Kitabı oku: «Der Kronzeuge», sayfa 2

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»Moment«, meinte Sam und sah zu Louis. »Sie schnappen sich sofort drei Leute und fahren zu der Adresse. Ich will, dass sie dort alles großräumig absperren. Sehen Sie nach, ob der Mann noch lebt. Wenn nicht, dann fassen Sie nichts weiter an. Weder Sie noch sonst jemand. Haben Sie mich verstanden?«

Louis sah ihn mit großen Kuhaugen an. »Ja, Sir.«

»Ich schicke Ihnen Detective Collins. Sie wird sich das Ganze ansehen. Und nur sie. Sie lassen keinen anderen Polizisten an die Leiche oder über die Absperrungen.«

Wieder nickte der junge Polizist.

»Gut. Dann los.«

Die Stuhlbeine kratzten über den Boden, als Louis Larkin sich erhob, um den Raum zu verlassen.

»Und Sie.« Sam wandte sich an den jungen Mann vor ihm. »Sie warten hier. Ich bin gleich zurück. Ich muss telefonieren.« Er machte einen Schritt und drehte sich dann noch einmal um. Griff nach dem Handy. »Das bekommen Sie sofort wieder.« Damit verließ er den Raum.

Plötzlich war Aiden allein. Er blinzelte auf die Stelle, an der eben noch sein Handy gelegen hatte. Irgendetwas war passiert, irgendetwas ging nun vor sich. Ihm wurde heiß und kalt. Er schob seine Hände auf den Tisch, knetete seine Finger, während er wartete. Eine Minute später erhob er sich. Er konnte nicht mehr still sitzen! Das ertrug er nicht! Der Gedanke, dass er gerade tatsächlich einen Mord beobachtet hatte - und er war sich ziemlich sicher, dass das Opfer nicht mehr lebte - sickerte langsam in sein Bewusstsein durch, setzte sich dort fest und versponn sich selbst wie in einen kleinen festen Kokon, den er so schnell nicht mehr loswerden würde. Ihm wurde schlecht. Suchend sah er sich um, aber in dem Raum war nichts anderes zu finden als der Papierkorb. Doch sein Würgen war trocken. Er hatte seit 19 Uhr nichts mehr gegessen. Ja, er kannte sich mit dem Tod aus, aber mit dem von älteren Leuten! Ein Mord, bei dem Blut floss, bei dem das Opfer noch leben wollte und röchelte - das war etwas ganz anderes! So viel Blut… Schwarz im Dunkel der Dämmerung und doch hatte er es glänzend über die Finger des Mannes laufen sehen. Wie er versucht hatte, das Leben in sich zu halten… Erneut würgte Aiden, doch bis auf etwas Galle schmeckte er nichts. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er den Kopf hob und sich auf den Stuhl fallen ließ. Seine Knie zitterten.

***

Detective Wilkins lief währenddessen die paar Meter zur Anmeldung. »Anna, ich brauche Sie.« Sie hob den Blick, sah ihn fragend an. »Sie stellen sich vor das Verhörzimmer und lassen den jungen Mann da drin keine Sekunde aus den Augen. Ich will nicht, dass er abhaut.«

»Und wenn er es versuchen sollte, Sir?«

»Dann lassen Sie sich etwas einfallen. Aber er geht nicht aus dieser Tür da.« Sam deutete auf die Schwingtür, durch die Aiden vor einigen Minuten gestolpert war.

»Okay, Sir.« Er sah ihr noch kurz nach und ging dann in sein Büro, um mit Sarasota Collins zu telefonieren. Sie klang verschlafen, müde und sauer, war aber nach seinen ersten Worten hellwach und am Rascheln hörte er, dass sie bereits dabei war, in eine Hose zu springen.

Fünf Minuten später betrat er den kleinen Raum erneut, in dem der junge Mann noch immer saß. In einer Hand hielt der Detective einen Becher mit kühlem Wasser. Er stellte ihn vor dem jungen Mann ab, der immer noch reichlich blass war. Dann riss er den Zettel von dem Befragungsbogen zusammen mit dem Durchschlag, kontrollierte, dass nichts auf weitere Seiten durchgedrückt war und nahm auch die Pappseite heraus, die als Sicherheit diente, dass nichts weiter durchdrückte. Den Block legte er zurück, die Seiten faltete er und legte sie auf den Tisch.

»So. Wir fangen noch einmal vom Anfang an. Ich bin Detective Leutnant Sam Wilkins. Wie heißen Sie?«

Aiden hatte gerade die Hände um den Pappbecher gelegt, in dem eine klare Flüssigkeit abgefüllt war, er vermutete Wasser. Doch jetzt ruckte sein Kopf hoch und er starrte den Mann vor ihm an, den er auf Mitte 40 schätzte.

»Was? Wieso von vorne? Ich hab doch schon alles dem Officer erzählt!« Aiden deutete auf die Tür.

»Ja. Aber ich möchte, dass Sie es mir noch einmal erzählen. Langsam. In allen Einzelheiten.«

»In allen...« Aidens Magen zog sich krampfhaft zusammen und er seufzte tief. Alles von vorn...

»Gut, also...« Immerhin hatte Aiden so Zeit, all seine Gedanken noch einmal neu zu ordnen und vielleicht bekam er die Geschichte jetzt in der chronologisch richtigen Reihenfolge zusammen. Die Geschichte, die keine Geschichte war, sondern Realität. Schwer schluckte er, nahm einen Schluck von dem Wasser. Es schmeckte schal.

»Ich arbeite in einem Altersheim. Heute Nacht gab es einen Zwischenfall und ich wurde ins Heim gerufen. Es ist die ›Mapleleaf Residence‹. Ich habe dort alles geklärt und wollte zur Bushaltestelle, der Bushaltestelle in der Lincoln Road. Das Heim habe ich kurz nach halb sechs verlassen, ich habe auf die Uhr gesehen, das weiß ich also noch genau. Jedenfalls kenne ich eine Abkürzung und die führt durch diese kleine Gasse, durch die keine Autos passen. Ich wollte meiner Schwester schreiben, deshalb hatte ich das Handy in der Hand. Kurz vor dem Ende der Gasse habe ich ein Rascheln wie von Kleidung gehört, dann ein Röcheln. Ich bin näher und dann habe ich die beiden Männer gesehen.« Aiden tippte auf die Stelle, an dem sein Handy gelegen hatte. »Dann habe ich alles gesehen, was auch auf meinem Handy drauf ist.«

»Beschreiben Sie es mir. Nicht das, was auf dem Handy zu sehen ist. Sondern das, was Sie gesehen haben.« Sam sprach ruhig und einfühlsam.

»Ich...« Aiden kam sich vor wie in einem schlechten Film oder einem noch mieseren Theaterstück. Er hatte doch alles bereits gesagt! Aber dieser Detective vor ihm war weitaus interessierter an seiner Geschichte und, das rief sich Aiden jetzt ins Gedächtnis, er war vorhin nicht dabei gewesen. Also nickte er leicht, bevor er weitersprach.

»Der Größere, der Typ mit der Narbe im Gesicht, sah gepflegt aus, sein Haar war kurz geschoren, er trug dunkle Kleidung, beinahe ausschließlich schwarz, denke ich. Vielleicht war der Pulli dunkelblau, ich weiß nicht genau. Er hielt diesen kleineren Mann im Schwitzkasten, dessen Füße kaum noch den Boden berührt haben. Er hat... Er hatte Angst, er hatte die Augen weit geöffnet. Ich glaube, sie haben die Lippen bewegt, aber ich habe nichts gehört, wenn sie etwas gesagt haben.« Aidens Finger schlossen sich fester um den Pappbecher.

»Ich habe... Ich habe das Messer in der Hand des großen Mannes gesehen. Er hat ihn einfach getötet.« Aiden nickte leicht. »Dann hat sich ein Auto genähert und ich hab... Ich hab überlegt, was ich machen kann und dann habe ich versucht, mich so leise wie möglich zu verhalten und ich habe das Video angemacht. Dem Mann mit der Narbe ist das kleine Päckchen aus der Tasche gefallen. Ich habe es nicht genau gesehen, es war, wie ich schon sagte, hell und aus Plastik, mehr weiß ich nicht. Vielleicht Drogen? Ich hab keine Ahnung...« Aiden strich sich durchs Haar. »Und dann hat der Große gegrinst und das Auto hat ihn angeleuchtet und er ist eingestiegen. Ich hab nicht geahnt, dass das Auto zu ihm gehört. Es war ein schwarzer Geländewagen. Die Marke... Es war... Ich weiß es nicht. Etwas Großes.« Aiden seufzte.

»Sie sind ein sehr guter Beobachter, Mr. ...« Sam lächelte. »Sie haben mir noch immer nicht Ihren Namen verraten.«

Aiden blinzelte. Das hatte er tatsächlich nicht. »Aiden. Aiden Miller.« Es tat unheimlich gut, angelächelt zu werden, ernst genommen zu werden. Aiden fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen.

»Danke«, sagte er leise und etwas zu spät, aber auch das Kompliment hatte ihm sehr gut getan. Prompt fühlte er sich etwas besser. »Können Sie damit etwas anfangen?«

»Mr. Miller, das, was Sie da beobachtet haben, war ein schweres Verbrechen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie Ihnen jetzt zumute sein muss. Und trotzdem haben Sie so besonnen reagiert. Nur wenige hätten in dieser Situation so gehandelt wie Sie.« Er betrachtete sein Gegenüber einen Augenblick. »Vermutlich ist das auch der Grund warum Sie noch leben. Brauchen Sie einen Arzt?«

Leicht straffte Aiden die Schultern. Besonnen. Er hatte besonnen gehandelt. Das hatte er wirklich, oder? Er war sich nicht sicher. Überhaupt war er sich über nichts mehr sicher. War das alles wirklich passiert? Und wie fühlte er sich eigentlich?

»Ich... Ich weiß nicht. Ja.« Ein Arzt konnte nicht schaden. Vielleicht hatte der ein Beruhigungsmittel, denn das war etwas, das Aiden wirklich gebrauchen konnte. Oder? Oh Gott, er war verwirrt. Ihm war immer noch etwas übel. Sein Magen fühlte sich wund an und den bitteren Geschmack der Galle in seinem Mund konnte selbst das Wasser nicht wegspülen. Erst jetzt bemerkte Aiden, dass seine Hände zitterten. Genau wie seine Knie. Ihm war kalt und im Grunde wollte er nichts weiter als nach Hause, sich in seinem Bett verkriechen und nie wieder diesen sicheren Ort verlassen! Er senkte den Blick.

»Ich will nur nach Hause«, murmelte er.

Selbst nach so vielen Jahren berührte es Sam noch, wenn er so etwas sah. Die Angst im Gesicht eines Menschen, der das wahre Gesicht der Welt gesehen hatte. Der auf der Sonnenseite lebte und sich auf einmal im Schatten wiederfand. Und dafür hielt sich der junge Mann ihm gegenüber erstaunlich gut.

»Ich werde Ihnen einen Arzt kommen lassen. Und dann reden wir weiter. Ich brauche noch ein paar persönliche Angaben von Ihnen. Kann ich Sie für ein paar Minuten alleine lassen? Oder soll ich jemanden schicken, der Ihnen Gesellschaft leistet?«

»Nein. Nein, das geht schon.« Aiden brachte in diesem Moment kein Lächeln zustande. Diesmal wagte er es nicht, aufzustehen. Er hatte Angst, dass ihn seine Knie nicht tragen würden, also wartete er einfach ab. Persönliche Angaben. Dann würde er mit dem Arzt sprechen, würde vielleicht ein Beruhigungsmittel bekommen und dann konnte er nach Hause. Der Detektive erhob sich und verließ das Zimmer. Aiden folgte ihm mit den Augen.

Sam war dankbar für die kurze Pause. Er konnte kaum glauben, was er da gerade in der Hand hielt. Das war einfach unglaublich! Nun musste er das Ganze nur noch dem jungen Mann erklären und er hoffte, dass dieser stark genug war, das zu verkraften. Vom einen Schlag auf den anderen würde sich dessen Leben verändern. Während Sam den diensthabenden Arzt anrief und auf die Wache bestellte, rasten seine Gedanken.

Er brauchte eine Lösung. Und zwar dringend. Er konnte Aiden auf keinen Fall nach Hause gehen lassen. Das Ganze würde durchsickern. Und er wusste genau, der normale Zeugenschutz würde nicht ausreichen. Er trat in seinem Büro an den Schreibtisch, zog eine Schublade auf und nahm ein Foto heraus. Einen Moment lief er auf und ab. Wozu er genau zwei Schritte Platz hatte. Er musste den jungen Mann in Sicherheit bringen. Nicht nur, damit dieser aussagen konnte. Sondern schon alleine, um ihn zu schützen. Er sah auf das Bild in seiner Hand und schnaubte. Diese hässliche Visage wollte er nur an einem Ort sehen.

Und das war hinter Gittern.

***

Die junge Blondine, die Aiden auf der Wache begrüßt hatte, führte wenig später einen Arzt zu ihm. Der Arzt stellte sich als Dr. William Townsend vor. Er nahm Aidens Puls, fragte ihn ruhig nach seinem Befinden und Aiden berichtete von der Übelkeit, dem Herzrasen, der Fahrigkeit.

Nichts Ungewöhnliches, konstatierte der Doktor und Aiden hätte das auch gut allein gewusst. Er fragte sich, wo sein Handy war, denn das hatte er noch immer nicht zurück, dabei hatte der Detective davon gesprochen, dass er es wiederbekommen würde.

»Ich rate Ihnen dringend, mit einem Psychologen zu sprechen, Mr. Miller.«

»Danke, aber gerade möchte ich nur meine Ruhe«, antwortete Aiden. »Kann ich... Können Sie mir ein Beruhigungsmittel verschreiben? Nur für die Nacht? Damit ich schlafen kann?«

Der Arzt lächelte, reichte ihm einen Blisterpackungsstreifen aus der braunen Tasche, die er bei sich trug. »Es ist nur ein Leichtes, aber es sollte Ihnen helfen.«

Aiden nickte, verabschiedete sich schließlich und bat die junge Blondine um ein weiteres Wasser, das sie ihm prompt brachte. Seine Hände zitterten noch immer. Aiden war sich sicher, dass das noch einige Zeit lang so bleiben würde. Zumindest traute er inzwischen wieder seinen Knien, daher erhob er sich und ging ein paar Schritte im Raum auf und ab.

Als Sam Wilkins zurück in den Raum kam, war eine gute halbe Stunde vergangen. Das Foto hielt er noch immer in der Hand als er die Tür hinter sich schloss. Beinahe schien es so als hätte der junge Mann wieder etwas Farbe im Gesicht.

»Nun, Mr. Miller. Wir müssen noch ein paar Dinge besprechen.« Er setzte sich wieder an den Tisch und überließ es seinem Gegenüber, es ihm gleich zu tun oder stehenzubleiben.

»Sie wollten noch meine persönlichen Daten.« Die Blisterpackung lag neben dem Pappbecher auf dem Tisch. Jedes Geräusch erschien Aiden unnatürlich laut, sowohl die Stimme des Detectives als auch seine eigene oder das Scharren der Stuhlbeine.

Sam nickte und griff nach dem Protokoll der Befragung und einem Stift, drehte die Rückseite der Zettel zu sich.

»Haben Sie Familie?«

»Nun, keine Kinder, falls Sie das meinen.« Jetzt erst setzte sich Aiden wieder an den Tisch, dem Detective gegenüber.

»Nein. Ich meine Familie in jedem Sinne. Eltern, Geschwister, weitere Verwandte.«

»Oh. Ja.« Aiden runzelte die Stirn. »Eltern, eine Schwester.«

»Onkel und Tanten?«

Aiden nickte. »Ein Onkel. Er hat geheiratet, ich habe einen Cousin. Entschuldigen Sie, aber was hat das mit dieser Sache hier zu tun?«

Der Detective notierte sich das alles auf dem Blatt Papier. »Leider eine ganze Menge, Mr. Miller. Was ist mit einer Freundin? Irgendwelche Liebschaften?«

»Nicht... Nein, nicht im Moment.« Aiden war verwirrt. »Meine Großeltern mütterlicherseits leben noch und mein Großvater väterlicherseits«, fügte er dennoch hinzu. »Mr. Wilkins... Können Sie mir erklären, was hier vorgeht?«

»Geben Sie mir noch eine Minute«, meinte der, während er schrieb. »Wo wohnen sie?« Er tippte auf die Liste. »Ich brauche die Adressen. Und auch Ihre. Leben Sie alleine?«

»Ja, alleine.« Aiden sah auf das Papier. »Alle Adressen?«

»Ja. Bitte.«

Aiden nickte, sah auf die Liste und nach und nach sagte er die Adressen an. Es war ein Glück, dass er alle im Kopf hatte, was wahrscheinlich daran lag, dass es noch nicht lange her war, dass er Weihnachtskarten an alle geschrieben hatte.

Sam schrieb alles mit. »Was ist mit Freunden?«

»Davon gibt’s einige.« Mit großen Augen sah Aiden den Detective an. »Sagen Sie nicht, das brauchen Sie auch alles...«

»Für den Anfang nur von den engsten Freunden. Aber das können wir auch später machen.« Er legte den Stift nieder und drehte jetzt das Foto um, das er vorher auf den Tisch gelegt hatte, schob er es Aiden zu. »Der Mann, den Sie gesehen haben, heißt Enrico Cortez.« Er tippte auf das Foto, das das Gesicht des Mannes zeigte. Inklusive der Narbe.

Aiden sah auf das Bild und erstarrte. Da war er! Das war der Mann! Der Mörder! Schnell nickte er, griff mit beiden Händen nach dem Foto und hob es vom Tisch, um es sich genauer anzusehen.

»Ja! Ja, das ist er!«

Sam nickte. »Das Problem dabei ist, dass es sich um einen der gefährlichsten und einflussreichsten Männer dieser Stadt handelt. Wenn nicht sogar dieses Staates.«

Und da war sie wieder, die Gänsehaut, die Aiden schon den ganzen Abend begleitet hatte. Erst der Kälte wegen, jetzt von einem Gefühl ausgelöst, das mit eisigen Fingern nach ihm zu greifen schien. Er prägte sich das Gesicht ein, die dunklen, beinahe schwarz wirkenden Augen, die deutlich hervorstehende Augenbrauenpartie, die fliehende Stirn, das verhältnismäßig kleine Kinn und die kräftige Kieferpartie. Die Narbe war auch auf dem Foto deutlich zu erkennen. Nur langsam drangen die Worte seines Gegenübers zu Aiden durch.

»Wieso Problem?«, fragte er, löste mit Mühe den Blick von dem Foto und legte es wieder auf den Tisch. Die Gänsehaut jedoch blieb.

»Sie haben ihn gesehen. Wie er einen anderen Menschen tötet. Und Sie haben es auch noch gefilmt.« Sam Wilkins zog das Handy aus seiner Hosentasche. »Das ist ein Glücksgriff. Bitte entschuldigen Sie, Ihnen muss das alles andere als glücklich vorkommen und alles, was ich Ihnen jetzt sage, wird Sie vermutlich dazu bringen, mich zu hassen. Aber Sie sind seit Jahren der erste Zeuge, der lebend bei der Polizei angekommen und in der Lage ist, gegen Cortez auszusagen. Und nehmen Sie es mir nicht übel: Eine andere Wahl bleibt Ihnen nicht. Selbst wenn Sie sagen, Sie wollen damit nichts zu tun haben, Cortez wird von Ihnen erfahren. Und er wird versuchen, Sie auszuschalten. Sie sind ein unkalkulierbares Risiko für ihn.«

Es dauerte einen Moment, bis Aiden antwortete. Als er es tat, klang seine Stimme wie durch Watte an seine eigenen Ohren. Schwammig, als hätte er zu viel Schmerzmittel genommen, das ihm nun den Kopf vernebelte. »Ausschalten...«

»Ja. Aber wenn Sie mir vertrauen und das tun, was ich sage, dann werde ich dafür sorgen, dass das nicht passieren kann.«

»Mo... Moment.« Aiden tippte mit allen Fingern einer Hand auf das Foto zwischen ihnen. »Dieser Mann möchte mich umbringen? Ich... Ich weiß nicht mal, ob mich der Fahrer des Autos gesehen hat oder nicht.«

»Das spielt keine Rolle. Cortez hat seine Leute überall. Ich bin nicht einmal sicher, ob diese Wache hier frei von seinen Leuten ist. Niemand bekommt ihn zu fassen. Er ist wie ein glitschiger Fisch. Darum führe ich Ihre Befragung auch alleine durch. Und nicht mit Officer Larkin zusammen. Er weiß eh schon zu viel. Ich weiß nicht wie, aber Cortez wird davon erfahren, dass es Sie gibt. Und das vermutlich eher früher als später. Doch dass Sie direkt hierher gekommen sind, verschafft uns ein schmales Zeitfenster.« Der Detektive merkte deutlich, dass das für den jungen Mann vor ihm alles keinen Sinn ergab. Aber er kannte Cortez. Der Mann war ein Monster. Skrupellos ging er über Leichen, räumte jeden aus dem Weg, der ihm in die Quere kam. Verteilte Drogen in der Stadt für geringes Geld. Drogen von so geringer Qualität, dass die Menschen an den Folgen des Konsums starben wie die Fliegen. Wie oft hatte er schon geglaubt, endlich einen Beweis gegen Cortez in der Hand zu halten? Nur damit sich dann kurz darauf herausstellte, dass ein Asservatentütchen verschwunden war. Dass ein Zeuge spurlos verschwunden war.

Verschwunden schien auch Aidens Fähigkeit, genau zuzuhören. Die Worte preschten nur so durch seine Gedanken. Glücksgriff, erster Zeuge, lebend, aussagen, keine andere Wahl, Zeitfenster, ausschalten. Immer wieder dieses Ausschalten. Cortez würde ihn umbringen. Das war es, was ihm dieser Polizist gerade versuchte klarzumachen. Aiden hatte sich nie sonderlich mit der Justiz beschäftigt, daher fragte er sicherheitshalber nach.

»Heißt das, ich bin so etwas wie Ihr Kronzeuge?«

»Wenn Sie sich tatsächlich dazu bereit erklären, gegen ihn auszusagen, dann ja. Dann sind Sie genau das. Aber ob Sie aussagen oder nicht, ich muss Sie fürs Erste in Sicherheit bringen.«

Aiden wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Sein Leben da draußen schien mit einem Schlag so weit entfernt. Er war hier und zumindest gerade in Sicherheit. Oder arbeitete am Ende Sam Wilkins auch für Cortez? Was, wenn es so war?

»Wieso sollte ich Ihnen dann vertrauen? Wohin wollen Sie mich bringen? Kann ich nicht hier bleiben?« Es gab so viele Fragen in ihm, so viele Fragen, die er kaum greifen konnte und so kämpften sich einfach die dringendsten vor und die betrafen ihn selbst.

Sam lächelte. »Es gibt absolut keinen Grund, warum Sie mir vertrauen sollten.« Er fand die Art seines Gegenübers zu denken sehr erfrischend. Der junge Mann war auf Zack.

»Normalerweise würde ich den Weg des Zeugenschutzprogramms gehen. Sie in ein sicheres Haus bringen und abwarten bis die Gefahrenbewertung durch ist und dieses ganze Trara. Viel Bürokratie. Aber die Sache ist, ich kann hier niemandem trauen, wenn es um Cortez geht. Er hat Zugriff auf polizeiliche Ermittlungen. Darum wird das hier auch niemand zu Gesicht bekommen.« Sam tippte auf die Zettel, die Louis Larkin vorhin begonnen hatte auszufüllen. »Ich habe eine Idee, wohin ich Sie bringen kann. Wo Sie sicher sind. So sicher, wie ich es nicht gewährleisten kann. Und schon gar nicht hier.«

Graue Augen lagen auf Aiden. Zum ersten Mal nahm er die Augenfarbe seines Gegenübers wahr. Überdeutlich. So überdeutlich wie das Telefonklingeln, das weiter entfernt, außerhalb des Raums, zu hören war oder wie seinen eigenen Herzschlag. Am liebsten hätte Aiden sich gekniffen und wäre aus diesem Albtraum erwacht. Er verstand nicht, was gerade vor sich ging, konnte all das nicht wirklich begreifen. Es rauschte an ihm vorbei, hatte keine Chance, bei ihm anzukommen.

»Was ist mit meiner Familie? Meinen Freunden?«, hörte sich Aiden fragen. Eine weitere dringende Frage. Immerhin hatte Detective Wilkins nach all diesen Menschen gefragt.

»Sie werden keinen Kontakt zu ihnen haben. Zu ihrem Schutz.«

Diese Worte drangen dann doch zu Aidens Bewusstsein durch und sie pressten ihm die Luft aus den Lungen.

»Nein. Nein! Das...«

»Jedes Wort von Ihnen kann Ihre Familie und Ihre Freunde in Gefahr bringen. Der beste Schutz für all diese Menschen ist, wenn Sie absolut gar nichts wissen. Ich weiß, das ist hart und klingt unverständlich für Sie. Aber anders ist es nicht zu machen. Nur, wenn Cortez sicher sein kann, dass sie alle nichts wissen, können sie sicher sein.«

Aiden nickte langsam, obwohl alles in ihm schrie, dass er das nicht wollte, dass er nach Hause wollte, nur in sein Bett. Dass er seiner Schwester Amy schreiben wollte und seiner Mum, seinem Dad und all seinen Freunden. Dennoch nickte er, immer wieder, bis ein leises Geräusch ihn aufschreckte und zusammenzucken ließ. Detective Wilkins hatte nach dem Foto gegriffen.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Sie müssen im Moment gar nichts sagen. Ich weiß, dass das alles unheimlich viel ist.« Sam sah auf das Bild vor sich. »Aber ich kann Ihnen versprechen, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass Cortez ins Gefängnis kommt. Für Mord bekommen wir ihn endlich dran.« Er tippte auf das Handy. »Mit Ihrer Aussage und dem Video haben wir endlich etwas in der Hand.« Jetzt ging es nur daran, diese Informationen den richtigen Leuten zukommen zu lassen. Und er brauchte einen Richter, der nicht korrupt war.

»Wie lange kann das denn dauern?«

»Das ist schwer zu sagen. Ein paar Tage oder ein paar Wochen. Leider.«

Kurz presste Aiden die Lippen aufeinander, um irgendein Gefühl zurückzubekommen. Doch es brachte nichts, er fühlte sich taub. Sein gesamter Körper fühlte sich taub an. »Dann bringen Sie mich in Sicherheit.«

Sam sah auf seine Uhr und erhob sich dann. »Gut.«

Aiden erhob sich ebenfalls und dachte für einen Moment, er hätte zugenommen. Sein Körper fühlte sich schwer an. »Und wo bringen Sie mich nun hin?«, fragte er den Detective.

Der zögerte einen Moment. »Sagen wir für den Augenblick einfach, zu einem Bekannten.« Denn anders wusste er diesen Mann nicht zu bezeichnen. Er wusste nicht einmal, ob sein Plan aufgehen würde. Doch sicherer als dort würde der junge Mann nirgends sein.

Aiden wusste nicht, ob er sich mit dieser Beschreibung sicherer fühlte oder nicht. Der Detective klang nicht gerade so, als verbinde ihn mit dem ›Bekannten‹ eine enge und vertrauensvolle Beziehung. Sie verließen den Verhörraum und traten zurück in den Flur, in dem sich Aiden sofort weniger aufgehoben fühlte.

»Werden Sie meiner Familie Bescheid geben? Dann möchte ich nämlich, dass Sie...«

»Nein, Mr. Miller. Kein Kontakt. Bis die Sache geklärt ist.«

Aiden blinzelte den Mann neben ihn an. »Nicht einmal... Sie sagen Ihnen nicht einmal Bescheid?«, fragte er erschrocken.

»Ich kann verstehen, dass Sie das schockiert, aber glauben Sie mir. Je weniger sie alle wissen, desto sicherer ist es. Jede Information kann Ihre Familie in Gefahr bringen.«

»Sicherer vielleicht, aber sie werden sich Sorgen machen! Sie werden denken, mir sei etwas zugestoßen und...« Aiden biss sich fest auf die Unterlippe.

»Ja. Das werden sie. Das kann ich auch nicht schönreden.« Sie hielten vor Sams Bürotür an. »Ich hole nur kurz meine Autoschlüssel.« Er trat in den kleinen Raum, griff nach seinem Sakko und den Schlüsseln zu seinem Privatwagen. Leise zog er die Tür hinter sich zu, als er wieder zu dem jungen Aiden Miller trat. Der war immer noch blass.

Aiden sah zu dem Detective auf. Er war einen halben Kopf größer als er selbst und jetzt sah er ihn aus grauen Augen offen an.

»Ich hätte gern mein Handy zurück«, sagte Aiden. Er war hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen. Er war wütend auf den Detective und dankbar zugleich. Er wollte nur nach Hause, wusste aber, dass er dort nicht sicher war und ähnlich verhielt es sich mit seiner Familie und seinen Freunden. Er wollte Kontakt zu ihnen, wollte mit ihnen schreiben und sprechen! Doch er wusste, er spürte, dass Sam Wilkins die Wahrheit sagte und er all diejenigen gefährden würde, die ihm etwas bedeuteten. Was war nur in diesen wenigen Stunden passiert, das sein Leben so auf den Kopf gestellt hatte? Aiden ahnte, dass er im Moment nur einen ganz geringen Teil davon begriff, aber dieser Teil reichte schon aus, ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

»Sie bekommen es zurück. Aber ich muss erst die Daten sichern lassen.« Sie liefen jetzt an der Anmeldung vorbei und Sam spürte den Blick von Anna deutlich. Sah die Frage dahinter, die er aber nicht beantworten würde. Er würde niemandem erzählen, wohin er diesen Mann brachte, denn im Moment konnte er niemandem vertrauen außer sich selbst. Er zog sein Sakko über, als sie nach draußen traten und es verbarg so die Dienstwaffe, die er am Gürtel trug. Er deutete auf einen alten Dodge.

»Das ist mein Wagen.« Die Sonne hatte sich bereits durch die Wolken gekämpft und ein Blick auf die Uhr sagte Sam, dass es bereits kurz nach neun Uhr war. Rebecca würde ihm die Hölle heiß machen, aber auch das musste warten.

»Wenn Sie... mich umbringen wollen, machen Sie es bitte schnell«, sagte Aiden, als auch der Detective in den Dodge gestiegen war. Er versuchte ein Lächeln.

Sam zog die Tür hinter sich zu, sah dann den jungen Mann neben sich an. »Entschuldigung, was?«

Aiden seufzte leise. »Ich meine nur, falls Sie doch mit diesem Cortez unter einer Decke stecken, dann machen Sie wenigstens schnell.«

Ein Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Detectives. »Keine Sorge. Ich habe wirklich nicht vor, sie umzubringen. Ganz im Gegenteil. Ich will, dass Sie am Leben bleiben.« Er startete den Motor. »Da fällt mir ein... Haben Sie Hunger?«

»Hunger?«, wiederholte Aiden, als würde er dieses Wort zum ersten Mal hören. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein.« Er schnaubte leise und griff nach dem Gurt, um sich anzuschnallen. »Ganz und gar nicht, mir ist übel.« Noch dazu schwebte ein Gefühl über Aiden, das er als Wolke wahrnahm. Eine Wolke des Misstrauens, der Unsicherheit, der Angst. Cortez würde ihn finden, ihn ausschalten. Das hatte der Detective gesagt. Ihm trachtete jemand nach dem Leben oder er würde es tun, sobald er von ihm erfuhr. Fest strich Aiden mit beiden Händen über seine Oberschenkel. Das konnte unmöglich die Realität sein. So etwas passierte doch sonst nur im Fernsehen! Oder anderen Leuten. Aber nicht ihm.

»Woher wissen Sie, dass ich bei Ihrem Bekannten sicher bin?«, fragte er und sah dabei aus dem Fenster. Wieder überkam ihn eine Gänsehaut, ließ ihn schaudern. Nirgends war es sicher. Auch das hatte Wilkins gesagt. Aiden betrachtete die Menschen auf dem Bürgersteig, in den Autos und Bussen und ihn überkam ein seltsam weltfremdes Gefühl.

Der Detective konzentrierte sich auf den Verkehr, während er sprach. »Sagen wir einfach, er hat sehr großes Interesse daran, Cortez die Suppe zu versalzen.«

Aiden zog es vor zu schweigen, während Häuser, Menschen und der morgendliche Verkehr vor dem Fenster vorbeizogen. Heute war er eigentlich mit Amy zum Abendessen verabredet. Sie hatten Pizza machen wollen.

»Ich weiß, das Ganze kommt Ihnen merkwürdig vor. Und normalerweise würde ich den üblichen bürokratischen Weg gehen. Sie in ein sicheres Haus bringen lassen, Bewachung durch Polizeibeamte... Aber wie ich schon sagte: Cortez ist unheimlich schwer zu fassen und ich bin mir sicher, dass er seine Leute auch bei der Polizei hat. Dieser Mann ist... ein Dreckschwein. Er kontrolliert nahezu 70 Prozent des Drogenhandels hier in Tribent und verschiebt das Zeug in großem Stil. Nicht nur hier. Vermutlich im ganzen Staat, wenn nicht sogar im ganzen Land. Er geht sprichwörtlich über Leichen, was Sie ja selbst gesehen haben. Und ihm habhaft zu werden, ist nahezu unmöglich. Er weiß genau, wen er schmieren muss, um unbeschadet aus der Sache herauszugehen. Das wäre nicht das erste Mal. Aber mit einem Zeugen wie Ihnen und dem Video dazu... Da kann er sich nicht rausreden. Und darum kann ich es nicht riskieren, den normalen Weg zu gehen. Was, wenn ein Beamter, den ich zu Ihrem Schutz abstelle, für Cortez arbeitet? Dann wären Sie tot. Oder wenn die Adresse herauskommt. Noch dazu hat die Polizei nach den letzten Umstrukturierungen gar nicht die Möglichkeiten, Sie so zu bewachen, wie es nötig wäre. 24 Stunden am Tag. Sie haben keine Ahnung, was da alles dazu gehört.« Sam seufzte. »Es muss schnell gehen. Und er kann das leisten.«

Aiden hatte, während Wilkins sprach, den Kopf gedreht und den Beamten beobachtet. Es schien ihm ernst zu sein und vielleicht, wenn Aiden Glück hatte, dann konnte er ihm vertrauen. Wenn nicht... Daran wollte er lieber nicht denken, aber im Moment blieb ihm nichts weiter übrig, als diesem Mann zu folgen. Ohne ihn zu kennen, war er Aidens einzige Hoffnung auf Sicherheit. Erneut überlief den jungen Mann ein Schauder.

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