Kitabı oku: «Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln», sayfa 24

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1 Die innerhalb von 24 Stunden (12 Uhr mittags bis 12 Uhr mittags) von einem Schiff gelaufene Distanz.


Fahrtroute


Die LIBERIA (rechts) neben der weißen Yacht LES QUARTE VENTS des französischen Seglers Marcel Bardiaux, der von seiner achtjährigen Weltumseglung zurückkehrte und den ich im Hafen von La Coruña traf. Hinter der SEEFALKE, ein deutscher Hochseeschlepper.


Mitten im Kanal rettete sich eine Taube auf den Rettungsring der LIBERIA. Sie hatte sich im dicken Nebel verirrt. Unmöglich, vom Heck zum Bug zu sehen!


La Coruña: drei junge Schweizer und die NAUSIKAA, mit der sie nach Amerika segeln wollten. Leider bekamen sich die Besitzer in die Haare, und ihr Abenteuer verlief im Sande Afrikas.


Miesmuschelbäuerinnen sichten im Ria von Vigo ihre Ernte. Die Muscheln „wachsen“ an den Tauen, die am Floß befestigt sind.


In Cascais, Portugal, hatte die LIBERIA IV die königliche Yacht des spanischen Kronprätendanten Don Juan zum Nachbarn.


Gran Canaria: diese kanarische Familie lebt in einer der vielen Höhlenwohnungen, die noch aus der Zeit der Guanchen stammen.


Ein Fischerdampfer entlädt in Puerto de la Luz, dem Hafen von Las Palmas, seinen Fang, der aus afrikanischen Küstengewässern kommt. Viele kanarische Fischer gehen an der Saharaküste auf Fang aus, denn sie gehört zu den fischreichsten Gegenden der Welt.


Bob Elliot, bisher der jüngste Einhandsegler, der einen Ozean überquert hat, auf seiner BONAVENTURA. Wir trafen Bob vor dem Start in Las Palmas und nach seiner geglückten Überquerung in St. Lucia.


Die LIBERIA IV in Flaute auf dem Atlantik zwischen Portugal und den Kanarischen Inseln, aufgenommen vom Schlauchboot. An der Pinne sitzt die Niña.


Die Niña genießt ihre Flitterwochen im romantischen Bayona, einem Fischernest, das als erster Ort der Alten Welt Kunde von der Entdeckung der Neuen Welt erhielt.


Auf Gran Canaria, im Tal Bananenplantagen.


Die MORWAK, hier noch mit heiler Haut im Hafen von Las Palmas liegend. Ein paar Wochen danach erlitt sie vor der Saharaküste Schiffbruch.


Eine blaue Künstlermarquise trug die MORWAK, mit der der Kunstmaler Fred Bretonnère, genannt der „Admiral von Montmartre“, und seine Frau um die Welt seglen wollten. – Monsieur und Madame steigen gerade in ein Beiboot, um an Land zu gehen.


Zum dritten Mal verlasse ich auf eigenem Kiel Las Palmas.


Das Faltboot, mit dem ich 1956 über den Atlantik segelte. Abfahrt aus Las Palmas.


Unterwegs auf hoher See. (Foto: Verwaayn)


Fahrtroute in Westafrika.


Port Etienne: ein Spanier pullt den französischen Polizeikommissar und seinen Helfer, einen Mauren, an Bord der LIBERIA IV.


Die NIKE, Detlef Peisers Boot.


Die LIBERIA IV verläßt Bathurst. (Foto: Schmechel)


Schwarze Schöne in Dakar.


Pockenimpfung unter einem Mangobaum. Wegen Seuchengefahr werden auf der Straße alle Autofahrer und Fußgänger angehalten und vakziniert. Auch ich hätte beinahe dran glauben müssen.


Masken in Westafrika.


Piroge in Bathurst mit unverkennbar arabischem Einschlag.


Stolze Beute in Westafrika: ein Stachelschwein. Es wurde in einer Falle gefangen und wiegt etwa 60 Pfund. Stachelschweine gelten bei den Eingeborenen als Leckerbissen.


Seine Exzellens, der Präsident von Liberia, William Tubman, trägt sich in mein Fahrtenbuch ein. Er kaufte den Einbaum für das Nationalmuseum in Monrovia, weil Liberia der Ausgangspunkt des einmaligen Unternehmens war und der Einbaum aus dem liberianischen Urwald stammt.


Diese Gruppe von Liberianern aus dem Hinterland zieht in der Hauptstraße von Monrovia vor das „Mansion“ des Präsidenten, um Präsident Tubman einen Kriegstanz vorzuführen.


Besuch bei Dr. Schweitzer in Lambarene.


Auf Fang mit dem Kescher: Kokosnüsse, leere Flaschen, Fischerkugeln, Holzstücke, Sargassokraut etc. wurden aus dem Meer gefischt. Hier finde ich Kokosnüsse im Golf von Guinea. Sie begleiten mich später auf meiner Fahrt über den Ozean.


Im Golf von Guinea mußte häufig einmal der Motor laufen, weil die Winde zu flau waren. Hier beim Verlassen eines Hafens.


Besuch auf einer Vogelinsel mitten im Südatlantik. (Boatswain-Island bei Ascension). Britische Ornithologen haben sich diese Hütte gebaut. Nur mit einer Strickleiter kann man auf die Plattform auf steiler Felswand gelangen. Unten mein Schlauchboot.


Atlantiküberquerung. – Draußen auf dem Meer spielen Fregattvögel mit dem Stander, dessen bunte Farben sie anzuziehen scheinen. Diese Adlerfregattvögel, die in Ascension beheimatet sind, haben Jagd auf fliegende Fische gemacht. Im Gegensatz zu den Tölpeln wagen sie sich weit aufs Meer hinaus.


Die LIBERIA IV auf hoher See.


Fantifischer (aus der Goldküste) beim Singen. Kap Palmas, Liberia. Die Mehrzahl der Musikinstrumente stellen sie selbst her. Sehr farbenfreudige Togen.


Liberia, Kap Palmas: das aufstrebende Liberia modernisiert mit aller Energie sein Verkehrsnetz. Hier werden neueste Spezialmaschinen für den Straßenbau ausgeladen.


Abidjan, Elfenbeinküste. Afrikanische Marktfrauen in moderner Umgebung. Einfache Afrikaner kaufen lieber aus großen Waschschüsseln als in modernen Läden.


Accra: Fanti-Einbäume, mit denen die Eingeborenen weit draußen auf dem Meer fischen. Die Boote liegen in der Bucht von Accra und sind gegen die gröbste Brandung durch die kleine Hafenmole geschützt.


Blick vom Klüverbaum auf das allein segelnde Boot.


Navigation auf hoher See. Nicht immer konnte man dabei so ruhig im Cockpit sitzen wie hier.


Urlaub vom Boot. Im Schlauchboot erhole ich mich bei Flaute auf dem Meer von den Dümpeleien der LIBERIA IV und mache Aufnahmen.


Westindien: eines der wenigen Doppelrumpfboote, die ohne Unfall von Europa nach Amerika gesegelt sind. Der Eigner ist ein Amerikaner, der aber einen segelsachverständigen Portugiesen aus Lissabon mit über den goßen Teich nahm.


Ein unentwirrbares Geflecht von Luftwurzeln, Zweigen und Stämmen: die „Landgewinner“ unter den Bäumen, die Mangroven. Hier ein übelriechender Mangrovensumpf in Trinidad, in dem unzählige Moskitoschwärme beheimatet waren, die über die Niña herfielen.


St. Thomas, Unterwasserjagd.


Sargassokraut im Meer.


Entenmuscheln an einer Fischerkugel, die ich aus dem Meer fischte: den gleichen Anblick bieten Boote, deren Unterwasserschiff längere Zeit nicht gestrichen worden ist. Unter meinem Faltboot hatte ich einen kleinen „Privatgarten“ von diesem Getier, aus dem ich mir nach Bedarf und Appetit ein paar Muscheln „pflückte“.


Ende der Fahrt: auf unserem Boot in Miami, City Yacht Basin, Pier A. (Foto: Weaver)


Tümmler sind die klügsten Seetiere, die ich kenne. Im Aquarium in Miami sprangen sie meterhoch in die Luft, um sich einen Fisch zu schnappen, spielten Baseball, warfen den Zuschauern ins Wasser gefallene Gegenstände wieder zu und tuteten auf einer alten Autohupe.


Tag des Stapellaufes in Freiburg an der Niederelbe. Drei alte Seebären auf dem Trockenen beobachten wehmütig, wie an der LIBERIA IV die letzten Handgriffe vorgenommen werden.


Bau des Bootes.


Die Planken sind aus österreichischer Gebirgslärche, 3 cm dick, die Spanten aus Eiche.



Ernst-Jürgen Koch

Hundeleben in Herrlichkeit

Unsere Weltumseglung mit der »Kairos«

Fotos von Elga Koch

Delius, Klasing & Co

10., ungekürzte Auflage,

vom Verfasser durchgesehen

© Copyright by Ernst-Jürgen Koch, 1968

Veröffentlicht im Delius Klasing Verlag, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-667-10344-4 (PDF)

ISBN 978-3-667-10406-9 (E-Pub)

Fotos: Elga Koch

Zeichnungen: Ernst-Jürgen Koch

Umschlaggestaltung: Felix Kempf, www.fx68.de

Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice, München

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das

Werk, auch Teile daraus, nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

Meinen Eltern gewidmet, Ernst und Elisabeth Koch, ohne deren Miterleben und Ermutigung diese Reise nicht das geworden wäre, was sie wurde: erfülltes Leben.



La Coruña, im Juli 1964

Die Biskaya haben wir nun überquert und damit den kalten, grauen Norden hinter uns gelassen.

Wir standen am Mittag des 23. Juli 210 Seemeilen südwestlich von Brest. Die Sonne schien warm. Wolkenlos strahlte der Himmel. Von Nord drehte der Wind auf Nordost und nahm zu. Er wehte jetzt mit Stärke 4, sodaß sich »Kairos« unter dem Druck der Segel zu neigen begann. Mit schäumender Bugwelle lief das Schiff auf Kurs Südwest zu Süd, zeichnete die vergängliche Spur seines Kielwassers in die Unvergänglichkeit des Meeres.

Elga übernimmt nach dem Mittagessen die Ruderwache und steuert den Kurs, der uns nach Spanien führt.

Unter Deck lege ich mich nach einem Blick auf die Seekarte in meine Koje. Ich schließe die Augen und entspanne den Körper, soweit das bei der rollenden Schiffsbewegung möglich ist. Weich und willig gehorcht »Kairos« dem Rhythmus der See und dem Gebot des Ruders, läßt mich dadurch die Harmonie spüren, die es geben kann zwischen der Natur und dem, was der Mensch sich schuf. Zum erstenmal seit unserem Aufbruch fühle ich mich glücklich.

Dieser Aufbruch lag um zwei Monate zurück. Er war wie ein Erwachen gewesen, weil aus achtjährigem Planen Wirklichkeit wurde in dem Augenblick, da die Kugelbake in der Elbmündung hinter dem Horizont verschwand. Wir hatten es gewagt.

Zurück blieb alles, was die Zufriedenheit unseres Lebens ausgemacht hatte: Freundschaft, Beruf, Wohnung. Es blieb auch zurück, was uns ständig bedroht hatte: Gewohnheit, Entschlußlosigkeit, Vermassung.

Unser Plan war, die Erde zu umsegeln. Acht Jahre hatten wir jeden Pfennig dafür gespart. Jeden Sommer hatten wir unseren Kielschwertkreuzer »Kairos« über Nordsee, Skagerrak und Ostsee gesegelt, hatten Erfahrungen gesammelt – harte Erfahrungen oft – hatten die Ausrüstung ergänzt und verbessert. Während langer Winterabende hatten wir gesessen und gelesen: Reisebeschreibungen anderer Weltumsegelungen, Seehandbücher, meteorologische Abhandlungen. Wir hatten Seekarten und Klimakarten studiert. Und langsam reifte der Plan. Aus einer Reisevorbereitung wurde eine Lebensvorbereitung. Wir begannen, uns sicherer zu fühlen – soweit man gegenüber der unberechenbaren See überhaupt Sicherheit fühlen kann.

Den Jahreszeiten der Erde gemäß, den großen Klimazonen mit ihren vorherrschenden Winden entsprechend, zeichneten wir den beabsichtigten Kurs in eine Weltkarte. Oft war es uns unheimlich, wenn wir über Weltmeere sprachen wie über Binnenseen oder Flußreviere. Oft erreichte unser theoretischer Kurs Seegebiete oder Küsten zu ungünstiger Jahreszeit: hier konnten sich tropische Wirbelstürme entwickeln, dort herrschten winterliche Temperaturen. Dann mußten wir wieder von vorne beginnen. Was waren wir doch für feine Seeleute: bereits ein paar Mal um die Erde gesegelt – jedoch nur mit dem Bleistift auf der Karte!

Schließlich errechneten wir, daß unsere Reise dreieinhalb Jahre dauern würde. Die Kurse und ihr Zeitablauf waren festgelegt.

Elga weckt mich, als die Sonne im Nachmittag steht. Das schräge Licht läßt den Seegang höher erscheinen. Ich übernehme die Wache: Kurs Südwest zu Süd. Einige blasse Wolken ziehen von Nordosten her und werden über uns vom Winde zerweht.

Wir trinken Kaffee und essen einige Kekse. Wir sprechen nicht viel. Erste Müdigkeit macht sich bemerkbar. Elga wäscht die Tassen und räumt sie ins Geschirrfach. Ich höre sie in der Kajüte hantieren. Dann kommt ihr kurzer Gruß »Gute Wache«. Sie geht zur Koje. Ich bin allein mit dem segelnden Schiff.

Mehr Wolken ziehen von Nordosten her. Langsam beginnen sie, einen hohen Wolkenschleier zu bilden. Das kann Wetteränderung bedeuten.

Nach acht Jahren verfügten wir über das Geld für unsere dreieinhalbjährige Reise. Finanziell hatten wir ein Reservejahr eingeplant, da wir nicht wissen konnten, ob Krankheit oder Politik längere Wartezeiten erforderlich machen würden. Elga hatte ihre Sprachkenntnisse erweitert. Außer Englisch hatte sie sich intensiv mit Französisch, Spanisch und Portugiesisch befaßt. Außerdem besuchte sie einen Kursus für Erste Hilfe.

Wir verließen unsere Wohnung und zogen an Bord. Zahllose Autoladungen mit Ausrüstungsgegenständen wurden zum Schiff gefahren. Von morgens bis abends wurde besprochen, gekauft, eingepackt und nach Staulisten an Bord wieder ausgepackt. Nachts träumten wir von Kartons, Konservendosen, Ersatzteilen und – mit einiger Beklemmung – von Logarithmen, Höhenstandlinien und Azimutpeilungen. Denn nebenher machten wir noch einen Kursus für die Prüfung zum Sporthochseeschiffer, deren Termin unaufhaltsam näher kam. Unsere Navigationskenntnisse sollten den letzten Schliff erhalten.

Die Prüfung kam. Wir bestanden sie.

Zwei Wochen später torkelte »Kairos« über die grau-weißen Brecher und durch die grün-dunklen Wellentäler des Englischen Kanals. Es war ein Hundewetter mit Nebel und Nordostwind Stärke 8. Es hielt fast 20 Stunden an. Als es nachließ, als wir aus den Standlinien einer für Minuten möglichen Sonnenbeobachtung und einer kaum hörbaren Consolfunk-Peilung unseren Standort errechneten, uns dann später an die nächtliche englische Küste herantasteten, da waren Angst und Abschiedsschmerz überwunden. Wir hatten es gewagt.

Zu Steuerbord im Westen, wo die Wasser der Biskaya grenzenlos in die des Atlantik übergehen, sinkt nun die Sonne blutigrot. Vor dem Glühen des Himmels hängen Schleierwolken. Der Wind verändert sich. Ist er während des Tages in zu- und abnehmendem Schwingen gekommen, so wird er jetzt unruhig hart. Er macht Sprünge und teilt Schläge aus.

»Elga!« rufe ich. Die vier Stunden meiner Ruderwache sind abgelaufen.

»Ich komme!« Bald darauf steht sie verschlafen im Niedergang. »Wie geht’s – he?« fragt sie gedehnt. »Was läuft er denn?«

»Er« bedeutet »Kairos«. Wir haben uns seit seinem Stapellauf noch nicht dazu durchringen können, daß unser Schiff wie üblich eine »Sie« sein soll. »6 Knoten. Wind nimmt zu. Wir müssen reffen für die Nacht. Ja – und Hunger hab’ ich auch.«

Elga übernimmt die Pinne, während ich das Großsegel reffe. Dann mache ich die Eintragungen für meine Wache im Logbuch: Wind, Strom, Barometerstand, Kurs, Distanz, Segelführung – und übernehme wieder die Pinne. Elga bereitet das Abendessen vor. Es ist bei uns an Bord die Hauptmahlzeit des Tages, der 24 Stunden lang ständig Ruderwachen von uns fordert.

Im Westen wird das Tageslicht farblos. Dämmerung beginnt zu fallen. Gelb-rot aus Dunst und Wolken über dem östlichen Horizont steigt in diesem Augenblick der fast volle Mond auf. Erst rötlich, dann silbern gießt sein Licht eine schimmernde Bahn auf das schwarz gewordene Meer.

Elga ißt zuerst. Während ich anschließend meinen Hunger stille, wird mir die Einfachheit unserer neuen Lebensführung bewußt. Wir essen, einfach weil wir Hunger haben. Wir schlafen, einfach weil wir müde sind. Wir wachen, einfach um das Schiff auf Kurs zu halten.

Auf dem Hafenkai von Dartmouth erinnert eine Bronzetafel an die Schiffe »Mayflower« und »Speedwell«, die im Herbst 1620 mit englischen Kolonisten Dartmouth als Nothafen anliefen, weil die »Speedwell« leckgesprungen war.

Der Schaden wurde behoben und wiederum vertraut sich eine Handvoll Familien den morschen Planken an. Welch ein Aufbruch: jenseits des Atlantiks in einer unbekannten Welt das zu suchen, was es in der Heimat nicht gab – Freiheit.

Im Atlantik springt die »Speedwell« wiederum leck und muß umkehren, getreulich begleitet von der »Mayflower«, die in Plymouth zu ihren Passagieren noch die der »Speedwell« übernimmt. Allein, mit überfüllten Decks gelingt es ihr dann, jene Menschen nach Nordamerika zu bringen, die als »Pilgerväter« die Ahnen des nordamerikanischen Volkes wurden. Das war im Herbst 1620.

Im Sommer 1944 wurden im Hafen von Dartmouth 485 amerikanische Schiffe ausgerüstet und bemannt. Sie brachen auf und nahmen an der Invasion teil als Bruchteil jener Kraft, die über den Atlantik zurückkam, um in Europa das zu retten, wofür ihre Urväter mit zwei Schiffen aufgebrochen waren: Freiheit.

Elga weckt mich um Mitternacht zur Wachablösung. Es kostet mich Anstrengung, Müdigkeit und Traumerinnerungen abzuschütteln. Das gelbe Licht der Petroleumlampe fällt schwankend auf Kartentisch und Seekarte, in die unsere Kurslinie eingezeichnet ist. Ich stoße die Niedergangsluke auf. Draußen fällt milchiges Mondlicht durch hohen Dunst. Schwarz-silbern wogt die See.

»Hallo, Faulpelz!« sagt Elga.

»Was läuft er denn?« frage ich lahm.

»Fünfeinhalb.«

»Bist du müde?«

»Ja.«

»Ich komme.« Eilig ziehe ich Hemd, Hose und Pullover an und will an Deck klettern.

»Heh, Seemann, deine kleinen Schuhe!« ruft Elga.

»Ach ja.« Ich ziehe meine Seestiefel an.

Über uns die Segel sind windgefüllt, offen wie suchende Hände. »Kairos« rollt schäumend. Seine Formen sind schön, fest eingefügt in eigene und fremde Bewegung.

»Kurz vor der Morgendämmerung muß das Feuer an der spanischen Küste durchkommen«, sagt Elga.

»Ja. Punti Candel-sowieso.«

»Punta Candelaria«, sagt Elga sehr gedehnt und lacht.

»Marsch, ins Bett!«

Sie klettert durch den Niedergang hinunter. Ihr Schatten beugt sich über den Kartentisch. Sie trägt ins Logbuch ein: Wind, Strom, Barometerstand … karges Spiegelbild unendlicher, nie wiederkehrender Variationen, die unser Leben himmlisch oder höllengleich gestalten können.

Das Licht in der Kajüte erlischt, die See wird laut.

Wir standen ein letztes Mal auf dem Steilufer der englischen Küste. Regenböen zogen über das Land wie über das Meer. Das Land wurde fruchtbar unter ihrem Zuge. Über dem Meere aber löschten sie den Horizont aus und schufen urweltlichen Raum. Fernes Sonnenleuchten ließ einen Regenbogen entstehen.

Der Mensch wird seinen Ordnungssinn in diesem Raum nicht sichtbar machen können. Er kann das Land beackern und bewohnen, wird ernten. Das Meer kann er nur heimatlos befahren und braucht die ganze Kraft seiner Seele dazu.

»Wenn es kommt« – so steht geschrieben – »daß ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen in den Wolken sehen. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allen lebenden Seelen.«

Genügt also ein Regenbogen, um Mut in der Heimatlosigkeit zu geben? – Wir liefen von Falmouth aus zur Biskayaüberquerung. Doch Schauerböen aus Südwest und West drängten uns dicht an die französische Küste. Abgekämpft blieben wir schließlich in atemloser Flaute liegen. Mit Motorkraft liefen wir den Hafen von Brest an.

Der sinkende Mond wird jetzt vom Dunst verschluckt. Wie aus Watte steigt im Osten schwaches Tageslicht auf, fließt über ein farbloses Meer. Noch immer kein Zeichen des Feuers von Punta Candelaria voraus. Der Wind weht stark und feucht. Er singt im Rigg. Wachablösung.

Ich mache meine Logbuch-Eintragung. Das Barometer fällt.

»Wenn der Wind weiter zunimmt, weck mich zum Reffen.«

»Ja. Schlaf gut.«

»Gute Wache – und wenn dir das Steuern zu schwer wird, weck mich, hörst du!«

»Ich werde dich wecken, du kannst ganz beruhigt sein. Schlaf gut.«

Eigentlich mag ich Elga nicht allein lassen. Zögernd schließe ich die Luke. In der Koje muß ich mich mit Kissen und Decken festkeilen, so rollt das Schiff. An der Bordwand neben meinem Ohr höre ich das Wasser zischen und gurgeln. Ich will wieder hoch und mit Elga sprechen. Doch die Müdigkeit überwältigt mich.

Ich schrecke hoch. 06 Uhr. Wasser poltert über Deck. »Kairos« liegt hart über und arbeitet schwer.

»… müssen reffen!« ruft Elgas Stimme.

Ich ziehe Ölzeug an – vergesse die Gummistiefel diesmal nicht – und steige an Deck. Graue, schaumgeäderte Seen mit weißen Kämmen formen einen unfreundlichen Hintergrund zu Elgas hockender Ölzeuggestalt. Der Wind hat auf Ost gedreht und weht mit Stärke 6. Schritt für Schritt arbeite ich mich zum Mast, fiere das Großsegelfall, so daß das Segel Lose bekommt, die ich mit der Reffkurbel auf den drehbaren Großbaum drehe. Einmal. Zweimal. Meine Arme werden lahm, weil ich mich immer wieder festhalten muß. Beim dritten Mal breche ich mir den Daumennagel ab. Der Schmerz macht mich wach. Einschließlich des Reffens vom Vorabend ist das Segel jetzt fünfmal eingedreht, die Segelfläche entsprechend verkleinert.

»Er liegt noch hart«, sagt Elga, als ich nach achtern komme.

»Wir wechseln das Vorsegel.«

Schritt für Schritt und Hand über Hand arbeite ich mich zur Segelkammer hinunter. Gischt trommelt aufs Kajütsdach. Mit der Baumfock unterm Arm arbeite ich mich wieder an Deck, berge die Genuafock und setze die Baumfock. Das dauert fast 25 Minuten einschließlich des Aufklarens der Leinen und des Verstauens der Genuafock. Von außen salzwassergebadet, von innen schweißdurchnäßt sitze ich atemlos im Cockpit.

»Die Sicht ist miserabel.«

Eine See unterläuft das Schiff. Das Leedeck taucht in Schaum und Nässe, während von Luv hochknallende Gischt über uns hinwegfegt. Am Himmel wehen Nebelwolken, der Horizont ist dunstverhüllt. Da, vor uns in Unsichtigkeit verborgen, liegt die spanische Küste − 20 Seemeilen entfernt nach unserer Koppelrechnung.

Bis zum Beginn meiner Wache habe ich noch eine Stunde Zeit. Ich klettere in die Koje und horche auf das Rauschen, Poltern und Trommeln der groben See. Ich bin müde, hundemüde. Habe ich Angst? Klebriger Schweiß läuft mir über Stirn und Brust. Werde ich seekrank? Schlafen jedenfalls kann ich nicht.

Zum Wachwechsel um 08 Uhr, nach einem hastigen Frühstück, das ich hinunterwürge, übernehme ich die Pinne. Von der Küste ist nichts zu sehen. Sie ist zwischen 400 und 600 Meter hoch, steil steigt sie auf. So habe ich im Handbuch gelesen.

Unentwegt bahnt »Kairos« sich seinen Weg. In die vom Bug aufgeworfenen Gischtwolken zaubert die manchmal aus dem Dunst tauchende Nebelsonne Regenbogenfarben. Die Sicht beträgt höchstens 2 Seemeilen.

09 Uhr. Noch immer keine Küste in Sicht. Einige Möwen umfliegen das Schiff. Ich bin unruhig und nervös. Ob Elga schläft? Ich starre und fühle mich blind. Es ist schwer, Küsten zu verlassen und in ein solches Hundeleben hineinzusegeln – aber es ist ebenso schwer, sich ihnen zu nahen. Teufel, ich sehe nichts!

Vor drei Tagen verließen wir Brest. Der Wetterbericht meldete ein Hoch südwestlich von Irland. Blauträumend blieb die französische Küste achteraus.

10 Uhr. Es muß jetzt die Küste in Sicht kommen. Dunstschwaden verhüllen wieder die Sonne. Der Tag wird sofort um einige Nuancen dunkler.

Ich springe auf – aber es ist nur ein Fischkutter, der Backbord voraus auftaucht und erschreckend schnell vom gelb-grauen Nichts verschluckt wird. Möwen, Fischkutter – das sind Zeichen von Landnähe.

Aus der Bucht von Brest liefen wir bei leichtem Nordwestwind in einen klaren Abend hinein. Leuchtfeuer sandten Grüße hinter uns her, die schwächer und schwächer wurden. Lange blickte ich zurück.

10 Uhr 45. Ich blicke voraus. Wenn die Küste jetzt nicht in Sicht kommt, müssen wir abdrehen. Das Risiko ist zu groß: blind bei fast auflandigem Wind vor einer unbekannten Küste zu segeln. Ich zögere, weil es schwerfällt, ein Ziel aufzugeben.

Voraus steht eine dunkle Wolkenbank mit ausgefransten, hellen Oberrändern. Eine Bö.

»Elga!« rufe ich.

Die Wolkenwand steht steinern unbewegt. Ihre hellen Ränder sind Nebelschwaden über Felsenhängen!

»Elga! Schnell! Land! Land voraus!«

Ich gehe auf Westkurs. Elga zieht sich hastig an. Der Wind unter der Küste nimmt aus Ost rasend zu, warme Böen beginnen zu fallen. Die Sonne kommt durch und wirft Licht auf einen Felsgrat. Und da, da ist der Leuchtturm von Punta Candelaria! Hoch über uns wie ein weißes Schwalbennest hängt er am Felsen.

Wir fallen uns in die Arme und lachen und singen. Der Wind läßt das Meer tanzen. Er heult in Böen, er ist heiß und riecht nach Erde, nach Kiefern und Eukalyptus. Die Biskaya ist überquert. Am Abend kurz vor Sonnenuntergang ankerten wir hier im Hafen von La Coruña. Einige englische und französische Jachten lagen ebenfalls vor der Pier des Real Club Nautico. Stadt und Hafen sind laut und schmutzig – aber was tut’s: der Himmel wurde leuchtend blau.

Während ich dies schreibe, packt Elga dicke Pullover und Wollhosen in die tiefsten Tiefen der Schränke.


Madeira, im September 1964

Damals in La Coruña: Die Einreiseformalitäten für Spanien begannen am Morgen nach unserem Einlaufen auf der sonnenüberstrahlten Treppe des Real Club Nautico. Ein Beamter in Zivil und ein Matrose der Hafenpolizei hielten vergebens Ausschau nach einer Übersetzmöglichkeit zu unserem Schiff. Aus ihrem Gestikulieren war unschwer der Wunsch engeren Kontaktes mit uns abzulesen.

Wir machten unser Schlauchboot klar und ruderten zur Pier. Elga lud die Beamten ein, an Bord zu kommen, was sie jedoch mit Seitenblicken auf unser Schlauchboot einerseits und die dicke Ölschicht auf dem Hafenwasser andererseits ablehnten.

Auf einer Bank unter den Arkaden des Clubhauses füllten wir ein postkartengroßes Formular aus, das u. a. die Frage aufführte, über wieviele Kanonen das eingelaufene Schiff verfüge. Das war nach einem Blick in unsere Pässe der dienstliche Teil.

Elga führte anschließend ein langes Gespräch mit dem Sefior in Zivil. Er sprach mit den Händen ebenso lebhaft wie mit den Lippen. Seine schwarzen Augen glänzten. Der Matrose und ich blieben stumm – er wegen dienstlicher Bescheidenheit, ich wegen mangelnder Sprachkenntnisse. Unsere Blicke streiften sich mehrmals und sagten: Hombre, was die alles zu quasseln haben, was? Wir fühlten nach einer halben Stunde bereits innige Freundschaft.

Das Gespräch endete schließlich mit hinreißendem Lächeln des Beamten und unzähligen »muchas gracias« meiner Frau. Wir schüttelten uns alle herzgewinnend die Hände, wobei mir die derbe Faust des kantabrischen Bauernsohnes ohne Boot, aber in Matrosenuniform fast die Hand zerquetschte.

»Um was ging es denn eigentlich?« fragte ich Elga, als wir zu »Kairos« zurückruderten. »Heiratsantrag?«

»O nein«, sagte Elga bescheiden, »ich fragte ihn nur nach der Bankadresse.«

Wir blieben nicht lange in La Coruña. Der Hafen wird von vielen kohlefeuernden Fischdampfern angelaufen: so kann sich jeder leicht den Schmutz, der dort allgegenwärtig herrscht, vorstellen. Weiter nach Westen um das Cap Finisterre, dann nach Süden, segelten wir an der spanischen Küste entlang. Abends liefen wir in Buchten ein und ankerten. Angaben über die Brauchbarkeit der gewählten Ankerplätze entnahmen wir dem Seehandbuch und der Seekarte, wobei wir das herrschende Wetter und seine mögliche Entwicklung berücksichtigten. Wir verließen uns dabei nicht ausschließlich auf die Seewetterberichte, vertrauten auch der eigenen Entschlußkraft, den rechten Augenblick für unser Handeln zu finden. »Kairos« nannten die griechischen Philosophen jenen gewollten und schicksalsbegünstigten Augenblick, dessen Begreifen und Ergreifen für den Ablauf des weiteren Geschehens so entscheidend ist. Und »Kairos« hatten wir unser Schiff genannt.

Nicht immer frisch wehte der Nordwind dieser Jahreszeit an der iberischen Küste entlang. Vor der Ria de Muros liefen wir in eine absolute Flaute. Nachmittags brannte die Sonne mitleidlos aufs Deck, eine träge Dünung rollte unter dem Schiff dahin, das sich wie ein Wal zu wälzen begann. Flimmernd lag backbord die spanische Küste. Sie schien in der Hitze der bewegungslosen Luft zu kochen. Steuerbord voraus stieg die Rauchfahne eines Fischdampfers senkrecht auf. Wo sie in einiger Höhe auf eine kühle Luftschicht stieß, breitete sie sich flächig aus, bildete einen Vorhang, über dem sich der Dampfer als Luftspiegelung überkopf deutlich abzeichnete. Monte Louro, der zwiegegipfelte Berg neben der Einfahrt unseres Zieles – auch sein Spieglbild hob sich empor, reckte und verzerrte sich. Achteraus sahen wir zwei Horizonte, und das Glitzern der Sonne zuckte flirrend bis in den Zenit hinauf. Wir saßen und starrten und fürchteten, daß die Welt bald nur noch aus Unwirklichkeiten bestehen würde.