurde, ausführlich auseinander, daß er, der Dichter, das Stück überhaupt ganz falsch verstanden habe.
Und als Erich schließlich niedergedrückt und entmutigt ausrief:
»So habe ich es mir allerdings nicht gedacht!« da sah Josef, der längst wieder mitten in der Arbeit saß, von seinem Schreibtisch auf und sagte:
»Sieh’ste! also bedank dich beim Herrn Direktor für die Mühe, die er sich mit deinen Stücken gibt.«
»Sie müssen ans Publikum denken, lieber Doktor,« sagte der Direktor, wenn Sie Stücke schreiben. Nicht darauf kommt es an, wie Sie in Ihrem verehrten Dichterschädel sich die Pointen, ich meine damit die Entwicklung, denken, Sie müssen sich bei jeder entscheidenden Stelle vielmehr fragen: was erwartet das Publikum? Sehen Sie, und der Instinkt hierfür, der fehlt Ihnen noch. Ich gebe zu, daß sich das nicht von heute auf morgen erlernen. läßt. Aber mit einigem guten Willen werden Sie schon hinter die Schliche kommen. Wenn Sie sich zu Ihrem angeborenen Talent noch die notwendige Routine erwerben, kann aus Ihnen etwas ganz Großes werden.«
Erich war es, als wenn jemand auf seinem künstlerischen Gewissen herumhackte. Am liebsten hätte er den Ganymed auf der Stelle zurückgezogen. Aber das ging ja nicht. Denn das Stück gehörte längst nicht mehr ihm. Es war Eigentum dieses Blaczincitsch, der ›auf das Stück rauf‹, wie er sich ausdrückte, schon Unsummen für Reisen und Reklame verausgabt hatte. Zudem war Erich so matt, daß er sich nur mit Mühe aufrecht halten konnte. Er beschränkte sich daher auf die Erwiderung:
»Dann schreiben Sie vielleicht von jetzt ab meine Stücke, Herr Direktor.«
Josef sah wieder auf:
»Wie wohl wär’ uns,« sagte er, »wenn wir für solche Dinge Zeit übrig hätten, was, Direktor?«
»Na,« erwiderte Lenz, »man erzählt sich doch, daß Sie jetzt in Ihrem Betriebe eine richtiggehende Operettenfabrik haben.«
»Ich bitt Sie,« wehrte Blaczincitsch ab, »wie können Sie das mit Ihrer Kunst vergleichen? Wir fertigen aus alten Operetten neue an. Das ist eine rein manuelle Scherenangelegenheit. Gewöhnlich geben sechs alte eine neue. Es ist aber auch schon vorgekommen, daß auf eine neue ein Dutzend alter draufgegangen ist. Das tun wir aber nur, wenn man an den Autor, unter dessen Namen die Operette erscheint, von vornherein besondere Erwartungen knüpft. In solchen Fällen liefern wir Musik und Texte, bei denen selbst die ältesten und ausgekochtesten Kritiker kaum noch eine Reminiszenz herausspüren.«
Erichs Widerstandskraft war gebrochen. Diese Unterhaltung hatte ihm den Rest gegeben. Als Lenz ging, setzte er sich auf das Sofa, das halb durch einen Schirm verdeckt am andern Ende des Zimmers stand, kehrte das Gesicht zur Wand und schloß die Augen.
Die Telephone klingelten, Depeschenboten brachten Telegramme, Maschinen knatterten, die drei Sessel vor dem Schreibtisch waren wieder besetzt, aus allen Nebenräumen, deren Türen teilweis offen standen, drang der Lärm in Josefs Zimmer.
Dessenungeachtet schlief Erich, den noch vor drei Wochen das Summen einer Fliege aus dem tiefsten Schlaf gerissen hätte, im Frack, den Zylinder in der Hand, im Sitzen ein.
Ein Fräulein meldete:
»Die Damen, die Herrn Merkers wegen kamen, warten noch immer.«
»Was will das sagen?« erwiderte Blaczincitsch und sah nach der Uhr. »Sitzen Sie zwei Stunden, ohne daß Ihnen die Zeit lang wird, werden Sie auch noch ’ne halbe Stunde länger sitzen.«
Der junge Dichter, der noch immer vor dem Schreibtisch saß und mit gespannten Nerven einen günstigen Augenblick abwartete, sagte schüchtern zu Josef:
»Herr Direktor, ich glaube, der Herr Merker ist eingeschlafen.«
Josef, der den schnarchenden Erich längst in sein geschäftliches Kalkül gezogen hatte, erwiderte:
»Gradezu bewundernswert, Ihre Beobachtungsgabe!« Und der junge Dichter, der den Spott nicht fühlte, wurde rot, verbeugte sich und sagte:
»Oh!«
»Was haben Sie noch?« fragte Josef das Fräulein. das der wartenden Damen wegen gekommen war und jetzt keinen Blick von Erich ließ.
»Gestatten Sie, Herr Direktor, daß ich Herrn Merker auf die Chaiselongue lege.«
Und Blaczincitsch sagte: »Ja!« und hatte dafür seine Gründe.
Ein Herr wünschte Blaczincitsch dringend zu sprechen. Josef warf einen Blick auf die Karte, wandte sich zu dem Dichter und sagte:
»Nicht wahr, Ihre Angelegenheit hat noch einen kleinen Augenblick Zeit!«
Und der junge Dichter verbeugte sich und sagte:
»Selbstverständlich! Herr Direktor.«
Und steif, förmlich und selbstbewußt trat ein eleganter Herr ins Zimmer, verbeugte sich kurz, knapp und stellte sich vor:
»Rittergutsbesitzer von Ottingen.«
Josef telephonierte und diktierte weiter, sah flüchtig zu ihm auf und sagte:
»Weiß schon.«
»Wie bitte?« fragte von Ottingen.
»Ihre Karte liegt vor mir,« erwiderte Josef und wies mit dem Kopf auf einen Sessel, rief durchs Telephon: »schreiben Sie, wir würden uns erlauben, den Betrag einzuziehen« – wandte sich wieder an den Herrn, der noch immer stand und sagte:
»Bitte! – Sie sehen doch, ich habe alle Hände voll, aber ich höre.«
Von Ottingen trat dicht an den Schreibtisch heran, verbeugte sich abermals vor Josef und sagte steif:
»Rittergutsbesitzer von Ottingen.«
»Ja doch!« erwiderte Josef ärgerlich – und durch das Telephon rief er: »er soll das Manuskript abliefern!« – hing einen Hörer an, wandte sich an Ottingen und sagte: »Ich bitte Sie, liebster Herr, da stehen doch noch genügend leere Sessel!«
Der junge Dichter, der schon, als Ottingen sich das erste Mal vorgestellt hatte, aufgesprungen war, sich verbeugt und seinen Namen genannt hatte, versuchte jetzt, zwischen Ottingen und Blaczincitsch zu vermitteln.
»Also bitte!« drängte Josef Herrn von Ottingen und sagte zu dem jungen Dichter: »Liebster Jünger Apolls, tun Sie mir die einzige Liebe und hampeln Sie nicht so viel herum, sondern bleiben Sie auf Ihrem Platz sitzen – Wenn ich Ihnen schon den halben Vormittag opfere . . .«
Der junge Dichter setzte sich verlegen und sagte:
»Ich komme ja nur wegen meines . . .«
»Darüber werden wir uns nachher noch unterhalten,« fiel ihm Josef ins Wort – wandte sich wieder zu von Ottingen, der dauernd durch Räuspern die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken suchte, und sagte:
»Also!«
»Ich bitte, mein Hiersein zunächst inoffiziell zu betrachten.«
»Das verstehe ich nicht,« erwiderte Josef.
»So will ich’s Ihnen erklären.«
»Nein, danke!« wehrte Josef ab – »das nimmt nur Zeit in Anspruch; – also wenn Sie wünschen: Gut! inoffiziell.«
Von Ottingen wies auf den jungen Dichter:
»Ich möchte ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen . . .«
»Bitte!« sagte Josef.
»Ich meine unter vier Augen,« wiederholte von Ottingen. – »Sie verstehen – es wäre mir lieb« – und dabei wies er abermals auf den Dichter und die Stenotypistin, die neben Josef saß – »wenn die Herrschaften auf ein paar Minuten . . .«
»Aber ich bitt Sie, lieber Ottingen« – der Baron fuhr entsetzt zusammen – »machen Sie doch nicht so fürchterliche Umstände und stellen Sie nicht meinen ganzen Betrieb auf den Kopf!« sagte Josef. »Das Fräulein sitzt da auf dem Platz seit drei Jahren und bekommt den ganzen Tag über so viel zu hören, daß sie von zwölf Uhr mittags ab überhaupt nichts mehr auseinanderhalten kann – nich mal de Post!« – dabei wandte er sich an das Fräulein und sagte:
»Gestern haben Se wieder zwei Auslandsbriefe mit zehn Pfennigen frankiert.«
Das Fräulein errötete, während von Ottingen, der bereit war, sich mit der Stenotypistin abzufinden, zum dritten Male auf den jungen Dichter wies.
»Aber der Herr da . . .« sagte er.
»Ich bitt Sie!« erwiderte Josef, »das is doch’n reizender Mensch! er hat sich Ihnen doch selbst vorgestellt!« – Das Telephon klingelte. Blaczincitsch rief in den Apparat: »Tja? – ne! ne!« und hängte ab. Und zu von Ottingen sagte er: »Ich weiß gar nicht, was Sie gegen den jungen Mann haben; also bitte, schießen Se los!«
»Ich bin Rittmeister der Reserve im Husarenregiment Nr. 19,« begann von Ottingen so reserviert wie möglich – »sozusagen also ’n Regimentskamerad und Vorgesetzter des Oberleutnants der Reserve Erich Merker.«
Blaczincitsch fuhr zusammen und rief: »Josef, dir fällt was ein!«
»Was ist?« fragte von Ottingen erschreckt.
»Nichts!« erwiderte Josef und rief in den Hausapparat: »reklamieren Sie sofort im Chemnitzer Stadttheater den Reservefond vom letzten Waldengastspiel!« – und zu Ottingen sagte er: »Fahren Sie fort!«
Von Ottingen beherrschte sich und sagte:
»Ich und die andern Herren Offiziere, wir fühlen uns nämlich beschwert von der lauten, sozusagen gradezu lärmenden Art und Weise, in der für unsern Regimentskameraden, den Oberleutnant der Reserve Merker, in den Blättern, an den Säulen und auch sonst überall die Reklametrommel gerührt wird.«
Josef setzte sich in Positur:
»Hören Sie, bester Freund . . .« sagte er.
Ottingen zuckte zusammen:
»Von Ottingen,« sagte er schneidend – »Rittergutsbesitzer von Ottingen.«
»Seien Se doch nicht so entsetzlich umständlich!« erwiderte Josef. – »Also, was Sie mir da sagen, das interessiert mich natürlich ungeheuer! Denken Sie, davon hat mir der gute Junge bis heute keine Silbe erzählt! Also Offizier ist er! und noch dazu Husar!«
»Ja!« sagte von Ottingen und schien befriedigt, daß Blaczincitsch ihn so schnell begriff. »Sie werden einsehen, das verträgt sich nicht miteinander. Ehe also vom Regiment aus Schritte unternommen werden – und das geschieht, – wenn es so fortgeht, dafür lasse ich meinen Kopf – wollen wir, seine Kameraden, versuchen . . .«
»Haben Sie kein Bild von ihm?« unterbrach ihn Blaczincitsch, der sich während der Rede Ottingens dauernd Notizen machte, Anweisungen gab und Schecks und Briefe, die man ihm vorlegte, unterschrieb.
»Bild?« fragte Ottingen und sah ihn erstaunt an.
»Ja!« sagte Josef, »in Uniform natürlich! —
»Es kann auch’n Gruppenbild sein.«
»Ich verstehe gar nicht . . .«
»Also denn nicht!« schnitt Blaczincitsch die Frage ab – »Na, dann, Fräulein, geben Sie mir mal schnell! Amt Kurfürst 1118!« – und zu Ottingen sagte er: »Rücksichtslos ist unser Freund Erich, das muß man schon sagen.«
»Mir aus der Seele gesprochen,« stimmte Ottingen zu.
»Mir zu verbergen,« fuhr Josef fort, »daß er Reserveoffizier bei den Husaren ist! Wo er von meiner Postkartenserie wußte und am Gewinn sogar beteiligt ist – Sie kennen sie doch?«
»Leider ja!« erwiderte Ottingen.
»Die Serie muß natürlich sofort ergänzt werden,« sagte Josef.
»Was?« rief Ottingen.
»Das eine Babybild fällt fort und dafür kommt der Reiteroffizier Erich Merker – zu Pferde natürlich – fabelhaft wird das wirken und den Absatz heben.«
»Ich begreife nicht,« sagte von Ottingen empört – »wo ich doch grade hier bin, um . . .«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen,« erwiderte Blaczincitsch, »wie dankbar ich Ihnen bin.« —
Von Ottingen sprang auf und sagte wütend:
»Ich habe mit Ihnen nichts weiter zu verhandeln.« – Dann ging er ohne sich zu verabschieden – nur der junge Dichter sprang auf und verbeugte sich – erregt aus dem Zimmer.
»Was sagen Sie dazu?« fragte Josef den jungen Dichter – »da müht man sich von früh bis spät ab, um einen deutschen Dichter durchzusetzen, und dann kommt so ein Mensch, der wahrscheinlich sein Lebtag keine Hand gerührt hat, um mir zu sagen, wie ich meine Geschäfte zu führen habe.«
Der junge Dichter war verlegen.
»Nach einer gewissen Richtung . . .« – brachte er zaghaft vor – »scheint es mir, als ob der Herr nicht ganz unrecht hätte. Aber ich will doch lieber von meinen Dingen sprechen . . .« Das Telephon klingelte.
Blaczincitsch nahm den Hörer, »Tschja?« rief er in den Apparat und sagte zu dem Dichter:
»Bitte reden Sie nur weiter!«
»Der Grund, aus dem ich . . .«
»Was ich dafür zahle?« rief Josef durchs Telephon und sagte zu dem Dichter: »Ja, so reden Sie doch!« – aber ehe der noch etwas sagen konnte, rief er schon wieder in den Apparat: »für einen Mann mit großer Zukunft?«
»Ich glaube zwar kaum, daß Sie sich noch erinnern,« sagte der Dichter.
»Aber natürlich erinnere ich mich,« erwiderte Josef, der nicht einmal wußte, woran er sich erinnern sollte.
Der junge Dichter aber strahlte:
»Oh, das ist mehr als ich erwartet hatte!« rief er beglückt.
»Was tue ich mit einer großen Zukunft?« rief Josef in den Apparat. »Mit ’ner bösen Vergangenheit läßt sich unter Umständen mehr anfangen« – und hing an.
Das Fräulein meldete: »Dr. Fürst.«
Josef sagte: »Ich lasse bitten,« wandte sich an den Dichter und sagte:
»Ihnen eilt es ja wohl nicht übermäßig.«
»Übermäßig grade nicht,« erwiderte der, »wenngleich ich . . .«
»Also!« unterbrach ihn Josef, und im selben Augenblick trat Dr. Fürst auch schon ins Zimmer.
»Sie wollen wissen, wo Dr. Merker ist,« empfing ihn Josef.
»Geraten!« erwiderte Dr. Fürst. »Es ist die höchste Zeit, daß wir nach Frohnau kommen; also wo steckt er?«
Josef zog die Schultern in die Höhe.
»Weiß ich armer Verleger, wo meine Dichter mein Geld durchbringen? Ich weiß nur so viel, er ist seit gestern abend noch nicht nach Haus gekommen.«
Und den jungen Dichter, der im Gegensatz zu dem gut geschulten Personal ganz aufgeregt war und immerfort auf das Sofa weisen wollte, auf dem Erich lag und schnarchte, brachte er durch Blicke und Zwischenrufe in kritischen Momenten immer wieder zum Schweigen.
»Dumm ist das!« sagte Dr. Fürst, »ich habe überall verbreiten lassen, daß Merker bestimmt draußen ist. Des Spiels wegen kommt doch kein Mensch heraus. Haben Sie denn gar keine andre Attraktion?«
»Was wollen Sie anlegen?« fragte Josef.
»Das kommt drauf an,« erwiderte Fürst.
»Im letzten Augenblick wird sich das überhaupt schwer machen lassen,« meinte Josef. »Aber ich will sehen, was ich tun kann.« – Er ließ sich mit dem Chef der Abteilung: ›Attraktionen‹ verbinden und instruierte den: »Wie? wen meinen Sie? – Aus dem letzten Sensationsprozeß? die weibliche Angeklagte? – Sie! das ist eine glänzende Idee! die ist allein fünftausend Mark wert. Stellen Sie Auto, Begleitung, alles zur Verfügung. Und dann, ein paar Leute, die draußen geschickt, aber auffällig auf die Sensation aufmerksam machen. – Gut!« sagte er und hängte ab. Dann wandte er sich wieder zu Dr. Fürst und sagte: »Also, Doktor, ich habe einen vollwertigen Ersatz für Erich Merker.«
»Wen?« fragte der.
»Die schöne Luise Höhne! – was sagen Sie nu?«