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Kitabı oku: «Casanovas Heimfahrt», sayfa 4

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Es war ihm, als raschelte irgend etwas hinter ihm längs der Mauer hin. Oder war›s nur ein Widerklang? Ja, das Geräusch kam vom Hause her. Marcolinens Fenster stand mit einemmal offen, das Gitter war zurückgeschoben, der Vorhang nach der einen Seite hin gerafft; aus dem Dunkel des Gemachs hob sich eine schattenhafte Erscheinung; Marcolina selbst war es, die in hochgeschlossenem weißen Nachtgewand an die Brüstung trat, wie um die holde Luft des Morgens einzuatmen. Casanova hatte sich rasch von der Bank heruntergleiten lassen; über ihren Rand durch das Gezweig der Allee sah er gebannt Marcolina an, deren Augen scheinbar gedanken-, ja richtungslos in die Dämmerung tauchten. Nach ein paar Sekunden erst schien sie ihr noch wie schlafbefangenes Wesen in einem Blicke sammeln zu können, den sie nun langsam nach rechts und links schweifen ließ. Dann beugte sie sich vornüber, wie um auf dem Kies etwas zu suchen, und gleich darauf wandte sie das Haupt mit dem gelösten Haar nach aufwärts wie zu einem Fenster des oberen Stockwerks. Dann stand sie wieder eine Weile ohne Bewegung, die Hände beiderseits an die Fensterstöcke stützend, wie an ein unsichtbares Kreuz geschlagen. Nun erst, als wären sie plötzlich von innen erleuchtet worden, gewannen ihre dämmernden Züge für Casanova an Deutlichkeit. Ein Lächeln spielte um ihren Mund, das gleich wieder erstarrte. Nun ließ sie die Arme sinken, ihre Lippen bewegten sich sonderbar, als flüsterten sie ein Gebet; wieder schweifte ihr Blick langsam suchend durch den Garten, dann nickte sie kurz, und im selben Augenblick schwang sich jemand über die Brüstung ins Freie, der bis jetzt zu Marcolinens Füßen gekauert sein mußte, – Lorenzi. Er flog mehr als er ging über den Kies zur Allee hin, durchquerte sie kaum zehn Schritte weit von Casanova, der, den Atem anhaltend, unter der Bank lag, und eilte dann jenseits der Allee, wo ein schmaler Wiesenstreif die Mauer entlang lief, den Blicken Casanovas entschwindend, nach rückwärts. Casanova hörte eine Tür in den Angeln seufzen, – es konnte keine andre sein als diejenige, durch die er selbst gestern abend mit Olivo und dem Marchese in den Garten zurückgekehrt war – dann war alles still. Marcolina war die ganze Zeit völlig regungslos dagestanden: sobald sie Lorenzi in Sicherheit wußte, atmete sie tief auf, schloß Gitter und Fenster, der Vorhang fiel nieder wie durch eigene Kraft, und alles war, wie es vorher gewesen; – nur daß indes, als hätte er nun keinen Anlaß mehr zu zögern, der Tag über Haus und Garten aufgezogen war.

Auch Casanova lag noch da, wie zuvor, die Hände vor sich hingestreckt, unter der Bank. Nach einer Weile kroch er weiter, in die Mitte der Allee, und weiter auf allen vieren, bis er an eine Stelle kam, wo er weder von Marcolinens Fenster, noch von einem andern aus gesehen werden konnte. Nun erhob er sich mit schmerzendem Rücken, reckte sich in die Höhe, dehnte die Glieder und kam endlich zur Besinnung, ja fand sich jetzt erst selber wieder, als hätte er sich aus einem geprügelten Hund in einen Menschen zurückverwandelt, der die Prügel nicht als körperlichen Schmerz, sondern als tiefe Beschämung weiter zu verspüren verdammt war. Warum, fragte er sich, bin ich nicht zu dem Fenster hin, solang es noch offen stand? Und über die Brüstung hinein zu ihr? – Hätte sie Widerstand leisten können – dürfen – die Heuchlerin, die Lügnerin, die Dirne? Und er beschimpfte sie immer weiter, als hätte er ein Recht dazu, als hätte sie ihm Treue gelobt wie einem Geliebten und ihn betrogen. Er schwor sich zu, sie zur Rede zu stellen von Angesicht zu Angesicht, ihr ins Antlitz zu schleudern, vor Olivo, vor Amalia, vor dem Marchese, dem Abbate, vor der Magd und den Knechten, daß sie eine lüsterne kleine Hure war und nichts anderes. Wie zur Übung, in aller Ausführlichkeit, erzählte er sich selber vor, was er eben mit angesehen, und machte sich das Vergnügen, allerlei dazu zu erfinden, um sie noch tiefer zu erniedrigen; daß sie nackt am Fenster gestanden, daß sie im Spiel der Morgenwinde von ihrem Geliebten sich habe unzüchtig liebkosen lassen. Nachdem er so seine Wut fürs erste zur Not beschwichtigt hatte, dachte er nach, ob mit dem, was er nun wußte, nicht doch vielleicht was Besseres anzufangen wäre. Hatte er sie jetzt nicht in seiner Gewalt? Konnte er nun die Gunst, die sie ihm gutwillig nicht gewährt hätte, nicht durch Drohungen von ihr erzwingen? Aber dieser schmähliche Plan sank sofort wieder in sich zusammen, nicht so sehr weil Casanova dessen Schmählichkeit, als weil er dessen Zweck- und Sinnlosigkeit gerade in diesem Fall erkennen mußte. Was konnten seine Drohungen Marcolina kümmern, die niemandem Rechenschaft schuldig, die am Ende auch, wenn›s ihr darauf ankam, verschlagen genug war, ihn als einen Verleumder und Erpresser von ihrer Schwelle zu jagen? Und selbst wenn sie aus irgendeinem Grunde das Geheimnis ihrer Liebschaft mit Lorenzi durch ihre Preisgabe zu erkaufen bereit war (er wußte freilich, daß er etwas erwog, das außer dem Bereich aller Möglichkeiten lag), mußte ein so erzwungener Genuß für ihn, der, wenn er liebte, tausendmal heißer danach verlangte Glück zu geben, als Glück zu empfangen, sich nicht in eine unnennbare Qual verwandeln, – die ihn zum Wahnsinn und in Selbstvernichtung trieb? Er fand sich plötzlich an der Gartentür. Sie war versperrt. Lorenzi hatte also einen Nachschlüssel. Und wer – fiel ihm nun ein – war denn durch die Nacht auf trabendem Roß davongesprengt, nachdem Lorenzi sich vom Spieltisch erhoben? Ein bestellter Knecht offenbar. – Unwillkürlich mußte Casanova beifällig lächeln… Sie waren einander würdig, Marcolina und Lorenzi, die Philosophin und der Offizier. Und ihnen beiden stand noch eine herrliche Laufbahn bevor. Wer wird Marcolinens nächster Liebhaber sein? fragte er sich. Der Professor in Bologna, in dessen Hause sie wohnt? O, ich Narr. Der war›s ja längst… Wer noch? Olivo? Der Abbate? Warum nicht?! Oder der junge Knecht, der gestern glotzend am Tore stand, als wir angefahren kamen? Alle! Ich weiß es. Aber Lorenzi weiß es nicht. Das hab› ich vor ihm voraus. – Zwar war er im Innersten überzeugt, daß Lorenzi nicht nur Marcolinens erster Liebhaber, sondern er vermutete sogar, daß es heute die erste Nacht war, die sie ihm geschenkt hatte; doch das hielt ihn nicht ab, seine boshaft-lüsternen Gedankenspiele weiterzutreiben, während er den Garten längs der Mauer umkreiste. So stand er denn wieder vor der Saaltür, die er offen gelassen, und sah ein, daß ihm vorläufig nichts andres zu tun übrigblieb, als ungesehen und ungehört sich zurück ins Turmgemach zu begeben. Mit aller Vorsicht schlich er hinauf und ließ sich oben auf den Lehnstuhl sinken, auf dem er schon früher gesessen; vor den Tisch hin, auf dem die losen Blätter des Manuskriptes seiner Wiederkehr nur zu warten schienen. Unwillkürlich fiel sein Auge auf den Satz, den er vorhin in der Mitte abgebrochen hatte; und er las: »Voltaire wird unsterblich sein, gewiß; aber er wird diese Unsterblichkeit erkauft haben mit seinem unsterblichen Teil; – der Witz hat sein Herz aufgezehrt, wie der Zweifel seine Seele, und also —« In diesem Augenblick brach die Morgensonne rötlich flutend herein, so daß das Blatt, das er in Händen hielt, zu erglühen anfing, und wie besiegt ließ er es auf den Tisch zu den andern sinken. Er fühlte plötzlich die Trockenheit seiner Lippen, schenkte sich ein Glas Wasser ein aus einer Flasche, die auf dem Tisch stand; es schmeckte lau und süßlich. Angewidert wandte er den Kopf nach der Seite; von der Wand, aus dem Spiegel über der Kommode, starrte ihm ein bleiches altes Gesicht entgegen mit wirrem, über die Stirn fließendem Haar. In selbstquälerischer Lust ließ er seine Mundwinkel noch schlaffer herabsinken, als gälte es eine abgeschmackte Rolle auf dem Theater durchzuführen, fuhr sich ins Haar, daß die Strähnen noch ungeordneter fielen, streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus, krächzte mit absichtlich heiserer Stimme eine Reihe alberner Schimpfworte gegen sich selbst und blies endlich, wie ein ungezogenes Kind, die Blätter seines Manuskriptes vom Tisch herunter. Dann begann er von neuem Marcolina zu beschimpfen, und nachdem er sie mit den unflätigsten Worten bedacht, zischte er zwischen den Zähnen: Denkst du, die Freude währt lang? Du wirst fett und runzlig und alt werden wie die andern Weiber, die mit dir zugleich jung gewesen sind, – ein altes Weib mit schlaffen Brüsten, mit trocknem grauen Haar, zahnlos und von üblem Duft… und endlich wirst du sterben! Auch jung kannst du sterben! Und wirst verwesen! Und Speise sein für Würmer. – Um eine letzte Rache an ihr zu nehmen, versuchte er sich sie als Tote vorzustellen. Er sah sie weiß gekleidet im offenen Sarge liegen, doch war er unfähig, irgendwelche Zeichen der Zerstörung an ihr zu denken; sondern ihre wahrhaft überirdische Schönheit brachte ihn in neue Raserei. Vor seinen geschlossenen Augen wurde der Sarg zum Brautbett; Marcolina lag lächelnd da mit blinzelnden Lidern, und mit ihren schmalen bleichen Händen, wie zum Hohn, über ihren zarten Brüsten zerriß sie das weiße Gewand. Doch wie er seine Arme nach ihr ausstreckte, sich auf sie stürzen, sie umfangen wollte, zerfloß die Erscheinung in nichts. – Es klopfte an die Tür; er fuhr aus dumpfen Schlaf empor, Olivo stand vor ihm. »Wie, schon am Schreibtisch?« – »Es ist meine Gewohnheit«, erwiderte Casanova sofort gefaßt, »der Arbeit die ersten Morgenstunden zu widmen. Wie spät mag es sein?« – »Acht Uhr«, erwiderte Olivo, »das Frühstück steht im Garten bereit; sobald Sie befehlen, Chevalier, wollen wir unsere Fahrt nach dem Kloster antreten. Doch ich sehe, der Wind hat Ihnen die Blätter verstreut!« Und er machte sich daran, die Papiere vom Fußboden auszulesen. Casanova ließ es geschehen, denn er war ans Fenster getreten und erblickte, um den Frühstückstisch gereiht, den man auf die Wiese in den Schatten des Hauses gestellt hatte, alle weiß gekleidet, Amalia, Marcolina und die drei kleinen Mädchen. Sie riefen ihm einen Morgengruß zu. Er sah nur Marcolina, sie lächelte freundlich zu ihm auf mit hellen Augen, hielt einen Teller mit frühgereiften Trauben auf dem Schoß und steckte eine Beere nach der andern in den Mund. Alle Verachtung, aller Zorn, aller Haß schmolz in Casanovas Herzen dahin; er wußte nur mehr, daß er sie liebte. Wie trunken von ihrem Anblick zog er sich wieder ins Zimmer zurück, wo Olivo noch immer auf dem Fußboden kniend die verstreuten Blätter unter Tisch und Kommode hervorsuchte, verbat sich dessen weitere Bemühungen und wünschte allein gelassen zu werden, um sich für die Spazierfahrt fertigzumachen. »Es eilt nicht«, sagte Olivo und streifte den Staub von seinen Beinkleidern, »wir sind zum Mittagessen bequem zurück. Übrigens hat der Marchese bitten lassen, daß wir mit dem Spiel heute schon in früher Nachmittagsstunde beginnen; offenbar liegt ihm daran, vor Sonnenuntergang zu Hause zu sein.« »Mir ist es ziemlich gleichgültig, wann das Spiel beginnt«, sagte Casanova, während er seine Blätter in die Mappe ordnete; »ich werde mich keineswegs daran beteiligen.« »Sie werden«, erklärte Olivo mit einer Entschiedenheit, die sonst nicht seine Art war, und legte eine Rolle von Goldstücken auf den Tisch. »Meine Schuld, Chevalier, spät, doch aus dankerfülltem Herzen.« Casanova wehrte ab. »Sie müssen«, beteuerte Olivo, »wenn Sie mich nicht aufs tiefste beleidigen wollen; überdies hat Amalia heute nacht einen Traum gehabt, der Sie veranlassen wird – doch den soll sie Ihnen selbst erzählen.« Und er verschwand eiligst. Casanova zählte immerhin die Goldstücke; es waren hundertfünfzig, genau die Summe, die er vor fünfzehn Jahren dem Bräutigam oder der Braut oder ihrer Mutter – er wußte es selbst nicht mehr recht – zum Geschenk gemacht hatte. Das Vernünftigste wäre, sagte er zu sich, ich steckte das Geld ein, nähme Abschied und verließe das Haus, womöglich ohne Marcolina noch einmal zu sehen. Doch hab› ich je das Vernünftige getan? – Und ob nicht indes eine Nachricht aus Venedig gekommen ist?… Zwar hat meine vortreffliche Wirtin versprochen, sie mir unverzüglich nachzusenden…

Die Magd hatte indes einen großen irdenen Krug mit quellkaltem Wasser heraufgebracht, und Casanova wusch sich den ganzen Leib, was ihn sehr erfrischte; dann legte er sein besseres, eine Art von Staatsgewand an, wie er es schon gestern abend getan hätte, wenn er nur Zeit gefunden, die Kleidung zu wechseln; doch war er›s nun ganz zufrieden, daß er heute in vornehmerer Tracht als am vergangenen Tag, ja gewissermaßen in einer neuen Gestalt vor Marcolina erscheinen durfte.

In einem Rock von grauer Glanzseide mit Stickereien und breiten spanischen Silberspitzen, in gelber Weste und kirschroten seidenen Beinkleidern, in edler, dabei nicht geradezu stolzer Haltung, mit einem zwar überlegenen, aber liebenswürdigen Lächeln um die Lippen, und das Auge wie im Feuer unverlöschlicher Jugend strahlend, so trat er in den Garten, wo er zu seiner Enttäuschung vorerst nur Olivo vorfand, der ihn einlud, neben ihm am Tische Platz und mit dem bescheidenen Frühmahl vorlieb zu nehmen. Casanova erlabte sich an Milch, Butter, Eiern, Weißbrot und dann noch an Pfirsichen und Trauben, die ihm köstlicher dünkten als irgendwelche, die er jemals genossen. Die drei Mädchen kamen über den Rasen herbeigelaufen, Casanova küßte sie alle, und der Dreizehnjährigen erwies er kleine Liebkosungen in der Art, wie sie sich gestern solche auch vom Abbate hatte gefallen lassen; doch die Funken, die in ihren Augen aufglimmten, waren, wie Casanova wohl erkannte, von einer andern Lust als der an einem kindisch-harmlosen Spiel entzündet. Olivo hatte seine Freude daran, wie gut der Chevalier mit den Kindern umzugehen verstünde. »Und Sie wollen uns wirklich schon morgen wieder verlassen?« fragte er schüchtern-zärtlich. – »Heute abend«, sagte Casanova, aber mit einem scherzhaften Blinzeln. »Sie wissen ja, mein bester Olivo, die Senatoren von Venedig —« »Haben es nicht um Sie verdient«, unterbrach ihn Olivo lebhaft. »Lassen Sie sie warten. Bleiben Sie bei uns bis übermorgen, nein, eine Woche lang.« Casanova schüttelte langsam den Kopf, während er die kleine Teresina bei den Händen gefaßt und zwischen seinen Knien wie gefangen hielt. Sie entwand sich ihm sanft mit einem Lächeln, das nun gar nichts Kindliches mehr hatte, als Amalia und Marcolina aus dem Hause traten, jene mit einem schwarzen, diese mit einem weißen Schaltuch über den hellen Gewändern. Olivo forderte sie beide auf, ihre Bitten mit der seinigen zu vereinen. »Es ist unmöglich«, sagte Casanova mit einer übertriebenen Härte in Stimme und Ausdruck, da weder Amalia noch Marcolina ein Wort fanden, Olivos Einladung zu unterstützen.

Während sie durch die Kastanienallee dem Tore zuschritten, richtete Marcolina an Casanova die Frage, ob er heute nacht seine Arbeit, über der ihn Olivo, wie er gleich erzählt, noch am hellen Morgen wach gefunden, beträchtlich gefördert habe? Schon gedachte Casanova ihr eine zweideutig-boshafte Antwort zu geben, die sie stutzig gemacht hätte, ohne ihn doch selbst zu verraten; aber er zügelte seinen Witz in der Erwägung, daß jede Voreiligkeit von Übel sein könnte, und erwiderte höflich, daß er nur einige Änderungen angebracht habe, zu denen er die Anregung der gestrigen Unterhaltung mit ihr verdanke. Sie stiegen in den unförmlichen, schlechtgepolsterten, aber sonst bequemen Wagen. Casanova saß Marcolinen, Olivo seiner Gattin gegenüber; doch das Gefährt war so geräumig, daß es trotz des Hinundherrüttelns zu keiner ungewollten Berührung zwischen den Insassen kommen konnte. Casanova bat Amalia, ihm ihren Traum zu erzählen. Sie lächelte ihn freundlich, fast gütig an; jede Spur von Gekränktheit oder Groll war aus ihren Zügen verschwunden. Dann begann sie: »Ich sah Sie, Casanova, in einem herrlichen, mit sechs dunklen Pferden bespannten Wagen vor einem hellen Gebäude vorfahren. Vielmehr: der Wagen hielt an und ich wußte noch nicht, wer drin saß – da stiegen Sie aus, in einem prächtigen, weißen, goldgestickten Staatsgewand, fast noch prächtiger anzuschaun, als Sie heute angetan sind – (es war ein freundlicher Spott in ihren Mienen) – und Sie trugen – wahrhaftig, die gleiche schmale Goldkette trugen Sie, die Sie heute tragen, und die ich doch wahrlich niemals noch an Ihnen gesehen habe! (Diese Kette mit der goldenen Uhr und eine mit Halbedelsteinen besetzte goldene Dose, die Casanova eben wie spielend in der Hand hielt, waren die letzten Schmuckstücke von mäßigem Wert, die er sich zu bewahren gewußt hatte.) – Ein alter, bettelhaft aussehender Mann öffnete den Wagenschlag – es war Lorenzi; Sie aber, Casanova, Sie waren jung, ganz jung, noch jünger, als Sie damals gewesen sind. – (Sie sagte »damals«, unbekümmert darum, daß aus diesem Worte flügelrauschend all ihre Erinnerungen geflattert kamen.) Sie grüßten nach allen Seiten, obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen war, und traten durch das Tor; es schlug heftig hinter Ihnen zu, ich wußte nicht, ob es der Sturm zugeschleudert oder Lorenzi; – so heftig, daß die Pferde scheuten und mit dem Wagen davonrasten. Nun hörte ich ein Geschrei aus Nebengassen, wie von Menschen, die sich zu retten suchen, das verstummte gleich. Sie aber erschienen an einem Fenster des Hauses, ich wußte jetzt, daß es ein Spielhaus war, und grüßten herab nach allen Seiten, und es war doch niemand da. Dann wandten Sie sich über Ihre Schulter nach rückwärts, als stände irgendwer hinter Ihnen im Zimmer; aber ich wußte, daß auch dort niemand war. Nun erblickte ich Sie plötzlich an einem andern Fenster, in einem höhern Stockwerk, wo genau dasselbe vor sich ging, dann wieder höher, und wieder, es war, als wüchse das Gebäude ins Unendliche; und von überall grüßten Sie herunter und sprachen mit Menschen, die hinter Ihnen standen, aber doch eigentlich gar nicht da waren. Lorenzi aber lief immerfort auf den Treppen Ihnen nach, ohne Sie einzuholen. Sie hatten nämlich nicht daran gedacht, ihm ein Almosen zu geben…«

»Nun?« fragte Casanova, als Amalia schwieg. – »Es kam wohl noch allerlei, aber ich hab› es vergessen«, sagte Amalia. Casanova war enttäuscht; an ihrer Stelle hätte er, wie er es in solchen Fällen, ob es sich nun um Träume handelte oder um Wirklichkeiten, immer tat, der Erzählung eine Abrundung, einen Sinn zu geben versucht, und so bemerkte er nun etwas unzufrieden: »Wie der Traum doch alles verkehrt. – Ich – als reicher Mann und Lorenzi als Bettler und alter Mann.« – »Mit Lorenzis Reichtum«, sagte Olivo, »ist es nicht weit her; sein Vater ist zwar ziemlich begütert, aber er steht mit dem Sohne nicht zum besten.« – Und ohne sich mit Fragen weiter bemühen zu müssen, erfuhr Casanova, daß man des Leutnants Bekanntschaft dem Marchese verdanke, der ihn vor wenigen Wochen eines Tages einfach in Olivos Haus mitgebracht habe. Wie der junge Offizier mit der Marchesa stünde, das müsse man einem Kenner, wie dem Chevalier, nicht erst ausdrücklich zu verstehen geben; da übrigens der Gatte nichts dagegen einzuwenden finde, könne man sich als Unbeteiligter gleichfalls dabei beruhigen,

»Ob der Marchese so einverstanden ist, wie Sie zu glauben scheinen, Olivo«, sagte Casanova, »möchte ich bezweifeln. Haben Sie nicht bemerkt, mit welchem Gemisch von Verachtung und Grimm er den jungen Menschen behandelt? Ich möchte nicht darauf schwören, daß die Sache ein gutes Ende nimmt.«

Auch jetzt rührte sich nichts in Marcolinens Antlitz und Haltung. Sie schien an dem ganzen Gespräch über Lorenzi nicht den geringsten Anteil zu nehmen und sich still am Anblick der Landschaft zu erfreuen. Man fuhr eine in zahlreichen Windungen sanft ansteigende Straße durch einen Wald von Oliven und Steineichen; und da man eben an eine Stelle kam, wo die Pferde noch langsamer trotteten als vorher, zog es Casanova vor, auszusteigen und neben dem Gefährt einherzugehen. Marcolina sprach von der schönen Umgebung Bolognas und von den Abendspaziergängen, die sie mit der Tochter des Professors Morgagni zu unternehmen pflegte. Auch erwähnte sie der Absicht, nächstes Jahr nach Frankreich zu reisen, um den berühmten Mathematiker Saugrenue von der Pariser Universität, mit dem sie in Korrespondenz stehe, persönlich kennenzulernen. »Vielleicht mache ich mir das Vergnügen«, sagte sie lächelnd, »mich auf dem Weg in Ferney aufzuhalten, um aus Voltaires eigenem Mund zu erfahren, wie er die Streitschrift seines gefährlichsten Widersachers, des Chevaliers von Seingalt, aufgenommen.« Casanova, die Hand auf der Seitenlehne des Wagens, neben Marcolinens Arm, dessen sich bauschende Hülle seine Finger streifte, erwiderte kühl: »Es wird sich weniger darum handeln, wie Herr Voltaire, als vielmehr wie die Nachwelt meine Schrift aufnimmt; denn diese erst wird ein Recht darauf haben, die endgültige Entscheidung zu treffen.« – »Sie glauben«, meinte Marcolina ernsthaft, »daß in den Fragen, die hier zur Sprache stehen, überhaupt endgültige Entscheidungen gefällt werden können?« – »Diese Frage wundert mich aus Ihrem Munde, Marcolina, deren philosophische, und wenn das Wort hier angebracht erscheint, religiöse Ansichten mir zwar keineswegs an sich unbestreitbar, aber doch in Ihrer Seele – falls Sie eine solche als vorhanden annehmen – vollkommen fest gegründet schienen.« – Marcolina, der Spitzen in Casanovas Rede nicht achtend, sah ruhig zum Himmel auf, der sich in dunkler Bläue über die Wipfel der Bäume breitete, und erwiderte: »Manchmal, besonders an Tagen wie heute«, – und in diesem Wort klang nur für Casanova, den Wissenden, aus den Tiefen ihres erwachten Frauenherzens eine bebende Andacht mit – »ist mir, als wäre all das, was man Philosophie und Religion nennt, nur ein Spiel mit Worten, edler freilich, doch auch sinnloser als alle andern sind. Die Unendlichkeit und die Ewigkeit zu erfassen wird uns immer versagt sein; unser Weg geht von der Geburt zum Tode; was bleibt uns übrig als nach dem Gesetz zu leben, das jedem von uns in die Brust gesenkt ist – oder auch wider das Gesetz? Denn Auflehnung wie Demut kommen gleichermaßen von Gott.«

Olivo sah auf seine Nichte mit scheuer Bewunderung, dann ängstlich zu Casanova hin, der nach einer Entgegnung suchte, mit der er Marcolinen klarmachen könnte, daß sie Gott sozusagen in einem Atemzug bewies und leugnete, – oder daß Gott und Teufel für sie eines seien; – aber er spürte, daß er gegen ihr Gefühl nichts andres einzusetzen hatte als leere Worte, – und nicht einmal die boten sich ihm heute dar. Doch der sonderbar sich verzerrende Ausdruck seiner Mienen schien in Amalia die Erinnerung an seine wirren Drohungen von gestern wieder aufzuwecken, und sie beeilte sich zu bemerken: »Und doch ist Marcolina fromm, glauben Sie mir, Chevalier.« – Marcolina lächelte verloren. »Wir sind es alle in unsrer Weise«, sagte Casanova höflich und sah vor sich hin.

Eine plötzliche Biegung des Wegs, und das Kloster lag vor ihnen. Über die hohe Umfassungsmauer ragten die schlanken Enden der Zypressen. Auf das Geräusch des heranrollenden Wagens hatte sich das Tor aufgetan, ein Pförtner mit langem weißen Barte grüßte andächtig und ließ die Gäste ein. Durch einen offenen Bogengang, zwischen dessen Säulen man beiderseits in einen ganz verwachsenen, dunkelgrünen Garten sah, näherten sie sich dem eigentlichen Klostergebäude, von dessen grauen, völlig schmucklosen, gefängnisartigen Mauern eine unfreundlich-kühle Luft über sie geweht kam. Olivo zog an dem Glockenstrang, es tönte schrill und verhallte sofort, eine tiefverschleierte Nonne öffnete schweigend und geleitete die Gäste in den geräumigen kahlen Sprechsaal, in dem nur ein paar einfache hölzerne Stühle standen. Nach rückwärts war er durch ein dickstäbiges Eisengitter abgeschlossen, jenseits dessen der Raum in ein unbestimmtes Dunkel verschwamm. Bitternis im Herzen, dachte Casanova jenes Abenteuers, das ihm auch heute noch eines seiner wunderbarsten dünkte und das in ganz ähnlicher Umgebung seinen Anfang genommen: in seiner Seele stiegen die Gestalten der zwei Nonnen von Murano auf, die in der Liebe für ihn als Freundinnen sich gefunden und ihm gemeinsam unvergleichliche Stunden der Lust geschenkt hatten. Und als Olivo im Flüsterton von der strengen Zucht zu sprechen anhub, in der hier die Schwestern gehalten seien, die, einmal eingekleidet, ihr Antlitz unverhüllt vor keinem Manne zeigen dürften und überdies zu ewigem Schweigen verurteilt wären, zuckte um seine Lippen ein Lächeln, das gleich wieder erstarrte.

Die Äbtissin stand in ihrer Mitte, wie aus dem Dämmer hervorgetaucht. Stumm begrüßte sie die Gäste: mit einem über alle Maßen gütigen Neigen des verhüllten Hauptes nahm sie Casanovas Dank für den auch ihm gewährten Einlaß entgegen; Marcolina aber, die ihr die Hand küssen wollte, schloß sie in die Arme. Dann lud sie alle durch eine Handbewegung ein, ihr zu folgen, und führte sie durch einen kleinen Nebenraum in einen Gang, der im Viereck rings um einen blühenden Garten lief. Im Gegensatz zu jenem äußeren verwilderten schien er mit besondrer Sorgfalt gepflegt, und die vielen reichen sonnbeglänzten Beete spielten in wundersamen aufgeglühten und verklingenden Farben. Den heißen, fast betäubenden Düften aber, die den Blütenkelchen entströmten, schien ein ganz besonders geheimnisvoller beigemischt, für den Casanova in seiner Erinnerung keinen Vergleich zu finden wußte. Doch wie er eben zu Marcolina hiervon ein Wort sagen wollte, merkte er, daß dieser geheimnisvolle, herz- und sinnerregende Duft von ihr selber ausging, die den Schal, den sie bisher über den Schultern getragen, über den Arm gelegt hatte, so daß aus dem Ausschnitt ihrer nun loser gewordenen Gewandung aufsteigend der Duft ihres Leibes sich dem der hunderttausend Blumen wie ein von Natur verwandter und doch eigentümlicher beigesellte. Die Äbtissin, immer stumm, führte die Besucher zwischen den Beeten auf schmalen, vielfach gewundenen Wegen, wie durch ein zierliches Labyrinth hin und her; in der Leichtigkeit und Raschheit ihres Gangs war die Freude zu merken, die sie selbst daran empfand, den andern die bunte Pracht ihres Gartens zu weisen; – und als hätte sie›s drauf angelegt, sie schwindlig zu machen, wie die Führerin eines heiteren Reigentanzes, schritt sie, immer eiliger, ihnen voran. Plötzlich aber – Casanova war es zumute, als wachte er aus einem wirren Traume auf – fanden sie sich alle im Sprechsaal wieder. Jenseits des Gitters schwebten dunkle Gestalten; niemand hätte zu unterscheiden vermocht, ob es drei oder fünf oder zwanzig verschleierte Frauen waren, die hinter den dichtgestellten Stäben wie aufgescheuchte Geister hin und her irrten; und nur Casanovas nachtscharfes Auge war imstande, in der tiefen Dämmerung überhaupt menschliche Umrisse zu erkennen. Die Äbtissin geleitete ihre Gäste zur Tür, gab ihnen stumm das Zeichen, daß sie entlassen seien, und war spurlos verschwunden, ehe jene nur Zeit gefunden hatten, ihr den schuldigen Dank auszusprechen. Plötzlich, als sie eben den Saal verlassen wollten, erklang es aus der Gegend des Gitters her von einer Frauenstimme – »Casanova« – nichts als der Name, doch mit einem Ausdruck, wie ihn Casanova noch niemals gehört zu haben vermeinte. Ob eine Einstmalsgeliebte – ob eine Niemalsgeschaute eben ein heiliges Gelübde gebrochen, um ein letztes, – oder ein erstes Mal seinen Namen in die Luft zu hauchen; – ob darin die Seligkeit eines unerwarteten Wiedersehens, der Schmerz um unwiederbringlich Verlorenes oder die Klage gezittert, daß ein heißer Wunsch aus fernen Tagen sich so spät und nutzlos erfüllte, – Casanova vermochte es nicht zu deuten; nur dies eine wußte er, daß sein Name, so oft Zärtlichkeit ihn geflüstert, Leidenschaft ihn gestammelt, Glück ihn gejubelt hatte, heute zum erstenmal mit dem vollen Klang der Liebe an sein Herz gedrungen war. Doch eben darum schien jede weitere Neugier ihm unlauter und sinnlos; – und hinter einem Geheimnis, das er nimmer enträtseln sollte, schloß sich die Tür. Hätten nicht die andern durch Blicke sich scheu und flüchtig zu verstehen gegeben, daß auch sie den gleich wieder verhallten Ruf gehört, so hätte jeder für seinen Teil an eine Sinnestäuschung glauben können; denn keiner sprach ein Wort, während sie durch den Säulengang dem Tore zuschritten. Casanova aber folgte als letzter, mit geneigtem Haupt, wie von einem großen Abschied. —

Der Pförtner stand am Tor, empfing sein Almosen, und die Gäste stiegen in den Wagen, der sie ohne weiteren Verzug heimwärts führte. Olivo schien verlegen, Amalia entrückt, Marcolina jedoch völlig unberührt; und allzu absichtlich, wie es Casanova dünkte, versuchte sie mit Amalia ein Gespräch über Angelegenheiten der Hauswirtschaft einzuleiten, das aber Olivo an Stelle seiner Gattin aufnehmen mußte. Bald nahm auch Casanova daran teil, der sich auf Fragen, die Küche und Keller betrafen, vortrefflich verstand, und keinen Anlaß sah, mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen auch auf diesem Gebiet, wie zu einem neuen Beweis seiner Vielseitigkeit, zurückzuhalten. Nun wachte auch Amalia aus ihrer Versonnenheit auf; nach dem fast märchenhaften und doch beklemmenden Abenteuer, aus dem sie eben emporgetaucht waren, schienen sich alle, besonders aber Casanova, in so irdisch alltäglicher Atmosphäre vorzüglich zu behagen, und, als der Wagen vor Olivos Hause hielt, aus dem ihnen schon einladend der Geruch von Braten und allerlei Gewürzen entgegenströmte, war Casanova gerade in der äußerst appetitreizenden Schilderung eines polnischen Pastetengerichts begriffen, der auch Marcolina mit einer liebenswürdig-hausfraulichen, von Casanova als schmeichelhaft empfundenen Teilnahme zuhörte.

In einer seltsam beruhigten, beinahe vergnügten Stimmung, über die er selbst verwundert war, saß er dann mit den andern bei Tische und machte Marcolinen in einer scherzhaft aufgeräumten Weise den Hof, wie es sich etwa für einen vornehmen ältern Herrn einem wohlerzogenen jungen Mädchen aus bürgerlichem Hause gegenüber schicken mochte. Sie ließ es sich gern gefallen und gab ihm seine Artigkeiten mit vollendeter Anmut zurück. Ihm machte es ebenso große Mühe, sich vorzustellen, daß seine gesittete Nachbarin dieselbe Marcolina war, aus deren Fenster er heute nacht einen jungen Offizier hatte flüchten sehen, der offenbar noch in der Sekunde vorher in ihren Armen gelegen war, – als es ihm schwerfiel, anzunehmen, daß dieses zarte Fräulein, das sich mit andern kaum erwachsenen Mädchen im Gras herumzuwälzen liebte, – eine gelehrte Korrespondenz mit dem berühmten Saugrenue in Paris unterhielt; und er schalt sich zugleich ob dieser lächerlichen Trägheit seiner Phantasie. Hatte er nicht schon unzählige Male erfahren, daß in jedes wahrhaft lebendigen Menschen Seele nicht nur verschiedene, daß sogar scheinbar feindliche Elemente auf die friedlichste Weise darin zusammenwohnten? Er selbst, vor kurzem noch ein im tiefsten aufgewühlter, ein verzweifelter, ja ein zu bösem Tun bereiter Mann; – war er jetzt nicht sanft, gütig und zu so lustigen Späßchen aufgelegt, daß die kleinen Töchter Olivos sich manchmal vor Lachen schüttelten? Nur an seinem ganz außerordentlichen, fast tierischen Hunger, der ihn immer nach starken Aufregungen zu überfallen pflegte, erkannte er selbst, daß die Ordnung in seiner Seele noch keineswegs völlig hergestellt war.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
150 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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