Kitabı oku: «Der Meerkönig», sayfa 8

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Dieser Art war das Selbstgespräch, welches der Doctor führte, und so weit war er auch ungefähr mit seinen Betrachtungen gekommen, als die Gräfin vollständig reisefertig in der Thüre erschien. Ihr auf dem Fuße folgte mit einem umfangreichen Bündel eine ältere Dienerin, die den Auftrag erhielt, ihre Last sogleich in den Wagen zu legen.

Der Doctor zögerte darauf nicht länger. Nachdem er noch einen zufriedenen, fast zärtlichen Blick auf Renate geworfen, in deren lebhaften Augen die hohe Theilnahme glühte, welche sie schon jetzt für eine ihr noch vollständig unbekannte Sache hegte, schritt er ihr voraus der Thüre zu.

Ein Diener, auf dem Arme den Ueberrock des Doctors, schloß sich ihnen auf der Treppe an, doch bequemte der alte Herr sich erst unten auf der Hausflur dazu, den Rock, und zwar, nach Zurückweisung jeder Hülfe, anzuziehen, und einige Secunden später saß er neben der Gräfin im Wagen. Er bezeichnete sodann noch die Stelle, auf welcher der Wagen halten solle, und in raschem Trabe eilten die Pferde durch die erleuchteten Straßen dem in nur spärlich durch trübe Laternen unterbrochenem Dunkel daliegenden verrufensten Stadttheile zu.

7. In der Höhle des Elends.

In jeder großen oder auch nur größeren Stadt, gleichviel, in welchem Lande und welchen Namens, befinden sich Straßen, die vorzugsweise dem Geschäftsverkehr eingeräumt sind, und andere, in denen der Scheinglanz irdischer Größe und des Reichthums seine dauernde Wohnung aufgeschlagen hat. Wieder andere und durch ihr zum Theil rußiges Aeußere weniger einladende Stadttheile erweisen sich als die Asyle der im Kleinen schaffenden Gewerke, in welchen die Nähnadel geschwungen, der Schusterpfriemen gehandhabt und vor winzigen Essen rothglühendes Drahteisen in kurze und lange, kopflose und dickköpfige Nägel verwandelt wird.

Noch andere Gassen und Gäßchen zeichnen sich dadurch aus, daß in ihnen Haus bei Haus die Thüren mitgetragenen und funkelnagelneuen Kleidungsstücken so dicht verhangen sind, daß sie kaum noch einen Durchgang gewähren, während die trüben Schaufenster ganze Arsenale von verrosteten Säbeln, verbogenen Czako's, vergilbten und grün angelaufenen Tressen, Knöpfen und Epaulettes und verblichenen Uniformstücken zeigen.

Endlich aber auch stößt man auf zusammengedrängte Häuserreihen, in welchen Elend und Verbrechen heimisch sind und wohin die wärmenden und belebenden Sonnenstrahlen wie ermuthigender Trost und liebreiche Ermahnungen nur spärlich, sehr spärlich ihren Weg finden.

Was sollten auch wohl die Sonnenstrahlen in den engen Gassen und Höfen, wo ihre Wärme dazu dienen würde, den feuchten Kehrichthaufen giftige Miasmen zu entlocken? Was sollen Trost und Ermahnungen in branntweinduftenden Höhlen oder am Lager der Hungernden und Kranken, die nur in der erstarrenden Hand des Todes ihren letzten Trost erblicken und sich durch das Ersinnen und Ausführen von Verbrechen gleichsam an der gefühllosen Welt zu rächen suchen? Wer aber unter solchen, die von einem freundlichen Geschicke dazu berufen, vor festlich geschmückten und strahlenden Zuhörern und andächtig erhobenen Augen weise Betrachtungen über den barmherzigen Samariter anzustellen, möchte die mit Wohlgerüchen angefüllte Atmosphäre mit der dicken Luft in jenen scheußlichen Baracken, wenn auch nur auf Stunden, vertauschen, um mit der Erklärung des kindlichen Spruches: »Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher in das Himmelreich komme,« die Zeit zu vergeuden?

Wie Glanz und Reichthum ihre Privilegien besitzen, so sind auch dem Elende und dem Verbrechen ihre Vorrechte stillschweigend von der Gesellschaft zuerkannt worden, nämlich die Vorrechte, daß Seufzer und Klagen ungehört verhallen dürfen, die Augen der wachsamen Polizei gleich kalt über unverschuldete wie verschuldete Leiden hinwegschweifen und, außer der strengen Hand der Gerichtsbarkeit, sich Niemand in ihre inneren Angelegenheiten mischt.

Es ist daher auch überflüssig, die Wege, die nach jenen verrufenen Stadtwinkeln führen, genauer zu beschreiben. Derjenige, dessen Endziel in jenen finsteren Regionen liegt, wird sie früh genug und ohne weitere Anweisungen erreichen, und Andere, die höchstens von Neugierde beseelt sind, brauchen nur dem täglich in unabänderlicher Weise einherwogenden Menschenstrome zu folgen, um in weitem Umkreise um die Abscheu einflößenden Orte und Gegenden herum zu gelangen, wonach deren Lage dann leicht zu berechnen. Für diejenigen aber, die auf ungefährlichem Wege und ohne die von Laster und Krankheitsstoffen geschwängerte Luft einzuathmen, also durch Mittheilungen Anderer, sich Kenntniß von einzelnen Vorgängen in dem modernen Gomorrha zu verschaffen wünschen, für die genügt es, zu wissen, daß das Haus, in welches ihnen hier im Geiste Zugang verschafft werden soll, in einem engen Gäßchen liegt, welches eine andere, diesem sprechend ähnliche, nur viel längere Gasse quer durchschneidet und auf dem einen Ende sackartig ausläuft, mit dem andern Ende dagegen in eine düstere, vom Verkehr nur spärlich berührte Straße mündet. Das betreffende Haus scheint uralt zu sein; es ist wenigstens nicht denkbar, daß ein Gebäude, welches vier Stockwerke hoch hinaufreicht und dessen wenige kleine, fast gleichseitige Fenster willkürlich auf der umfangreichen Wand ohne die geringste Symmetrie angebracht wurden, in den beiden letzten Jahrhunderten errichtet worden ist. Auch die niedrige Lage der vergitterten Fenster des Erdgeschosses, sowie der Umstand, daß von der schmalen Hausthür aus gleich einige Stufen nach innen niederwärts führen, und daß an vielen Stellen der rußige Kalküberzug von dem mit verrosteten Nägeln und Drahtgeflecht bedeckten Fachwerk abgefallen ist, sprechen für das hohe Alter der unheimlich düsteren Baulichkeit.

Bei Tage scheint dieselbe ausgestorben zu sein, oder sie gleicht vielmehr einem alten Magazine, in welchem nur solche Gegenstände untergebracht werden, die man in vielen Jahren nicht anzurühren und noch weniger hervorzuholen gedenkt; denn so lange bleibt ein Vorübergehender nicht vor derselben stehen, um die einzelnen übernächtigen und von verwirrtem Haar umgebenen Gesichter zu bemerken, die gelegentlich hinter den erblindeten, theilweise mit Papier verklebten Fenstern vorübergleiten oder auch stiere, gleichgültige Blicke nach der Straße hinaus werfen. Kinder aber befinden sich zur Tageszeit nicht im Hause; sie sind fort, weit fort, nach Gegenden, wo man sie nicht kennt, theils um zu betteln, theils um dem ergiebigeren Gewerbe der Dieberei nachzugehen.

Doch auch an jenem kalten Winterabende, an welchem Doctor Bergmann die Gräfin Renate zu dem nächtlichen Ausfluge aufforderte, zeigte das unheimliche Haus nur wenig Leben auf der Straßenseite.

Alles war still hinter den düsteren Mauern, und die Stille war um so auffälliger, als durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden des unteren Geschosses schmale, wenn auch trübe Lichtstreifen die Anwesenheit von Menschen verriethen, während in den oberen Stockwerken hier und dort eine matte Beleuchtung durch die dick mit Eis belegten Scheiben in's Freie fiel.

Dort oben brauchte man keine Fensterladen, um das Treiben der Bewohner vor neugierigen, unberufenen Blicken zu verbergen, indem das gegenüberliegende, kaum sechszehn Fuß weit entfernte Haus mit seiner von keinem einzigen Fenster unterbrochenen Rückwand die Gasse begrenzte, das rußige Fachwerk also einen weit besseren Schutz gegen fremde Augen gewährte, als die Tausende und aber Tausende von Eiskrystallen, die auf den Scheiben in eine einzige Kruste zusammengefroren waren. Herrschte in dem Hause aber wirklich geräuschvolles Leben, so befand sich dasselbe nach dem Hofe hinaus, also durch zu viele Wände und Räumlichkeiten von der Straße getrennt, als daß die Ohren einzelner vorüberschreitender Wächter der öffentlichen Sicherheit dadurch hätten berührt werden können.

Wie schon erwähnt, führten von der Hausthür drei Stufen niederwärts auf die Hausflur, die als schmaler Gang die Straße mit einem kleinen Hofe verband. Der Hof bildete indessen keineswegs die Grenze des Grundstücks, sondern, sich an die Rückwand des nächsten Hauses anlehnend, erhob sich auf demselben eine Art Hintergebäude. Dasselbe, obwohl in einem Zustande gefährlicher Verwitterung, war in fast allen Theilen bewohnt, und zwar von Leuten, die, freier in ihren Bewegungen, sich wenig darum kümmerten, in wie hohem Grade der von ihnen erzeugte Lärm den engen Hofraum erfüllte.

Nur in dem einen Winkel zur ebenen Erde, der rechts von der windschiefen und lose in ihren Angeln hängenden Thüre lag, herrschte ein dumpfes Schweigen. Dasselbe bildete einen seltsamen Gegensatz zu dem wilden, summenden Geräusch in den übrigen Theilen der Baracke, aber auch zu dem hellen, flackernden Schein, der das ungleichseitige, mit lauter kleinen, geborstenen Scheiben ausgefüllte und dick beeiste Fenster transparentartig erglühen machte.

Zu der hinter diesem Fenster liegenden Räumlichkeit gelangte man, indem man sich nach mühsamem Hindurchwinden durch die von einer nur unwillig gehorchenden Thür versperrte Pforte gleich rechts wendete und mittelst eines nach außen hängenden dünnen Riemens eine hölzerne Klinke emporzog, worauf eine in allen Fugen bewegliche Thür knarrend nach innen wich und den Eingang offen legte.

Wer indessen, sei es nun aus Neugierde oder aus edleren Gefühlen, um fremdes Unglück kennen zu lernen, auf der morschen Schwelle angekommen wäre, der würde unwillkürlich gezögert haben, einzutreten, so ergreifend und zugleich zurückschreckend war der Anblick, der sich ihm bot.

Zwar brannte auf dem kleinen Feuerherd, der zugleich die Stelle des Ofens vertrat, ein helles, von frisch gespaltenem Holze genährtes Feuer, eine erträgliche Wärme in dem Gemach verbreitend; zwar lag neben dem Herde auf den halb vermoderten Dielen noch Holz genug, um das Feuer vierundzwanzig Stunden hindurch in derselben verschwenderischen Weise brennend zu erhalten, doch schwächte dies in Nichts den Eindruck ab, welchem ein fremder Beobachter bei der Wahrnehmung des übrigen Elends unterworfen gewesen wäre. Denn nicht nur war durch den plötzlichen Zusammenstoß der Wärme und der eisigen Kälte, in Folge dessen sich die Eiskrystalle auf den Wänden und der Decke in große Wassertropfen verwandelten, die Luft noch schwerer und ungesunder geworden, sondern auch der Mangel jeglichen Hausgeräthes, auch des allernothwendigsten, bewies, daß das Elend in seiner schrecklichsten Gestalt an diesem Orte seine Wohnung aufgeschlagen habe und man mit der Vorsehung hätte rechten mögen, daß menschlichen Wesen eine solche Stätte zum Aufenthalt dienen durfte. -

Vor dem niedrigen Herde stand ein Kind, ein Mädchen von etwa neun Jahren, ämsig damit beschäftigt, das Feuer zu schüren und zugleich den Inhalt eines neuen blechernen Kesselchens, welches mittelst einer von dem bleigefaßten Fenster losgebrochenen dünnen eisernen Stange über den Flammen befestigt worden war, zu überwachen.

Neben dem Feuer lagen mehrere Weißbrödchen, augenscheinlich dazu bestimmt, in die warme Milch gebrockt zu werden; doch hatte das Kind seinen Hunger nicht so lange zu bewältigen vermocht, und mit einer Mitleid erregenden Gier aß es von einem der Brödchen, welches es selbst während der Arbeit nicht aus der Hand legte.

Das arme Kind schien sehr, sehr hungrig zu sein. Wie viel Hunger und Kälte es aber in seinem zarten Alter schon erduldet hatte, das bezeugten die tief in ihre Höhlen zurückgesunkenen Augen, die bleiche, kränkliche Farbe der eingefallenen Wangen und vor Allem die schreckliche Hagerkeit der kleinen Glieder, die überall aus der den schmächtigen Körper nur theilweise verbergenden Lumpenhülle hervorlugten.

Kaum zwei Schritte von dem Feuer entfernt, auf einem Lager von dumpfigem Stroh und bedeckt mit einer Anhäufung von Lumpen, aus deren Form oder Farbe nicht mehr zu erkennen war, zu was sie ursprünglich bestimmt gewesen, lag die Mutter des Kindes.

Was bei dem Kinde zum tiefsten Mitleid hinriß und seiner Jugend wegen ein Gefühl schmerzlicher Rührung erweckte, das steigerte sich beim Anblicke der elenden, von schwerer Krankheit heimgesuchten Frau zu einer wahren Herzensangst, wenn man in deren matt glänzenden Augen noch immer den Ausdruck mütterlicher Liebe und Schmerzes las, mit welchem sie, trotzdem sie ihre Worte an eine andere Person richtete, die Bewegungen der stillen, gegen äußere Eindrücke fast abgestumpften Tochter verfolgte.

Die Lage des siechen Körpers entdeckte man kaum unter der Lumpenanhäufung; dagegen gewahrte man deutlicher, daß er, geschüttelt vor Fieberfrost und Kälte, heftig bebte und zuckte. Sonst erblickte man nur das hagere, geisterbleiche Antlitz mit dem wirren braunen Haar, den schmalen, bläulichen Lippen und den halb flehenden, halb trotzigen großen Augen.

An einen alten, dreibeinigen Tisch gelehnt, das einzige Hausgeräth, welches in dem höhlenähnlichen Gemache vorhanden war, und halb auf demselben sitzend, stand der Mann der Unglücklichen.

Verhältnißmäßig wohl gekleidet, wie er war, schien er nicht hierher zu gehören; dagegen lag in dem finsteren Blick der unter den buschigen, über der Nase in eine dicke Falte zusammengezogenen Brauen hervorlugenden Augen ein Ausdruck, der darauf hindeutete, daß er sich hier als Herr fühle und das Bewußtsein hege, nach Willkür über die außer ihm noch in dem Gemache befindlichen Geschöpfe verfügen zu können.

Sein Gesicht war knochig, doch nichts weniger, als von Noth und Entbehrungen gezeichnet. Es hätte vielleicht hübsch genannt werden können, wenn nicht eben wilde Entschlossenheit und brutale Gleichgültigkeit so scharf auf demselben ausgeprägt gewesen wären und die wulstigen, von einem stattlichen Schnurrbarte beschatteten Lippen und der ungewöhnlich weit vorstehende Unterkiefer der ganzen Physiognomie den Charakter gefährlicher Leidenschaftlichkeit und sittlicher Verderbtheit verliehen hätten.

Ein abgetragener, tief über die Stirne gezogener Hut erhöhte das Finstere seiner Züge; ein weiter Paletot hing lose um die breiten, kraftvollen Schultern und verbarg auf diese Weise seinen übrigen Anzug bis auf den untersten Theil der hellgrauen Beinkleider, die, offenbar ursprünglich nicht für ihn bestimmt und angefertigt, mittels schmaler Sprungriemen unter den schief getretenen Stiefeln sehr straff befestigt waren. In den Händen hielt er nachlässig eine kurze Pfeife mit silberbeschlagenem Maserkopf, und daß es ihm nicht an dem entsprechenden Tabak fehle, bewiesen die fettig glänzenden, grünen Schnüre eines Tabaksbeutels, die lang aus der einen, dick aufgebauschten Tasche seines Paletots niederhingen.

Augenscheinlich hatte er längere Zeit mit brutaler, fast thierischer Gleichgültigkeit auf die bitteren Klagen und Vorwürfe derjenigen hingehört, die er seine Frau nannte. Als dieselbe dann endlich vor Erschöpfung und Fieberkälte nicht weiter zu sprechen vermochte, wendete er seine Blicke mit Unheil verkündender Ruhe auf sie hin.

»Hoffentlich bist Du jetzt zu Ende mit Deinen Klageliedern, die Dir doch zu nichts helfen,« begann er, indem er die Pfeife an seine Lippen führte, sie jedoch, weil sie leer war, sogleich mit einer ungeduldigen Geberde niedersinken ließ; »bin ich vielleicht besser daran? Nein, viel schlechter; denn dort habt Ihr Euren Kessel Milch, den Ihr ungestört verzehren könnt, während ich mit Pfeife und Tabak hier stehe, ohne rauchen zu dürfen.«

»Aber der Doctor, was soll er von uns denken, wenn er bei seinem Eintritt den Tabak riecht?« fragte die unglückliche Frau mit dumpfer Stimme.

»Hole der Teufel den Doctor,« entgegnete der Mann zornig, »und Euch dazu, daß Ihr mir solche Leute auf den Hals zieht!«

»Dies sagst Du zu Deinem hungernden Kinde? Hättest Du für Brod gesorgt, würde das Kind nicht gezwungen gewesen sein, den fremden Herrn um eine Gabe anzusprechen, und daß derselbe das arme, vor Kälte und Hunger bebende Geschöpf bis in seine Wohnung begleitete, ist doch nicht unsere Schuld. Und welch ein Segen war es, daß er es hat,« fügte sie mit milderem Ausdrucke hinzu; »o, die Wärme thut so wohl, und nun gar noch die Aussicht auf die warme Milch! Sieh doch Riekchen, wie es ihr schmeckt; Du hast in Deinem Leben noch keinen Hunger gelitten, oder Du würdest besser für Brod sorgen.«

»Sorge für Brod, wenn der Verdienst schlecht ist und die Lebensmittel mit jedem Tage theurer werden!«

»Und dennoch kann Dein Verdienst nicht gering sein, wenn er Dir die Mittel giebt, in den Kellern Fleisch zu essen, Bier und Branntwein zu trinken und Karten zu spielen.«

Der Mann stieß als Antwort ein dumpfes Lachen aus.

»Sage mir wenigstens, wie Du Dein Geld verdienst und verdienen willst, und ich bitte den gütigen Herrn, daß er Dir Arbeit verschafft.«

Der Mann lachte wieder unheimlich; plötzlich aber färbte sich sein Gesicht braunroth und heftig rief er:

»Weib, was kümmert's Dich, wo ich mein Geld hernehme, seit Du auf dem Rücken liegst und selbst nichts verdienst? Aber merke Dir's, der Doctor braucht gar nicht zu wissen, daß Du noch einen Mann hast! Hörst Du, Rieke?« rief er darauf dem erschreckt zusammenfahrenden Mädchen zu, »wenn der fremde Herr Dich nach Deinem Vater fragt, so sagst Du, der sei seit Jahren todt; verstanden?«

Das Kind nickte ängstlich.

»Machst Du Deine Sache gut, bringe ich Dir ein neues Halstuch und ein Paar Strümpfe mit,« fügte er darauf mit milderem Ausdruck hinzu, und dann richtete er seine Worte wieder an die kranke Frau:

»Also Dein Mann ist seit Jahren todt, vergiß das nicht, es wird Dir's doppelt einbringen.«

»Damit Du es uns wieder nehmen kannst.«

»Schweig!« rief der Mann, heftig auffahrend, aus, und zugleich hob sich die geballte Faust, als ob er die in derselben befindliche Pfeife nach der Kranken habe schleudern wollen. »Wenn ich mir von dem Gelde des Doctors etwas Tabak und Branntwein kaufte, so ist das kein Unglück; wäre ich nicht so niederträchtig abgebrannt, daß ich schon heute bei einem Freunde zur Nacht essen mußte, würde ich es nicht gethan haben ...«

»Wir hätten nicht einmal ein Brodrinde gehabt.«

»Das wäre allerdings schlimm gewesen,« antwortete der Gauner, indem er einen halb bedauernden, halb zornigen Blick auf das Mädchen warf; »aber nun ist ja die größte Noth abgewendet, Ihr werdet satt gemacht, warm ist es auch, und Du hast daher keinen Grund, mich zu einer That zu reizen, die vielleicht nicht wieder gut zu machen wäre.«

»Ich Dich reizen?« fragte die Frau befremdet.

»Du brauchst Dich nicht zu verstellen, ich weiß Alles. Du hast geglaubt, ich läge in der Kammer und schliefe; aber ich schlief nicht, und ich will jetzt wissen, was Deine Brust so schwer bedrückt und was Du dem Doctor in Gegenwart eines Zeugen mitzutheilen und zu übergeben beabsichtigst.«

Bei dieser Anrede wurde das Gesicht der Frau noch fahler, und indem sie sich vergeblich bestrebte, ihre wachsende innere Unruhe zu verbergen, brachte sie mühsam heraus: »Ich weiß von nichts.«

»So, also Du weißt von nichts? Gut, so werde ich Dein Gedächtniß auffrischen. Du sagtest zu dem Doctor, Du habest ihm eine Mittheilung von der größten Wichtigkeit zu machen; es sei ein Geheimniß, welches Du nicht mit hinübernehmen könntest, im Falle Du sterben solltest, da das Wohl und Wehe anderer Menschen davon abhänge. Er möchte aber noch einen sichern Zeugen, jedoch keinen vom Gerichte, mitbringen, der später Deine Worte bekräftigen könne. Auch wollest Du ihm einen Beweis für die Richtigkeit Deiner Aussagen übergeben. Ich merkte wohl, um den Zeugen war es Dir gar nicht so sehr zu thun. Du wolltest nur den Doctor veranlassen, wiederzukommen, selbstverständlich zu einer Zeit, in welcher ich nicht zu Hause sei, damit die ganze Geschichte hinter meinem Rücken abgemacht werden könne. Der Doctor kam Dir wie gerufen. Solche noble Leute betreten nicht alle Tage unsere Wohnung. Das hattest Du indessen nicht erwartet, daß der quecksilberne Doctor noch in dieser Nacht mit seinem Zeugen zurückkehren würde, eben so wenig warst Du aber auch darauf vorbereitet, daß ich die Nacht in Deiner Gesellschaft zuzubringen wünschte. Hast mir zwar Winke genug gegeben, außerhalb zu nächtigen; allein warum sollte ich gehen? Ist es doch warm hier und steht mir außerdem die Freude bevor, Euch endlich einmal wieder nach Herzenslust essen zu sehen! Du begreifst also, ich habe kein Wort von Deiner Unterredung mit dem Doctor verloren, sei daher gut und vertraue mir Dein Geheimniß an.«

»Ich weiß nichts,« flüsterte die Frau, die, so lange ihr Mann sprach, mit dem Ausdruck des Entsetzens und ohne ihn zu unterbrechen zugehört hatte.

»Du weißt nichts, so - ist das Dein letztes Wort?« fragte der Gauner höhnisch, indem er seine Pfeife in die Tasche schob.

»Ich weiß nichts, und wüßte ich Etwas, würde ich es nicht sagen, und wenn Du mich todtschlügst!«

»Hm, das Todtschlagen würde mir nicht viel helfen; Dein Geheimniß ginge für mich verloren, und ich hätte alle Aussicht, gegen meinen Wunsch freies Quartier zu erhalten. Nein, nein, so dumm sind wir nicht! Ich besitze andere und durchgreifendere Mittel, Dich sprechen zu machen. Ich werde mit Riekchen, anstatt daß es die warme Suppe verspeist, einen kleinen Spaziergang auf's Land machen und dabei etwas schnell gehen. Kann es mir dann nicht folgen, so ist es seine eigene Schuld, und ich will nur wünschen, daß es nicht ermüdet und sich hinsetzt; dergleichen ist nämlich gefährlich bei kaltem Wetter. Nicht wahr, Riekchen?«

Das Kind heftete einen blöden Blick auf den grausamen Vater und nickte zustimmend. Die Mutter dagegen warf sich mit einem schmerzlichen Stöhnen auf die Seite; dann aber sich mit letzter Kraft in eine sitzende Stellung emporrichtend, rief sie entsetzt aus:

»Elender, Du wirst Dein Kind nicht ermorden wollen! - Ich weiß nichts, ich sage Dir, ich weiß nichts! Rühre das Kind an, und ich schreie alle Leute im Hause zusammen!«

»Von Ermorden ist keine Rede,« antwortete der Mann entschieden, »und schreien kannst Du so viel, wie Du willst; unsere Nachbarn werden sich nicht sehr erheblich um Deinen Feuerlärm kümmern, und den möchte ich sehen, der mir wehren wollte, mit meinem leibeigenen Kinde einen Spaziergang zu machen! Also entscheide Dich; Du weißt, ich spaße nicht lange. Willst Du sprechen oder nicht?«

»Ich kann nicht, ich darf nicht, Du würdest mich und Andere unglücklich machen, nein, nein! Du bist der Letzte, der es wissen darf!«

»So, ich also der Letzte?« wiederholte der Mann zähneknirschend. »Gut, dann kann ich Dir nicht helfen!« Und so sprechend, schritt er nach dem Feuerherde hin und mit rauhem Griff faßte er seine Tochter an der Hand.

»Laß mich essen,« versetzte das Kind, sich sträubend, »ich habe Hunger, und die Milch wird gleich überkochen.«

»So, nun wird sie nicht mehr überkochen,« erwiderte der unnatürliche Vater, indem er den Kessel vom Feuer nahm. Deine Mutter kann die schöne, warme Suppe allein essen; wir haben noch einen Gang vor uns - komm, komm.«

»O, laß mich, laß mich,« flehte das Mädchen, in Thränen ausbrechend, »es ist hier so warm und draußen liegt tiefer Schnee!«

»Mein Kind!« schrie die Mutter heiser, »Elender, schone das Kind!«

»Willst Du sprechen?« fragte der Mann zurück, während er das jammernde Mädchen nach der Thüre hinzog.

»Ich kann nicht!« stöhnte die Mutter. Als aber die Thür sich öffnete und der Mann eben hinaustreten wollte, brach ihre letzte Kraft. Mit einem dumpfen Schrei sank sie hintenüber, und kaum besaß sie noch Leben genug, mit röchelnder Stimme zu versichern, daß sie Alles sagen wolle, was er nur irgend zu wissen wünsche.

»Wirst Du mir auch das Beweismittel zeigen, von dem die Rede war?« fragte der Gauner ruhig.

»Alles, was Du willst,« lautete die kaum verständliche Antwort.

»Ich wußte wohl, daß Du nachgeben würdest,« versetzte der Mann kaltblütig, indem er das Kind losließ und die Thür wieder schloß; »es sollte mir auch Riekchen's wegen leid gethan haben. Aber, Riekchen, nun esse so viel Du irgend kannst und magst, und kümmere Dich nicht um das, was ich mit Deiner Mutter spreche.«

Auf den Befehl seines Vaters suchte das Kind einen verrosteten Löffel aus einem Winkel hervor und begann mit Behagen von der Suppe zu essen, während der Mann ein Töpfchen voll Milch aus dem Kessel abgoß und es der halb ohnmächtigen und an allen Gliedern bebenden Frau darreichte.

Nachdem die Frau sich durch einen langen Trunk gekräftigt, kauerte er sich neben sie nieder, sie auffordernd, nun ohne Umschweife ihr Geheimniß zu enthüllen.

Die von körperlichen Leiden und Seelenqualen gefolterte Frau fragte: »Du bist also unerbittlich?«

»Unerbittlich,« lautete die ruhige Antwort.

»So mag es darum sein. Mögest Du indessen nie einen schlechten Gebrauch von meinem Geheimnisse machen, denn aller Fluch, der darauf folgt, fällt nicht nur auf Deine Seele, sondern vielleicht auch auf Dein Haupt zurück!«

»Laß nur immer fallen,« schaltete der Bösewicht gleichmüthig ein, und die Frau, als ob sie die Bemerkung nicht vernommen hätte, fuhr fort:

»Du weißt, wo ich mich vor unserer Verheirathung aufhielt und daß ich auf redliche Weise meinen Unterhalt verdiente.«

»Das sind Nebensachen,« bemerkte der Mann ungeduldig. »Ich will wissen, um was es sich hauptsächlich handelt; beeile Dich daher, damit Du zu Ende kommst, bevor der Doctor wieder eintrifft.«

»Ja ja, ich will. So unbescholten, wie die Leute mich hielten, war ich indessen nicht ...«

»Was ich auch nie geglaubt habe,« versetzte der Mann, brutal lachend.

»Nein, ich hatte eine schwere Schuld auf mich geladen, indem ich für Geld und auf Zureden eines vornehmen Mannes mich verleiten ließ, heimlich in die Stube des alten Pfarrers, bei dem ich diente, einzudringen und ein Blatt aus einem nicht mehr im täglichen Gebrauche befindlichen Kirchenbuche zu entfernen. So, das ist mein ganzes Verbrechen, und es ist groß genug, mir meine Ruhe auf ewig zu rauben!«

»Ich sehe die Größe des Verbrechens gerade nicht ein,« entgegnete der Gauner, seine Frau immer aufmerksamer betrachtend. »Es handelt sich zuerst darum, zu welchem Zwecke das lumpige Papier gestohlen wurde. Man muß doch einen Grund gehabt haben?«

Die Frau sann eine Weile nach - offenbar hatte sie gehofft, ihren Mann durch dieses Geständniß zufriedenzustellen. Als sie aber in seinen Augen ein hartnäckiges Bestehen auf seinen einmal gefaßten Entschluß las, hob sie wieder an: »Den eigentlichen Zweck habe ich nie erfahren, ich glaube aber, es betraf die Gültigkeit einer Ehe; denn der mir ertheilte Auftrag lautete dahin, das Blatt, auf welchem zwei mir angegebene Namen als die zweier Getrauten standen, herauszureißen.«

»Und die Namen?«

»Ich habe sie vergessen.«

»Nun, vielleicht fallen sie Dir später ein; erzähle nur weiter. Der Diebstahl gelang also?«

»Ja, leider gelang er, und ich glaube, es ist für manchen Menschen viel Unheil daraus erwachsen.«

»Du erhieltst indessen Deine Bezahlung und liefertest das Blatt ab?«

»Ich erhielt den versprochenen Lohn, doch das Blatt wies man mit Entrüstung zurück. Man warf mir vor, meine Verführer mißverstanden zu haben, indem nie ein derartiges Verbrechen von mir verlangt worden sei und man nur eine Abschrift gewünscht habe. Man drohte mir sogar mit gerichtlicher Verfolgung, und als ich in meiner Verzweiflung um Erbarmen bat - denn ich sah mich im Geiste schon im Zuchthause - da versprach man mir, zu schweigen, wenn auch ich reinen Mund halten und das Blatt nicht an mir zum Verräther wolle werden lassen. Ich sah mich vom Rande eines Abgrundes zurückgerissen und betheuerte in meiner Freude Alles. Damals begriff ich nicht, daß man ein frevelhaftes Spiel mit mir getrieben haben könne, um sich meiner Verschwiegenheit zu versichern; denn lieber wäre ich hundert Male gestorben, ehe auch nur eine Silbe über meine Lippen gekommen wäre, die zur Entdeckung des Diebstahls geführt hätte. Dabei besaß ich aber doch nicht den Muth, das unheilvolle Blatt zu vernichten, und mit einer unbesiegbaren Angst habe ich es bis auf den heutigen Tag aufbewahrt.«

»Du besitzest also das fragliche Blatt noch?«

»Ja - nein - ich weiß nicht, wo es geblieben ist; es ist mir abhanden gekommen.«

»Schon gut, schon gut; erzähle nur weiter.«

»Das ist Alles; ich dachte, es wäre genug; für mich wenigstens ist es die langen Jahre hindurch mehr als zu viel gewesen,« entgegnete die Frau, mit allen Zeichen tödlicher Erschöpfung die Hände über der ihre Brust bedeckenden Lumpenhülle faltend.

»Merkwürdig, sehr merkwürdig,« versetzte der Gauner, indem er seine Frau mißtrauisch von der Seite betrachtete, »um solche Kleinigkeiten so viel Aufhebens zu machen. Ich begreife überhaupt nicht, wie Du Dich deshalb auch nur einen Augenblick hast beunruhigen können.«

»Du begreifst das nicht?« fragte die Frau, die großen, eingesunkenen Augen vorwurfsvoll auf ihren Mann richtend. »Du begreifst nicht, daß die Strafe dem Verbrechen auf dem Fuße nachfolgte, der Segen von mir wich und ich mit meinem Kinde dem gräßlichsten Elende anheimfiel, weil ich mit ruchloser Hand die Kirche bestahl? Freilich, in Deinen Augen mag die schändliche That gerechtfertigt erscheinen, denn Du hast keine Ahnung davon, was es heißt, sich täglich, ja, stündlich eingestehen zu müssen, daß man vielleicht fremde, unbekannte Menschen in's Unglück stürzte. Ich habe so lange darüber nachgedacht, bis mir endlich Alles klar geworden ist; es handelte sich um einen Betrug, um die Schändung eines ehrlichen Namens, und ich - ich bin als Werkzeug dazu benutzt worden, denn ohne meine Hülfe hätte dergleichen nie geschehen können.«

»Narrheiten,« warf der Gauner gleichgültig ein; »Du hast gehandelt wie ein gescheidtes Mädchen. Diejenigen, die Dich bezahlten, haben die Folgen Deines Diebstahls zu verantworten, und nicht Du. Auch wenn Du Dich nicht zu dem Geschäft verstanden hättest, würden Hunger und Elend Dich zu finden gewußt haben. Du warst eben nicht praktisch, hattest ein zu zartes Gewissen, oder es wäre anders mit uns geworden. Aber noch immer begreife ich nicht, wie Du auf den verrückten Gedanken gekommen bist, einem fremden Menschen die ganze Geschichte zu erzählen. Denn bringt er Dich auch nicht vor Gericht - wie ein Spion sah er mir wenigstens nicht aus -, so hast Du doch auch keinen Vortheil davon.«

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