Kitabı oku: «Chronik von Eden», sayfa 19
Kapitel VI - Unterricht
Langsam schälten sich drei kleine Gestalten aus dem Halbdunkel des Hausflurs und traten neben das blonde Mädchen.
»Ich heiße Jessica«, stelle sie sich nun vor, dann zeigte sie auf einen etwa zwölfjährigen Jungen mit hellbraunen Haaren und Sommersprossen. »Und das ist mein Bruder Mark.«
Der Junge nickte freundlich, und Jessica fuhr fort: »Miriam und Regina waren unsere Nachbarn, bevor unsere Eltern sich verwandelten. Jetzt wohnen sie bei uns.«
Auch ohne Jessicas Hinweis war sofort klar, dass es sich bei den beiden Mädchen um Schwestern handeln musste. Sie mochten in etwa 12 und 14 Jahre alt sein, hatten beide lange schwarze Haare, und ihre Gesichtszüge glichen sich wie ein Ei dem anderen.
»Habt ihr denn keine Angst?« Sandra klang verwundert. »Schließlich sind wir Fremde und könnten euch Gott weiß was antun.«
»Ihr seid anständige Menschen, das spüren wir. Bis auf den da vielleicht.«
Bei den letzten Worten zeigte Jessica auf Stephan, der bislang einfach nur dagestanden und das Mädchen angestarrt hatte.
»Stephan ist schon in Ordnung. Er hat mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass er sich gegen die Zombies zu wehren weiß. Was dagegen, wenn wir reinkommen?«
*
Kurz darauf saßen oder standen alle in dem überraschend geräumigen Wohnzimmer des Hauses. Patrick hatte es übernommen, sich und den Rest der Gruppe vorzustellen.
»Wie konntet ihr euch bislang schützen?«, wollte Sandra wissen. »Ihr scheint gar keine Angst zu haben.«
»Ich vermute, wir hatten bislang einfach Glück.« Mark, der nun für die vier Kinder sprach, zuckte mit den Schultern. »Sie haben uns in Ruhe gelassen, und wir haben sie nicht gefragt warum.«
Martin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Junge log. Egal wie man es auch anstellen mochte, aber es war schlicht und ergreifend einfach nicht möglich, jeglichen Kontakt mit den Untoten zu vermeiden. Selbst Stephan in seinem abgelegenen Haus hatte irgendwann »Besuch« bekommen – zumindest hatte er das so erzählt.
Für einen Moment kämpfte Martin gegen die Übelkeit, die in ihm hochkam, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er schaute Mark noch einmal genauer an und entdeckte dabei, dass dieser verstohlene Blicke mit Tom wechselte.
Natürlich, das musste es sein! Diese Kinder hier verfügten ebenfalls über Fähigkeiten! Und vermutlich war Tom so schlau gewesen, sie davor zu warnen, sich Sandra zu offenbaren. Daher die ausweichenden Antworten des Jungen.
Martin nahm sich vor, Tom bei Gelegenheit danach zu fragen. Jetzt musste er zuerst einmal zusehen, dass er das Klo erreichte, bevor er die ganze Bude vollreiherte.
*
»Geht es wieder?«
Martin hing über der Kloschüssel und hatte gar nicht bemerkt, dass Patrick ihm gefolgt war. Bevor er dem Pfarrer antworten konnte, verkrampfte sich sein Magen erneut. Ein schleimiger grün-gelber Faden kam aus seinem Mund. Dieser war bitter und stank. Ein Rest Magensäure war alles, was sich noch in Martins Bauch befand, und selbst das würde nicht mehr lange der Fall sein, wenn es noch ein wenig so weiterging.
Nachdem sich Martin sicher war, dass sein Körper nicht länger rebellierte, erhob er sich wieder. Seine Beine fühlten sich wackelig an, und seine Hände zitterten.
»Hier.« Patrick streckte ihm ein Glas Wasser entgegen. »Aber nimm kleine Schlucke, sonst geht es gleich wieder los.«
Martin nickte und nahm das Glas entgegen. Wie Patrick es ihm geraten hatte, nippte er vorsichtig daran.
»Es ist ein Wunder, dass die Wasserleitungen hier noch intakt sind.« Patrick sprach mehr zu sich selbst. »Und das Wasser scheint auch nicht verunreinigt zu sein. Danke, oh Herr. In deiner Güte gewährst du uns Schutz und Nahrung.«
»Dabei hat Wasser gar keine Kalorien.« Martin versuchte ein Grinsen, aber es misslang.
»Ich sehe, dass der Glaube in dir noch schwach ist. Aber das wird sich von ganz alleine ändern, wenn dich der Herr erst mehr von seinen Wundern schauen lässt.«
»Im Augenblick würde mir ein weiches Bett fürs Erste als Wunder genügen.«
»Oh, natürlich, wie dumm von mir.« Patrick machte eine entschuldigende Geste. »Dir geht es nicht wirklich gut. Komm, wir schauen gemeinsam, ob du dich hier irgendwo hinlegen kannst.«
*
»Es gibt eine kleine Planänderung«, eröffnete Sandra, als Patrick zusammen mit Martin wieder im Wohnzimmer bei den anderen eintraf. »Wir haben unsere Bleibe für die Nacht gefunden. Die Zombies scheinen aus irgendeinem Grund einen Bogen um dieses Haus zu machen, also sollten wir die Chance nutzen, uns hier ein wenig auszuruhen. Morgen versuchen wir dann, den Fliegerhorst in Nörvenich zu erreichen. Dort kann man uns sicher weiterhelfen.«
»Wie geht es Gabi«?, erkundigte sich Patrick. »Hilft das Spray?«
»Ein wenig.« Sandra nickte. »Die Beschwerden sind zwar nicht ganz weg, aber zumindest gelindert.«
»Na, immerhin. Dann mache ich uns jetzt etwas zu essen, und heute Nachmittag gebe ich den Kindern den ersten Unterricht. Wer hilft mir in der Küche?«
Miriam und Regina erhoben sich wie auf Kommando und schlossen sich dem Pfarrer an.
»Sonst niemand?« Patrick blickte auffordernd in die Runde.
»Das ist okay so«, erklärte Regina. »In der Küche ist ohnehin gerade mal Platz für uns drei. Wir können den anderen ja den Abwasch überlassen.«
Abwasch?!? Martin glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Das alles war grotesk. Die Welt, wie er sie einst kannte, existierte nicht mehr. Draußen hatten Zombies das Land übernommen, die nichts kannten außer ihrer Gier nach frischem Fleisch. Und in diesem Haus machte man sich Gedanken darüber, wer das Geschirr spülte?
Lass sie, drangen Toms Gedanken zu ihm durch. Das ist ihr Weg, um nicht vor lauter Verzweiflung und Kummer den Verstand zu verlieren.
Dann packte Martins Affe ihn wieder im Genick und schüttelte ihn so heftig, dass der Kontakt zu Tom abriss.
*
Ein altes Sprichwort besagt »Hunger ist der beste Koch«. Ob es daran lag oder einfach an Patricks Geschick in dieser Richtung, vermochte niemand zu sagen, trotzdem herrschte beim Essen gefräßige Stille.
Als alle fertig waren, griff Patrick grinsend hinter sich und meinte: »Für die Erwachsenen unter uns habe ich noch etwas gefunden, dass das Mahl vollends abrundet.«
Er holte seine Hand wieder hinter dem Rücken hervor und hielt eine Flasche mit Klarem hoch.
»Die stand im obersten Schrank ganz hinten. Wer möchte?«
Sandra und Stephan lehnten dankend ab. Martin verzog nur angewidert das Gesicht, ihm war auch so schon schlecht.
»Kein Problem, dann trinke ich für euch einen mit. Gesegnet seien die Gaben des Herrn.«
Patrick schraubte die Flasche auf, setzte sie direkt an und nahm einen kräftigen Schluck. Dann schüttelte er sich. »Pfui Deibel, tut das gut.«
»Übertreiben Sie’s aber nicht mit dem Zeug.« Sandra sah den Pfarrer kritisch an. »Wenn sie sich den Kanal zusaufen und nicht mehr auf eigenen Beinen gehen können, dann lasse ich Sie genauso zurück wie jeden anderen, der uns über die Maßen aufhält.«
»Von zusaufen kann gar keine Rede sein. Ich habe mir nur einen zur Verdauung genehmigt. Das wird wohl noch erlaubt sein.«
»Ich wollt’s nur klarstellen, nicht dass es hinterher heißt, ich hätte mal was sagen können.«
»Nachdem das geklärt ist, können wir ja jetzt mit dem Unterricht beginnen. Selbstverständlich sind die Erwachsenen herzlich eingeladen, ebenfalls daran teilzunehmen.«
»Und was ist mit dem Abwasch?«, wollte Rosi wissen.
»Das war doch nur ein Witz.« Tom grinste schief. »Regina weiß doch so gut wie alle anderen, dass sie dieses Haus morgen früh zusammen mit uns für immer verlassen wird.«
»Ach so.« Rosi wurde ein wenig rot. »Steht es denn schon fest, dass wir nie wieder hierher zurückkehren werden?«
»Für den Moment sieht es zumindest so aus, ja.« Sandra nickte. »Jetzt ist zuerst einmal wichtig, dass ich euch in Sicherheit bringe. Danach sehen wir weiter.«
»Ich verstehe.« Rosi versuchte, ein tapferes Gesicht zu machen, obwohl jeder sehen konnte, dass sie in diesem Moment am liebsten losgeheult hätte.
»Ich denke, es ist das beste, den Unterricht mit einer Lesung aus der Bibel zu beginnen«, ergriff Patrick wieder das Wort. »Denn in den Worten des Herrn hat schon so mancher Trost gefunden, der sich verloren glaubte.«
»Ich suche mir ’ne Ecke zum Pennen.« Martin stand mühsam auf. »Ich will heute Nacht fit sein, um auch eine Wache übernehmen zu können.«
Während er das Zimmer verließ, hörte er, wie Patrick damit begann, gemeinsam mit den anderen ein Vater Unser zu beten.
*
Martin wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, als er plötzlich hochschreckte. Draußen war es noch hell, und er musste ein paarmal blinzeln, bis er wieder einigermaßen klar sehen konnte.
Sein Affe war fürs Erste verschwunden, und sein Magen hatte sich ebenfalls beruhigt. Trotzdem war er sich sicher, den Entzug noch nicht überstanden zu haben.
Martin trat ans Fenster und blickte hinaus. Die Straße lag immer noch verlassen da. Hatte er geglaubt, dort draußen würden sich nach und nach Zombies zusammenrotten, um sich das Frischfleisch aus dem kleinen hellblauen Haus zu holen, so hatte er sich getäuscht.
Am Stand der Sonne erkannte er, dass es auf den Abend zugehen musste. Hunger verspürte er trotzdem keinen, auch wenn sein Magen immer noch leer war. Kurz überlegte er, ob er sich vorbeugend eine Dosis Nasenspray verabreichen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er würde auch so wieder vollends auf die Beine kommen.
Sein Traum fiel ihm wieder ein. Ja, er hatte geträumt, wenn auch merkwürdig diffus und verwaschen. In seinem Traum war er durch eine wunderschöne Parklandschaft gegangen. Auf einer Wiese war eine Gruppe Kinder gewesen, die einen Kreis bildeten und sich an den Händen hielten. Während sie langsam um den imaginären Mittelpunkt des Kreises gingen, sangen sie ein fröhliches Kinderlied.
Die ganze Szenerie hatte etwas Unwirkliches gehabt, aber das war bei einem Traum nicht weiter verwunderlich. Dann fiel ihm wieder ein, was ihn so sehr daran gestört hatte. Immer wieder war eine Stimme zu hören gewesen, die sanft »das ist der Garten Eden« gewispert hatte, und im Hintergrund waren Sphärenklänge zu hören gewesen.
Martins Miene verfinsterte sich. Hier hatte sich wohl der Text aus dem Lied der Kinder mit Patricks ständigem Gerede über Gott und die Bibel zu einem kitschigen Gemälde der Glückseligkeit vereint. Es hatte nur noch gefehlt, dass weiße Tauben aufflogen und die Chöre der Engel aus den Wolken hervorbrachen, um ein Hosianna anzustimmen. Und das ihm, wo er doch mit der Kirche rein gar nichts am Hut hatte und auch keinerlei Interesse zeigte, dies zu ändern.
Überrascht stellte Martin fest, dass er plötzlich doch Hunger bekam. Vielleicht war ja vom Mittagessen noch etwas übrig. Auf dem Weg in die Küche verflogen die Gedanken an den Traum und machten denen an weltlichere Dinge Platz.
*
Nachdem Martin sich ein wenig gestärkt hatte, betrat er das Wohnzimmer. Dort ging Sandra wie ein gereizter Tiger auf und ab. Patrick, Stephan und die Kinder hatten sich offenbar in andere Bereiche des Hauses zurückgezogen.
»Was ist denn los?«, wollte er von ihr wissen. »Ist irgendetwas passiert?«
»Nein.«
»Aha. Und warum versucht du dann, eine Rille in den Teppichboden zu gehen?«
»Wie?« Sandra blieb stehen und sah ihm direkt ins Gesicht. »Ach so, das. Dieses Herumgesitze macht mich wahnsinnig.«
»Es war deine Entscheidung, die Nacht hier zu verbringen.«
»Das weiß ich selbst. Schließlich habe ich mein Gehirn nicht mit irgendwelchen Drogen ruiniert. Du wirst es kaum glauben, aber ich kann mich abends durchaus noch daran erinnern, was ich mittags gesagt habe.«
»Es war nicht böse gemeint.«
»Das will ich dir auch geraten haben, denn schließlich bist du einer der beiden Gründe, warum ich mich überhaupt entschlossen habe, hier einen weiteren halben Tag zu verlieren, anstatt endlich in die Sicherheit des Fliegerhorsts zu gelangen.«
Martin wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Wieder einmal stellte er fest, dass er sich zu Sandra hingezogen fühlte, egal wie gemein, ruppig und kalt sie auch mit ihm umsprang. Er fragte sich, ob diese Frau selbst überhaupt wusste, über welche Kraft sie verfügte? Hätte er sie schon vor ein paar Jahren kennengelernt, hätte er das mit dem Nasenzucker vielleicht nie angefangen. Dann riss ihn Sandras Stimme aus seinen Gedanken.
»Wenn es dunkel wird, hauen wir uns alle hin. Vorher werden noch die Wachen eingeteilt. Bleibst du dabei, dass du auch eine übernehmen willst?«
Martin nickte stumm.
»Gut. Ich mache auf jeden Fall die Schicht vor dir. Wenn ich dich wecke, schaue ich mir genau an, ob du auch wirklich dazu in der Lage bist.«
*
Patrick hatte die zweite Schicht der Nachtwache. Er fand das logisch, denn auf diese Weise hatte Sandra die dritte und Martin die letzte, so dass sich dieser noch einmal gründlich ausschlafen konnte, bevor er für die Sicherheit der anderen zuständig war.
Der Entzug des jungen Mannes schien merkwürdigerweise in Wellen zu verlaufen. Patrick hatte noch nie gehört, dass das der Fall war, aber er kannte sich auch nicht wirklich gut mit so etwas aus. Vielleicht war es ja auch einfach ein Geschenk des Herrn, der damit dafür sorgte, dass auch Martin seinen Teil zum Schutz der Gruppe beitragen konnte.
Unwillkürlich sank Patrick auf die Knie und schickte ein kurzes, aber inbrünstiges Gebet zu seinem Gott. Er dankte darin für die sichere Unterkunft für die Nacht, die Nahrungsmittel und die Medikamente. Und natürlich auch dafür, dass sie alle noch am Leben waren.
Ja, es war ein Wunder, wie glatt alles gelaufen war, nachdem sie Köln erst hinter sich gelassen hatten. Nicht nur, dass sie keine Verluste zu beklagen hatten, ihre Gruppe war seither sogar größer geworden. Und mit den verlorenen Seelen, mit denen sie es bislang zu tun bekommen hatten, waren sie auch ohne nennenswerte Probleme fertig geworden. Möge der Herr geben, dass das so blieb!
Patrick stellte erfreut fest, dass der Glaube in ihm wieder größer geworden war. Er war sein Anker, sein Halt in diesen turbulenten Zeiten. Als er heute Mittag gesagt hatte, dass man in Gottes Wort Trost finden konnte, war das kein leeres Geschwätz gewesen.
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hatte er noch daran gezweifelt, war sich wie ein Lügner vorgekommen, der nur Phrasen drosch, die man von einem Mann seines Standes erwartete. Aber nun erschloss sich ihm endlich wieder, was es bedeutete, seine Wurzeln im Glauben zu haben.
Und noch etwas anderes spendete ihm Trost. Nein, das war nicht das richtige Wort. »Vergessen« traf es besser, vielleicht auch »Linderung«. Patrick nahm einen großen Schluck aus der Flasche mit Klarem.
Er hatte diesen kleinen Schatz mit den anderen teilen wollen, doch diese hatten abgelehnt. Nun, das war deren Sache. Schon im Mittelalter hatten die Mönche gewusst, dass der Alkohol ein Geschenk Gottes war, und daran hatte sich bis heute nichts geändert.
Manche vermuteten sogar, der Heilige Geist höchstpersönlich würde diesen Stoff mit seiner Essenz zu dem machen, was er war, aber das ging Patrick zu weit. Man musste die Geschenke des Herrn auch akzeptieren können, ohne zu viel hineinzudeuten. Und von der zweiten Flasche, die direkt hinter der ersten gestanden war, und die sich nun in seinem Rucksack befand, brauchte er den anderen vorerst ja nichts zu erzählen.
Patrick trat vors Haus in die kühle Nachtluft. Einen Moment lauschte er in die Dunkelheit, aber es war nichts zu hören. Der Himmel war wolkenlos, und das Licht der Sterne erhellte die Szenerie. Alles wirkte friedlich, so als sei nie etwas geschehen.
Aber das täuschte. Patrick wusste ganz genau, dass jeden Moment eine der verlorenen Seelen auftauchen konnte. Die arme Kreatur würde keinen Moment zögern und auf ihn losgehen, so dass ihm nichts anderes übrigbleiben würde, als sie von ihrem irdischen Leid zu erlösen.
Manchmal kamen ihm in solchen Momenten Zweifel, ob er das richtige tat, ob es wirklich das war, was der Herr ihm aufgetragen hatte. Wenn es nun doch der Teufel, dieser dunkle und hinterlistige Verführer, war, dessen tückischen Einflüsterungen er unterlag? Der Gehörnte war schon immer ein Meister der Täuschung gewesen.
Patrick musste an den Traum denken, den er vor gar nicht allzu langer Zeit gehabt hatte. Darin war ihm eine wunderschöne strahlende Lichtgestalt erschienen, die sich ihm dann als Luzifer vorgestellt hatte. Luzifer, der gefallene Engel!
Aber das konnte nicht sein. Patrick winkte unwillig ab. Es war nur ein Traum gewesen – ein Alptraum, wenn er genau darüber nachdachte. Auch damals hatten ihn die Zweifel geplagt, und diese hatten sich dann offenbar zu einem schrecklichen Nachtmahr verdichtet.
Er spürte deutlich, dass er jetzt wieder auf dem richtigen Pfad war. Der Unterricht mit den Kindern hatte ihm nicht nur Freude bereitet, sondern auch gezeigt, dass es richtig war, was er tat. Als sie am Schluss noch ein einfaches Kirchenlied gesungen hatte, waren seine Augen vor Rührung feucht geworden. Etwas, das sich so wunderschön anfühlte, konnte nicht verkehrt sein.
Aus dem Augenwinkel nahm Patrick plötzlich etwas wahr. Sofort hob er Schild und Streitkolben an und konzentrierte alle Sinne auf die betreffende Stelle. Dann glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können.
Über dem Rasen des Vorgartens schwebte ein kleiner Lichtpunkt. Im ersten Moment konnte man ihn für ein Glühwürmchen halten, aber der Punkt bewegte sich nicht, stand einfach ruhig in der Luft.
Dann fing das Licht an zu wachsen, wurde größer und größer, ohne dabei an Leuchtkraft zu verlieren. Schließlich begann sich eine Gestalt zu formen, deren Umrisse an die eines Menschen erinnerten. Patrick starrte mit aufgerissenen Augen auf die Erscheinung.
Plötzlich flackerte die Gestalt, schien instabil zu werden. Sie verfestigte sich noch einmal kurz, dann verblasste sie vollends.
Ohne zu merken, was er tat, sank Patrick auf die Knie, seine Augen füllten sich mit Tränen. »Herr, lass mich bitte nicht alleine! Ich bin dein treuer Diener, war es schon immer.«
Dann kamen ihm Zweifel. Warum war die Lichtgestalt wieder verschwunden? War sein Glaube noch nicht stark genug? Je länger Patrick darüber nachdachte, umso mehr kam er zu dem Schluss, dass nur dieser die Energiequelle für die Erscheinung sein konnte.
Vor lauter Glück schienen ihm die Sinne zu schwinden. Das war der Beweis! Er war auf dem richtigen Weg. Der Herr unterzog sie alle einer Prüfung, und nur diejenigen, die stark genug im Glauben waren, würden sie bestehen.
Und nicht nur das. War ihr Glaube erst einmal weit genug gefestigt, dann würde sich die Lichtgestalt endlich vollends manifestieren können und ihnen dabei helfen, das alles hier zu bewältigen.
*
Tom fühlte sich leicht, er schien zu schweben. Doch bevor er sich darüber Gedanken machen konnte, tauchten Gabi, die Zwillinge Karl und Kurt sowie Melanie in seinem Blickfeld auf. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, sie alle schwebten mehrere Zentimeter über dem Boden!
Ein gutes Stück entfernt erschienen weitere Gestalten. Obwohl sie eigentlich zu weit entfernt waren, um Einzelheiten zu erkennen, wusste Tom sofort, dass es sich dabei nur um Gerhard, Jonas, Michael, Peter und Rosi handeln konnte. Die Kinder kannten sich zwar erst ein paar Tage, trotzdem waren sie bereits über ein unsichtbares Band miteinander verbunden.
Übergangslos schwebten die beiden Gruppen direkt nebeneinander und vermischten sich zu einer einzigen. In diesem Moment manifestierten sich vier weitere Kinder in ihrer Nähe. Es handelte sich um Jessica, Mark, Miriam und Regina. Freudig wurden sie von den anderen begrüßt.
»Wo sind wir hier?« Jessica sah sich staunend um. »Das ist nicht die Wirklichkeit, oder?«
»Zumindest nicht die Wirklichkeit, die die anderen Menschen kennen, die nicht so sind wie wir.« Tom grinste. »Aber es ist Teil unserer Realität, eine Realität, in der wir frei von den Dingen sind, die es uns in der normalen Welt schwer machen.«
Überrascht stellte Jessica fest, dass Tom statt seiner Prothese einen ganz normalen gesunden Arm hatte. Auch Gabis Gesichtszüge wirkten normal, waren nicht durch das Down-Syndrom verändert, das ihrem physischen Körper innewohnte und in der anderen Welt auch ihren Geist ein Stück weit lähmte.
»Aber wir schlafen doch.« Jessica runzelte die Stirn. »Oder sind wir wach und merken es nur nicht?«
»Ja, es ist eine Art Traum, aber auf eine sonderbare Weise auch wieder nicht. Wir sind noch nicht dahintergekommen, was es genau ist und wie es funktioniert. Derzeit wissen wir nur, dass wir uns am nächsten Morgen alle an den gleichen Traum erinnern können, also muss mehr dahinterstecken als nur ein Hirngespinst oder bloßer Zufall.«
»Und ihr habt uns hierher geholt?«
»Nicht aktiv.« Tom lächelte. »Das war nicht nötig. Alle, die so sind wie wir, und sich in unserer Nähe befinden, kommen von ganz alleine dazu. Wir haben es selbst noch nicht wirklich verstanden, aber solange es funktioniert, spielt das auch keine allzu große Rolle.«
»Martin fehlt«, stellte Gabi traurig fest.
»Martin war noch nie dabei.«
»Aber er ist doch so wie wir, oder etwa nicht?«
»Ja, ist er.« Tom schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. »Ich weiß auch nicht, warum er nicht herkommt. Irgendetwas scheint ihn daran zu hindern. Noch.«
»Du magst Martin, nicht wahr?«, wollte Miriam wissen.
»Ja, er ist nett, nicht so wie dieser Stephan. Der macht mir Angst.«
Toms Miene verfinsterte sich. »Ich weiß, was du meinst. Irgendetwas ist mit dem nicht in Ordnung. Aber Martin hat es ebenfalls bemerkt, er wird auf uns aufpassen.«
»Und was ist mit Sandra?«
»Sandra meint es gut mit uns. Aber sie kämpft mit ihrer Vergangenheit.« Tom seufzte. »Ich empfange immer wieder Gedankenfetzen von ihr, regelrechte kleine Aufschreie. Und was ich darin sehe, gefällt mir gar nicht.«
Die anderen Telepathen in der Gruppe nickten. Ihnen schien es ähnlich zu ergehen, zumindest verstanden sie, was Tom meinte, und dass ihm diese Eindrücke zu schaffen machten. Es war nicht immer leicht, die Gedanken der anderen Menschen zu ertragen, die vor allem immer dann besonders laut wurden, wenn es den Menschen nicht gut ging, oder sie besonders unter diesen Gedanken litten.
»Da!« Melanie zeigte in die Richtung, die in Toms Rücken lag, und niemand wunderte sich darüber, dass sie hier sprechen konnte. »Dort ist der weiße Hund!«
Die Köpfe der Kinder flogen herum. Staunend betrachteten sie das prächtige Tier, das viel größer war, als sie es in Erinnerung hatten.
»Was will er hier?«, hauchte Karl. »Denkst du, er ist auch einer von uns?«
»Ein Hund?« Toms Gesicht drückte Zweifel aus.
»Und wenn es gar kein Hund ist?«
»Dann würden wir ihn als das sehen, was er wirklich ist. Soweit wir bisher wissen, zeigt in dieser Ebene der Existenz jedes Wesen seine wahre Gestalt. Es geht nicht anders.«
Der Hund sah auffordernd zu den Kindern hinüber. Seine Zunge hing seitlich aus dem Maul, die Körperhaltung war entspannt.
Plötzlich drehte er sich um und ging ein paar Schritte davon. Dann blieb er wieder stehen und drehte sich erneut zu den Kindern, so als würde er auf sie warten.
»Was will er?« Melanie kratze sich am Kopf. »Meinst du, wir sollen ihm folgen?«
»Ich schätze, darum geht es. Also tun wir ihm einfach den Gefallen.«
Sanft gleitend setzten sich die Kinder in Bewegung. Als der Hund das sah, nahm er seinen Weg wieder auf. Tom und die anderen folgten ihm mit ein wenig Abstand.
Niemand konnte sagen, wie lange diese eigentümliche Wanderung wirklich dauerte, denn hier schien die Zeit ohne Bedeutung zu sein. Nach und nach veränderte sich die Landschaft, wurde üppiger und grüner. Die Natur gewann zunehmend an Kraft, und nichts erinnerte mehr daran, dass es bereits Herbst war.
Dann blieb der Hund stehen. Langsam schlossen die Kinder zu ihm auf. Als sie ihn fast erreicht hatten, löste er sich übergangslos auf und war verschwunden.
Die Kinder standen am Rand eines sanften Abhangs. Vor ihnen breitete sich ein blühendes Tal aus. Vögel zwitscherten und das glitzernde Band eines Flusses durchschnitt das Grün.
»Ist das schön!«
Niemand konnte sagen, von wem der Ausruf gekommen war, alle sogen ergriffen diesen Anblick in sich auf.
»Da sind Menschen!« Wieder war es Melanie, die die Entdeckung gemacht hatte. »Seht nur, sie scheinen fröhlich und glücklich zu sein.«
Gerade als die Kinder den Menschen im Tal zuwinken wollten, verfinsterte sich der Himmel. Mit einem Mal wurde es empfindlich kalt, und Wind kam auf.
»Ein Gewitter.« Tom kniff die Augen zusammen.
»Das ist kein Gewitter.« In Gabis Stimme lag plötzlich Panik. »Das ist der Dunkle Mann! Er stellt uns nach!«
Schweißgebadet wachten die Kinder auf.