Kitabı oku: «Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas», sayfa 50
Zweiunddreißigstes Kapitel
Übergang über den Rio Grande — Lager auf dem linken Ufer — Die amerikanischen Soldaten — Die Fandangos — Des Doktors Sturz — Das Corpus-Christi-Fest — Zusammentreffen mit einem alten Bekannten — Erzählung von Erlebnissen in Illinois und New Orleans — Winkels Geschichte und seine Pläne für die Zukunft — Lieutenant Ives‘ Rückkehr von Santa Fé — Seine Instruktionen — Lieutenant Ives‘ Abreise nach Kalifornien — Letzte Vorbereitungen zur Reise durch die Prärien
1. Juni. Das breite Fährboot hielt dicht vor unserem Lager, unsere Sachen waren gepackt und zum Einschiffen bereit, ruhig weideten die Maultiere, und nachdem wir das Frühmahl beendet hatten, begab sich alles rüstig an die Arbeit. Unsere Equipage wurde zuerst verladen, ihr nach folgten wir selbst und so viele Leute, wie das Fahrzeug ohne Gefahr zu tragen vermochte, und auf das Signal: »Alles fertig!« wurde das Boot gelöst. Kaum aber schlüpfte das Tau durch den Ring, als die Strömung das Fahrzeug erfaßte und es mit der Gewalt und der Schnelligkeit einer Lokomotive, in schräger Richtung zur Mitte des Flusses hinter eine sichtbare Sandbank führte. Der Andrang des Wassers hatte dem Boot einen solchen Schwung gegeben, daß es bis in das stille, seichte Wasser hinter der Insel glitt, wo dann die Fährleute zusammen mit unseren Knechten über Bord sprangen und das Fahrzeug auf der Ostseite der Insel stromaufwärts schleppten. Es war eine harte, ermüdende Arbeit, doch gelangten wir endlich an den Punkt, von wo aus die Strömung nach dem linken Ufer hinüberdrängte, und uns derselben abermals anvertrauend und mit Ruderstangen nachhelfend, erreichten wir schnell und glücklich die Ausladestelle, in deren Nähe wir sogleich zur Errichtung unseres Lagers schritten.
Mehr Mühe verursachten die Maultiere; die ganze Herde wurde nämlich an der Abfahrtsstelle in einen dichten Haufen zusammengetrieben, die beiden Leitpferde an den bereitliegenden Kahn gefesselt und auf ein gegebenes Signal der Kahn losgebunden; die Pferde wurden ins Wasser gestoßen und mit Peitschen und Schreien die Maultiere den Fluten zugedrängt. Als diese aber sahen, mit welcher Eile die Fluten den Kahn samt den Pferden fortführten, erschraken sie, wandten sich um, durchbrachen die Reihe der Leute und zerstreuten sich auf der Wiese.
Die beiden Pferde waren unterdessen glücklich auf der Insel gelandet worden, worauf sich die Fährleute wieder zurückbegaben, um ohne diese und nur mit deren Glocken versehen einen neuen Versuch zu unternehmen. Dieses Mal glückte es besser, denn einige der vordersten wurden von ihren nachdrängenden Gefährten ins Wasser gestoßen, und die anderen folgten dann williger nach. Es lag etwas Komisches in dieser Szene, wie die Tiere eins nach dem anderen mit der Schnelligkeit eines Pfeils fortgerissen wurden und wie sie die Nasen und die langen Ohren hoch emporreckten und sehnsüchtig nach dem Kahn hinüberschauten, in dem ein Mexikaner mit den beiden Leitglocken aus voller Kraft läutete und die Herde gleichsam zur Ausdauer anfeuerte. Wohlbehalten erreichte die ganze Gesellschaft die Sandinsel, und den Weg von dort zu uns herüber legte sie in gleicher Weise ohne Unfall zurück, so daß wir um die Mittagszeit mit unserer ganzen Expedition den Rio Grande hinter uns hatten und unsere Aufgabe als glücklich beendet betrachten durften.
Hier nun, auf dem linken Ufer des Stroms, befanden wir uns also wieder bei den vollen Fleischtöpfen; doch auch unsere Tiere, denen vom Fouragemeister in Albuquerque Heu und Mais im Überfluß verabreicht wurden, waren plötzlich aller Not enthoben. An demselben Tag suchten wir uns übrigens zur Reise durch die Prärien die vierzehn besten und kräftigsten Reit- und Zugtiere aus, um diesen im Lager die aufmerksamste Pflege angedeihen zu lassen, während die übrigen dem Quartiermeister des Postens übergeben wurden, der sie sogleich seiner Herde einverleibte.
Unser Aufenthalt im Lager vor Albuquerque dauerte neun Tage, und wir verbrachten diese Zeit teils in der Stadt in der Gesellschaft der Offiziere, die sich als liebenswürdige und gastfreie Leute zeigten, teils in unserem Lager, wo wir uns dann mit den Vorbereitungen zu unserer Reise beschäftigten. Zu den Vorbereitungen gehörte mancherlei; wir übergaben den Fluten des Rio Grande, was unbrauchbar geworden war, besserten schadhafte Gegenstände aus oder ersetzten sie durch neue und umgaben uns zu gleicher Zeit mit all dem Luxus, den Albuquerque aufzuweisen hatte.
Die Nähe der Stadt mit ihren Trinkstuben gereichte uns in mancher Beziehung aber auch zum Ärger, denn zu jeder Zeit des Tages fand man im Lager betrunkene Soldaten, die auf geräuschvolle Weise miteinander haderten und uns besonders dadurch belästigten, daß sie sich ständig Geld von uns borgten. Anfangs willfahrten wir ihren Wünschen, weil wir wußten, daß sie seit ihrer Abreise von Fort Yuma aus den natürlichsten Gründen keine Löhnung empfangen hatten. Als wir aber bemerkten, daß sie ihre Decken und sonstigen Gegenstände an die Mexikaner für Whisky verhandelten und vertauschten, blieben wir taub gegen die Bitten und Versprechungen dieser leichtsinnigen Gesellen, und zwar zu unserem eigenen Vorteil, denn von dem, was wir schon geliehen hatten und was sich zusammen auf eine namhafte Summe belief, erhielten wir nie etwas wieder. Auch an die betrunkenen Soldaten gewöhnten wir uns, und um so leichter, als wir unser kleines Lager etwas abgesondert von dem ihrigen aufgeschlagen hatten und sie anwiesen, sich fern von uns zu halten.
Zwei Irländer, die uns in der Eigenschaft als Koch und als Diener von San Franzisko aus begleitet hatten, und die große Lust bezeigten, nach den Vereinigten Staaten zurückzukehren, behielten wir in unseren Diensten, und zu diesen mieteten wir noch einen jungen, rüstigen Amerikaner, der uns als ein tüchtiger Wagenführer empfohlen worden war. Er erhielt sogleich seine acht Maultiere nebst einem starken Wagen, und er fand hinreichend Beschäftigung, indem er sich mit allem vertraut machte, die Tiere beschlagen ließ — mit einem Wort sich sorglich zu der bevorstehenden Reise einrichtete. Mit Ungeduld erwarteten wir nun noch die Rückkehr des Lieutenant Ives, um die letzten Anordnungen zu treffen und demnächst nach Santa Fé aufzubrechen, wo wir gemeinschaftlich mit Peacock einige alte Bekannte desselben zu besuchen und noch einen Vorrat von Lebensmitteln einzulegen beabsichtigten.
Wir ließen uns indessen nicht abhalten, alle Vergnügungen zu genießen, die uns in Albuquerque geboten wurden, und dahin gehörten in erster Reihe die Fandangos, zu denen uns regelmäßig Einladungen zugingen. Wir unterhielten uns bei solchen Gelegenheiten vortrefflich, und wenn ich auf die niedlichen Mexikanerinnen schaute, die ich schon vor vier Jahren als graziöse Balldamen kennengelernt und mit denen ich mich vielfach im raschen Walzer herumgeschwungen hatte, dann war es mir, als wenn erst ebenso viele Tage verflossen seien, denn frisch und blühend wie damals lächelten mir entgegen die schwarzäugige Schata, die rotwangige Juanita und wie sonst noch die Señoritas alle hießen. Ihre Reihe hatte neuen Zuwachs erhalten, aber die alten Veteranen im Kranz hübscher Mädchen sahen nicht weniger blühend und frisch aus als die jungen Nachkömmlinge und wetteiferten mit diesen in kindlichen Manieren und Bewegungen, geradeso wie in der ganzen Welt, nur daß hier die Kunst, sich zu konservieren und die Zeit um einige Jahre scheinbar zu betrügen, einen höheren Grad erreicht hatte, einen Grad, um den manche Schönheit der verfeinerten Zivilisation die armen Señoritas gewiß beneidet haben würde.
Lag es nun an der besseren Schminke oder am Klima, daß die alten Mädchen in Albuquerque jugendlicher erschienen als ihre Altersgenossinnen in östlicheren Regionen — ich weiß es nicht zu sagen; wohl aber weiß ich, daß fehlende Haare und Zähne in Neu-Mexiko nicht durch die Kunst ersetzt werden müssen, denn überall erblickte ich natürliche Haarzöpfe, wie sie nicht schöner aus der Werkstatt eines talentvollen Haarkräuslers hervorgehen, und Zähne so weiß und schön, wie sie die berühmteste Fabrik nicht besser zu liefern vermag.
Traf ich auf den Fandangos viele bekannte Jungfrauen, so waren mir die Musikanten nicht weniger bekannt, denn ich erblickte hier den pergamenthäutigen alten Mann mit seiner Harfe, den schwarzlockigen Jüngling, dem unterdessen ein spärlicher Bart gesproßt war, mit der Gitarre; dann erkannte ich auch den alten Violinisten sowie den Klarinettisten, und beide gaben wie früher noch immer dieselben kreischenden Töne auf ihren Instrumenten, die mehr geeignet waren, den nüchternen Gast in die Nebenstube ans Büffet als auf den Tanzplatz zu treiben. Am Büffet, nun ja, da gab es für schwere, klingende Münze El-Paso- und Champagnerwein, auch Brandy und Whisky sowie Kuchen, alles ganz genauso wie früher; und ebenso wie früher drängte sich dort eine überaus vergnügte Gesellschaft durcheinander.
Um die Mitternachtsstunde verließen wir Auswärtigen gewöhnlich das geräuschvolle Leben, bestiegen unsere Maultiere, die vor der Tür geduldig unserer harrten, und aufgestachelt von einem Anfall froher Laune oder von dem Wunsch, recht bald das drei Meilen entfernte Lager zu erreichen, stellten wir dann ein nächtliches Wettrennen an, bei dem wir nur die Sporen gebrauchten und es dann den Tieren überließen, uns in nächster Richtung ans Ziel zu bringen.
»Wir werden uns mit dergleichen Kindereien noch alle das Genick brechen«, sagte eines Abends Egloffstein, als wir in wilder Jagd die Stadt verließen; wir übrigen fanden diese Bemerkung durchaus weise und zweifelten nicht daran, daß es wirklich dazu kommen würde, rieten uns gegenseitig, das Rennen einzustellen und langsamer zu reiten, wobei aber jeder die Sporen seinem Tier tiefer in die Weichen drückte. Plötzlich verschwand jedoch der schwarze Schatten des Doktors und seines Tiers aus unserer Mitte, und gleich darauf vernahmen wir ein tiefes Stöhnen hinter uns auf der Straße.
Wir hielten an, ritten zurück und fanden des Doktors Maultier zwar wieder auf den Füßen, aber der unglückliche Reiter lag wie leblos auf dem tennenähnlichen, festen Boden. Kein geringer Schrecken bemächtigte sich unser, als wir den Doktor aufrichteten und fast unfähig zum Gehen fanden. Da wir erst eine kurze Strecke von den Baracken der Garnison entfernt waren, so erschien es uns am geratensten, den Patienten sogleich zurückzubringen und in ärztliche Behandlung zu geben. Nach vielen Umständen erhielten wir endlich ein Bett, den Garnisonsarzt und einen Wärter, und als wir uns überzeugt hatten, daß außer einem Bruch des Backenknochens und einer Art von Skalpierung des Gesichts kein ernstlicher Unfall unseren Freund betroffen hatte, ritten wir sehr langsam und sehr ernst gestimmt dem Lager zu. Mehrere Tage hindurch mußte Dr. Newberry das Bett hüten; Wundfieber und Gliederschmerzen peinigten ihn während dieser ganzen Zeit, doch genas er bald wieder so weit, daß wir nach unserem ersten Plan die Reise antreten konnten, obgleich sein Gesicht noch mehrere Wochen hindurch die entstellenden Spuren des heftigen Sturzes trug und die schwache, aber anhaltende innere Blutung das sehr langsame Heilen des zersplitterten Backenknochens verriet.
Gewohnheit tut übrigens viel im Leben; schon in den ersten Tagen unserer Reise wurde des Unfalls nur noch scherzweise gedacht, und als wir fünf Wochen später den Missouri erreichten, war des Doktors »geborstener Schädel«, wie wir es zu nennen beliebten, vollständig zusammengeheilt, ohne daß auch nur ein Fünkchen seiner wirklichen Gelehrsamkeit oder seiner ehrenwerten, menschenfreundlichen Gesinnungen, die ihn bei allen, die ihn kannten, beliebt machten, durch die Ritzen entschlüpft wäre.
»Morgen müßt ihr frühzeitig zur Stadt kommen, morgen ist das Corpus-Christi-Fest.« So hieß es, als wir am Abend des dritten Juni unsere Tiere bestiegen, unseren Freunden eine gute Nacht wünschten und guter Dinge dem Lager zutrabten. Wir hatten die Aufforderung nicht vergessen, denn am 4. in aller Frühe standen die gesattelten Tiere vor dem Zelt; und da uns ein Sonntagskleid fehlte, so begnügten wir uns damit, den Staub aus unseren Röcken zu schütteln, mit einer Speckschwarte über die Stiefel hinzufahren, und eine halbe Stunde später befanden wir uns auf dem Marktplatz von Albuquerque inmitten einer fröhlichen Bevölkerung, von der mancher schon ein, vielleicht auch zwei Gläschen über den Durst zu sich genommen hatte.
Der Marktplatz, in dessen Mitte sich die altertümliche Kirche mit ihren Lehmmauern erhebt, hatte nach dortigen Begriffen ein überaus festliches Ansehen erhalten, denn die grauen Giebel der Häuser waren von den Bewohnern von oben bis unten mit Decken, Shawls, Tüchern und farbigen Zeugstreifen behängt worden, und da die meisten dieser Gegenstände reiche Spuren von vielfältigem und anhaltendem Gebrauch trugen, so bedurfte es nur wenig Phantasie, um sich inmitten einer großen Anzahl von Trödelbuben zu wähnen. Doch welchen Charakter die eigentümliche Dekoration auch immer tragen mochte, die Vorliebe der Bevölkerung für grelle Farben war nirgends zu verkennen, und ihre Verehrung für geräuschvolles Leben bewies sie aufs deutlichste durch das Musketenfeuer, mit dem die feierlichsten Momente der Messe begleitet wurden.
Wir begaben uns nach unserem gewöhnlichen Zusammenkunftsort, einem Eckhaus hinter der Kirche, von wo aus wir die Bewegungen der Prozession, die ihren Umzug auf dem Platz hielt, beobachten konnten. Unter mehreren Verandas hatten die Eigentümer kleine Altäre errichtet, auf denen, von dem merkwürdigsten Schmuck umgeben, die Jungfrau Maria als Bild, als Gipsfigur oder als glänzend geschmückte Puppe angebracht war, und nach diesen hin zog in feierlichem Schritt — voraus der Priester mit den Chorknaben — die andächtige Doppelreihe schön geputzter Señoritas und Señors. Begleitet wurden sie von dem Musikkorps der Garnison, das der kommandierende Offizier freundlicherweise der Kirche für diesen Tag zur Verfügung gestellt hatte. Die Musikanten, größtenteils Deutsche, spielten natürlich lauter Märsche, doch benahm das der Feierlichkeit nichts von ihrem Glanz, der noch auf mexikanische Weise durch das beständige Knattern der Musketen bedeutend erhöht wurde. Vor jedem Altar las der Priester eine Messe, und als die Prozession darauf wieder die Kirche bis zum Erdrücken anfüllte, begaben auch wir uns dahin, um dem Schluß der Vormittagsfeierlichkeiten mit beizuwohnen. Nichts störte die Ordnung in der zahlreichen Versammlung; friedlich knieten nebeneinander kokette Señoritas und ehrbare Pueblo-Indianer, bigotte Irländer und eitle Señors; mit gemessener Bewegung verrichtete der Priester sein Amt, und gewandt folgten die aufmerksamen Chorknaben seinen Winken; eilfertig glitten die Rosenkränze durch die Finger, und im raschen Takt vereinigten sich Pauken, Trompeten und Klarinetten zu einer Bravouraufführung der »Donaulieder«, an die sich »Webers Aufforderung zum Tanz« schloß.
»Drauf, als der Priester fromm sich neigt
Und zum Altar gewandt
Den Gott, den gegenwärt‘gen, zeigt,
In hoch erhob‘ner Hand ...«
da donnerten die Musketen aus der Kirchenpforte, die Trompeter bliesen einen lauten, lang anhaltenden Tusch, Pulverdampf vermischte sich mit Weihrauch, tiefer neigten sich die andächtigen Zuhörer, aber am tiefsten die hübschesten Mädchen der Stadt, die mir zugleich auch als die leichtfertigsten bezeichnet wurden.
Ich verließ endlich die Kirche und zugleich die gefährliche Nähe der Musketen, die von ihren enthusiastischen Inhabern mit doppelter und dreifacher Ladung versehen wurden, und gesellte mich zu den lustigen Menschen, die gruppenweise den Marktplatz anfüllten. Mit Aufmerksamkeit beobachtete ich das Treiben um mich her und vertiefte mich in Betrachtungen über das, was ich kurz vorher gesehen und vernommen hatte. Plötzlich rief ein mir unbekannter Mann mich beim Namen und forderte mich auf, ihm zu folgen. Wir gelangten bald aus dem Gedränge, und auf einer offenen Stelle sich zu mir wendend, fragte der Fremde in deutscher Sprache, ob ich ihn kenne. Ich betrachtete ihn genau und entdeckte in seinem Gesicht allerdings vertraute Züge, doch vermochte ich lange nicht den jungen Menschen in dem nach dortigen Verhältnissen anständigen Zivilanzug, dessen Haltung und wohlgepflegter Schnurrbart den Soldaten verrieten, in meiner Erinnerung aufzufinden.
Endlich erkannte ich ihn, doch meiner Sache noch nicht ganz gewiß, fragte ich: »Sind Sie nicht —?«
»Ja, der bin ich, doch heiße ich jetzt Winkel«, gab er zur Antwort.
»Also Winkel?« fragte ich wieder. »Es ist jetzt schon über fünf Jahre her, als wir ebenso unvermutet auf dem Kai in New Orleans zusammentrafen! Damals hatten Sie das Äußere eines ehrbaren Kaufmanns mit glattgeschorenem Gesicht, und jetzt erblicke ich in Ihnen, wenn ich nicht irre, einen flotten Soldaten.«
»Sie haben nicht ganz unrecht«, antwortete Winkel, »zwar bin ich nicht mehr in Reihe und Glied, doch habe ich vier Jahre bei den Dragonern gestanden und bekleide jetzt den Posten eines Sekretärs beim Fourage-Amt; trinken wir aber, ehe wir erzählen.« Mit diesen Worten schob er seinen Arm durch den meinigen und führte mich nach einer nahe gelegenen Trinkstube, wo wir dem edlen El-Paso-Wein zusprachen und dabei mit Wärme der vergangenen Zeiten gedachten.
Am Nachmittag begleitete ich Winkel nach seiner Wohnung, und lange saßen wir dort beisammen, vertieft in die Mitteilungen unserer Erlebnisse der letzten fünf Jahre.
Als ich im Jahre 1852 in Illinois das Leben eines Jägers zu meinem Beruf gewählt hatte und als darauf in der nassen Jahreszeit ein solches Leben zu mühselig und zu wenig lohnend wurde, sehnte ich mich danach, einige Monate in der Stadt zu leben, d.h. nicht als Müßiggänger, sondern beschäftigt auf eine mir zusagende Weise. Ich begab mich daher nach Belleville, dem nächstgrößeren Ort. Am ersten Tag schon machte ich die Bekanntschaft des Mr. Winkel, der zu jener Zeit als Sekretär beim Gericht angestellt war. Im Verlauf unserer Unterhaltung erfuhr ich, daß er seine Stellung für die eines Buchhalters in einem größeren Kaufmannshaus aufgeben wollte, und er schlug mir vor, mich um seinen alten Posten zu bewerben. Eine solche Beschäftigung war mir sehr willkommen, denn außer, daß sich mir ein angenehmer Erwerbszweig eröffnete, fand ich auch dort Gelegenheit, mich in der englischen Sprache zu vervollkommnen. Da man in Amerika bei Besetzung von Beamtenstellen gewöhnlich mehr auf die Befähigung als auf Empfehlungen Rücksicht nimmt, so wurde es mir in diesem Fall leicht, meine Wünsche erfüllt zu sehen, und mehrere Monate hindurch wohnten, lebten und arbeiteten Winkel und ich nachbarlich miteinander. Von jener Zeit her stammte also unsere erste Bekanntschaft.
Ein unbesiegbarer Drang nach den wilden Regionen des westlichen Teils des amerikanischen Kontinents ließ mir indessen nicht lange Ruhe hinter dem Schreibtisch; ich nahm daher eines Tages Abschied von Freunden und Bekannten in Belleville, und einige Monate darauf durchzog ich mit der Büchse auf dem Rücken das Land meines Sehnens und meiner Träume: die endlosen Prärien des Westens. Ich brauche hier wohl nicht zu wiederholen, wie ich lange für tot und verschollen galt,»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«: Erzählung der Abenteuer am Nebraska. ich erwähne bloß, daß ich nach anderthalb Jahren zum Erstaunen meiner Freunde wieder in Belleville erschien, daß ich dort vergeblich nach Winkel forschte und nur in Erfahrung brachte, derselbe sei ebenfalls abgereist und verschollen.
Einige Monate später führte mein Weg mich nach New Orleans, wo ich sechs Wochen verweilte und meine Zeit haushälterisch dazu verwandte, die Stadt und ihre Umgebungen so genau als möglich kennenzulernen. — Wie in allen von mir besuchten Hafenstädten, waren auch hier Märkte und Kais in den Frühstunden mein Lieblingsaufenthalt, und es gewährte mir eine überaus angenehme Unterhaltung, auf ersteren die Schätze zu beobachten, die das Meer und die tropische Zone dem Menschen zu seinem Bedarf und zu seinem Genuß liefert; auf letzteren dagegen dem lustigen Treiben der Neger zuzuschauen, die ewig jubelnd und hadernd mit Riesenkräften mächtige Ballen und Fässer an den Rahen hinaufwanden, um sie, je nach Umständen, den dunklen Räumen schwerfälliger Kauffahrer zu entführen oder ihnen anzuvertrauen.
Eines Tages hatte ich ebenfalls mein Frühmahl beendet, das heißt, ich hatte auf dem Markt an einem der langen Tische für ein Billiges scharf gepfefferte Suppe — zu der eine nahebei hängende, noch lebende Seeschildkröte das Fleisch geliefert hatte —, einige Hummerscheren, Krabben und Austern zusammen mit einem Stückchen Brot und einer Tasse Kaffee zu mir genommen und war zu einem französischen Dreimaster hinübergegangen, aus dem man Faß auf Faß der edelsten Weine mittels der Rahwinden auf den Kai schaffte.
Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit durch einen Mann gefesselt, der, den Heber in der einen, das Notizbuch in der anderen Hand, auf den Fässern umherkletterte, sich dieses oder jenes öffnen ließ, das einfache, aber sehr brauchbare Instrument tief in den edlen Rebensaft tauchte und mit weiser Kennermiene die verschiedenen Weine prüfte. Ich irrte mich nicht: es war ein alter Bekannter, und zwar Winkel. Er war so sehr in seine Beschäftigung vertieft, daß er mich nicht eher bemerkte, als bis ich neben ihm auf dem eisenbeschlagenen Oxhoft saß und ihn freundlich aufforderte, doch auch mein Urteil über den Wein einzuholen.
Winkel heftete seine Blicke auf mich, beschaute mich von oben bis unten, und mit dem Ausdruck des größten Erstaunens rief er aus: »Sie sind also doch nicht skalpiert worden?«
»Nicht ganz, aber beinahe«, antwortete ich, indem ich den breitrandigen Strohhut von meinem Kopf zog und ihm den mit stattlichem Haarwuchs bedeckten Schädel zeigte.
»Sie tragen vielleicht eine Perücke?« fragte Winkel wieder, wobei er seine Hand auf mein Haupt legte. »Wahrhaftig!« fuhr er fort. »Es ist Ihr eigenes Haar; hieß es doch allgemein, daß die Indianer Sie der Mühe des Haarschneidens auf ewige Zeiten enthoben hätten!«
Nun ging es ans Fragen und Erzählen, wir blieben dabei aber auf dem Faß sitzen, ein mächtiges Stück Segeltuch gewährte uns Schutz gegen die sengenden Strahlen der Sonne, eine erfrischende Brise wehte uns vom Golf entgegen, das offene Spundloch befand sich zwischen uns beiden, Heber und Becher dagegen bald auf der einen, bald auf der anderen Seite, und so rührten wir uns nicht eher von der Stelle, als bis die Seebrise einschlummerte und die Hitze uns nach verschiedenen Richtungen hin dem heimischen Gasthof zutrieb.
Winkel war also Buchhalter in einem großen Weingeschäft geworden und bekleidete nicht nur eine angenehme, sondern auch einträgliche Stelle. Während meines sechswöchigen Aufenthalts in New Orleans waren wir viel zusammen, und wenn ich den Tag über in den benachbarten Sümpfen den Schlangen und Alligatoren für naturhistorische Sammlungen nachgestellt hatte, bei welcher Beschäftigung ich vor Hitze fast umkam, so fand ich des Abends Erholung, wenn nächtliche Kühle sich auf die dann auflebende Stadt senkte und ich mit Winkel auf dessen Balkon saß und gemeinschaftlich mit ihm Havannas und Frankreichs edelste Produkte der Gegenwart sorglos opferte. Der Balkon, auf dem wir uns befanden, reichte über mehrere Häuser hinaus, war aber vor jeder Wohnung durch hohe Wände von der angrenzenden getrennt, so daß man alles, was in der Nachbarschaft vorging, durch die geöffneten Türen und Fenster deutlich vernehmen konnte, ohne dabei die Bewohner selbst zu erblicken.
In der zweiten Wohnung von unserem Balkon, aber in gleicher Höhe mit demselben, lebte eine Sängerin; diese nun machte sich ebenfalls die schönen Abende zunutze und sang stundenlang mit ihrer klaren, lieblichen Stimme so schöne Lieder und Melodien, daß wir uns keine ansprechendere Unterhaltung hätten wünschen können. Winkel, der schon längere Zeit dort wohnte, hatte die Sängerin, die uns allabendlich so reichen Genuß verschaffte, trotz seiner Bemühungen noch nie zu Gesicht bekommen, doch stimmten wir beide in unseren jugendlichen Ansichten überein, daß diese von der Natur so bevorzugte Dame nur ein junges, vielleicht ein sehr schönes Mädchen sein müsse. Winkels Neugierde, die schöne Nachbarin kennenzulernen, stieg in dem Grad, als ich ihm davon abriet. »Denn«, sagte ich, »wenn Sie sich in Ihren Erwartungen getäuscht finden, so schwinden auch die Illusionen; der Heiligenschein, mit dem Sie in Gedanken die Sängerin umgeben, fällt wie ein gebrauchter Mantel zur Erde, und mit weniger Aufmerksamkeit werden Sie später den Liedern lauschen.«
Er wollte mir durchaus nicht Recht geben und wunderte sich nur über meine Art zu philosophieren.
»Heute muß ich die Sängerin sehen, und sollte ich vom Balkon auf die Straße hinabstürzen«, so rief Winkel eines Abends um die Mitternachtsstunde, als die letzten Worte der Gnadenarie eben verklungen waren und er eine neue Flasche aufs Eis gestellt hatte.
»Bleiben Sie hier«, rief ich ihm lachend zu, »es könnte Ihnen leicht eine Revolverkugel das Vergnügen versalzen!«
»Und wenn es Kanonenkugeln wären, so würde ich mich nicht zurückhalten lassen«, gab er zur Antwort, und gleich darauf befand er sich außerhalb des Balkongitters, wo er sich an den eisernen Sprossen festklammerte. Die Straße war schon ziemlich leer, und die einzelnen Leute, die noch vorübergingen, konnten ihn kaum bemerken, weil er sich im zweiten Stockwerk befand; wenn er dann aber an erleuchteten Türen und Fenstern vorüberglitt und der Schimmer des Lichts ihn sichtbar machen mußte, hielt man sein Benehmen wohl nur für einen harmlosen Scherz, und vor Bewohnern des gegenüberliegenden Hauses war er sicher, indem sich dort statt erleuchteter Fenster ein im Bau begriffenes, riesenhaftes Hotel befand.
Ich bediene mich nun Winkels eigener Worte: »Vorsichtig lugte ich um die erste Scheidewand, der Balkon war leer, und Ruhe herrschte in der Wohnung; nicht ohne Gefahr gelangte ich bald darauf an die zweite Scheidewand, auch dort war alles sicher, und nach Zurücklegung von einigen Fuß erhielt ich endlich eine freie Aussicht in das Gemach und auf die Sängerin, die so lange meine unbesiegbare Neugierde rege gehalten hatte.
Die dreifenstrige Stube, aus der mir die glockenreinen Triller und Modulationen aufs neue entgegenschallten, war keineswegs reich, aber doch elegant eingerichtet; ein weicher Teppich bedeckte den Boden, und auf demselben lagen zwei schlafende Kinder. Auf einem Ecksofa saß nachlässig angelehnt ein alter Kreole mit grimmigem Ausdruck im bärtigen Gesicht; er las eine Zeitung und schien sich ebensowenig um die Musik als um anderes zu kümmern. In der Mitte des Gemachs, vor einem aufgeschlagenen Flügel, beleuchtet von zwei Lampen, saß meine Sängerin; ich sah nur ihr Profil, doch kaum hatte ich den ersten Blick auf sie geworfen, als ich tief aufseufzte und mich wieder an Ihre Seite zurückwünschte.
Da sah ich nämlich vor mir im leichten, weißen Gewand, das kokett von den alabasternen Schultern herabhing, eine weibliche Gestalt, die ungefähr zwei Zentner wiegen mochte. Ihr Hals war lang, aber schien mehr eine Fortsetzung der fetten Schultern, als ein besonderes Glied zu sein, und ein dreifaches Kinn zierte die untere Hälfte des Gesichts, in dem ein unglaublich großer Mund die hervorragendste Rolle spielte. Die Augen waren schwarz, klein und geschlitzt, die dunklen Haare dagegen von ungewöhnlicher Stärke und Schönheit; auch der Teint, von dem, der Wärme wegen, mehr wie unumgänglich notwendig mir entgegenschimmerte, ließ nichts zu wünschen übrig und stand im grellsten Kontrast zu den Flechten und Locken, die halb aufgelöst auf die breiten Schultern herabfielen. So saß sie da, die geheimnisvolle Sängerin; anmutig wiegte sie den schön geformten Kopf, mit großer Gewandtheit eilten die fleischigen Hände über die Tasten des Instruments, und leiser, gleichsam einschläfernd, verhallten allmählich die lieblichen Töne, die zwischen zwei Reihen perlenähnlicher Zähne hindurchgehaucht wurden.
Verwunderungsvoll schaute ich hinüber und bezweifelte fast, daß die korpulente Dame wirklich die Künstlerin sei; aber ein Irrtum war nicht möglich, und sehr enttäuscht begann ich mich an der Außenseite des Balkons langsam zurückzubewegen.
Ich hatte die erste Scheidewand noch nicht erreicht, als plötzlich die Musik verstummte und gleich darauf die hagere Gestalt des finsteren Kreolen in der Tür erschien. Ich glaubte mich schon entdeckt und drückte mich krampfhaft an das Gitter, doch der Mann hob träge seine Arme, reckte und dehnte seine Glieder und rief dann aus: »Welch herrlicher Abend!«
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, als die umfangreiche Dame — ohne Zweifel seine Gattin — sich an seine Seite drängte, zärtlich ihren Arm durch den seinigen schob und ihm auf französisch antwortete: »O mein Guido! Du mein einziges Glück, welche Wonne, an deiner Seite den herrlichen Abend zu bewundern, welch ein Zauber!«
»Laß doch die Narrheiten«, unterbrach sie barsch der gestrenge Eheherr, »und kümmere dich lieber um deine Kinder!««
Diesen Augenblick hatte Winkel benutzt, um leise um die Ecke zu gleiten, und bald darauf saß er wieder an meiner Seite und berichtete mir genau über das Gesehene und Gehörte. Häufig noch vernahmen wir an späteren Abenden den Gesang, wir fanden ihn gewiß nicht weniger schön, doch regte sich bei Winkel nie wieder die Lust, einen nächtlichen Gang an der Außenseite des Balkongitters zu wagen.
Mein Aufenthalt in New Orleans erreichte sein Ende, ich nahm Abschied von Winkel, und bald trennten uns Hunderte von Meilen. Jahre flogen dahin, für mich abwechselnd Jahre der süßen, heimatlichen Ruhe und des bewegten Reiselebens, und unvermutet trafen wir endlich in Albuquerque wieder zusammen.
Bald nach meiner Abreise von New Orleans hatte auch Winkel jene Stadt verlassen; ich glaube, eine Kreolin war ihm untreu geworden, und wenn auch nicht mit gebrochenem Herzen, so hatte er sich doch mit gebrochenen Finanzen und in sehr verdrießlicher Stimmung dem Staat Texas zugewandt. Dort war er weniger vom Glück begünstigt worden, und nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, sich wieder emporzuarbeiten, hatte er sich endlich dem Soldatenstand in die Arme geworfen. Mit einigem Bedauern vernahm ich letzteres, denn da die stehende Armee der Vereinigten Staaten mit Ausnahme der Offiziere nur aus Leuten besteht, die nicht arbeiten mögen, oder aus solchen, die, durch Unglück dazu getrieben, den Soldatenstand als letzte Quelle zum Lebensunterhalt betrachten, so hat sich allgemein ein gewisses Vorurteil gegen diese gebildet, so daß man nicht gern einen alten Bekannten oder Freund darin weiß.