Kitabı oku: «Vom Rauschen und Rumoren der Welt», sayfa 2

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05

Er fühlt sich unglaublich stolz, denkt er heute Morgen, sich mit einem kleinen Mädchen angefreundet zu haben, einem außergewöhnlichen Mädchen, das es verdient, nicht durch den Geräuschdschungel zu irren, wie er selbst in seiner Kindheit lange vom Getöse misshandelt wurde, während er sich für seltsam, unnormal empfindlich hielt – warum litt er unter dem Lärm und die anderen nicht? warum hatte er solche Mühe, die Geräusche zu unterscheiden? seinem Gesprächspartner zuzuhören, ohne im Umgebungslärm zu ertrinken? warum lebte er so in Verwirrung? warum hatte er die ganze Zeit Angst? –, bis er begriff, dass er nicht die gleichen Ohren wie die anderen hatte, dass er besonders war, aber dass er Ordnung in seine Wahrnehmung bringen konnte, nicht alles an sich heranzulassen brauchte, dass sich das Grauen zurückdrängen ließ. Ja, das Grauen. Die Zeit der Kindheit war die Zeit des Grauens, weil er alles hörte, ohne etwas zu identifizieren, weil er mehr hörte, als sah; und weil er nichts sah, entschlüsselte er nichts und fühlte sich deshalb ständig in Gefahr, fürchtete vage, der Lärm könnte sich materialisieren und ein Monster loslassen, das ihn zerstören, verschlingen würde – ja, damals rauschte die Welt von starken und nicht erkannten Gefahren.

Er würde Jeanne gern methodisch lehren, wofür er ohne Hilfe Jahre gebraucht hat, sie dazu bringen, ihre akustischen Wahrnehmungen zu beherrschen – es würde immer noch genug Chaos ringsum bleiben. Als er ihr diesen Plan mitgeteilt hat, hat sie nachdenklich geantwortet, Das wird gut. Ich hatte nicht gedacht, dass es möglich ist. Aber weißt du, hat sie hinzugefügt, bis jetzt habe ich eher das schrecklich gefunden, was ich gesehen habe.

Er setzt Wasser auf, bummelt ein bisschen rum, die Aussicht, zu den Stimmen der Gauner zurückzukehren, begeistert ihn nicht gerade, er denkt wieder an das Große Lauschen gestern – wenn sich Jeanne konzentriert, die Hände vor dem Bauch wie um Kugeln geschlossen, kneift sie die geschlossenen Augen zu, und das macht sie unglaublich hübsch, chinesisch. Er muss wirklich ihre Mutter treffen, bevor sie ihm die Bullen schickt, die ihn fragen werden, was er mit der Kleinen im Wald treibt – Lauschen. – Ach ja?Ich bin einer von IhnenJa, ja, wir sind alle BrüderSie hat nie mein Haus betretenDie Wälder sind tief.

Der Himmel macht weiter mit seinem Theater. Niemand weiß, wann diese melodramatischen Gewitter aufhören.

Er muss nur auf die Enter-Taste drücken, und Irène taucht auf, pünktlich zur Stelle, selbst tot wäre sie da, was für eine Idee, Irène sterben zu lassen; aber für Jahrhunderte im Computer gefangen ist sie, nicht übertreiben, sie verströmt jetzt schon die Nostalgie von alten Fotos, Schwarzweißfotos, wie keiner sie mehr macht, höchstens noch ein paar Profis, ein paar Künstler. Ihre Stimme auf der Diktafon-Kassette ist rau und schäbig. Manche leben im Kontakt mit der Schönheit, Jodel nicht – die Gefahr besteht nicht, wenn man für die Polizei arbeitet. Diese Diktiergeräte mit Kassetten sind selten geworden, veraltetes Material, ja, das ist es, Irènes gierige Stimme hallt in der Ewigkeit, Pass auf, später Kümmerst du dich? und noch weiter Morgen sieben Uhr, Tonios kalte Stimme antwortet ihr kaum, Mach keine Witze und Bin nicht bescheuert, und Irène wieder Die Eltern stellen sich tot, sieh an, da sind die Toten, sicher aus Angst, aus Sorge, das Kind ist fünf, so klein, man würde viel dafür geben, dass es nicht in Irènes Geschichten verwickelt wäre, man möchte sich davon abwenden wie von einem widerlichen Anblick, und weiter der erbärmlich armselige Dialog, Pass trotzdem aufHmmHeult er nicht zu viel?Nur wenn er mich sieht, der Rotzbengel!Pass auf, in einem anderen Leben wäre er Geräuschejäger, er würde aufs Meer fahren, um die Krabben laufen, die Delphine singen, die Brandung rauschen oder in den Flüssen die silbrigen Hechte gleiten zu hören – heute aber klammern sich die schlimmsten Geräusche der Welt an seine Ohren.

Er hört das Band noch einmal ab und konzentriert sich auf die Umgebungsgeräusche, um Hinweise auf das Versteck zu finden. Er hört erneut das Pass auf, mit dem gleichen Erstaunen – diese Banalität der Worte, die Dürftigkeit der Gefühle, das Kind weint, und Irène fällt nichts anderes ein, als Pass auf zu sagen. In der fünfundzwanzigsten Minute fader, sachlicher Dialoge, WannSieben Uhr dreißigIsst er was?Halt dich raus, vernimmt er auf Tonios Seite, wie er glaubt, ein ungewöhnliches Geräusch im Hintergrund. Er lässt es nochmal laufen: ein Hahn. Guckt auf die Begleitnotiz: Tatort: Paris – ein Hahn in Paris?

Er legt eine dritte Datei an, UMGEBUNG, in der er nur die Hintergrundgeräusche behalten will. Etwas Methodik, um die Arbeit ernsthaft anzugehen. Ab morgen wird er abwechseln: Transkription der Dialoge, Identifizierung der Stimmen, Beschreibung der Orte. Genau. Ist weniger schlimm. Er beginnt zu arbeiten. Im Magma der aufgenommenen Welt Klangeinheiten einzugrenzen macht mehr Spaß – weniger brutal. Er stellt fest, dass man schon in der siebzehnten Minute einen Hahn hört, aber weit weg. In der zweiundzwanzigsten redet eine Frau leise, aber eindringlich auf Tonio ein, während er mit Irène über die Gesundheit des Kindes spricht. In der fünfundzwanzigsten bewegen sich Leute hinter ihm, vielleicht kochen sie. Von der neunundzwanzigsten bis zum Ende hört man in der Ferne eine Baumaschine, ja, ganz sicher.

Während des Essens im Oiseaux hat er plötzlich eine so blitzartige Eingebung, dass ihm die Gabel aus der Hand fällt, eher eine Frage, deren Beantwortung jedoch die ganze Interpretation verändern würde. Die Wirtin hat die Gabel fallen gesehen und kommt sofort mit ihrem freundlichen Lächeln und neuem Besteck. Er bringt ein paar Worte des Danks hervor und lobt das Essen. Die Frage ist: Warum hat Tonio den Kontakt mit Irène aufrechterhalten, wenn sie das Kind nicht mehr hatte und nicht mehr mitmachen wollte? Warum belastet man sich mit einer störrischen Partnerin? Vielleicht findet sich die Antwort auf der zweiten Kassette.

Sobald er zurück ist, überspielt er sie auf den Computer und hört sie in einem Zug. Undeutlich, laut. Irène regt sich immer mehr auf, Der Kleine krepiert nochSchwachsinn, der reißt sich zusammenEin Kind reißt sich nicht zusammen. Wie ist er?Er nervt uns nichtGenau das macht mir Sorgen. Wie ist er?FiebrigDer Kleine krepiert noch, geben wir ihn zurück, und so weiter. Sie will hinkommen, Wo bist du, ich muss ihn sehen, aber Tonio weigert sich, es ihr zu sagen, bei Minute fünfzehn wieder ein Hahn, vielleicht zwei, dann sagt Irène, sie will aussteigen, aber er lehnt ab, Du musst mit den Eltern reden, aha, warum das? Nach einer Weile ertrinkt er fast in einem Meer ungeordneter Informationen, ohne die Situation besser zu verstehen – warum hält Irène weiter Kontakt, wo ist das Kind, in welchem Zustand –, und als er feststellt, dass er noch eine Stunde zu arbeiten hat, beschließt er, sich auf die Baumaschine zu konzentrieren, die am Ende der ersten Kassette aufgetaucht ist. Eine ziemlich große Maschine, ohne Nuancen oder Macken, ohne Überraschungen oder Aussetzer. Er isoliert das Geräusch, verstärkt es, ein riesiger Motor, das charakteristische Piepsen, wenn der Rückwärtsgang eingelegt ist, auf jeden Fall ein Gelenkarm, vielleicht ein Löffelbagger, keine anderen Verkehrsgeräusche, er macht noch lauter, nichts, die Maschine arbeitet auf einer Baustelle oder einer Brache, aber nicht in einer Straße. Also, rekapituliert er, wir sind angeblich in Paris, aber es gibt Bauarbeiten und auch ein oder zwei Hähne. Ja, genau. Er sucht in seiner Audiothek und schlussfolgert nach dem Vergleich, dass es ein Caterpillar-Bagger ist. Er schickt sofort ein paar Mails an die Präfektur und bittet um die Liste der Baustellen, die er mit der von Bauernhöfen abgleichen wird – das mit den Bauernhöfen dürfte schnell gehen. Er schreibt noch ein paar interne Mails, um sich zu vergewissern, dass es sich in der Hauptstadt abspielt (Tonio kann Irène angelogen haben) und wirklich innerhalb der Stadt.

Es ist Zeit. Er bringt seine Tassen zur Toilette, reibt sie gründlich, um die schwarzen Teespuren zu entfernen, und trocknet sie ab, im Büro stellt er sie ordentlich auf das Tablett, beschließt aber, das Geschirrtuch zu wechseln, auf dem sie stehen, nimmt die Tassen weg, wechselt das Geschirrtuch, dann stellt er die hübsche weiße japanische Tasse nach links, die beiden Seladonschalen nach rechts und in die Mitte den Pott mit Rosenmuster. Um fünfzehn Uhr drei verlässt er die Sackgasse.

Reinigende Fahrt durch den Wald. Nach der Siesta wird es ihm besser gehen, wenn er und Jeanne wieder auf der Lichtung sind, auf ihren Hörsitzen.

06

Auf ihren Hörsitzen (wie Dryaden) machen sie sich an die Arbeit. Heute werden sie lauschen, ohne zu sehen.

— Umso besser. Ich höre lieber, erklärt sie. Du nicht?

— Manche Sachen tun beim Hören weh.

— Aber gibt es nicht mehr Sachen … (sie zögert) … Sachen, die du lieber nie gesehen hättest?

Er geht zu ihr.

— Ich weiß, woran du denkst, antwortet er und drückt ihre Hand.

— Sag es nicht! (Ein kurzes Schluchzen in ihrer Stimme.)

— Nein, ich sage es nicht.

Dann legt sie los, im Eiltempo (das kennt er: ihre Art abzulenken) sagt sie, dass es, o ja, viele Probleme mit dem gibt, was man sieht, natürlich beunruhigt sie alles, was sie hört, ohne es zu verstehen oder zu unterscheiden, alles, was ständig ihre Ohren überflutet, aber das, was die Augen einfangen, ist noch schlimmer. Er stimmt zu, was man sieht, macht oft weniger Angst, tut aber mehr weh. Sie fährt fort, Na gut, natürlich höre ich die meiste Zeit zu viel. Sogar der Gang in den Wald ist nicht so einfach. Dieser gewaltige, gewaltige Lärm, all die Geräusche, wie ein zu süßer Kuchen. Als ich klein war, habe ich mal Zucker auf mein Marmeladenbrot gestreut, um den Genuss noch zu verstärken. Das war eklig.

Während Jodel zu seinem Hörsitz zurückgeht, zieht sie ihr Kleid zurecht, das unter ihrem Po knittert, und verkündet, wie froh sie sei, dass ihre Füße nicht den Boden berühren, auch wenn seiner Meinung nach kein Tier in diesem Wald ihr Böses tun könne, nur, wenn du Pech hast und sehr selten, die Vipern.

— Da!, ruft sie, ich höre deinen Grünspecht da hinten.

— Aber jetzt wirst du hören, ohne zu schauen, mach die Augen ganz fest zu.

Zuerst sagt sie, dass der Eindruck von Durcheinander noch stärker wird, weil sie jetzt besser hört.

— Nein, nicht besser, ich höre mehr, viel mehr, aber alles wie ein riesiger Brei. Du hast gesagt, man kann die Geräusche in Gruppen unterteilen um … Einheiten zu bilden. Wie macht man das?

— Konzentrier dich auf ein paar. Was erkennst du?

— Zwei kleine Geräusche rechts, die zum selben großen Geräusch gehören müssen – vielleicht ein Insekt, das seine Fühler reibt? Aber das ist so durcheinander!

— Kümmere dich nur um die Vögel.

— Es sind zu viele!

— Sag mir einfach, was du hörst.

— Da, ein … ein Knacken … Hier ein … Jodel! Ich habe nicht genug Wörter für die ganzen Geräusche.

— Das stimmt. Ich übrigens auch nicht, ehrlich gesagt. Aber man muss sie trotzdem zähmen, auch ohne sie zu benennen. Wie machen wir das?

Er steht von seinem Stumpf auf und läuft im Kreis. Aus dem Augenwinkel sieht er sie schmollen, sich ärgern: Sie möchte nicht enttäuschen.

— Ich verstehe meinen Vater so gut! Er will mir ständig neue Wörter beibringen.

— Wir müssen eine Methode finden.

Plötzlich hüpft sie von ihrem Hörsitz und zeigt auf junge Brombeerranken, die quer über den Weg wachsen: Hör mal! Man hört sie wachsen! Sie kriechen über den Boden, sie rascheln ganz leise …

— Nein! Sie rascheln?

— Ja doch!

Jodel ist verblüfft: Das ist unglaublich … ich … ich höre sie nicht. Dein Ohr ist noch viel entwickelter als meins … Erzähl weiter …

— Na ja, sie … sie streicheln die Erde, (sie kneift die Augen zusammen) sie klammern sich ein bisschen fest, weißt du, (ihre Finger kratzen die Luft) krüsch, krüsch

Jodel geht mit dem Ohr nah an eine Ranke, schüttelt den Kopf, dann sagt er Daran hatte ich nicht gedacht, ich hatte mir nicht vorgestellt, dass du viel besser hörst als ich, wie blöd …

Er sieht so enttäuscht aus, dass sie lachen muss: Das war ein Witz!

— Äffchen!

— Natürlich höre ich sie nicht.

Sie bringt den Kopf ganz nah an eine Ranke, dann sieht sie ihn verlegen an: Wobei … ich höre sie nicht deutlich. Dann besinnt sie sich: Ein Witz, ein Witz!

So wird Jodel daran erinnert – er könnte es manchmal vergessen –, dass sie ein Kind ist.

— Also, ich möchte dich nicht verletzen, sagt sie, aber wenn ich ganz dicht bei dem Trieb bin, höre ich ihn über die Erde kratzen, ganz weit weg, aber … ich höre etwas. Ärgert dich das?

— Überhaupt nicht. Es ist sehr gut möglich, dass du besser hörst als ich. Wir werden es überprüfen. Jetzt lass erstmal dein Gehirn die große, verschwommene Vibration des Waldes entschlüsseln.

— Mein Gehör, meinst du.

— Nein, es ist dein Gehirn, das sortiert und interpretiert. Dein Ohr ist nur ein Auffangbecken. Und wenn du gleichzeitig schaust, kann dir das helfen, aber das ist nicht das Wichtigste.

Sie rennt zu einer gewaltigen Eiche. Sie weiß genau, dass sie sich alles trauen kann, weil er ihr mit den Augen folgt. Sonst hätte sie zu große Angst. Er beobachtet sie nachdenklich. Besorgt.

— Natürlich hindert dich nichts daran, mich anzulügen. Da ich nicht überprüfen kann, was du hörst oder nicht hörst, kannst du mir jeden Blödsinn erzählen, sogar, dass du die Brombeerranken wachsen hörst. Aber das macht alles kompliziert, verstehst du? Das zerstört unser Vertrauen.

— Ja, aber das ist auch superlustig!

Auf dem Rückweg erzählt sie ihm, wie lecker junge Ranken schmecken. Früher, als sie klein war, dachte sie, die Ranken wären böse, dornig und aggressiv. Dann lernte sie eine niedliche Ziege kennen, die mit Genuss alle Triebe fraß, die ihr in die Quere kamen, und sie begriff, wie lecker das ist – für die Ziege.

Das meiste steht ihm noch bevor, bei einem Kind wird es immer Dinge geben, die er nur schwer versteht, zum Beispiel ihre Vorstellung davon, wie junge Ranken für die Ziegen schmecken müssen. Es ist schwierig, wirklich zu verstehen, was Verstehen heißt.

07

Es ist schwierig, wirklich zu verstehen, was Verstehen heißt, warum er sein Alleinsein jetzt so gut hinnimmt, wo doch über Jahre hinweg jeder Gedanke, jedes Begehren von Zélie besetzt – überschwemmt – war. Jeden Abend kommt er allein nach Hause und ist kaum betrübt. Hat er sich denn nicht daran gewöhnt (er, der sich für einen großen Romantiker hielt!), ohne Liebe zu leben? Er erinnert sich – aber das ist eine Vorstellung ohne Emotion, ohne Substanz –, wie er sich, sobald sie sich ein wenig entfernte, sobald sein Körper nicht mehr befriedigt wurde, nach ihr sehnte. Seltsam, wie sein Begehren, das er für die wichtigste Sache in seinem Leben hielt, sich gelegt hat. Heute, da er allein ist – da es nur einen Austausch guter Dienstleistungen zwischen ihm und Clotilde gibt und weiter nichts –, weiß er – rein mental –, dass die Liebe mit Zélie sein großes Abenteuer war, die Leidenschaft eines jeden Moments. Und doch beschwert sich nichts in ihm über die Verdrießlichkeit seines Gefühlslebens. Und seines Sinneslebens.

Zélie! Elisabeth mit echtem Namen, aber sie fand Zélie weniger banal. Wie prätentiös.

Wenn er es recht überlegt, hat die Reisgeschichte eine gewisse Bedeutung. Für die Trennung. Die unterschwellige Reislogik. Dass er immer gerne welchen gegessen hat, war kein Problem. Aber warum hat er immer zu viel davon gekocht? Sie sagte, Reis würde sich nicht halten, selbst in Ländern, in denen er das Hauptnahrungsmittel sei und man mit der Nahrung spare, wüssten die Einheimischen, dass man gekochten Reis nicht aufbewahren dürfe. Sie sagte Warum kochst du denn nicht genau so viel, wie du dann isst, warum diese … ach, diese … Manie, zu viel zu kochen? Hast du Angst, es wäre nicht genug? Und dann? Würdest du mehr Käse essen! Ach! Was für eine absurde Angst. Sie selbst hatte am Ende gar keinen mehr gegessen, frisch gekocht oder nicht.

Sie hätte darüber lachen können. Die Verschwendung (am Ende warf er welchen weg) war schließlich minimal und seine Manie harmlos. Also? Warum diese Verärgerung? Wegen der irrationalen Logik. Zu viel Reis zu kochen entspringt bei ihm einer persönlichen Logik, einer sehr stringenten und sehr persönlichen, also einer von denen, die man mit keinem teilt und die, weil sie einem verborgenen Mechanismus gehorchen, eine heilende und besänftigende Wirkung haben – die aber jedem anderen absurd vorkommen. Zélie fand das absurd. Er hätte übrigens größte Schwierigkeiten, sich selbst über die Gründe für sein Verhalten klarzuwerden: Wie jede einer persönlichen Logik folgende Absurdität ist diese (das spürt er unbestimmt) für sein psychisches Gleichgewicht notwendig. Kurz, sie haben sich wegen Reis getrennt – aber das ist natürlich ein Bild. Sie haben sich getrennt, weil die irrationale Logik des einen am Ende für den anderen meist unerträglich ist, weil der andere verbittert ist, uns Tag für Tag auf schrecklich vorhersehbare Weise, an derselben Stelle versinken zu sehen. Sie sah ihn zu viel Reis ins Wasser schütten, und schon schrillte ihr Inneres vor Gereiztheit, ja, genau, es ist die vorhersehbare Wiederholung der irrationalen Geste, die manche alten Paare in den Wahnsinn treibt, so sehr sie sich auch lieben mögen. Er erinnert sich eines Wortwechsels, den er irgendwo aufgeschnappt hat: Aber nein, wir verpassen den Zug nicht – Lass uns trotzdem schon losgehen, bitte, was stört’s dich, wenn wir zehn Minuten zu früh sind, das ist doch kein Beinbruch – Warum sollte ich zehn Minuten länger in einem dreckigen Bahnhof herumstehen, nur weil du von Geburt an ein Angsthase bist? – Ja und, ist das so schlimm? – Nein, aber ich ertrag das nicht, du könntest dich zusammenreißen. Sich zusammenreißen. Eben nicht, man muss einfach zu viel Reis kochen und zu früh am Bahnhof sein. Heute denkt er, dass Liebe zum Großteil aus Nachsicht besteht – nein, eher, dass die wesentliche Wirkung von Liebe Nachsicht ist: Oh, Liebling (sagt die Geliebte und schmiegt sich mit einem entzückenden Lächeln in seine Arme), du hast schon wieder zu viel Reis gekocht

Gerade will er aus dem Auto steigen, um ohne zu trödeln ins Haus zu gehen (ein großspuriges Gewitter steht bevor), als mit einem dumpfem Knall ein schwerer Stoff auf der Windschutzscheibe landet und ihm die Sicht versperrt.

Während sein Nervensystem sich mit Mühe von der heftigen Adrenalinausschüttung erholt, erkennt er beim Öffnen der Autotür eine dunkle Gestalt, die vor dem Haus sitzt. Man mag ein ruhiger Mensch sein (sagt er sich, um die Erholung zu beschleunigen), aber manchmal zwinkert dir die Hölle zu (Westernsprache).

— Das ist mein Mantel.

— Wenn dem so ist, gebe ich Ihnen das Teil zurück, sagt Jodel und schnappt sich den unappetitlichen Stofffetzen.

— Es wäre mir ein Vergnügen.

Starker russischer Akzent. Der Mann hat eine Bassstimme, sehr tief, sehr kaputt, angenehm fürs Ohr trotz der etwas alkoholschweren Zunge und der unheimlichen Situation. Kurzes Schweigen. Ein leichtes Quietschen an seiner Linken. Ihn fragen, wo sein Pferd ist? Oder sich beschweren, dass er auf seinen Stufen sitzt – nein, gegenüber einem Höllenreiter wäre das doch sehr spießig.

— Wohnst du hier? (Jodel nickt.) Ich brauche einen Unterschlupf.

— Sie sind ganz schön direkt.

— Direkt?

— Grob.

— Das Gewitter, das da kommt, wird kein Trelala.

Der Ton ist rau, aber nicht aggressiv.

— Tralala. Man sagt Tralala. Warum haben Sie Ihren Mantel geworfen?

— Ich wollte nicht, dass du Angst bekommst, wenn du mich vor deinem Haus siehst.

Jodel stößt ein leises Lachen aus: Sehr gelungen. Eine absolut beruhigende Art, sich anzukündigen.

Der Mann lacht ebenfalls: Ha, ich bin keiner mit guten Manieren. Hör zu, ich brauche einen Unterschlupf, ich muss die Stadt erreichen, aber jetzt ist es zu spät, gleich bricht das Gewitter aus, lass mich in deiner Garage schlafen.

Es ist blöd, aber weil er sich den ganzen Tag lang Stimmen anhört, vertraut er schließlich seiner Intuition: Die Stimme hier offenbart, dass der Mann nicht gefährlich ist. Und sein Akzent ist eine Wonne.

— Gut, kommen Sie rein, was trinken.

Also, das ist eine Dummheit. Der Typ wirkt schon ordentlich alkoholisiert. Zu spät.

— Sagt man wirklich Tralala? Ich mag das Wort sehr. Es ist ein bisschen lächerlich, oder?

— Sicher. Ich bin es gewöhnt.

— Regnet es hier immer so?

— Nein. Das ist ungewöhnlich für die Zeit. Vielleicht geht da ja was kaputt.

Bei Licht betrachtet hat er nichts Dreckiges. Eher elegant sogar, auf seine Art. Über beeindruckenden Wangenknochen tief sitzende, sehr schmale blaue Augen, die schwer zu fixieren sind – zu durchscheinend. Man erahnt einen schmalen und muskulösen Körper. Der Gürtel hält die etwas zu weite Hose. Fett am Bauch ist was für Ingenieure.

— Kommen Sie von weit her?

Von da an verblüfft ihn der Strudel des Gesprächs. Morgen wird ihm sicher alles in zusammenhanglosen Fetzen wieder einfallen. Der Mann kommt von weit her, aus Russland, über die Ukraine, Polen, Deutschland, Straßburg, Paris, er hat den Kontinent durchquert, er will nach Ulan-Bator – Du hast nicht gerade den kürzesten Weg genommen! – Nein. Er macht einen Umweg über Europa, um Chaos zu stiften. Aha. Warum Ulan-Bator? Er glaubt, dass er sich dort, wo seine Urgroßeltern lebten, ausruhen kann, dort ist es so anders als hier, dass er endlich an etwas anderes denken kann. Chaos? Ja, davon wird er ihm vielleicht später erzählen. Wiegt er sich nicht in Illusionen, wenn er glaubt, in Ulan Bator sei alles anders als hier? – Vielleicht, aber hast du schon mal in einer Jurte gelebt? – Nein – Na, dann stell dir das mal vor – Schwierig – Siehst du, ist zwangsläufig was anderes. Jodel bietet ihm ein Glas Wein an. Er hört die ganze Zeit ein leises Quietschen, das aus seiner linken Tasche kommt, und ein Kollern verrät ihm, dass der Magen des Besuchers leer ist. Essen? Er kann Reis kochen. Warum nicht. Leben dort alle in Jurten? Nein, immer weniger, die Sowjets haben Häuser gebaut, aber die Mongolen sind traditionell Viehhalter, also Nomaden, und außerdem gibt es noch Tausende Pferde (aha! eine Pferdegeschichte, hatte Jodel doch geahnt). Er spricht wirklich ein ausgezeichnetes Französisch. Ja, in Russland kennt man sich mit Sprachunterricht aus, und außerdem hat er sehr ernsthaft gelernt: Früher war Frankreich für ihn wie Ulan-Bator, dieselbe Sehnsucht.

— Wenn du das gewaltige Reiterstandbild von Dschingis Khan zu Pferde siehst, hast du den Eindruck, dass seine Füße die Erde berühren würden, sobald er die Beine streckt. Es sind sehr kleine Pferde, und trotzdem haben sie mit ihnen die Kontinente überschwemmt.

— Hast du die Statue gesehen?

— Nein. Fotos.

Er redet weiter: Kleines Land, aber stell dir mal vor, das Changai-Gebirge, die Wüste Gobi! – Nein, das kann ich mir nicht richtig vorstellen. – Leider haben sie bald alle Strom, aber das kann man ihnen schlecht vorwerfen, was? Seine durchscheinenden Augen versprühen glühende Funken. Er esse wenig, denn er zwinge sich, Maß zu halten, erklärt er, um schwierige Phasen besser zu überstehen. (Natürlich bleibt ganz viel Reis übrig.) Er sagt, die Mongolei ähnele einer stehenden Scheibe Wassermelone. Oben drüber Russland, der Baikalsee, Sibirien, und darunter China. Und alle haben sie irgendwann genervt. – Eine gerechte Umkehrung der Dinge, oder? Ich glaube mich zu erinnern, dass die Mongolen die größten Eroberer des Mittelalters waren. – Ja, einverstanden, aber sie sind nicht mal drei Millionen, weißt du, weniger als ein Einwohner pro Quadratkilometer, stell dir vor, wie du da atmen kannst, kann ich mir noch Wein nehmen? Nein, kein Maßhalten beim Alkohol, er kaufe nie welchen, nutze aber die Gelegenheit, sobald es welchen gebe. Da habe er sich noch nie beschränken können, und außerdem trinke man dort, wo er herkomme, solange der Vorrat reicht — das ist Tradition. Außerdem hindere Alkohol einen am Denken, das sei also von Zeit zu Zeit ganz gut.

— Warum die Wut, fragst du? Wegen der Amerikaner. Ihr hier, ihr Bewohner der Reichenwelt, merkt das nicht. Das sind Raubtiere. Sie fressen alles, alle Kleinen um sie rum, sie verachten uns alle, ihr merkt das hier nicht, sie haben die sogenannte ukrainische Revolution organisiert, sie haben einen proamerikanischen Präsidenten in Georgien eingesetzt, und jetzt installieren sie Raketenabwehrsysteme in den Ländern um uns herum, sie versuchen, uns im kleinen Russland einzuschließen. Sie glauben, sie hätten den Kalten Krieg gewonnen, aber wir haben unser letztes Wort noch nicht gesprochen. Russland ist zu mächtig, um geschluckt zu werden. Russland ist ein riesiges Land, ein Land von Wölfen, so wie ich, und wir lassen uns nicht von fettleibigen, dummen Konsumenten reinlegen. Wir Orientalen werden das wieder in die Hand nehmen.

— Orientalen?

— Na klar, siehst du das nicht, die Russen verbünden sich mit den aufsteigenden Ländern, China, Indien. Vor kurzem hat China gezeigt, dass es fähig ist, das Computersystem des Pentagons und mehrerer Länder in Europa zu hacken. Die Macht verlagert sich, sie wandert nach Osten. Vergiss nicht, was ich dir sage: 2025 ist Shanghai die Hauptstadt der Welt, und ich bin in Ulan-Bator.

Seine Heftigkeit beunruhigt Jodel (ein ruhiger Mann ist er, Ingenieur für Klangphysik, ein so friedlicher Mensch). Er bietet ihm nochmal Reis an in der Hoffnung, ihn zu beruhigen, indem er ihn auf andere Gedanken bringt. Der Mann sagt ihm, dass er viel zu viel gekocht hat. – Also wirklich! Du isst ja auch nichts. Der Besucher der Apokalypse verheißt noch den Untergang Amerikas, aber jetzt, wo seine Erschöpfung größer ist als die Faszination, hört Jodel nichts mehr, er muss schlafen. Er bietet ihm das Sofa statt der Garage an.

— Ich stehe sehr früh auf, erklärt er.

— Musst du arbeiten gehen?

— Ja.

— Zum Glück hast du mich nicht draußen gelassen. Hast du gesehen, was da runterkommt? Was hast du denn für eine Arbeit?

— Zu umständlich zu erklären. Ich muss abwaschen und schlafen.

— Ja, Entschuldigung. Ich habe keine festen Zeiten. Kannst du nicht morgen abwaschen?

— Es stört mich, Unordnung zu hinterlassen.

— Setzt du mich auf der Straße in die Stadt ab, wenn du fährst?

— Ich hoffe, du schläfst gut auf dem Sofa.

Der Mann lacht spöttisch.