Kitabı oku: «Collapse», sayfa 3
»Okay, und was ist es?«
»Sie haben Ihre Arbeit zum Master bestanden.«
Leighland versuchte, gelangweilt zu wirken, während der designierte Master of Physics die Luft anhielt und nach einigen Sekunden der Überraschung über beide Backen zu strahlen begann.
»Und das sagen Sie mir erst jetzt?«
»Tja, ich wollte Sie ja nicht mit angenehmen Nebensächlichkeiten langweilen. Auf Sie wartet ja jetzt Arbeit.«
»Arbeit?« Sparks blickte seinen Mentor fragend und mit großen Augen an.
»Ja, ich dachte, aufgrund der neuen Aufgabe bleibt Ihnen weniger Freizeit. Also weniger Zeit für Ihre Star-Wars-Allüren.« Leighland beobachtete den Studenten schmunzelnd aus dem Augenwinkel.
»Was, welche Aufgabe?« Sparks Verwunderung wurde immer größer.
»Okay, Shuin, also ich habe daran gedacht, Sie an ein Projekt in der Grundlagenforschung zu vermitteln. Eigentlich für uns das zurzeit wichtigste Projekt. Da Sie ja keine Familie haben und kein Rabattmarkensammler zu sein scheinen, ging ich davon aus, dass Sie Ja sagen.«
Sparks nickte mit offenem Mund.
»Sie zeigen sich ja sonst auch ganz flexibel. Um es also kurz zu machen: Es wartet Arbeit auf Sie.«
»Sagen Sie doch schon! Was für Arbeit?« Sparks wurde ungeduldig.
»Ein Projekt, das Sie später vielleicht in Vorbereitung zur Habilitation nutzen könnten.«
Sparks versagte nun fast die Stimme. »Was für ein Projekt…? Ich meine, um was geht’s denn da?«
Leighland, der wieder zwei Löffel Zucker in seinem Kaffee unterrührte, blieb gelassen.
»Ich kann Sie am Collider einsetzen.«
Shuin entgegnete: »Sie meinen das Team hier in Stanford, den Linear Accelerator?«
»Nein. Quatsch.«
»Okay, also Illinois?«
«Nein … auch nicht Fermilab.«
»Wow. Etwa Europa?«
»Nein, nein, nein!«Leighland winkte ab. »Haben Sie nie von dem Collider in Dallas gehört?«
Sparks Mundwinkel begannen sich hinabzusenken. »Sie meinen doch nicht etwa das stillgelegte Ding da in Waxahachie, dem vor Jahren schon die Mittel ausgegangen sind?« Sparks erinnerte sich an ein paar nichtssagende Schlagzeilen in der Presse, die nur Wenige zur Kenntnis genommen haben dürften und die im Strudel der täglichen Informationsflut der Gazetten schnell der Bedeutungslosigkeit anheim gefallen waren. So sehr wie sein Enthusiasmus aufgeflammt war, legte sich seine Euphorie nun wieder. »Aber, das ist doch eine Ruine. Soweit ich weiß, hat man’s nie fertig gestellt.«
»Das …« Leighland klappte die Mappe zu und fixierte die Augen seines Studenten. »Das … stimmt so nicht ganz.«
»Spannen Sie mich nicht so auf die Folter, Professor. Die haben doch den Bau längst abgebrochen!«
»Bleiben Sie locker, Sparks. Der Bau wurde nur für kurze Zeit gestoppt. War doch klar, nach zwei Milliarden Dollar Kosten.«
»Nur unterbrochen?«
»Die Wahrheit ist, man hat im Geheimen weitergebaut. Konkurrierende Forschergruppen, das ewige Lied. Sie wissen ja, dass in China auch ein Collider gebaut wurde. Die wollten wir nicht drauf aufmerksam machen, hatten schließlich schon viel investiert.«
»Verstehe. Und wie ging’s weiter?«
»2010 wurden die Bauarbeiten wieder aufgenommen und die Röhre unterirdisch vorangetrieben.«
Sparks kam das Wettrüsten der Collider in den Sinn. Jene Einrichtungen, die in der Grundlagenforschung mit immer gigantischerem Aufwand betrieben und sich auf unterirdischen Kreisbahnen einen Vorsprung im Wettlauf um das kleinste Teilchen erhofften.
»Bauen sie immer noch?«
»Nein. Die Ringanlage ist seit einem halben Jahr fertig. Wir sind mit Projekt Space Clash gestartet, und es gab bereits Erfolge.«
Augenblicklich war Sparks Euphorie zurückgekehrt: »Schwerkraftexperimente und Zeitphänomene, Vorhersagen über die Zeitdilatationen? Das wäre ja großartig! Aber das Standardmodell ist ja mit dem Higgs-Teilchen bestätigt, oder?«
»Ja, da war CERN schneller. Aber wir haben das Graviton entdeckt und isoliert.«
Sparks schluckte und blickte seinen Professor an, als wolle dieser ihm erklären, dass der Mond eine Sonne sei.
»Aber das würde ja bedeuten, dass …«
»Genau. Dass wir künstliche Schwerkraft erzeugen können.«
»Und wie haben Sie das gemacht?« Sparks Unglauben wuchs. »Mit beschleunigten Protonen?«
Leighlands Grinsen war das eines Anwalts, dessen Argumente beim Richter durchschlagenden Erfolg erreichten. »Unsinn! Vergessen Sie mal die Vorlesungen der letzten Monate. Wir können ja nicht alles gleich ausplaudern. Deswegen halten wir die Versuche in unserem neuen Collider erstmal geheim.«
»Also keine Protonen?«
»Nein, wir sind schon viel weiter. Aber wenn ich das in den Vorlesungen bringen würde, können wir’s gleich an unsere Konkurrenten in China schicken.«
»Und was nahmen Sie stattdessen?«
»Wir ließen Blei-Ionen kollidieren. Dabei entstand eine völlig neue Materie. Das Quark-Gluonen Plasma, damit erzeugten wir Schwerkraftwellen …«
Sparks unterbrach ihn: »Und bei der Kollision detektierten Sie das Spin-2 Teilchen und fanden das Graviton.«
»Sehr gut. Danke Shuin! Wir sind kurz vor neuen Erkenntnissen jenseits des Standardmodells.«
Sparks sah so etwas wie Besorgnis in Leighlands Gesicht.
»Und?«
»Aber wir kommen nicht mehr weiter, wir brauchen so etwas wie einen Urknall. Dann könnten wir Zeit, Raum und Dimension ergründen, verstehen, wie dies alles zusammenhängt. Wir brauchen eine klarere Vorstellung davon.«
»Einen Urknall?«
»Ja. Einen Big Bang! Zugegeben, etwas kleiner als früher. Genauer gesagt einen Mikro-Urknall.«
»Sie meinen, Sie simulieren einen Urknall im Reagenzglas?«
»Was heißt hier Reagenzglas? Wir haben einen Collider.«
»Aber das würde ja bedeuten, Sie müssten die Singularität nachstellen.« Sparks dachte an den unendlich verdichteten Punkt aller Energien vor dem Urknall. Jenen Energienullpunkt, aus dem alle Energie und Materie geboren wurde. »Ist das nicht gefährlich?«
»Nein. Wir gehen in unseren neuen Versuchen davon aus, dass der Big Bang ohne Singularität auskam. Lediglich eine maximale Verdichtung aller Materie und später eine maximale Ausdehnung. Und das in ständiger Wiederkehr in etwa fünfundsechzig Milliarden Jahren.«
»Eine Theorie, was ist mit den Risiken?«, wandte Sparks ein.
»Die eigentliche Reaktion findet bei uns unterhalb des Pikobereichs auf der Planck-Längenskala statt. Es spielt sich somit nicht innerhalb unseres Wahrnehmungsbereichs ab. Also keine Sorge.«
»Und wann wollen Sie das starten?«
»Die Vorbereitungen laufen. Wir sind unter Zeitdruck, die Konkurrenten sind uns auf der Spur.«
»Deshalb also auch die Heimlichkeiten und Bautätigkeiten im Verborgenen?«
»Klar. Wir mussten alles tun, um uns vor anderen Gruppen zu schützen«, lächelte Leighland.
»Gut, aber wer betreibt denn jetzt die Anlage?«
Leighland zögerte einen Augenblick und unterdrückte ein Schmunzeln.
»Na, ich.«
»Was, Sie?«
»Ja, meine Fakultät in Berkeley. Und ich dachte, dass Sie vielleicht in den sauren Apfel beißen und sich selbst nach Waxahachie begeben, Shuin.«
»Ich, oh wow!«
»Ja, Sie! Es fand sich ja kein Anderer.«
»Es fand sich … kein Anderer?« Sparks fiel die Kinnlade runter. Für ihn stand fest, dass es die Chance seines Lebens darstellte, in einem Projekt zu arbeiten, für das er von seinen Kommilitonen in der Universität beneidet worden wäre, vorausgesetzt, dass sie es je hätten erfahren dürfen.
»Aber da sucht man doch sicherlich nur … Ich meine … Es dürften doch da nur die Besten …«
Sparks rang um Fassung. »Und Sie haben mich …?«
Leighland deutete nur ein Achselzucken an. »Naja. Irgendjemand muss sich immer finden, Shuin.«
»Oh mein Gott! Wann soll es losgehen?«
»Lassen Sie mal besser Gott aus dem Spiel, Sparks. Der hilft Ihnen nicht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er bei Schrödingers Katzenexperiment das arme Tier gerettet hätte. Also fahren Sie hin, melden Sie sich an. Morgen geht’s los.«
»Was? Morgen schon?«
»Ja, morgen. Sie sind für zwei Uhr dort zum Vorstellungstermin bei Karel Pendergast angemeldet. Es sei denn, Sie haben etwas Besseres vor.«
»Etwas … Besseres vor?« Leighlands Zögling kamen die Worte tonlos über die Lippen. Dann brach es aus ihm heraus: »Yes!«
Sparks Hand ballte sich zur Faust, und mit einem Sprung, als wolle er einen Dunking im Basketball vollführen, reckte er seine geballte Faust voran in die Luft. Wie nach einem gewonnenen Spiel hielt er die Faust mit angespanntem Bizeps in einer Siegergeste vor seiner Brust.
Als Leighland den Jungforscher Sparks nur wenig später den Raum verlassen sah, betrachtete er noch einmal die Auswertung seiner Unterlagen. »Natürlich du, Sparks!« murmelte er in Richtung seines Kaffeebechers. »Wer denn sonst, wenn nicht der Beste.«
***
Superconducting Supercollider Waxahachie, Dallas, 17. Juli
»Edgar, holen Sie den Chef, schnell«, rief Sparks und ließ sich die Werte der Messinstrumente ausdrucken, die ihn in Erstaunen versetzten.
Die digitale Anzeige des Kontrollpeaks zeigte sechs leuchtende Balken in einem fahlen Grün. Seit einer Stunde ließ Sparks die Messinstrumente nicht mehr aus den Augen. Die Markierung fluktuierte zwischen sechs und sieben, schien sich aber nicht weiter zu steigern und verharrte plötzlich sekundenlang bei drei, um dann wieder zaghaft, wie das Pulsieren von Blut in einer Ader, den vierten Markierungspunkt zu erklimmen.
Shuin, der seit wenigen Tagen am Projekt Space Clash im Collider in Dallas arbeitete, blickte ungläubig auf die Anzeige am Control-Board. Die Ereignisse waren für ihn atemberaubend. Was ihn beeindruckte, war nicht das Verharren der Markierungsbalken auf vier Teilstrichen, die in der Regel innerhalb weniger Sekunden wieder auf Null hätten absinken müssen. Es war etwas viel Bedeutsameres, etwas, das er sich mit den herkömmlichen Erkenntnissen der Kernphysik nicht erklären konnte. Alle eingehenden Parameter schienen die Naturgesetze auf den Kopf zu stellen.
Im Allgemeinen war der Berkeleyabsolvent die Gelassenheit in Person. Jetzt jedoch überreichte er Pendergast mit zitternden Fingern die Blätter, die er zuvor dem Drucker entnommen hatte.
»Was ist denn, Sparks? Als Neuzugang haben Sie sich doch bisher durch nichts aus der Ruhe bringen lassen.«
«Doktor, wir haben eine Alpha-Anomalie. Ein Fehler ist ausgeschlossen. Ich habe die Werte zweimal geprüft und auch die Instrumente gecheckt.«
»Wie lange dauerte sie?«
»Das ist es ja, was ich Ihnen sagen wollte, sie dauert an.«
»Sie dauert an?»Pendergast verzog missgestimmt die Mundwinkel und verlieh damit seiner Überzeugung Ausdruck, es könne sich nur um die Fehlermeldung des Jahres handeln.
»Sparks, wie lange hatten Sie Kernphysik? Brauchen Sie Nachhilfeunterricht aus dem ersten Semester? Ist es … «
»Sie ist stabil!«, unterbrach ihn Sparks. Er verlieh seiner Stimme den Colorit der Sicherheit, an seiner Entdeckung keinerlei Zweifel zu hegen. Dennoch schien er ebenso überrascht zu sein wie Pendergast.
»Sie kann nicht stabil sein. Es ist unmöglich. Eine solche Messung ist irrelevant. Wir werden es wiederholen.«
Sparks blieb hartnäckig. »Sie sehen es doch. Sehen Sie doch hin! Die Zeitabweichung ist da!«
»Aber es würde all unseren Theorien widersprechen. Sie kann nicht stabil sein.«
»Wenn sie aber doch stabil ist? Nur etwas Ultraschweres kann den Raum so krümmen.«
»Sparks, rechnen Sie nochmal alles nach. Es kann nicht sein!« Pendergasts ständiges Kopfschütteln ließ Sparks für einen Augenblick die Beherrschung verlieren.
»Wenn Sie es nicht glauben, prüfen Sie es doch selbst! Ich denke wir haben einen Braneworld Effekt! Ist Ihnen das klar?«
Pendergast strich sich über die Stirn: »Wenn es das ist, an was Sie und ich denken, kann es nicht stabil sein. Die abgebende Hawkingstrahlung würde es sofort kollabieren lassen.«
»Natürlich weiß ich das. Schwarze Löcher in dieser Größe kollabieren. Dennoch ist die Anomalie stabil. Und Sie wissen, dass ein solches Phänomen nur eine Schwerkraft erzeugen kann, die größer ist als alles, was wir in unserem Sonnensystem kennen.«
»Sparks, genau deshalb kann sie nicht andauern. Aus diesem Grunde kann sie nicht stabil sein! Weil, das würde ja dann bedeuten …«
Pendergast stockte. »Das Loch würde in den Erdmittelpunkt gezogen werden.«
Sparks insistierte: »Die Versuche zeigen aber, dass es weiter existiert. Es kollabiert nicht. Also kann es nur ein Schwarzes Loch sein. Mikroskopisch klein, aber es ist ein Schwarzes Loch.«
Der ältere Physiker strich sich über das schüttere Haar und blickte auf den Überwachungsbildschirm. Verschiedene Teilsegmente der Collideranlage präsentierten sich auf einer Übersichtstafel.
»Zeigen Sie es mir. Wo ist es Ihrer Meinung nach lokalisiert?«
»Noch mitten im Collider. Ich vermute, in Nähe des letzten Kollisionspunkts der hochbeschleunigten Ionen.«
»Okay, und wie hoch war der Speed zum Zeitpunkt der Kollision?«
»99,97% der Lichtgeschwindigkeit.«
Pendergast nahm die Blätter an sich und schritt zur Steuerkonsole. »Wir werden es nochmals messen. Wieder und wieder. Und wenn es die ganze Nacht dauert.«
2. Kapitel
Strange
Krisenstab Pentagon, 18. Juli, ein Tag nach der Alphastabilität
Der Krisenstab des Pentagon versammelte sich in diesen Tagen alle vierundzwanzig Stunden. Den Vorsitz hatte Generalstabschef James Devlin Pruitt, der nach dem Präsidenten als oberster Befehlshaber der Streitkräfte alle wesentlichen Entscheidungen zu treffen hatte. Er nickte den Anwesenden, allesamt hochdekorierte Funktionsträger, zu, nippte am Wasserglas und deutete auf seinen Assistenten.
»Meine Herren, lassen Sie uns keine Zeit verlieren. Stockton, Sie informieren uns über die Lage.«
Robert Stockton, der mit einem eleganten Designeranzug zwischen den Hochdekorierten herauszustechen suchte, wischte mit seiner Hand über die mannshoch aufragende Glasscheibe, die den Raum in zwei Hälften teilte. Im Glas wurde ein Hologramm sichtbar. Bevor Stockton sprach, ordnete er sich mit gekonntem Schwung seiner rechten Hand das gewellte Haar.
»Sie sehen die Distrikte New York, Detroit und Los Angeles. Meine Herren, wir haben es hier mit den Zentren der Ausschreitungen zu tun. Überfälle, Brandstiftung, Mortalitätsrate: alles signifikant über der Norm.«
Pruitt unterbrach schon jetzt: »Wie signifikant?«
Sein Assistent tippte mit dem Finger auf die Glasscheibe. Dabei pulsierten die Flächen der betreffenden Abschnitte bis zu deren Grenzen in leuchtendem Rot.
»Sechshundert Prozent über der Norm.«
Am äußeren Rand des Hologramms lieferten detaillierte Zahlenkolonnen weitere Informationen.
»Eine überregionale Zunahme. Rechts sehen Sie die gemeldeten Vorfälle. Die Meldungen sind gesicherte Daten der Behörden. Sie werden bemerkt haben, dass sie in den betreffenden Distrikten bereits vierstellig sind.«
Stockton wischte mit einer Handbewegung die Hologramme zur Seite. Blitzschnell bauten sich weitere Animationen auf.
»Nun zu den Vorfällen.«
Das Hologramm teilte sich in eine Vielzahl von Kästchen, Bilder und kurze Filmsequenzen wechselten darin mit hohem Tempo.
»Wir haben eine Reihe von Aufzeichnungen vorbereitet. Typische Szenen, die sich überall wiederholen. Sie stammen von Überwachungskameras oder wurden uns von Einsatzkräften vor Ort zur Verfügung gestellt.«
Gesichter von Menschen mit weit aufgerissenen Augen und starrem Blick wurden herangezoomt. Die ungepflegte Kleidung dieser Menschen zeugte von längerer Verwahrlosung, während ihre maskenhaften Gesichtszüge an Zombiefilme erinnerten. Die beobachteten Personen trugen keine Waffen, aber niemand der Anwesenden zweifelte daran, dass sie nicht davor zurückschrecken würden, eine zu gebrauchen.
»Wir nennen sie Creeps. Einige davon scheinen nur verwirrt. Andere sind gewaltbereit. Es sind Terroristen, die erbarmungslos plündern und ohne Rücksicht mit allen Mitteln ihren Willen durchsetzen.«
»Terroristen? Ist das nicht etwas weit hergeholt?«, kam es aus einer der hinteren Sitzreihen.
»Wir haben den Creeps diesen Status ganz bewusst zugeordnet, so brauchen wir bei der Durchsetzung der Sanktionen weniger Rücksicht zu nehmen. Außerdem können die Notstandsvorschriften leichter angewendet werden.«
Alle Anwesenden starrten gebannt auf die Videoaufnahmen. Der Zusammenschnitt der Szenen dauerte vier Minuten. Dann erschallte Pruitts Stimme: »Bis wohin dehnen sich die Handlungen aus? Ich will Zahlen, Daten, Fakten! Ich will Konkretes!«
Stockton sah einen seiner Assistenten mit fragendem Blick an, der jedoch den Kopf schüttelte und schwieg. Stockton überging die peinliche Situation, indem er für seinen General die Lage nach bestem Wissen zusammenfasste: »Sir, wir bereiten die Zahlen gerade auf und liefern sie nach. Sicher ist, fast alle Städte sind davon betroffen. Die Krankenhäuser melden steigende Patientenzahlen, und die Medikamente gehen bald aus.«
»Die was gehen bald aus?« Der Befehlshaber reckte beide Hände in die Luft.
»Stockton, das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Sind wir ein Dritte-Welt-Land, oder was? Wo leben wir? In einer Bananenrepublik, deren Medikamentenbestände sich bei der erstbesten Epidemie in Luft auflösen? Verdammt noch mal, um uns herum verdienen die größten Multimillion-Dollar-Companys der Medizinforschung ihr Geld. Dazu ein flächendeckendes Netz von Krankenhäusern und Spezialkliniken mit Lagern, Reserven und Verbindungen.«
»Sir, aber irgendwann sind auch die mal aufgebraucht«, verteidigte sich Stockton.
»Soll dass ein Witz sein? Selbst die Verteidigungsbestände reichen mehrere Monate.«
»Wenn Sie mir den Hinweis gestatten, Sir: Eine derart große Zahl an Neuzugängen sprengt jede Krankenversorgung. Außerdem können wir die Verteidigungsreserven nicht einfach abschmelzen.«
»Wie also lautet Ihre Prognose?«, wollte General Pruitt wissen.
»Es sieht nicht gut aus. Die Angriffe in den Straßen nehmen ständig zu, und zwar gleichzeitig in der Hälfte aller Bundesstaaten. Wir verlieren jeden Tag Hunderte Einsatzkräfte.«
»Stockton, ich will konkrete Zahlen, wann bekomme ich sie? Ich kann dem Präsidenten nicht mit Vermutungen kommen. Also, wann liefern Sie?«
»Wir sind in einer halben Stunde aussagefähig.« Stockton berichtete über Hilferufe von Krankenhäusern aus mehreren Bezirken, in denen die Logistik zusammengebrochen war. Forderungen, die Medizinbestände mit denen anderer Häuser auszugleichen, stiegen jeden Tag. Pruitt hob den Zeigefinger.
»Gut, Stockton, ich sage Ihnen jetzt, was wir tun. Wir werden es genau andersherum machen. Es wird Zeit, dass wir denen da mal zeigen, wer hier das Sagen hat. Machen Sie einen Plan zur Übernahme aller Krankenhäuser, deren Logistik zusammenbricht. Dann will ich eine Liste von Bezirken mit hohen Verlusten oder Verwundeten. Die Krankenhäuser werden unter unsere Verwaltung gestellt und mit Einsatzkräften versorgt.«
»Das wird eine Menge Ärger geben.«
»Nein, wird es nicht. Wir werden sie gar nicht erst fragen. Ich will dazu die Fakten sowie eine Personalplanung, und das bis morgen Früh. Haben Sie mich verstanden?«Ohne Stocktons Antwort abzuwarten, forderte Pruitt erneut weitere Informationen. »Was ist mit den Meldungen zur vermeintlichen Zusammenrottung von diesem verdammten Abschaum?«
Pruitts Sekretär nahm einige Einstellungen am Bildschirm vor. »Es scheint einen Anführer zu geben.« Dabei zoomte er auf das Kennzeichen eines Wagens.
»Achten Sie auf den schwarzen Hummer. Das Fahrzeug wurde an verschiedenen Stellen in New York gesichtet. Es fiel auf, dass Creeps sich um das Fahrzeug versammelten und Kontakt mit dem Fahrer hatten. Tonaufzeichnungen aus Richtmikrophonen identifizierten ihn als Magool, einen stadtbekannten Dealer.«
Der Sekretär spielte die vorbereitete Sequenz einer Überwachungskamera ab. Sie zeigte Magool als hochgewachsenen muskulösen Afroamerikaner. Vor ihm standen zwei Männer. Einer von ihnen trug einen Koffer, der andere eine Maschinenpistole.
»Eine Geldübergabe«, erklärte Stockton. »Wir haben die Aufnahmen von der Drogenbehörde bekommen. Magools Wagen haben wir vor einigen Stunden verlassen in einer Seitenstraße gefunden.«
»Welche Informationen haben wir über diesen Magool?« wollte Pruitt wissen.
»So gut wie nichts. Er nutzt weder Handys noch Computer.«
»Und Informanten? Verfolgen Sie irgendwelche Spuren?«
»Zurzeit werden sie noch ausgewertet. Wir erhoffen uns weitere Erkenntnisse.«
»Ich will diesen Typ haben. Schicken Sie von mir aus den Q-Squat, oder die Seals. Es ist mir völlig egal, nur finden Sie ihn!«
»Wir haben ihn noch nicht lokalisieren können. Er wechselt ständig die Position. Allerdings haben wir sein Profil im Satelliten-Tracking eingespeist.« Stockton ließ eine Sequenz von Straßenszenen abspielen, auf denen sich Personen rot umrandet wie gekennzeichnete Ziele bewegten.
»Zwei Satelliten scannen über Erkennungssoftware die Umgebung von New York. Wird Magool erkannt, erfolgt der Zugriff.«
»Wie lange wird es dauern?«
»Keine Ahnung. Irgendwann betritt er öffentliche Straßen. Bei zwei Millionen Scans pro Minute haben wir ihn rechnerisch dann nach drei oder vier Tagen.«
Pruitt, der sich mit diesen Ausführungen zufrieden gab, hatte noch etwas anderes auf der Agenda: »Was ist eigentlich mit Venathaer, unserem Finanzdesaster? Mit, wie es momentan aussieht, dem größten Katastrophenbringer aller Zeiten?«
»Sir, wir sollten ihn unter Bewachung stellen.«
»Meinen Sie, er könnte versuchen, das Land zu verlassen?«, fragte Pruitt.
»Nein Sir, wir halten es aber für wichtig, über seinen Standort jederzeit informiert zu sein.«
»Machen Sie, wie Sie meinen. Aber ich will ihn sehen. Noch heute!« insistierte Pruitt.
»Sir, ich lass’ ihn ins Headquarter laden. Und sollte es Erfolgsmeldungen über Magool geben, dann werden Sie umgehend informiert.«
»Nein, machen Sie mir einen Hubschrauber klar. Ich werde Venathaer aufsuchen und mir dabei gleich einen Eindruck der Lage aus der Luft verschaffen. Manchmal ist es besser, in den Straßen vor Ort zu sein.«
»Okay, Sir. In dreißig Minuten ist der Helikopter startklar.«
Pruitt nickte und verließ den Raum.
***
Dallas, vierundzwanzig Stunden nach der Anomalie
Auf der Anzeige im Kontrollraum des Colliders prangte eine Zehn. Pendergast blickte mit großen Augen auf das Display. »Was passiert hier?«
»Es wächst!« Sparks wies auf die Anzeige, als würde sie den unumstößlichen Beweis für seine Aussagen liefern.
»Es kann nicht wachsen. Der Theorie zufolge ist es nicht größer als ein Millielektronenvolt.«
»Es wächst!«
»Aber die Hawking-Strahlung, die es abgibt, müsste es zerstören. Es kann eigentlich bei der Größe nicht wachsen«, sagte Pendergast.
»Doch. Wie Sie sehen, wächst es. Die Hawking-Strahlung können wir nicht messen, sie ist eine Annahme … Wenn sie nicht linear mit der Größe des Lochs ansteigt, kann es sein, dass es weniger Energie verbraucht, als es aufnimmt. Mit anderen Worten: Es wächst.«
Pendergast trieb Jungforscher Sparks mit seinen Fragen vor sich her. »Haben Sie sich eigentlich mal überlegt, dass wir es mit nichts belegen können? Kein wirklicher Beweis!«
»Gravitonen wären ein Beweis«, entgegnete Sparks.
»Aber da wir keine messen konnten, gibt es auch kein Wachstum. Möglicherweise gibt es das ganze verdammte Ding gar nicht. Es kann sein, dass das Loch die Gravitonen einfach verschluckt und in seinem Inneren verdichtet hat.«
»Ja könnte, hätte, würde. Wir sind Wissenschaftler, Sparks!«
»Aber wir haben Unmengen an Teilchen detektiert und zusätzlich die signifikante Zeitabweichung in den Messgeräten. Wie wollen Sie es anders erklären, Doktor?«
»Ich weiß es nicht, Sparks. Weiß Gott … ich habe keine Ahnung.«
Der Jungforscher sinnierte noch einige Zeit, bevor er sich dazu entschloss, mit seinem Mentor zu telefonieren. Er wählte Leighlands Nummer.
Professor Leighland hatte das Abendseminar zum Thema Thermodynamik seines Erstsemesters fast beendet.
»Wenn Sie sich die Maxwell Beziehungen und die Gleichungen nicht merken können, dann hilft ihnen vielleicht das Guggenheim Quadrat(6)«, dozierte Leighland. »Sozusagen ein Spickzettel für Ihre Formeln.«
Auf der Projektionsfläche hinter ihm erschien ein Quadrat mit neun Feldern, in der sich wie auf einem Schachbrett Buchstaben verteilten. Las man sie im Uhrzeigersinn von der Zwölf aus, so fand man in der Reihenfolge die Buchstaben: »U,V,F,T,G,-p, H, -S«Lediglich das mittlere Feld blieb leer.
Leighland kommentierte das Quadrat in gewohnt sarkastischer Manier. »Rollins, auch Sie sehen doch hier ein Quadrat, oder nicht?«
Rollins, ein Student weiter hinten im Hörsaal, der zu den eher schwächeren Studenten gehörte, die in aller Regel mehrmals in einer Vorlesung durch Leighland bloßgestellt wurden, blickte mit großen Augen auf.
»Aber auch die, die es von hinten nicht so gut sehen können, weil sie wieder mit dem Download ihrer Apps beschäftigt sind, hinhören! Diese Eselsbrücke mag Ihnen helfen, sich an die Beziehungen zu erinnern.«Leighland hielt kurz inne. »Und nein, es sind nicht die Anfangsbuchstaben meiner Verflossenen.«Die Hörerschaft lachte.
»Wenn Sie zum Beispiel die Koeffizienten der Differentiale suchen, dann finden Sie die Symbole des jeweiligen Potentials an den beiden gegenüberliegenden Ecken. Klar? Und jetzt die spektakuläre Frage: Wie merkt man sich das Ganze? Okay, ich hab’ da was für Sie.« Leighland machte eine Armbewegung, die einen Kreis beschrieb.
»Fangen Sie bei S an und folgen Sie den Buchstaben im Uhrzeigersinn. Merken Sie sich die Anfangsbuchstaben. SUV- Fahrer tragen gerne pinke Hemden, damit haben Sie dann die Buchstabenfolge im Guggenheim Quadrat. Okay, haben Sie’s?«Leighlands Schmunzeln spiegelte sich in den Gesichtern seiner Studenten.
»Rollins, Sie können auch bei U anfangen … Wenn Sie gleich nach Hause gehen, sagen Sie immer wieder auf: Unser Vater findet tausend gute Pornos hinter dem Schrank.« Der ganze Hörsaal brach in Gelächter aus, während sich der Professor das Headset vom Kopf zog.
»So, das war es für Heute«, murmelte Leighland und griff nach seinem lautlos geschalteten Mobiltelefon. Er sah die eingegangenen Anrufe, die Nachrichten auf der Mailbox. Dann klingelte das Telefon und schon nach wenigen Augenblicken vernahm er die Stimme von Sparks.
»Guten Abend, Professor«, brachte dieser atemlos hervor. »Sie werden es nicht glauben, bis Sie es mit eigenen Augen gesehen haben! Das müssen Sie sich anschauen!«
»Was denn?«
»Wir haben hier ein Problem.«
Leighland unterdrückte ein Kichern. »Natürlich, was denn sonst, Sparks? Ein Problem. Haben Sie den Laden etwa schon in den ersten Tagen durcheinandergebracht? Ich dachte, selbst Ihnen gelingt das nicht so schnell.«
»Professor, wir haben hier eine Schwerkraftanomalie, die es in sich hat. Es wird Sie umhauen.« In Sparks Stimme lag jene Ungeduld, die Leighland bereits seit vielen Jahren an ihm kannte und die in aller Regel dann zum Vorschein kam, wenn es sein Zögling nach tagelanger Analyse der Theoreme tatsächlich wieder einmal geschafft hatte, die gestellte Aufgabe vor seinen Kommilitonen am schnellsten zu lösen.
»Soso, keine Woche im neuen Job und schon den Nobelpreis in Sichtweite, was mein Junge?«
Sparks blieb unbeirrt. »Professor, wir haben es hier mit einer Alphastabilität zu tun, die echt abgefahren ist.«
»Haben Sie das Ganze schon analysiert?«
»Ihrer Lehre nach kann es nur einem Phänomen zugeschrieben werden. Einem Phänomen, das es aber auf der Erde nicht geben kann.«
»Ach. Und was meinen Sie, ist es?«
»Ein … Schwarzes Loch.«
Leighland unterdrückte den Reflex, in Gelächter auszubrechen. »Wissen Sie, was ich glaube, Sparks? Sie sitzen gerade im Kino, haben was getrunken, schauen sich Star Wars Teil fünfzehn an und wollen mal wieder Ihren alten Professor anrufen. Sie nehmen mich auf die Rolle, stimmts?«
»Professor, wenn Sie es nicht glauben, dann kommen Sie her und sehen Sie sich das selber an.«
»Was soll ich mir anschauen, Sparks? Ein Schwarzes Loch? Wissen Sie was? Packen Sie’s doch ein und schicken es her zu mir. Ich schau’s mir dann nächste Woche hier in aller Ruhe an. Okay? Ach so: Und den Energiejet am anderen Ende schneiden Sie ruhig ab, damit es in die Kiste hinein passt. Und wenn’s zu schwer sein sollte, können Sie’s ja mit Union Post Package schicken. Soweit ich weiß, versenden die auch überschwere Fracht.«
»Hören Sie doch, Professor, wir haben hier eine Alphastabilität von mindestens vierundzwanzig Stunden. Und das ohne Strahlungsverlust. Sie müssen sich das ansehen!«
Am anderen Ende der Leitung herrschte plötzlich Stille.
»Wenn Sie mir nicht glauben, kommen Sie her und überzeugen Sie sich selbst!« wiederholte Sparks.
»Seit vierundzwanzig Stunden?«
»Ja, seit gestern.«
»Wie oft haben Sie nachgemessen?« Leighland schien Sparks Ausführungen nun mehr Glauben zu schenken.
»Oft genug!«
»Sind Sie jetzt im Collider?«
»Ja.«
»Gut. Geben Sie mir mal Karel.«
Sparks reichte den Hörer an Pendergast weiter.
»Jim, es scheint wirklich so als hätten wir einen Schwerkrafteffekt. Möglicherweise ein Braneworld Black Hole(7). Keine Ahnung, aber vielleicht ist es das, was man 2010 in der Schweiz beim Collideranlauf befürchtet hatte. Es ist jedenfalls stabil und real. Und es scheint nicht zu fluktuieren.«
»Interessant. Wirklich keine Zweifel, Karel?«
»Aus meiner Sicht keine Zweifel, nein. Am besten, du schaust dir das selbst an. Ich habe dafür jedenfalls keine Erklärung.«
»Okay, aber zurzeit ist es schwierig, einen Flug zu bekommen«, widersprach Leighland. »Diese Verrückten da draußen machen eine Menge Probleme. Man nennt sie Creeps. Was auch immer mit denen los ist.«
»Hier im Colllider bekommen wir davon nichts mit. Die Zugänge sind bewacht, es patrouilliert Sicherheitsdienst, im Außenbereich die Polizei. Ich denke, hier sind wir sicher wie in Abrahams Schoß.«