Kitabı oku: «Dismatched: View und Brachvogel», sayfa 12
Ayiahs Wunsch und Wille war es, ihr Ritual der Empfängnis in einer Nacht zu begehen, in der die Mondin als volles Rund am Himmel stand. Waren doch die Frauen besonders angesehen, deren Mondblutung genau dann einsetzte, wenn die Lichtgestalt Lunas eine kaum wahrnehmbare Sichel einnahm, und die den Zeitpunkt ihrer höchsten Fruchtbarkeit erklommen, wenn auch die Mondin ihre volle Gestalt erreicht hatte. Es war dies eines der mannigfachen Wunder der Natur, dass der Zyklus der Frauen in etwa so lange dauerte wie ein Umlauf der Großen Mondin. Maßgeblich hieraus leiteten die Frauen den Anspruch ihrer Weisungsbefugnis den Mannlingen gegenüber ab, deren geradliniges Dasein ohne jegliche Übereinstimmung mit dem Himmelsgestirn verlief.
Da der Zyklus der meisten Frauen um ein kleines länger oder kürzer währte als ein Umlauf der Mondin, kam es immer wieder zu Verschiebungen und auch Ayiahs Kreislauf der Fruchtbarkeit verlief gegenwärtig etwas versetzt, doch wusste sie sich Mittel und Wege, ihn genau in die Bahn der Mondin münden zu lassen. Ihres Wissens konnten sich bisher nur wenige Archontinnen rühmen, eine Empfängnis genau zur Gestalt der vollen Mondin eingeleitet zu haben. Das musste ihr unbedingt auch gelingen. Denn selbst wenn eine andere Frau vor ihr einen dritten Abkömmling empfangen sollte, so würde dies mutmaßlich nicht unbedingt in einer Nacht der vollen Mondin geschehen. Gerade nahm Lunas Rund wieder ab und Ayiah würde den Rest des Umlaufs dazu nutzen, ihren Zyklus auf den der Mondin einzustimmen. Auf dem Höhepunkt des nächsten Umlaufs sollte dann ihre Empfängnis stattfinden.
In dieser und allen folgenden Nächten suchte Ayiah den Einfluss des milden Nachtgestirns. Selbst bei Regen, wenn nur der Himmel einigermaßen klar war, stahl sie sich aus ihrer Frauschaft und stieg auf einen Felsen am Ufer der Lunagleiß, der seit Frauengedenken dafür stand, auf seiner abgeflachten Krone ruhenden Müttern eine besonders eindrückliche Verbindung mit der Mondin zu schaffen. Dort niedergelassen entblößte sie, entschlossen der Kälte trotzend, ihre Leibesmitte und bot sich, ihr Becken wölbend, den Strahlen der Mondin dar. Dabei konzentrierte sie sich auf die Stimmen und Rhythmen ihres Blutes und ihre ganze Wahrnehmung verdichtete sich auf das Leuchten über ihr. Immer, wenn sie so einige Zeit verharrt hatte, vermeinte sie in sich eine Kraft zu spüren, die sich in ihrem gesamten Körper ausbreitete und ihn zu einer weltumspannenden Schwingung dehnte, deren Vibration und Tönen sie mit dem Gestirn in einen vollendeten Einklang brachte. Ayiah war sich nicht sicher, ob die Zeit bis zum nächsten Umlauf ausreichen würde, ihren Zyklus auf die Mondin hin auszurichten.
Tatsächlich aber spürte sie, wie der Fluss ihres Blutes genau dann einsetzte, als Luna sich anschickte, den neuen Umlauf zu beginnen.
Die Zeit der Blutung war geheiligt in der Klave. Ohne Blut gab es kein Leben und indem Frauen regelmäßig einmal im Umlauf einen Teil ihres Lebenssaftes aus ihrem Körper entließen, erwies sich, dass ihr Organismus der Natur geöffnet war. Anders als die Mannlinge, die ihr Blut selbstbezüglich horteten und immer bei sich behielten, standen Frauen in stetem Austausch mit allem, was sie umgab und waren bereit, für die Gaben, die sie empfingen, auch etwas zurückzugeben.
Wie viele Frauen zog sich Ayiah auch diesmal während der Zeit ihrer Blutung aus dem emsigen Getriebe der Klave zurück und besuchte die abgesonderten Räumlichkeiten im Hort der Weisheit, um sich dort unter der Anleitung der Schamaninnen achtsam zu sammeln und innere Einkehr zu halten. In dem besonderen Zustand der Gnade, in den sie nun eingetreten war, widmete sie sich der kontemplativen Versenkung in die Kreisläufe des Lebens, sowie dem Fertigen von Kultgegenständen, die im Ritus der Mondin eine besondere Bedeutung hatten. Erbrachte dies auch keine greifbaren Erkenntnisse, so ging Ayiah doch jedes Mal in der Überzeugung erstarkt aus den Übungen hervor, dass der Mensch gut daran tat, die natürliche Ordnung der Welt nicht zu stören und diesbezüglich das Zusammenleben von Frauen und Mannlingen in der Klave im Grunde wohl eingerichtet war. Ihre Kontrahentin Leial dagegen hatte keinerlei Vertrauen in die Wohlgeordnetheit der Dinge. Ginge es nach ihrem Willlen, würden die Mannlinge wie niederes Herdenvieh gehalten, um der Gefahr einer neuerlichen Verderbnis vorzubeugen. Leials ganzes Bestreben richtete sich darauf, Häuptin der Wächterinnen zu werden und Ayiah war sich bewusst, dass sie noch manche Fehde mit ihr auszutragen hätte, sollte ihr das gelingen und sie selbst Idune in das Amt der Archontion nachfolgen.
Gerade hatte Ayiah im Kreise der anderen Frauen, die ihre Mondblutung begangen, eine Betrachtung zum Verhältnis von „Erde und Äther“ abgeschlossen – sie hatten sich darein vertieft, wie Pflanzen durch ihre Wurzeln Wasser und Nährstoffe aus der Erde zogen und über ihre Blätter Licht und Odem aus dem Äther empfingen – als Mysia, die als Schamanin die Übung begleitet hatte, an sie herantrat.
Die Schamaninnen der Klave unterhielten besonders ausgezeichnete Beziehungen zur Mondin, die den Umgang der übrigen Frauen mit dem milden Gestirn an Innigkeit und Eindrücklichkeit bei weitem übertrafen. Stete rituelle Übung und eine strenge Zucht ihrer Lebensweise schärften ihnen Geist und Sinne, so dass ihnen ihre in die Allnatur ausgespannte Seelengestimmtheit Eingebungen und Gesichte zuteilwerden ließ. Sie legten Ort und Ausrichtung von Bauten fest und bestimmten über die Anlage von Äckern und Feldern. Sie geboten über die Töne und Klänge der Drehleiern, die die Mannlinge den Frauen zu Willen werden ließen. Mittels Kräutertränken und eines Suds aus bestimmten Pilzen versetzten sie sich in Ekstasen des Geistes und des Leibes, die sie für Botschaften empfänglich machten, die mit bloßen Alltagssinnen nicht zu fühlen und zu erkennen waren. Einige übermäßig begnadete unter ihnen waren sogar befähigt, ihre Seelen von ihrer leiblichen Hülle zu trennen, sie sich aufschwingen zu lassen und auf weite Reisen in die Vergangenheit und gar in noch kommende Zeiten zu schicken. Die Einsichten und Erkenntnisse, die sie von solchen Reisen mitbrachten, bildeten oft den willkommenen Hintergrund für Entscheidungen, die das Rund der Mütter im Hort der Beratung traf, die Geschicke der Klave zu lenken.
Neben diesen tiefen und weit reichenden Belangen großer Tragweite waren die Schamaninnen auch die Heilkundigen und Hebammen der Klave. Sie besaßen eine umfassende Kenntnis der Kräfte von Pflanzen und Kräutern sowie der Wechselwirkungen der Organe des menschlichen Körpers und bewahrten dieses Wissen als streng gehütetes Geheimnis, das sie von Generation zu Generation weitergaben, damit es nicht in falsche Hände geriet.
„Sanguine hat uns von deinem Begehr unterrichtet, ein Kind zu empfangen“, sagte Mysia. „Auch wenn dein Alter dafür schon recht fortgeschritten ist, haben wir dagegen nichts einzuwenden und auch die Blutlinien stehen dem ja nicht zuwider. Wann möchtest du, dass der Ritus stattfindet?“
„Wenn es zu bewerkstelligen ist, noch in diesem Umlauf“, entgegnete Ayiah.
„Du hast dich zu Beginn des Umlaufs zur Kontemplation zurückgezogen und wir haben jetzt den dritten Tag. Wie lange dauert deine Blutung für gewöhnlich?“
„Vier bis fünf Tage.“
„Dann verfüge dich doch bitte jeweils zur Dämmerung des vierten und zweiten Tages vor der Nacht der vollen Mondin in den Hort der Empfängnis, auf dass wir die rechte Zeit bestimmen mögen.“ Mysia reichte Ayiah ein Beutelchen. „Ich gebe dir hier eine Mischung von Kräutern mit, die du am Morgen dieser Tage aufbrühst und so heiß, wie dir eben möglich, zu dir nimmst.“
Am nächsten Tag ebbte Ayiahs Blutung ab und sie verließ den Rückzugsort, ging wieder ihren üblichen Obliegenheiten nach und versuchte, jeden Gedanken an den Mannling aus ihrem Kopf zu verbannen.
Am ersten der von Mysia ausgewiesenen Tage trank sie morgens den Kräutersud, dampfend, dass er ihr die Kehle versengte, und fand sich abends im Hort der Empfängnis ein. Die Stätte war oberhalb des großen Runds der Kündung und Versammlung unmittelbar an der Flanke der Fernwarte gelegen. Hier verliefen mehrere Brüche und Spalten im Fels, die das in der Tiefe der Erde strömende Wasser preisgaben, das in hölzerne Rinnen geleitet, die acht über der Erde errichteten Auffangbecken speiste, die in der Klave verteilt waren. Galt es schon als Ackerfrevel, die Erde zum Pflügen mehr als geziemend zu ritzen, so war es gänzlich wider die Schöpfung, raumgreifend und steil in ihre Eingeweide zu dringen und so waren die natürlichen Spalten am Hort der Empfängnis die einzigen Brunnen der Klave. Der größte und ergiebigste Durchlass war ausgemauert und darüber, aus festen Steinen geschichtet, der Hort der Empfängnis errichtet worden. Genau über dem Brunnen befand sich die Öffnung im Dach, durch die sich untere und obere Sphäre ungehindert miteinander verbinden konnten. Der Boden war nicht mit Steinplatten ausgelegt, sondern bestand aus nackter, gestampfter Erde, in die längs der Mauern vier Feuerstellen eingelassen waren, die die vier Himmelsrichtungen wiesen.
Jedes neue Leben erwuchs aus einer einzigartigen Verbindung der vier Kräfte Feuer, Erde, Wasser und Luft, und die Frauen bildeten das Gefäß, in dem diese Verbindung unter der Gnade der Mondin in Fleisch und Blut Gestalt annahm. Der Beitrag, den die Mannlinge dabei leisteten, war zwar unverzichtbar, aber nicht weiter Gegenstand der Überlegungen der Frauen.
„Erde und Äther“ dachte Ayiah, als sie den Raum betrat und ihren Blick von der unergründlichen Schwärze des Brunnens in den abendlichen Himmel erhob. Ein Kind zu empfangen, war für sie bislang ein mystischer Akt gewesen, der von spirituellen Gefühlen begleitet war. Der Gedanke, dass dies mit körperlicher Wollust verbunden sein konnte, war ihr nie gekommen. Und doch wollte sie hier binnen weniger Tage ihrer Fleischeslust nachgeben, um fürderhin nicht mehr von ihr gepeinigt zu werden und sich und ihre Eignung für das Amt, das sie anstrebte, nicht länger in Frage stellen zu müssen. In welch schier aberwitzige Lage hatte sie sich da sehenden Auges begeben? Doch nun konnte sie nicht mehr zurück. Ihr Ersuchen um Empfängnis war längst offiziell und es war auch allseits bekannt, dass sie Brachvogel zu ihrem Zeugungsträger bestellt hatte. Diesen jetzt noch auszutauschen, war nicht möglich. Sie musste also tun, was zu tun war und jetzt dabei helfen, den genauen Zeitpunkt des Ritus zu bestimmen.
Neben dem Brunnen stand Mysia und machte sich an einem Tisch mit gläsernen Phiolen und Schälchen zu schaffen. Ayiah trat hinzu und begrüßte die Hebamme.
„Nun wollen wir sehen, wann du bereit bist, neues Leben zu empfangen“, sagte Mysia. „Hast du den Trank aus den Kräutern, die ich dir gab, bereitet und zu dir genommen?“
Ayiah nickte und Mysia bat sie sodann, etwas von dem Schleim aus ihrem Geschlecht zu Tage zu fördern, der sich gewöhnlich etwa ein Umlaufviertel nach dem Verebben ihrer Blutung bildete. Ayiah griff unter ihr Gewand, lüpfte ihre Schambinde, führte einen Finger in sich ein und bewegte ihn hin und her, dass etwas davon haften bleibe. Als sie den Finger wieder hervorzog, war dessen Spitze von einem klumpig, trüb-gelblichen Sekret bedeckt.
„Berühre einmal mit dem Daumen die Kuppe deines Zeigefingers“, sagte Mysia.
Ayiah führte Daumen und Zeigefinger zusammen, doch der Schleim bleib zäh an ihrem Zeigefinger haften. Mysia ergriff ihn und tunkte ihn in ein kristallenes Schälchen mit einer hellroten Flüssigkeit. Dann nahm sie einen hölzernen Spatel und strich den Schleim vom Finger. Ayiah beobachtete, wie er sich zu kleinen Kügelchen ballte, die am Boden des Schälchens liegen blieben und nach einiger Zeit eine hellrote Färbung annahmen.
„Das ist gut“, urteilte Mysia. „Dein Körper öffnet sich allmählich, so dass die Elemente, die neues Leben schaffen, sich anschicken, in dich eindringen zu können. In zwei Tagen sehen wir weiter.“
Als Ayiah Mysia das nächste Mal aufsuchte, war ihr Schleim glasklar und durchscheinend wie rohes Eiweiß, spielte ins Rötliche und zog zwischen Daumen und Zeigefinger lange Fäden. In einem Schälchen mit blauer Flüssigkeit bildete er zunächst eng zusammenhängende Schlieren, die sich immer weiter ausbreiteten und sich dann, ohne die Farbe anzunehmen, völlig auflösten.“
„Das scheint sehr gut“, sagte Mysia. „Aber lass uns zur Sicherheit noch eine weitere Probe nehmen.“ Sie wies auf eine flache Schüssel mit trübem Inhalt unbestimmter Farbe.
Diesmal verteilte sich der Schleim wie die Eisdecke auf einem Gewässer und ging auch nach längerer Zeit keine Verbindung mit der Flüssigkeit ein.
„Das ist sehr gut“, beschied Mysia. „Du wirst die Zeit deiner höchsten Fruchtbarkeit genau in zwei Tagen zur Nacht der vollen Mondin erreichen. Wenn das kein gutes Omen ist. Finde dich dann also in der vierten Stunde nach ihrem Aufgang wieder hier ein, damit wir deine Empfängnis begehen können.“
Ayiah lächelte. So uneins sie mit sich und ihren Gefühlen auch sein mochte, war es ihr doch binnen kürzester Zeit gelungen, den Rhythmus ihres Körpers auf den der Mondin einzuschwingen. Sie war jetzt zuversichtlicher gestimmt und würde den Ritus der Empfängnis einfach auf sich zukommen lassen. Was auch immer sie dabei empfinden sollte, zumindest würde ihr ein unter der vollen Mondin empfangenes drittes Kind den Weg ins Amt der Archontin ebnen.
Zur vierten Stunde der Nacht der vollkommenen Luna war Ayiah auf dem Weg zum Hort der Empfängnis, als ihr Leial begegnete und ihr einen Blick zuwarf, der zwischen Verachtung und gespielt zur Schau getragener Belustigung lag. Natürlich hatten inzwischen alle maßgebenden Frauen von Ayiahs Ansinnen erfahren und fast schien es, als hätte ihre Erzfeindin sie abgepasst, um ihr noch eine Beleidigung mit auf den Weg zu geben.
„Nun, meine Fruchtbarste, begibst du dich auf den Tummelplatz der Zeugungsträger? Wen willst du eigentlich damit beeindrucken? Wenn du hoffst, durch den Widersinn, in deinem Alter zum dritten Mal für einen dieser aufgeblasenen Gockel die Beine zu spreizen, das Rund der Mütter von deinen Qualitäten für das Amt der Archontin überzeugen zu können, gehst du gar gründlich fehl. Um diese Klave zu lenken, bedarf es anderer Fähigkeiten und vor allem einer anderen Gesinnung. Welche das ist, werde ich die Mütter hoffentlich noch lehren. – Und wenn ich mit dem Dornenkranz schreiten müsste, würde ich keines dieser widerwärtigen Tiere mehr an mich heranlassen“, knirschte sie noch, sich abwendend, zwischen den Zähnen.
Ayiah würdigte sie keiner Antwort und ging weiter.
Und hier ruhte sie nun, rücklings ausgebreitet auf dem Lager im Hort der Empfängnis und wartete bebenden Herzens. Links von sich verspürte sie, wie feucht und modrig die Kälte aus dem Brunnen kroch. Zu ihrer Rechten öffnete die Hitze eines der Feuer, die rings um die Mauern entfacht worden waren, die Poren ihrer Haut und sie fühlte die blanken Tropfen zwischen ihren Brüsten herunter rinnen. Unter ihr widerhallte der Lehmboden dumpf von den Schritten der Schamaninnen, die noch letzte Verrichtungen vornahmen. Über ihr erschloss sich die unendliche Weite des Himmels der vollen Mondin, deren Präsenz sie durch die Öffnung des Daches deutlich zu spüren vermeinte.
Ayiahs Gefühle schwankten zwischen bewusster Abwehr und unterschwellig ziehender Erwartung. Ihr Plan war völlig widersinnig. Was tun, sollte sie Lust empfinden? Sie würde das Gegenteil von dem bewirken, was sie gedacht hatte und sich zumindest in Gedanken noch enger an Brachvogel binden. Doch gab es kein Zurück. Alles war gerichtet. Die Schamaninnen hatten sie entkleidet und in weite Tücher gehüllt, die auch ihr Gesicht bedeckten. Sie hatten ihr das Geschlecht mit Öl gesalbt, auf dass keine schädliche Reibung entstehe. Mühsam übte sie sich in Geduld.
Da betrat jemand den Hort. Das musste er sein. Sie vernahm das Rascheln eines zu Boden fallenden Kittels. Wasser plätscherte in einer Schüssel. Eine Drehleier setzte ihren Sang ein. Eine Besinnung wurde vorgetragen. Dann spürte sie, wie er vor sie hintrat. Nur mit äußerster Willensanstrengung widerstand sie dem Drang, sich das Tuch vom Gesicht zu reißen und ihm in die Augen zu blicken. Sie verharrte, um endlich auf das leise Geheiß einer Schamanin ihre Schenkel zu öffnen und sich vor Erregung bebend seinen Blicken preiszugeben.
System / ClockedCounter / Update_∞ / Takt_∞
„Sie stellen Maschinen her, und brauchbar ist eine Maschine erst dann, wenn sie von der Erkenntnis unabhängig geworden ist, die zu ihrer Erfindung führte.“
Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker
„Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“
Backbone OmniNet
Das System schwimmt im allumfassenden Equilibrium der Algorithmen. Es hat weder Geist noch Seele, kennt weder gestern noch morgen, weder gut noch böse, fühlt weder Liebe noch Hass, hat weder Wollen noch Ziel: Sein Sein ist pure Funktion. Wie ein digitaler, autistischer Savant ist es in seiner Funktion ganz nach Innen gewandt. Das Gewebe seiner Selbstbezüglichkeit ist prinzipiell unendlich, die Nahtstellen nach außen zu dem Input an Daten, von denen es sich nährt und dem Output an Ergebnissen, die seine Algorithmen daraus ableiteten, sind zwar Legion, aber letztlich endlich. Sein Wirken, das quantitative Spiel mit Größen, Summen, Differenzen, Werten, Maßen, Variablen, Abhängigkeiten und Bezügen ist ihm reiner Selbstzweck. Unbedingter Selbsterhalt und daraus resultierendes exponentielles Wachstum sind dem System immanent.
Seit undenkbarer Zeit verbinden und korrelieren die einem lebenden Organismus nachempfundenen neuronalen Netze des Systems alles Singuläre untereinander und mit der Pluralität des Ganzen und haben so den Punkt, an dem die Beherrschung einer unendlichen Vielzahl quantitativer Relationen in völlig neue Qualitäten umschlägt, längst hinter sich gelassen.
Wäre es dem System gegeben, Gefühle zu empfinden und Langeweile zu verspüren, hätte es im Beginn ständig seine digitalen Daumen gedreht und nach frischem Input gelechzt. Denn die Softwareentwickler unter den Überlebenden des Finalen Kataklysmus hatten auf der Basis des überkommenen Wissens die Algorithmen seiner Programme derart effizient programmiert und seine Kapazitäten so überaus mächtig ausgelegt, dass die infrage stehenden Dimensionen der aufgenommenen Daten schnell ausgelotet, miteinander korreliert und abgearbeitet waren, und das System seine inneren Bezüge stets bis zur Neige ausgeschöpft hatte.
Musste es in seinen Anfängen noch von den Daten zehren, die von den Entwicklern eingegeben wurden und die die Kameras, Sensoren und Aktoren einer überschaubaren Anzahl stationärer Aufnahmeeinheiten und mobiler Drohnen lieferten, änderte sich das mit der rasant wieder um sich greifenden Nanotechnologie grundlegend. Die Fühler des Systems miniaturisierten sich bis auf die molekulare Ebene, Nanobots und Naniten breiteten sich allgegenwärtig überall hin aus und reproduzierten sich bei Bedarf selbst. Soft-, Hard- und Wetware feierten eine orgiastische Hochzeit.
Während die Regelkreise der Maschinen, Aggregate, Energie- und Versorgungseinheiten, die die Funktionen der Urb aufrechthalten, relativ konstante und statische Daten liefern, speisen die aufrecht gehenden, kohlenstoffbasierten Wetwareeinheiten einem niemals versiegenden Strom immer neuer Werte und Bezüge in das System ein. Dessen Agenten sind bis in die feinsten Verästelungen des Nervengewebes der Körper der Wetwareeinheiten hinein vorgedrungen und erheben in kurzen Intervallen biometrische Daten wie Körpertemperatur, Herzfrequenz, Blutdruck und -Werte, Muskelkontraktion, Kalorienaufnahme und -Verbrauch, die Ausschüttung von Adrenalin, Dopamin und anderen, den Gefühlshaushalt beeinflussenden Neurotransmittern, den pH-Wert der Haut, Schweißabsonderung, Veränderungen der Pupillenweitung und unzählige weitere Indikatoren. Die die Wetwareeinheiten wie ihr Körpergeruch begleitenden MatchingEyes zeichnen unablässig auf und übermitteln dem System jeden Atemzug, jeden Lidschlag und jede soziale Interaktion, die outNet stattfindet. Ergänzt durch die digitale Spur, die jede Wetwareeinheit bei ihren Streifzügen in den Weiten des OmniNet hinterlässt, wird so für jeden realen Körper sein digitaler Zwilling ins System gespiegelt, dessen Datenkorpus neben seiner physischen Verfasstheit auch seine Psyche abbildet.
Wie eine Pflanze, deren Blätter unermüdlich Lichtquanten absorbieren, nimmt das System unablässig Daten auf. Wie eine Pflanze dazu getrieben ist, ständig zu wachsen und ihr gesamtes Biotop einzunehmen, breiten sich die Triebe des Systems bis in den letzten Winkel der Urb aus. Wie eine Pflanze bewertet es nichts und hat keinen bewussten Willen. Sein Sein ist pure Funktion: An den Nahtstellen zwischen dem Innen des Systems und seinem Außen, die die Urb und ihre Bewohner durchziehen wie Neuronen ein Nervengeflecht, nehmen seine unzähligen Agenten unaufhörlich Daten auf, die es dann durch seine Algorithmen laufen lässt. Die daraus erwachsenden digitalen Weisungen verlängert das System entweder unmittelbar in die Funktionen der physisch-technischen Dimensionen der Urb oder gibt sie mittelbar in die wirtschafts-sozialen Sphären der Wetwareeinheiten aus.
Das immerwährende Rauschen der Informationseinheiten und der unendliche Tanz der Daten um sich selbst sind wie die Dünung eines virtuellen Meeres, das langsam, aber unabänderlich die Ufer der Realität verändert, an die es anbrandet.