Kitabı oku: «Mode Design Theorie», sayfa 4

Yazı tipi:

1.4 Genealogische Machtaspekte der (Mode-)Designtheorie

Das Studium der Objekte und Prozesse von unterschiedlichen Bekleidungskulturen schafft in zahlreichen Disziplinen interdependente Wissensbeziehungen. Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak merkte an, dass Theorie und Praxis voneinander abhängig und durchdrungen seien.117 Der Designtheoretiker Gui Bonsiepe pflichtete dem zu, wenn er schrieb: „Theorie macht explizit, was implizit bereits in der Praxis steckt.“118 Design und dessen Diskurse – und somit auch das Modedesign – reflektieren, was globale Wirtschaftsbelange sind, nämlich unter dem Banner der Globalisierung einen Wirtschaftsfundamentalismus auszurufen, der die Welt nach hegemonialen Interessen formt und dabei rücksichtslos über die sozialen und politischen Beziehungen der Menschen hinweg waltet.119 Spivak verortete die Machtbeziehungen zwischen Theorie und Praxis folgendermaßen:

„Since practice is an irreducible theoretical moment, no practice takes place without presupposing itself as an example of some more or less powerful theory. The notion of writing in this sense actually sees that moment as itself situatable. It is not the notion of writing in the narrow sense so that one looks at everything as if it is written by some sort of a subject and can be deciphered by the reading subject.“120 [<<42]

Das Spannungsverhältnis zwischen Hand- und Kopfarbeit als Gestaltungsprozesse sowohl künstlerischer als auch industrieller Produktion zeichnet eine lange Historie von Theorie-Praxis-Kontroversen aus. Design erhält über die Produktionsprozesse der gestalteten Dinge eine politische Dimension. Dabei ist es gleichgültig, ob Designer/innen der ‚Demokratisierung‘ von massengefertigten Produkten zuarbeiten oder die Gestaltung von Luxuswaren erarbeiten, da diese beiderseits als Identifikationsobjekte einer Gesellschaft deren Werte und Normen strukturieren. Dieser Aspekt prägte im 19. Jahrhundert die Diskurse zur Industrialisierung und Massenproduktion. Die Mode- und Textilindustrie ist nach wie vor auf manuelle Tätigkeiten innerhalb des mechanisierten und automatisierten Produktionsablaufs angewiesen. Die Konsequenzen daraus spiegeln sich in neokolonialen Strukturen der Ausbeutung von Menschen in ‚armen‘, ehemals kolonialisierten Ländern wider, die nun als ‚Werkbänke der Welt‘ fungieren. Der Herstellungsvorgang und der Designvorgang sind getrennte Produktionssphären, in denen mit Beginn der Ära des Wirtschaftskolonialismus die Bewohner/innen der ‚westlichen‘ Hemisphäre als ‚kreative Wissensgesellschaft‘ privilegiert sind. Die ‚Entwicklungsländer‘ erhalten heute einen Technologie- und Know-how-Transfer, der erklärtermaßen die Vorteile der ‚Geberländer‘ im Blick hat. Bonsiepe hob die globale soziale Verantwortung, die Designer/innen auch in diesem Zusammenhang tragen, hervor und kritisierte an der Begrifflichkeit Design dessen Beliebigkeit. Die weltweit bekannten Namen von Modedesigner/inne/n, die eher als Stylist/inn/en arbeiten, wie Pierre Cardin, Calvin Klein, Giorgio Armani u. v. a., werden mit einem Arsenal an profanen Dingen assoziiert, wie etwa Unterhosen, Taschen, Parfüms, Kosmetika etc. Dies habe in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass Designer/innen nur Umhüllungen schaffen würden, statt sich mit „intelligenten Problemlösungen“ zu beschäftigen.121 Der Bereich der Mode bringt das Design in den „Ruf der ästhetischen Spielerei, der Boutiquisierung der Gegenstandswelt“.122 Eine ähnliche Diagnose stellte der Architekt Adolf Loos bereits vor mehr als hundert Jahren, als er nicht nur gegen das Ornament, sondern auch gegen jedwede Übertriebenheiten der Moden seiner Zeit ins Feld zog, und einzig die Herrenbekleidung jenseits industrieller Herstellung – als Sache eines versierten (englischen) Schneiderhandwerks – positiv bewertete.123 William Morris schätzte die Industrialisierung noch 1892 als einen „unakzeptable[n] Unfall der Geschichte“ ein. Als „sozialistischer Moralist“ argumentierte er nicht „grundsätzlich [<<43] gegen die Maschinerie und das Fabriksystem“, sondern kritisierte die damit verbundenen Eigentumsverhältnisse, während Gottfried Semper um 1850 die industrielle Entwicklung als unumkehrbar ansah.124

„Semper entwickelt ein Programm zur Ermöglichung industrietauglicher Designkonzepte. Morris und die Arts-and-Crafts-Bewegung markieren am Ende des 19. Jahrhunderts die maximale Distanz von Design und Industrie. Erst um 1900, nach Jahrzehnten der unterbliebenen Kooperation zwischen Industrie und Designern, endet der anti-industrielle Diskurs und macht neuen Auseinandersetzungen um die Möglichkeit und Notwendigkeit des Industrial Design Platz.“125

Designtheorie und Designforschung rekurrieren auf die von England ausgehende Industrialisierung der Textilindustrie, die imperiale, koloniale und kapitalistische Zielsetzungen ökonomisch einte. Die Herstellung ‚westlicher‘ moderner Bekleidung beruht weniger auf intuitiver Formgebung, sie benötigt rationale Wissenschaften wie die Mathematik zur Berechnung von vereinheitlichten Maßtabellen und geometrischen (Schnitt-)Konstruktionen, die eine rationalistische Produktionsweise erleichtern, was sich weltweit durchgesetzt hat.126 Die Herstellung von europäischen Produktionsmaschinen wie der Nähmaschine erreichte in den 1870er-Jahren bereits hochindustrielle Ausmaße – so wurden vom Fabrikat Singer bereits 1879 jährlich mehr als 400.000 Stück hergestellt.127 Die Textilindustrie als solche ist als Protoindustrie zu bezeichnen, die eine Arbeitsteilung in Heimarbeit beziehungsweise in zentralisierten Manufakturen durchsetzte.128 Der Rationalisierung folgte die Kanonisierung von Gestaltungskonzepten einer vernunftgemäßen, sachlichen Konzeption der Moderne entsprechend, die sich in der Architektur, in der Innenraumgestaltung, der Herrenbekleidung und bei der Gestaltung sonstiger Gebrauchsgegenstände niederschlug, während die Damenmode nach wie vor als Topos des triebhaft Körperlichen galt.129 [<<44]

Die internationalen Kleidungsreformbewegungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts ‚vernünftige Frauenkleidung‘ forderten, verbanden in theoretischer und praktischer Hinsicht Bekleidungsgestaltung mit dem emanzipatorischen Projekt der Befreiung der Frau aus dem vestimentären sowie ideologischen Korsett, das mit ihrer politischen Unmündigkeit verbunden war.130

Derlei Utopien, die eine dezidierte Kleidungsreform einschlossen, entsprachen sozialistischen Idealvorstellungen von der Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder oder sie hatten ihre Wurzeln in religiösen Gemeinschaften. So experimentierten die nordamerikanischen Quäker/innen mit möglichst einfachen Bekleidungsformen, wobei die geschlechtsspezifische Ausformung der Designs aufgrund der funktionalen Anforderungen sehr reduziert war.131 Für die prominenteste Verquickung vestimentärer Reformversuche mit feministischen Forderungen stand ein Hosenkostüm, das die US-amerikanische Frauenrechtlerin Amelia Bloomer für sich und ihre Mitstreiterinnen entwarf und als politisches Mittel auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Frauen propagierte.132 Diese nordamerikanische Kleiderreformbewegung verbreitete sich unter dem Schlagwort Bloomerism133 in Europa hauptsächlich in England. Im deutschsprachigen Raum führte die völkisch ausgerichtete Lebensreformbewegung – aus tendenziell männlicher Sicht – für die Abschaffung des Korsetts eher gesundheitliche Argumente ins Feld.134 So setzte sich der Zoologe und Arzt Gustav Jäger für die Herstellung wollener Kleidung ein und vergab eine Konzession für die von ihm entworfene ‚Normalkleidung‘, die er in theoretischen Abhandlungen als ‚Gesundheitsschutz‘ propagierte.135 Dagegen hegte im Umfeld des Deutschen Werkbundes die mit Hermann Muthesius liierte Anna Muthesius bei ihren Entwürfen korsettfreier Frauenbekleidung einen künstlerischen Anspruch, der darauf bedacht war, individuelle Besonderheiten hervorzuheben.136 Sie vermittelte ihre Reformideen in Praxis und Theorie. 1903 betonte sie in ihrer Abhandlung zum „Eigenkleid der Frau“, dass „das Gesicht als zentraler körperlicher Bezugspunkt“ zu achten sei und die Kleidung nur als Rahmung diene.137 Trotz all dieser Bestrebungen blieb das Korsett Teil der „Grundausstattung [<<45] der Frauenbekleidung“ und es veränderte seine Form entsprechend den ökonomisch ausgerichteten Konzeptionen ‚männlicher‘ Modeentwürfe.138

„In den 1890er Jahren ging man dazu über, die Fischbeineinsätze durch rostsicher verzinkte Spiralfedereinlagen zu ersetzen. Bereits seit den 1870er Jahren wurde das Korsett länger und modellierte nun auch die Hüften. […] Korsette wurden bereits früh industriell gefertigt. Eine Untersuchung zur Korsettindustrie, die 1909 vorgelegt wurde, verweist darauf, dass dieser Teilbereich der Textilindustrie von den Zeitgenossen als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen wurde. Dieser Untersuchung zufolge gab es in Deutschland ab den 1870er Jahren eine nennenswerte Korsettindustrie, wobei bis in die 1880er Jahre eher für den Export als für den Inlandsmarkt produziert wurde, was sich aber in den 1890er[n] änderte.“139

Die Konstruktionsteile des Korsetts sowie die dominante Krinolinenkuppel, deren Ausführung und Verzierung mit einem enormen Metall- und Stoffverbrauch verbunden waren, kamen beide der Rationalität der Textilindustriellen des 19. Jahrhunderts entgegen. Von der Erfindung der Kaltwalzpresse, welche die Herstellung von Krinolinen und Korsetten mit Stahlfedern ermöglichte, profitierte die Schwerindustrie.140 Die erfolgreiche Einführung der Stahlfeder-Krinoline durch Charles Frederick Worth und seine beständig wechselnden Rock- und Korsettformen, wie er sie zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diktierte, sicherten die konstante Nachfrage nach neuer Damenoberbekleidung und diversen Unterkonstruktionen.

Aus diesen historischen Exkursen geht hervor, dass die wechselnden ‚westlichen‘ Damenmoden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine naturalisierbaren, biologischen Ursachen hatten, wie sie in teilweise misogynen Modetheorien bis ins 20. Jahrhundert hinein angeführt werden, sondern vielmehr von ökonomischen Motiven durchdrungen waren. Diese hatte der Kulturwissenschaftler Eduard Fuchs im Jahre 1906 nicht im Blick, wenn er schrieb, dass die ,naturnotwendige‘ „passive Rolle der Frau im Geschlechtsleben“ sie dazu zwinge, „die Mode zu ihrem wichtigsten Werbemittel im Kampf um den Mann zu erheben, denn durch die Kleidung vermag sie die wirkungsvollsten Effekte zu erzielen“.141 Hierbei wiederholte er die wirkmächtigen, [<<46] ‚männlichen‘ Vorurteile gegen ‚die Mode als Frauensache‘.142 Ideologisch argumentierende Reformer/innen legten immer wieder opponierende Konzepte und Entwürfe vor,143 doch die von ihnen realisierten Damenmodelle standen den damaligen Konventionen ideell und den ökonomischen Zielen der Bekleidungsindustrie materiell entgegen, daher konnten sie sich nicht durchsetzen. Wirtschaftsraison und die damit einhergehenden Materialinnovationen144 hatten einen nicht geringen Einfluss auf die ‚Gestaltung der Frau‘, was in der zeitgenössischen Theorieproduktion zur Designgeschichte der Kleidung vernachlässigt wurde. Im Übrigen erfüllten sich die Forderungen nach der Abschaffung des Korsetts und der ausladenden Rockformen erst mit dem Ersten Weltkrieg, als ein Großteil der ‚westlichen‘, männlichen Bevölkerung an der Kampffront war, die Stoffe rar und der Stahl knapp wurden.

1.5 Mode und Theorie designen

Entwurfstätigkeit und wissenschaftliche Tätigkeit haben unterschiedliche Prämissen. „Der Entwerfer beobachtet die Welt aus der Perspektive der Entwerfbarkeit. Der Wissenschaftler hingegen betrachtet die Welt aus der Perspektive der Erkennbarkeit.“145 Die Entwurfsforschung zum Modedesign erfasst, wie Figurinen und Schnitte gezeichnet, Drapierungen vorgenommen werden etc., und versucht, alle Tätigkeitsfelder von Designer/inne/n anhand von Interviews, qualitativen und quantitativen Studien etc. zu beschreiben. Dennoch ist es nicht möglich, Entwurfsprozesse wissenschaftlich zu standardisieren. Für Bonsiepe wird hier das

„Spannungsverhältnis zwischen kognitiv orientierter Tätigkeit (Forschung) und nicht kognitiv orientierter Tätigkeit (Entwerfen) sichtbar, wobei aber, um eventuelle Missverständnisse zu vermeiden, sogleich betont werden soll, dass die Entwurfstätigkeit in zunehmendem Maße kognitiv durchwoben ist.“146 [<<47]

Er spricht das Problem der Weitergabe von Entwurfswissen an, das in der Ausbildung sprachlich, visuell und haptisch zu vermitteln ist. Mit Blick auf die Modebranche ist dem zuzustimmen, dass, wer sich nur auf vermeintliche Kreativität beruft, wenige Möglichkeiten zur Entfaltung haben wird147 – egal in welchem Segment. Denn Entwurfswissen ist auch Erfahrungswissen, was sich meiner Einschätzung nach in der langjährigen Zusammenarbeit mit Modedesigner/inne/n bestätigt hat. Ein wichtiger Bestandteil der Entwurfsarbeit besteht darin, Entscheidungen innerhalb eines zeitlichen und an die jeweiligen Möglichkeiten angepassten Rahmens zu treffen. Der Rhythmus der global stattfindenden Modewochen und Modemessen fordert eine zielgerichtete Planung der Kollektionen ein.148 Dafür ist es notwendig, über die Konsequenzen der Entscheidungen zu reflektieren, was ökonomisches und soziokulturelles Wissen voraussetzt. Modedesign ist an viele außenstehende Faktoren gebunden. Eine Einzelperson als Urheber/in einer Kleiderkollektion ist zwar in der Lage, Entwürfe zu erstellen und Prototypen zu nähen, jedoch bleibt eine solche alternative Produktionsweise auf geringe Stückzahlen beschränkt. Diese Arbeit wird gemeinhin als Schneiderei oder Kunsthandwerk – ohne diese Tätigkeiten abzuwerten zu wollen – und nicht als Modedesign bezeichnet.

Der Filmtheoretiker Richard Dyer hat vier Typen für das Phänomen der Urheberschaft herausgearbeitet: die individuelle, die vielfache, die kollektive, bei der die Einzelleistung nicht mehr zu erkennen ist, und die korporative, bei der Organisationen, rechtliche Körperschaften und/oder Privatinvestor/inn/en als Urheber/innen auftreten.149 Diese Unterscheidungen sind für die Filmindustrie aufschlussreich und können auf die Modeindustrie übertragen werden, in der stets vielfach, kollektiv oder korporativ agiert wird. Kalkulierte Public Relations und ein präzises Markenmanagement suggerieren jedoch, dass es eine individuelle Autor/innenschaft von Modekollektionen gäbe, die durch das Branding beziehungsweise image building des/der Designer/s/in entsteht und dabei einen Mehrwert erzeugt, der Designer/innenware erst begehrenswert macht. Die Benennung „Designer“ kann als Schlüsselwort der Werbewirksamkeit gedeutet werden, daraus folgt eine Hervorhebung des Namens des/der Designer/s/in.150 Diese „Übernahme aus dem Bereich der Kunst, wo die Signatur des Künstlers die Einzigartigkeit, Authentizität, Individualität und die schöpferische [<<48] Leistung garantiert“, macht das Designer/innenetikett als Label für den Marktwert wichtiger als die eigentlichen Produkte.151 Der Designprozess gestaltet sich dagegen anders, denn erstens ist es äußerst selten, dass einzelne Designer/innen völlig originär arbeiten und tatsächlich komplett neue eigene Stile entwickeln – meistens handeln sie innerhalb eines historisch vorhandenen, stilistischen Spektrums und variieren dieses.152 Des Weiteren benötigen die Prozesse der Bekleidungsgestaltung für ein Modelabel die Zusammenarbeit mit Stoffdesigner/inne/n und -produzent/inn/en, Schnittgestalter/inne/n, Musternäher/inne/n und Konfektionsunternehmen, Stylist/inn/en, Presseagent/inn/en, Einkäufer/inne/n, Repräsentant/inn/en des Marktumfeldes und vielen anderen, deren Potenziale und Erwartungshaltungen auf den/die Designer/in einwirken.

Sowohl in einem Designatelier als auch in einem Unternehmen mit mehreren Hunderten Mitarbeiter/inne/n müssen vielfältige Überlegungen angestellt und mannigfaltige Entscheidungen getroffen werden. Schon in der Entwurfsphase sind diese Komponenten zu berücksichtigen. Es ist beispielsweise von Bedeutung, die Arbeit von Kolleg/inn/en und kommerzielle Trends zu kennen, um nicht unfreiwillig zum/r Trittbrettfahrer/in beziehungsweise copycat zu werden. Im Rahmen der künstlerischen Konzeptionen von Kollektionen müssen, den kommerziellen Möglichkeiten und technischen Bedingungen entsprechend, viele kleine Einzelentscheidungen getroffen und richtungweisende Schritte gesetzt werden, die einen erheblichen Einfluss auf das künstlerische Niveau haben. Freie Künstler/innen können im Gegensatz dazu relativ terminunabhängig arbeiten und es ist für sie möglich, ein Kunstwerk gänzlich autark zu fertigen. Ebenso steht es ihnen frei, das Material und die Medien zu wechseln, mit denen ein Kunstwerk auch intuitiv produziert werden kann. Doch die auf die Materialauswahl von Stoffen, Leder, Accessoires etc. beschränkte Arbeit von Modedesigner/inne/n, die Musterung der Kollektionsteile und die Wahl von Ort und Zeit der Präsentation, der Models und der Teams für Make-up, Licht- und Tondesign einer Modenschau erfordern aufmerksame, reflektierte Entscheidungen. Diese Tätigkeiten in einem angemessenen Zeitrahmen zu bewältigen, ist aus meiner praktischen Perspektive eine der Grundbedingungen für die Arbeit als Modedesigner/in.

Gleichermaßen ist die Frage nach der Art von Bekleidung, mit der wir leben wollen und wie diese hergestellt wird, von fundamentaler Bedeutung. Also kann in diesem Sinne design means to question and to decide als Gestaltungsprinzip für Modedesign, das jenseits ideologisch aufgeladener Designdiskurse wirksam ist, [<<49] gelten. Gestaltungsentscheidungen sind auf einer haptisch-visuellen Ebene positioniert und benötigen gleichzeitig eine verbale Artikulation. Daher ist die ‚visuelle Wende‘ in den Wissenschaften, die von Bild gebenden Verfahren digitaler Informationsverarbeitung mitgetragen wurde, dafür verantwortlich, Designtheorie als „Erforschung der Verkettung von Visualität und Diskursivität“153 zu denken. Darüber hinaus stehen im Hinblick auf einen materialist turn154 neben der Form und der Materialität die Haptik und olfaktorischen Eigenschaften von Artefakten zur Debatte. Der vonseiten der Geistes- und Kulturwissenschaften ausgerufene design turn strebt in der Gestaltung und Realisierung eine operative Wende in Richtung einer Überwindung des Gegensatzes von Theorie und Design an.155 Die Ergebnisse dieser innovativen Disziplinentransfers und deren kritische Bewertung stehen zukünftig zur Diskussion.

1.6 Sichtbares und unsichtbares Design

Die routinierte und fast automatisierte Wiederholung von Louis H. Sullivans Formel, dass die Form der Funktion folge oder folgen solle, klärt nichts. Gemäß dem Designtheoretiker John Thackara156 sei die unbedingte Gefolgschaft, die das Wort follow im englischen Sprachgebrauch nahelege, vielmehr – wie die implizite Präexistenz der Funktion vor der Form – bereits eine einseitige und verkürzende Interpretation der Intentionen Sullivans.157 Das traditionelle Gestaltungscredo form follows function158 wird im Modebereich bei der Gestaltung outrierter Formen von Frauenbekleidung eher im Hinblick auf die symbolisch-sozialen als auf die körperlichen Funktionen berücksichtigt, insbesondere wenn es sich um sogenannte Abendmoden handelt, wohingegen bei Funktionsbekleidung material follows function der passendere Slogan wäre. Laut Thackara hat der Ausspruch ohnehin seine Gültigkeit verloren: „‚Form [<<51] follows function‘ made sense when products were designed for a specific task – but not when responsive materials that modifies a product’s behaviour are available.“159 Dies bedeutet, dass die Existenz von innovativen Materialien, die teils aus der Raumfahrtindustrie- und der militärischen Forschung stammen und in den Nano-, Bio-, Info- und Technowissenschaften Anwendung finden, Gestaltungsprozesse verändert. Legierungen aus Metall, Hybridformationen aus anorganischem und organischem Material, deren Eigenschaften noch nicht gänzlich untersucht worden sind, fordern dazu auf, adäquate Funktionen, daher dem Material entsprechende Aufgaben zu designen und das Zusammenspiel von Form und Funktion zu optimieren. Das gestalterische Denken oszilliert dabei ständig zwischen diesen beiden Begriffen – Form und Funktion –, ohne eine hierarchische Wertung vorzunehmen. Hinsichtlich dieser Entwicklung versucht Thackara unter dem Motto „connecting natural energy with social energy“ das alle Industrien beherrschende, hegemoniale Paradigma des technischen Fortschritts in Richtung einer nachhaltigen und sozial gerechten Lebensraumgestaltung zu kanalisieren.160

Nicht nur die Modebranche gerät kontinuierlich in das Dilemma, die Know-how-Restbestände des militärisch-industriellen Komplexes, aus dem eine Vielzahl der Material- und Funktionsinnovationen herrührt, mit der Betonung auf Marktvorteile einzusetzen, wenn diese als ‚neue Mode‘ ins zivile Leben überführt werden. Der Einsatz von sogenannten Funktionstextilien161 ist stets kritisch zu überdenken und der Aufwand dem Nutzen präzise gegenüberzustellen. Es wird wenig erreicht sein, wenn die ‚neuen Moden‘ des 21. Jahrhunderts hauptsächlich in der Gestaltung von Wearables und dem Einsatz von Hightechtextilien liegen sollten.162 Das Festhalten am Begriff der Funktion ist tatsächlich problematisch und es lohnt, die kollateralen Wirkungen von gestalterischen Interventionen und die Umwelteffekte der hoch technisierten Materialentwicklung stärker zu gewichten, da diese über die eigentliche Funktion von Dingen hinausreichen. Thackara fokussierte deshalb die Konsequenzen der Gestaltungstätigkeit in deren Einbettung in globale ökologische, industrielle und kulturelle Systeme. Die Realität des jeweiligen Ortes, der Zeit und der kulturellen Differenzen sollten stets als wertvoll und nicht als Hindernisse angesehen werden, was [<<52] Gestaltungs- und Produktionsprozesse dahin gehend verändern würde, dass nicht mehr die Menschen einem System zugeführt, sondern die Menschen und deren Werte ein System bilden könnten.163

„Another nostrum, ‚truth to materials,’ was a moral imperative of the modern movement in design; it made sense when products were made of ,found‘ or natural materials whose properties were predetermined.“164 Thackara machte darauf aufmerksam, dass man mit einer Gestaltungslogik, die aus einem vergangenen Kontext stammt, den komplexen gegenwärtigen Aufgabenstellungen nicht gerecht werden könne. Der Begriff der ‚Wahrheit‘ dient heute schwerlich einer Materialbeschreibung, da es keine Produktionsmaterialien mit vordergründig ‚natürlichen‘ Eigenschaften gibt, die nicht bereits ‚künstlich‘ optimiert worden sind. Dies trifft schon seit Jahrhunderten auf die Produktion von Textilien zu. Man denke an den Loden, der durch Hitze seine Festigkeit und Steifheit erlangt und mit den ursprünglichen Eigenschaften von fülliger, leichter Schafwolle nur wenig gemeinsam hat. Konsequenterweise ist der Designbegriff erweitert zu denken, daher gibt es kein wahres oder richtiges Design zu beurteilen, sondern jene Wahrheiten zu untersuchen, die hinter den Bekenntnissen zur alternativlosen Vereinigung von Hightech- und High-Fashion stehen. Die Entscheidung für oder gegen eine Materialmodifikation, ein spezielles Druckverfahren etc. hat nicht nur Auswirkungen auf die Kollektionen, die auf dem ‚Laufsteg‘ zu sehen sein werden, sondern wirkt global auf ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Kreisläufe. Es gilt, die positiven und negativen Wirkungen der Materialien zu studieren und öffentlich zu diskutieren.

Lucius Burckhardts165 kritisch-programmatisch nachhaltiger Aufsatz Design ist unsichtbar aus dem Jahre 1981 verhandelte sozioökonomische, ökologische und politische Fragen.166 Der Architektur- und Kultursoziologe sah in einem Entwurfsprozess ein zweifelhaftes Moment der Kontraproduktivität, wenn Designer/innen die Welt „nach Objekten anstatt nach Problemen“ einteilen, was „auf der linguistischen Determination, welche die Benennung eines Übelstandes gleich zum Gerät seiner Abhilfe macht“167 beruhe. Auf das Design von Bekleidung ließe sich diese [<<53] Überlegung mehrfach übertragen. Dem Problem eines unerfüllten Sexlebens soll mit Dessous für Frauen und Männer abgeholfen werden. Gegen die Einsamkeit von Singles werden ‚sexy‘ respektive ,sportive‘ Outfits für alle Lebenslagen angeboten, ohne die zugrunde liegenden sozialen Determinanten auch nur im Mindesten zu beachten. Die ökologische Katastrophe wird mit ‚Ökomode‘168 vermeintlich abgewandt. Diverse Sportverletzungen sollen mit verschiedenen Accessoires wie Helmen, Arm-, Knie- und Rückenschonern verhindert und sonstige gesundheitliche Probleme mittels medizinisch versorgender Bekleidung bewältigt werden, wobei durch die damit suggerierte körperliche Optimierung und Risikobewältigung das Verhalten der Menschen sich nur dahin gehend ändert, noch risikoreicher zu leben, wenn ein vermeintlicher Schutz beziehungsweise Versorgungssicherheit gewährleistet scheinen. Diese Liste ließe sich noch weiter fortführen. Dass die meisten Probleme im Verhalten von Menschen und in komplexen Umweltbedingungen verankert sind, wird mit einer unpolitisch ausgerichteten Designstrategie, die einfach neue Kleidungsstücke für die jeweiligen Belange und für die mittels Werbung produzierten Bedürfnisse hervorbringt, ausgeblendet. Erfolg versprechend scheint hierbei jenes Produkt, welches sich in die bestehenden Systeme einfügt, auch wenn diese bereits überlastet sind.169 Diese Art der Problemlösung hat laut Burckhardt „ihre Ursache in der Stellung des Designers innerhalb der Entscheidungsgruppen: als ein im Grunde von der Verantwortung befreiter Ideenlieferant“.170 Mehr als dreißig Jahre nach seinen feinsinnigen Analysen zum Industriedesign treffen diese auf die Fremd- und Selbstdefinition und die gesellschaftliche Position der (Mode-)Designer/innengeneration des 21. Jahrhunderts zu, die sich als bedingungslose Dienstleister/innen marktwirtschaftlichen Sachzwängen beugen. Doch grundsätzlich stünde es jedem/r Designer/in frei, als aktives Medium zwischen Textil- bzw. Modeindustrie und Öffentlichkeit zu fungieren171 und aus dieser Position heraus ökologisch und sozial verträgliche Entwürfe und dementsprechende Produkte zu schaffen. [<<54]

28 Fischer/Hamilton 1999, S. 7.

29 Vgl. Lethaby 1999, S. 35.

30 Zur Frage nach einem ‚guten‘ oder ‚schlechten‘ Geschmack im Design vgl. beispielsweise Heinz Hirdinas Aufsatz Leben ist geschmacklos, Christoph Menkes und Isabelle Graws Beiträge in Texte zur Kunst. Geschmack. Taste sowie Beat Schneiders Text zu Design – Geschmack und Kitsch. Vgl. Graw 2009; Hirdina 2008, S. 57–63; Menke 2009; Schneider 2005, S. 229–234.

31 Vgl. Rotermund 2012, S. 86.

32 Vgl. ebd.

33 Ebd., S. 87.

34 Vgl. o. V. in Hennessy 2012, S. 199.

35 Vgl. Schuppisser 1961, S. 272.

36 Vgl. de Marly 1990, S. 49f.

37 Vgl. Coleman 1989, S. 10 und o. V. in Hennessy 2012, S. 199.

38 Vgl. Pape 2008, S. 75ff.

39 Vgl. Thiel 1979, S. 137; S. 148f.

40 Vgl. ebd., S. 137–151.

41 O. V. o. J.: Esmod Japon. History. URL: http://www.esmodjapon.co.jp/en/history/ (20. 10. 2014).

42 Vgl. Kraft 2001, S. 70.

43 Vgl. Schneider 2005, S. 221 und Weidmann 1998, S. 20.

44 Im Bereich der Produktgestaltung kritisierte Uta Brandes die Segmentierung nach „harten Bereichen“, denen das Industrie- und Medien-Design etc. zuzuordnen sei, und nach „weichen Bereichen“, zu denen unter anderem das Textil- und Modedesign zähle. Vgl. Brandes 1998, S. 83.

45 Richard Sennett führte diesbezüglich in seiner historischen Darstellung den Goldschmied Benvenuto Cellini an, der durch seine Originale große Berühmtheit als Künstler erlangte. Vgl. dazu Sennett 2008, S. 95ff.

46 Sennett 2008, S. 98.

47 Ebd., S. 98f.

48 Vgl. Walker 1992, S. 35.

49 Hirdina 2008, S. 207.

50 Vgl. ebd., S. 210.

51 Vgl. Coleman 1989, S. 9.

52 Mareis 2011, S. 235f.

53 Zu den Verschiebungen von Zuschreibungen, die dem Unternehmer, Künstler, Erfinder etc. in historischen Prozessen zukommen, vgl. Mareis 2011, S. 234.

54 Carl H. Terne verwendete den Begriff „Industriegestalter“ bereits 1839. Vgl. Hirdina 2008, S. 227.

55 Vgl. Lehnert 2012, S. 269ff. und Charles-Roux 2002.

56 Lehnert 2012, S. 270.

57 Vgl. dazu die mit Klatschgeschichten verdichteten Berichte zur Rivalität der beiden Stardesigner Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld von Alicia Drake. Drake 2007.

58 Vgl. Schneider 2005, S. 113f.

59 Vgl. Bürdek 1991, S. 43ff.

60 Vgl. Schneider 2005, S. 165.

61 Vgl. Walker 1992, S. 36.

62 Legendär sind Dieter Rams’ zehn Thesen zum Design aus den 1970er-Jahren. Weniger bekannt dagegen ist sein Tokio-Manifest von 2009, in dem er sich zu einem Design bekennt, das den „Schutz der natürlichen Umwelt und Überwindung des gedankenlosen Konsums“ als Herausforderungen annimmt. Vgl. Rams 2009, S. 502 und Borries 2013, S. 24; Schneider 2005, S. 113.

63 Zur diesbezüglichen Entwicklung in Deutschland vgl. Grundmeier 2005, S. 230–235.

64 Vgl. Frenzl 2009, S. 126.

65 Mareis 2011, S. 235f.

66 Sennett betonte dahin gehend die ökonomische Beziehung zwischen Auftraggeber und Künstlerpersönlichkeit. Vgl. Sennett 2008, S. 100ff.

67 Angela McRobbie hat in den späten 1980er-Jahren eine hervorragende Studie zum beruflichen Umfeld junger Modedesigner/innen vorgelegt, die mit Street-Culture-Elementen arbeiteten, und in diesem Kontext den neoliberal implementierten Charakter der Creative Industries in Großbritannien untersucht. Vgl. McRobbie 1998.

68 Zu den Implikationen einer „absoluten Neuschöpfung“ vgl. Mareis 2011, S. 237f.

69 Zur Situation in Großbritannien vgl. beispielsweise Redhead 2011, S. 32ff.

70 Voßmerbäumer, Bernd in Art Position, Sonderheft Design, 20. August 1990 zitiert nach Bürdek 1991, S. 68.

₺432,53

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
390 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783846344033
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre