Kitabı oku: «Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln», sayfa 22
Auf Bäumen wachsen Vögel
An der Flasche, die wir aus dem Meer zogen, klebten vier kleine, zarte Entenmuscheln, die bestgehaßten blinden Passagiere der Segler. Im Jugendstadium heften sie sich an Treibholz und Schiffe, zuweilen auch an Schildkröten, Wale und sogar Fische, um sich auf diese Weise eine kostenlose Passage in alle Winkel der Weltmeere zu sichern. Manchmal wachsen sie zu richtigen „Wäldern“ heran, zu Wäldern, die auf dem Kopf stehen und ihre gefiederten Füße wie belaubte Zweige in die Tiefen des Meeres strecken.
Auch unter meinem Einbaum und unter dem Faltboot hatten sich diese unerwünschten Mieter eingemietet und die Geschwindigkeit der Boote herabgesetzt. Zum Ausgleich jedoch bildeten sie im Verein mit anderem pflanzlichen und zoologischen Getier einen kleinen privaten Unterwassergarten, der mir meinen knappen Lebensmittelvorrat strecken half. Hatte ich Appetit auf Entenmuscheln, „pflückte“ ich sie mir aus diesem Garten und verzehrte sie roh, die jüngeren Tiere sogar mitsamt der dünnen Kalkschaie, die sich leicht zerkauen läßt.
In einigen Gegenden der Welt ißt man Entenmuscheln mit Genuß, und das nicht nur in mageren, sondern auch in guten Zeiten. In Südchile, zum Beispiel, wird eine Riesenart dieser Muscheln zu einer Suppe verwendet, deren Wohlgeschmack dem der französischen Bouillabaisse nicht nachsteht.
Die Entenmuscheln durchlaufen eine Reihe eigenartiger Entwicklungsstadien. Daher hat es sehr lange gedauert, bis sie von der Wissenschaft klassifiziert werden konnten. Im Mittelalter glaubten die Gelehrten, sie wären Baumfrüchte, die sich zu Vögeln entwickelten, gelegentlich tot zur Erde fielen und gegessen werden könnten. Dann wieder vertrat man die Meinung, diese seltsamen Lebewesen entstünden aus Fichtenholz, das vom Meer auf den Strand getrieben wird; sie wären echte, kleine Sumpfgänse, suchten ihre Nahrung jedoch aus dem Holz.
Das klingt absurd, doch warum sollte man nicht an diese Baumgänse glauben, wo man doch sogar davon überzeugt war, daß sich Vögel in Frösche verwandeln können?
Entenmuscheln sehen in den einzelnen Stadien ihrer Entwicklung sehr verschieden aus. Zuweilen könnte man sie für Muschelkrebse halten, dann wieder für Schnecken. Als Larven haben sie das Aussehen von Garnelen; in diesem Stadium suchen sie sich ein „Grundstück“ und kleben darauf ihr Fundament. Sie besitzen zu diesem Zweck in ihren Fühlern besondere Drüsen, die einen Zement absondern, mit denen sie sich kopf-zsuerst an die gewünschte Baufläche – beispielsweise eine Schiffswand – anmauern. Versucht man sie später von der Schiffs wand abzureißen, löst man zugleich die Farbe mit ab, an der sie sich festgeschweißt haben. Im Magen von Hornfischen, den speziellen Feinden der Entenmuscheln, fand ich so viele giftige Farbreste, daß ich mich fragte, wie die Fische noch am Leben sein konnten.
Doch zurück zu den Larven. Haben sie sich an dem gewünschten Bauplatz festgemauert, bauen sie sich ein Haus in Form zweier kalkhaltiger Schalen, in das sie sich bei Gefahr zurückziehen können. Ihr Hals beginnt nun in die Länge zu wachsen, ihre Augen bilden sich zurück, und ihre Füße werden zu gefiederten Fächern, mit deren Hilfe sie sich Wasser herbeifächeln, aus dem sie sich ihre Nahrung holen. Mit der Freiheit und Ungebundenheit ist es dann für immer vorbei; aus dem frei umherschwirrenden Planktontier ist ein seßhaftes Schalentier geworden, aus dem Meernomaden ein festgemauerter kopfstehender Rankenfüßler.
„Que Puerto Rico!“
Am frühen Nachmittag liefen wir in die Hafeneinfahrt von San Juan ein, an deren östlicher Seite sich das stärkste Fort, das die Spanier in Amerika gebaut haben, malerisch emporwuchtet.
Als Kolumbus Puerto Rico auf seiner zweiten Fahrt entdeckte, nannte er es San Juan Bautista; jedoch später, als Ponce de Leon hier die erste Siedlung gründete, soll er beim Anblick dieser Bucht ausgerufen haben: „Que Puerto Rico!“ (welch vortrefflicher Hafen!). So wurden die Namen vertauscht. Seit dem Spanisch-amerikanischen Krieg 1899 ist Puerto Rico amerikanisch; seit 1953 erkennen die Vereinten Nationen das Commonwealth Puerto Rico als selbständig an; es regiert sich selbst, seine Bürger besitzen jedoch einen Paß der USA.
Heute wohnen in New York viel mehr Portorikaner als in San Juan; es hat eine Massenabwanderung stattgefunden, die nicht nur den Amerikanern viel Kopfzerbrechen bereitet. Als die Yankees in Puerto Rico einmarschierten, gab es etwa eine Million Einwohner auf der Insel – heute leben mehr als 2,2 Millionen dort, und 700.000 davon sind allein nach New York ausgewandert! Das sind Zahlen, die zu denken geben. Kürzlich sagte der Gouverneur von Puerto Rico zu diesem Thema: „Es ist Ziel eines jeden Mannes, ein Buch zu schreiben, einen Baum zu pflanzen und einen Sohn zu zeugen. Ich wollte, meine Portorikaner schrieben mehr Bücher und pflanzten mehr Bäume!“
Die Amerikaner haben Milliarden von Dollars nach Puerto Rico hineingepumpt, mit dem Erfolg, daß die Sterblichkeit der Bevölkerung auf Ziffern herabsank, die man beinahe als „zivilisiert“ bezeichnen kann, während die Armut der Bevölkerung sich durch die Geburtenexplosion angeblich nicht veränderte. Wenn man sich aber San Juan betrachtet, weiß man, daß hier der Dollar rollt. Der Strand von San Juan kann beinahe mit Miami Beach konkurrieren, so viele elegante Hotels ziehen sich von der typisch spanischen Altstadt bis hin zum neuzeitlichen Flugplatz, unterbrochen von strahlenden Villen in tropischem Grün. Ergab sich früher das Staatseinkommen nahezu ausschließlich durch den Export von Zuckerrohr, so hat die Wirtschaft des Landes heute durch neue Fabrikanlagen, die von den USA unterstützt werden, andere Grundlagen erhalten.
Es ist kaum anzunehmen, daß Puerto Rico sich einmal von den USA trennen wird; zu tief steckt der Dollar im Land, zu viele Portorikaner wohnen in den Staaten, und zu viele Insulaner arbeiten für Amerikaner. Ebenso werden die amerikanischen Jungferninseln im Gegensatz zu den anderen Antilleninseln niemals ihre lukrativen Bande mit den USA durchschneiden: nirgends auf den Karibischen Inseln arbeiten die Eingeborenen so wenig und erhalten dennoch so viel Geld oder Unterstützung wie auf diesen ehemals dänischen Inseln.
Auf dem Konsulat der Dominikanischen Republik holten wir uns ein Visum, um Puerto Plata besuchen zu dürfen. Da es sich um viele Papiere handelte, mußten wir eigens einen Makler in Anspruch nehmen. Man war auf dem Konsulat sehr höflich, deckte uns mit Propagandaliteratur ein und wünschte uns eine gute Reise.
Revolution auf Bestellung
Die Fahrt verlief auch normal. Sobald wir im Norden der Dominikanismen Republik standen, wurden wir jeden Morgen von Militärflugzeugen kontrolliert. Nur unter Vorsegel liefen wir langsam in die Bucht von Puerto Plata und ankerten neben einer Mole für Küstenschiffe.
Sofort kam der Hafenkommandant mit zwei Soldaten an Bord, die mit Maschinenpistolen bewaffnet waren. Während er unsere Papiere prüfte, standen auf dem Vorschiff die beiden Posten mit Zeigefinger am Abdruck, ihre Gesichter so starr und teilnahmslos wie Stein. Der Hafenchef stieg nach unten, um unser Boot zu durchsuchen, aber als er die Propagandaschriften auf dem Kartentisch liegen sah – meine kluge Frau hatte sie deutlich sichtbar dort aufgestapelt –, verwandelte sich seine strenge Dienstmiene und machte einer freundlichen Neugierde Platz.
Und da wir zu unserem großen Glück zum ersten Mal auf dieser Fahrt konsularische Papiere besaßen (die im allgemeinen nicht erforderlich sind, wenn man einen Hafen auf eigenem Kiel anläuft), ließ der Kommandant uns nach Beratung mit dem Einwanderungsoffizier in die Stadt gehen.
Puerto Plata ist so arm wie Cuidad Trujillo, die Hauptstadt, reich ist. Hier schienen mir durch die Hintertür in das Land hineingeraten zu sein. Es gab keine Kanalisation, in den Kloakengewässern am Rande der holprigen Wege tummelten sich kleine Fische, Autos waren kaum zu sehen, und schmucke Villen konnten wir nicht entdecken.
Abgesehen von den Slums machte Puerto Plata einen hundertprozentig spanischen Eindruck. Der Marktplatz hätte aus Südspanien importiert sein können. Auf dem kleinen Rundgang durch die Vororte bekam Niña Mangos und Zuckerrohr geschenkt, das ich zu ihrem Entsetzen auf der Straße zu kauen begann – nach Tropensitte.
Die Dominikanische Republik war derzeit keine Republik, sondern ein scharf kontrollierter Polizeistaat, gelenkt durch eine Familie, durch Rafael Leonidas Trujillo1, den „Wohltäter des Vaterlandes“ und „Befreier der Nation“, und seine Brüder und Söhne. Sie war eine Diktatur, wie sie im Buche steht. Daß auf der anderen Seite in der Dominikanischen Republik in wirtschaftlicher Hinsicht mehr getan worden ist, als in den anderen westindischen Republiken zusammen genommen, muß der Gerechtigkeit halber erwähnt werden. Und wer sich politisch nicht betätigte, konnte ungestört arbeiten; Rassenprobleme kennt man kaum.
Am folgenden Morgen wurden wir durch ein tolles Geschieße aus dem Schlaf gerissen. Einige Kilometer im Westen von Puerto Plata wurden Napalm-Bomben geworfen; wir hörten Bazooka-Explosionen und Maschinengewehrfeuer. Sollte Fidel Castro eine kleine Invasion unternommen haben? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß er in der Dominikanischen Republik zu landen suchte, ganz zu schweigen von seinen Invasionsversumen in Panama oder Nicaragua.
Das ist Lateinamerika: für ein paar Pesos finden sich immer Männer bereit, die eine Revolution starten. In Kuba kann man ganze Schiffsladungen mit Revolutionären kaufen; sie gehen dorthin, wohin man sie befiehlt – für eine Handvoll Reis, poco dinero, und die Aussicht, ein Held zu werden. Man erzählt ihnen, sobald sie fremden Boden betreten, werde das Volk sie als Befreier feiern und ihnen zur Seite stehen …
Die Antwort der Dominikaner lag in der Luft; Jagdbomber sausten im Sturzflug immer wieder auf die Verblendeten herab, die ihr Abenteuer mit dem Leben bezahlen mußten. Bald kam ein dominikanisches Kriegsschiff an die Mole und entlud Verwundete.
Da wir eigentlich schon an diesem Tage abfahren wollten, meldete ich mich beim Kommandanten, der mir jedoch eröffnete, daß dies unmöglich sei. Ein Hurrikan sei im Anzug. Offensichtlich wußte er nicht, welche Rolle wir bei diesem kubanischen überfall spielten; waren wir wirklich rein zufällig hiet, oder sollten wir etwa Spione sein? Sicherheitshalber heftete er uns emen Detektiv an die Fersen, der uns überall hin begleitete.
Am Nachmittag schlenderten wir zum Marktplatz, wo wir im Bamboo-Hotel unseren Durst löschen wollten. Keine Seele war auf den Straßen zu sehen; aus Türeingängen und Fenstern stierte man auf uns, als wären wir furchterregende, seltene Tiere. Der Barbesitzer fragte neugierig, welche Nationalität wir hätten. Da er uns schon am vorherigen Tag gefragt hatte, gab ich ihm diesmal zur Antwort, wir seien Kubaner. Kurz darauf kam ein Sergeant, lud uns auf einen Jeep und brachte uns zurück zur Mole, wo wir einen schwer bewaffneten Soldaten auf unser Boot gesetzt bekamen.
Über das Städtchen war der Ausnahmezustand verhängt worden; der Kommandant gab uns zu verstehen, es täte ihm leid, daß er uns festhalten müsse, jedoch Befehle seien Befehle. Selbst am Spätnachmittag dauerte das Geschieße an, ein Zeichen, daß das kubanische Boot noch immer nicht versenkt war.
Beinahe gerammt!
Am nächsten Morgen ließ mich der Marinekommandant rufen. Ich war auf das Schlimmste gefaßt. Jedoch was wollte er? Ein Bild mit einem Autogramm! Er hatte inzwischen Erkundigungen über uns in Ciudad Trujillo ich hatte dort Bürgen – eingeholt und wußte nun, wer wir waren und daß unsere Pläne mit den kubanischen Absichten nichts zu tun hatten. So segelten wir ab, wir winkten sogar …
Kaum waren wir einige Seemeilen weit aufs Meer hinausgefahren, als es von neuem begann. Ein dominikanisches Kriegsschiff versuchte sich an uns. Wir hatten seine Flagge gesetzt, die deutsche natürlich auch. Niña riß mir die Mütze vom Kopf! Richtig, blonde Kubaner gibt es kaum! Aber das Kriegsschiff schaute nicht auf die Haare, es wollte sehen, ob wir segeln konnten.
Es kam von achtern bedrohlich nahe auf, wir gingen auf einen anderen Bug – das Kriegsschiff folgte und kam näher und näher. Erst unmittelbar vor dem messerscharfen Bug wechselten wir den Kurs wieder – ja, es herrschte Wind, und da konnte man segeln! Das Kriegsschiff brauste vorbei. Es war zwar noch mehr als eme Daumenbreite zwischen ihm und der LIBERIA, aber dennoch: uns langte es.
Eine befreundete, amerikanische Yacht, die „Eleuthera II“, war in Haiti von Geschossen durchlöchert worden, ein anderes größeres Boot war hier aufgebracht und nach Puerto Plata eingeschleppt worden, ein drittes vermißt. Es herrschte keine friedliche Stimmung in dieser Gegend; die leichtfertigen Unternehmungen kubanischer Revolutionäre hat manches unschuldige Boot teuer bezahlen müssen.
Unter diesen Umständen verzichteten wir darauf ‚Cap Haïtien‘ und das „Achte Weltwunder“, die Zitadelle, zu besuchen, wir verzichteten auf Kuba und segelten durch Riffe, Sandbänke und Inseln, die sich allesamt Bahamas nennen, nach Miami. Unter Segel erreichten wir das City Yacht Basin.
Man gratulierte uns. Warum? Keiner hat je ein Kielboot unter Segel in Miami anlegen sehen. Für uns war’s ein stolzer Abschluß.
Meine dritte Fahrt war beendet. 14119 Seemeilen hatte die LIBERIA IV hinter sich gebracht, nahezu 10.000 Seemeilen davon waren Küstenfahrt mit all dem Arger, den eine solche Fahrt nun einmal mit sich bringt. Dreimal hatte ich den Atlantik überquert, dreimal hatte ich mit heiler Haut mein Ziel erreicht.
1 R. L. Trujillo fiel im Mai 1961 einem Attentat zum Opfer. Ciudad Trujillo heißt heute wieder Santo Domingo; das Land ist wieder eine Republik geworden.
ELFTES KAPITEL
DER LAIE FRAGT
Als wir schon eine Weile in Miami an der Pier lagen, fuhr eines Tages ein Ausflugsboot voller Touristen an uns vorbei. Der Reiseführer deutete auf die LIBERIA IV und sagte im Vortragston – als gehöre dieser Satz bereits zu seinem Repertoire: „And this is the boat that came all the way from Germany.“
Alle Köpfe drehten sich pflichtschuldigst nach rechts und wandten uns erstaunte Gesichter zu, und dann hörten wir die ungläubige Stimme einer Frau: „Dieses kleine Boot? Wie ist das möglich? Aha – sicher ist es von Insel zu Insel gesegelt!“
Der Reiseführer überlegte einen Augenblick: „Sicher“, meinte er dann beruhigt; im Boot erhob sich kein Widerspruch.
Ich war herzlich froh, daß ich die Dame nicht über die Inseln im Atlantik aufzuklären brauchte. Fragen dieser Art war ich allerdings gewöhnt; sie regneten nach jeder meiner drei Atlantiküberquerungen auf mich herab. Da fragte zum Beispiel jemand (und das war weitaus schlimmer), ob mich auf meinen Fahrten ein Schiff begleitet habe: zum Schutze gewissermaßen. Das klingt absurd, wird aber verständlicher, wenn man bedenkt, daß es viele Segler gibt, die unterwegs an Bord von Handelsschiffen gehen und „auftanken“ – Essen, Schlaf, Dieselöl – und sogar später noch mit höchsten seglerischen Auszeichnungen belohnt werden.
Ich selbst hätte es für unter meiner Würde gehalten, ein Schiff zu stoppen, um meine Position zu erfahren oder Verpflegung zu übernehmen. Wer sich aufs Meer begibt, soll sich so vorbereiten, daß ihm nach menschlichem Ermessen nichts passieren kann – oder aber er bleibt besser zu Hause und begnügt sich mit der Lektüre von Segelbüchern.
Kapitäne großer Schiffe, die von einer Yacht oder einem Kleinstboot um Hilfe gebeten werden, sollten deren Besatzungen wie Schiffbrüchige behandeln und an Bord nehmen, Hilfeleistungen anderer Art jedoch ablehnen. Wenn jemand in einem Segelboot über den Ozean schippert, ist er noch lange nicht berechtigt, einen Dampfer außer Kurs zu bringen, sobald er Appetit auf ein Glas Bier verspürt.
Auf meinen beiden ersten Fahrten haben mir zwei Frachter und eine Yacht ihre Hilfe angeboten – gegen meinen Willen und weil sie glaubten, sie könnten mir einen Gefallen damit tun; selbstverständlich lehnte ich diese gutgemeinten Angebote dankend ab.
Häufig bin ich von jungen Leuten gefragt worden: „Ich möchte ähnliche Fahrten wie Sie unternehmen – glauben Sie, daß ich es schaffe?“
Erkundige ich mich nach ihren bisherigen seglerischen Erfahrungen, zuckten sie die Achseln: sie hatten keine. Courage allein, so glaubten sie, genüge. Oder es geschah, daß Sonntagssegler selbstgefällig riefen: „Im Faltboot – verrückt! Ich würde das nie tun!“ – als sei ihnen der Erfolg gewiß, und sie blieben nur aus Vernunftsgründen an Land! Beide vergaßen – oder wußten nicht einmal –, daß die Vertrautheit mit Kleinstbooten zunächst einmal unbedingte Voraussetzung für ein solches Unternehmen ist. Ich bin schon seit frühester Jugend gesegelt und gepaddelt und habe Meeresfahrten unternommen, die andere nur in großen Yachten wagen. Meine Rekordfahrten in Einbaum und Faltboot sind kein Zufallsprodukt und kein Glückstreffer, sondern das Ergebnis vieler, zum Teil recht enttäuschend verlaufener Probefahrten.
Den vielen Landratten, die das Meer höchstens von der Landkarte her kennen und es dennoch mit Kanus, Schlauchbooten und Flößen befahren wollen, muß von allen Experimenten dringend abgeraten werden, oder aber angeraten, erst einmal einige längere Probefahrten zu unternehmen. Sie haben meist von Strömungen, vorherrschenden Windrichtungen und Gezeiten keine Ahnung; Seemannschaft und Navigation sind ihnen Fremdwörter. Sie starten in Cuxhaven und begraben ihre Hoffnungen und Träume bereits beim Anblick der mäßig bewegten See. Sitzt die Verzweiflung ihnen jedoch im Nacken, dann setzen sie alles auf eine Karte und fahren wider jegliche Vernunft, wider ihren Instinkt sogar, aufs Meer. Fast keiner von diesen Kandidaten erreichte sein Ziel; mancher wurde von einem mitleidigen Kapitän gerettet; die meisten jedoch kamen ums Leben.
Im Gegensatz zu Ozeanfahrten in Kleinstbooten sind überquerungen in Yachten, von denen jeder zweite Segler träumt, bei entsprechender Vorbereitung durchaus realisierbar. Wenn jemand mit einer Yacht über den Ozean segeln will, ist es ratsam, einem Segelclub beizutreten, damit er möglichst viele Tips von erfahrenen Seglern bekommen kann. Auch mir haben ältere Segler bereitwillig ihre Hilfe angeboten, als ich mir die LIBERIA IV bauen ließ. Denn genau wie Slocum oder Bardiaux kannte ich zwar das Meer, war aber damit noch lange kein erfahrener Yachtsegler.
Außer mir haben erst fünf deutsche Segler allein den Atlantik überquert: Kapitän Schlimbach, Kapitän Franz Romer, Paul Müller, Hein Garbers und Günter Plüschow. Romer segelte in einem speziell für diesen Zweck angefertigten Faltboot und ging nach seinem zweiten Landfall auf der amerikanischen Seite in einem Sturm unter. Müller lief nach seiner überquerung mit der Slup „Aga“ mehrere amerikanische Häfen an, erlitt aber in Höhe von Kap Hatteras vor der Küste von Nordkarolina Schiffbruch. Er konnte sich schwimmend an Land retten. Kapitän Schlimbach segelte 1937 in seiner „Störtebeker III“, einer Yawl, von Lissabon nach New York, und der Bootsbauer Hein Garbers fuhr ein Jahr später in einer Slup von Hamburg nach New York. Heute besitzt Garbers in Hamburg seine eigene Bootswerft.
Auch einige naturalisierte Amerikaner, die in Deutschland geboren wurden, haben Ozeane bezwungen, darunter die Kapitäne Eisenbraun und Voss.
Kaum einer, der mit einer Yacht den Ozean zu überqueren suchte, ist auf hoher See ertrunken, aber eine Unzahl hat in Küstennähe Schiffbruch erlitten und ist dabei ums Leben gekommen. Gründe dafür waren eine ungenügende Vorbereitung der Reise und Untauglichkeit der Boote. Die Faltbootfahrer sind außer mir sämtlichst untergegangen.
Doch weiter mit dem Fragenspiel. „Langweilen Sie sich nicht, wenn Sie so lange auf dem Meer allein sind?“ wollten besonders viele Frauen wissen. Die Antwort lautet „nein“. Wie sollte ich Langeweile empfinden, wenn ich alle meine Sinne nach außen konzentrieren mußte und es so viel zu beobachten gab: die Oberfläche des Meeres, die Vögel und die Wolken – ganz zu schweigen von dem Boot, das selbst in ruhigem Passat kontrolliert werden will.
„Hatten Sie denn gar keine Angst?“
Auch diese Frage konnte ich verneinen. Angst erwächst meist aus Unwissenheit und Unsicherheit, und ich kannte das Meer so gut und war so gut auf alle möglichen Zwischenfälle vorbereitet, daß mich dieser Gemütszustand im allgemeinen nicht befiel. Zudem hatte ich auf allen Fahrten die Strecke des geringsten Widerstandes gewählt, mit Orkanen brauchte ich also nicht zu rechnen. Natürlich gab es Situationen, in denen ich mich um mein Boot sorgte und auf meiner ersten Fahrt, der Einbaumfahrt, erlebte ich sogar Momente der Furchtsamkeit und Unsicherheit. So wagte ich damals nie, einen Hafen bei Nacht anzulaufen, obwohl das mit einem Einbaum viel leichter ist als mit einer Yacht. Aber mir fehlte die nötige Erfahrung im Anlaufen von Häfen. Die kam mit der LIBERIA IV, mit der ich kaum einen größeren westafrikanischen Hafen ausließ: jetzt besuchte ich sogar die Mehrzahl der Häfen nachts.
„Was machen Sie denn nachts? Ankern Sie?“ fragt mich in Gegenwart eines anderen Seglers ein New Yorker Tourist. Ehe ich antworten konnte, sagte der Segler mit todernster Miene:
„Ja, nachts nehmen wir auf dem Ozean alle Segel ein, werfen den Anker, löschen das Licht, sprechen unser Nachtgebet, ziehen die schneeweiße Bettdecke über den Kopf und schlafen solange, bis ein Dampfer uns die Morgenzeitung ins Cockpit wirft.“
Wieviel der Tourist, der sich das verwundert anhörte, davon geglaubt hat, war nicht festzustellen. Er verabschiedete sich ziemlich schnell.
Das Meer ist Tausende von Metern tief, wie soll man da ankern? Auf fast allen Booten wird nachts genauso wie am Tage gesegelt, auch die Einhandsegler machen dabei keine Ausnahme; eine Selbststeuerungsvorrichtung, die sie häufig an ihrem Boot anbringen, hilft ihnen zuweilen.
„Wie stand es denn mit dem Schlaf?“ fragte ein anderer.
Im Einbaum litt ich unter Schlafmangel, ich habe in einem der vorigen Kapitel bereits darüber berichtet; im Faltboot konnte ich mit Hilfe des Autogenen Trainings aus wenigen Minuten der Entspannung Kraft und Ruhe schöpfen.
Auf einer Yacht wie auf unserer LIBERIA IV hingegen war das Schlafproblem leicht zu lösen. Ich habe nie verstehen können, wie Yachten mit mehrköpfiger Besatzung über Schlafmangel klagen können, übermüdung und Erschöpfung. Was sollen da die Einhandsegler sagen? Auch Niña und ich haben häufig harte Tage gehabt, aber unsere Wachzeiten hielten wir dennoch ein.
Von 19.00 bis 24.00 Uhr saß Niña an der Pinne, bei gutem Wetter oft noch bis 01.00 oder 02.00 Uhr. Anschließend übernahm ich die Wache bis 8.00 Uhr, weckte meine Frau, die wieder bis mittags ins Cockpit stieg und mich dann zu den Mittagsbeobachtungen rief. Um ein Uhr hatte ich erneut Ruderwache, meine Frau bereitete indessen das Essen zu und löste mich zuweilen für kurze Zeit ab, wenn ich navigatorische Eintragungen machte.
Erst wenn ein Segler ausfällt und den andern „Überstunden“ machen läßt, gerät das Schlafsystem durcheinander – und damit meist auch das gute Einvernehmen an Bord.
Selbstverständlich schläft man auf hoher See nicht so gut wie im Hafen, im Sturm nicht so gut wie bei Flaute, aber deswegen ist noch lange nicht einzusehen, warum Sportsegler aus übermüdung ihre Wache nicht schieben können. Je unerfahrener die Besatzung, desto mehr Klagen über Schlafmangel und zu lange Wachen.
„ Was haben Sie getan, um Bewegung zu bekommen und um körperlich fit zu bleiben? Auf einem Boot hat man doch keinen Auslauf und muß dauernd im Cockpit hocken?“
Für Einbaum und Faltboot hatte diese Frage ihre Berechtigung. Der Mangel an Bewegung konnte natürlich durch gelegentliche Schwimmausflüge in die nähere Umgebung des Bootes nicht wettgemacht werden. Im Faltboot verstand ich es – nach vorhergehendem sechsmonatigem Training, das Blut in meine Füße zu dirigieren, die 72 Tage lang zumeist in der gleichen Stellung verharren mußten und dabei nicht absterben durften. Aber auf einer Yacht braucht man wirklich nicht über Bewegungsmangel zu klagen. Wie tanzt sie auf dem Meere herum, wie muß man sich gegen Wanten, Reling und Cockpitverkleidung stemmen, um im Gleichgewicht zu bleiben! Mit Füßen und Händen, mit Oberschenkeln und Schultern! Allein die unbewußten Reaktionen auf die Bewegung der Wellen, die unwillkürlichen Ausgleichsversuche des Körpers, ermüden mehr, als man ahnt.
Und was gibt es vor allem an Bord nicht alles zu tun! Nicht Gymnastik ist es, was da betrieben wird, sondern schwerste, manchmal sogar blutige Knochenarbeit! Haben Sie schon mal bei Windstärke sieben den Klüver weggenommen? Man kann dabei bis zu den Hüften ins Wasser tauchen, und es hagelt blaue Flecken und Hautabschürfungen! Oder bei Windstärke neun das Großsegel geborgen? Wenn einem das dicke Segeltuch um die Ohren knallt und die Fingernägel brennen, als werde man einer mittelalterlichen Folterkur unterworfen?
Da ich keine taugliche Ankerwinsch an Bord hatte, war auch das Ankerlichten jedesmal harte körperliche Arbeit. Hatte ich bei mäßig bewegter See den Anker eingehievt und die Segel gesetzt, mußte ich mich im Cockpit schweißgebadet von dieser Prozedur erholen.
„Was geschieht, wenn Sie krank werden?“ wurde ich häufig gefragt.
Ich habe schon erwähnt, daß man in einem Segelboot sehr selten eine Krankheit bekommt. Die Meeresluft ist so keimarm wie die Luft in einem Waldkurort, außerdem sind die Besatzungen von Yachten meist jung, gesund, voller Elan und von vornherein keine Typen, die leicht krank werden. Dagegen kommt es häufiger einmal zu Unfällen – von Verstauchungen der großen Zehe bis zu Gehirnerschütterungen durch einen Schlag mit dem Großbaum.
Auf Ozeandampfern sieht die Sache ganz anders aus. Aber schließlich ist solch ein Luxusdampfer ja nichts anderes als ein schwimmendes Hotel, das von einer Großstadt in die andere fährt und von dem man auch auf das Meer schauen kann. Infektionsquellen sind also mehr als genug vorhanden.
„Haben Sie überhaupt gekocht?“ Und: „Wovon lebten sie all die Tage auf dem Meer?“
Kalte Konserven und rohe Fische, die ich angelte, mit Dreizack und Harpune speerte, mit dem Unterwassergewehr schoß oder mit der Hand fing, waren auf den beiden ersten Fahrten meine Hauptnahrung. Wie mein Speisezettel auf der LIBERIA IV aussah, habe ich teilweise schon erzählt. Allzu großen Wert auf warme Mahlzeiten legten weder Niña noch ich, manchmal öffneten wir schnell eine Konservendose und aßen den Inhalt kalt. Die Auswahl an Konserven ist heute so ungeheuer groß, daß selbst auf Langfahrten der Speisezettel an Bord durchaus nicht unter einem Mangel an Abwechslung zu leiden braucht.
Da eine Yacht selten länger als zwei Wochen ununterbrochen auf dem Meer segelt, kann sie sich außerdem an Land stets mit frischen Lebensmitteln versorgen. Es gibt natürlich Tage, die ausschließlich im Zeichen eines einzigen Nahrungsmittels stehen: zum Beispiel einer Bananenstaude, die man im Hafen gekauft hat und deren Früchte unglücklicherweise alle auf einmal reifen. Da bleibt einem nichts anderes übrig, als gekochte, gebratene, rohe und zu Muß verarbeitete Bananen zu essen, bis der Segen ein Ende hat. Wie mit den Bananen, ist es uns auch schon mit Ananas, tropischen Apfelsinen und mit einer Ladung Sardinen ergangen, die uns portugiesische Fischer aufs Deck schütteten. Fehlt Frischobst, wie es auf Ozeanüberquerungen oft der Fall ist, so sind Trockenobst, Trockengemüse und Nußkerne willkommene und gesunde Lückenbüßer.
Nuß- und Sonnenblumenkerne helfen auch lange Nachtwachen verkürzen. Sitzt man vier Stunden und mehr an der Pinne, empfindet man es als eine Wohltat, wenn man etwas zu knabbern hat. Gleich gute Dienste leisten Schoka-kola oder Dextroenergen und ein Schluck gesüßter Tee. Auf der LIBERIA bekam der Rudergänger jeden Abend eine Thermosflasche voll heißen Tee mit, wenn er auf Wache ging.
Einen Eisschrank, wie ihn so viele Amerikaner in ihren Yachten installieren, hatten wir nicht an Bord. Er ist selbst in den Tropen nicht unbedingt nötig so sehr ein kühler Trunk hin und wieder erfrischt. Auf einige Grad tiefer als die umgebende Temperatur kann man ein Getränk immer bringen, wenn man, wie ich es auf dem Einbaum tat, nach altem Rezept eine Feldflasche ins Wasser steckt und sie danach mit dem nassen Futter dem Wind aussetzt. Durch die entstehende Verdunstungs kälte wird die Flüssigkeit in der Flasche unterkühlt. Ähnlich arbeitet eine spanische Botija, ein Tonkrug, den wir seit Las Palmas mit uns führten.
„Haben Sie sich richtig waschen können?“ Auch diese Frage wurde meist von Frauen gestellt.
Wir hatten reichlich Süßwasser an Bord der LIBERIA IV, .aber als vorsichtiger Hausvater mußte ich natürlich mit unvorhergesehenen Zwischenfällen rechnen und zur Sparsamkeit anhalten. So klagte Niña mehr als einmal, sie müßte sich in „einer Tasse Wasser“ baden. Das stimmte nicht ganz: eine Waschschüssel voll Wasser stand ihr immer zur Verfügung – aber ich gebe zu, daß selbst das in den Tropen für eine Frau nicht hin und nicht her reicht.
Männer haben es einfacher: ein Eimer Salzwasser leistet ihnen genau die gleichen Dienste. Bei ruhigem Wetter sprang ich regelmäßig über Bord und gönnte mir ein ausgiebiges Bad. Allerdings nie ohne Unterwasserbrille und Flossen. Diese Ausrüstung war ein kleines Zugeständnis an allzu neugierige Haie, die ich auf die Weise unter Wasser leichter sehen und denen ich gegebenenfalls schneller entfliehen konnte.
„Was für sanitäre Anlagen hatten Sie an Bord Ihrer Yacht?“
Die LIBERIA IV besaß ein ganz einfaches – Verzeihung – Eimer-Klosett, das meiner Frau zwar ausgesprochen unsympathisch war, das ich jedoch trotzdem wieder in ein Boot einbauen würde. Wie gut ich daran getan hatte, einen schlichten Eimer statt eines modernen Wc’s zu wählen, stellten wir in St. Thomas fest, als wir eine Yacht trafen, die eines Nachts beinahe untergegangen war, weil ein Besucher vergessen hatte, die Sperre des Beckens zum Meerwasser zu betätigen. Glücklicherweise mußte der Eigner den verschwiegenen Ort in der gleichen Nacht ebenfalls aufsuchen; als er aus der Koje sprang, landete er in knietiefem Wasser und entdeckte auf diese wenig angenehme Weise die Bescherung. Mit vereinten Kräften öste die Besatzung das Wasser wieder aus, doch eine überholung des Motors blieb ihr nicht erspart. Dabei hatte sie noch Glück im Unglück: es hätte weitaus schlimmer kommen können.