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Kitabı oku: «Casanovas Heimfahrt», sayfa 3

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Der Wagen hielt. »Guten Abend, mein trefflicher Olivo«, rief der Marchese, »darf ich Sie bitten, mich mit dem Chevalier von Seingalt bekanntzumachen? Denn ich zweifle nicht, daß ich das Vergnügen habe, mich ihm gegenüber zu sehen.« – Casanova verbeugte sich leicht. »Ich bin es«, sagte er. – »Und ich der Marchese Celsi, – hier die Marchesa, meine Gattin.« Die Dame reichte Casanova die Fingerspitzen; er berührte sie mit den Lippen.

»Nun, mein bester Olivo«, sagte der Marchese, dessen wachsgelbes schmales Antlitz durch die über den stechenden grünlichen Augen zusammengewachsenen dichten roten Brauen ein nicht eben freundliches Ansehen erhielt, – »mein bester Olivo, wir haben denselben Weg, nämlich zu Ihnen. Und da es kaum ein Viertelstündchen bis dahin ist, will ich aussteigen und mit Ihnen zu Fuß gehen. Du hast wohl nichts dagegen, die kleine Strecke allein zu fahren«, wandte er sich an die Marchesa, die Casanova die ganze Zeit über mit lüstern prüfenden Augen betrachtet hatte; gab, ohne die Antwort seiner Gattin abzuwarten, dem Kutscher einen Wink, worauf dieser sofort wie toll auf die Pferde einhieb, als käme es ihm aus irgendeinem Grund darauf an, seine Herrin möglichst geschwind davonzubringen; und gleich war der Wagen hinter einer Staubwolke verschwunden.

»Man weiß nämlich schon in unsrer Gegend«, sagte der Marchese, der noch ein paar Zoll höher als Casanova und von einer unnatürlichen Magerkeit war, »daß der Chevalier von Seingalt hier angekommen und bei seinem Freund Olivo abgestiegen ist. Es muß ein erhebendes Gefühl sein, einen so berühmten Namen zu tragen.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Marchese«, erwiderte Casanova, »ich habe allerdings die Hoffnung noch nicht aufgegeben, mir einen solchen Namen zu erwerben, finde mich aber vorläufig davon noch recht weit entfernt. – Eine Arbeit, mit der ich eben beschäftigt bin, wird mich meinem Ziele hoffentlich etwas näher bringen.«

»Wir können den Weg hier abkürzen«, sagte Olivo und schlug einen Feldweg ein, der gerade auf die Mauer seines Gartens zuführte. – »Arbeit?« wiederholte der Marchese mit einem unbestimmten Ausdruck. »Darf man fragen, von welcher Art von Arbeit Sie sprechen, Chevalier?« – »Wenn Sie mich danach fragen, Herr Marchese, so sehe ich mich genötigt, meinerseits an Sie die Frage zu richten, von was für einer Art von Ruhm Sie vorhin geredet haben?« Dabei sah er dem Marchese hochmütig in die stechenden Augen. Denn wenn er auch sehr wohl wußte, daß weder sein phantastischer Roman ›Icosameron‹, noch seine dreibändige ›Widerlegung von Amelots Geschichte der venezianischen Regierung‹ ihm nennenswerten schriftstellerischen Ruhm eingebracht hatten, es lag ihm daran, für sich keinen andern als erstrebenswert gelten zu lassen, und er mißverstand absichtlich alle weiteren vorsichtig tastenden Bemerkungen und Anspielungen des Marchese, der sich unter Casanova wohl einen berühmten Frauenverführer, Spieler, Geschäftsmann, politischen Emissär und sonst alles mögliche, nur durchaus keinen Schriftsteller vorzustellen imstande war, um so weniger, als weder von der Widerlegung des Amelotischen Werkes noch von dem ›Icosameron‹ jemals eine Kunde zu ihm gedrungen war. So bemerkte er endlich mit einer gewissen höflichen Verlegenheit: »Immerhin gibt es nur einen Casanova.« – »Auch das ist ein Irrtum, Herr Marchese«, entgegnete Casanova kalt. »Ich habe Geschwister, und der Name eines meiner Brüder, des Malers Francesco Casanova, dürfte einem Kenner nicht fremd klingen.«

Es zeigte sich, daß der Marchese auch auf diesem Gebiete nicht zu den Kennern gehörte, und so lenkte er das Gespräch auf Bekannte, die in Neapel, Rom, Mailand und Mantua wohnten, und von denen er annehmen konnte, daß Casanova mit ihnen gelegentlich zusammengetroffen war. In diesem Zusammenhang nannte er auch den Namen des Barons Perotti, doch in einigermaßen verächtlichem Tone, und Casanova mußte zugestehen, daß er manchmal im Hause des Barons ein kleines Spiel zu machen pflege – »zur Zerstreuung«, setzte er hinzu, – »ein halbes Stündchen vor dem Schlafengehen. Im übrigen hab› ich diese Art von Zeitvertreib so ziemlich aufgegeben,« – »Das täte mir leid«, sagte der Marchese, »denn ich will Ihnen nicht verhehlen, Herr Chevalier, daß es ein Traum meines Lebens war, mich mit Ihnen zu messen – sowohl im Spiel, als – in jüngern Jahren – auch auf andern Gebieten. Denken Sie übrigens, daß ich – wie lange mag es her sein? – daß ich in Spa genau an dem Tage, ja in der Stunde ankam, als Sie es verließen. Unsre Wagen fuhren aneinander vorüber. Und in Regensburg widerfuhr mir ein ähnliches Mißgeschick. Dort bewohnte ich sogar das Zimmer, das Sie eine Stunde vorher verlassen hatten.« – »Es ist ein rechtes Unglück«, sagte Casanova, immerhin ein wenig geschmeichelt, »daß man einander manchmal zu spät im Leben begegnet.« – »Es ist noch nicht zu spät«, rief der Marchese lebhaft. »In Hinsicht auf mancherlei andres will ich mich gern im vorhinein geschlagen geben, und es kümmert mich wenig, – aber was das Spiel anbelangt, mein lieber Chevalier, so sind wir beide vielleicht gerade in den Jahren —«

Casanova unterbrach ihn: »In den Jahren – mag sein. Aber leider kann ich gerade auf dem Gebiet des Spiels nicht mehr auf das Vergnügen Anspruch erheben, mich mit einem Partner Ihres Ranges messen zu dürfen – weil ich« – und dies sagte er im Ton eines entthronten Fürsten – »weil ich es mit all meinem Ruhm, mein werter Herr Marchese, bis heute nicht viel weiter als bis zum Bettler gebracht habe.«

Der Marchese schlug unwillkürlich vor Casanovas stolzem Blick die Augen nieder und schüttelte dann nur ungläubig, wie zu einem sonderbaren Spaß, den Kopf. Olivo aber, der dem ganzen Gespräch mit Spannung gelauscht und die gewandt überlegenen Antworten seines außerordentlichen Freundes mit beifälligem Nicken begleitet hatte, vermochte eine Bewegung des Erschreckens kaum zu unterdrücken. Sie standen eben alle an der rückwärtigen Gartenmauer vor einer schmalen Holztür, und während Olivo sie mit einem kreischenden Schlüssel öffnete und den Marchese voraus in den Garten treten ließ, flüsterte er Casanova zu, ihn beim Arm fassend: »Sie werden Ihr letztes Wort zurücknehmen, Chevalier, ehe Sie den Fuß wieder in mein Haus setzen. Das Geld, das ich Ihnen seit sechzehn Jahren schulde, liegt bereit. Ich wagte nur nicht… Fragen Sie Amalia… Abgezählt liegt es bereit. Beim Abschied wollte ich mir erlauben —« Casanova unterbrach ihn sanft. »Sie sind nicht mein Schuldner, Olivo. Die paar Goldstücke waren – Sie wissen es wohl – ein Hochzeitsgeschenk, das ich, als Freund von Amaliens Mutter… Doch wozu überhaupt davon reden. Was sollen mir die paar Dukaten? Ich stehe an einer Wende meines Schicksals«, setzte er absichtlich laut hinzu, so daß ihn der Marchese, der nach ein paar Schritten stehengeblieben war, hören konnte. Olivo tauschte einen Blick mit Casanova, um sich seiner Zustimmung zu versichern, dann bemerkte er zum Marchese: »Der Chevalier ist nämlich nach Venedig zurückberufen und reist in wenigen Tagen nach seiner Vaterstadt ab.« – »Vielmehr«, bemerkte Casanova, während sie alle sich dem Hause näherten, »man ruft bereits seit geraumer Zeit nach mir und immer dringender. Aber ich finde, die Herren Senatoren haben sich lange genug Zeit gelassen. Mögen nun sie sich in Geduld fassen.« – »Ein Stolz«, sagte der Marchese, »zu dem Sie im höchsten Maße berechtigt sind, Chevalier!«

Als sie aus der Allee auf die Wiese hinaustreten, die nun schon völlig im Schatten dalag, sahen sie, dem Hause nahe, die kleine Gesellschaft versammelt, von der sie erwartet wurden. Alle erhoben sich, um ihnen entgegenzusehen, zuerst der Abbate, zwischen Marcolina und Amalia; ihnen folgte die Marchesa, ihr zur Seite ein hochgewachsener, bartloser junger Offizier in roter silberverschnürter Uniform und glänzenden Reiterstiefeln, der kein andrer sein konnte als Lorenzi. Wie er zu der Marchesa sprach, ihre weißen gepuderten Schultern mit dem Blicke streifend als eine wohlbekannte Probe von nicht minder bekannten hübschen Dingen; noch mehr die Art, wie die Marchesa mit halbgeschlossenen Lidern lächelnd zu ihm aufsah, konnte auch weniger Erfahrene über die Natur der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen nicht im Zweifel lassen; sowie auch darüber, daß sie keinen Wert darauf legten, sie vor irgend jemandem geheimzuhalten. Sie unterbrachen ihr leises, aber lebhaftes Gespräch erst, als sie den Herankommenden schon gegenüberstanden.

Olivo stellte Casanova und Lorenzi einander vor. Die beiden maßen sich mit einem kurzen kalten Blick, in dem sie sich gegenseitig ihrer Abneigung zu versichern schienen, dann lächelten sie beide flüchtig und verneigten sich, ohne einander die Hände zu reichen, da jeder zu diesem Zweck dem andern hätte einen Schritt entgegentreten müssen. Lorenzi war schön, von schmalem Antlitz und in Anbetracht seiner Jugend auffallend scharfen Zügen; im Hintergrund seiner Augen schillerte irgend etwas Unfaßbares, das den Erfahrenen zur Vorsicht mahnen mußte. Nur eine Sekunde lang überlegte Casanova, an wen ihn Lorenzi erinnerte. Dann wußte er, daß es sein eigenes Bild war, das ihm, um dreißig Jahre verjüngt, hier entgegentrat. Bin ich etwa in seiner Gestalt wiedergekehrt? fragte er sich. Da müßte ich doch vorher gestorben sein… Und es durchbebte ihn: Bin ich›s denn nicht seit lange? Was ist denn noch an mir von dem Casanova, der jung, schön und glücklich war?

Er hörte Amaliens Stimme. Sie fragte ihn, wie aus der Ferne, obzwar sie neben ihm stand, wie ihm der Spaziergang behagt habe, worauf er sich laut, so daß es alle hören konnten, mit höchster Anerkennung über den fruchtbaren wohlgepflegten Besitz aussprach, den er mit Olivo durchwandert hatte. Indes deckte die Magd auf der Wiese einen länglichen Tisch, die zwei älteren Töchter Olivos waren ihr dabei behilflich, indem sie aus dem Hause Geschirr, Gläser und was sonst nötig war, mit viel Gekicher und Getu herbeischafften. Mählich brach die Dämmerung ein; ein leise kühlender Wind strich durch den Garten. Marcolina eilte an den Tisch, um zu vollenden, was die Kinder im Verein mit der Magd begonnen, und zu verbessern, was sie verfehlt hatten. Die übrigen ergingen sich zwanglos auf der Wiese und in den Alleen. Die Marchesa erwies Casanova viel Höflichkeit, auch wünschte sie von ihm die berühmte Geschichte seiner Flucht aus den Bleikammern von Venedig zu vernehmen, wenngleich ihr keineswegs unbekannt sei – wie sie mit vieldeutigem Lächeln hinzufügte —, daß er weit gefährlichere Abenteuer bestanden, die zu erzählen freilich bedenklicher sein möchte. Casanova erwiderte: wenn er auch mancherlei ernste und heitere Beschwernis mitgemacht – gerade dasjenige Leben, dessen Sinn und eigentliches Wesen die Gefahr bedeute, habe er niemals so recht kennengelernt; denn wenn er auch ein paar Monate lang in unruhigen Zeiten Soldat gewesen, vor vielen Jahren, auf der Insel Korfu, – gab es denn einen Beruf auf Erden, in den ihn das Schicksal nicht verschlagen?! – er habe nie das Glück gehabt, einen wirklichen Feldzug mitzumachen, wie das nun dem Herrn Leutnant Lorenzi bevorstünde, und worum er ihn fast beneiden möchte. – »Da wissen Sie mehr als ich, Herr Casanova«, sagte Lorenzi mit einer hellen und frechen Stimme – »und sogar mehr als mein Oberst, denn ich habe eben Verlängerung meines Urlaubs auf unbestimmte Zeit erhalten.« – »Wahrhaftig!« rief der Marchese mit unbeherrschtem Grimme, und höhnisch setzte er hinzu: »Und denken Sie nur, Lorenzi, wir – meine Gattin vielmehr, hatte schon so sicher auf Ihre Abreise gerechnet, daß sie für Anfang nächster Woche einen unsrer Freunde, den Sänger Baldi, auf unser Schloß einlud.« – »Das trifft sich gut«, entgegnete Lorenzi unbeirrt, »Baldi und ich sind gute Freunde, wir werden uns vertragen. Nicht wahr?« wandte er sich an die Marchesa und ließ seine Zähne blitzen. – »Ich würde es Ihnen beiden raten«, meinte die Marchesa mit einem heitern Lächeln.

Mit diesen Worten nahm sie als erste am Tische Platz; ihr zur Seite Olivo, an ihrer andern Lorenzi. Ihnen gegenüber saß Amalia zwischen dem Marchese und Casanova; neben diesem an einem schmalen Tischende Marcolina; am andern, neben Olivo, der Abbate. Es war wie mittags ein einfaches und dabei höchst schmackhaftes Mahl. Die zwei älteren Töchter des Hauses, Teresina und Nanetta, reichten die Schlüsseln und schenkten von dem trefflichen Wein, der auf Olivos Hügeln wuchs; und sowohl der Marchese wie der Abbate dankten den Mädchen mit scherzhaft derben Liebkosungen, die ein gestrengerer Vater als Olivo sich vielleicht verbeten hätte. Amalia schien nichts zu bemerken; sie war blaß, blickte trüb und sah aus wie eine Frau, die entschlossen ist, alt zu werden, weil das Jungsein jeden Sinn für sie verloren hat. Ist dies nun meine ganze Macht? dachte Casanova bitter, sie von der Seite betrachtend. Doch vielleicht war es die Beleuchtung, die Amaliens Züge so traurig veränderte. Es fiel nämlich nur ein breiter Strahl von Licht aus dem Innern des Hauses auf die Gäste; im übrigen ließ man sich›s am Dämmerschein des Himmels genügen. In scharfen schwarzen Linien schlossen die Baumwipfel alle Aussicht ab, und Casanova fühlte sich an irgendeinen geheimnisvollen Garten erinnert, in dem er vor vielen Jahren nächtlicherweise eine Geliebte erwartet hatte. »Murano«, flüsterte er vor sich hin und erbebte; dann sprach er laut: »Es gibt einen Garten auf einer Insel nahe von Venedig, einen Klostergarten, den ich vor etlichen Jahrzehnten zum letztenmal betreten habe; – in dem duftete es nachts gerade so, wie heute hier.« – »Sie sind wohl auch einmal Mönch gewesen› ,« fragte die Marchesa scherzend. – »Beinahe«, erwiderte Casanova lächelnd und erzählte wahrheitsgemäß, daß ihm als einem fünfzehnjährigen Knaben der Patriarch von Venedig die niederen Weihen verliehen, daß er aber schon als Jüngling vorgezogen habe, das geistliche Gewand wieder abzulegen. Der Abbate tat eines nahegelegenen Frauenklosters Erwähnung, zu dessen Besuch er Casanova dringend rate, falls er es noch nicht kennen sollte. Olivo stimmte lebhaft zu; er rühmte den düstern alten Bau, die anmutige Gegend, in der er gelegen war, den abwechslungsreichen Weg dahin. Übrigens, fuhr der Abbate fort, habe die Äbtissin, Schwester Seraphina, – eine höchst gelehrte Frau, Herzogin von Geburt – in einem Brief an ihn den Wunsch geäußert (schriftlich darum, weil in jenem Kloster das Gelübde ewigen Schweigens herrsche), Marcolina, von deren Gelehrsamkeit sie erfahren, von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen. – »Ich hoffe, Marcolina«, sagte Lorenzi, und es war das erstemal, daß er das Wort geradaus an sie richtete, »Sie werden sich nicht dazu verführen lassen, der Herzogin-Äbtissin in jeder Beziehung nachzueifern.« – »Warum sollt› ich auch?« erwiderte Marcolina heiter; »man kann seine Freiheit auch ohne Gelübde bewahren – und besser, denn Gelübde ist Zwang.«

Casanova saß neben ihr. Er wagte es nicht einmal, leise ihren Fuß zu berühren, oder sein Knie an das ihre zu drängen: noch ein drittes Mal jenen Ausdruck des Grauens, des Ekels in ihrem Blick gewahren zu müssen – des war er gewiß —, hätte ihn unfehlbar zu einer Tat des Wahnsinns getrieben. Während mit dem Fortschreiten des Mahls und der steigenden Zahl der geleerten Gläser die Unterhaltung lebhafter und allgemeiner wurde, hörte Casanova, wieder wie von fern, Amaliens Stimme. »Ich habe mit Marcolina gesprochen.« – »Du hast mit ihr —« – Eine tolle Hoffnung flammte in ihm auf. »Stille, Casanova. Von dir war nicht die Rede, nur von ihr und ihren Zukunftsplänen. Und ich sage es dir noch einmal: Niemals wird sie irgendeinem Manne angehören.« – Olivo, der dem Weine stark zugesprochen hatte, erhob sich unerwarteterweise, und, das Glas in der Hand, sprach er ein paar unbeholfene Worte über die hohe Ehre, die seinem armen Hause durch den Besuch seines teuern Freundes, des Chevalier von Seingalt, geworden sei.

»Wo ist der Chevalier von Seingalt, mein lieber Olivo, von dem Sie da reden?« fragte Lorenzi mit seiner hellen, frechen Stimme. Casanovas erste Regung war es, dem Unverschämten sein gefülltes Glas an den Kopf zu schleudern; Amalia aber berührte leicht seinen Arm und sagte: »Viele Leute, Herr Chevalier, kennen Sie bis heute nur unter Ihrem älteren und berühmteren Namen Casanova.«

»Ich wußte nicht«, sagte Lorenzi mit beleidigendem Ernst, »daß der König von Frankreich Herrn Casanova den Adel verliehen hat.«

»Ich konnte dem König diese Mühe ersparen«, erwiderte Casanova ruhig, »und hoffe, daß Sie, Leutnant Lorenzi, sich mit einer Erklärung zufrieden geben werden, gegen die der Bürgermeister von Nürnberg nichts einzuwenden hatte, dem ich sie bei einer im übrigen gleichgültigen Gelegenheit vorzutragen die Ehre hatte.« Und da die andern in Spannung schwiegen —: »Das Alphabet ist bekanntlich allgemeines Gut. Ich habe mir eine Anzahl Buchstaben ausgesucht, die mir gefallen, und mich zum Edelmann gemacht, ohne einem Fürsten verpflichtet zu sein, der meine Ansprüche zu würdigen kaum imstande gewesen wäre. Ich bin Casanova Chevalier von Seingalt. Es täte mir leid um Ihretwillen, Leutnant Lorenzi, wenn dieser Name Ihren Beifall nicht finden sollte.« – »Seingalt – ein vortrefflicher Name«, sagte der Abbate und wiederholte ihn ein paarmal, als schmeckte er ihn mit den Lippen nach. – »Und es gibt niemanden auf der Welt«, rief Olivo aus, »der sich mit höherem Rechte Chevalier nennen dürfte als mein edler Freund Casanova!« – »Und sobald Ihr Ruhm, Lorenzi«, fügte der Marchese hinzu, »so weit erschallen sollte, als der des Herrn Casanova, Chevalier von Seingalt, werden wir nicht zögern, wenn es Ihnen so beliebt, auch Sie Chevalier zu nennen.« – Casanova, ärgerlich über den unerwünschten Beistand, der ihm von allen Seiten wurde, war eben im Begriffe, sich ihn zu verbitten, um seine Sache persönlich weiterzuführen, als aus dem Dunkel des Gartens zwei eben noch anständig gekleidete, alte Herren an den Tisch traten. Olivo begrüßte sie herzlich und geräuschvoll, sehr froh, damit einem Zwist, der bedenklich zu werden und die Heiterkeit des Abends zu gefährden drohte, die Spitze abzubrechen. Die Neuangekommenen waren die Brüder Ricardi, Junggesellen, die, wie Casanova von Olivo erfuhr, früher in der großen Welt gelebt, mit allerlei Unternehmungen wenig Glück gehabt und sich endlich in das benachbarte Dorf, ihren Geburtsort, zurückgezogen, wo sie in einem elenden Häuschen zur Miete wohnten. Sonderbare, aber harmlose Leute. Die beiden Ricardi drückten ihr Entzücken aus, die Bekanntschaft des Chevaliers zu erneuern, mit dem sie in Paris vor Jahren zusammengetroffen waren. Casanova erinnerte sich nicht. Oder war es in Madrid?… »Das wäre möglich«, sagte Casanova, aber er wußte, daß er die beiden niemals gesehen hatte. Nur der eine, offenbar jüngere von ihnen, führte das Wort, der andre, der wie ein Neunzigjähriger aussah, begleitete die Reden seines Bruders mit unaufhörlichem Kopfnicken und einem verlorenen Grinsen.

Man hatte sich vom Tisch erhoben. Die Kinder waren schon früher verschwunden. Lorenzi und die Marchesa spazierten im Dämmer über die Wiese hin, Marcolina und Amalia wurden bald im Saale sichtbar, wo sie Vorbereitungen für das Spiel zu treffen schienen. Was hat das alles zu bedeuten? fragte sich Casanova, der allein im Garten stand. Halten sie mich für reich? Wollen sie mich rupfen? Denn alle diese Anstalten, auch die Zuvorkommenheit des Marchese, die Beflissenheit des Abbate sogar, das Erscheinen der Brüder Ricardi, kamen ihm irgendwie verdächtig vor; konnte nicht auch Lorenzi in die Intrige verwickelt sein? Oder Marcolina? Oder gar Amalia? Ist das Ganze, dachte er flüchtig, ein Streich meiner Feinde, um mir die Rückkehr nach Venedig zu erschweren, – im letzten Augenblick unmöglich zu machen? Aber sofort mußte er sich sagen, daß dieser Einfall völlig unsinnig war, vor allem schon darum, weil er ja nicht einmal mehr Feinde hatte. Er war ein ungefährlicher, herabgekommener alter Tropf; wen konnte seine Rückkehr nach Venedig überhaupt kümmern? Und als er durch die offenen Fenster des Hauses die Herren sich geschäftig um den Tisch reihen sah, auf dem die Karten bereit lagen und gefüllte Weingläser standen, wurde ihm über jeden Zweifel klar, daß hier nichts anderes geplant war als ein gewohnheitsmäßig harmloses Spiel, bei dem ein neuer Partner immerhin willkommen sein mochte. Marcolina streifte an ihm vorüber und wünschte ihm Glück. »Sie bleiben nicht? Schauen dem Spiel nicht wenigstens zu?« – »Was soll ich dabei? Gute Nacht, Chevalier von Seingalt – und auf morgen!«

Stimmen klangen ins Freie. »Lorenzi«, rief es – »Herr Chevalier.« – »Wir warten.« Casanova, im Schatten des Hauses, konnte sehen, wie die Marchesa Lorenzi von der Wiese gegen das Dunkel der Bäume hinzuziehen suchte. Dort drängte sie sich heftig an ihn, Lorenzi aber riß sich ungebärdig von ihr los und eilte dem Hause zu. Er traf am Eingang mit Casanova zusammen und, mit einer Art von spöttischer Höflichkeit, ließ er ihm den Vortritt, was Casanova ohne Dank annahm.

Der Marchese legte die erste Bank. Olivo, die Brüder Ricardi und der Abbate setzten so geringe Münzen ein, daß das ganze Spiel auf Casanova – auch heute, da sein ganzes Vermögen nur in ein paar Dukaten bestand – wie ein Spaß wirkte. Es erschien ihm um so lächerlicher, als der Marchese mit einer so großartigen Miene das Geld einstrich und auszahlte, als wenn es um hohe Summen ginge. Plötzlich warf Lorenzi, der sich bisher nicht beteiligt hatte, einen Dukaten hin, gewann, ließ den so verdoppelten Einsatz stehen, gewann ein zweites und drittes Mal und so mit geringen Unterbrechungen immer weiter. Die andern Herren setzten indes ihre kleinen Münzen wie zuvor, und insbesondere die beiden Ricardi zeigten sich höchst ungehalten, wenn der Marchese sie nicht mit der gleichen Rücksichtnahme zu behandeln schien, wie den Leutnant Lorenzi. Die Brüder spielten gemeinsam auf das gleiche Blatt; dem einen, älteren, der die Karten empfing, perlte der Schweiß von der Stirn, der andere, hinter ihm stehend, redete unablässig auf ihn ein wie mit wichtig-unfehlbaren Ratschlägen. Wenn er den schweigsamen Bruder einziehen sah, leuchteten seine Augen, im andern Falle richteten sie sich verzweifelt gen Himmel. Der Abbate, sonst ziemlich teilnahmslos, gab zuweilen spruchähnliche Sätze zum besten – wie »Das Glück und die Frauen zwingst du nicht« – oder »Die Erde ist rund, der Himmel weit« – manchmal blickte er auch pfiffig ermutigend Casanova und gleich darauf die diesem gegenüber, ihrem Gatten zur Seite sitzende Amalia an, als läge ihm daran, die beiden alten Liebesleute neu miteinander zu verkuppeln. Casanova aber dachte an nichts anderes, als daß Marcolina sich jetzt in ihrem Zimmer langsam entkleidete, und daß, wenn das Fenster offen stand, ihre weiße Haut in die Nacht hinausschimmerte. Von einer Begier erfaßt, die ihm die Sinne verstörte, wollte er sich von seinem Platz neben dem Marchese erheben und den Raum verlassen; der Marchese aber nahm diese Bewegung als einen Entschluß, sich am Spiel zu beteiligen und sagte: »Nun endlich – wir wußten ja, daß Sie nicht Zuschauer bleiben würden, Chevalier.« Er legte eine Karte vor ihn hin, Casanova setzte alles, was er bei sich trug – und dies war so ziemlich alles, was er besaß – zehn Dukaten etwa, er zählte sie nicht, ließ sie aus seiner Börse auf den Tisch gleiten und wünschte, sie auf einen Satz zu verlieren: dies sollte dann ein Zeichen sein, ein glückverheißendes Zeichen – er wußte nicht recht wofür, ob für seine baldige Heimfahrt nach Venedig oder den ihm bevorstehenden Anblick der entkleideten Marcolina; – doch ehe er sich entschieden, hatte der Marchese das Spiel gegen ihn bereits verloren. Auch Casanova ließ, wie Lorenzi es getan, den verdoppelten Einsatz stehen, und auch ihm blieb das Glück treu wie dem Leutnant. Um die übrigen kümmerte sich der Marchese nicht mehr, der schweigsame Ricardi stand beleidigt auf, der andre rang die Hände – dann standen sie zusammen in einer Ecke des Saales wie vernichtet. Der Abbate und Olivo fanden sich leichter ab; der erste aß Süßigkeiten und wiederholte seine Sprüchlein, der andre schaute dem Fall der Karten in Erregung zu. Endlich hatte der Marchese fünfhundert Dukaten verloren, in die sich Casanova und Lorenzi teilten. Die Marchesa erhob sich und gab dem Leutnant einen Wink mit den Augen, ehe sie den Saal verließ, Amalia geleitete sie. Die Marchesa wiegte sich in den Hüften, was Casanova anwiderte; Amalia schlich an ihrer Seite wie ein demütiges ältliches Weib. Da der Marchese sein ganzes Bargeld verloren hatte, übernahm Casanova die Bank, er bestand, zum Mißvergnügen des Marchese, darauf, daß die andern wieder am Spiele teilnähmen. Sofort waren die Brüder Ricardi zur Stelle, gierig und erregt; der Abbate schüttelte den Kopf, er hatte genug, und Olivo spielte nur mit, um sich dem Wunsch seines edlen Gastes nicht zu versagen. Lorenzi hatte weiter Glück; als er im ganzen die Summe von vierhundert Dukaten gewonnen, stand er auf und sagte: »Morgen bin ich gern bereit, Revanche zu geben. Jetzt bitte ich um die Erlaubnis, nach Hause reiten zu dürfen.« – »Nach Hause«, rief der Marchese hohnlachend, der übrigens ein paar Dukaten zurückgewonnen hatte, »das ist nicht übel! Der Leutnant wohnt nämlich bei mir!« wandte er sich zu den andern. »Und meine Gattin ist voraus nach Hause gefahren. Gute Unterhaltung, Lorenzi!« – »Sie wissen sehr gut«, erwiderte Lorenzi, ohne eine Miene zu verziehen, »daß ich geradeswegs nach Mantua reite und nicht nach Ihrem Schloß, wo Sie so gütig waren, mir gestern Unterkunft zu gewähren.« – »Reiten Sie, wohin Sie wollen, zum Teufel meinetwegen!« – Lorenzi empfahl sich von den andern aufs höflichste und ging, ohne dem Marchese eine gebührende Antwort zu erteilen, was Casanova in Verwunderung setzte. Er legte weiter die Karten auf und gewann, so daß der Marchese bald mit ein paar hundert Dukaten in seiner Schuld stand. Wozu? fragte sich Casanova anfangs. Allmählich aber nahm ihn der Reiz des Spiels doch wieder gefangen. Es geht nicht übel, dachte er… Nun sind es bald tausend… es können auch zweitausend werden. Der Marchese wird seine Schuld bezahlen. Mit einem kleinen Vermögen in Venedig Einzug halten, das wäre so übel nicht. Doch warum nach Venedig? Man wird wieder reich, man wird wieder jung. Reichtum ist alles. Nun werd› ich sie mir doch wenigstens wieder kaufen können. Wen? Ich will keine andere… Nackt steht sie am Fenster – ganz gewiß… wartet am Ende… ahnt, daß ich kommen werde… Steht am Fenster, um mich toll zu machen. Und ich bin da. – Indes teilte er weiter die Karten aus, mit unbeweglicher Miene, nicht nur an den Marchese, auch an Olivo und die Brüder Ricardi, denen er zuweilen ein Goldstück hinschob, auf das sie keinen Anspruch hatten. Sie ließen sich›s gefallen. Aus der Nacht drang ein Geräusch, wie die Hufschläge eines über die Straße trabenden Rosses. Lorenzi, dachte Casanova… Von der Gartenmauer schallte es wie im Echo wider, dann verklang allmählich Hall und Widerhall. Nun aber wandte sich das Glück gegen Casanova. Der Marchese setzte hoch, immer höher; und um Mitternacht fand sich Casanova so arm wie er gewesen, ärmer noch; er hatte auch seine eigenen paar Goldstücke verloren. Er schob die Karten von sich weg, erhob sich lächelnd. »Ich danke, meine Herren.«

Olivo breitete die Arme nach ihm aus. »Mein Freund, wir wollen weiterspielen… Hundertfünfzig Dukaten, – haben Sie denn vergessen, – nein, nicht hundertfünfzig! Alles, was ich habe, was ich bin – alles – alles!« Er lallte; denn er hatte während des ganzen Abends zu trinken nicht aufgehört. Casanova wehrte mit einer übertrieben vornehmen Handbewegung ab. »Die Frauen und das Glück zwingt man nicht«, sagte er mit einer Verneigung gegen den Abbate hin. Dieser nickte befriedigt und klatschte in die Hände. »Auf morgen also, mein verehrter Chevalier«, sagte der Marchese, »wir werden gemeinsam dem Leutnant Lorenzi das Geld wieder abnehmen.«

Die Ricardi bestanden darauf, daß weitergespielt würde. Der Marchese, sehr aufgeräumt, gab ihnen eine Bank. Sie rückten mit den Goldstücken heraus, die Casanova sie hatte gewinnen lassen. In zwei Minuten hatte der Marchese sie ihnen abgenommen und lehnte es entschieden ab, mit ihnen weiterzuspielen, wenn sie nicht Bargeld vorzuweisen hätten. Sie rangen die Hände. Der ältere begann zu weinen wie ein Kind. Der andere küßte ihn wie zur Beruhigung auf beide Wangen. Der Marchese fragte, ob sein Wagen schon wieder zurückgekommen sei. Der Abbate bejahte; er hatte ihn vor einer halben Stunde vorfahren gehört. Der Marchese lud den Abbate und die Brüder Ricardi in seinen Wagen ein; er wollte sie vor ihren Wohnhäusern absetzen; – und alle verließen das Haus.

Als die andern fort waren, nahm Olivo Casanovas Arm und versicherte ihn immer wieder, mit Tränen in der Stimme, daß alles in diesem Hause ihm, Casanova gehöre und daß er damit schalten möge, wie es ihm beliebe. Sie kamen an Marcolinens Fenster vorbei. Es war nicht nur verschlossen, auch ein Gitter war vorgeschoben, und innen senkte sich ein Vorhang herab. Es gab Zeiten, dachte Casanova, wo all das nicht nützte oder wo es nichts zu bedeuten hatte. Sie traten ins Haus. Olivo ließ es sich nicht nehmen, den Gast über die etwas knarrende Treppe bis in das Turmgemach zu begleiten, wo er ihn zum Abschied umarmte. »Also morgen«, sagte er, »sollen Sie das Kloster zu sehen bekommen. Doch schlafen Sie nur ruhig, wir brechen nicht in allzu früher Stunde auf und richten uns jedenfalls völlig nach Ihrer Bequemlichkeit. Gute Nacht.« Er ging, die Tür leise hinter sich schließend, aber seine Schritte dröhnten über die Treppe durch das ganze Haus.

Casanova stand allein in seinem durch zwei Kerzen matt erhellten Zimmer und ließ das Auge von einem zum andern der vier Fenster schweifen, die nach den verschiedenen Himmelsrichtungen wiesen. In bläulichem Glanze lag die Landschaft da, nach allen Seiten fast das gleiche Bild: weite Ebenen, mit geringen Erhebungen, nur nordwärts verschwimmende Berglinien, da und dort vereinzelte Häuser, Gehöfte, auch größere Gebäude; darunter eines etwas höher gelegen, aus dem ein Licht herschimmerte, nach Casanovas Vermutung das Schloß des Marchese. Im Zimmer, das außer dem freistehenden breiten Bett nichts enthielt, als einen langen Tisch, auf dem die zwei Kerzen brannten, ein paar Stühle, eine Kommode und einen goldgerahmten Spiegel darüber, war von sorglichen Händen Ordnung gemacht, auch war der Reisesack ausgepackt worden. Auf dem Tische lag die versperrte, abgegriffene Ledermappe, die Casanovas Papiere enthielt, sowie ein paar Bücher, deren er für seine Arbeit bedurfte und die er daher mit sich genommen hatte; auch Schreibzeug war bereit. Da er nicht die geringste Schläfrigkeit verspürte, nahm er sein Manuskript aus der Mappe und durchlas beim Schein der Kerzen, was er zuletzt geschrieben. Da er mitten in einem Absatz stehengeblieben, war es ihm ein leichtes, auf der Stelle fortzufahren. Er nahm die Feder zur Hand, schrieb hastig ein paar Sätze und hielt plötzlich wieder inne. Wozu? fragte er sich, wie in einer grausamen inneren Erleuchtung. Und wenn ich auch wüßte, daß das, was ich hier schrieb und schreiben werde, herrlich würde ohne Vergleich, – ja, wenn es mir wirklich gelänge, Voltaire zu vernichten und mit meinem Ruhm den seinen zu überstrahlen; – wäre ich nicht trotzdem mit Freuden bereit, all diese Papiere zu verbrennen, wenn es mir dafür vergönnt wäre, in dieser Stunde Marcolina zu umarmen? Ja, wäre ich um den gleichen Preis nicht zu dem Gelübde bereit, Venedig niemals wieder zu betreten, – auch wenn sie mich im Triumph dahin zurückholen wollten? Venedig!… Er wiederholte das Wort, es klang um ihn in seiner ganzen Herrlichkeit; – und schon hatte es die alte Macht über ihn gewonnen. Die Stadt seiner Jugend stieg vor ihm auf, umflossen von allem Zauber der Erinnerung, und das Herz schwoll ihm in einer Sehnsucht, so qualvoll und über alles Maß, wie er sie noch nie empfunden zu haben glaubte. Auf die Heimkehr zu verzichten erschien ihm als das unmöglichste von allen Opfern, die das Schicksal von ihm fordern dürfte. Was sollte er weiter in dieser kläglich verblaßten Welt ohne die Hoffnung, die Gewißheit, die geliebte Stadt jemals wiederzusehen? Nach Jahren und Jahrzehnten der Wanderungen und Abenteuer, nach all dem Glück und Unglück, das er erlebt, nach all der Ehre und Schmach, nach den Triumphen und nach den Erniedrigungen, die er erfahren, mußte er doch endlich eine Ruhestatt, eine Heimat haben. Und gab es eine andere Heimat für ihn als Venedig? Und ein anderes Glück als das Bewußtsein, wieder eine Heimat zu haben? In der Fremde vermochte er längst nicht mehr ein Glück dauernd an sich heranzuzwingen. Noch war ihm zuweilen die Kraft gegönnt, es zu erfassen, doch nicht mehr die, es festzuhalten. Seine Macht über die Menschen, Frauen wie Männer, war dahin. Nur wo er Erinnerung bedeutete, vermochte sein Wort, seine Stimme, sein Blick noch zu bannen; seiner Gegenwart war die Wirkung versagt. Vorbei war seine Zeit! Und nun gestand er sich auch ein, was er sich sonst mit besonderer Beflissenheit zu verhehlen suchte, daß selbst seinen schriftstellerischen Leistungen, daß sogar seiner Streitschrift gegen Voltaire, auf die er seine letzte Hoffnung gesetzt hatte, niemals ein in die Weite tragender Erfolg beschieden sein würde. Auch dazu war es zu spät. Ja, hätte er in jüngeren Jahren Muße und Geduld gehabt, sich mit derlei Arbeiten ernstlicher zu beschäftigen, – das wußte er wohl – den ersten dieses Fachs, Dichtern und Philosophen hätte er es gleichgetan; ebenso wie er als Finanzmann oder als Diplomat mit größerer Beharrlichkeit und Vorsicht, als ihm eigen war, zum Höchsten wäre berufen gewesen. Doch wo war all seine Geduld und seine Vorsicht, wo waren alle seine Lebenspläne hin, wenn ein neues Liebesabenteuer lockte? Frauen – Frauen überall. Für sie hatte er alles hingeworfen in jedem Augenblick; für edle wie für gemeine, für die leidenschaftlichen wie für die kalten; für Jungfrauen wie für Dirnen; – für eine Nacht auf einem neuen Liebeslager waren ihm alle Ehren dieser und alle Seligkeiten jener Welt immer feil gewesen. – Doch bereute er, was er durch dieses ewige Suchen und Niemals- oder Immer-Finden, durch dies irdisch-überirdische Fliehen von Begier zu Lust und von Lust zu Begier sonst im Dasein etwa versäumt haben mochte? Nein, er bereute nichts. Er hatte sein Leben gelebt wie keiner; – und lebte er es nicht noch heute in seiner Art? Überall noch gab es Weiber auf seinem Weg: wenn sie auch nicht mehr gerade toll um ihn wurden wie einstmals. – Amalia? – er konnte sie haben, wann er wollte, in dieser Stunde, in ihres betrunkenen Gatten Bett; – und die Wirtin in Mantua – war sie nicht verliebt in ihn wie in einen hübschen Knaben, mit Zärtlichkeit und Eifersucht? – und die blatternarbige, aber wohlgebaute Geliebte Perottis – hatte sie ihn nicht, berauscht von dem Namen Casanova, der die Wollust von tausend Nächten über sie hinzusprühen schien – hatte sie ihn nicht angebettelt, ihr eine einzige Liebesnacht zu gewähren, und hatte er sie nicht verschmäht wie einer, der noch immer nach eigenem Geschmacke wählen durfte? Freilich – Marcolina – solche wie Marcolina waren nicht mehr für ihn da. Oder – wäre sie niemals für ihn dagewesen? Es gab ja wohl auch Frauen solcher Art. Er war vielleicht in früheren Jahren solch einer begegnet; aber da immer zugleich eine andere, willigere zur Stelle war, hatte er sich nicht damit aufgehalten, auch nur einen Tag vergeblich zu seufzen. Und da es nicht einmal Lorenzi gelungen war, Marcolina zu erobern, – da sie sogar die Hand dieses Menschen ausgeschlagen, der ebenso schön und ebenso frech war, wie er, Casanova, in seiner Jugend es gewesen – so mochte Marcolina in der Tat jenes Wundergeschöpf vorstellen, an dessen Vorhandensein auf Erden er bisher gezweifelt – das tugendhafte Weib. Nun aber lachte er so hell auf, daß es durchs Zimmer hallte. »Der Ungeschickte, der Dummkopf!« rief er laut, wie er es bei solchen Selbstgesprächen öfters tat. »Er hat die Gelegenheit nicht zu benützen verstanden. Oder die Marchesa läßt ihn nicht los. Oder hat er sich die erst genommen, als er Marcolina nicht bekommen konnte, die Gelehrte – die Philosophin?!« Und plötzlich kam ihm der Einfall: Ich will ihr morgen meine Streitschrift gegen Voltaire vorlesen! Sie ist das einzige Geschöpf, dem ich das nötige Verständnis dafür zutrauen darf. Ich werde sie überzeugen… Sie wird mich bewundern. Natürlich wird sie… »Vortrefflich, Herr Casanova! Sie schreiben einen glänzenden Stil, alter Herr! Bei Gott… Sie haben Voltaire vernichtet… genialer Greis!« So sprach er, so zischte er vor sich hin und lief im Zimmer hin und her wie in einem Käfig. Ein ungeheurer Grimm hatte ihn erfaßt, gegen Marcolina, gegen Voltaire, gegen sich selbst, gegen die ganze Welt. Er nahm seine letzte Kraft zusammen, um nicht aufzubrüllen. Endlich warf er sich aufs Bett, ohne sich auszukleiden, und lag nun da, die weit offenen Augen zum Gebälk der Decke gerichtet, inmitten dessen er jetzt an einzelnen Stellen im Schein der Kerzen Spinnengewebe silbrig glänzen sah. Dann, wie es ihm zuweilen nach Spielpartien vor dem Einschlafen begegnete, jagten mit phantastischer Geschwindigkeit Kartenbilder an ihm vorbei, und endlich versank er wirklich in einen traumlosen Schlummer, der aber nur eine kurze Weile dauerte. Nun horchte er auf die geheimnisvolle Stille rings um sich. Nach Osten und Süden standen die Fenster des Turmgemachs offen, aus Garten und Feld drangen linde, süße Gerüche aller Art, aus der Landschaft unbestimmte Geräusche zu ihm herein, wie die kommende Frühe sie aus der Weite und Nähe zu bringen pflegt. Casanova vermochte nicht länger still zu liegen; ein lebhafter Drang nach Veränderung erfaßte ihn und lockte ihn ins Freie. Vogelgesang rief ihn von draußen, morgenkühler Wind rührte an seine Stirn. Leise öffnete Casanova die Tür, ging vorsichtig über die Treppe hinab, mit seiner oft erprobten Geschicklichkeit brachte er es zuwege, daß die Holzstufen unter seinem Schritt nicht im geringsten knarrten; über die steinerne Treppe gelangte er ins Erdgeschoß, und durch das Speisezimmer, wo auf dem Tisch noch die halbgefüllten Gläser standen, in den Garten. Da auf dem Kies seine Schritte hörbar wurden, trat er gleich auf die Wiese über, die nun, im Frühdämmerschein, zu unwirklicher Weite sich dehnte. Dann schlich er sich in die Allee, nach der Seite hin, wo ihm Marcolinens Fenster in den Blick fallen mußte. Es war vergittert, verschlossen, verhängt, so wie er es zuletzt gesehen. Kaum fünfzig Schritt vom Hause entfernt setzte sich Casanova auf eine Steinbank. Jenseits der Gartenmauer hörte er einen Wagen vorbeifahren, dann war es wieder still. Aus dem Wiesengrund schwebte ein feiner grauer Dunst; als läge da ein durchsichtig-trüber Teich mit verschwimmenden Grenzen. Wieder dachte Casanova jener Jugendnacht im Klostergarten von Murano – oder eines andern Parks – einer andern Nacht; – er wußte nicht mehr welcher – vielleicht waren es hundert Nächte, die ihm in der Erinnerung in eine einzige zusammenflossen, sowie ihm manchmal hundert Frauen, die er geliebt, in der Erinnerung zu einer einzigen wurden, die als Rätselgestalt durch seine fragenden Sinne schwebte. Und war denn nicht am Ende eine Nacht wie die andere? Und eine Frau wie die andere? Besonders, wenn es vorbei war? Und dieses Wort »vorbei« hämmerte in seinen Schläfen weiter, als sei es bestimmt, von nun ab der Pulsschlag seines verlorenen Daseins zu werden.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
150 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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