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Kitabı oku: «Wie Satan starb », sayfa 16

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»Und was, sagten Sie zuvor, halten Sie von diesen Briefen?« fragte Peter, der nur schwer seine starke Erregung verbarg.

»Nichts!« erwiderte der Direktor. »Irgend so eine verrückte Person aus der Berliner Gesellschaft, die sich einen interessanten Gesprächsstoff für die Abendgesellschaften zu verschaffen sucht. Es fehlt nur noch, daß man sich die Verbrecher zu den Diners ausleiht und sie als besondere Attraktion nach dem Dessert herumreicht. Ich glaube, die Damen unserer Gesellschaft würden sich darum reißen, nach einem fetten Diner mit einem Raubmörder, der frisch aus der Zelle kommt, einen Twosteep zu tanzen. Das Gruseln ist ja wohl die einzige Perversität, die den Kreisen noch fehlt.«

»Nein! Wie Sie die Gesellschaft durchschauen!« erwiderte Lux animiert. »Wenn ich an meine Kreise denke, so glaube ich fast, Sie haben recht.«

»Möglich,« sagte Peter nicht eben freundlich. »Aber dies hier ist dann eben eine Ausnahme.«

»Kaum,« erwiderte der Direktor.

»Verlassen Sie sich drauf. Dieser Frau ist es ernst.«

Lux und der Direktor sahen auf.

»Kennst du sie etwa?« fragte Lux.

»Ja!«

»Nicht möglich!« rief der Direktor.

»Und weil ich sie kenne,« fuhr Peter mit starker Betonung fort, »darum eben weiß ich, daß es ihr ernst ist: Um meinet – und um der ganzen Menschheit willen.«

Lux stürzte auf ihn zu:

»Doch nicht etwa . . .?«

Peter nickte, und im gleichen Tone sagten beide:

»Margot Rosen.«

XXII

In der elenden Mansardenstube, die an die Küche stieß, saß der alte Linke und hielt den kleinen Kurt im Arm.

»Weißt du, mein Goldengelchen, daß du heute vier Jahre alt wirst?«

In das wachsbleiche Gesichtchen schien für Augenblicke das Leben wiederzukehren. Mühsam hoben sich die Lider und zwei glanzlos müde Augen sahen zu dem Alten auf.

»Ja, Großvater – ich weiß.«

»Sieh einmal an, was für ein kluges Kind du bist; weiß, daß es Geburtstag hat. Und dabei macht es nicht einmal ein freundliches Gesicht, wie andre Kinder, wenn sie Geburtstag haben.«

Das Kind schloß die Augen wieder, und der Alte dachte: »Andre Kinder! Freilich, die mögen auch Grund zur Fröhlichkeit haben.« – Dann sah er auf das blasse Kind in seinem Arm, streichelte es zärtlich und hauchte: »Armer Bub!« – Er hatte das Gefühl, als wenn das Kind zusammenzuckte.

»Schläft’s?« rief eine Frauenstimme von der Küche her.

»Weder schläft’s, noch ist es wach,« erwiderte der Alte. »Es ist immer das gleiche. Er ist zu schwach, um sich wachzuhalten, und nicht müde genug, um einzuschlafen.«

Aus der Küche kam die Frau des Alten, der man, wie auch ihm, trotz der armseligen Kleidung, die ehemals besseren Zeiten ansah. Kummervoll sah er sie an und wies auf das Kind, das ihm schlapp wie ein Lappen im Arm lag.

»Keine Kraft mehr!« stöhnte der Alte.

»Laß nur!« beruhigte ihn seine Frau. »Wenn wir erst mal wieder ein bißchen Milch und Fett haben, bringen wir’s schon hoch.«

»Milch! Fett!«  wiederholte der Alte erregt. »Wo haben wir’s schon? Niemand von uns hat es. Gehe die Straßen ab, sieh dir die Kinder an. Und die Mütter dazu. Nicht auf den Beinen halten können sie sich, die armen Würmer. Ein Windstoß, eine Erkältung, das geringste Fieber wirft die kraftlosen Geschöpfe um, und sie verrecken unter den Augen ihrer Mütter, die, selbst vor Hunger entkräftet, dabei stehen und nicht helfen können.«

»Geduld! Geduld!« mahnte die Alte. »Es wird auch mal wieder besser werden.«

»Wenn die Fettnäpfe bei denen da oben zur Neige gehen, dann vielleicht. Eher nicht. – Aber dann ist’s zu spät. Bis dahin verkommen wir. Was nicht draußen fällt, das krepiert hier. Für Kaiser und Reich! Warum bemüht sich der allergnädigste Kaiser und Herr, der gütige Landesvater, nicht einmal zu uns und überzeugt sich, wie herrlich es seinem ihm anvertrauten Volke geht? Weil ihm die getrüffelten Poularden in das weitaufgerissene Maul fliegen; dies blöde Maul, das soviel Unheil über die Welt gebracht hat.«

»Mann! Mann!« rief die Alte entsetzt. »Wenn dich jemand hört, sperren sie dich ein. Mach dich und uns nicht unglücklich.«

Der Alte lachte laut auf, daß das Kind entsetzt die Augen aufschlug und sich mit den knochigen Armen ängstlich an den Alten klammerte.

»Unglücklich machen!« wiederholte er mit gellender Stimme. »Wen? – Dich? mich? Die Grete, unser armes Kind, das sie, wer weiß wo, aus dem Rinnstein aufgelesen haben? Oder unsern Jungen, den sie ins Zuchthaus sperrten und da um den Rest seines Verstandes bringen? Hast du Furcht, ich könnte einen von ihnen unglücklich machen? – Oder am Ende gar dies sogenannte Menschenkind, den armen Buben den uns die Grete hinterlassen hat? – Was? wie?« – Er schüttelte das Kind. – »Hängt da ein Glück daran, das zugrunde ginge, wenn sie mich einsperren?« – Er lachte wieder laut auf. – »Wir sind eine glückliche Familie, was, Alte?«

Die Alte nahm ihm das Kind, das mit schwacher Stimme wimmerte, aus dem Arm.

»Nein, so ein Mann!« schalt sie. »Das arme Kind so zu erschrecken. Und noch dazu heute, wo es seinen Geburtstag hat.«

»Nicht einmal schreien kann’s, so schwach ist es. – Aber wie dem Kinde, so geht’s uns allen, den Millionen Unterdrückten. Die Mütter haben keine Tränen mehr, auch der Schmerz kann sich erschöpfen. Und uns Männern hat man die Kraft systematisch aus dem Körper gesogen. Und mit der Kraft wurde auch unser Wille gebrochen. Eine Schande ist’s. Eine ewige Schande!«

»Mit dem Schimpfen ist es nicht getan,« erwiderte die Alte. »Und das sage ich dir, kommt das Fräulein heut wieder, so spar dir deine politischen Reden und nimm, was man dir gibt.«

Der Alte richtete sich auf.

»Habe ich je in meinem Leben von jemandem etwas genommen?« fragte er stolz.

»Ja, bist du toll?« rief die Alte. »Wovon leben wir denn, seitdem sie uns den Jungen weggeholt haben und die Grete aus dem Hause ist?«

»Leben? Leben? Nennst du das ein Leben? Trockenes Brot und ein Stück ranziges Fett, und nicht einmal so viel, daß es den Hunger stillt. Zu Skeletten sind wir abgemagert – das nennst du leben?«

»Aber ohne die fünfzig Mark . . .«

»Schweig!« befahl der Alte.

»Ich red; genau wie du. Warum unser Leben schlechter machen als es ist. Haben wir’s nicht warm?«

»Ich frier.«

»Heut ist der Letzte. Aber morgen, du wirst sehen, da kommt, wie an jedem Ersten, wieder das Geld. Es gibt noch gute Menschen.«

»Gute Menschen!« rief der Alte und lachte höhnisch auf.

»Menschen, die das Volk aussaugen und, um ihr Gewissen zu beruhigen, einen Dreck opfern.«

»Du bist undankbar.«

»Und sich dann als Wohltäter aufspielen.«

»Das ist doch nur so eine Idee von der, daß das Geld von deinem ehemaligen reichen Freunde Feller kommt.«

»Von ihm oder von einem andern. Sie haben mich in den Dreck gebracht, die lieben Freunde, und zehn Jahre lang darin sitzen lassen, ohne sich um uns zu kümmern. Der Teufel weiß, warum sie sich plötzlich bemühn. Das gute Gewissen ist es bestimmt nicht.«

»Das ist doch nur so deine Idee. Das Geld kommt vielleicht ganz wo anders her.«

»Von wo soll es herkommen? Jeder andre würde sich damit spreizen und seinen Namen nennen. – Aber ich nehm es nicht! Verstanden? Und ich verbiete auch dir, es zu nehmen. So oder so. Zugrunde gehen wir doch. Der Brief geht zurück. Uneröffnet. Mag die Post sehen, wem sie es wieder zustellt.«

»Und das Kind soll frieren?« fragte die Alte und wies auf den Kleinen, den sie vor sich auf ein Stück Möbel gesetzt hatte, das an einen Schaukelstuhl erinnerte.

»Freilich, das Kind,« sagte der Alte zögernd. »Das sind wir unserer Grete wohl schuldig. Also denn, solange das Kind lebt . . .«

»Das Kind wird leben!« fiel ihm die Alte ins Wort. »Und wenn ich mir das Fleisch aus dem Körper schneide.«

»So weit sind wir ja bald,« sagte der Alte.

Draußen klopfte wer.

»Herein!« rief der Alte, und auf der Schwelle stand, einfach und geschmackvoll angezogen – Margot Rosen.

Die alte Linke stürzte ihr entgegen und fragte erregt:

»Haben Sie etwas erfahren?«

Margot schüttelte den Kopf.

»Leider nicht. Aber die Recherchen sind noch im Gange.«

Die Alte zog eine Photographie aus der Tasche, fuhr mit der Schürze darüber, warf schnell einen liebevollen Blick darauf und reichte sie Margot:

»Sehen Sie, Fräulein, diese Photographie habe ich noch unter allem möglichen Kram meiner Tochter gefunden. So sah sie aus, ehe sie diesem Lumpen von Posch ins Garn ging. – War sie nicht schön? – Vielleicht erleichtert das die Nachforschungen.«

»Sie dürfen sich nicht zu viel Hoffnungen machen, liebe Frau,« sagte Margot. »Sehen Sie, das Wahrscheinliche ist doch, daß sie irgendwo unter einem anderen Namen untergetaucht ist, arbeitet und Vergessenheit sucht.«

»Eine Mutter vergißt ihr Kind nicht,« erwiderte die Alte.

»Vergessen Sie nicht, das Kind ist von einem Manne, der sie durch Alkohol sich gefügig machte, mit andern Worten: der sie vergewaltigt hat.«

»Man merkt, Sie waren nie Mutter,« entgegnete Frau Linke. »Sonst wüßten Sie, daß man nicht durch den Mann, von dem man es empfängt, mit seinem Kinde verwächst, sondern durch die Gefühle, mit denen man es, ehe es zur Welt kommt, in sich trägt.«

»Gewiß! Das glaube ich. Aber vergessen Sie nicht, daß Ihre Tochter das Kind gleich nach der Geburt verlassen hat.« Der Alten traten Tränen in die Augen.

»Vier Jahre sind es heute!« – Sie zog ein völlig zerknittertes und beschmutztes Stück Papier hervor, entfaltete es und sagte mit schluchzender Stimme: »Seit vier Jahren studiere ich nun jeden Morgen und jeden Abend an diesem Brief, den sie uns hinterließ, klammere mich an jedes Wort und suche darin die Hoffnung, daß sie wiederkehrt.«

Sie reichte Margot den Zettel. Margot las.

»Gute Eltern! Namenlose Scham treibt mich aus dem Hause. Uebertragt alle Eure Liebe, die mir gehörte, auf dies schuldlose, arme Wesen. Schützt es vor Kränkungen und sorgt, daß es ein rechtschaffener Mensch wird. Ich will, da mir der Mut zum Sterben fehlt, arbeiten und Euch, deren ich nicht würdig bin, vergessen. Lebt wohl!

Euer unglückliches Kind.«

Es muß ihr nicht gut gehen, dachte Margot, sonst wäre sie wohl zurückgekehrt. Aber sie sprach es nicht aus.

»Ich glaube immer, sie ist nicht mehr am Leben,« sagte der Alte. »Denn vier Jahre ohne uns, das hätte sie nie ausgehalten.«

»Geben Sie die Hoffnung nicht auf,« suchte Margot die Alten zu trösten. »Man muß hoffen, solange man lebt.«

»Sie haben recht,« sagte der Alte, »denn es ist schließlich das einzige, was einem noch bleibt.«

Jetzt erst sah Margot den Kleinen in dem Liegestuhl. Sie schloß unwillkürlich die Augen und erschrak. Hätten die matten Augen nicht voller Tränen gestanden – sie hätte geglaubt, das Kind sei tot. – Also hatte das Kind mit angehört, was sie gesprochen hatten? Es womöglich sogar verstanden. Jedenfalls aber der Rede Sinn gefühlt; denn woher sonst kamen die Tränen, die jetzt unaufhörlich über die blassen, bleichen Wangen rollten.

»Beherzigen wir das Wort der Mutter!« sagte Margot und ging auf das Kind zu. »Sorgen wir dafür, daß es ein froher Mensch wird.«

»Sieht so die Kindheit eines frohen Menschen aus?« fragte der Alte.

Margot, die schnell die Handschuhe abgestreift und ein paar Pakete aus der Hand gelegt hatte, nahm das Kind auf.

»Weißt du nicht, daß man an seinem Geburtstage fröhlich sein muß?« fragte sie und streichelte es zärtlich.

Der Kleine schüttelte den Kopf.

»Tut dir was weh?« fragte Margot.

Das Kind führte die kleine weiße Hand ans Herz und, die Augen voller Tränen, hauchte es:

»Warum kommt die Mutter nicht?«

Margot und den Alten gab’s einen Stich ins Herz.

»Glaubst du, daß sie kommt?« fragte das Kind.

Da wuchs Margots Wille, die Mutter zu finden, ins Ungemessene. Wie ein Gebot des Himmels klang in ihr die Stimme des Kindes, das die Mutter rief.

»Such sie!« bettelte der Kleine.

Und Margot drückte das Kind an sich, führte ihr Gesicht dicht an seins, vier tränenvolle Augen ruhten ineinander, sahen sich tief ins Herz – und Margot gelobte:

»Ich suche dir die Mutter! Und ich finde sie.«

Da standen die Tränen still; da kam ein strahlender Glanz in die Augen, da färbten sich die blassen Wangen rosarot, und zwei schmächtige Arme schlossen sich um Margots Hals. Blasse, bleiche Kinderlippen, die nie geküßt, suchten Margots Mund, und die Liebe, die alle Menschen verbindet, die Wunder wirkt, wirkte auch hier.

Das Kind schien wie verändert, öffnete hastig die Pakete, die ihm Margot reichte, freute sich mit jedem Stück und zwang Margot und die alten Linke immer wieder, von dem großen Kuchen abzubeißen, den es bis auf den letzten Happen aufaß.

»Das bringt die Tante nun alle paar Tage,« sagte Margot, »damit der kleine Kurt dicke, rote Bäckchen hat, wenn Mutti kommt.«

Darauf brachte die Alte das Kind in die Küche. Margot trug ihr ein Spielzeug, das sie mitgebracht hatte, nach; dann gingen sie in den Wohnraum zurück und schlossen die Tür.

»Das Kind hört doch mehr, als man denkt,« sagte Margot, und der Alte, den das veränderte Wesen des kleinen Kurt aufgerüttelt hatte, lächelte und sagte nicht ohne Stolz:

»Ja! ja! Es ist ein kluges Kind.«

»Aber, ob Sie ihm nicht zuviel versprochen haben?« fragte die Alte.

»Nein!« erwiderte Margot. »Die Liebe des Kindes weist mir den Weg. Sie werden kaum glauben, aber als das Kind an mir hing und die Sehnsucht nach der Mutter mein Herz traf, da sah ich einen Weg.«

»Wenn es der richtige wäre!« flehte die Alte wie ein Gebet.

»Das hängt alles zusammen,« faselte der alte Linke. »Es ist wie eine Kette, die sich aneinander reiht. An ein Unglück hängt sich ein andres. Mit der armen Aenne fing es an. Das war für unsern Jungen zu viel; er ertrug es nicht. Und in sein Leid riß er die Berta mit hinein. Sie hingen aneinander, die beiden, und waren unzertrennlich. Es war gradezu wie eine Notwendigkeit, daß auch über sie ein Unglück kam.«

»Ich glaube auch an die Kraft des Bösen,« erwiderte Margot. »Aber die Kraft des Guten ist stärker, weil das Gute das Ursprüngliche im Menschen ist. Das Schlechte ist immer erst die Folge von Geschehnissen, die das Gute zurückdrängen oder es gar zerstören.«

»Glauben Sie wirklich, daß Sie unserem Jungen, wenn er entlassen wird, wieder aufhelfen und eine Tätigkeit verschaffen können?« fragte der Alte.

»Ich verbürge mich dafür.«

»Was, meinen Sie, daß er tun soll?«

»Gutes!« erwiderte Margot.

»Damit hat er sich ja grade ins Unglück gebracht.«

»Ich werde ihm Gelegenheit verschaffen, es in einer Form zu tun, gegen die Seine Majestät der Staat nichts einzuwenden hat.«

»Und warum – warum tun Sie das alles?«  fragte zögernd die Alte.

»Weil ich muß.«

»Wer zwingt Sie?«

»Zwingen tut mich niemand.«

»Dann treibt Sie irgendwer?«

Margot schüttelte den Kopf und sagte:

»Nein! Niemand treibt mich. – Was mich treibt, ist die Liebe.«

»Wie bei unserem Jungen,« sagte die Alte. »Sie werden einander gut verstehen.«

»Wir verstehen uns längst,« erwiderte Margot.

»Wie? Sie kennen ihn?« fragte die Alte erstaunt. Margot nickte.

»Dann sind es am Ende Sie,« fuhr der Alte auf, »die ihm die Briefe schreibt?«

»Ja – das bin ich.«

»Wissen Sie, was er uns schreibt?« sagte erregt die Alte.

»Ihr danke ich, daß mir diese Zelle, die mich längst erdrückt hätte, zum Heiligtum wurde.«

»Es kommt eben nie darauf an, wo einer ist,« erwiderte Margot. »Es kommt immer nur auf das Gefühl an, das einen beherrscht.«

»Wenn man Sie betrachtet,« sagte der Alte, »dann kann man trotz allem, was geschehen ist, auf seine alten Tage noch einmal anfangen, an die Menschheit zu glauben.«

»Wehren Sie sich nicht dagegen,« bat Margot. »Um Ihrer selbst willen wehren Sie sich nicht. Sie werden erkennen, wie glücklich das macht. Glauben die Menschen erst wieder aneinander, statt sich mit Argwohn und Haß zu begegnen, dann wird das Bild der ganzen Welt ein andres werden.«

»Ich habe nie daran geglaubt, daß ich mein armes Kind je wiedersehen werde,« sagte der Alte und nahm Margots Hand. »Jetzt fange ich wieder an, zu hoffen. Wenn mein Glaube an Sie helfen kann« – er richtete sich auf – »dann weiß ich, daß ich auf meine alten Tage noch einmal ein zufriedener Mensch werde.«

»Was Sie doch nicht zustande bringen!« rief die Alte.

»Das bin nicht ich,« erwiderte Margot. »Das ist die Liebe zu den Menschen, die in mir ist.«

»Dann haben Sie also schon viel Gutes gewirkt in Ihrem jungen Leben?« fragte der Alte.

Margot schüttelte den Kopf und sagte:

»Nein! – Ich war wie die andern; schlimmer noch; und dachte nur an mich und mein Vergnügen. Die Armut war mir – ja, wie soll ich sagen? – etwas, dem man aus dem Wege geht. Ich sah nur die schlechten Kleider und das verschlissene Schuhwerk. Was ich nicht sah, war das Herz. Das Herz der Armen und Unterdrückten! Ich dachte, wie das Aeußere, so müsse auch der Mensch sein. Dabei wußte ich doch, wie hohl und flach und wertlos all die Menschen meiner Umgebung waren, die Seide und Lackschuh trugen.«

»Und was hat Sie so gewandelt?« fragte der Alte.

»Ein Mensch, dessen Güte der Ihres Sohnes gleicht.«

»So sehr ich meinen Sohn liebe und achte, obschon die Menschen ihm die Ehre absprachen, so wünsche ich doch niemandem, zu sein, wie er.«

»Wir alle sind in Irrtümern befangen,« erwiderte Margot. »Wirklich Gutes wirken können wir erst, wenn wir uns von ihnen befreit haben.«

»Ich habe es bei meinem Sohn versucht. Es ist mir nicht gelungen.«

Und die Alte bestätigte:

»Alle Strenge meines Mannes hat nichts genützt.«

»Aber der Güte wäre es gelungen!« erwiderte Margot. »Ein Herz, das sich wie seins so offen aller Welt gab, war nur mit Liebe zu behandeln.«

»Wenn Sie ihn doch früher gekannt hätten!«

Margot schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich konnte ihm erst helfen, nachdem ich selbst zum Guten bekehrt war.«

»Und wer hat Sie bekehrt?« fragte der Alte.

»Peter Reinhart.«

Die beiden Alten sahen sich entsetzt an und wiederholten wie aus einem Munde:

»Peter Reinhart?«

»Ja!«

»Sie wissen . . .« wollte der Alte beginnen, aber Margot kam ihm zuvor und sagte:

»Ich weiß alles.«

»Und er . . . Peter von Reinhart . . . hat . . . Sie . . . zum Guten bekehrt?« fragte der Alte.

»Glauben Sie an die Kraft der Liebe,« erwiderte Margot, »und Sie werden alles verstehen. Ihr Sohn hat gelitten, ja! Aber Peter litt tausendmal mehr. Durch das große Leid müssen wir alle hindurch. Auch ich. Ich trage es in mir, schwerer als Ihr Sohn es trug. Je größer die Liebe, um so schwerer das Leid. Wir müssen es tragen, um erlöst zu werden.«

»Und was, meinen Sie, daß die Erlösung ist?« fragte der Alte zaghaft.

»Das Mitleid! – Die Schmerzen zu fühlen, an denen die arme Menschheit leidet, sie unsre Liebe fühlen zu lassen und sie befähigen, sich an unsrer Liebe aufzurichten.«

»Es sind nicht die Worte, die Sie sprechen,« sagte der Alte. »Sie sind es, der Mensch, der gütige Mensch, aus dem so viel Liebe ausströmt, der mich an Ihr Evangelium glauben läßt.«

»So muß es sein,« erwiderte Margot. »Von Mensch zu Menschen und von Herz zu Herzen muß es gehen. Und immer weiter muß der Kreis sich breiten. Jeder von uns muß die Liebe weitertragen.«

»So ist es wohl,« meinte der Alte. »Und mir scheint, es ist von Anbeginn an in uns allen und es braucht nur geweckt zu werden. Es ist das Urgefühl. Und zwischen Ihnen, der armen Aenne, Reinhart und meinem Sohne und – so will es mir scheinen —, auch zwischen dem armen Kinde da drin und seiner unglücklichen Mutter, zwischen euch allen besteht ein Band der Liebe, das euch trotz allen Jammers aus der großen Menge, die gefühllos dahinlebt, emporhebt.«

»Es ist das Mitleid!« wiederholte Margot. »Das Herz der Armen, das die Reichen nicht kennen. Sie wüßten sonst, wo sie, statt der Macht und dem Gelde nachzujagen, das wahre Glück fänden – bei uns hier, die ein Leid eint, das Leid der Welt, das wir zu dem unsern machen.«

»Wenn das alle fühlten, gäbe es keinen Haß mehr auf der Welt,« sagte die Alte.

Von der Küche her hörte man das Lachen des Kindes. Erstaunt horchten alle auf.

»Er lacht!« sagten die Alten und trauten ihren Ohren nicht.

»Tut er das sonst nicht?« fragte Margot.

Die Alte sagte:

»Es ist das erstemal!«

Margot schlich auf den Zehen zur Tür und öffnete sie leise. Inmitten der Küche saß das Kind, hielt die Puppe, die ihm Margot gebracht hatte, in den knochigen Armen, streichelte sie und bewegte sie liebevoll hin und her.

»Ich bin deine Mutter,« sprach es der Puppe zu. »Schlaf Kindchen, schlaf!«

Margot stand an der Tür.

»Ist es brav das Kind?« fragte sie gerührt.

Der Kleine sah zu ihr auf. Er schien enttäuscht, ging auf Margot zu, nahm sie bei der Hand und sagte bittend:

»Geh, geh, die Mutter holen! Sonst weint das Kind.« Und mit Tränen in den Augen drückte es die Puppe fest in den Arm.

Als Margot die Tür hinter diesen drei Menschen schloß und die Treppe hinabstieg, kam ihr der Gedanke an die schloßartige Villa zu Haus, an Feste, Dienerschaft und Toiletten – und sie dachte:

»Arme Eltern!«

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30 kasım 2019
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