Kitabı oku: «Liebe ohne Kaution», sayfa 2

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Kapitel Zwei

Für August Sterling begann der Abend so schön, wie man es sich nur vorstellen konnte, und endete in einem Haufen Scheiße.

Angegriffen. Sie hat auf mich eingestochen!

Schön, weil er seine Mutter an ihrem Geburtstag zum Essen ausgeführt und auch seine Schwester mitgenommen hatte. Abgesehen davon, dass sie ihn – wie sie es immer taten – gefragt hatten, ob es einen neuen Kerl in seinem Leben gab, war es ein netter Abend gewesen. Ein sehr netter Abend.

Er hatte sie ins Izar's Jatetxea gebracht, ein baskisches Restaurant auf der Country Club Plaza, weil seine Mutter es liebte, und oh, diese Ironie! Augusts Vater, Gott hab ihn selig, war durch und durch der Typ Mann gewesen, der Fleisch und Kartoffeln aß und es selten in Betracht zog, auswärts zu speisen.

»Warum sollten wir, wenn eure Mutter die beste Köchin der Welt ist?«, hatte er gern gesagt. Wenn sie doch einmal essen gegangen waren, dann meistens zu McDonald's – (»Sieh dich vor, McDonald's, aber sicher doch. Fick dich, Burger King. Amerika ist das Zuhause des Big Macs!«) – oder in ein Steakhouse. Fleisch und Kartoffeln. Sogar, wenn das Fritten bedeutete.

Als er vor zehn Jahren an Lungenkrebs gestorben war (August hatte nie auch nur einen einzigen Zug von einer Zigarette genommen), hatte August begonnen, seine Mutter in alle möglichen Restaurants auszuführen: mediterran, vietnamesisch, indisch, deutsch. Ausgerechnet die baskische Küche war zu ihrem Favoriten geworden, also ging es ins Izar's Jatetxea.

April, seine Schwester, war nicht gerade begeistert von der Wahl ihrer Mutter, aber sie ließ es über sich ergehen. Sie nahm den Seehecht, ein Kabeljaugericht, und verkündete, es sei köstlich. Mama bestellte ausgerechnet txipiroiak bere tintan – Babytintenfisch, gekocht in der eigenen Tinte.

Dad hätte sich im Grab umgedreht!

Izar war an diesem Abend nicht da gewesen, aber dafür Todd Burton, ihr Küchenchef, und er hatte viel Aufhebens um das Geburtstagskind gemacht. Er servierte ihnen das Essen persönlich, schenkte ihnen eine Flasche txakoli – einen baskischen Wein –, servierte ihnen herrlich cremigen Kuchen namens gâteau Basque als Dessert und dirigierte das Restaurant beim Singen einer Runde Happy Birthday. Er konnte sogar singen, war total niedlich und genau Augusts Typ, aber er trug einen Ehering an der Hand. Und August flirtete nicht einmal spielerisch mit einem verheirateten Mann, auch nicht aus Spaß.

Story of my life! Warum sind alle süßen Kerle vergeben?

Danach hatte er seine Familie ins Kauffmann-Center gebracht, um die Kansas City Symphony zu sehen. Zum Glück liebte April sie so sehr wie er und Mama. Es war ein großartiger Abend. Die beiden Damen hatten unglaublich ausgesehen und er hatte seinen Smoking getragen.

Gott sei Dank hatte er das Jackett abgelegt, bevor er zu Harry Bedfords Freundin gefahren war. An diesem Punkt ging der Abend steil bergab. Er konnte immer noch nicht glauben, dass sie auf ihn eingestochen hatte. Sie hatte ihn zwar nicht ernsthaft verletzt, aber verdammt noch mal, sie hatte ihn angegriffen! Und das hätte sein Jackett absolut ruiniert.

Naiv! Es war so naiv gewesen, das zu tun. Linc würde ihn das lange nicht vergessen lassen. August konnte es ihm nicht verübeln. Er hätte seinen Partner auch noch lange damit aufgezogen, wenn er an seiner Stelle wäre.

August hob seinen linken Arm, bewegte seine Schulter und zischte schmerzerfüllt. Scheiße, tat das weh, da half es auch nicht, dass es keine schwere Verletzung war. Er wäre beinahe nicht zur Notaufnahme gefahren. Es hatte tatsächlich nicht lange gedauert, bis die Wunde zu bluten aufgehört hatte, aber angesichts der Waffe wusste er, dass er nichts riskieren konnte. Und er war klug genug, der Krankenschwester am Tresen nicht die ganze Geschichte zu erzählen. Er hätte womöglich die ganze Nacht dableiben und warten müssen, an die Reihe zu kommen.

Natürlich hatte er den Gesichtsausdruck des Arztes ertragen müssen, der sich kaum zurückgenommen hatte. August war sich ziemlich sicher, dass der Mann sich mehr als einmal auf die Innenseite der Wangen biss, und er kam nicht umhin, zu bemerken, dass die Augen des Kerls ein paar mal schelmisch funkelten. Aber der Arzt sagte August auch, es sei gut, dass er gekommen war. Er hätte sich eine ernsthafte Infektion zuziehen können, und mit denen war nicht zu spaßen.

August schlief letztlich auf dem Futonbett in seiner winzigen Zweitwohnung über dem Büro. Warum nicht? Es war ja nicht so, als würde zu Hause jemand auf ihn warten, nicht, seit Nick gegangen war. Max, seine Katze, würde die eine Nacht überstehen.

Die kleine Junggesellenbude hatte eine Dusche und so eine brauchte er dringend.

Zum Glück war die linke Schulter verletzt worden; so schaffte er es umständlich zumindest, den Verband selbst zu wechseln. Mit den Schmerzmitteln – und er nahm nur die Hälfte der Menge, die ihm verschrieben worden war – schlief er einigermaßen gut. Sie gaben ihm eine gute Stunde mehr Schlaf. Montagmorgen konnte eine echte Schlampe sein. Viele Menschen schienen sonntagabends verhaftet werden zu wollen. Er war montags gern früh dran, um die Welle aus Anrufen von Leuten entgegenzunehmen, die aus dem Gefängnis rauswollten.

Und egal, wie die letzte Nacht zu Ende gegangen war, heute war ein neuer Tag. Wer wusste, was passieren würde? Man konnte es nie sagen. Es könnte der Tag sein, der sein ganzes Leben veränderte.

Zugegeben, er sah in seinem Smoking ein wenig albern aus. August hatte vergessen, dass er keine Wechselkleidung dahatte. Vor ein paar Nächten hatte er die Jeans und die Handvoll Hemden, die er im Büro aufbewahrte, mit nach Hause genommen, um sie zu waschen, und er hatte nichts zurückgebracht. Doch er konnte Leute nicht aus dem Gefängnis raushauen und dabei nicht sein Jackett tragen. Nicht mit all dem Blut hinten auf dem weißen Hemd, was verdammt eklig aussah.

Vielleicht sollte er doch schnell nach Hause flitzen? Er konnte in einer halben Stunde zurück sein, wenn er wirklich Gas gab.

Aber kaum war er die Treppe heruntergekommen und hatte die Miene der beiden Männer gesehen, mit denen er zusammenarbeitete, wusste er, dass das eine schlechte Idee wäre.

Donny, sein Büroleiter, hatte ein Handy am Ohr, die pinke Spitze seiner Zunge im Mundwinkel und schrieb heftig auf einen großen gelben Notizblock. Lincoln, Ross' Geschäftspartner, schaute Donny über die Schulter und nickte.

August kannte diesen Blick und konnte förmlich sehen, wie sich die Zahnräder in Lincolns Kopf drehten. Ross war bereits dabei, einen Plan zu schmieden und teilte potenzielle Kunden ein. Als August sich dem Schreibtisch näherte, konnte er sehen, dass es ziemlich viele waren. Donny hatte das gelbe Papier mit seiner kaum entzifferbaren Schrift bereits fast vollgeschrieben, und eine weitere Seite war umgedreht.

Nach fünf weiteren Minuten – in denen Lincoln August einen Blick zuwarf und ihm zunickte – legte Donny mit einem »Wow!« auf.

»Wir haben heute Morgen viel zu tun, Jungs«, sagte er mit einer Stimme, die August immer an einen Bostoner Dialekt erinnerte. Er hätte fast gelacht, als er zum ersten Mal gehört hatte, wie sie von jemandem mit so einem süßen, fülligen, rundlichen Gesicht kam. »Soll ich ein paar von denen übernehmen und meiner Schwester Bescheid sagen, dass sie den Telefondienst machen soll?«

Lincoln schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube, wir packen das, meinst du nicht, August?« Er nahm sich einen grünen Marker und hakte etwa die Hälfte der Namen ab. »Ich nehme die hier, und du den Rest?«

August blätterte eine Seite zurück. Nickte.

»Na ja, ausgenommen –«

»Oh. Diesen Vollidioten ausgenommen«, sagte Lincoln und nahm ihm damit die Worte direkt aus dem Mund. Lincoln strich den Namen durch.

»Vollidiot trifft es gut«, sagte Donny.

Sie hatten den Mann aus dem Knast geholt, nachdem er das erste Mal der Misshandlung beschuldigt worden war. Schließlich war jeder unschuldig, bis ihm die Tat nachgewiesen wurde. Es hatte keinen körperlichen Angriff gegeben und Mr. Tremont hatte genau das Richtige gesagt.

Aber als er vier Monate später seine Frau krankenhausreif prügelte, war das Maß verdammt noch mal voll. Warum er sie überhaupt um Hilfe bat, konnte August sich nicht vorstellen. Vielleicht würde der Widerling dieses Mal in den Knast wandern und lernen, was es hieß, Opfer von geballten Fäusten zu werden.

Einig über ihre verschiedenen zugeteilten Aufgaben suchten sie sich zusammen, was sie brauchten, um in ihren Arbeitstag zu starten, ihre Aktentaschen und Waffen eingeschlossen. August war auf dem Weg zur Tür hinaus, als Lincoln seinen Namen rief.

»Ja?«, erwiderte August und hielt im Türrahmen inne.

»Hast du nicht was vergessen?« Lincolns Ausdruck zeigte vollkommene Unschuld.

August zögerte und ging eine mentale Checkliste durch. »Ich glaube nicht.«

»Du brauchst keinen… Stift?«, fragte Lincoln und lachte dann.

Donny verzog das Gesicht und formte ein »Tut mir leid« mit den Lippen.

Natürlich hatte er es Lincoln gesagt. Er sagte Lincoln alles. Er stand auf Lincoln, der von der Zuneigung des pummeligen kleinen Mannes nichts ahnte. Es erinnerte August irgendwie an James Bond und Ms Sekretärin – damals in der goldenen Ära der James-Bond-Filme, versteht sich. Als es noch Spaß gemacht hatte, sie zu schauen. Bevor die Filme zu ernst wurden, mit Daniel Craig und einer aalglatten und sexy Moneypenny.

August stöhnte innerlich auf, zeigte dann Lincoln den Stinkefinger und ging durch die Tür.

Es war ein langer Morgen. Der zweite und dritte der Männer, nach denen August fragte, hatten niemanden, der als Bürge mitunterzeichnete, obwohl die Anweisungen auf dem Anrufbeantworter, auf dem sie ihre Nachrichten hinterlassen hatten, sehr deutlich machten – zweimal –, dass sie unbedingt einen brauchten. Einen, der seit mindestens einem Jahr einen Job hatte und über einundzwanzig Jahre alt war. Nummer drei, Orland Fleary, bettelte und flehte August an, auch ohne einen Bürgen die Dinge ins Rollen zu bringen. Er kenne niemanden, der ihm helfen würde. Aber das war lächerlich. So etwas würde nicht passieren, aus keinem Grund. Der Typ sah nicht mal unschuldig aus und er hatte ein Vorstrafenregister, das ihn zwar nicht gerade wie Hannibal Lecter wirken ließ, aber auch nicht unbedingt gut.

August blieb seinen Prinzipien treu und Mr. Fleary wurde in seine Zelle zurückgebracht.

Während August entschied, dass Nummer vier ein großes No-Go war, hatte Donny sich mit Nummer fünf beschäftigt. Dieser Neue, Arthur Bailey, vierundzwanzig Jahre alt, war im Zusammenhang mit einem knappen halben Kilo – einem halben Kilo – Marihuana festgenommen worden. Das bedeutete eine Anklage mit einer Kaution von 25.000 Dollar, und mit dem Honorarstandard von zehn Prozent an den Kautionsagenten würde der Junge 2.500 Dollar aufbringen müssen. Verhafteter Nummer vier konnte nicht mal 350 Dollar aufbringen. Wie sollte ein junger Kerl 2.500 Dollar zahlen können?

Natürlich, er war vierundzwanzig und damit nur sechs Jahre jünger als August, aber Ende zwanzig tat sich in der Entwicklung eine Menge.

»Entschuldigung?«, ertönte rechts von ihm eine Stimme. Er drehte sich um und sah einen attraktiven Mann ungefähr seines Alters, dessen Kleidung aussah, als würde er in einem Krankenhaus arbeiten. Ein Pfleger vielleicht?

»Ja«, antwortete er.

»Haben Sie sich nach Artie erkundigt?«, fragte der Vielleicht-Pfleger. »Bailey?«

Der Mann sah gestresst aus. Besorgt.

»Darf ich fragen, wer Sie sind?«

Der Vielleicht-Pfleger sah von dem Handy auf, dem er seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, seit er nach Bailey gefragt hatte.

»Huh? Oh. Ross. Mein Name ist Ross. Ich bin Arties Bürge und ich werde in ungefähr zwanzig Minuten zu spät für die Arbeit sein.«

»Oh. Sehr gut, Mr... Ross.« Gott sei Dank, immerhin das hatte der Junge in die Wege geleitet. »Ihre Unterschrift wird viel dazu beitragen, Ihrem Freund zu helfen.«

Die Erleichterung auf Ross' Gesicht war beinahe mit den Händen zu greifen. Liebhaber?, fragte sich August.

»Mr. Sterling?«, ertönte eine andere Stimme, und dieses Mal gehörte sie einem Cop. »Ich habe hier Ihren Arthur Bailey.«

Und das war der Moment, in dem August Bailey zum ersten Mal sah.

Der Junge raubte ihm schlicht und ergreifend den Atem. Machte ihn sprachlos. Für eine Sekunde schien sein Herz stehen zu bleiben, dann sprintete es los wie ein Rennpferd, vor dem sich die Tore öffneten. Mein Gott, dachte August. Er ist wunderschön!

Arthur Bailey – oder Artie, wie Ross ihn genannt hatte – war ungefähr einen Kopf kleiner als August, doch August war, das musste man ihm zugestehen, knapp über eins achtzig und eine Menge Leute waren kleiner als er.

Umso besser kann ich mich herunterbeugen und diese Lippen küssen…

Er hatte einen Schopf hellbrauner Haare und große, sanfte blaue Augen. Traurige Augen. Augen, die dafür sorgten, dass man den Jungen in die Arme nehmen und ihm versichern wollte, dass alles wieder gut werden würde. Er hatte eine große Nase für so einen kleinen Kerl. Eine römische Nase, glaubte August. Aber nicht unattraktiv. Nichts an Artie war unattraktiv, nicht einmal diese Ohren, die ziemlich abstehend waren.

Aber dieser Mund. Gott. Diese süßen, vollen Lippen. Sie sahen weich aus. Wie würde es sein, diese Lippen zu küssen?

Zu seiner Überraschung fühlte August, wie sich in seiner Hose etwas regte. Wann war das zum letzten Mal passiert? Oh Gott!

Könnte es irgendjemanden geben, der mehr seinem Typ entsprach?

Aber dann hielt er inne: Was, wenn es jemandem auffiel? Es war nicht so, dass der Stoff des Smokings dick genug war, um irgendetwas zu verbergen. Er würde im Nullkommanichts ein Zelt in der Hose haben!

August trat eilig an den Tresen heran.

»Mr., äh, Bailey?«, brachte er hervor.

Der junge Mann nickte. Er trug ein schwarz-weiß gestreiftes Poloshirt und schwankte leicht. Für eine Sekunde glaubte August, dass Artie gleich weinen würde. Und es sah so aus, als ob er das bereits des Öfteren getan hätte.

»Ich bin August Sterling«, erwiderte er und gab seiner Stimme einen starken und tröstenden Klang – oder zumindest hoffte er das. »Und ich bin hier, um zu helfen.«

»Sind Sie das?«, fragte Artie. Ganz bestimmt war er ein Artie. Niemals ein Arthur. Vierundzwanzig oder nicht, August wettete, dass er ständig seinen Ausweis vorzeigen musste.

»Das bin ich«, sagte August. Und bevor er sich versah, hielt er ihm die Hand hin und erinnerte sich nicht daran, sie ausgestreckt zu haben.

Artie schenkte ihm ein kleines Lächeln, sah aber wie ein Welpe aus, der erwartete, geschlagen zu werden, als er Augusts Hand nahm. Es war eine kleine Hand, aber überraschend – angenehm – stark. Ein bisschen feucht vielleicht, aber das kam nicht unerwartet. August hatte eine Menge feuchter Hände geschüttelt, wenn er jemanden gegen Kaution aus dem Knast holte. Es war gruselig, eingesperrt zu werden. Vor allem, wenn man jung und noch nie in Schwierigkeiten geraten war.

Aber verdammt, Orland Flearys Hand war verschwitzter gewesen als Arties.

August spürte ein leichtes Ziehen und erkannte, dass er Arties Hand nicht losgelassen hatte. Leicht errötend und dankbar, dass seine olivfarbene Haut gerade dunkel genug sein könnte, um das zu verbergen, ließ er Arties Hand los und steckte die eigene in seine Hosentasche.

Und dann erklärte er Artie seine Möglichkeiten: Dass er für Augusts Hilfe 2.500 Dollar aufbringen musste. Dass er dieses Geld nicht zurückbekommen würde, auch wenn alle Anklagepunkte fallen gelassen würden. Dass die zehn Prozent der Kaution das Mittel waren, mit dem er sein Unternehmen am Laufen hielt, seinen Büroleiter bezahlte und seine Miete und Nebenkosten finanzierte.

»Ich habe keine Versicherung, die mir den Rücken freihält. Ich habe mein eigenes privates Geschäft. Also hafte ich dem Gericht gegenüber dafür, dass du nicht türmst, denn dann bekommen die ihre 25.000 Dollar. Und wenn ich dem Gericht 25.000 Dollar zahlen müsste, würde mich das ruinieren. Also, du wirst die Verhandlung nicht schwänzen, oder? Du wirst die Kaution zahlen?«

Arties Augen wurden groß und weit und diese süße Unterlippe zitterte, als er den Kopf schüttelte. »N-nein, Sir! Natürlich nicht!«

August nickte und hörte die hunderten Stimmen der Männer und Frauen in seinem Kopf, die in der Vergangenheit genau dasselbe gesagt hatten und dann fortgerannt waren, als wäre ein irrer Axtmörder hinter ihnen her.

Aber Artie hatte etwas an sich.

Und August hoffte, dass es nicht nur die Hormone waren, die der junge Mann durch seinen Körper rasen ließ. Artie war nun mal der Typ Mann, auf den August ansprang. Durch und durch. Total niedlich und unschuldig. So, wie Lincoln bei ihrer ersten Begegnung ausgesehen hatte, bevor Linc entschieden hatte, sich eine harte Fassade zuzulegen. Gott.

»Ich hab nicht mal was getan.« Und dann schwankte Artie so weit zu einer Seite, dass August dachte, der Junge würde gleich in Ohnmacht fallen. Er streckte die Arme aus, aber wegen dem Tresen zwischen ihnen war er nicht nahe genug, um Artie helfen zu können.

»Es ist alles Willies Schuld!« Artie schwankte zur anderen Seite.

Willie? Wer um alles in der Welt war Willie?

»Ich habe kein Gras geraucht. Ich rauche gar nichts. Ich habe ihm gesagt, er soll seine Musik nicht so laut drehen!«

Jetzt schwankte Artie vor und zurück wie eine Palme im Wind.

»Wie bitte?«

August wandte sich um und sah, dass Arties Freund wieder da war und vom einem Fuß auf den anderen trat, als müsste er dringend pinkeln. Russ? Nein, Ross. »Ja?«, fragte er.

»Können wir endlich zur Sache kommen? Ich meine, kann ich unterschreiben, was ich unterschreiben soll? Ich komme zu spät zur Arbeit.« Er schielte auf sein Handy hinunter. »In vier Minuten.«

Arties Mundwinkel hoben sich und verwandelten seinen panischen Gesichtsausdruck in ein niedliches Lächeln. Es war verdammt sexy. »Ross! Wo kommst du denn her?« Er gluckste.

Dieser Junge ist wirklich durch und durch high. August schüttelte den Kopf, versuchte, nicht zu lächeln, und wandte sich an Ross. »Ich schätze, wir können Sie in ungefähr vier Minuten entlassen. Ich kann Sie aber nicht pünktlich zur Arbeit bringen.«

Ross nickte energisch und verlagerte sein Gewicht. August holte den Papierkram aus seiner Aktentasche, ließ Ross an verschiedenen Stellen unterschreiben und dann war Ross mit einem »Tut mir leid, Artie, ich muss los« zur Tür hinaus.

August erledigte den Rest seiner Aufgaben, nachdem er sichergestellt hatte, dass Artie wirklich eine Kreditkarte besaß. Er nahm Arties Zahlung mit seinem Handy an und ließ ihn dann wissen, dass er gehen konnte.

»Das war's?«, fragte Artie und seine Augen wurden erneut groß. »Es ist vorbei?«

»Na ja, dieser Teil«, sagte August. »Sie müssen immer noch vor Gericht.«

»A-aber was, wenn ich ins Gefängnis muss? Was soll ich dann machen?«

Eine Träne rollte über seine Wange und – Gott! – August war verloren. Dieser Blick! Wer konnte kein Mitgefühl mit diesem Jungen haben? Er sah so aus, als würde er es um jeden Preis vermeiden, einen Käfer plattzutreten, ganz zu schweigen davon, mit Drogen zu dealen. Garantiert würde er nicht davonlaufen. Wenn auch nur aus dem einzigen Grund, dass er wahrscheinlich zu viel Angst hatte. Jetzt gerade sah er aus, als würde er sich in die Hose machen, wenn August Buh! riefe.

Er hatte nicht vor, das zu tun.

Denn August Sterling hatte sich in Arties Augen verloren.

Unschuldig, dachte er. Arthur Bailey war unschuldig.

Er hatte Harry Bedfords Freundin und die Tatsache völlig vergessen, dass auch sie unschuldig ausgesehen hatte.

Bis sie ihm ein Messer in den Rücken gerammt hatte.

Als August seine Nachrichten abrief, sah er, dass ein weiterer Anruf reingekommen war, während er sich um Artie gekümmert hatte. Glücklicherweise lief alles glatt und die nächste Person, die eine Bürgschaft brauchte, zahlte prompt und höflich. Keine weiteren Anrufe danach und obwohl er sich vielleicht noch mal im Büro hätte melden sollen, wollte August raus aus seinem Smoking. Musste raus. Er verließ das Gebäude und stolperte beinahe über Arthur Bailey, der auf den Treppenstufen saß. Er lehnte sich ans Geländer und für einen Moment glaubte August, dass er schlief.

Er blieb neben ihm stehen. »Artie?«

Artie sah langsam zu ihm auf. »Ja?«

»Geht es dir gut?«

Artie schaute weg. »Neiiiiiin…«, lallte er.

August holte tief Luft, sah sich um und setzte sich neben Artie. »Was ist los?«

Stille.

»Ich bin so was von high. Herrjemine. Es ist Stunden her und ich bin immer noch high!« Er sah August an und da lag Angst, vielleicht Panik in seinen Augen. »Meinst du, ich könnte zu viel genommen haben? Könnte mein Hirn geschädigt sein? Bleibe ich jetzt für immer so?«

August lachte leise. Herrjemine? Echt jetzt? Es gab noch Leute, die das sagten? Seine Großmutter hatte immer herrjemine gesagt. »Nein.« Er legte Artie eine Hand auf die Schulter und drückte sie. Die Schulter fühlte sich härter an, als er gedacht hätte. Konzentrier dich! »Du wirst schon wieder. Du hast nur eine Menge Gras gegessen. Morgen bist du wieder fit.«

Artie erzitterte und schaute weg. »Das will ich hoffen.«

Dann dachte August an etwas, das ihm vorher nicht eingefallen war. Etwas, über das er sich normalerweise keine Gedanken machte. Etwas, das ihn letztendlich wirklich nichts anging.

»Kommst du irgendwie nach Hause, Artie?«

Artie schüttelte den Kopf. »Mein Auto ist bei meiner Wohnung.«

»Bus?«, schlug August vor.

Artie seufzte sehr tief und zeigte dann die Straße hinunter. »Ich hab's versucht. Aber als ich mir den Fahrplan angesehen habe, habe ich ihn nicht verstanden…«

Durch und durch high. August musste sich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Aber das wäre gemein, oder? Und Artie war wirklich hinreißend.

Bevor er wusste, dass er es tat, fragte August: »Hättest du gern einen Kaffee, Artie?«

Artie schaute auf, und oh, die Dankbarkeit, die dieses Gesicht erfüllte. »Oh ja…«

»Es gibt ein nettes Café nicht weit von hier, in das wir gehen können, The Radiant Cup. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«

Artie seufzte. »Du hast mich schon aus dem Knast geholt.«

»Das ist mein Job.«

Artie sah weg und nach einem Moment musste August sich fragen, ob Artie sich daran erinnerte, dass er hier war. »Artie?«

»Oh!«, quietschte Artie.

So, wie der Junge zusammenzuckte, hatte August wohl recht gehabt.

»Kaffee?«, fragte August.

Artie lächelte. »Ja, bitte.«

August stand auf, half Artie auf die Beine und führte ihn zurück zu seinem Auto auf dem Parkplatz am Ende der Straße. Artie gefiel der Wagen sichtlich, was schön war, denn es war ein älteres Auto, ein blauer Chevy Malibu, Baujahr 1972, mit zwei weißen Streifen auf der Motorhaube und einem weißen Textilverdeck. August hätte sich etwas Neueres und Schickeres leisten können – Lincoln konnte das definitiv –, aber dieses Auto hatte etwas an sich. Er fuhr es schon lange und kümmerte sich darum, als wäre es ein Kind. Es hatte seinem Vater gehört, der es ihm als erstes eigenes Auto geschenkt hatte. Er hatte das Gefühl, dass es ihm Glück brachte. Wie ein Talisman. Auf dem Rücksitz dieses Autos hatte er seine Jungfräulichkeit an einen anderen Jungen verloren und unwiderruflich und für immer entdeckt, was er seit einiger Zeit vermutet hatte – dass er schwul war. Er konnte sich einfach nicht von diesem Auto trennen.

»Ooh«, sagte Artie seufzend. »Ein Cabrio. Kann man es aufmachen?«

»Na klar.« Dann begriff August, dass Artie ihn wohl genau darum bat. »Soll ich?«, fragte er, als er Artie einsteigen ließ.

»Ja, bitte«, sagte Artie überschwänglich und voller Wärme und dieses Mal lachte August doch.

Er ließ das Verdeck herunter – wobei er wegen dem stechenden Schmerz in seiner Wunde zusammenzuckte –, stieg ein, startete den Motor und rollte aus der Parklücke in Richtung des Cafés…

Und bemerkte plötzlich, dass er noch seinen Smoking trug.

Einem Impuls folgend sagte er: »Artie, würde es dich stören, wenn wir noch kurz bei mir zu Hause vorbeischauen? Ich würde mich wirklich gerne umziehen. Ich trage nicht jeden Tag einen Smoking und ich weiß, dass die Leute mich im Cup anstarren werden und –«

»Mich stört gerade gar nichts«, sagte Artie und schmiegte sich in seinen Sitz.

August schaute ihn an und dachte wieder, dass er geradezu niedlich war. Das könnte ein Fehler sein… Er sollte ihn vermutlich einfach nach Hause bringen und…

Artie wandte sich ihm zu, lächelte albern und Augusts Herz galoppierte wieder davon. Er schluckte. Schwer.

»Es wird nur ein paar Minuten dauern.«

»Kein Problem«, sagte Artie und drehte sich dann so, dass er sehen konnte, wohin sie fuhren.

Sie hatten es nicht weit. Augusts Loft war nicht weit entfernt vom Crown Center. In den 1920ern war es ein großer, weitläufiger, dreistöckiger Büro-Komplex gewesen, ganz aus Backsteinen und wuchtigen Holz- und Stahlbalken. Durch den Umbau waren überraschend schöne Apartments entstanden.

Aus einer Laune heraus hatte er sich eines angeschaut, das von einem süßen rothaarigen Kerl verkauft worden war, und hatte sich sofort verliebt. Natürlich hatten die Kunstwerke oder Möbel nicht dazugehört, aber der Kerl hatte ihm angeboten, ihm beim Dekorieren zu helfen. Letzten Endes hatte August das Apartment gekauft und ihn mit der Raumgestaltung beauftragt. Die Karte des Jungen hatte er immer gezückt, wenn Leute ihm sagten, wie sehr ihnen sein Apartment gefiel. Leslie Parks. Netter Kerl. Auch schwul. Hatte gerade einen niedlichen Bären geheiratet. Und August mochte es, sein Geld in die LGBT-Community zu investieren.

Artie schien die Wohngegend ebenfalls zu beeindrucken und obwohl August nicht der Typ war, der sich seine Besitztümer zu Kopf steigen ließ, konnte er nicht anders, als erfreut zu sein. Und wenn Artie die Wohnung von außen gefiel –

»Ich bin tausendmal hier vorbeigefahren und habe mich immer gefragt, wie es von innen aussieht!«

– drehte er förmlich durch, als er Augusts Apartment sah.

So niedlich!

August hatte Leslies Vorschläge angenommen und deshalb viel aus Leder und Chrom. Er mochte, wie männlich es wirkte, und Artie ging es genauso.

»Mann, das ist Mann!«, rief er aus. Er drehte sich zu August um, schob seine Hände in die Hosentaschen und wippte in seinen Vans vor und zurück. »Bist du ein großer, männlicher Kerl?« Dann wurde er so rot, dass August in Gelächter ausbrach.

»Hinsetzen!«, befahl August und zeigte auf die Couch. »Sofort.«

Artie setzte sich, immer noch errötet, und August ging ins Schlafzimmer und zog sich um. Ein großes orangefarbenes Fellknäul hatte sich auf seinem Bett zusammengerollt. Als er sich aus seiner Hose schälte, schob sich ein Kopf aus der orangen Mähne und bedachte ihn mit einem schimpfenden Miau! und einem wütenden Blick.

»Tut mir leid, Max. Ich hätte anrufen sollen!«

Max erhob sich und machte viel Aufhebens darum, wie er sich streckte, während August die Unterwäsche wechselte. Gerade, als er ein frisches Paar anzog – dunkelblaue Boxershorts – hörte er ein »Oh!« und sah Artie hinter sich stehen.

Dieses Mal war August derjenige, der errötete.

Arties Blick senkte sich auf Augusts Schritt, dann sah er wieder auf, eindeutig beschämt, die Augen weit aufgerissen. »Entschuldigung!«

Da war wieder dieses charmante Quietschen und August wusste nicht, ob er sich mit irgendetwas bedecken sollte oder nicht. Artie war jetzt so rot, dass es fast besorgniserregend war.

»Ich habe das Badezimmer gesucht, und dann habe ich diesen großen Verband an deiner Schulter gesehen, und ich… herrjemine!«

Er floh.

August stieg in eine alte Jeans mit einem großen Loch an einem Knie, zog sich ein Sweatshirt über und folgte Artie barfuß zurück ins Wohnzimmer.

Artie sah von der Couch aus zu ihm auf, sagte noch mal »Entschuldigung« und biss sich auf die Unterlippe.

August lachte wieder. Er konnte nicht anders.

»Ist schon okay. Ich hätte die Tür nicht offen lassen sollen.« Es war einfach so lange her, seit er jemanden hiergehabt hatte.

Artie schaute auf Augusts nackte Füße hinunter und dann wieder hoch. »Himmel, bist du sexy«, sagte er. Oder zumindest glaubte August, dass es das war, was er gesagt hatte. Es war leiser als ein Flüstern. Aber dann war er wieder leuchtend rot und August dachte, dass er wohl genau das gesagt hatte. Als Artie das Gesicht in den Händen vergrub und aufstöhnte, trug das nur dazu bei, seine Vermutungen zu bestätigen. Und wieder konnte er nicht anders, als erfreut darüber zu sein.

Was machst du da, verdammt noch mal?, ertönte eine Stimme in seinem Kopf – Lincolns Stimme. Bist du verrückt? Du wirst nur wieder verletzt werden. Und davon abgesehen ist er ein Kunde!

Ja, ja wahrscheinlich, und ja. August wusste das. Wusste das alles. Aber Himmel – und er fühlte, wie seine eigenen Wangen wieder warm wurden –, Artie hielt ihn für sexy.

Er ist total high. Vergiss das nicht! Artie könnte im Moment auch Max sexy finden.

August räusperte sich. »Äh… Kaffee. Ähm. Soll ich dir einfach einen machen? Ich habe echt guten Kaffee da.«

»Ja, bitte«, sagte Artie gedämpft.

August lächelte und ging in die Küche – mehr Metall und glänzender Stahl –, holte eine Tüte aus dem Schrank, mahlte eine Schaufel Bohnen und schaltete dann die Kaffeemaschine ein. Als er zurückkehrte, um Artie zu fragen, wie er seinen Kaffee trank, schlief der Junge. So schnell.

Enttäuschend. Aber Himmel noch mal. Artie hatte in den letzten zwölf Stunden eine Menge durchgemacht. Und er sollte keine Unterhaltung weiterführen, die mit Himmel, bist du sexy anfing. Das wäre wirklich unmoralisch.

Sehr vorsichtig half August Artie in eine gemütlichere Position, zog ihm die schwarz-weiß gestreiften Vans von den Füßen und wickelte ihn in die Decke, die seine Mutter für ihn gehäkelt hatte.

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