Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 24

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3. Einwilligungsunfähige

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Besonderen Anforderungen unterliegt die Forschung mit Einwilligungsunfähigen, insbesondere mit psychisch Kranken und geistig Behinderten. Es herrscht ein internationaler Grundkonsens darüber, dass medizinische Forschung in diesem Bereich nur in Betracht kommt, wenn die mit ihr verbundenen Risiken und Belastungen minimal bleiben, der Subsidiaritätsgrundsatz strikte Beachtung findet, das Vorhaben durch eine unabhängige Instanz überprüft und gebilligt und das Selbstbestimmungsrecht des Einwilligungsunfähigen durch die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und die Beachtung seines natürlichen Willens gewahrt wird (vgl. Art. 28 ff. DvH).[247]

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Diesen Konsens bildet auch § 41 Abs. 3 AMG ab, der die vorerwähnten Anforderungen (mit Ausnahme der bereits von §§ 40 Abs. 1 S. 2, 42 Abs. 1 AMG vorausgesetzten Zustimmung der Ethikkommission) in Nr. 1 bis 3 weiter präzisiert und darüber hinaus bestimmt, dass für die Studienteilnahme keine Vorteile gewährt werden dürfen, die über eine angemessene Entschädigung hinausgehen.[248] § 41 Abs. 3 AMG untersagt zunächst die Durchführung klinischer Prüfungen mit gesunden Einwilligungsunfähigen, indem verlangt wird, dass der Einwilligungsunfähige an der Krankheit leiden muss, zu deren Behandlung das zu prüfende Arzneimittel angewendet werden soll.[249] § 41 Abs. 3 Nr. 1 AMG unterwirft die klinische Prüfung mit Einwilligungsunfähigen einer strengen Risiko-Nutzen-Abwägung[250] und verlangt, dass der Einwilligungsunfähige einen unmittelbaren Nutzen aus der medizinischen Forschung ziehen muss; eine Rechtfertigung über einen möglichen Gruppennutzen kommt damit – anders als dies etwa § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AMG für einschlägig erkrankte Einwilligungsfähige und verschiedene völker- und europarechtliche Rechtsquellen[251] auch für Einwilligungsunfähige vorsehen – nach dem (noch) geltenden Recht nicht in Betracht.[252] Die Einwilligung wird durch den gesetzlichen Vertreter oder Bevollmächtigten nach entsprechender Aufklärung abgegeben (§ 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AMG); daneben ist auch der Einwilligungsunfähige aufzuklären, und sein entgegenstehender natürlicher Wille ist zu beachten (§ 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG; vgl. auch Ziff. 29 DvH).[253] Nach dem in § 41 Abs. 3 Nr. 3 AMG verankerten Subsidiaritätsgrundsatz muss die Forschung für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an Einwilligungsfähigen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein. Mit Blick auf Arzneimittelversuche in der Psychiatrie ist überdies an die Regelung des § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 AMG zu erinnern, welche die Durchführung klinischer Prüfungen mit Personen, die auf gerichtliche oder behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt sind, generell für unzulässig erklärt.[254]

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Zukünftig richtet sich die Durchführung klinischer Prüfungen mit einwilligungsunfähigen Personen nach Art. 31 der VO (EU) Nr. 536/2014 und § 40b Abs. 4 AMG n.F. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die VO (EU) 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln auch die gruppennützige Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Personen[255] unter bestimmten, sehr restriktiven Voraussetzungen für zulässig erklärt. Neben der Beachtung der auch für eigennützige Forschung mit einwilligungsunfähigen Personen geltenden Anforderungen[256] verlangt Art. 31 Abs. 1 VO (EU) 536/2014 in lit. g ii für die gruppennützige Forschung kumulativ, dass die klinische Prüfung im direkten Zusammenhang mit dem lebensbedrohlichen oder zu Invalidität führenden klinischen Zustand steht, unter dem der einwilligungsunfähige Prüfungsteilnehmer leidet, und dass die Prüfung diesen im Vergleich zur Standardbehandlung nur einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung[257] aussetzen darf. § 40b Abs. 4 S. 2 AMG n.F. stellt darüber hinaus klar, dass der Wunsch einer nicht einwilligungsfähigen Person, nicht an einer klinischen Prüfung teilzunehmen, unabhängig davon zu respektieren ist, ob er verbal oder nonverbal zum Ausdruck gebracht wurde.[258] Der deutsche Gesetzgeber hat überdies von der in Art. 31 Abs. 2 VO (EU) 536/2014 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, strengere Regelungen für gruppennützige klinische Prüfungen mit einwilligungsunfähigen Personen zu erlassen, und deren Durchführung in § 40b Abs. 4 S. 3 AMG n.F. davon abhängig gemacht, dass die betroffene Person im Zustand der Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit eine Vorausverfügung für den Fall des Eintritts der Einwilligungsunfähigkeit getroffen hat.[259] In diesem Fall hat der Betreuer zu prüfen, ob die in der Vorausverfügung enthaltenen Festlegungen auf die aktuelle Situation zutreffen (§ 40b Abs. 4 S. 4 AMG n.F.); Anforderungen an die Aufklärung der betroffenen Person werden in § 40b Abs. 4 S. 7 und 8 AMG n.F. normiert.[260] § 40b Abs. 4 S. 9 AMG n.F. stellt klar, dass bei Minderjährigen, für die nach Erreichen der Volljährigkeit die Regelungen für nicht einwilligungsfähige Erwachsene gelten würden, gruppennützige klinische Prüfungen nicht durchgeführt werden dürfen.[261] Gleiches gilt für Personen, die (z.B. aufgrund einer von Geburt oder Kindheit an bestehenden geistigen Behinderung) bereits vor Erreichen der Volljährigkeit einwilligungsunfähig sind und die Einwilligungsfähigkeit auch später nicht erlangen, da sie zur Aufstellung einer in diesem Zusammenhang beachtlichen Patientenverfügung nicht in der Lage sind.[262]

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Ein Verstoß gegen die in § 41 Abs. 3 AMG konkretisierten Voraussetzungen der klinischen Prüfung mit Einwilligungsunfähigen kann neben einer Strafbarkeit nach den §§ 223, 229 StGB auch eine solche gemäß § 96 Nr. 10 AMG nach sich ziehen; bei fahrlässigem Verstoß droht gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1 AMG eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit.[263] Zukünftig findet insofern § 96 Nr. 11 AMG n.F. Anwendung; dieser kriminalisiert Verstöße gegen Art. 31 Abs. 1 der VO (EU) 536/2014 (der zu diesem Zweck in § 40b Abs. 4 S. 1 Nr. 1 AMG n.F. in Bezug genommen wird[264]) sowie gegen § 40b Abs. 4 S. 2, 3 und 9 AMG n.F. Fahrlässige Verstöße gelten auch weiterhin gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1 AMG als Ordnungswidrigkeit.

a) Eigennützige Forschung im Rahmen einer Notfallsituation

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In Rahmen von Notfallsituationen, die durch „Elemente der Überraschung, der Plötzlichkeit, des Unvorbereitetseins und der Unvorhersehbarkeit“[265] geprägt sind, kann eine umfassende Aufklärung des Probanden, wie sie das Gesetz in § 40 Abs. 2, 2a AMG für klinische Prüfungen mit Arzneimitteln (und in § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 MPG a.F. sowie nunmehr in Art. 62 Abs. 4 lit. f, 63 der Medizinprodukte-VO [EU] 2017/745 für solche mit Medizinprodukten) vorsieht, aufgrund des bestehenden Zeitdruckes schwierig oder sogar ausgeschlossen sein.[266] Überdies können Notfallpatienten durch Bewusstseinseintrübungen oder starke Schmerzen an der Abgabe einer (wirksamen) Einwilligung in die Behandlungsmaßnahme gehindert sein.[267] Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob für die Erprobung eines neuen Arzneimittels im Rahmen einer Notfallsituation auf die Einwilligung einer anderen Person zurückgegriffen oder die versuchsweise Behandlung gar ohne aktuelle Einwilligung des Betroffenen durchgeführt werden kann.[268]

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Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass Notfallmaßnahmen häufig nicht den Charakter einer klinischen Prüfung i.S.d. § 4 Abs. 23 S. 1 AMG aufweisen, sondern (ausschließlich) als individueller Heilversuch einzuordnen sein werden, dessen Bewertung sich nach den allgemeinen Vorschriften des BGB und des StGB richtet (Rn. 31 ff.).[269] Im Anwendungsbereich des AMG besteht bislang mit § 41 Abs. 1 S. 2 AMG eine Sonderregelung, die bestimmt, dass eine Behandlung, die ohne Aufschub erforderlich ist, um das Leben der betroffenen Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern, umgehend erfolgen darf, wenn die Einwilligung wegen einer Notfallsituation nicht eingeholt werden kann. In diesem Fall ist die Einwilligung zur weiteren Teilnahme gemäß § 41 Abs. 1 S. 3 AMG einzuholen, sobald dies möglich und zumutbar ist (zu der in Art. 35 der VO (EU) 536/2014 vorgesehenen Neuregelung vgl. Rn. 75). Aufgrund ihrer systematischen Stellung im Absatz 1 des § 41 AMG, der einschlägig erkrankte Einwilligungsfähige betrifft, erfasst die Regelung unzweifelhaft den Fall, dass die Zustimmung des (einwilligungsfähigen) Probanden zwar eingeholt werden kann, angesichts der Eilbedürftigkeit der Behandlung jedoch keine den Anforderungen des § 40 Abs. 2 AMG genügende Aufklärung möglich erscheint.[270] Nach zutreffender Ansicht ist sie darüber hinaus jedoch auch auf einwilligungsunfähige (etwa bewusstlose) Notfallpatienten anwendbar, bei denen aufgrund des Zeitdruckes die von § 41 Abs. 3 Nr. 2 AMG verlangte Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten nicht rechtzeitig eingeholt werden kann (für die klinische Prüfung mit Medizinprodukten vgl. insofern § 21 Abs. 4 S. 2 MPG a.F.).[271] Die übrigen in § 41 Abs. 3 AMG normierten Kautelen bleiben hiervon selbstverständlich unberührt, und soweit § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG für Einwilligungsunfähige die grundsätzliche Beachtlichkeit eines entgegenstehenden natürlichen Willens postuliert, wird man dies in ergänzender Auslegung auch auf Fälle im originären Anwendungsbereich des § 41 Abs. 1 S. 2 AMG zu übertragen haben.[272] Gleiches gilt im Grundsatz auch für eine Patientenverfügung i.S.d. § 1901a Abs. 1 BGB, welche die Teilnahme an Arzneimittelstudien ausschließt.[273] Abgesehen von der Frage, ob die Vorausverfügung die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen hinreichend konkret umschreibt, wird hier in Notfallsituationen allerdings häufig das Problem bestehen, dass die für eine Prüfung der Validität einer vorgefundenen oder von Dritten beigebrachten Patientenverfügung benötigte Zeit nicht zur Verfügung steht.[274]

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Der Verzicht des § 41 Abs. 1 S. 2 AMG auf eine aktuelle Einwilligung des Probanden ist auch bei der Beurteilung möglicher strafrechtlicher Konsequenzen der Behandlung gemäß §§ 223 ff. StGB, § 96 Nr. 10 AMG zu beachten. Außerhalb der spezialgesetzlich im AMG geregelten klinischen Prüfungen ist beim einwilligungsunfähigen Notfallpatienten auf die allgemeinen Grundsätze der mutmaßlichen Einwilligung zurückzugreifen.[275] Dabei ist davon auszugehen, dass der mutmaßliche Wille des Betroffenen regelmäßig auf die Anwendung der etablierten Standardtherapie gerichtet sein wird. Der Einsatz einer neuen, vom Standard abweichenden Methode bedarf deshalb der besonderen Legitimation, die nur durch eine deutlich überlegene Risiko-Nutzen-Relation erbracht werden kann.[276] Ausgeschlossen ist vor diesem Hintergrund die Gabe von Placebos[277] sowie eine Randomisierung, die kaum vom mutmaßlichen Willen des Betroffenen gedeckt sein dürfte.[278] Zu beachten ist, dass Ehegatten sowie andere Angehörige des Betroffenen nicht zu dessen Stellvertretung befugt sind. Sie können lediglich Anhaltspunkte zur Ermittlung seines mutmaßlichen Willens liefern. Auch ein Betreuer kann sich dem Willen des Betreuten gemäß § 1901 BGB nicht entgegenstellen.[279]

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Zukünftig werden die Voraussetzungen für klinische Prüfungen in Notfällen Art. 35 der VO (EU) Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln zu entnehmen sein, auf den auch § 40b Abs. 5 AMG n.F. Bezug nimmt (dessen Verletzung wiederum § 96 Nr. 11 AMG n.F. mit Strafe bedroht). Dort wird auf die Dringlichkeit der klinischen Prüfung abgestellt, die im Vergleich zur Standardbehandlung der Krankheit nur ein minimales Risiko und eine minimale Belastung für den Prüfungsteilnehmer aufweisen darf und einen direkten klinisch relevanten Nutzen für diesen versprechen muss (Erreichung einer gesundheitsbezogenen Verbesserung und/oder Linderung des Leidens des Prüfungsteilnehmers, Ermöglichung der Diagnose seiner Krankheit). Die Dringlichkeit ist auch der Grund, der es nicht ermöglicht, im Vorfeld dem gesetzlichen Vertreter alle Informationen bereitzustellen und eine vorherige Einwilligung nach Aufklärung von diesem einzuholen. Ungeachtet dessen muss der Prüfer bescheinigen, dass der Prüfungsteilnehmer nach seiner Kenntnis zuvor keine Einwände gegen die Teilnahme an der klinischen Prüfung geäußert hat.[280] Eine ähnliche Regelung für klinische Prüfungen von Medizinprodukten findet sich seit der Ablösung des MPG zum 26. Mai 2021[281] in Art. 68 der Medizinprodukte-VO (EU) 2017/745, auf den § 28 Abs. 5 MPDG Bezug nimmt.

b) Forschung mit Demenzkranken

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Ähnliches gilt für die Forschung mit demenzkranken Personen. Während die Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen positiv festgestellt werden muss, ist diese bei Volljährigen grundsätzlich zu unterstellen und erst beim Hinzutreten konkreter Anhaltspunkte – die beispielsweise die Folgen von hohem Alter und Krankheit sein können – zu hinterfragen.[282] Wird bei Demenzkranken die Einwilligungsunfähigkeit festgestellt (was in der Praxis nicht unerhebliche Probleme bereiten kann[283]), so erfolgt die Einwilligung in einen eigennützigen Forschungseingriff durch den gesetzlichen Vertreter oder Bevollmächtigten (vgl. für klinische Studien § 41 Abs. 3 Nr. 2 AMG bzw. § 40b Abs. 4 S. 1 Nr. 1 AMG n.F. i.V.m. Art. 31 Abs. 1 lit. a der VO [EU] Nr. 536/2014).[284] Bzgl. gruppennütziger Forschung besteht zukünftig die Möglichkeit der gezielten Vorausverfügung (§ 40b Abs. 4 S. 3 AMG n.F.; dazu bereits Rn. 70). Zu bedenken ist allerdings, dass die Vorausverfügung das in Rede stehende Forschungsvorhaben hinreichend präzise antizipieren muss. Ansonsten können ihr immerhin Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Betroffenen entnommen werden.[285]

II. Arzneimittelforschung mit Minderjährigen

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Die Bedürfnisse von Erwachsenen und Kindern unterscheiden sich auch in medizinischer Hinsicht zum Teil erheblich. Es besteht daher ein Bedarf an differenzierten Forschungsprojekten, welche die Entwicklung altersgerechter Behandlungsmethoden und medizinischer Produkte gewährleisten und so den Anspruch auf eine wissenschaftlich qualifizierte medizinische Versorgung einlösen, der auch Minderjährigen zusteht.[286] Die Entwicklung spezieller Präparate für Minderjährige stößt allerdings insofern auf Schwierigkeiten, als deren physiologische Entwicklungsschritte nicht linear verlaufen. Jede Altersstufe stellt aufgrund der individuellen Pathomechanismen besondere Anforderungen an die Entwicklung innovativer Therapieformen.[287]

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Medizinische Eingriffe, welche die Voraussetzungen der körperlichen Misshandlung oder der Gesundheitsschädigung i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB erfüllen, bedürfen zu ihrer Rechtfertigung der Einwilligung des Betroffenen.[288] Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung ist u.a. die Einwilligungsfähigkeit (vgl. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB), die gerade bei Minderjährigen fraglich ist. Da der Gesetzgeber auch mit dem 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz[289] keine klare gesetzliche Regelung geschaffen hat, ist hier weiterhin einiges unklar und umstritten.[290] Im Grundsatz anerkannt ist allerdings, dass es für die Einwilligungsfähigkeit nicht auf die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit ankommt, da die Einwilligung keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung i.S.d. §§ 104 ff. BGB darstellt; stattdessen ist auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit abzustellen.[291] Der Betroffene muss die Wirkungen und Risiken der geplanten Behandlung erfassen und deren wesentliche Vor- und Nachteile verständig gegeneinander abwägen können; für die Beurteilung dieser Frage ist neben seinen individuellen Fähigkeiten auch die Komplexität der zu treffenden Entscheidung maßgeblich.[292] Das Vorhandensein der in Rede stehenden Einsichtsfähigkeit wird man bei Minderjährigen kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres regelmäßig annehmen können, bei Kindern unter 14 Jahren hingegen grundsätzlich zu verneinen haben.[293] Für die Lebensphase zwischen diesen beiden Schwellenwerten ist eine Einzelfallbeurteilung anhand des individuellen Entwicklungsstandes und der Art der Behandlung vorzunehmen.[294]

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Während über die Grundsätze zur Bestimmung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit weitgehend Einigkeit besteht,[295] ist umstritten, welche Konsequenzen ihr Vorhandensein beim Minderjährigen hat: Eine verbreitete Auffassung im zivilen Arzthaftungsrecht leitet aus dem verfassungsrechtlich in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verbürgten und einfachrechtlich in den §§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB normierten elterlichen Sorgerecht eine Alleinzuständigkeit der Eltern für die Zustimmung in medizinische Eingriffe beim Minderjährigen ab und billigt auch dem einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen lediglich ein Vetorecht gegen die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter zu, wenn es sich um einen relativ indizierten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für die künftige Lebensgestaltung handelt.[296] Demgegenüber steht die h.M. im Strafrecht auf dem Standpunkt, dass der einsichts- und urteilsfähige Minderjährige grundsätzlich allein in die Durchführung eines medizinischen Eingriffes einwilligen kann, und dass es einer zusätzlichen Zustimmung seiner Eltern nicht bedarf.[297] Diese Ansicht verdient insofern Zustimmung, als sie in einem Bereich, der den höchstpersönlichen Angelegenheiten zuzurechnen ist, dem Charakter der elterlichen Sorge als eines „auf Auflösung angelegt(en)“ Rechtes[298] und der (auch von § 1626 Abs. 2 BGB vorausgesetzten) „wachsende(n) Eigenständigkeit und autonome(n) Handlungsfähigkeit“[299] des heranwachsenden Minderjährigen Rechnung trägt und die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und (minderjährigem) Patient stärkt. Bei Zweifeln an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen wird der Arzt allerdings gehalten sein, die Zustimmung der Eltern einzuholen.[300] Mit der hier zugrunde gelegten Prämisse eines schrittweisen Transfers der Bestimmungskompetenz über körperliche Eingriffe von den Eltern auf den Minderjährigen lässt sich der Vorschlag Coester-Waltjens, bei besonders gravierenden Eingriffen einen Co-Konsens des Sorgerechtsinhabers zu verlangen, durchaus vereinbaren.[301]

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Wird die Einwilligungsfähigkeit verneint, so obliegt die Einwilligung in den medizinischen Eingriff unstreitig den Eltern als den gesetzlichen Vertretern des Minderjährigen (§§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB).[302] Auch hier kommt allerdings eine der „Einwilligungsmündigkeit“ vorausgehende „Vetomündigkeit“ in Betracht, auf deren Grundlage der Minderjährige Eingriffe mit für ihn gravierenden Folgen zurückweisen kann.[303] Bei ihrer Entscheidung über die Erteilung der Einwilligung haben sich die gesetzlichen Vertreter von der Sorge für das Wohl des Kindes leiten zu lassen. Ebenso wie die Verweigerung der Zustimmung zu einer dringend gebotenen ärztlichen Heilbehandlung einen Missbrauch des elterlichen Sorgerechts darstellen kann,[304] kann ein solcher Missbrauch auch in der Zustimmung zu einem besonders riskanten Forschungseingriff liegen. Ein Eingreifen des Familiengerichts gemäß § 1666 BGB kommt indes nur dann in Betracht, wenn nach der Risiko-Nutzen-Abwägung mit gravierenden Gefährdungen für das Kind zu rechnen ist, ohne dass dieses von der Forschungsmaßnahme profitiert.[305]

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Bei klinischen Prüfungen richtet sich die Zulässigkeit der Forschung an gesunden Minderjährigen bislang nach § 40 Abs. 4 AMG, der die in § 40 Abs. 1 bis 3 AMG normierten Voraussetzungen modifiziert. Danach muss das Arzneimittel zum Erkennen oder zum Verhüten von Krankheiten bei Minderjährigen bestimmt und seine Anwendung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen. Angezeigt ist das Arzneimittel, wenn seine Anwendung bei dem Minderjährigen medizinisch indiziert ist (§ 40 Abs. 4 Nr. 1 S. 2 AMG). Die klinische Prüfung bei gesunden Minderjährigen beschränkt sich mithin bislang auf die Erprobung von Prophylaktika und Diagnostika, mit denen eine mögliche Erkrankung des Betroffenen früher diagnostiziert oder der Betroffene (z.B. durch Impfung) vor einer Erkrankung geschützt wird.[306] Ferner dürfen die klinische Prüfung an Erwachsenen oder andere Forschungsmethoden nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen (§ 40 Abs. 4 Nr. 2 AMG); auch die Forschung an Minderjährigen unterliegt somit einem strikten Subsidiaritätsgebot.[307] § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG konkretisiert die Anforderungen an die Einwilligung in den Forschungseingriff: Die Einwilligung wird durch den gesetzlichen Vertreter abgegeben, nachdem dieser aufgeklärt worden ist. Sie muss dem mutmaßlichen Willen des Minderjährigen entsprechen, soweit ein solcher feststellbar ist. Der Minderjährige ist vor Beginn der klinischen Prüfung von einem im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfer oder einem entsprechend erfahrenen Mitglied der Prüfgruppe über die Prüfung, die Risiken und den Nutzen aufzuklären, soweit dies im Hinblick auf sein Alter und seine geistige Reife möglich ist;[308] erklärt der Minderjährige, nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen zu wollen, oder bringt er dies in sonstiger Weise zum Ausdruck, so ist dies zu beachten. Ist der Minderjährige in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, so ist auch seine Einwilligung erforderlich; daneben bedarf es aber weiterhin auch der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter.[309] Nach § 40 Abs. 4 Nr. 4 AMG darf die klinische Prüfung nur durchgeführt werden, wenn sie für die betroffene Person mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden ist; sowohl der Belastungsgrad als auch die Risikoschwelle müssen im Prüfplan eigens definiert und vom Prüfer ständig überprüft werden. Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung dürfen nicht gewährt werden (§ 40 Abs. 4 Nr. 5 AMG).[310]

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Ist der Minderjährige einschlägig erkrankt, so ist neben den allgemeinen Anforderungen des § 40 Abs. 4 AMG zusätzlich § 41 Abs. 2 AMG zu beachten. Dieser bietet zwei alternative Legitimationsansätze: Gemäß § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AMG muss die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um das Leben des betroffenen Minderjährigen zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern; die Studie muss mithin mit einem unmittelbaren Eigennutzen für den betroffenen Minderjährigen verbunden sein. Daneben lässt § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG unter bestimmten, sehr restriktiv formulierten Voraussetzungen auch eine gruppennützige Forschung an einschlägig erkrankten Minderjährigen zu: Danach muss die klinische Prüfung für die Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie der betroffene Minderjährige, mit einem direkten Nutzen verbunden sein (a), die Forschung muss für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an anderen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein (b), sie muss sich des Weiteren auf einen klinischen Zustand beziehen, unter dem der betroffene Minderjährige leidet (c), und sie darf für den betroffenen Minderjährigen nur mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden sein (d).[311] § 41 Abs. 2 S. 2 AMG schließt die Anwendung dieses zweiten, auf den Gruppennutzen abstellenden Legitimationsansatzes bei Minderjährigen aus, die nach Erreichen der Volljährigkeit einwilligungsunfähig sein werden, und stellt damit den Gleichlauf zu § 41 Abs. 3 AMG her.[312]

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Da die Entwicklung von Medikamenten für Kinderkrankheiten wirtschaftlich wenig lukrativ ist[313] und wegen des strikten Subsidiaritätsgebotes oftmals keine klinischen Studien an Kindern stattfinden, sind die verfügbaren Arzneimittel häufig nicht für Kinder zugelassen, weshalb es regelmäßig zum sog. Off-Label-Use kommt.[314] Die VO (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel zielte auf eine Förderung der Entwicklung und der Zulassung von Arzneimitteln für die pädiatrische Verwendung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines hohen Schutzniveaus ab und schuf zu diesem Zweck ein System von Verpflichtungen und Anreizen.[315] Die Auswirkungen der Verordnung auf die Praxis der Arzneimittelprüfung waren bislang allerdings eher gering.[316]

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Zukünftig richtet sich die Durchführung klinischer Prüfungen mit Minderjährigen nach Art. 32 der VO (EU) Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln, der sich inhaltlich stark an den Vorgaben für klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmern in Art. 31 der Verordnung orientiert;[317] ergänzende Vorschriften finden sich in § 40b Abs. 3 AMG n.F. Unterschiede bestehen insbesondere hinsichtlich des Ausmaßes, in dem der Minderjährige in den Entscheidungsprozess einzubeziehen ist: In Abweichung von Art. 32 Abs. 1 lit. c der Verordnung, der lediglich vorschreibt, dass das ausdrückliche Veto eines Minderjährigen, der in der Lage ist, sich eine Meinung zu bilden und die in Art. 29 Abs. 2 der Verordnung genannten Informationen zu beurteilen, vom Prüfer zu „respektieren“ ist,[318] schreibt § 40b Abs. 3 S. 1 AMG n.F. vor, dass eine klinische Prüfung bei entsprechend reflexionsfähigen Minderjährigen nur durchgeführt werden darf, wenn zusätzlich zur schriftlichen Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auch die schriftliche Einwilligung des Minderjährigen vorliegt.[319] Erklärt ein Minderjähriger, der noch nicht in der Lage ist, das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, dass er nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen will, oder bringt er dies in sonstiger Weise zum Ausdruck, so gilt dies nach § 40b Abs. 3 S. 2 AMG n.F. als ausdrücklicher Wunsch i.S.d. Art. 31 Abs. 1 lit. c VO (EU) Nr. 536/2014.[320] Gemäß Art. 32 Abs. 1 lit. g ii der VO (EU) Nr. 536/2014 bleibt auch die Möglichkeit einer gruppennützigen Forschung an Minderjährigen bestehen; bei Minderjährigen, die nach Erreichen der Volljährigkeit einwilligungsunfähig sein werden, ist eine gruppennützige klinische Prüfung nach § 40b Abs. 4 S. 9 AMG n.F. allerdings auch weiterhin ausgeschlossen (vgl. dazu bereits Rn. 70).

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