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Die Renaissance: Ruhm und Abwertung des menschlichen Wesens


„Der Teufel liebt es, sich in der melancholischen Stimmung anzudeuten, da sie gut geeignet ist für seine spöttischen Bilder.”9

Das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert waren die Zeit, in der die Magie und das Okkulte in der allgemeinen Weltanschauung wiederhergestellt wurden. Die okkulte Philosophie griff nicht nach den mittelalterlichen Vorstellungen der jüngsten Vergangenheit, sondern nach den antiken Ideen und den klassischen Theorien über den Menschen und das Universum. Die Gelehrten lösten sich von den mittelalterlichen scholastischen Lehren und suchten das Göttliche in anderen Vorstellungen als jenen, die die Kirche vertrat. Philosophen, Schriftsteller und Künstler waren fasziniert von dem alten Glauben an Götter, die Unterwelt, gute und böse Geister, Prophetie und Divination. Sie glaubten, dass übernatürliche Kräfte immer das Leben auf der Erde beeinflusst hatten und dass Kontakt zu ihnen der Schlüssel zu Wissen und Macht war. Die ersten Gelehrten der Renaissance, die die alten okkulten Prinzipien wiederbelebten, waren die italienischen Neoplatoniker Marsilio Ficino (1433 - 1497) und Giovanni Pico della Mirandola. Ihre Philosophie wurde als Hermetik bekannt (ein Begriff, der sich auf die antike hermetische Tradition bezieht) und basierte auf der Annahme, dass ein menschliches Wesen durch spirituelle Entwicklung gottgleich werden und die absolute Macht über das Universum erlangen kann. Nach neoplatonischer Sicht hatte die Magie zwei Formen. Die erste befasste sich vorwiegend mit „der Operation mit den Dämonen und deren Kräften”, die andere war „die höchste Erkenntnis der Naturphilosophie” einschließlich der profundesten Kontemplation über die tiefsten Geheimnisse der Dinge und das Wissen über die Gesamtheit der Natur”10. Der Ursprung der Magie der Renaissance wurde auch mit der Veröffentlichung von Giambattista della Portas Magia Naturalis im Jahre 1558 assoziiert. Viele Okkultisten jener Zeit hörten auf, natürliche Prozesse umzukehren und wandten sich einer wissenschaftlicheren Herangehensweise zu in dem Versuch, in Harmonie mit der Natur zu arbeiten. In vielen Aspekten stand diese Einstellung in Verbindung mit der Wissenschaft und der Suche nach Wissen, die das Rationale und das Okkulte einschloss. Die natürliche Magie versprach einem Magier die Fähigkeit zu fliegen, das Wetter zu steuern, Gold und Schätze zu finden, die dem profanen Auge verborgen waren, und die Geheimnisse der Natur mit Hilfe äußerer Mächte zu entdecken. Diese Faszination führte zu einem wachsenden Interesse an okkulten Schriften, Zaubersprüchen und Beschreibungen von Dämonen und Geistern.

Es gab mehrere Teilgebiete der okkulten Philosophie. Eine von ihnen war die Astrologie. Die Menschen des fünfzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts glaubten zutiefst an astrologische Vorhersagen und Horoskope. Viele Monarchen hielten sich Hofastrologen und konsultierten sie in den wichtigsten Angelegenheiten der Staatspolitik und ihres Privatlebens. Die englische Königin Elisabeth I z.B. wählte das Datum ihrer Krönung nach dem Rat von John Dee (1527 - 1608), dem berühmtesten englischen Magier. Es geschah nicht vor dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts, dass der Niedergang dieses Glaubens begann. Nicht weniger bedeutend war die Alchemie, die magische Wissenschaft, die ihre Wurzeln im antiken Alexandria und Byzanz hatte. Das Hauptziel des „Großen Werkes der Alchemie” war der Stein der Weisen, die mystische Substanz, die jedes Metall in Gold verwandeln, alle Krankheiten heilen und das Leben über seine natürlichen Grenzen hinaus verlängern konnte. In einem metaphorischen Sinne war er die Transmutation und Reinigung der Seele, so dass sie auf höhere spirituelle Ebenen hinaufsteigen und sich mit dem Göttlichen verbinden konnte. Außer der natürlichen Magie und der Alchemie gab es auch noch die schwarze und weiße Magie. Schwarze Magie wurde durch die Verwendung übernatürlicher Kräfte zum persönlichen Gewinn definiert, während ihr weißes Gegenstück wohltätige Magie war, um anderen zu helfen. Ein Schwarzmagier (oder Zauberer) war jemand, der über Dämonen verfügen konnte, entweder indem er seine Seele verkaufte und einen Vertrag unterschrieb oder indem er die Geister durch Zaubersprüche und Rituale dazu zwang. Es gab zahlreiche Textbücher für Zauberer, die Grimoires genannt wurden und Zaubersprüche, Beschreibungen magischer Gegenstände und Anweisungen für die Beschwörung von Dämonen enthielten. Die bekanntesten waren das Grimoirum Verum, Heptameron, Das Grimoire von Honorius, das Grand Grimoire, oder Die Schlüssel Salomons. Diese magischen Texte bildeten die sogenannte „salomonische Tradition” in der westlichen Esoterik, deren Form auf ritualisierten Evokationen und ausgearbeiteten Beschwörungen basierte. Es gab auch eine Unterscheidung zwischen hoher und niederer Magie, von denen die Erstere die Erforschung der esoterischen Traditionen der Kabbala und Hermetik einschloss, und Letztere mit Zauberei und schwarzer Magie assoziiert wurde. Agrippa unterschied auch mathematische Magie, die sich auf Astrologie und Astronomie bezog, und zeremonielle Magie, die sich mit der Kommunikation mit Geistern befasste und von okkulten Geheimgesellschaften und magischen Bruderschaften ausgeübt wurde. Andere Formen von Magie waren Hexerei und Nekromantie, die zu jener Zeit eine Form von Divination durch Kommunikation mit den Toten war. Die Menschen des sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhunderts glaubten allgemein an die Wirkung von Magie und den Einfluss von Geistern auf menschliche Angelegenheiten. Zu den praktizierenden Magiern zählten die berühmtesten Gelehrten der Renaissance: Nostradamus, Paracelsus, Cornelius Agrippa von Nettesheim, Giordano Bruno, der englische Alchemist Robert Fludd und viele andere prominente Vertreter der Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Literatur.

Die Renaissance war jedoch nicht nur eine Zeit des Optimismus, sondern auch eine Zeit der Dunkelheit und Furcht. Während die Philosophen, Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller ihren Glauben an den „Ruhm und die Würde“ des menschlichen Wesens verkündeten, starben tausende Menschen an Krankheiten und Hunger, litten unter extremer Armut oder wurden ihres religiösen Glaubens wegen verfolgt oder gefoltert und lebendig als angebliche „Hexen“ verbrannt. Das wichtigste Werk über Hexerei war das schon genannte Malleus Maleficarum von 1486. In den zwei folgenden Jahrhunderten wurde es zum wichtigsten Handbuch der Hexenjäger und zu einem Referenzwerk in Hexenprozessen, das die Grausamkeit der Folter und den Horror der Hinrichtungen rechtfertigte. Zauberei wurde von Hexerei dadurch unterschieden, dass sie von jedem ausgeübt werden konnte, der ein hinreichendes Wissen hatte, um Beschwörungen, Formeln und Tränke anzuwenden, während Hexerei von inhärenten mystischen Kräften herrührte, die auf unsichtbare Art angewandt wurden. Solche Glaubensvorstellungen lieferten formale Regeln für die Verfolgung von „Hexen“, die ihren Höhepunkt zwischen 1580 und 1660 erreichte und am häufigsten in Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz vorkam. In England wurde Hexerei mit derselben Ernsthaftigkeit behandelt, was in der Veröffentlichung von King James Demonology resultierte, aber Folterungen waren verboten und nur eine kleine Anzahl der angeklagten Hexen wurde durch Erhängen hingerichtet. In Schottland jedoch wurden Hexen um 1350 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das Reich des Übernatürlichen wurde zu einem untrennbaren Bestandteil der zeitgenössischen Ansichten und der Teufel griff immer öfter nach menschlichen Seelen, insbesondere solchen von melancholischer Natur. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert waren die Existenz von Dämonen und ihre Einmischung in irdische Ereignisse als eine Tatsache anerkannt, die mit äußerster Ernsthaftigkeit behandelt wurde. Der Teufel war in jedem Aspekt des menschlichen Lebens gegenwärtig. Er suchte menschliche Behausungen heim, versuchte ambitionierte Menschen zum Fehlverhalten zu verleiten, plagte die Keuschen und Ehrlichen mit Leiden, spielte mit Wahnsinnigen und verdunkelte den Geist und die Seele mit Verzweiflung und Melancholie. Geistige Krankheiten und psychische Störungen, die zu jener Zeit den Begriff der Melancholie prägten, wurden oft als Symptome dämonischer Besessenheit betrachtet und kranke Menschen nicht behandelt, sondern als „Hexen“ verbrannt. Die Rechtsprechung machte oft keinen Unterschied zwischen Sünde, Geistesstörung, Hexerei und dämonischem Einfluss. Die Vorstellungen der Melancholie, die von den zeitgenössischen Philosophen und Ärzten vertreten wurden, waren eine Mischung aus antiker Magie, Alchemie, rationaler Empirik und Astrologie. Ein typischer Vertreter der Zeit war Paracelsus (1493-1541). Er klassifizierte die Melancholie als Verrücktheit und Defekt des Verstandes. Er glaubte nicht an die dämonologische Erklärung und suchte ihre Ursachen in Obsessionen und Wahnvorstellungen.11 Seine Lehren waren jedoch auf eine andere Weise etwas Besonderes: Seiner Ansicht nach wurden Krankheiten durch Gifte verursacht, die von den Sternen kamen. Melancholie wurde durch den Einfluss des Saturn verursacht, und im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nannte man melancholische Menschen allgemein „die Kinder des Saturn.”

Die Verbindung zwischen Hexerei und Melancholie wurde von vielen Gelehrten der Renaissance behandelt, doch die wichtigste Arbeit zu diesem Thema schrieb Johann Weyer (1515-1588), ein holländischer Arzt des sechzehnten Jahrhunderts. In seinem De praestigiis Daemonum, das manchmal als das erste Textbuch der Psychologie angesehen wird, behandelt er das Thema der Hexerei aus vier unterschiedlichen Perspektiven: theologisch, psychologisch, medizinisch und juristisch. Für ihn waren die übernatürlichen Kräfte, die mit der Hexerei assoziiert wurden, nichts anderes als eine Verwirrung der Vorstellungskraft, die er den melancholischen Zuständen und Einstellungen zuschreibt:

Hexen können selbst durch den bösesten Willen oder die hässlichsten Exorzismen niemandem schaden … sondern ihre Imagination – von Dämonen auf eine Weise entflammt, die für uns nicht verständlich ist – und die Qual der Melancholie lassen sie sich einbilden, dass sie Böses aller Art verursachten.12

Eine andere bedeutende medizinische Herangehensweise an die Melancholie lieferte Timothy Bright (1550-1615) in seiner Treatise of Melancholy (1568), einem Werk, das Robert Burtons The Anatomy of Melancholy im siebzehnten Jahrhundert beeinflusste sowie Shakespeares häufige Bemerkungen über Melancholie und Wahnsinn in seinen berühmtesten Stücken. Bright schrieb melancholische Zustände dem verbreiteten Glauben an die Überhitzung der „melancholischen Stimmung” zu, der schwarzen Galle. Zu diesen Zuständen zählte er Traurigkeit, Furcht, Misstrauen, Zweifel, Schüchternheit und Verzweiflung. Er betonte, dass sie üblicherweise keine erkennbare oder äußere Ursache hatten und der ganze Prozess innerlich war. Unter diesem Gesichtspunkt behandelte er detailliert die Interaktionen zwischen dem Körper, dem Gehirn und dem Herzen. Er glaubte, dass splenetische Dämpfe die Funktionen des Gehirns störten und die Wahrnehmung, die Urteilsfähigkeit, das Gedächtnis und die Vorstellungskraft beeinträchtigten, während das Herz Zweifel, Traurigkeit und andere melancholische Zustände erzeugte, die den Körper und den Geist quälten.

Salvator Rosa: Democritus in Meditation, 1662

Es gab auch religiöse und mystische Versuche, die Melancholie als Krankheit der Seele zu erklären. Eine solche Herangehensweise ist in den Schriften einer Karmeliternonne zu finden, die von 1515 bis 1582 in Spanien lebte, der hl. Theresa von Avila. In ihren Werken Die Grundlagen und Das innere Schloss erkennt sie das theologische Verständnis der Melancholie in Begriffen dämonischen Einflusses an, erklärt aber auch, dass melancholische Menschen für ihre „Krankheit” nicht verantwortlich seien. Ihr Verstand ist verdunkelt und sie leiden an einer schweren seelischen Störung, für die sie nicht bestraft werden dürfen. Theresa von Avila war einer der wenigen Kirchenvertreter, die sich mit der Notwendigkeit befassten, die Melancholie unter verwandten Zuständen hervorzuheben, und mitleidig gegenüber der melancholischen Erfahrung waren.

Die zeitgenössischen Theorien über die Melancholie hatten einen enormen Einfluss auf die bildenden Künste der Renaissance. Ihre Personifizierungen und Allegorien erschienen als Gemälde, Holzschnitte, Radierungen und Buchillustrationen. Sie wurden üblicherweise durch einen bestimmten Satz von Zeichen, Hieroglyphen oder Emblemen dargestellt, obwohl es auch andere Versuche gab, die Natur der Melancholie selbst zu illustrieren. Die berühmtesten Kunstwerke der Renaissance, die sich mit diesem Thema befassten, waren jene von Albrecht Dürer (1471-1528). Seine Melencolia I, die in folgenden Kapiteln dieses Buches noch besprochen wird, ist die vielleicht beste Repräsentation der melancholischen Weltsicht. Dürer widmete auch viele andere Werke dem Studium der Melancholie. Unter ihnen befinden sich seine Kupferstiche Der heilige Hieronymus in seinem Studierzimmer und Ritter, Tod und Teufel. Im Selbstportrait von 1512 deutet Dürer auf seine Milz, den Sitz der Melancholie. Ein weiterer Künstler, der die melancholische Sicht der Welt darstellte, war Salvatore Rosa (1615-1673) mit seinem Demokrit in Meditation (1662). Die Radierung stellt einen Philosophen vor dem Hintergrund eines düsteren Himmels mit dunklen Wolken dar. Demokrit ist von verfallenen Gebäudeteilen, Obelisken, Urnen und halbverdorrten Bäumen umgeben. Der Boden um ihn her ist mit toten Tieren und Knochen bedeckt. Es gibt auch einen geöffneten Sarg mit einem Skelett. Rosas Bild stellt die Melancholie als einen spirituellen Zustand dar, der aus dem Gewahrsein der Übergangsnatur aller Dinge resultiert. Es ist der Weltschmerz, das tiefe Gefühl von Vergänglichkeit und Vergeblichkeit des menschlichen Lebens. Demokrit auf dem Bild nimmt nur die Entropie und den Tod um sich her wahr, den Verfall von menschlichen Wesen, Tieren, der Natur und schließlich die Fäulnis der ganzen Welt. Er war höchst inspirierend für die melancholische Sichtweise in Cesare Ripas Melancholia (1647) oder die Bilder von Domenico Fetti. Sie alle stellen die Melancholie durch Mittel wie düstere Umgebungen, Ruinen und vergehende Natur dar. Es gab viele weitere zeitgenössische Gemälde, die das Interesse an der Melancholie widerspiegelten. Giorgio Vasari stellt in seinem Die Leben der bedeutendsten italienischen Architekten, Maler und Bildhauer fest, dass fast alle Künstler dieser Zeit „Melancholiker” waren. Am Ende der Renaissance manifestierten sich diese Trends auch in einem Faible für den Tod, einem häufigen Thema von Bildern und Skulpturen. Pieter Bruegel der Ältere malte Triumph des Todes und Hans Baldung Grien und Rubens widmeten ihre Arbeit der Porträtierung des Saturn, des antiken Gottes der Melancholie. Lucas Cranach präsentierte die Melancholie als eine lächelnde, verführerische Frau/Hexe in einem roten Kleid, verlockend und attraktiv.

Ähnliche Trends waren in der Musik zu beobachten, insbesondere im Werk des englischen Komponisten John Dowland (1563-1626). Seine Kompositionen, vor allem Lachrimae, waren stark von Düsternis und einem Gefühl von Schwermut durchtränkt, was ganz den Zeitgeist widerspiegelte. Zuerst war Musik als Mittel gegen Melancholie betrachtet worden, was vor allem der orphischen Musiktradition und der pythagoräischen Überzeugung zu verdanken war, dass Melodien eine große Heilkraft hatten. Diese Kraft konnte sich auf verschiedene Art manifestieren. Zuallererst hatten Musik und Gesang die Kraft, Stress, manische Erregung und depressive Gedanken zu überwinden. Sie konnte böse Geister vertreiben (man glaubte, dass jemand mit einem melancholischen Temperament besonders anfällig für die Besessenheit durch Dämonen war) oder den Besessenen sogar retten. Musik stellte die innere Harmonie im Menschen wieder her und führte zur Katharsis, der Reinigung von Geist und Seele. Sie schuf ein mystisches Band zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmos, verstärkte die natürlichen Harmonien der Planeten und des kosmischen Systems sowie die Balance im menschlichen Innern. Theoretiker untersuchten auch das Verhältnis zwischen Musik und Zuständen melancholischer Kreativität (Melancholia generosa). Den Klang und die künstlerische Inspiration hielt man für ein Resultat des Furor divinus, eines Ekstasezustands, der den Kontakt mit dem Göttlichen erlaubte. Apathie und Depression konnten sich unter dem Einfluss von Musik in eine ekstatische Erfahrung verwandeln, oder die Musik konnte die melancholische Stimmung und Schwermut noch verstärken. Deshalb wurde die Melancholie nicht immer als eine Krankheit angesehen, sondern auch als ein erwünschter Zustand. Melancholische Stimmung, intensiviert durch Musik, konnte eine Quelle von ekstatischer Freude und Lust sein. Dieser Glaube wurde typisch für das siebzehnte Jahrhundert, in dem der Glaube an die Harmonie und Ordnung im Universum durch Chaos und das Gefühl von Vergeblichkeit der menschlichen Existenz ersetzt wurde.

Lucas Cranach, Melancholie, 1532. Eins aus einer Melancholie-inspirierten Serie von Gemälden

Angst und Furcht im siebzehnten Jahrhundert


„Oh, diese düstere Welt, in welch einem Schatten oder tiefen Grube der Dunkelheit lebst du, weibische und furchtsame Menschheit?”13

Das sechzehnte Jahrhundert war das Zeitalter, das sich nach Freiheit, Wissen und Ruhm sehnte, die Zeit der Hoffnung und des Optimismus. Die Weltanschaung der Renaissance setzte den Menschen in den Mittelpunkt des Universums. Der Mensch war der Mikrokosmos, ein einzigartiges Wesen, das die Macht hatte, die umgebende Welt zu beeinflussen, ihr Schöpfer und Herrscher. Die Hauptquelle dieser Lehren, der Corpus Hermeticum14, betrachtete den Menschen als den Vermittler zwischen den Geschöpfen, als Gleichnis der Götter und den Herrn aller Wesen. Das Europa des sechzehnten Jahrhunderts war allgemein durch ein vernünftiges Maß an interner Stabilität und geschickter Politik charakterisiert. Geografische Entdeckungen und Erkundungen anderer Teile der Welt brachten eine optimistische Einstellung mit sich und eröffneten neue Möglichkeiten. Für viele Menschen war es eine Zeit des wachsenden Patriotismus und allgemeiner Zuversicht, ein Jahrhundert von Stärke und Glanz. Die Zustände begannen sich in vielen Ländern zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zu ändern. Die erste Hälfte wurde zu einer Epoche der Schwierigkeiten und des allgemeinen Chaos, hauptsächlich verursacht durch schlechte Politik neuer Monarchen, soziale und ökonomische Veränderungen, religiöse Faktoren und ideologische Meinungsverschiedenheiten. Unterschiede zwischen der offiziellen Lehre und neuen Paradigmen wurden zur Ursache vieler ideologischer Zusammenstöße im siebzehnten Jahrhundert, begleitet von Fanatismus, Verfolgung, Flucht und einer Vervielfachung verfeindeter Sekten. Diese Tendenzen resultierten in einem überwältigenden Gefühl von Verwirrung und Melancholie, das zum Markenzeichen dieser Zeit wurde.

Die politischen, ökonomischen und ideologischen Spannungen hatten einen beachtlichen Einfluss auf die zeitgenössische Weltanschauung. Das sechzehnte Jahrhundert war eine Zeit, in der die Einstellung gegenüber der Position des Menschen im Universum allgemein positiv war. Dies begann sich mit dem Aufkommen der neuen Epoche zu ändern. Das siebzehnte Jahrhundert war eine halb mittelalterliche, halb moderne Mischung aus Denken und Glauben, in der der Pessimismus zur vorherrschenden Einstellung wurde. Das barocke Weltbild leitete sich eher von der mittelalterlichen Sichtweise ab als von der der Renaissance und basierte auf der ptolemäischen Lehre des Universums – geozentrisch, hierarchisch und unveränderlich. Die kopernikanische Astronomie und die neuen Entdeckungen (wie Keplers astronomische Errungenschaften) wurden zu einem Schock für den zeitgenössischen Menschen, der erkannte, dass die Welt, in der er lebte, anders war als bisher gedacht. Neue Lehren widersprachen den christlichen Dogmen und stellten die Autorität der Bibel in Frage, was zu einer gewaltigen Verstärkung des Pessimismus führte, besonders in der ersten Hälfte des Jahrhunderts.

Der wichtigste Teil in der universellen Ordnung der Renaissance war die Metapher von der „Kette des Seins”, die von Platos Ion und Timaeos abgeleitet war und von den frühen Neoplatonikern, insbesondere Plotin (204-270) weiterentwickelt wurde. Dieser Ansicht nach erstreckte sich die Kette von den Füßen von Gottes Thron bis zu den niedrigsten der unbelebten Objekte. Jeder Flecken der Schöpfung war ein Glied in der Kette, und jedes Glied, außer den beiden Endgliedern, war gleichzeitig größer und kleiner als ein anderes; es konnte keine Lücke geben.15 Mit anderen Worten symbolisierte die Kette die Vielfalt von Gottes Schöpfung und verband die Erde mit dem übernatürlichen Reich im Himmel. Plato verglich die göttliche Kraft, die die Kette zusammenhielt, mit den Eigenschaften eines Magneten:

Dieser zieht nicht nur eiserne Ringe an, sondern erzeugt in den Ringen die Kraft, ihrerseits dasselbe zu tun, nämlich andere Ringe anzuziehen, so dass sich manchmal eine lange Kette von Eisenringen bildet, die einer am anderen hängen, und alle haben die Kraft von dem Stein.16

Alle Glieder der Kette waren in einer Hierarchie angeordnet: „Der Mensch ist über den Menschen gesetzt, das Tier über das Tier, Vogel über Vogel und Fisch über Fisch, auf der Erde, in der Luft und im Meer.”17 Diese philosophischen Lehren dienten zur Erklärung der Einheit und Harmonie des ganzen Universums und entsprachen dem tatsächlichen Zustand der Angelegenheiten und Ereignisse zu jener Zeit in Europa. Zeitgenössische Autoren wie Nicholas Breton beschrieben das Staatswesen als einen Organismus, in dem jeder Teil den anderen helfen und Hilfe von anderen bekommen musste, um richtig zu funktionieren. Die Einheit und angenommene Notwendigkeit der Ränge im Staat ähnlich der Glieder der Kette waren essentiell für die innere Stabilität. Im siebzehnten Jahrhundert jedoch war das Gefühl von Stabilität im Niedergang. Weltliche Probleme, politische und gesellschaftliche Unordnung erfüllten die Welt allmählich mit Pessimismus.

Der Niedergang war auch in den zeitgenössischen Moralstandards und religiösen Glaubensvorstellungen gegenwärtig. Die Ansichten über Erlösung und Verdammnis hatten mehr mit der mittelalterlichen Weltanschauung zu tun als mit dem Glauben der Renaissance an die göttliche Natur des Menschen. Diese Situation war eine Konsequenz der ideologischen Zusammenstöße, die sich zu jener Zeit häufig zwischen diversen religiösen Gruppierungen und ihren Lehren ereigneten. Die barocke Ansicht der Sünde war traditionell und von der Genesis abgeleitet. Sie basierte auf der Annahme, dass mit dem Fall sowohl das menschliche Wesen als auch das Universum verdorben worden waren. In der zeitgenössischen Sicht des Menschen war die vorherrschende Stimmung die Melancholie, das dunkle Prinzip in der menschlichen Natur. Man hielt die „schwarze Krankheit” für das Resultat der Erbsünde und des menschlichen Ungehorsams gegenüber Gott: Als Adam die Frucht vom Baum der Erkenntnis kostete, wurde sein Blut verdorben und in schwarzen Saft verwandelt, das Zeichen Satans. Das philosophische Denken des Barock folgte dem mittelalterlichen Glauben, dass die Erbsünde der Anfang der Melancholie und der dem Menschen innewohnenden Sündigkeit war. Die menschliche Seele wurde in die melancholische Dunkelheit geworfen, die man durchbrechen musste, um das Licht wiederzuerlangen. Aber dieses Licht war nicht dasselbe wie das, was von der Sonne kommt. Es war das dunkle Licht, die schwarze Flamme, die aus den Tiefen des Unbewussten hervorkommt, oder in modernen Begriffen: Die auflösenden Strahlen der schwarzen Sonne. Dieser Glaube führte zu einer doppelten Ansicht über die Sündigkeit des Menschen. Die optimistische Ansicht ging davon aus, dass der Mensch die Sünde und seine eigenen Unzulänglichkeiten überwinden kann, während die pessimistische Ansicht diese Möglichkeit ablehnte. Im siebzehnten Jahrhundert kollidierten diese Ansichten häufig miteinander und in dieser religiösen Verwirrung war es nicht leicht, eine theologische Lösung zu finden.

Das Jahrhundert hatte ein besonderes Interesse am Studium der Melancholie und dem Kampf zwischen den Säften. Die Verwirrungen und Spannungen der Außenwelt spiegelten sich im menschlichen Innern. Folglich wurde der Mensch nicht länger als ein Spiegelbild der Harmonie im Universum angesehen, sondern als ein Produkt von Unordnung und Chaos. Das Barock griff auf Beschreibungen des Menschen zurück, die sich auf den inneren Kampf und die Widersprüchlichkeit von Körper und Seele konzentrierten. So die pythagoräische Darstellung des Menschen als eine Mischung von vielen verschiedenen Elementen, die einmal vom göttlichen Element zum Besseren und ein andermal von der Vorherrschaft des tierischen Elements zum Schlechteren hingezogen wurde. Solche inneren Kämpfe führten zu einer körperlichen Zerstörung, Funktionsstörungen des Gehirns, Krankheit, tiefer Melancholie oder gar Tod. Im siebzehnten Jahrhundert wurde der Mensch lediglich als eine Mischung von verschiedenen Elementen angesehen, die unter dem Kampf zwischen Vernunft und Leidenschaft litt, der Sünde verfallen war, monströs, furchtsam, deformiert, unfähig, ignorant, wechselhaft und mittelmäßig.18 Der mittelalterliche Danse macabre war nun durch den Danse melancholique ersetzt worden.

Das starke Gefühl von Pessimismus im zeitgenössischen philosophischen Denken stand auch mit der populären Idee des Theatrum mundi in Verbindung. Das Konzept tauchte bereits im vorherigen Jahrhundert, insbesondere in Shakespeares Spätwerk auf. Danach war die Welt ein riesiges Theater, das Leben ein Schauspiel und Gott der Autor, der Intendant und der Zuschauer zugleich. Wie Shakespeare es in Was ihr wollt ausdrückt: „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Männer und Frauen sind lediglich Schauspieler.” Die Metapher vom Theatrum mundi stammte aus der Antike. Bezüge zu dieser Ansicht gab es in den Werken von Plato, Demokrit, Seneca, Petronius und Terentius. Für die antiken Philosophen und die Denker des siebzehnten Jahrhunderts illustrierte das Konzept die Leere und Kürze des Lebens. Calderóns Das Leben ist ein Traum verglich die Welt mit einem Produkt der Imagination, in dem alles illusorisch war. Der Glaube der Renaissance an die unbegrenzten Möglichkeiten des Menschen kollidierte schwer mit dieser düsteren Vision der Welt als ein Theater, in dem die Menschen lediglich ihre vorbestimmten Rollen spielten. In dieser Sicht hatte der Mensch keinen Einfluss auf sein eigenes Schicksal und war eine Marionette in den Händen des allmächtigen Gottes.

Nicht weniger bedeutend war der Einfluss der neuen Entdeckungen und der Entwicklung der Wissenschaft. Es war die Zeit von William Harveys medizinischen Experimenten mit Blut und des Fortschritts auf dem Gebiet der Anatomie, Biologie und Chemie, der bald zum Untergang der Humoralpathologie führen sollte. In Der Fortschritt des Lernens betonte Francis Bacon (1561 - 1626) die Errungenschaften von Wissenschaft, Technik und Vernunft. Der wissenschaftliche Fortschritt hellte die düsteren Aussichten der Zeit jedoch nicht auf. Die Wissenschaftler waren nicht imstande, die Ansicht des Menschen als eines schwachen und unvollkommenen Wesens zu überwinden. Die intellektuellen Kapazitäten des Menschen wurden noch immer in Frage gestellt und die Männer der Wissenschaft gaben zu, dass das Wissen und der Geist des Menschen begrenzt waren. Ähnlich verhielt es sich mit den zeitgenössischen Ansichten über das menschliche Bewusstsein und die Physiologie. Den inneren Mechanismen des menschlichen Organismus hatte man seit der frühen Antike große Aufmerksamkeit gewidmet und auch die Philosophen und Ärzte des Barock hatten ein großes Interesse am menschlichen Organismus mit all seinen Fehlern und Schwächen. Die Anatomie des Menschen wurde zum Thema eingehender Studien, was ein Resultat der zeitgenössischen Faszination von Krankheit und Tod war. Die anatomischen Sektionen hatten jedoch nicht nur die Erforschung der körperlichen Mechanismen eines Organismus zum Ziel, sondern auch der geistigen. Sie waren „weniger als ein Körper … und mehr als eine Welt.”19 Die Anatomen versuchten sowohl die Gründe für moralische Verstöße (die Leichen für die anatomische Sektion waren meist die von Verbrechern) als auch die für körperliche Störungen (indem sie nach der Todesursache suchten) zu entdecken. Die zeitgenössische Kunst und Philosophie bewies, dass das Studium des menschlichen Körpers populär und wesentlich für die Untersuchung der inneren Mechanismen war. Darunter waren Werke wie Rembrandts Die Anatomie des Dr. Tulp oder Die Anatomie des Dr. Egbertsz‘s von Thomas de Keyser. Die Entdeckungen der Anatomen führten zu einer weiteren Zunahme des Pessimismus, weil sie zu dem Schluss kamen, „dass es nichts gibt, was das Zentrum des menschlichen Körpers bildet.” Thomas Brown, ein berühmter Arzt des siebzehnten Jahrhunderts, beschrieb den menschlichen Organismus als „abhängig von einem leeren Zentrum, das von verschiedenen Kombinationen von Körperteilen bedeckt ist”20 Außerdem gab es keine Harmonie zwischen diesen Teilen, sondern nur beständigen Kampf und Spannung. Selbst die neue Sicht der menschlichen Natur, die Descartes in seinem Diskurs über die Methode vorstellte, brachte keinen Optimismus in diese düstere Hälfte des Jahrhunderts. Obwohl er das bewusste Selbst als die Quelle des Verständnisses ausmachte, schaffte er es nicht, dessen Verhältnis zum Körper zu erklären. Kartesianische Ansichten über die Einzigartigkeit des menschlichen Selbst erlangten vor der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts keinen Einfluss.

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