Kitabı oku: «In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber»
IN DER WALDKLAUSE
– Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahren und darüber –
Mit Zeichnungen von Hauke Kock
Für O und Susy. In Erinnerung an Papa.
1. Auflage
Veröffentlicht durch den
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Frankfurt am Main 2019
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Text Augustin Wibbelt 1929
Textbearbeitung und Lektorat: Jan Enseling, Anja Koda
Satz: Karl-Heinz Zapf
Covergestaltung: J. Begovic, Matthias Lück
VP: 271-162-01-03/03-1219
eISBN: 978-3-96188-113-0
Augustin Wibbelt
In der
Waldklause
MÄRCHEN FÜR KLEINE UND GROSSE KINDER BIS ZU 80 JAHREN UND DARÜBER
Inhalt
Vorwort des Verlegers
Einladung
Winter
Drei Gedichte
Willkommen!
Das Märchen
Mein Patenkindchen
Fastnacht
Die Entdeckung
Verdruss
Frühling
Drei Gedichte
Veilchenjagd
Wallfahrt
Das Geheimnis des Osterhasen
Aprilscherze
Der Wettlauf
Wahltag
Maifest
Maiandacht
Das arme Bienchen
Frau Nachtigall
Königin Aschenputtel
Prinz Asche und Prinzessin Puttel
Sommer
Drei Gedichte
Mondnacht
Klagen
Die Kobolde
Die missglückte Bußpredigt
Waldgericht
Fee Minimax
Waldfrieden
Erntearbeit
Die Waldhochschule
Wissenschaft im Walde
Der Rundreisefahrschein
Herbst
Drei Gedichte
Der Färbermeister
Turnfest
Sprit
Herr Storch
Rübezahl
Die Wilde Jagd
Zwergenhochzeit
Vater Sturm
Winter
Prosit Neujahr!
Prinzessin Raureif
Bettelvolk
Der Zaunkönig
Frau Schlackerwetter
Zwei Einsiedler
Es geht los!
Das Tunier
Des Winters Rache
Frühling
Vornehmer Besuch
Der erste April
Froschkonzert
Prinz Sonnenstrahl
Der Herr Professor
Krieg im Walde
Wettsingen
Frau Echo
Sommer
Das Gewitter
Die neue Familie
Frau Dürre
Max und Moritz
Ein Nachtschwärmer
Ein langweiliger Patron
Kirmes
Der Zweikampf
Friede
Die Dreiländerecke
Die umgekehrte Welt
Herbst
Sonderbare Briefe
Frau Spinne
Die Strafe
Eine stille Gesellschaft
Vogelvisite
Bunte Sippschaft
Die Fernbrille
Ein seltsamer Besenbinder
Putzis Ende
Meine Krippe
Winter
Grüß Gott
Silvesternacht
Die Zwölf
Die Sternschnuppe
Das wandernde Laternchen
Ahasverus
Jungfer Reh
Der Mondelf
Frühling
Die Baukommission
Weidenkätzchen
Die kleine Majestät
Allerlei Medizin
Ein neuer Ankömmling
Eine Ratsversammlung
Kunterbunt
Maria im Walde
Der Herr Geheimrat
Frau Tulpe
Ein Glockentraum
Sommer
Professor Heuschreck
Die Wäscherinnen
Der Sensenmann
Im Feengärtlein
Herr Sommerwind
Der kleine Däumling
Frau Gewitterwolke
Der Regenbogen
Die Abordnung
Verteilung der Rollen
Das Theater
Herbst
Marienfäden
Die Hexen
Die alte Stritzebill
Die verstopfte Wasserleitung
Die Hexen-Austreibung
Der Wundervogel
Das goldene Ei
Eine Überraschung
Die Nikolaus Bescherung
Das Krachmännchen
Weihnachtsfreude
Augustin Wibbelt
Vorwort des Verlegers
»O«
Meine Großmutter Hilde nennen wir in der Familie nur »O«. »O« ist die Abkürzung für »Oma«, denn als ich auf die Welt kam, war meine Oma gerade Mitte vierzig und fühlte sich viel zu jung, um »Oma« genannt zu werden. Dieses Jahr hat sie ihren 93-sten Geburtstag gefeiert. O hat mich immer unterstützt, jederzeit hatte sie ein offenes Ohr und Verständnis für einen Jungen, der nicht so recht den Vorstellungen seiner Eltern entsprach. Bis heute stehe ich meiner Oma sehr nahe und dieses Buch ist Teil ihrer und auch meiner Familiengeschichte.
Die Geschichte um dieses Buch begann in den 1930er Jahren. Meine Oma war damals sieben Jahre alt. Zu Weihnachten bekam sie ein Buch mit dem Titel »In der Waldklause« geschenkt. Ihr Vater las Ihr regelmäßig aus dem Buch vor, an dem sie schon bald sehr viel Freude hatte. Damals waren die Folgen des Ersten Weltkriegs noch nicht überstanden, doch schon ging im Land ein neues Gespenst um, das die gesamte Welt in einen noch schrecklicheren Krieg stürzen sollte. Meine Familie überlebte, und auch einige Habseligkeiten und Erbstücke – darunter drei der vier Waldklausner-Bände – konnten gerettet werden.
Als die Schrecken des Krieges überstanden waren und endlich friedliche Zeiten anbrachen, heiratete meine Oma und brachte ihren Sohn Peter, meinen Vater, zur Welt. Ein paar Jahre später wurde meine Tante Susanne geboren, die beste Tante der Welt übrigens. Zu Weihnachten wurde wieder aus dem Waldklausner vorgelesen, und auch als ich auf die Welt kam, wurde dieser schöne Brauch fortgesetzt. So entstehen Familientraditionen.
Vor vielen Jahren erfuhr ich, dass meiner Oma immer einer der Bände aus der Waldklausner-Reihe gefehlt hat, also machte ich mich auf die Suche. Doch die stellte sich als äußerst schwierig heraus, denn die Reihe war seit Jahrzehnten nicht mehr erhältlich. In den letzten Jahren habe ich immer wieder nach dem fehlenden Band gesucht, immer mit dem Wunsch, O diesen vierten Teil der Waldklausner-Geschichten schenken zu können. Als ich schon fast aufgeben wollte, wurde ich letztes Jahr in einem Antiquariat fündig. Inzwischen hatte ich selbst einen Verlag gegründet. So kam ich auf die Idee, nicht nur den fehlenden Band zu verschenken, sondern sämtliche Geschichten vom Waldklausner zusammenzutragen und einen Sammelband herauszubringen. Und nun halten Sie genau diesen in Händen.
Die Geschichten selbst stammen aus einem anderen Jahrhundert. Der Verfasser war Pastor und somit sind seine Geschichten aus der Perspektive eines frommen, gottesfürchtigen Mannes verfasst. Handlungen und Moralvorstellungen passen daher oft nicht mehr in unsere moderne Welt. Die Geschichten mögen auf den einen oder anderen etwas seltsam wirken, vielleicht erscheinen sie nicht mehr zeitgemäß oder zumindest etwas aus der Zeit gefallen, ich jedoch verbinde damit wunderschöne Erinnerungen an Weihnachten und die Kindheit. Der Weg bis zur Veröffentlichung war eine Reise in die Vergangenheit, zu Erinnerungen an meinen verstorbenen Vater und vieles mehr. Es ist mein persönlichstes Buch.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern besinnliche Lesestunden und schöne Erinnerungen. Dir liebe O und dir liebe Susy: Danke für alles.
Euer Nicolai
Einladung
Ich bin es leid. Es wird immer wunderlicher in der Welt. Das ist ein Hasten und Rennen, ein Lärmen und Toben, dass einem alten Manne der Kopf schwindelig wird und die Ohren brummen. Ich gehe fort, ich ziehe in meine Waldklause. Habe mich lange genug geplagt und geplackt; jetzt will ich wenigstens einen ruhigen Lebensabend haben.
Der Schneider soll mir einen langen, braunen Rock machen, warm und wetterfest, wie es sich für einen Waldbruder gehört. Beim Schuster bestelle ich dicke Sandalen, die lange vorhalten; im Sommer kann ich auch barfuß gehen, wie die lieben Tierlein. Dann lasse ich mir, so schnell es geht, einen langen, langen Bart wachsen, der mir Hals und Brust warm hält. Nächstes Jahr reicht er mir schon bis an den ledernen Gürtel. Einen Rucksack habe ich schon und einen dicken Knotenstock auch. Ein paar Töpfe sind leicht beschafft, und was sonst noch nötig ist, findet sich mit der Zeit zusammen. Es steht fest, ich ziehe in meine Waldklause.
Wollt ihr wissen, wo sie liegt? Sie liegt hinter den sieben Bergen, über die Schneewittchen geklettert ist. Die sieben Zwerge sind meine Nachbarn und helfen mir mein Gärtchen zu bauen. Sie liegt mitten in dem Wald, in dem Hänsel und Gretel sich verirrt haben; aber die Knusperhexe ist, Gott sei Dank, tot. Sie ist in ihrem Backofen verbrannt, und der Wind hat die Asche verweht. Die Klause ist fest und stark gebaut, aus dicken Baumstämmen, und alle Ritzen sind mit Moos ausgestopft. Daneben fließt das klare Jungbrünnlein vom Felsen. Jedes Mal, wenn man daraus trinkt, wird man einen Tag jünger. Auch eine Laube ist da von Jelängerjelieber; sie blüht beinahe das ganze Jahr, und da sitze ich an heißen Sommertagen. Für den Winter liegt ein hoher Stapel Holz hinter der Klause, das heizt mir die Kälte weg. Es ist nicht gestohlen, der Förster Specht hat es mir geschenkt. Vorräte habe ich genug. Meister Hamster und Frau Eichhörnchen sind meine Lieferanten, und sie geben es billig. Musikanten habe ich einen ganzen Chor; sie spielen die allerneuesten Stücke umsonst, und wenn ich will, kann ich auch dazu tanzen. Aber das wäre eher etwas für euch, mir geht der Atem aus, wenn ich springe. Mir steht es besser an, aus meinem großen Buche zu beten. Dann läute ich vorher mit meinem Glöcklein, dass die Leute weit draußen auf dem Felde die Mütze abnehmen und sich von fern erbauen an dem frommen Waldbruder.
Und schön ist es hier, wunderbar schön! Ihr glaubt es gar nicht. Die alten Bäume haben Stämme wie Kirchsäulen, und ihre Wipfel wiegen sich im blauen Himmel und brausen wie eine mächtige Orgel. Die Sonnenstrahlen hüpfen durch die Zweige nieder bis zu den stillen Waldblumen und streicheln ihnen über das fromme Gesicht. Das Moos brennt wie grünes Feuer. Und es ist so still, dass man die Käferchen krabbeln hört im Laub. Wenn man ganz angestrengt lauscht, hört man die dicke Hummel husten. Sie ist gestern in den Bach gefallen und wäre ertrunken, wenn ich ihr nicht herausgeholfen hätte. Jetzt hat sie einen leichten Schnupfen. Sie will mir auch zum Danke ein Eichelnäpfchen voll Honig schenken. Ihr dürft einmal daran lecken, wenn ihr mich besucht. Zuweilen weht auch ein leises, tiefes Atmen herüber, dann geht der liebe Gott durch den Wald.
Ja, es ist wunderschön, aber etwas fehlt mir noch. Es ist zu einsam. Ich muss ein bisschen Leben um mich haben. Am liebsten habe ich Kinder. Lustige, kleine Trabanten, mit denen ich ein wenig plaudern kann. Wollt ihr mich nicht zuweilen auf ein Stündchen besuchen kommen in meiner Waldklause? Wenn ihr bange seid vor meinem langen Barte, dann schneide ich ihn wieder ab. Aber er tut euch nichts. Es ist kurzweilig hier, und ich weiß viele Geschichten, schöne Märchen, die man kaum glauben kann, und Gedichte, die sich ganz geschickt reimen, und Rätsel, die man aufknacken muss wie Nüsse, und lustige Spiele. Auch ein paar gute Lehren gebe ich euch dazu, aber nicht zu viel. Was meint ihr nun, wollt ihr zu dem alten Waldbruder kommen, dann und wann auf ein Stündchen?
Ihr denkt wohl, der Weg sei zu weit und schwer zu finden. Keine Sorge, die Sache ist ganz einfach. Ich habe mir ein Luftschiff gekauft, das soll euch abholen und zurückbringen – wuppdich, seid ihr hier, und wuppdich, seid ihr wieder zu Hause. Es ist ein feines Luftschiff, rosenrot angestrichen; darum habe ich es »Morgenrot« getauft. Herauspurzeln wird keins, denn die Bänke sind stark mit Pech bestrichen. Es ist aber Glückspech und lässt zur rechten Zeit los, macht euch keine Flecken. Frau Holle hat mir dies Pech geschenkt, das ist eine gute alte Tante von mir. Hunger braucht ihr bei mir nicht zu leiden. Ich habe mir ein Tischleindeckdich bestellt. Der Schreiner sagt, morgen wäre es fertig; es ist aber teuer gewesen.
Dass mir nur die Knaben keinen Unfug machen und mein Füchslein in den Schwanz kneifen oder gar meinem Häslein das Fell über die Ohren ziehen! Sonst kommt der Knüppel-aus-dem-Sack, der lauert immer hinter meiner Klausentür. Die Mädchen werden schon artig sein, dürfen aber nicht allzu viel plappern. Sonst wird meine Nachbarin, Frau Einsamkeit, verdrießlich. Singen und springen dürft ihr, so viel ihr wollt. Dabei werdet ihr gute Gesellschaft haben. Frau Nachtigall hat viele neue Lieder eingeübt und die Eichhörnchen allerlei Reigentänze. Sogar das Schnecklein hat verlauten lassen, es wolle mittanzen. Ich fürchte aber, dass es etwas langsam geht, denn es will sein Häuslein nicht zu Hause lassen.
Also, liebe Kinder, kommt zum Waldbruder!
In der
Waldklause
Erlebnisse des Waldbruders im ersten Jahre
Winter
Drei Gedichte
Willkommen!
Das Märchen
Mein Patenkindchen
Fastnacht
Die Entdeckung
Verdruss
Winter
In den langen Stiefeln schwer
Stapft der König Winter her,
Weiß der Pelz und rot die Nase.
Blanke Brücken baut er flink,
Und auf seinen Hauch und Wink
Blumen blüh’n am Fensterglase,
Deckt die Welt zur guten Ruh
Weich mit weißen Decken zu.
Doch in meinem Kohl der Hase
Hoppelt sachte hin und her,
Weiß, ich habe kein Gewehr –
Lass ihn! Hunger macht Beschwer.
Herr Winter ist ein guter Mann,
Der gar gewaltig schneien kann,
Da muss man schön zu Hause bleiben
Und sich daheim die Zeit vertreiben.
Im Winter gibt es Eis und Schnee,
das tut mir aber gar nicht weh.
Ich mach‘ ein Feuerlein und hause
Vergnügt in meiner warmen Klause.
Willkommen!
Seid ihr alle da, Buben und Mädchen, groß und klein? Das freut mich, und nun sollt ihr mir herzlich willkommen sein in meiner Klause.
Ihr schaut euch um und denkt, wo ist denn der grüne Wald? Es ist ja alles kahl, und der Wind pfeift scharf durch die Baumstämme. Ja, liebe Kinder, es ist Wintertag, auch in meinem Walde. Aber das macht nichts; es ist hier auch im Winter lustig. Nur herein in meine Klause, da drinnen brennt ein warmes Feuer. Nur herein, so viele ihr seid, ihr habt Platz genug! Mein Haus wird nie voll, so kunstvoll hat der Baumeister es gebaut. Es findet sich immer noch ein behagliches Eckchen, wo man unterschlüpfen kann.
So, nun will ich noch einen Armvoll Tannenzapfen aufs Feuer werfen. Das prasselt so lustig, und die Funken sprühen dann wie goldene Garben in die Höhe. Ihr müsst nicht erschrecken, wenn es zuweilen dahinten in der Ecke unheimlich knappt. Das tut Frau Eule mit ihrem dicken Schnabel. Der hohle Baum, in dem sie wohnte, ist neulich bei dem großen Sturm umgefallen. Sie war sehr betrübt, da sie obdachlos war, und hatte vergebens bei Frau Eichhörnchen angeklopft. Die hat ihr mit dem buschigen Schweif um die Ohren gefegt und gesagt, sie solle sich zum Kuckuck scheren. Herr Kuckuck ist aber verreist und kommt erst nächsten Sommer wieder. Da habe ich der Muhme Eule Quartier gegeben in meiner Klause, und zum Dank fängt sie mir die überflüssigen Mäuse weg, die mir mein bisschen Speck auffressen wollen. Nur meinen drei weißen Mäuslein darf sie nichts tun. Die wohnen dort in dem alten verschlissenen Holzschuh und sollen euch gleich eine kleine, feine Komödie vorspielen. Sie spielen am besten das Stück von der geduldigen Genoveva und können dabei so rührend piepen, dass sogar Frau Eule anfängt zu schluchzen. Gestern hat sie geweint, dass die Tränen nur so ins Feuer zischten. Sie hätte es beinahe ausgelöscht.
Hört ihr, da kratzt es an der Tür, und da flattert es vorm Fenster. Das sind meine Bettelleute. Meister Lampe mit den langen Ohren guckt schon durch die Ritzen. Seine Beine sind noch einmal so lang geworden und sein Bäuchlein noch einmal so dünn; er hat in den letzten vierzehn Tagen ganze drei Pfund abgenommen. Ich gebe ihm eine schöne gelbe Rübe zum Abknabbern. Und die kleinen Meisen sind auch da; sie kriegen eine Speckschwarte. Am besten hat es noch mein Rotkehlchen. Seht, da oben sitzt es auf dem Zapfen und äugt neugierig zu uns herunter. Es hat mir versprochen, dass es den Winter über bei mir bleiben will, um mir die Zeit zu vertreiben. Dafür bekommt es alle Tage satt Brotkrümchen. Wenn der böse Wind gar zu arg schnaubt, dann kriecht es in meine Kapuze. Es hat mir neulich ins Ohr gesagt, dass es nächstes Frühjahr sein Nestchen darin bauen wolle; aber ich will es mir doch noch überlegen.
Nun müsst ihr nicht spotten und sagen: Der alte Waldbruder hat bloß geträumt. Die Träume, liebe Kinder, sind oft das Beste im Leben; aber das versteht ihr noch nicht. So, nun erzählen wir uns Geschichten und singen ein Lied, und dann bekommt ihr zum Abschied eine Handvoll Nüsse, damit ihr nächstens gerne wiederkommt.
Das Märchen
Mit Ungeduld habe ich euch erwartet, denn ich habe euch viel zu erzählen. Setzt euch schnell ans Feuer! Die Mädchen kommen auf die Bänkchen, die haben die sieben Zwerge mir eigens für sie gezimmert. Und die Knaben können sich dort in das dürre Laub legen und die Beine von sich strecken nach Herzenslust. Knaben können ja nicht gut stillsitzen und stellen die Beine am liebsten in die Höhe. Nur zu! Ihr müsst euch aber nicht stoßen wie junge Ziegenböckchen. Der Knüppel-aus-dem-Sack lauert immer noch hinter der Tür.
Nun denkt euch, ich habe dieser Tage Besuch gehabt. Ihr sollt nicht raten, von wem. Von dem Märchen! Das ist ein uraltes Großmütterchen mit einem braunen, faltigen Gesicht unter der großen Haube; aber die Augen sind jung wie die Frühlingssonne. Es geht gebückt in dem dicken, weiten Mantel; aber die Füße sind flink wie Kinderfüße. Und eine Stimme hat es, so klar wie ein Silberglöcklein. Ich war gerade dabei, einen Weidenkorb zu flechten; man muss sich seinen Hausrat selbst anfertigen, so viel man kann. Wenn man Tannenzapfen sammelt, muss man einen ordentlichen Korb haben. Tannzapfen sind so gut zum Feueranmachen.
Da kam das uralte Mütterchen herangetrippelt und bot mir freundlich einen guten Tag.
Ich sagte: »Guten Tag, Großmutter Märchen! Wo kommt Ihr denn her, und wo wollt Ihr denn hin?« Mit dem Märchen muss man nämlich altmodisch sprechen, denn es ist von der alten Welt.
»Waldbruder«, sagte das Großmütterchen, »darf ich mich ein wenig bei Euch ausruhen?«
Und wie es den dunklen Mantel etwas lüftete, sah ich, dass es ein blitzgoldenes Kleid darunter anhatte. Nun saßen wir denn bald gemütlich an meinem Herd, und das Feuer fing auf einmal von selbst an zu brennen und zu prasseln, und es wurde ganz hell und behaglich in der alte Klause. Die Eule kam gleich aus ihrem Winkel herangeflogen und setzte sich dem Märchen auf die Schulter und sagte: »Uhuuu!«
Ich fragte, ob ich einen braven Kaffee brauen sollte, denn so alte Großmütterchen lieben gewöhnlich einen kräftigen Kaffee.
»Nicht nötig«, schmunzelte das Märchen und zog ein Fläschchen hervor, »habt Ihr ein Gläschen zur Hand?«
Da wurde ich erst ein bisschen verlegen und bemerkte schüchtern, ich tränke keinen Branntwein. Da hättet ihr hören sollen, wie das Mütterchen lachte! Es klang, als wenn eine ganze Handvoll Goldperlen eine silberne Treppe herunterrollte. Die Eule plusterte sich dick auf vor lauter Vergnügen und knappte mit ihrem Schnabel.
»Wie könnt Ihr von Branntwein sprechen, Waldbruder!«, rief das Märchen und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Dies ist Maientau, vermischt mit Kleeblütenhonig und Nektar aus Geißblattblumen, auch eine kleine Prise vom Samen des Hexenkrautes ist darin.«
»Das habe ich noch nie gekostet«, sagte ich, »ein Glas habe ich nicht, aber ich habe eine halbe Eierschale, die ich unter dem Turteltaubennest gefunden habe.«
»Gebt her«, sagte das Mütterchen, und als es nun vorsichtig ein paar funkelnde Tropfen in das weiße Schälchen goss, da duftete die ganze Klause. Die Eule wollte gleich mittrinken, sie kriegte aber eins auf den Schnabel.
Wie das Tröpfchen schmeckte, kann ich euch gar nicht sagen, liebe Kinder! Es rann mir durchs Blut wie Rosenfeuer, und ich fühlte mich mit einem Schlage kinderjung. Ich hätte wahrhaftig bald einen Purzelbaum geschlagen, aber ich genierte mich vor der alten Eule, die etwas verstimmt in ihren Winkel geflogen war und ganz große, runde Augen machte.
Nun haben wir ein schönes Plauderstündchen gehalten, und die Zeit verflog im Nu. Das Märchen erkundigte sich zunächst nach den sieben Zwergen, ob sie mir auch fleißig hälfen. Ich konnte sie nur loben, und daraufhin versprach das Mütterchen, sie sollten jeder ein funkelnagelneues, rotes Röckchen haben. Das wird sie freuen, denn die Kerlchen sind eitel. Unterdessen hatte das Märchen einen Rocken von gelbem Flachs hervorgeholt und ließ die Spindel tanzen.
Ich dachte mir gleich, dass es dieselbe Spindel sei, an der Dornröschen sich gestochen hatte, und fragte, wie es der jungen Königin gehe.
»Sie lebt ganz vergnügt«, sagte das Märchen, »und hat schon drei Prinzlein, die alle Hagebutte heißen. Der älteste Hagebutt hat eine Tochter von Schneewittchen gefreit, und es ist eine große Hochzeit gewesen. Rübezahl hat sich dabei den Magen verdorben, weil er bloß die mageren Rüben gewöhnt war. Aber jetzt ist er wieder gesund, nachdem er einen Schiebkarren voller Rettiche gegessen hat.«
Dann erzählte sie mir, Rotkäppchens Großmutter sei immer noch am Leben und säße den ganzen Tag an der Wiege und sänge »Schlaf, Kindlein, schlaf!«. Denn Rotkäppchen habe den Jäger geheiratet, und die Geiß mit den sieben Geißlein hätte bei ihnen eine fette Weide gefunden.
»Was macht denn der kleine Däumling?«, fragte ich.
»Oh, der!«, rief das Märchen, »der ist groß und stark geworden. Er ist Hufschmied geworden und beschlägt den vier Haymonskindern das starke Ross Bayard, wenn sie von ihren Fahrten nach Hause kommen. Und der freche Junge, der auszog, um das Fürchten zu lernen, ist jetzt ein alter Mümmelgreis und hat nur noch einen Zahn.«
Ich hatte immer schon ein Scharren und Kratzen gehört vor meiner Klause, und als ich die Tür öffnete, war das ganze Waldgetier draußen versammelt, das vierbeinige und das geflügelte. Sogar ein Schlänglein war darunter, aber eine harmlose Ringelnatter. Sie wollten alle das Märchen begrüßen.
»Kommt nur alle herein«, rief das Mütterchen, »aber seid hübsch artig.«
Im Augenblick war die ganze Waldklause voll bis auf das letzte Eckchen. Und nun fing das Mütterchen an zu erzählen, die allerschönsten Märchen und Geschichten, bis der graue Morgen verwundert durch das Fensterlein blickte. Jetzt weiß ich so viele schöne, neue Sachen, dass ich gar nicht mehr fertig werde, wenn ich einmal anfange. Ihr sollt noch euer blaues Wunder erleben.