Kitabı oku: «Ein schönerer Schluss», sayfa 2

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IV
1.

Ich erinnere mich, wie ich aus dem Flugzeug steige, dumpf vom Valium gehe ich gähnend durch die Passkontrolle. Über meine Wangen rinnen Tränen. Der Polizist grüßt freundlich, sieht in den roten norwegischen Pass, fragt, woher ich komme, ich antworte schleppend, durch die Nase. Er haut den Stempel auf eine freie Seite und sagt: – Willkommen zu Hause! – Ich sehe ihn verwundert an, auf seinem Gesicht suche ich nach Spuren von Sarkasmus, aber es ist aufrichtig und gerötet. Ich schlurfe weiter, nehme das Gepäck, einen alten blauen Rucksack, den ich vor langer Zeit einmal in der Wäscherei im Studentenheim in Oslo habe mitgehen lassen, und suche den Ausgang. An der Zollkontrolle stehen ein Polizist mit Hund, dessen Rasse ich nicht mit Sicherheit bestimmen kann, und eine Polizistin, jeder auf einer Seite des Durchgangs. Der Hund beschnuppert die Leute, wenn sie vorbeikommen. Als ich näher komme, wird er sichtlich aufgeregt, beginnt mit dem Schwanz zu wedeln und mich zu umkreisen. Ich denke doch, dass es sich um einen Labrador handelt. Die Polizistin fragt, ob ich mit ihr in einen Raum auf der rechten Seite kommen würde. Ich setze mich wortlos in Bewegung. Sie bittet mich, mein Gepäck auf den Tisch zu stellen und den kleinen und den großen Rucksack zu öffnen. Sie fragt mich, ob ich wisse, weshalb sie mich angehalten hat. Ich sage, ich weiß.

– Weißt du, was das für ein Hund ist?

– Ich weiß.

– Weißt du, weshalb er auf dich reagiert hat?

– Vielleicht, weil ich in diesem Rucksack bis vor Kurzem Gras gehabt habe – antworte ich gähnend.

Sie scheint sich zu freuen, leise wiederholt sie meinen Satz Wort für Wort und fängt an, im kleinen Rucksack zu wühlen, den ich als Handgepäck mit an Bord hatte. Sie fragt, ob ich noch etwas davon bei mir habe.

Ich sehe sie an und schweige. Sie wiederholt die Frage. Ich frage, ob ich ihr so dumm vorkomme.

Dann muss ich alles aus beiden Rucksäcken herausnehmen, in der Hauptsache Schmutzwäsche und mehrere Bücher. Sie fragt mich, ob ich Haschisch rauche, ich sage, ja.

– Du rauchst? – wiederholt sie und unterbricht für einen Moment ihre Suche im Necessaire.

– Ich rauche – antworte ich und verspüre eine leichte, aber erfüllende Befriedigung, weil ich so verdammt cool bin. Ich weiß, dass das deshalb ist, weil mich das Valium aus dem Flugzeug noch aufrecht hält, und dass mein „Phlegma“ gespielt ist, aber das ist mir egal. Die Polizistin fragt mich, wann ich das letzte Mal geraucht habe.

– Auf dem Flughafen in Split.

Dann kommt der andere Polizist und führt mich in einen kleinen Nebenraum. Hier befiehlt er mir freundlich, mich auszuziehen. Ich ziehe mich ohne jede Scheu aus, für einen Moment denke ich, dass ich jetzt auch tanzen könnte.

Der Polizist, daran gewöhnt, dass es den Leuten unangenehm ist, versucht ein Gespräch anzuknüpfen. Während er meine Jacke, Hose, Strümpfe, Schuhe untersucht, fragt er höflich, wohin ich gereist bin, was ich dort getan habe, was ich von Beruf bin und solche Sachen. Ich ziehe die Unterhose aus, halte sie ihm hin, ich bin völlig nackt. Ich sage, dass ich überhaupt keine Lust habe zu erzählen, und dass er seine Arbeit machen soll.

– Okay? – setze ich von oben herab hinzu.

– Okay – gibt er ruhig zur Antwort.

Er sieht mir in den Mund, unter die Achseln, und am Schluss bleibt nur noch, dass er mir den Finger in den Anus schiebt. Aber ich sehe, dass er es sich im letzten Moment anders überlegt und es sein lässt.

– Auch besser für dich – denke ich boshaft. – Da würde ich auch nicht reinsehen wollen.

2.

Die Tür öffnet sich mit einem grellen elektronischen Ton, ich gehe hindurch. Ich überschreite die grüne Linie auf dem Boden und betrete Norwegen. Da vorn ist ein Haufen Menschen, die auf jemanden warten. Ein Mädchen überholt mich, ein junger Mann kommt mit einem Blumenstrauß an, sie läuft ihm in die Arme, sie küssen sich nicht. Sie stehen nur lange umarmt da, er flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich stehe da, den einen Rucksack auf dem Rücken, den anderen in der linken Hand, spähe umher, als würde ich jemanden suchen, der auf mich wartet.

– Norwegen … – denke ich und gehe langsam weiter. Ein kleinerer schnauzbärtiger Mann hält ein Stück Papier in der Hand, auf dem „Helena“ steht. In der anderen Hand hält er ein norwegisches Fähnchen.

Ich gehe ganz langsam, ich erwarte etwas, einen Ansturm von Gefühlen, Erinnerungen, ich erwarte, dass jemand meinen Namen ruft, mich an die Schulter fasst … Ich bleibe stehen und drehe mich um … Nichts. Sogar die Stimmen in meinem Kopf sind verstummt. Ich sehe die Menschen um mich herum, wie sie gehen, wie sie ihr Gepäck ziehen, wie andere sie freudig erwarten, ich sehe, wie sie reden, den Mund zu einem Lächeln verziehen, glückstrahlend mit den Armen winken. Alles wird langsamer, die Stimmen werden tiefer, ich drehe mich um mich selbst, ich merke, wie die Stimmen zum entfernten Nachhall werden, wie sie irgendwo im Hinterkopf verschwinden, meine Beine werden weich, der schwarze Marmorboden scheint sich in den Save-Schlick zu verwandeln, ich fange an, mich ganz verloren um mich selbst zu drehen, wie ein Wels in der Reuse, ich höre, wie eine der Stimmen irgendwo aus dem Rückenmark kommt, wie sie voller Hohn von den in Norwegen vergeudeten Jahren spricht, wie sie lacht und ein Zigeunerlied singt, höhnisch und provokant. Ich versuche sie zu ersticken, aber sie singt und macht sich nichts draus, ich würde am liebsten in Ohnmacht fallen, ich drehe mich langsam weiter, ein älteres Paar geht vorüber und sieht mir in die Augen, das sehe ich deutlich, die Knie beginnen zu wanken, ich sehe den Schnauzbart mit dem Fähnchen, eine große Blondine geht auf ihn zu, eine Russin vielleicht, er reicht ihr das Fähnchen, sie nimmt es und weiß offenbar nicht, was sie damit soll, aber auch nicht, was mit ihm, vielleicht sollte ich selbst auch ein Stück Papier nehmen und „Helena“ draufschreiben und warten. Ich denke: Norwegen …

Ich spüre kaltes Wasser im Gesicht, jemand besprengt meine Wangen, langsam komme ich zu mir. Über mir nicken ein paar Köpfe bedeutungsvoll, zufrieden, dass sie Zeuge eines „nicht alltäglichen“ Ereignisses sind, glücklich, endlich etwas erlebt zu haben. Ich ergreife die Hand, die mich besprengt, sie gehört der älteren Verkäuferin in dem Kiosk, vor dem ich zusammengebrochen bin. Auf ihrer linken Brust hat sie ein Namensschild, auf dem steht: Cathrine. Cathrine ist eine Blondine, sie hat die Frisur von Ljupka Dimitrovska und murmelt besorgt etwas im südnorwegischen Dialekt. Zuerst denke ich, dass sie mir etwas sagen will, aber dann beugt sie sich vor, schlenzt ihre Brüste über meine Nase, besprengt meine Wangen, und ich kapiere, dass sie mit sich selbst spricht. Ich schiebe ihre Hand weg, und das Einzige, was ich herausbringe, ist:

– Zucker, geben Sie mir etwas Zucker …

Sie erhebt sich, geht zu ihrem Kiosk und nimmt eine Cola aus dem Kühlschrank.

Nachdem ich etwas von dem gezuckerten Sprudelwasser getrunken habe, stehe ich auf, und die Menschen um mich herum gehen auseinander. Die Vorstellung ist zu Ende. Cathrine kehrt hinter das Pult in ihrem Kiosk zurück, ein Mann wartet schon ungeduldig, er will seine Zeitung bezahlen.

Nach ihm gehe ich zu ihr, bedanke mich für ihre Hilfe, ich möchte die Cola bezahlen, sie winkt sofort ab, sagt, das sei nichts, sie habe sich Sorgen gemacht, sie habe mich schon von Weitem taumeln gesehen. Ich nehme endlich den Blick von ihren Brüsten und sehe ihr in die Augen. Unter der gut fünfzigjährigen gestylten Maske sieht mich ein trauriges Mädchen an. Ich kenne solche Blicke und, um ehrlich zu sein, ich habe immer Angst vor ihnen gehabt.

Ich bedanke mich, nehme den Rucksack auf den Rücken, drehe mich um und gehe ins Freie.

Als ich draußen bin, fällt mein Blick auf die Titelseiten der Zeitungen.

„Prinzessin Mette-Marit die Eleganteste auf dem Ball“, „Sparen Sie 1.000 Kronen beim Strom“, „Vierzig Tote im Irak“, „Big Brother – Kristine hat sich die Brust operieren lassen“ …

3.

Ich setze mich in den Zug und fahre in die Stadt, steige in Oslo Sentralstasjon aus, verlasse das Bahnhofsgebäude und bleibe erst einmal stehen. Es ist Abend, die Neonreklamen gehen an und aus, die Straßenbahnen surren und klingeln, an den Ampeln wechseln Rot, Gelb und Grün, wie auf Kommando gehen die Menschen los und bleiben stehen, treffen aufeinander und gehen wieder auseinander, sie kommen von ihren langweiligen Geschäften, streben ihrem Zuhause entgegen, gehen die Kinder vom Kindergarten abholen, setzen sich mit auf die Schnelle zubereitetem Essen an Tische, sprechen über ihren Tag, bringen die Kinder ins Bett, schalten die Fernseher ein, warten auf ihre Lieblingsserie, schlafen.

Links vom Hauptbahnhof erstreckt sich die Plata, eine weitläufige Wiese, auf der sich die Fixer versammeln. Sie hängen in kleinen Gruppen herum, bilden größere, gehen wieder auseinander, organisieren Ware, wechseln Flüche und für sie wichtige Informationen, fordern aggressiv Geld von den Vorübergehenden, zoffen sich mit der Polizei, die sie von Zeit zu Zeit auseinandertreibt.

Ich begebe mich in die dunkle U-Bahn-Station und erwische den Zug in den Osten Oslos, nach Tøyen.

V
1.

Damals, vor zwei Jahren, als ich mit der Metro nach Tøyen fuhr, presste ich die letzten Tropfen Optimismus aus mir heraus. Ich versuchte zu denken, dass alles noch gut werden könne, dass man von vorne anfangen müsse, dass die Menschen alles Mögliche erleben, dass sie fallen und wieder aufstehen, dass man nicht aus allem ein Drama oder eine Tragödie machen muss. Was zum Teufel bildest du dir ein? Glaubst du, dass es nur dir schlecht geht, dass sich die ganze Welt nur deinetwegen dreht? Das glaubst du? Genau wie dein Alter immer gesagt hat.

2.

In Tøyen steige ich aus und gehe die Hagegata hinauf. Drei junge Somalierinnen kommen mir entgegen. Eine ist verhüllt und trägt einen Schleier vor dem Gesicht, die anderen beiden sind in Jeans gezwängt und stechen ihre hohen Stöckel in den Gehsteig. Sie lachen und wedeln mit den Armen in der Luft. Auf dem Tøyen-Platz sitzen zwei unnatürlich magere, junge Männer auf einer Bank. Einem fällt der Kopf auf die Brust, der andere starrt auf etwas, das er in der halb offenen Faust hält. Der erste hebt den Kopf für einen Moment, flucht, dann fällt sein Kopf wieder nach vorn.

Ich komme zu Nummer 52. Neben einer der Klingeln finde ich Egils Nachnamen: Johansen. Ich läute. Eine Stimme antwortet, ich sage meinen Namen, und die Tür wird geöffnet. Ich gehe hinein und steige die Holztreppe in den zweiten Stock hinauf. In der offenen Tür steht Egil und begrüßt mich herzlich. Es gibt kein Küssen und Umarmen wie auf dem Balkan.

Da unten musst du dich mit Leuten küssen, die du jeden zweiten Tag siehst. Mit Mädchen könnte ich das noch irgendwie ertragen, aber mit Männern geht mir das echt auf den Keks. Am schlimmsten sind die, die noch beleidigt sind, wenn du sie ihrer Meinung nach nicht leidenschaftlich genug abknutschst. Und dann musst du auch noch genau darauf achten, ob du jemanden zwei oder drei Mal küsst, und es gibt auch solche, die empfindlich darauf reagieren, auf welche Wange du ihnen den ersten Kuss gibst. Ich habe wegen dieser Küsserei mehrere Menschen verloren, von denen ich geglaubt hatte, dass sie meine Freunde sein könnten.

Egil ist hager und groß gewachsen. Er redet weder viel, noch zeigt er Gefühle auf laute Art und Weise. Würde er einen Hut aufsetzen, könnte er einen sehr hageren Clint Eastwood abgeben. Er ist zehn Jahre jünger als ich, vor ein paar Jahren hat er bei mir an der Universität in Oslo Jugoslawische Literaturen gehört. So haben wir uns kennengelernt. Manchmal haben wir uns zusammen einen Joint angesteckt oder sind nach der Vorlesung auf ein Bier gegangen. Ich machte ihn mit Zigeunermusik bekannt, die gefiel ihm sehr. Jetzt, erzählt er, studiere er Arabisch und arbeite als DJ in verschiedenen Klubs in Oslo. Er spielt arabische, afrikanische und zigeunerische Sachen, angereichert mit elektronischen Beats.

Er sagt, dass eines der Zimmer in einer Woche frei sein werde und dass ich, wenn ich wolle, einziehen könne. Bis dahin könne ich im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen. In der Wohnung gebe es, außer ihm, noch zwei junge Männer. Einer der beiden ziehe nächste Woche aus.

Ich bin einverstanden, und danach gibt es nichts mehr, worüber wir reden könnten. Nach ein paar Minuten der Stille sagt Egil, er gehe jetzt in sein Zimmer, denn er müsse lernen, und ich gehe duschen.

3.

Nach dem Duschen mache ich mir das Bett auf dem Sofa vor dem Fernseher. Egil und die beiden Mitbewohner kommen und gehen abwechselnd ins Bad und ziehen sich dann in ihre Zimmer zurück.

Morgen ist ein neuer Arbeitstag, da muss man früh in die Klappe, um ausgeschlafen zu sein. Ich lege mich aufs Sofa, decke mich mit dem Schlafsack zu und schalte den Fernseher ein. Fünfzig Programme, aber kein einziges halte ich länger als fünf Sekunden aus, ich mache den Fernseher aus und versuche zu schlafen. Aber bevor ich einschlafe, gehen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Zuerst überlege ich, was ich jetzt anfangen werde. Mir einen Job suchen, von 8 bis 16 Uhr arbeiten, allein in meinem Zimmer von 17 bis 24 Uhr Haschisch rauchen, mich am Wochenende betrinken, versuchen, eine flachzulegen, sonntags meinen Rausch ausschlafen, mir einen Porno reinziehen oder vor dem Fernseher liegen und durch die fünfzig Programme zappen, auf Montag warten, auf Dienstag warten, auf Mittwoch warten, auf … Oder mich in ein Mädchen verlieben, die Wochenenden mit ihr verbringen, auf Ausflüge gehen, ihr kleine Geschenke machen, an ungewöhnlichen Plätzen Liebe machen, sie betrügen, darauf warten, dass sie mich betrügt, die Beziehung beenden, sich wieder versöhnen, sie trösten und ihr die Tränen abwischen, die Beziehung in die Länge ziehen, bis einer von uns jemand anderen findet oder sie schwanger wird. Das stelle ich mir vor und muss fast lachen, denn ich erinnere mich natürlich an meine Ex. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sie real ist oder nur ein Dämon, dazu da, meine Seele zu quälen.

Nach solchen Gedanken kann ich nicht einschlafen. Ich habe kein Haschisch und kriege allmählich die Krise. Ich nehme ein Valium, schlucke es und drehe den Kopf zur Rückenlehne.

VI
1.

Als ich aufwache, ist es still in der Wohnung, es scheint, als wäre ich allein. Alle sind schon zur Uni oder zur Arbeit. In der Wohnung lebt, außer Egil, noch ein Norweger, ein Student, den ich gestern Abend, als ich ankam, kaum zu Gesicht bekommen habe. Er ist es, der demnächst auszieht und dessen Zimmer ich in einer Woche übernehmen kann. Im letzten Zimmer, gleich neben der Küche, wohnt ein Franzose, Korrespondent mehrerer französischer Zeitungen. Ihn habe ich gestern Abend kennengelernt. Er ist groß und kräftig, mit seinen roten Bäckchen erinnert er an ein wohlgenährtes verwöhntes Kind.

Ich stehe auf und rolle den Schlafsack zusammen. Ich gehe ins Badezimmer und dusche lange und heiß. Ich rasiere mich, putze mir die Zähne, nehme frische Wäsche, ziehe Hose, T-Shirt, das Oberteil des Trainingsanzugs an, sehe mich im Spiegel an, denke an nichts.

Ich setze mich im Wohnzimmer aufs Sofa und weiß nicht, was ich tun soll. Ich sehe durchs Fenster auf die Straße hinaus. Es ist bewölkt und die Straßen sind nass. Der Regen hat mit Sicherheit schon mehrere Male angefangen und wieder aufgehört. Ein kleiner, kalter, vorhersehbarer Regen. Autos fahren vorüber und halten vor der Ampel an der Kreuzung gleich vor dem Haus. Ein paar eilige Passanten klammern sich an ihre Schirme.

2.

Fünf Tage sind vergangen. Ich stehe auf, sobald Egil, der Franzose und der Dritte, der ausziehen soll und dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe, weggegangen sind, um ihren täglichen Verpflichtungen nachzukommen. Ich dusche, rasiere mich, ziehe mich an, als würde ich rausgehen, setze mich aufs Sofa am Fenster und sehe auf die Straße hinunter. Draußen hat sich nichts geändert. Derselbe graue Himmel, dieselbe nasse Straße, dieselbe Kreuzung, die Ampel, an der die Lichter wechseln, eilige Silhouetten, die mit großen Schritten zu ihren Bestimmungsorten eilen. Zu einer bestimmten Zeit, kurz nach Mittag, gehe ich zum Laden, kaufe eine Zeitung, Brot und eine Dose Makrelen in Tomatensoße, kehre nach Hause zurück, lese die Zeitungsüberschriften, kaue den Fisch. In einer Dose Makrelen in Tomatensoße ist alles, was der Mensch für einen Tag braucht.

Wenn meine Mitbewohner nach Hause zurückkehren, nachmittags gegen fünf, grüßen sie mich flüchtig und gehen sich in der Gemeinschaftsküche etwas zu essen machen. Ich warte ab, bis sie ihre Speisen angerichtet haben, dann gehe ich hinaus, um sie beim Essen nicht zu stören. Sie essen im Wohnzimmer und sehen dabei fern. Egil lädt mich ein, mit ihnen zusammen zu essen, aber ich bedanke mich höflich und lehne ab. Ich sage, dass ich Makrele in Tomatensoße gegessen habe und dass das alles ist, was ich für einen Tag brauche. Er antwortet nicht, sondern isst ruhig weiter. Auch der Franzose hat mir angeboten mitzuessen. Er spricht verhältnismäßig schlecht Norwegisch, und so verständigen wir uns auf Englisch. Er spricht wie René aus der britischen Sitcom ’Allo ’Allo!. Der dritte Mitbewohner hat mir weder Essen angeboten noch etwas gesagt. Am sechsten Tag meines Aufenthalts in der Wohnung, am Samstag, ist er aus dem Zimmer ausgezogen, und ich ziehe ein.

3.

Ich habe meine zwei Rucksäcke hineingetragen und sie in die Ecke gestellt. Das Zimmer ist geräumig, mit einem Bett, einem Arbeitstisch, zwei Stühlen und einem Schrank. Die Fenster sehen auf dieselbe Straße hinaus wie die im Wohnzimmer. Ich stehe da und sehe auf die ursprünglich weißen Wände, die eine schmutzig gelbe Farbe angenommen haben. Hier und da sind kleine Löcher oder abgerissene Stückchen Tapete zu sehen. Ich gehe zum Bett und setze mich. Ich sehe aus dem Fenster und sehe die gleiche Szenerie, die ich die letzten paar Tage gesehen habe.

Mir kommt der Gedanke, dass sich doch etwas bewegt hat. Jetzt hast du dein Zimmer und kannst es dir einrichten, wie es dir gefällt. Du kannst auf dem Bett sitzen und den ganzen Tag auf die Straße hinaussehen. Du brauchst ihnen nicht mehr aus dem Weg zu gehen, wenn sie zum Essen nach Hause kommen. Du brauchst nicht mehr hinauszugehen und auf das Dach des Hauses zu steigen, von wo sich der Blick auf Oslo öffnet. Vom Dach aus ist auch die Moschee zu sehen, die die Muslime vor ein paar Jahren gebaut haben. Im Ostteil von Oslo gibt es genügend Zuwanderer aus muslimischen Ländern. Die Moschee ist aus Steinen gebaut, die aus dem Nahen Osten gebracht wurden. Sie hat zwei schlanke Minarette, aber die norwegischen Behörden erlauben nicht, dass der Gebetsruf erschallt, denn sie nehmen an, dass das die Mitbürger, die keine Muslime sind, beunruhigen könnte.

Ich erhebe mich vom Bett und gehe zu meinen Rucksäcken. Den großen Rucksack schiebe ich zum Schrank und fange an, meine Kleidung herauszunehmen und sie auf den Regalen zu verteilen. Als ich fertig bin, ist der kleine Rucksack dran, ich nehme den Laptop, die paar Bücher und meine Schreibhefte heraus und lege alles auf den Arbeitstisch. Ich schalte den Laptop ein, lasse einen kurzen Porno laufen und onaniere. Als ich fertig bin, setze ich mich wieder aufs Bett und sehe aus dem Fenster hinaus auf die Straße.

VII
1.

Als die Pflaumen um Großvaters Hütte endlich abgefallen waren und verfaulten, kam der Herbst. Es setzten Regen ein, die in Bosnien „heftenjaće“, also „Sieben-Tage-Regen“ genannt werden, was bedeutet, dass es eine Woche lang durchregnet. Die Stimmen in meinem Kopf begannen allmählich leiser zu werden, und es gab Tage, an denen sie überhaupt nicht mehr sprachen, weder mit mir noch miteinander. Die Bilder, die mich im Schlaf ansprangen, aber auch wenn ich wach war, verblassten immer mehr. Vielleicht war der Grund auch, dass ich angefangen hatte, über das, was in Oslo geschehen war, zu schreiben. In dem rosafarbenen Schreibheft hatte ich zunächst damit begonnen, darüber zu schreiben, was in der Hütte war, aber da gab es nicht viel zu erzählen. Nach einiger Zeit hatte ich angefangen, neurotisch einzelne Wörter, die Geschehnisse aus Oslo betrafen, von der Rückseite her ins Schreibheft zu kritzeln. Mit der Zeit fügten sich die Wörter zu Formen, die Ähnlichkeit mit Geschichten hatten. Es schien, als wäre es mir gelungen, die Stimmen aus dem Kopf auf das Papier zu bannen.

Als der Dauerregen einsetzte, setzte ich auch mal einen Fuß vor die Tür und begann meine Wanderungen über die umliegenden Berge. Es war schlammig und mühsam zu gehen. An manchen Stellen sank ich bis zu den Knöcheln in die klebrige Erde ein, aber es gibt nichts Schöneres, als bei Regen im Wald zu wandern. Du hörst, wie es rieselt und wie die Tropfen auf die schon welken Blätter fallen und langsam herabrinnen und auf dem weichen Waldboden aufschlagen, und du siehst, wie hier und da ein Blatt fällt und wie dünne Rinnsale die Kerben in der Eichenrinde hinunterfließen. Alles andere ist verstummt, kein Käfer summt, kein Vogel zwitschert, kein unsichtbares Tier raschelt. Alle haben sich in ihre Verstecke, Nester und Höhlen zurückgezogen, gemeinsam mit dem Wald haben sie sich dem Herbstregen überlassen.