Kitabı oku: «Berlin erlesen!», sayfa 3
9 Das literarische Trio
Nicolaihaus – Ein Haus der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Wo werden nicht überall Bücher besprochen. In Zeitungen, Radiosendungen und Fernsehshows, Blogs, sozialen Netzwerken oder auf den Seiten von Online-Buchhändlern. In Berlin waren Mitte des 18. Jahrhunderts drei Freunde für die Buchkritiken zuständig: der Philosoph Moses Mendelssohn, der Dichter Gotthold Ephraim Lessing und der Verleger Friedrich Nicolai. In ihren ab 1759 gemeinsam herausgegebenen Briefen, die neueste Litteratur betreffend, nahmen sie die Gegenwartsliteratur unter die Lupe. Fiktiver Adressat der Schreiben war ein gemeinsamer Freund, den sich die drei wegen einer Kriegsverletzung ans Bett gefesselt vorstellten. Die Stoßrichtung der Zeitschrift, für die außer den dreien noch andere Autoren wie der Philosoph und Schriftsteller Thomas Abbt zur Feder griffen, war klar: Die Zeitgenossen sollten sich im Namen der Aufklärung ihres eigenen Verstandes bedienen und dabei für Rationalität, gegen Aberglauben und Bevormundung Partei ergreifen.
Die Berliner Aufklärer kamen mit Vorliebe in Friedrich Nicolais Wohnhaus zusammen. Ein solcher Treffpunkt wurde auch das Domizil in der Brüderstraße 13, das Nicolai 1787 mitsamt Verlag und Buchhandlung bezog: Lessing und Mendelssohn waren zu diesem Zeitpunkt zwar bereits verstorben, aber weiterhin kamen Intellektuelle aller Altersgruppen, um mit Nicolai zu diskutieren, aus ihren Werken zu lesen oder musikalischen Vorführungen zu lauschen. Das 1664 errichtete und später zum Palais ausgebaute Gebäude ist eines der wenigen erhaltenen Barockhäuser Berlins. Es beherbergt heute das Berliner Büro der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die gemeinnützige Organisation kümmert sich um den Erhalt historischer Bauten und hat im ersten Stock einen Museumsraum eingerichtet, der an ausgewählten Tagen für Besucher geöffnet ist. Mit Buchausgaben, Schautafeln und Exponaten erzählt die Ausstellung von Friedrich Nicolai, seinen Weggefährten und der Zeit, als in Preußen Friedrich der Große und seine Nachfolger Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. regierten.
Der gebürtige Berliner Nicolai hatte den 1713 gegründeten Verlag von seinem Vater Christoph Gottlieb Nicolai geerbt. Standen für diesen Schulfibeln und theologische Werke im Mittelpunkt der Verlagsarbeit, so widmete sich der Sohn vor allem Rezensionszeitschriften wie der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, die sämtliche Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt vorstellte. Nicolai verlegte aber auch Werke Lessings wie die Briefe antiquarischen Inhalts (1768) und das Hauptwerk Mendelssohns, Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele (1767). Darüber hinaus griff der Verleger selbst zur Feder – und zwar nicht nur, um die neuesten Bucherscheinungen zu rezensieren. Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker heißt sein dreibändiges satirisches Reise- und Sittengemälde aus den Jahren 1773 bis 1776. Eine zwölfteilige Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz verfasste Nicolai ebenso wie den ersten Berlin-Führer: 1769 legte er seine Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam vor. Selbst der König lobte das Buch. Besucher finden im Ausstellungsraum des Nicolaihauses die Erstausgabe und die niederländische sowie die französische Übersetzung, die nur wenige Jahre nach dem Original erschienen.
Im Museum sind ebenfalls Werke zu sehen, die der Verlag unter Friedrich Nicolai und seinen Nachfolgern auf den Markt brachte. Immer bildeten auch naturwissenschaftliche Veröffentlichungen einen wesentlichen Teil des Programms. Vorgestellt ist etwa Friedrich Anton Mesmers System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des thierischen Magnetismus von 1812. Oder daneben Julius Ratzeburgs bebildertes Lexikon über die Forst-Insecten von 1837 ebenso wie sein zweibändiges Werk zum Thema Waldsterben aus dem Jahr 1866: Die Waldverderbniss oder dauernder Schade, welcher durch Insektenfrass, Schälen, Schlagen und Verbeissen an lebenden Waldbäumen entsteht. Auch der Leiter der Berliner Sternwarte, Johann Elert Bode (1747–1826), brachte seine Anleitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels mit ausklappbarer Sternenkarte ab der neunten Auflage bei Nicolai heraus.
Unter den Nachfolgern Friedrich Nicolais ragte besonders dessen Enkel Gustav Parthey (1798–1872) heraus. Der Philologe und Kunsthistoriker leitete nicht nur den Verlag, sondern veröffentlichte darüber hinaus seine Erkenntnisse. Besonders auf dem Gebiet der Ägyptologie trat Parthey als Autor hervor: Ausgestellt ist unter anderem seine Abhandlung Das Orakel und die Oase des Ammon.
An einem Multimediabildschirm klicken und wischen sich Besucher durch Informationen zum Leben Friedrich Nicolais und seiner Zeitgenossen. Zu sehen sind Ausschnitte aus seinen Büchern, Zitate und Illustrationen. Die Buchhandlung, so ist zu erfahren, zog 1891 in die Dorotheenstraße. Nicolai selbst lebte bis zu seinem Tod 1811 hier. Bis heute existiert ein Verlag, der sich auf die Tradition Nicolais beruft.
Ebenso würdigt das Museum den zweiten Autor der Literaturbriefe, Moses Mendelssohn. Der Religionsphilosoph steht wie kein zweiter für die jüdische Aufklärung. Mit Schriften wie Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum trug er maßgeblich zur Emanzipation der israelitischen Religion bei und setzte sich mit Nachdruck für die Rechte seiner Minderheit ein.
Der Dritte im Bunde ist Gotthold Ephraim Lessing. Schon von 1910 bis 1936 befand sich im Nicolaihaus ein Museum, das den wohl bedeutendsten deutschen Dichter der Aufklärung feierte. Der gebürtige Sachse war 1748 als 19-Jähriger erstmals nach Berlin gekommen, wo er seinen Lebensunterhalt einige Jahre als freier Publizist verdiente. Auch später brachten Lessing immer wieder mehrjährige Aufenthalte nach Berlin. Vor allem seine Dramen Mina von Barnhelm, Nathan der Weise – in letzterem setzte er seinem Freund Moses Mendelssohn ein literarisches Denkmal – sind noch heute Erfolgsgaranten auf deutschsprachigen Bühnen. Im Museum sind eine Prachtausgabe von Lessings gesammelten Schriften und eine Erstausgabe seiner Briefe antiquarischen Inhalts ausgestellt.

Nicolaihaus – Ein Haus der Deutschen Stiftung Denkmalschutz
10 »Jesacht, wies is«
»Zille Museum«

»
Dit is so Zille-meesich.« Wer so etwas sagt, meint es meist nicht als Kompliment, sondern will seinem Unmut über piefige Alt-Berliner Nostalgie und verstaubten Kleinbürgerhumor Luft machen. Aber wer den Maler, Zeichner und Fotografen Heinrich Zille (1858–1929) auf Folklore, derbe Postkartenmotive und die Zille-Boulette, die Touristenlokale servieren, reduziert, tut ihm mehr als unrecht: Wie kein Zweiter fing der Künstler das soziale Elend in der Millionenstadt Berlin ein. Das von einem privaten Verein geführte Zille Museum im Nikolaiviertel würdigt den »Pinselheinrich« auf 250 Quadratmetern Fläche mit mehr als 150 ausgestellten Zeichnungen, Grafiken und Fotografien aus Heinrich Zilles Schaffen sowie allerlei biografischen Dokumenten.
Beim Betrachten seiner Bilder wird schnell deutlich: Zilles »Milljöh«, das sind die ganz kleinen Leute. Prostituierte, Waschfrauen, aufgedunsene Kinder, Säufer, Obdachlose und Einbeinige. Das sind die Schmuddelecken, Dachkammern, Hinterhöfe, Kohlenkeller und schäbigen Kaschemmen. Die engen Behausungen, in denen sich die Großfamilie ein Bett teilt, über dem die zerlumpte Wäsche aufgehängt ist. Da steht eine Traube gaffender Menschen in einem Hinterhof um eine Mülltonne mit einer Kinderleiche herum. Die Unterschrift zu der Kreidezeichnung, die Zille 1906 für die Zeitschrift Simplicissimus schuf, lautet: »Haben Se sich nich so, Schulzen, draußen in de Lauben buddeln se so wat alle Dage aus de Erde.« Es wird gerauft, geraucht, gesoffen, gestillt, gedöst, geheult, Selbstmord begangen, manchmal auch gelacht und getanzt.
Zille, der als einer der populärsten Künstler seiner Zeit galt, stammte selbst aus ärmsten Verhältnissen. Als Kind musste er miterleben, wie sein Vater, ein Uhrmacher, mehrfach ins Schuldnergefängnis einrückte. Immer auf der Flucht vor den Gläubigern zog die vierköpfige Familie aus dem heimischen Radeburg in Sachsen erst nach Dresden, 1867 dann in die Metropole Berlin. Nahe des damaligen Schlesischen Bahnhofs fand sie eine dürftige Kellerwohnung. Essen gab es oft nur in der Volksküche für Bedürftige. Ehe der Vater eine Stelle als Mechaniker bei der Firma Siemens & Halske bekam, hielten sich die Zilles mit Heimarbeit über Wasser. Heinrich trug Milch, Brötchen und Zeitungen aus, um das karge Leben mitzufinanzieren – aber auch, um bei einem privaten Lehrer Zeichnen zu lernen.
Metzger sollte er werden – so wollte es der Vater. Doch Heinrich konnte kein Blut sehen. So begann er eine Lehre bei dem Lithographen Fritz Hecht in der Alten Jakobstraße. Parallel zu seiner Arbeit nahm er Zeichenunterricht als Abendschüler an der Königlichen Kunstschule. Einer seiner Lehrer, der Maler und Karikaturist Theodor Hosemann (1807–1875) soll Zille den Rat gegeben haben: »Gehen Sie lieber auf die Straße hinaus, ins Freie, beobachten Sie selber, das ist besser, als wenn Sie mich kopieren.«
Nach seiner Lehre arbeitete Zille in verschiedenen lithographischen Betrieben, wo er unter anderem Muster für technische Geräte, Damenmoden und Werbeplakate zeichnete. 1877 erhielt er eine Anstellung bei der Photographischen Gesellschaft Berlin, die Reproduktionen zeitgenössischer Kunstwerke anfertigte und vertrieb. Neben seinem Beruf begann Zille ab 1900, Zeichnungen zu veröffentlichen. Zeitschriften wie Simplicissimus, Jugend und Lustige Blätter druckten seine Milieu-Skizzen ab. Noch lieber waren den meisten Abnehmern freilich Zilles harmlose Witzzeichnungen. 1903 nahm ihn die Künstlergruppe Berliner Secession auf, der auch Edvard Munch und Käthe Kollwitz angehörten – ebenso Max Liebermann, der zu Zilles großem Förderer wurde.
Als knapp 50-Jähriger verlor der unermüdlich Arbeitende seine Anstellung bei der Photographischen Gesellschaft. Nun galt es, den Lebensunterhalt für sich, seine Frau Hulda und die Kinder Margarete, Hans und Walter als freischaffender Künstler zu verdienen. Und das gelang. Für Kaiser Wilhelm II. waren derlei ungeschönte Darstellungen zwar nichts als »Rinnsteinkunst«, seine Untertanen aber liebten die Zeichnungen. Zille publizierte sie in Zeitungen, Zeitschriften und eigenen Büchern wie dem Band Mein Milljöh. Neue Bilder aus dem Berliner Leben von 1914. Das Volk verehrte ihn und Zille mischte sich gerne unter die einfachen Leute, auch wenn er nun ein regelrechter Star war. In den Zwanzigerjahren sang die Schauspielerin und Kabarettistin Claire Waldoff (1884–1957) ein Chanson, getextet von Hans Brennert: »Im Nussbaum links vom Molkenmarcht, Da hab ick manche Nacht verschnarcht, Da malt der Vater Zille! […] Die Jäste, die sind knille!« 1924 wurde der Zeichner auf Vorschlag Max Liebermanns als Professor in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen. Hoch angesehen, starb Zille 1929 nach zwei Schlaganfällen. Er erhielt ein Ehrenbegräbnis und wurde auf dem Stahnsdorfer Friedhof beigesetzt.
Das Zille Museum zeigt Ausschnitte des Dokumentarfilms Det war Zille sein Milljöh von Irmgard von zur Mühlen. Ausgiebig präsentiert wird zudem sein pikantestes Werk, die Hurengespräche. Unter dem Pseudonym W. Pfeifer und mit der falschen Jahresangabe 1913 versehen hatte Heinrich Zille 1921 pornografische Zeichnungen mit kleinen Texten veröffentlicht, die von der offiziellen Zensur sogleich verboten wurden. Allerdings besitzt auch dieses Werk, in dem Frauen berichten, wie sie vergewaltigt, missbraucht und zur Prostitution gezwungen wurden, einen sozialkritischen Hintergrund. Daneben wartet das Museum mit wechselnden Fotoausstellungen auf. Ein Zille-Darsteller lässt bei Themenführungen das Berlin des beginnenden 20. Jahrhunderts lebendig werden. Bisweilen unterstützen ihn dabei andere Berliner Originale wie die Reisigsammlerin, das Blumenmädchen und der Eckensteher Nante. Souvenirs gibt’s im angeschlossenen Zille-Shop.
Wenige Meter vom Museum entfernt steht eine Zille-Statue des Bildhauers Thorsten Stegmann. Der steinerne Zeichner schmaucht zufrieden an seinem Zigarrenstummel. So, als würde er sich diebisch über die Worte freuen, die Kurt Tucholsky 1929 in der Zeitschrift Weltbühne an ihn richtete: »Malen kannste. Zeichnen kannste, Witze machen sollste. Aba Ernst machen dürfste nich. Du kennst den janzen Kleista – den ihr Schicksal: Stirb oda friß! Du wahst ein jroßa Meista, Du hast jesacht, wies is.«

Zille-Standbild im Nikolaiviertel
11 Zeit für eine Pause
Café Tasso – Das andere Antiquariat

Die Frankfurter Allee – von 1949 bis 1961 hieß sie Stalinallee – galt in der DDR als Vorzeige-Magistrale. Anstelle der kriegszerstörten Häuser entstanden Bauten im Moskauer Zuckerbäckerstil, monumental und verschnörkelt, kombiniert mit Anklängen an den preußischen Klassizismus. Die Baustelle machte Geschichte – von hier aus zogen die Arbeiter am 17. Juni 1953 ins Zentrum Berlins, um für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und mehr Freiheit zu protestieren. Die Sowjetarmee schlug den Volksaufstand gewaltsam nieder.
Eine dieser Stalinbauten beherbergt seit 2007 einen der gemütlichsten und liebenswertesten Bücherorte in der Hauptstadt. »Das andere Antiquariat« nennen die Macher das Büchercafé in einem ehemaligen Teeladen, in dem Menschen mit und ohne Behinderung die Gäste und Kunden betreuen. Der ideale Platz, um drinnen oder auf der Terrasse eine Pause bei Tee und Kuchen einzulegen. Oder um in den Regalen im Erdgeschoss und im Keller nach Büchern zu stöbern, die für einen kleinen Obolus zu haben sind.
Tasso heißt das Café nicht etwa nach den Tassen, in denen hier der Kaffee kredenzt wird – den produzieren übrigens peruanische Kleinbauern nachhaltig. Sondern nach dem italienischen Renaissancedichter Torquato Tasso (1544–1595), dem schon Johann Wolfgang von Goethe 1790 ein Drama widmete. »Wir sind große Goethe-Fans«, sagt Sabine Diste, die das Antiquariat des Café Tasso leitet. Als Literaturwissenschaftlerin legt sie besonderen Wert darauf, dass das Angebot sortiert ist wie in einer Buchhandlung. Also nicht einfach nach Belletristik und Sachbuch, sondern den Genres entsprechend etwa nach Theaterstücken, Lyrik, Klassikern, Reisebüchern und so weiter.
Entstanden ist das Café, weil der Gründer einst seine Bibliothek aussortierte. Wohin mit all den Büchern? Am besten sie für den guten Zweck zu Geld machen. Und davon lebt das Tasso heute noch. Täglich bringen Spender 600 bis 800 Bücher vorbei, erzählt Sabine Diste. Rund 25.000 finden sich im Büchercafé. Für frischen Wind sorgen wechselnde Kunstausstellungen in den Caféräumen sowie regelmäßige Konzerte im kleinen Rahmen.
12 Alles über Anne
»Anne Frank Zentrum«

Anne Frank Zentrum
Bücher können Freunde sein. Für Anne Frank bedeutete ihr rot-weiß kariertes Tagebuch, das ihr die Eltern 1942 zum 13. Geburtstag geschenkt hatten, alles. Ihrer fiktiven Freundin Kitty erzählte sie darin fast zwei Jahre lang, was sie bewegte: Wie sie sich mit ihrer jüdischen Familie nur drei Wochen nach dem Geburtstag in einem Lagerhaus verstecken muss, weil die Nazis ihre Stadt Amsterdam besetzt haben. Sie schildert das beengte und beklemmende Dasein der acht eingeschlossenen Menschen, deren einziger Zugang zur Außenwelt eine als Bücherregal getarnte Tür bildet. Sie beschreibt die verhängten Fenster, die erzwungene Stille, die nur die Kirchenglocken der nahen Vesterkerk jede Viertelstunde unterbrechen. Den Dachboden, von dem aus sie ein winziges Stück ihrer geliebten Natur erspähen darf. Ihre erste Liebe zum miteingeschlossenen Peter. Die heimlichen Helfer, die sie versorgen. Das Radio, in dem sie die Landung der Alliierten in der Normandie mitverfolgt und auf Rettung hofft. Im letzten Eintrag vom 1. August 1944 macht sich Anne Gedanken, wer sie ist. Verbirgt sie ihr menschenfreundliches Wesen hinter einer spöttischen Fassade? Drei Tage später rückt die Ordnungspolizei an und verhaftet alle – das Versteck ist verraten worden. Anne wird schließlich in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert, wo sie im März 1945 ums Leben kommt. Dabei hat sie so gehofft, sie und alle, die sie liebt, könnten endlich wieder Menschen sein »und nicht nur Juden«.
Als lachendes Mädchen ist sie auf dem Graffiti am Eingang des Anne Frank Zentrums in den Hackeschen Höfen zu sehen. Das Kunstwerk ist einem Foto nachempfunden. Das Museum mit seiner Dauerausstellung Alles über Anne kann für Kinder und Jugendliche der erste Zugang überhaupt zum schwierigen Thema Holocaust sein. Vieles, was Anne erlebte und aufschrieb, kennen sie selbst: das Größerwerden, der Stress mit den Eltern, das erste Verliebtsein. Anderes wirkt unvorstellbar. In der Ausstellung, die auch Erwachsenen einen Menge Informatives bietet, sind zahlreiche Familienfotos zu sehen. Diese sind Annes Vater Otto Frank zu verdanken, einem Industriellen aus Frankfurt am Main, der eine Kamera besaß. Wie ein Comic ist Annes frühe Kindheit mit den Verwandten und Nachbarn in Frankfurt auf einer Schautafel dargestellt. Originale Exponate aus dieser Zeit gibt es nicht. Ein ähnlicher Tretroller, wie jener, auf dem Anne einst fuhr, ist zu sehen. Nicht ihr eigener. Die Familie musste Frankfurt verlassen, als Anne drei Jahre alt war und die Schikanen gegen Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland immer schlimmer wurden. Müllmänner räumten die Wohnung aus. Der Weg führte die Familie in die niederländische Hauptstadt Amsterdam, wo der Vater bereits eine Firma besaß. Weitere Fotos zeigen Anne mit Freundinnen vor der Schule, die sie bis zum Untertauchen besuchte. Sie sprach und schrieb auf Niederländisch. Als die Nazis begannen, jüdische Bürger zu verhaften, zog sich die Familie in das Lager im Hinterhaus von Otto Franks früherer Firma zurück. Außer Anne Frank, ihrer Schwester Margot und den Eltern lebten auch das Ehepaar van Pels mit ihrem Sohn Peter und der alleinstehende Zahnarzt Fritz Pfeffer im Verschlag. Pfeffer, mit dem sich Anne ein Zimmer im Versteck teilte, kam aus Berlin – er ist eine der wenigen Verbindungen des Tagebuchs zur deutschen Hauptstadt. Anne Frank selbst hat Berlin nie besucht.
Später angefertigte Fotos des Unterschlupfs und eine Großaufnahme des Stadtviertels aus der Vogelperspektive zeigen die Welt, in die sich Anne verkriechen musste. Das Museum stellt zudem die Helfer vor, die ihr Leben riskierten, um die Eingeschlossenen mit Lebensmitteln zu versorgen. So etwa Miep Gies, geboren 1909 in Wien. Sie beschaffte heimlich Fleisch und Gemüse und brachte den Versteckten Bücher aus der Bibliothek. Auch ihr Mann Jan half. Eine Packung Baldriantabletten ist ausgestellt. Anne schluckte sie zur Beruhigung. Lieber würde sie lachen, schrieb sie, habe aber das Lachen beinahe verlernt.
Ungeduldig verfolgten die Eingeschlossenen das Vorrücken der alliierten Soldaten. An der Wand hängt eine Karte aus der Zeitung, auf der Vater Otto Frank mit Stecknadeln den Kriegsverlauf markierte. Amsterdam wurde erst im Mai 1945 befreit – zu spät für die Untergetauchten. Bereits im Februar waren Anne und Margot innerhalb weniger Tage im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Typhus gestorben. Mutter Edith Frank wurde zuvor in Auschwitz ermordet. Auch die übrigen Versteckten kamen in den Konzentrationslagern um – nur Annes Vater Otto überlebte. Er kehrte zurück nach Amsterdam und musste dort vom Tod seiner Frau und seiner Kinder erfahren. Miep Gies übergab ihm das Tagebuch, das sie ungelesen gehütet hatte. Im Museum ist ein Faksimile ausgestellt. Das Original liegt am Ort des Geschehens – im Anne Frank Haus in der Amsterdamer Prinsengracht.
Anne selbst hatte ihr Tagebuch als rein persönlichen Zeitvertreib begonnen. Als sie jedoch im Radio einen Aufruf des exilierten niederländischen Ministers Gerrit Bolkestein hörte, beschloss sie, den Text für die Veröffentlichung zu überarbeiteten, strich und ergänzte Einträge. Otto Frank machte ihren Wunsch nachträglich wahr: Er ließ das Tagebuch 1947 unter dem Titel Het Achterhuis (zu Deutsch »Das Hinterhaus«) veröffentlichen. Kaum ein Zeitdokument gibt eindringlicher Auskunft über Nationalsozialismus und Holocaust. Aus dem Niederländischen wurde das Buch in mehr als 70 Sprachen übersetzt, viele fremdsprachige Ausgaben sind in der Leseecke des Zentrums zu sehen. Hier ist Anne Franks Tagebuch auch als Comic, in modernen Übertragungen sowie als Audioversion zum Hineinhören am Kopfhörer vorhanden. Sachbücher erklären Annes Leben und die historischen Hintergründe.
Vor allen Dingen versteht sich das Zentrum als ein pädagogischer Ort. Es geht darum, Fragen zu stellen. Am besten, die Besucher finden die Antworten selbst: Wie konnte es zu den Gräueltaten der Nazis kommen? Warum sind Tagebücher wichtig? Schreiben Menschen Tagebücher für die Öffentlichkeit oder für sich selbst? Kinder und Erwachsene können hier eigenhändig Briefe schreiben und entscheiden, ob diese geheim bleiben oder an die Öffentlichkeit kommen. Thematisiert werden Antisemitismus und Diskriminierung, aber auch die Frage nach der Identität: Wer bin ich? Die Nazis sahen in Anne die staatenlose Jüdin – sie selbst in sich eine selbstbewusste junge Frau, die Schriftstellerin werden möchte.

Ein Faksimile von Anne Franks Tagebuch ist im Anne Frank Zentrum ausgestellt
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