Kitabı oku: «Natur-Dialoge», sayfa 3

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Ohne Ziel, jedoch nicht ohne Halt

Das Streunen erlaubt also jenen Modus, in der unsere Aufmerksamkeit, die ja immer auch eine leibliche Aufmerksamkeit ist, nicht von Werbesignalen raffiniert eingefangen, von Rechenmaschinen gelenkt oder von Marktinteressen bespielt wird. In ihm darf unsere Aufmerksamkeit einfach da sein, inmitten einer Umgebung, die auch einfach da sein darf. Wir bewegen uns in einer Aufmerksamkeitsallmende, einem Raum, in dem alle das Recht auf ihre Aufmerksamkeit haben.6

Wir müssen hier nichts voneinander wollen, nur atmend den Sinnen folgen, so wie wir eben biologisch ausgestattet sind. Nur atmend den Spuren folgen, die uns unsere Geschichten zuspielen, so wie wir Menschen das eben tun. Nur atmend uns im Raum bewegen und allein dadurch in ihm handeln, gemeinsam mit allen anderen Handelnden im Raum.

Beim Streunen lenken wir unsere Aufmerksamkeit dorthin, wohin wir sie lenken (wollen), und zugleich wird sie dorthin gelenkt, wohin sie gelenkt werden will. Hier sitzt weder ein innerer Chauffeur am Lenkrad, der weiß wohin es gehen muss, noch regelt ein Polizist unsere Bewegung. Außer wir behandeln uns selbst so, als gäbe es Chauffeur und Polizist, was leider kulturell bedingt oft der Fall ist.

Wenn das »reine Streunen« gelingt, dann folgen wir den sinnlichen Impulsen und richten uns nach ihnen aus. Hier greifen der uns umgebende Raum und wir als Individuen fortwährend ineinander, aufeinander bezugnehmend bilden wir uns miteinander aus. So sind wir zwar ohne vorbestimmtes Ziel auf dem Weg, jedoch nicht ohne Halt. Im Gegenteil: In diesem Aufmerksamkeitsdreh, der hier geschieht, fühlen sich Menschen in hohem Maß gesammelt, führend und geführt und zugleich gesehen und gemeint.


»Das ist doch wirklich verrückt«, erzählt Irina nach einer Zeit des Streunens und schüttelt noch immer den Kopf. »Ich war froh, ein bisschen Zeit für mich zu haben, und ich wollte an den Fluss, ganz im Dorthin-gehe-ich-dorthin-will-ich-Modus. Und nach ein paar Schritten bin ich ausgerutscht und sanft auf dem Hinterteil gelandet. Dort blieb ich, weil es einfach der beste Ort war zum Sein und ich ja auch nicht wirklich zum Fluss musste. Irgendwann hat mich ein Rascheln aufgeschreckt, dem bin ich gefolgt. Es war gar nichts Besonderes, einfach ein Folgen, das mich zu einem großen bemoosten Stein geführt hat. So, als würde er sagen: Sei willkommen! Kaum hatte ich mich auf ihm niedergelassen, sah ich erst, dass er so einen schönen Ausblick auf den Fluss bot, der dort unten silbern glitzerte. All das war so unmittelbar und so schön. Ich begann zu weinen, es begann mich zu weinen, der Fluss, der Stein, das Licht, meine Güte, ich wusste nicht mehr, wer wen anschaute, wer zu wem sprach – das war eine höchst lebendige Begegnung. Wenn das Streunen ist, dann habe ich jetzt eine Ahnung, wovon ich in Zukunft mehr machen werde!«

Gesunde Verstörungen

Irinas Erfahrung erzählt beispielhaft, was Streunen alles kann. Es kann uns, sofern wir uns auf einen Weg oder ein Vorhaben ausrichten, davon abbringen. Streunen ist einfach nicht im klassischen Sinn effizient, sondern eher eine Verstörung. Genauer gesagt, es macht die im Leben ständig stattfindenden Verstörungen sichtbar und erlaubt, ihnen zu folgen. Wäre Irina auf dem Weg zu einem Termin gewesen, hätte dieser »Ausrutscher« nicht zu einer innigen Begegnung mit der Welt geführt, hier in Form eines Steines, eines Blicks, eines Flusses und wer oder was sonst noch immer beteiligt war. Vermutlich hätte sie sich geärgert, wäre aufgestanden und hätte den Weg mit erhöhter Vorsicht weiter beschritten. So geschieht es leider meist: Unser geplantes Leben, das uns durch eine mehr oder minder kontrollierte Welt führt, kann sich »Ausrutscher« nicht leisten. Sie sind nicht vorgesehen. Weil sie trotzdem geschehen, müssen wir die Kontrolle erhöhen.


Das macht viel Druck und ist zudem eine einseitige und anstrengende Geschichte, weil alle dafür sorgen müssen, dass ihnen nichts Außerplanmäßiges geschieht bzw. dass sich die lebendige Interaktion, die allenfalls mit dem Raum stattfinden könnte, auf ein unbedingt nötiges Minimum reduziert. Der Raum wird kaltgestellt, seine Eigenlebendigkeit verneint bzw. in dafür vorgesehenen Zeitfenstern kultiviert. Am Feierabend, am Wochenende oder in den Ferien wäre es schön, würde die Welt wieder lebendig sein. Nur leider bleibt sie dann oft stumm, weil sie eben nur zu uns spricht, wenn sie will. Ihr Wollen, also ihre unberechenbare, nicht steuerbare und unkontrollierbare Bereitschaft, sich zu zeigen, ist unmittelbar an unsere Wahrnehmung, unser Handeln geknüpft. Das eine kann ohne das andere nicht sein. Wir Menschen bewegen uns gemeinsam mit allen anderen abgegrenzten Organismen in einer fortwährenden wechselseitigen, ja sogar zirkulären Bedingtheit in und mit dem Raum, der uns umgibt. Humberto Maturana und Ximena Dávila sprechen hier von einer »organism-niche-unity«, einer Organismus-Nische-Einheit:

»Wir sehen also: Wenn ein lebendes Wesen auftaucht, bildet sich eine ökologische Organismus-Nische-Einheit. Was also wann auch immer auf der Erde erscheint, ist kein einzelnes Lebewesen, nicht ein isolierter Organismus. Vielmehr entsteht zeitgleich mit dem Organismus die Umwelt, die ihn möglich macht. Sie erscheinen miteinander in einer dynamischen Organismus-Nischen Einheit. Die ökologische Nische ist nicht statisch. Sie wandelt sich.«7


Wechselseitige Begegnungen

Diese ständig stattfindende Wechselseitigkeit können wir mehr oder weniger bewusst wahrnehmen, reflektieren und im Umlauf halten.

In den »modernen« Denkkulturen und ihrer mittlerweile nahezu globalen Verbreitung sind jedoch der Fokus und die Erfahrung der Wechselseitigkeit einer zunehmend trennenden Einseitigkeit gewichen. Das heißt, wir sind daran gewöhnt, uns von einem belebten Innen heraus in einem objektiven Draußen zu bewegen. Wir sind daran gewöhnt, sowohl dem Innen als auch dem Außen als getrennte Einheiten Aufmerksamkeit zu schenken. Mit systemischen Perspektiven, welche selbst ja noch lange nicht in unsere soziale, politische, institutionelle oder ökonomische Wirklichkeiten Einzug gehalten haben, ist unsere Aufmerksamkeit zwar mehr auf die kommunikativen Dynamiken und Muster zwischen den einzelnen Einheiten gelenkt, aber für ko-kreative eigenlebendige Wechselseitigkeit, die Maturana u. Dávila als unsere biologische Verfasstheit annehmen, gibt es in der psychologischen, bildenden, pädagogischen Sprache und Praxis nach wie vor wenig Platz.

Wir sind nicht geübt darin, auf dieses Dazwischen zu schauen und ihm Ausdruck zu verleihen. Unmessbare, unkontrollierbare, unberechenbare, unsteuerbare Kräfte, die Beziehungen wechselseitiger Lebendigkeit ausmachen, werden in der breiten Öffentlichkeit wenig zur Sprache gebracht. Gut beobachtbar wurde das bei der Auseinandersetzung mit sowie der Information rund um Covid-19. Hier prägten Zahlen, Kurven, Tabellen die tägliche Berichterstattung. Das natürliche Zusammenspiel von Milieu und Viren kam darin marginal zu Wort.

Wer sich in Psychotherapie und Beratung dem Lebendigen zuwenden will, wird sich Erfahrungen, Denkweisen und vor allem Praktiken aus anderen gesellschaftlichen Bereichen zuwenden müssen. Als besonders anschlussfähig, vermutlich nicht zuletzt aufgrund ihrer Transzendenzorientierung, die auch unsere Denkkultur durchdringt, erweisen sich Anleihen aus östlichen Kulturräumen. Unterschiedliche Formen von Achtsamkeitspraxis, der allgemeine Yoga-Boom, das beachtliche Netzwerk der Theorie-U-Bewegung oder der Integralen Schulen erzählen davon. Ihnen allen liegt eine Verwurzelung in oder Verbindung mit buddhistischen oder hinduistischen Traditionen zugrunde.8

Zirkularität erfahren


Das Streunen, von dem ich hier gerade erzähle, ist jedenfalls kein Streunen im Geiste, sondern ein Streunen auf der Erde. Es ist kein Streunen im Licht, sondern ein Streunen an der frischen Luft. Es ist ein ganz und gar materielles, körperliches, konkretes Streunen. Nichts geringeres. Wenn Irina ausrutscht, könnte sie sich auch verletzen oder zumindest ihre Hose schmutzig machen. Und selbst wenn sie so sanft landet, garantiert nichts, dass ihr Streifzug zu irgendwelchen besonders nährenden, stärkenden, ermutigenden Begegnungen führt. Streunen verspricht keinerlei Ergebnisse, das macht es heutzutage schon sehr besonders. Wer kann es sich denn schon leisten, keine Ergebnisse zu erzielen?

Hartmut Rosa, der das Prinzip oder die Fähigkeit der Resonanz ins Zentrum seiner soziologischen Thesen stellt, erläutert ausführlich, dass Ergebnisoffenheit in unserer gegenwärtigen Weltbeziehung, die auf Verfügbarkeit und Reichweitenerweiterung ausgerichtet ist, keinen Platz haben kann. Zugleich betont er mehrfach, dass Ergebnisoffenheit zu jenen zentralen Kriterien gehört, welche eine resonante – also in meinen Worten eine wechselseitig eigenlebendige, eine schöne und gelingende – Weltenerfahrung ausmachen.9 Streunen ist also resonanzkompatibel.

Aber freilich, ich höre es schon, und es stimmt: Wir leben nicht vom Streunen allein. Nicht einmal unsere Katze. Nein, wir müssen auch jagen, sammeln, essen und schlafen. Wir müssen auch träumen, tanzen, singen, lieben und Geschichten austauschen. Wir müssen vielleicht sogar irgendwohin fahren, ganz bestimmt auch putzen und uns selbst und unsere Wäsche waschen. Wir müssen spielen, dann wieder Musik machen und Feste feiern. Wir müssen Rat halten, Entscheidungen treffen, vielleicht Freunden oder Angehörigen beistehen, sie vielleicht sogar begraben und verabschieden. Wir müssen Werkzeuge bauen oder töpfern oder nähen. Manchmal müssen wir auch krank sein oder im Haus etwas erneuern oder am Dorfplatz. Ach ja, wir müssen unbedingt zum Wasser: es trinken und der Welt, den Bäumen, den Tieren, den Blitzen und Winden begegnen, ihnen lauschen und sie schauen, wir müssen ihre Zeichen lesen oder eben auch Bücher, oder das Kunstvolle tun, das uns gegeben ist. All das und viel mehr, was wir wirklich zu tun haben, ist nicht streunen. Aber, und das ist unsere These: Wer immer wieder mal streunt, der lernt viel für all das andere.


Chancen auf Rückkoppelung

Die Magie des Streunens, das haben wir schon gesehen, kann uns von vorgespurten Wegen abbringen. Als eine Art potenzielle Pertubation oder Verstörung lässt sie uns Erfahrungen von Spontaneität im wechselseitigen Zusammenspiel mit unserer ökologischen Nische machen. Unerwartet folgen wir darin Bewegungs- oder Handlungsimpulsen in und mit einem Raum, der auf uns ebenso unerwartet und spontan einwirkt wie wir auf ihn. Um es etwas pathetischer zu formulieren: Wir oder Elemente oder Perspektiven von uns erscheinen dem Raum so wie Elemente oder Perspektiven des Raumes vor uns erscheinen. Sie erscheinen uns als Du, so wie wir als Du erscheinen. Es kann sein, dass diese Dus einander etwas zurufen und gar einander antworten. Es kann sein, dass diese spontan entstehende Bezogenheit diese Dus verwandelt und zum nächsten führt. Es kann aber auch einfach still sein. Es kann sein, dass wir einem plötzlichen Antrieb folgen, schnell zu laufen, Steine zu sammeln oder in den See zu springen. Es kann aber auch sein, dass wir uns niederlassen, alle Viere von uns strecken, oder langsam, ganz langsam von einem Baum zum nächsten gehen und unsere Hände an ihren Stämmen entlanggleiten lassen, und wir spüren die Struktur der Rinde und spüren die Rinde unsere Handflächen spüren. Streunen erlaubt einen Wechsel von Geschwindigkeit, von Bewegung und Ruhe im Raum. Der Aufmerksamkeitsmodus, der mit dem Streunen einhergeht, führt nie und nimmer zu einer in nur eine Richtung weisenden Linie, dazu ist er zu biologisch, zu wirklich, zu lebendig, anders gesprochen: Er ist schlicht und ergreifend zirkulär.

»In der Biologie gibt es keine monotonen Werte«, schreibt Bateson und führt weiter aus:

»Ein monotoner Wert ist ein solcher, der entweder nur zu- oder nur abnimmt … Begehrte Substanzen, Dinge, Muster oder Erfahrungssequenzen, die in gewissem Sinne gut für den Organismus sind – Nahrungsmittel, Lebensbedingungen, Temperatur, Unterhaltung, Sex und so fort –, sind niemals so beschaffen, dass mehr von der Sache stets besser ist als weniger davon. Vielmehr gibt es für alle Objekte und Erfahrungen eine Quantität, die einen optimalen Wert hat. Jenseits dieser Quantität wird die Variable toxisch. Unter diesen Wert zu fallen bedeutet Entbehrung« (Bateson 1987, S. 72).

Inspiriert von Batesons Perspektive wage ich zu behaupten, dass Streunen in einer kulturellen Umwelt, die mit linearem Denken und einem ebensolchen Handeln seit ein paar Jahrtausenden in toxischer Liaison zusammenlebt, nicht nur antitoxisch ist, sondern auch eine enorme Bildungschance für zirkuläres Denken, Empfinden und Handeln. Es enthält die Chance zur Rückkoppelung unserer biologischen und kulturellen Verfasstheiten. Wir können nicht wissen, was dabei herauskommt. Aber ich vermute, dass ein Mehr an zirkulären Erfahrungen mit unserer Nische zumindest Unterschiede im mehrheitlich linearen Selbst- und Weltempfinden generieren würde. Das Wagnis ist es allemal wert.

Jetzt aber wieder zurück zur Katze, unserer Mentorin. Das Streunen der Katze ist ja eben auch nicht monoton, sondern rhythmisch, zyklisch, zirkulär. Vom Haus aus betrachtet, kommt und geht sie, im Territorium selbst wird sie vermutlich als begnadete Streunerin immer wieder neue Wege und Bereiche erkunden. Auf diese Weise lernt die Katze den Raum kennen und der Raum die Katze. Selbst wenn unsere Katze keine große Abenteurerin ist und – angenommen – oft auf denselben Strecken streunt, wird sie doch jedes Mal einem anderen Raum begegnen, weil das Wetter, die Ameisen, die Büsche, die Gräser, die Autos, die Menschen, die anderen Katzen, die Vögel nie und nimmer zwei Mal in der genau selben Konstellation erscheinen. Hier ist alles einmalig gegenwärtig, unwiederholbar, ganz und gar nicht verallgemeinerbar. Man könnte sagen eine einmalige besondere Erfahrung, die eine spezielle Beziehungsqualität zwischen der Katze und ihrer Nische bildet. Streunen ist so gesehen für naturwissenschaftliche Erkenntnisse ziemlich ungeeignet, weil sich aus diesem speziellen Beziehungsgeflecht nichts isoliert untersuchen und schon gar nicht beliebig wiederholen und überprüfen lässt. Es ist daher auch höchst unwahrscheinlich, dass sich in nächster Zukunft Streunen als wirksame Methode per Krankenkasse abrechnen lassen wird, worüber ich – ehrlich gesagt – auch sehr froh bin.


Eigenlebendig, miteinander und spontan

Bleiben aber dennoch die vielen Erfahrungsgeschichten von Streunenden, die wir im Laufe der Jahre immer wieder hören können. So unterschiedlich sie auch sein mögen, es wiederholen sich folgende Wahrnehmungsstränge: Hier ist zum einen die sinnlich, leibliche Erfahrung von Eigenlebendigkeit. Wir atmen und werden geatmet, wir tun und werden getan, wir richten uns aus und werden ausgerichtet. Diese eigentümliche Doppelwahrnehmung von aktiv und passiv, von geben und nehmen, erleben viele Menschen als Erfahrung von Eingebundensein. Sie ist – so meine Annahme – die reflektierte Erfahrung unserer biologischen Verfasstheit, um in Maturanas Bildern zu sprechen: Wir erfahren uns in unserer Existenz als molekulare autopoietische Lebewesen. Fortwährend fließen uns Moleküle zu und andere ab, und unsere gegebene Struktur sorgt dafür, dass wir uns in all dieser Bewegung als Lebewesen am Leben erhalten. Nicht weil eine äußere Kraft, ein Geist, ein Gott uns lenkt, sondern weil das, was wir als Leben erkennen, so funktioniert, so in der Welt ist, in ihr so handelt. Streunend erleben wir uns eigenlebendig, erfahren unsere zirkuläre Verfasstheit als existenziellen Halt, und viele beschreiben diese Erfahrung als entlastend, berührend, nährend und bewegend.


Als eigenlebendige Lebewesen erschaffen wir Menschen uns gemeinsam mit unserer Mitwelt, unserer Nische, in einer zyklischen, selbst erneuernden und reflektierenden Art und Weise. Wir sind nicht, wie bislang noch unsere Maschinen, auf Wartung von außen angewiesen. Die strukturimmanente Kooperation und die Koexistenz mit der Umgebung erhalten uns so frisch und so lange am Leben, wie es eben geht. Wenn in dieser kooperativen Koexistenz etwas maßgeblich gestört wird, dann stellen sich Unfälle oder Krankheiten ein. Wenn es nicht gelingt, ein gutes Zusammenleben wiederherzustellen, löst sich diese Organismus-Nischen-Einheit früher oder später auf. Dasselbe gilt, wenn im Laufe unseres natürlichen Alterns unser Austausch mit dem Raum bis hin zum letzten Atemzug zurückgeht und wir sterben und mit uns unsere Nischen. Gut, derweilen leben wir noch, das freut mich sehr!

Diese eigenlebendige Grundausstattung ist in sich schon eine fantastische Angelegenheit. Dazu gesellen sich andere Großartigkeiten, ohne die das Leben und das Streunen gar nicht funktionieren würden: zum Beispiel die Spontaneität. Spontan, plötzlich, ungeplant, zufällig – das sind Wörter, die in den Berichten der Streunenden praktisch immer vorkommen. Viele berichten so, also wären sie in diversen Situationen von sich selbst überrascht worden, aber eben auch von der Umgebung, die ihnen ebenso spontan, plötzlich, ungeplant und zufällig entgegenkommt. Spontan heißt weder klug noch instinktiv, es garantiert auch keine angenehme Erfahrung. Dennoch trägt das Ausbleiben von spontaner Welt- und Selbsterfahrung ganz bestimmt zu einer traurigen, stereotypen, geschmacklosen oder aggressiven Stimmung bei. Vermutlich ahnen die Menschen, dass das Lebendige bis zu einem Grad unvorhersehbar ist, jederzeit spontan sein kann, ja spontan sein muss oder will. So, wie wir den Verlust des Spontanen betrauern oder uns gar darum betrogen fühlen können, so sehr inspiriert, ja animiert es Menschen, wenn sie der Spontaneität (wieder) begegnen: bei sich, in ihrer Nische und vor allem immer im fließenden Austausch von beidem.

Zur Erinnerung: Wir sprechen hier von einer Erfahrung spontaner Eigenlebendigkeit in Wildräumen, die ihrerseits auch voller Lebewesen mit spontaner Eigenlebendigkeit sind. Im Kapitel »Zwischen den Dingen« (S. 200 ff.) werde ich mich auch besonders der Welt der menschengemachten Dinge und ihren Möglichkeiten resonanter Kooperation zuwenden. Hier schenken wir zuerst dem Streunen in »natürlichen Räumen« Aufmerksamkeit. Zum einen, weil die Eigenlebendigkeit dieser Räume uns darin unterstützt, dieses Phänomen des Lebendigen zu erkennen. Aber noch aus einem weiteren triftigen Grund: Solange wir Luft atmen müssen, solange wir Wasser trinken müssen, solange unsere Nahrung aus tierischen oder irdisch-pflanzlichen Kreisläufen entsteht, solange wir als menschliche Gemeinschaften hier auf Erden leben und sterben, so lange müssen wir diese irdische, vor Eigenleben strotzende Mitwelt als die uns nächste und wesentlichste Nische ansehen. Daher scheint es zuallererst wichtig, das Streunen in Naturräumen wiederzuentdecken, als grundlegende Basis für alles Weitere.

Mit ihr erfahren wir die Spontaneität des Zusammenwirkens, die auf ungeheuer beständige Art an der Bewahrung dessen mitwirkt, was wir organisches Leben nennen. Hans-Peter Hufenus, mein Partner und beherzter Forscher von urgeschichtlichen Vorgängen, beschreibt den Beginn dieses seit ca. 3,8 Milliarden Jahren währenden Zusammenwirkens folgendermaßen:

»Die ersten Lebewesen auf unserem Planeten waren die Blaualgen, die noch nicht eigentliche Pflanzen waren, sondern Bakterien mit der Fähigkeit, mittels Photosynthese Sauerstoff aus dem Wasser freizusetzen. Damit wurde der Weg frei für eine der großen Kooperationen des Lebens auf der Erde, nämlich die zwischen jenen, die Sauerstoff einatmen, und jenen, die ihn abgeben« (Hufenus 2021, S. 21).

Diese und viele andere Formen von Kooperation haben bislang dafür gesorgt, dass dieser Lebensfaden in aller Spontaneität, aber auch der notwendigen wechselseitigen Fürsorge erhalten und weitergesponnen wurde. Hier sind wir, die wir heute leben, schon in ein dicht gewachsenes Lebensgewebe hineinverwickelt.

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