Kitabı oku: «Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im 2. Zyklus (E-Book)», sayfa 2

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1.4 Der Fokus der Unterrichtsanalysen: Vermittlung, Lernbegleitung, Aneignung

Im Projekt geht, es wie einleitend ausgeführt, um die Frage, wie der Unterricht in der Mehrjahrgangsklasse organisiert ist, wie das jahrgangsübergreifende Lernen am gleichen Gegenstand arrangiert wird. Zudem rekonstruieren wir, wie der Lerngegenstand, d.h. die fachlichen und fachdidaktischen Aspekte, aufbereitet, eingeführt und vermittelt werden. Für die Beschreibung der Unterrichtsbeispiele wählen wir die Aspekte der Vermittlung sowie Lernbegleitung und Lernunterstützung durch die Lehrperson und der Aneignung durch die Lernenden.

Lernbegleitung und -unterstützung bezeichnet Reusser (2019) als die «wichtigsten Professionalisierungs- und Entwicklungsaufgabe[n] von Lehrpersonen» (S. 157). Denn bei der Lernbegleitung stehen die «Tiefenstrukturen», die fachlichen und fachdidaktischen Aspekte, im Vordergrund. Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und das unterschiedliche Vorwissen der Lernenden fordern die Lehrperson heraus. Insbesondere im Setting der Mehrjahrgangsklasse muss sie sich von einem «eng geführten Klassenunterricht […] verabschieden» (ebd.). Gefragt sind schliesslich «Kompetenzen der individuellen und gruppenbezogenen Lernunterstützung» (ebd.). «Dies heisst, flexibel auf wechselnde Bearbeitungsstände, Verständnisschwierigkeiten und Lernfortschritte einzugehen, Unterstützungsbedarfe zu erkennen und fachlich angemessene Hilfestellungen zu geben» (ebd.). Fachliche und fachdidaktische Grundlagen sind Voraussetzungen für eine zielführende Lernunterstützung. Die Lehrperson soll in der Lage sein, die Schülerinnen und Schüler individuell zu begleiten, dies vor dem Hintergrund einer grösseren Bandbreite an Lernvoraussetzungen in der Mehrjahrgangsklasse. Diese Problematik wird von Breidenstein (2014) aufgegriffen und unter institutionellen Bedingungen des Schulalltags diskutiert. Der Autor interessiert sich dafür, wie Lehrpersonen der Anforderung an individuelle Begleitung in einem Setting nachkommen, das sich vom «eng geführten Klassenunterricht» (Reusser, 2019, S. 159) verabschiedet hat. Breidenstein und sein Forschungsteam «fragen anhand der Beobachtung des praktischen Vollzugs individualisierten Unterrichts nach den zugrunde liegenden Handlungs- und Strukturproblemen» (Breidenstein, 2014, S. 36). Die Forschenden diskutieren die beobachteten Praktiken von Lehrpersonen unter dem Stichwort der «Knappheit der Ressource Lehrkraft» (ebd., S. 48). Nicht alle Lernenden können gleichzeitig hinsichtlich ihrer individuellen Fragen betreut und in ihrem Lernprozess begleitet werden. Gemäss Breidenstein wird «die Diskrepanz zwischen der Kapazität der Lehrperson und der Vielzahl der Schüleranfragen im individualisierten Unterricht nur […] durch eine gewisse Standardisierung der Schülertätigkeiten und damit der Problemstellungen» (ebd., S. 48) lösbar. Die Dezentrierung des Unterrichtsgeschehens, also die Tatsache, dass der Unterricht nicht mehr um die Erklärungen und Handlungen der Lehrperson, sondern auf das selbstständige und individualisierte Lernen und Arbeiten der Schülerinnen und Schüler hin organisiert ist, hat (neue) Praktiken der (Selbst-)Steuerung und (Selbst-)Kontrolle zur Folge. Das selbstständige Arbeiten der Lernenden geschieht durchwegs auf der Basis bereitgestellter Materialien wie Arbeits- resp. Aufgabenblätter und Lehrmittel. Breidenstein problematisiert diese Form des Lehr-Lernarrangements wie folgt: «Das konkrete Hantieren mit dem Material scheint gegenüber Lerninhalten bzw. -prozessen dominant zu werden» (ebd., S. 45). Ähnliche Beobachtungen machten bereits Liebers et al. (2008) in ihrer Untersuchung zur flexiblen Schuleingangsphase.

Wie wir oben ausgeführt haben, bezieht sich die Diskussion über das (jahrgangsübergreifende) Lehren und Lernen wesentlich auf die Fähigkeiten der Lehrpersonen und die Qualität des Fachunterrichts. Welchen Sinn die Lernenden mit dem Lerngegenstand verbinden, welche Bedeutung der Lerngegenstand für sie und für ihr Lernen hat, wird weniger in den Blick genommen. Aus diesem Grund plädiert Pollmanns (2010) dafür, die Aneignungsseite des Unterrichts, d.h. die Lern- und Bildungsprozesse der Schülerinnen und Schüler, stärker zu beachten. Mit dem Begriff der Aneignung bezeichnet Pollmanns sowohl «die Art und Weise, in der [Schülerinnen und Schüler] Unterricht und ihre SchülerInnen-Rolle deuten» als auch die gleichzeitige Rekonstruktion der Bedeutungen, «die sie in der Auseinandersetzung mit dem unterrichtlichen Gegenstand entwickeln» (ebd., S. 108). Im Rahmen unseres Projektes erschliessen wir die Aneignungsseite des Unterrichts anhand von Interviews mit einzelnen Schülerinnen und Schülern, anhand von Gesprächen unter Schülerinnen und Schülern sowie anhand von Produkten und Lernspuren, die im Rahmen der Unterrichtseinheiten geschaffen wurden.

1.5 Zu den einzelnen Beiträgen

Im Projekt interessiert uns, wie der Lerngegenstand im jahrgangsübergreifenden Fachunterricht von den Lehrpersonen aufbereitet und arrangiert wird. Dies umschreiben wir in den einzelnen Kapiteln zu den fünf untersuchten Schulfächern als Vermittlung. Wir untersuchen auch, welchen Aktivitäten die Lernenden im Unterricht nachgehen, wie sie den Lerngegenstand verhandeln und welche Produkte sie im Rahmen der Unterrichtseinheiten erstellen. Damit diskutieren wir den Aspekt der Aneignung. Auf dieser Basis wird für die Leserin und den Leser deutlich, wie der Lerngegenstand in den konkreten Beispielen nachvollzogen werden kann und welche Herausforderungen sich daraus für den Unterricht ergeben. Im Fokus stehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die sich anhand der beobachteten Lektionen in den verschiedenen Schulfächern zeigen, und die fachspezifischen Besonderheiten und Kontextbedingungen, die sich daraus rekonstruieren lassen. Ziel ist es, einen Beitrag zur Auseinandersetzung um fachliche und fachdidaktische Aspekte des jahrgangsübergreifenden Unterrichts zu leisten, Lehrpersonen sowie Studierende der Grundaus- und Weiterbildung zu inspirieren und zu ermutigen, jahrgangsübergreifendes Lernen auf der Basis fachdidaktischer Grundlagen zu erproben, zu entwickeln und zu reflektieren. Die Analysen zeigen, dass die Gestaltung des Lernangebots stark nach Schulfach und didaktischen Vorgaben wie Lehrplan, Lehrmittel sowie Anweisungen und Empfehlungen der Bildungsverwaltung variiert.

Die Fallbeispiele in den jeweiligen Kapiteln sind kontrastierend angelegt. Das bedeutet, dass sie unterschiedliche Aspekte der Aneignung, Vermittlung respektive des Lerngegenstandes fokussieren. Aufgebaut sind die einzelnen Kapitel entlang der Dimensionen Vermittlung, Aneignung und Lerngegenstand (Differenzierung, Beurteilung, kooperative Elemente im Unterricht usw.). Insofern sind die Ausführungen auch an die in der Fachdidaktik vermittelten zentralen Konzepte anschlussfähig. Die einzelnen Beiträge können als eigenständige Aufsätze gelesen werden. Der Band ist wie folgt aufgebaut:

In Kapitel 2 werden zwei Unterrichtsbeispiele aus dem Fach «Mathematik» vorgestellt. Der jahrgangsübergreifende Mathematikunterricht stützt sich in der Deutschschweiz grösstenteils auf jahrgangsgetrennte Lehrmittel. Oft gilt es für die Lernenden, nach Jahrgängen getrennte Pläne durchzuarbeiten. Die Lehrperson unterstützt durch Lernbegleitung und Instruktion. Im Projekt interessiert die Frage, wie ein Unterricht aussieht, in dem Lernende verschiedener Schuljahre den gleichen Lerngegenstand gemeinsam erschliessen, interagieren, Fragen und Antworten gemeinsam entwickeln und sich beim Lernen unterstützen. Der Beitrag skizziert und diskutiert zwei Situationen, in denen dies gelingt.

Das Fach «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG, Sachunterricht) gilt als Vorreiter, wenn es um die Förderung und Umsetzung kompetenzorientierter sowie jahrgangsübergreifender Didaktikkonzepte geht. Im Kapitel wird anhand von zwei Fallbeispielen aufgezeigt, welche Chancen und Schwierigkeiten sich im NMG-Unterricht ergeben, wenn dieser auf einen jahrgangsübergreifenden Lerngegenstand ausgerichtet ist.

Anhand von zwei Unterrichtsbeispielen aus dem Fach «Deutsch», in deren Zentrum Schreibaufgaben stehen, wird im Beitrag aufgezeigt, wie Schreibaufgaben für den jahrgangsübergreifenden Unterricht fruchtbar gemacht werden können. Zentral dabei ist, Schreiben als Prozess zu begreifen und die Schreibaufgaben auch dementsprechend anzulegen. Grundlage dafür liefern die aktuellen Konzepte der Schreibdidaktik im Sinne von situierten und profilierten Schreibaufgaben.

Da jahrgangsübergreifendes Lernen im Fach «Französisch» selten anzutreffen ist, sind aktuelle Forschungsergebnisse kaum greifbar. Das für den Französischunterricht im Kanton Bern obligatorische Lehrmittel Mille feuilles für den Zyklus 2 basiert auf einzelnen Lerneinheiten, sogenannten parcours, die gemäss Verlag «nicht spezifisch für das Lernen am gleichen Gegenstand in Mehrjahrgangsklassen konzipiert» wurden (Passepartout & Schulverlag, 2013, S. 3). Wie durchlaufen also Lehrpersonen in jahrgangsübergreifenden Klassen diese parcours und wie konstruieren sie die Lerngegenstände? Im Kapitel werden die Herangehensweisen zweier Lehrpersonen beleuchtet.

Im Fach «Englisch» führen verschiedene Gründe dazu, dass sich die Frage «To JüL or not to JüL?» für Lehrpersonen im Englischunterricht an Mehrjahrgangsklassen selten stellt. Ein wichtiger Grund ist das Merkblatt der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern. Trotz dessen Empfehlungen findet an etlichen Schulen Englischunterricht in Mehrjahrgangsklassen und nicht in Jahrgangsklassen statt. Im Kapitel wird exemplarisch aufgezeigt, wie zwei Lehrpersonen den Englischunterricht an ihren Mehrjahrgangsklassen gestalten und wie dabei jahrgangsübergreifendes Unterrichten praktiziert wird.

In Kapitel 7 werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Fächer in Bezug auf wesentliche Aspekte diskutiert und es wird ein Fazit gezogen.

Literatur

Adamina, Marco (2019). 12. Lernen unterstützen – adaptiv-konstruktiv lehren. In Peter Labudde & Susanne Metzger (Hrsg.), Fachdidaktik Naturwissenschaft. 1.–9. Schuljahr. 3., erweiterte und aktualisierte Auflage (S. 183–196). Bern: Haupt.

Adamina, Marco et al. (2020). Kompetenzorientierte fachspezifische Unterrichtsentwicklung. Professionalisierung von Lehrpersonen durch fachdidaktische Fallarbeit. Bern: hep.

Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern BKD (2019). Merkblatt Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen. Abgerufen von URL https://www.erz.be.ch/erz/de/index/kindergarten_volksschule/kindergarten_volksschule/fremdsprachenunterricht/aktuell.html [31.1.2021].

Breidenstein, Georg (2014). Die Individualisierung des Lernens unter den Bedingungen der Institution Schule. In Bärbel Kopp, Sabine Martschinke, Meike Munser-Kiefer, Michael Haider, Eva-Maria Kirschhock, Gwendo Ranger & Günter Renner (Hrsg.), Individuelle Förderung und Lernen in der Gemeinschaft. Jahrbuch Grundschulforschung 17 (S. 35–50). Wiesbaden: Springer.

Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) (2014). Lehrplan 21. Abgerufen von URL https://v-fe.lehrplan.ch/ [9.2.2021].

Fiechter, Ursula; Arnaldi, Ursula & Müller, Anna (2015). Kompetenzorientierte Aufgaben gemeinsam gestalten. Einblick in ein Entwicklungsprojekt zum altersdurchmischten Lernen. Bern: Schulverlag plus.

Labudde, Peter & Metzger, Susanne (Hrsg.) (2019). Fachdidaktik Naturwissenschaft. 1.–9. Schuljahr. 3., erweiterte und aktualisierte Auflage. Bern: Haupt.

Liebers, Katrin; Prengel, Annedore & Bieber, Götz (Hrsg.) (2008). Die flexible Schuleingangsphase. Evaluationen zur Neugestaltung des Anfangsunterrichts. Weinheim und Basel: Beltz.

Pollmanns, Marion (2010). Zur Aneignungsseite des Unterrichts. Pädagogische Fallstudie unterrichtlicher Lern- und Bildungsprozesse. In Rudolf Egger & Bernd Hackl (Hrsg.), Sinnliche Bildung? Pädagogische Prozesse zwischen vorprädikativer Situierung und reflexivem Anspruch (S. 108–122). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Reusser, Kurt (2019). Unterricht als Kulturwerkstatt in bildungswissenschaftlich-psychologischer Sicht. In Ulrich Steffens & Rudolf Messner (Hrsg.), Unterrichtsqualität. Konzepte und Bilanzen gelingenden Lehrens und Lernens. Grundlagen der Qualität von Schule 3 (S. 129–166). Münster: Waxmann.

Reusser, Kurt; Stebler, Rita; Mandel, Debbie & Eckstein, Boris (2013). Erfolgreicher Unterricht in heterogenen Lerngruppen auf der Volksschulstufe des Kantons Zürich. Wissenschaftlicher Bericht. Zürich: Universität Zürich, Institut für Erziehungswissenschaft. Abgerufen von URL https://www.fachportal-paedagogik.de/literatur/vollanzeige.html?FId=1022484#vollanzeige [31.2.21].

Singh, Lisa & Elmiger, Daniel (Hrsg.) (2017). Externe Evaluierung der Pilotphase des Französisch- und Englischunterrichts nach Passepartout. Schuljahre 2009–2016. Neuchâtel: irdp.

Wannack, Evelyne (2015). Altersdurchmischtes Lernen im Spiegel empirischer Forschung (Downloadversion). In Ursula Fiechter, Ursula Arnaldi & Anna Müller. Kompetenzorientierte Aufgaben gemeinsam gestalten. Einblick in ein Entwicklungsprojekt zum altersdurchmischten Lernen. Bern: Schulverlag plus.

2 Fach Mathematik: Individuelles und kooperatives Lernen in jahrgangsübergreifenden Klassen

Beat Wälti

Der jahrgangsübergreifende Mathematikunterricht stützt sich in der deutschen Schweiz grösstenteils auf jahrgangsgetrennte Lehrmittel. Oft gilt es für die Lernenden, nach Jahrgängen getrennte Pläne durchzuarbeiten. Die Lehrperson unterstützt durch Lernbegleitung und Instruktion. Im Rahmen des vorliegenden Projekts interessiert die Frage, wie ein Unterricht aussieht, in dem Lernende verschiedener Schuljahre den gleichen Lerngegenstand gemeinsam erschliessen, interagieren, Fragen und Antworten gemeinsam entwickeln und sich beim Lernen unterstützen. Der Beitrag skizziert und diskutiert zwei Situationen, in denen dies gelingt.

2.1 Ausgangslage

Forschungsergebnisse zeigen, dass die Wirksamkeit von Mathematikunterricht in engem Zusammenhang mit den Unterrichtskonzepten (vgl. Wagener, 2014), den Beliefs (vgl. Nührenbörger, 2006; Matter, 2016) und dem Professionswissen (Krauss et al., 2008) der Lehrpersonen steht. Für das jahrgangsübergreifende Lernen im Mathematikunterricht ergeben sich diesbezüglich Fragen:

 Inwiefern gelingt es, Lernende in jahrgangsübergreifenden Klassen gemeinsam zu mathematischem Handeln anzuregen, sie zu Interaktion und Diskussion zu ermutigen und vom gleichen Unterrichtsgegenstand (bzw. von der gleichen Aufgabe) ausgehend die eigenen Kompetenzen zu erweitern?

 Ist es überhaupt sinnvoll, wenn Lernende in jahrgangsgemischten Klassen nicht immer, aber immer wieder echt kooperativ zusammenarbeiten, sich austauschen und sich gegenseitig unterstützen?

 Wie sehen entsprechende Aufgaben aus?

 Ist ein solcher Unterricht in gleichem Masse zielführend wie der Unterricht, der sich auf Jahrgangslehrmittel stützt?

Entsprechende Untersuchungen in den letzten Jahren liegen im deutschsprachigen Raum allerdings lediglich von Matter (2016) vor. Er weist positive Effekte auf die Unterrichtsorganisation und das Lernen der Schülerinnen und Schüler nach, wenn in Mehrjahrgangsklassen eine Parallelisierung der Inhalte von Jahrgangslehrmitteln vorgenommen wird.

Einer der Hauptgründe für die mangelhafte Datenlage mag sein, dass sich Mathematiklehrpersonen stark an Lehrmittel anlehnen. Für Mehrjahrgangsklassen geeignete Aufgabenstellungen stehen zwar in Sekundärliteratur und vereinzelt auch in Lehrmitteln (Wälti et al., 2018) zur Verfügung, sind jedoch nicht Teil des Unterrichtskonzepts von Lehrmitteln. Diese sind für Jahrgangsklassen konzipiert: Die Aufgaben lassen sich einzeln bearbeiten, Erkenntnisse lassen sich dann allenfalls im Nachgang nach dem Konzept des dialogischen Lernens (Ruf & Gallin, 2011) diskutieren. Der Vordenker vieler aktueller Mathematiklehrmittel argumentiert, dass Mathematikunterricht mit Vorteil in Jahrgangsklassen unterrichtet werden sollte (vgl. Wittmann & Müller, 1984; 2012). Eher der Not gehorchend werden in den letzten Jahren Empfehlungen gemacht, wie mit Lehrmitteln für Jahrgangsklassen wie dem Zahlenbuch (Affolter et al., 2009; 2010) jahrgangsübergreifend gelehrt und gelernt werden kann. Diese Empfehlungen regen an, dass verschiedene Klassen am gleichen Thema bzw. am gleichen Lerngegenstand (z.B. Addition) arbeiten. Eine jahrgangsübergreifende Interaktion wird jedoch durch die verschiedenen Aufgaben stark behindert.

Die Diskussion darüber, wie ein geeigneter alters- und niveaugemischter Unterricht aussehen mag, wurde jedoch jüngst durch die Lehrmittelreihe MATHWELT 1 (Hess et al., 2018) und MATHWELT 2 (Wälti et al., 2018) neu entfacht, ohne dass bisher entsprechende Forschungsergebnisse vorliegen. Damit Lernende verschiedener Klassenstufen mathematisch interagieren, ist nicht nur das Lernen an einem gemeinsamen Lerngegenstand, sondern immer wieder auch innerhalb der gleichen Aufgabe angesagt. Das Konzept der Interaktion bereits während der Aufgabenbearbeitung kontrastiert mit Arbeitsplänen, die stufenspezifische Bedürfnisse bedienen und von den Lernenden abgearbeitet werden müssen.

Ob sich das Konzept der Interaktion während der Bearbeitung von Aufgaben durchzusetzen vermag, lässt sich zurzeit nur schwer abschätzen. Didaktische Wellen kommen und gehen, ohne dass sie die Frage nach dem bestmöglichen Lernerfolg für viele Schülerinnen und Schüler ultimativ beantworten. In den 90er-Jahren setzten Gallin und Ruf mit dem Konzept des dialogischen Lernens (ich – du – wir) einen Akzent, der das gemeinsame Lernen betont. Zurzeit bekennen sich viele Schulen konzeptionell zu individuellem, selbstorganisiertem Lernen (SOL). Die Suche nach einer lernförderlichen Balance zwischen individuellem und kooperativem Lernen ist vor diesem Hintergrund für viele Lehrpersonen nicht nur Spannungsfeld, sondern fortwährende Lern- und Entwicklungsaufgabe mit entsprechendem Forschungsbedarf.

Die gedanklichen Vorreiter dieser scheinbar gegensätzlichen Positionen sind Piaget und Vygotzky.

Piaget verstand Lernen als Zusammenspiel von zwei Prozessen: der Assimilation (Einordnung einer neuen Erfahrung in ein bestehendes kognitives Schema) sowie der Akkommodation (Veränderung eines kognitiven Schemas aufgrund von Erfahrung). Gemäss Piaget kann die Umwelt Lernen lediglich stimulieren, neue Erkenntnisse werden immer individuell konstruiert.

Der Interaktionismus sieht demgegenüber individuelle Lernfortschritte in Zusammenhang mit Interaktionsprozessen zwischen den Individuen einer Gruppe. Das eigentliche (individuelle) Lernen wird diesem Verständnis folgend durch kollektive Prozesse ausgelöst, die dem individuellen Lernen «voranschreiten». Auf der aktuellen Entwicklungsstufe können Probleme auf einem bestimmten Niveau selbstständig gelöst werden. Auf der nächsten Stufe kann ein Problem zunächst nur durch Nachahmung oder Anleitung gelöst werden. Lernen ist dann quasi die kognitive Nachbearbeitung von Erlebtem. Die Rolle der Schule besteht folgerichtig darin, die Lernenden beim Übergang in die nächste Zone mithilfe entsprechender Lernsettings zu begleiten.

Vygotsky (vgl. Textor, 2000) und Piaget (vgl. Montada, 1995) gehen gleichermassen von der Prämisse aus, dass Lernen durch Irritationen ausgelöst wird. Irritationen provozieren individuell bedeutsame Fragen. Die «Zone der nächsten Entwicklung» eröffnet sich laut Vygotzky (Textor, 2000) ausgehend von bedeutsamen Fragen durch die Auseinandersetzung mit Lerngegenständen, Situationen oder Lernpartnerschaften sowohl beim individuellen als auch beim kooperativen Lernen.

Ein Blick in den Unterricht von Mehrjahrgangsklassen legt die Vermutung nahe, dass individualisiertes Lernen für viele Lehrpersonen ein Gebot der Stunde ist. Unter dem Etikett «SOL» besteht für viele Lernende die Lernzeit zu einem grossen Teil aus Planarbeit. SOL verspricht einerseits, den unterschiedlichen Lernbedürfnissen der Lernenden Rechnung zu tragen, und andererseits, selbstgesteuertes Lernen zu fördern. Nicht selten wird die Arbeit mit vorgefertigten Plänen als Gegenentwurf zum lehrpersonenzentrierten Unterricht interpretiert und als geeignete Form der Individualisierung und Differenzierung angesehen. Dass dabei kooperatives Lernen weitgehend auf der Strecke bleibt, wäre leichter zu verschmerzen, wenn wenigstens das individuelle Lernen substanziell gefördert würde. Wo aber Pläne als abzuarbeitender Stoff verstanden werden, weicht das Lernen in Sinnzusammenhängen – zumindest teilweise – dem Generieren von Aufgabenlösungen. In diesem Fall verstehen Lernende ihre Ziele nicht inhaltlich, sondern messen ihr Lernen an der Anzahl erledigter Aufgaben. Dass Konzepte der Lernenden dabei im Sinn von Piaget irritiert werden, ist wohl eher die Ausnahme.

Auf der Suche nach der angesprochenen Balance zwischen individuellem und kooperativem Lernen gilt es, individuell bedeutsame und qualitativ hochwertige Lernunterstützung anzubieten. Eine solche Lernunterstützung lässt sich weder rezeptartig organisieren, durch Arbeitspläne gewährleisten oder digital verwalten. Sie entsteht situativ im Wechselspiel mit den Lernenden. Die an sich begrüssenswerte Stossrichtung der SOL-Welle (hin zu einem schülerinnen- und schülerzentrierten Unterricht) hat das Lernen nicht nur einsamer, sondern auch weniger lustvoll und technokratischer werden lassen. Im Sinn der aus dem Lot geratenen Balance gilt es heute, echt kooperatives Lernen vermehrt in den Fokus zu nehmen.

Das kooperative Lernen ist eine Form des Lernens, bei der die Schülerinnen und Schüler zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Im Idealfall können die Mitglieder der Gruppe das eigene Ziel nur dann erreichen, wenn auch die anderen Gruppenmitglieder erfolgreich sind (vgl. Johnson et al., 2000). Das Einteilen von Lernenden in Lerngruppen bedeutet jedoch noch lange nicht, dass daraus kooperatives Lernen während der Aufgabenbearbeitung entsteht. Um die Stossrichtung der Beispiele im nächsten Kapitel einordnen zu können, enthält Tabelle 4 eine Gegenüberstellung von drei Konzeptionen des kooperativen Lernens. Die folgenden Unterrichtsbeispiele sind in der rechten Spalte anzusiedeln.


Art der Kooperation
Methodenbasiertes, kooperatives Lernen Kooperatives, dialogisches Lernen Kooperatives Lernen während der Aufgabenbearbeitung
Charakteristik Die Methode steht im Zentrum. Oft werden damit Grundfertigkeiten automatisiert. Fachliche Anliegen werden in die Methode «eingefüllt». Aufgaben werden im Dialog bearbeitet. Oft ist aber auch bloss eine gemeinsame Reflexion nach der Aufgabenbearbeitung vorgesehen. Fachliche Anliegen stehen im Zentrum. Interaktion ist notwendig, um ein gegebenes Ziel zu errei-chen. Die Lernsituation ist einzeln nicht machbar.
Positionierung Keine Lernaufgaben. Die Methode bestimmt die Aufgabe, fachliche Anliegen sind austauschbar. Es geht in der Regel lediglich darum, deklaratives Wissen abzufragen oder zu automatisieren. Anregungen sind u.a. in Ratgebern zu kooperativem Lernen zu finden. Reichhaltige Lernaufgaben, Lernumgebungen. Zum Beispiel in Mathematik und Deutsch haben sich in den letzten Jahren Lehrmittel und Begleitliteratur diesem Anliegen stark angenommen. Prominente Unterstützung von Gallin und Ruf. Spielerische Ansätze oder problemorientierte Aufgaben, die nur gemeinsam gelöst werden können. Vereinzelt in Lehrmitteln anzutreffen. Entsprechende Chancen werden für das Lernen in vielen Fächern wenig genutzt. Die Diskussion wird hier weitergeführt.
Beispiele Schülerinnen und Schüler fragen einander gegenseitig ab: Vokabeltraining; Reihentraining. Lernende organisieren ein Quiz. «Wandtafelfussball». Gemeinsame Reflexion von Lösungen oder Lösungswegen. Peer-Feedback zu Produkten. Gruppenpuzzle. Gemeinsames Erarbeiten eines Produktes. Kooperatives Lernspiel. Konfliktlösungsprozess. Organisation einer Veranstaltung.

Tabelle 4: Drei Konzepte zum kooperativen Lernen (vgl. Wälti, Schütte & Friesen 2020, S. 26)

Kooperatives Lernen ist eine Frage des Unterrichtssettings. Zurzeit existieren zu wenig entsprechend konstruierte Lernaufgaben, die eine Kooperation bereits während der Aufgabenbearbeitung notwendig machen. Die Lehrpersonen sind aber auch gefordert, innerhalb vorhandener substanzieller Aufgaben Gelegenheiten für kooperatives Lernen (auch spontan) wahrzunehmen und entsprechende Aktivitäten zu betreuen. Dabei wird der Unterricht weniger planbar, der Lernerfolg lässt sich nicht in Form gelöster oder zumindest korrigierter Aufgaben archivieren. Art und Qualität der Interaktion zwischen den Lernenden sind komplex und nur bedingt zu steuern. Wo aber Lehrpersonen den damit verbundenen Kontrollverlust als Chance sehen, kann eine ganz andere Qualität von selbstorganisiertem Lernen entstehen: Lernende arbeiten gemeinsam auf ein Ziel hin, finden Fragen und Antworten in ihren eigenen Worten, treffen Entscheidungen und loten die Grenzen ihrer momentanen Kompetenz aus.

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