Kitabı oku: «Dismatched: View und Brachvogel», sayfa 17

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Diesmal beschloss er, nicht mehr auf sein Gesicht zu vertrauen, sondern das Zielen völlig seinem Körper zu überlassen. Er würde also für den Moment des Abwurfs die Augen nicht öffnen. Er hob die Bola und hatte sich schon bald in einen untadeligen Kreis eingeschwungen. Er holte tief Luft, ließ sie langsam aus seinen Lungen entweichen und konzentrierte sich mit allen Fasern seines Seins auf den Stamm, dessen Lage im Gelände, Umriss und Beschaffenheit er förmlich durch die Haut in sich einsog. Als ein vollkommenes Abbild des Ziels in ihm entstanden war, schloss er die Augen und ließ die Bola weiter kreisen. In dem Moment, da er vermeinte, förmlich einen starken Zug zu verspüren, ließ er los, hielt dabei aber die Augen weiterhin geschlossen. Vom Rand der Lichtung scholl ein dumpfes „Klong“ herüber. Er hatte also getroffen, riss die Augen auf und sah gerade noch, wie die Gewichte am Stamm herunterrutschten.

„Ganz offensichtlich bist du eine Naturbegabung“, lobte Kurabel.

„Glückstreffer“, wiegelten andere ab.

Doch als von Brachvogels fünf folgenden Würfen vier ins Ziel gingen, mussten auch die Zweifler anerkennen, dass er durchaus ein Händchen für die „Bollen“ hatte.

„Wie ist es denn mit beweglichen Zielen?“, fragte Brachvogel.

„Die sind natürlich schwerer zu treffen“, gab der Meisterschwinger zu bedenken, „und zudem haben wir nur wenig Gelegenheit, uns an solchen zu erproben. Um auf der Ebene den fußfertigen Strauß oder gar das gewaltige Elentier zu verfolgen, bedürften wir eines Ebsels und liefen zudem Gefahr, weithin von den dort umherstreifenden Jagdfrauen gesehen zu werden. Und das Niederwild im Wald darf nicht zu tief im Gehölz stecken, damit wir freie Wurfbahn haben. Lass jetzt ganz ohne ehrgeiziges Streben nach Meisterschaft in Ruhe und Gelassenheit ein wenig Zeit verstreichen, auf dass sich die Bewegungsabläufe, die du heute erlernt hast, in deinen Gliedern und dem Fleisch und Blut deines Leibes festsetzen können. Bei neuerlichen Treffen magst du deine Fertigkeit dann erweitern und festigen.“

„Höre ich da etwa heraus, dass eine gewisse Demut und Besonnenheit manchmal durchaus gebührlich sind?“, schmunzelte Brachvogel gut gelaunt darüber, hier eine so anregende Gesellschaft gefunden zu haben.

Kurabel, der Brachvogel sehr gewogen war, fühlte sich durch diese Worte nicht etwa angegangen, sondern verstand sie als die leutselige Frotzelei als die sie gemeint waren.

„In der Tat ist nicht alles von Übel, was dem Denken der Frauen entspringt und wie die tieferen Einsichten des Geistes langsam heranreifen müssen, bedarf auch die Ausbildung von Fertigkeiten des Leibes der Zeit, damit sie sich fest im Gedächtnis des Körpers verankern können. Ist das geschehen, heißt das, was die Bollen betrifft, dass du ohne besondere Anstrengung und ohne außergewöhnlichen willentlichen Antrieb daran zu verwenden mit dem ganzen Körper wirst zielen und treffen können.“

Dankbar, den Widerhaken seiner Mission in den Disput einhaken zu können, meldete sich da Belarus, der Wortkundige, zu Wort.

„Zunächst einmal bin ich beglückt, in dir, Genosse Brachvogel, jemanden gefunden zu haben, der sich ‒ anders als viele dieser Banausen hier ‒“ und er bedachte etliche der versammelten Genossen mit einem dunklen Blick, „der weitreichenden Macht der Wörter bewusst ist. Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht“ ‒ diese Rede schien seine bevorzugte Art zu sein, seine Betrachtungen kund zu tun ‒ „dass die Art der Benamsung der hervorragenden Tugend der Besonnenheit bei Lichte besehen dem Denken der Frauen widerspricht?“

„Nein, das habe ich nicht, aber du wirst uns sicherlich gleich Belehrung angedeihen lassen.“

„Wenn es stimmt, dass allein der Schein der Mondin dem Menschen gedeihlichen Aufschluss gibt über die Welt und die Dinge, die Strahlen der Sonne aber die Dinge verfälscht und die Menschen zu verderblichen Handeln verleitet, dann müsste Besonnenheit folgerichtig Bemondetheit heißen.“

In den Mienen der meisten Genossen spiegelte sich Unverständnis.

„Be ‒ sonnen ‒ heit! Von den Frauen ‒ und auch von euch Genossen! ‒ bislang unbemerkt tummelt sich in dem Wort für eine der beiden Leittugenden der Klave der Name Sols, des Tagesgestirns.“

„Fürwahr, in der Tat, das ist schlechthin erstaunlich“, wunderte sich Brachvogel. „Und welche Schlüsse ziehst du daraus?“

„Ganz offensichtlich haben Erkenntnis und Einsicht immer etwas mit Licht zu tun. Wenn uns etwas klar wird, geht uns ein Licht auf, denn nur wenn es hellicht ist, können wir etwas erkennen und nur, was wir sehen können, können wir mit den Händen greifen, um es hernach auch im Geiste be-greifen zu können. Auch treffen wir uns nicht im dunklen Tann, um das wahre Wesen des Mannes zu ergründen, sondern hier auf dieser ,Lichtung‛. Ob die Dinge aber nun vom Licht der Mondin ,bemondet‛ oder von den Strahlen der Sonne ,besonnt‛ ihre Natur offenbaren, scheint mir nicht maßgebend zu sein. Ob Sonne oder Mondin, Sol oder Luna, beide Gestirne stehen abwechselnd oder gar gleichzeitig am Himmel und das Licht beider Gestirne fördert seine je eigentümliche Erkenntnis. Aus all diesem ziehe ich den Schluss, dass wir völlig fehl gehen würden, so einseitig und engstirnig zu denken wie die Wächterinnen, die unabdingbar Sol und die vermeintlich mannlingsche Hoffart verdammen. Wir sollten uns also davor hüten, im Umkehrschluss alles, was mit der Mondin in Beziehung steht, zu vermaledeien. Vielmehr sollten wir unser Denken weiten, denn seid eingedenk: Die Dinge haben nicht nur eine, sondern immer zwei Seiten, von denen keine schon im Vorhinein gut oder böse, richtig oder falsch ist.“

„Ich für meinen Teil habe das betuliche Gewese um Luna und die allfällige Demut und Besonnenheit, die uns von klein auf eingetrichtert wurden, gebührend satt“, ereiferte sich nun Ragun, der Wasserspürer. „Warum eigentlich müssen wir immer stillhalten, den Blick senken, uns wegducken, im Kreise drehen und kleingeistig damit bescheiden, was die Natur gnädig uns zu überlassen bereit ist? Wenn ich ständig den Blick in Demut zur Erde senke, spüre ich nur die Quellen, auf denen ich gerade stehe. Und da mein Umkreis sehr eingeschränkt ist, werde ich keine neuen Wasser entdecken. Wittere ich aber angespannter Sinne und erhobenen Blicks in die Ferne, kann ich uns neue Quellen erschließen. Statt unabdingbar dem Regen untertan zu sein oder das Wasser mühsam in Eimern vom Fluss in die Hütten und auf die Felder hucken zu müssen, könnten wir zusätzlich zu dem einzigen Brunnen im Hort der Empfängnis auch außerhalb der Klave weitere Brunnen ausheben und so auch die fernab der Lunagleiß gelegenen fruchtbaren Böden nutzen, um Äcker anzulegen. Aber das Äußerste, was die Frauen der ach so zu schonenden Schöpfung zumuten, ist ja, als Zulauf für die Wasserräder längs des Flusses Gräben zu treiben. Gemäß der Wächterinnen Überzeugung ist die einzig vorstellbare und billige Berechtigung, den Brunnen im Hort der Empfängnis senkrecht in die Eingeweide der Erde zu treiben, die, durch die aus der Tiefe heraufquellenden Wasser das vermeintlich frevelhafte Tun der Menschen mit dem Himmel zu versöhnen. Zu dem ganz alltäglichen Zweck aber, sich das Dasein zu erleichtern, zusätzliche Brunnen zu bauen, wäre eine noch größere Missetat als selbst der übelste Ackerfrevel und würde mutmaßlich gar die Welt aus ihren Angeln wuchten. Dieser Vorstellung anzuhängen und dem anderen Irrwitz aufzusitzen, den uns die Frauen glauben machen wollen, ist nicht nur töricht, sondern verdammt die Klave zu ewigem Stillstand und damit dazu, mühsam von der Hand in den Mund leben zu müssen.“

Auf diese Einlassung konnte Brachvogel nur bestätigend nicken.

„Recht gesprochen, Ragun. Und neben zusätzlichen Brunnen, sollte es vielleicht auch gelingen, Wasser vom Fluss auf außerhalb der Hochwasserlinie angelegte Felder zu leiten. Nämlich dergestalt, dass kleine Wasserräder nicht mit Schaufeln, sondern mit Schöpfkellen ausgestattet werden, die die Wasser der Gleiß auf das höher liegende Niveau der Felder hieven, von wo aus es in hölzernen Rinnen laufend, den Feldern zu reicher Frucht verhilft.

Über solcherart anregenden Reden und Disputen verging die Zeit wie im Fluge und viel zu schnell war der Punkt herangerückt, da Sol sich anschickte, Luna zu weichen und man wieder in die Klave zurückkehren musste.

Brachvogel war zutiefst beglückt, solch erquickliche Gesellschaft gefunden zu haben und ihn beflügelte die Hoffnung, dass aus dem Kreise des Bundes nicht nur vielfältige, weithin tragende Ideen, sondern auch die Kräfte zu deren Umsetzung erwachsen würden.

Erstmals schien es ihm, mit seinem brennenden Anliegen, gezielt das erbärmliche Los der Mannlinge zu wenden, nicht alleine dazustehen.

System / ClockedCounter / Update_567 / Takt_28.457.321

Alles, was man vergessen hat, schreit im Traum um Hilfe.“

Elias Canetti

View hatte ihrer Ruhephase bislang keinerlei besondere Beachtung geschenkt. Wie Essen und Trinken war zu schlafen eine unumgängliche Notwendigkeit, um ihren Körper und ihre Kräfte zu regenerieren. Schlaf war ein gestaltloses und unstrukturiertes Vakuum, in das sie eintauchte, um nach exakt 7 MacroTakten wieder daraus aufzutauchen und einen neuen, präzise getimten Tagesablauf zu durchlaufen. Am Ende eines besonders eng getakteten Tages, der ihr alles abverlangt hatte, stellte sie sich oft vor, kopfüber in ein Becken mit kristallklarem Wasser zu springen, widerstandslos hindurch zu gleiten und am anderen Ende gewissermaßen resettet und erfrischt wieder herauszuklettern.

Seit einigem Takt aber war dieses Wasser getrübt, etwas stimmte nicht, war in Unordnung geraten und View hasste Unordnung. Trotz intensiven Nachspürens konnte sie ihr Unbehagen nicht dingfest machen. Fakt war, dass sie morgens mit dem Gefühl aufwachte, irgendetwas erlebt zu haben, dessen sie aber nicht habhaft werden konnte. War am Vortag etwas liegen geblieben, das sie nicht erledigt hatte und ihr morgens in den Sinn kam? Nein. Sie ging ihren Alltag äußerst routiniert an, arbeitete ihre ToDo-Listen professionell ab und regelte immer alles sofort, um sich nicht mit Dingen zu belasten, die sie vor sich herschob. Es musste etwas in der Nacht gewesen sein. Aber was? View hatte die Dinge gern unter Kontrolle, transparent und überschaubar. Das Gefühl, das, was mit ihr vorging, nicht greifen zu können, verstörte und quälte sie.

Heute umhüllte sie beim Aufwachen eine Empfindung von Weichheit. Eine Weichheit, wie sie sie noch nie verspürt hatte. Sie kam von innen und außen zugleich. Während sich von ihrem Bauch ausgehend eine prickelnde Wärme in ihr ausbreitete, fühlte sich ihre Haut an, als würde langsam ein endloses flauschiges Tuch darüber hinweg gezogen. Sie spürte in sich hinein. Da waren Körper gewesen. Leiber, die sich an ihr gerieben, Gliedmaßen die sie in sanfte, geschmeidige Umarmungen gesogen hatten, die sie völlig einhüllten, ohne dass sie auch nur den geringsten Druck verspürt hätte. Dann flossen ihr eigener Körper und die der anderen in einer wabernden Bewegung zusammen und sie hatte sich aufgelöst.

View schüttelte sich. Das war ja beängstigend. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich ihrer selbst zu vergewissern, um sich ganz schnell wieder zusammenzusetzen. Doch gleichzeitig genoss sie die diffuse Erinnerung und das damit einhergehende Gefühl von wohliger Weichheit und Wärme, das sie den ganzen Tag über begleitete. Das wäre eine per­fekte Perfor­mance im LoveGym gewesen, doch war sie sich ziemlich sicher, dergleichen dort nie erleben zu können.

Mit Angst und Spannung erwartete sie den nächsten Morgen. Sie sprang nicht wie gewohnt beim ersten Weckton ihres Morpheustrons von ihrem RestBoard, sondern lauschte mit allen Sinnen in sich hinein. War da etwas? Ja, da war etwas. Schemenhaft erwuchsen ihr Bilder von riesigen Blüten. Üppige rote, blaue und violette Blüten, die an Stängeln hoch wie Bäume wuchsen. Einige loderten wie Flammen.

Ganz allmählich bekam sie mehr zu fassen. Sie war gemächlich unter den Blüten hindurchgeschlendert und ihr üppiger Duft hatte sich wie ein schwerer Mantel um sie gelegt. In dem dunkel glimmenden, ein wenig unheimlichen Licht meinte sie, aus dem Boden eine purpurrote Flüssigkeit in den Stängeln aufsteigen zu sehen, die sich in dem Adergeflecht der Blüten verteilte. Ganz oben löste sich ein Blütenblatt und schwebte, groß wie ein Sessel, langsam zu ihr herunter. Sie hatte sich in die duftende Mulde geschmiegt. Hier verschwammen ihre Eindrücke zusehends, doch wegen des taumeligen Gefühls, das in ihr nachklang, schien sie auf dem Blatt davongeschwebt zu sein. Dann riss die Erinnerung ganz ab.

Was war das? Was hatte sich da in ihr abgespielt? Die Pflanzen, die in den Hallen der Habitate standen oder die MainWalks säumten und selbst die, die in den NatureEventAreas ausgestellt waren, trugen keine solch riesigen Blüten. Und schweben konnte sie in der AntiGrav, aber nicht auf einem Blütenblatt. Woher bitte also kamen diese Bilder, die sie da im Kopf hatte?

Auch am nächsten Morgen bekam sie wieder etwas zu fassen. Doch diesmal waren es keine Bilder, sondern das Gefühl eines unbestimmten Drängens, das sie noch länger belastete.

Jeden Morgen lauschte sie nun ängstlich und voll banger Erwartung bebend in sich hinein, um den nun nicht mehr glasklaren Wassern ihres Schlafes, die erschreckend und unberechenbar geworden waren, zu entreißen, was daraus emporgestiegen sein mochte. Mal hatte sie klar definierte Bilder und Abläufe vor Augen, mal nur gestaltlose Schemen und verschwommene Eindrücke, mal spürte sie einem Gefühl von Freude oder Traurigkeit, Leichtigkeit oder Schwere nach, mal war da etwas Flirrendes, Beglückendes, das sie noch lange im Magen wahrnahm und ab und an war da auch einfach gar nichts. War ihre Erinnerung besonders eindrücklich, fühlte sie etwas Lastendes, Ziehendes, das sie fesselte und band und sie ihren Tag nicht beginnen lassen wollte.

Diese Erlebnisse waren mit nichts zu vergleichen, das sie kannte. Selbst wenn sie auf einer PromoShow im HoloCine in einem pneumatischen VirtualRealitySuit steckte und Helm und Equipment auf volle Immersion geschaltet waren, damit sie ein in Entwicklung befindliches Pro­dukt schon vor dem Release möglichst hautnah in Augenschein nehmen oder einen innovativen Service in allen Details erfahren konnte, war sie sich immer bewusst, in einer Simulation zu sein.

Das, was sie sich jetzt morgens immer öfter vergegenwärtigte – sie nannte es inzwischen ihre „nächtlichen Impressionen“ – war dagegen so wirklich und plastisch und die damit einhergehenden Gefühle so echt und eindrücklich, dass es realem Erleben in nichts nachstand. Völlig unerwartet hatte sich etwas in ihr aufgetan, das sie mit den gewohnten Kategorien weder beschreiben noch bewerten konnte. Es war, als erinnerte sie sich morgens an ein nächtliches Parallelleben, das sie völlig überwältigte und manchmal den gesamten Tag überstrahlte.

Oft vermeinte sie, außerhalb der Urb gewesen zu sein. Sie sah von seltsamen Tieren bevölkerte und riesigen Pflanzen bewachsene Landschaften, hörte das Rauschen endlosen Wassers, spürte die Hitze von Feuer und die Kühle des Win­des auf ihrer Haut, zerbröselte die feuchte Schwere von Erde zwischen ihren Händen, schmeckte das Aroma unbekannter Früchte, roch betörende und ekelhafte Düfte. Sie durch­streifte verfallene Städte und sah eigenartig aussehende Menschen, die mit ihr unbekannten Gerätschaften hantierten. Vieles war ihr fremd, manches kannte sie aus den BadPastLessons und wieder anderes konnte sie sich aus dem erschließen, was die Citizens über die Welt außerhalb der Urb wussten.

Dann wieder war sie in der Urb. Szenen des vergangenen Tages sponnen sich weiter, veränderten sich oder nahmen Wendungen, die völlig wirr waren. Sie traf Mates und Peers, mit denen sie zu tun hatte, aber auch solche, zu denen sie schon lange keinen Kontakt mehr unterhielt. Manchmal war sie mit namenlosen, schemenhaften Citizens zusammen. Sie hatte sexuelle Begegnungen, die von einer Intensität und Innigkeit waren, die tagsüber noch lange in ihr nachschwangen.

Und immer wieder tauchte diese Lalic vor ihrem geistigen Auge auf, deren schüchternes und unbeholfenes Gebaren irgendetwas Anziehendes hatte und die sie auch dann erkannte, wenn sie den Kopf eines unbekannten Tieres mit riesigen blinden Augen trug. Irgendwie fand sie sich auch in ihrer Vergangenheit und Kindheit wieder und hatte Dingen gegenüber, die sie schon lange als selbstverständlich und gewöhnlich ansah, das Gefühl, sie seien etwas völlig Erstaunliches. So durchlebte sie eine Session im KatharsisEgg mit der ganzen Wucht des Neuen.

Vieles beglückte sie und wirkte noch lange in ihr nach, vieles machte ihr Angst. Besonders eine Impression verstörte sie nachhaltig. Sie strampelte verzweifelt in eiskaltem, stinkendem und von unbekannten Organismen wimmelnden Wasser und über ihr erstreckte sich eine endlose Röhre, die so schmal war, dass sie die Arme nicht ganz ausstrecken konn­te. Sie hatte das Gefühl, von der würgenden Enge erdrückt zu werden und vergeblich versuchte sie immer wieder, sich mit plumpen und unbeholfenen Bewegungen an etwas Stacheligem hochzuziehen, das bis zu ihr herunterhing und ihr die Hände zerschnitt. Schweißgebadet und zitternd wachte sie auf. Was ging nur mit ihr vor? Wurde sie verrückt?

Was sie aber für alle Schrecken entschädigte, die sie durchlitt, war das Fliegen. Sie war in der Lage zu fliegen. Wenn sie von einem höher gelegenen Ort Anlauf nahm und sprang, gerann die Luft zu einer sirupartigen Masse, die sie mit einer Art Schwimmbewegung um sich herum verteilte, bis sie nicht mehr durchsackte, verharrte und sich über ihren Absprungsort emporarbeitete, um, sobald die Luft wieder ihre normale Konsistenz angenommen hatte, mit leicht durchgebogenem Körper und wie Flügel nach hinten abgespreizten Armen Geschwindigkeit aufzunehmen. Legte sie den Kopf in den Nacken, stieg sie, drückte sie das Kinn an die Brust, begann sie zu sinken. Immer schneller strömte die Luft an ihr vorbei, sie bog den Rumpf nach links und rechts und schwang sich in die Kurven. Wenn ihr Magen dabei wie in lustvollen Wellen wogte, jauchzte sie und schrie ihre Begeisterung in den Wind, der ihren Kopf umtoste.

Anfänglich glückte ihr das Fliegen nicht immer und endete auch schon einmal mit einem schmerzhaften Aufprall auf dem Boden. Doch dann gelang es ihr immer besser und schließlich war sie sich sicher, diese Flugtechnik perfekt zu beherrschen und jederzeit ausüben zu können, was immer in einer fast schmerz­haften Enttäuschung mündete, wenn sie sich morgens bewusst wurde, dass sie natür­lich nicht fliegen konnte, sondern sich nur eine lebhafte Erinnerung ihrer nächtlichen Impression vergegenwärtigte.

Views bislang geordnetes und absehbares Leben war völlig aus den Fugen geraten, etwas Faszinierendes, Unberechenbares über sie hereingebrochen und sie wagte sich kaum einzugestehen, dass sie das, was sie im Grunde als äußerst verstörend empfand, gleichzeitig auch unwiderstehlich anzog. Es war, als warte in ihrem Inneren jenseits aller MarketingEvents und gaußer Produkte, jenseits aller Berechenbarkeit und Absehbarkeit, die ihr bisher das unabdingbare Gefühl absoluter Sicherheit vermittelt hatten, ohne dass sie geglaubt hatte, nicht leben zu können, eine gänzlich unbekannte, grässlich-grandiose Welt darauf, von ihr entdeckt zu werden. Unentwegt beschäftigte sie das, was aus ihrem Schlaf erwuchs und in das sie sich jetzt jeden Morgen mit äußerster Konzentration hineinfühlte. Tagsüber war sie gedankenverloren und es unterliefen ihr Fehler.

Wie gerne hätte sie mit jemandem über ihre nächtlichen Impressionen gesprochen, aber es war völlig ausgeschlossen, etwas zu thematisieren, was so derart jenseits aller denkbaren Kategorien lag. Ein MatchingLoop ihrer Peers wäre ihr gewiss und vielleicht noch das geringere Übel. Und Scouts, die einem Loop unterzogen wurden, machten sich unglaubwürdig.

Auch musste sie an die Botschaft denken, die immer wieder auf den InfluenceBoards zwischen den üblichen Commercials aufblitzte: „Dein Schlaf gehört dir.“ Hatten ihre nächtlichen Eindrücke etwa damit zu tun? Die Agency hatte ihren Scouts eingeschärft, auf alles zu achten, was vielleicht mit dieser seltsamen Message zusammenhängen konnte. Nun war sie vielleicht selbst darin verwickelt und solange nicht geklärt war, wer und was dahintersteckte, war es ihr unmöglich, sich jemandem preiszugeben, ohne Gefahr zu laufen, aus dem Mittel zu fallen.

Vorerst konnte sie also nichts weiter tun als abzuwarten und sie beschloss, sich nicht länger zu fragen, wie und warum das alles sein konnte, sondern die Dinge einfach zuzulassen und – wie ihr allmählich fassungslos klar wurde – sich trotz aller Fremdheit und Bedrohlichkeit ihrer Faszination hinzugeben.

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