Kitabı oku: «Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind», sayfa 3

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Damit wird eine primitive Schwarz-Weiß-Sicht auf die hochkomplizierte, sich erst entwickelnde Gefühlswelt des Kindes übertragen, als gäbe es keine Ambivalenzen, kein Vorher und kein Nachher. Als gäbe es nicht etwas, was einem zuerst nicht schmeckt, was man aber nachher umso lieber mag, und als gäbe es nichts, was gut schmeckt, aber in Wirklichkeit giftig ist. Damit wird dem Kind eine eigene Entwicklung, eine allmähliche »Bildung« der Gefühle abgesprochen – früher sprach man sogar von »Herzensbildung«. Die Entwicklung der Sexualität eines Kindes, die noch nicht angefangen hat, wird behandelt, als wäre sie bereits abgeschlossen.

Woher kommen die Gefühle? Aus dem Inneren.

Und woher kommt die Bewertung der Gefühle?

»Mein Gefühl hat immer Recht!«, heißt es in dem Lied, doch auch Lustmörder haben Gefühle. Was Recht ist und was nicht, kann ein Kind nicht aus dem »Bauch heraus« entscheiden, wie es neuerdings die Fernsehkommissarinnen tun und Kandidaten bei Wer wird Millionär?.

Die Entscheidung ist sowieso schon gefallen. Das Kind hat gelernt, dass es ein Nein-Gefühl haben soll – ja, haben muss –, und unser Beispielkind mit der rutschenden Wollstrumpfhose wird demnächst auch eins haben, wenn es sich erinnert, dass nach der letzten Berührung durch den Vater die Polizei anrückte.

Aus der heilen Welt ist eine geile Welt geworden. Eine böse, geile Welt. Die vielfältigen Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt und gegen Missbrauch – wie die vom Donna-Vita-Verlag – haben ein Nein-Gefühl zunächst herausgekitzelt, dann aufgeblasen und in vielen Fällen überhaupt erst erschaffen. Nun herrscht der Horror einer ständigen Bedrohung durch männliche Sexualität. Das will die Mikado-Studie der Uni Regensburg genauer erforschen. Sie richtete an Acht- und Neuntklässler Fragen wie diese: »Hat dich jemals jemand dazu gedrängt, seinen Penis oder den einer anderen Person in den Mund zu nehmen?« »Wurdest du jemals von einer anderen Person zur Prostitution (Sex gegen Geld) gezwungen?« Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt für solche Erhebungen Millionenbeträge zur Verfügung und belohnt Mädchen, die mit ja antworten, mit Aufmerksamkeit; sich selbst belohnt es mit der Einbildung, dass seine Politik richtig sei.

Das Ja-Gefühl ist eine Falle. Das musste nicht nur der Junge aus Erfurt erleben. Ein Ja darf gar nicht sein, weil es ein Ja zum Missbrauch wäre. Auch Päderasten sollten sich nicht auf das Jawort eines Kindes berufen dürfen. Sie versuchen es nichtsdestoweniger. Vielleicht werden sie bald Erfolg damit haben, denn ein Kind soll neuerdings ein »Recht auf Sexualität« geltend machen dürfen, und wenn das Kind »selbst« bestimmt und die »Gefühle« immer »Recht« haben, dann ist die Tür zur Legalisierung von Sex mit Kindern geöffnet.

Kindern bleibt ein Ausweg aus der Zwickmühle: Das Ja zur gleichgeschlechtlichen Liebe. Was sie an »Vielfalt« akzeptieren sollen, ist nicht viel, sondern wenig. Akzeptieren soll ein Kind nicht etwa eine verlockende Vielfalt, sondern die speziell empfohlene Homosexualität, die den Vorteil hat, dass sie frei ist vom Missbrauchsverdacht. Da lernt ein Junge in der siebenten Klasse, wie man ein Kondom benutzt, und der Lehrer sagt dazu – es folgt eine Szene aus dem richtigen Leben von heute mit echten Kindern –: »Und dann ab damit in den Popo!«

Für Mädchen lautet die Lösung: lesbisch werden. Die Vagina-Monologe der Theaterautorin Eve Ensler wurden am V-Day (V wie Vagina, wie Victory Over Violence und wie Valentinstag), dem Aktionstag gegen Gewalt, im Europaparlament vorgetragen – um Zeichen zu setzen. Eines der Zeichen, das in einer Szene aus den Monologen gesetzt wird, sieht so aus: Ein junges Mädchen wird von einer älteren Frau zum lesbischen Sex verführt. Anschließend wird ihm erklärt, dass es keine Vergewaltigung war.

So ist es korrekt. Aber es müssen alle mitmachen. Wenn Eltern nicht mitmachen wollen und ihre Kinder vom Sexualkundeunterricht fernhalten, droht ihnen – zumindest in einigen Bundesländern – Erzwingungshaft. So wird die behauptete »Zwangsidentität«, der wir angeblich unterliegen, mit echtem Zwang abgeschafft. Dann haben wir tatsächlich eine Zwangsidentität.

Blutige Experten

Beim Thema Sex wird gelogen. Da fragt man Frauen und Männer, ob sie schon mal fremdgegangen sind, und stellt fest, dass es so viel mehr Männer als Frauen sind, die einen Seitensprung zugeben, dass da schon rein statistisch etwas nicht stimmen kann. Dann gibt es eine zweite Fragerunde, diesmal – so behauptet man jedenfalls – mit einem Lügendetektor. Schon tun es Frauen und Männer etwa gleich oft.

Auch im Krieg wird gelogen. Wir haben es heute mit einem besonderen Krieg zu tun – dem Geschlechterkrieg. Da wird gelogen wie in anderen Kriegen auch. Und wie in der Politik. Verdeckte Foulspiele, kleinere und größere Gesetzesübertretungen gehören schon beim normalen Politikbetrieb zum Tagesgeschäft. Für feministische Aktivisten, die außerhalb der »männlichen Logik« unterwegs sind, ist es ein selbstverständlicher Teil ihres Tuns, mit Übertreibungen, Halbwahrheiten und mit künstlichen Aufgeregtheiten zu operieren, die sie für zutiefst berechtigt halten, solange alles dem »guten Zweck« dient.

Was als guter Zweck gilt, geht aus den fünf Punkten hervor, in denen Dale O’Leary die Forderungen der Pekinger Weltfrauenkonferenz zusammengefasst hat. Wir sollten uns nicht täuschen und in dieser Frage etwa einen Streit zwischen konservativen und fortschrittlichen Kräften erwarten. Sie streiten nicht, sie sind sich einig. Der Konsens umfasst alle, er geht über Partei- und Landesgrenzen hinweg. Es ist eines der Kennzeichen totalitärer Regime, dass sie, wie uns Hannah Arendt erklärt, die Frage, ob sie links oder rechts sind, unbedeutend machen.

Für die Konservativen ist das Mitschwimmen mit der Gender-Agenda eine Frage des Machterhalts, für alte Linke und neue Grüne Voraussetzung für die Erfüllung eines Traums aus einer ganz frühen Phase der russischen Revolution – des Traums von Wilhelm Reich, dem »Vater der sexuellen Revolution«. Er war nicht der einzige Träumer. Auch Georg Lukács, ein Vordenker der Frankfurter Schule, der vor allem als Literaturkritiker bekannt wurde, hatte, als er stellvertretender Volkskommissar für Unterrichtswesen der ungarischen Räterepublik war, ein Programm der freien Liebe eingeführt.

Das ist wenig bekannt.

Umso bekannter ist das Schlagwort von der »antiautoritären Erziehung«, das zum Grundbestand der 68er Ideale gehört und schon deshalb großen Widerhall fand, weil man in dem »autoritären Charakter«, wie ihn Erich Fromm beschrieb, genau den Typus erkannte, der für Fremdenhass, Kadavergehorsam und letztlich für den Krieg verantwortlich war. Wenn man der Entstehung so eines »Charakters« entgegentrete, so die Folgerung, wehre man den Anfängen und leiste damit einen Beitrag zum Frieden. Diesen Eindruck vermittelte das 1960 erschienene Buch Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing. Der britische Pädagoge Alexander S. Neill berichtet darin von Erfahrungen, die er schon in den zwanziger Jahren in der von ihm gegründeten Privatschule Summerhill gemacht hatte – einer Schule, die auf Kinder mit Verhaltensproblemen spezialisiert war.

Neill war ein Freund von Wilhelm Reich, der wiederum seinen Sohn Peter zu ihm auf die Schule schickte. Obwohl Neill mit dem Ausdruck »antiautoritär« nicht in Verbindung gebracht werden wollte, veröffentlichte der Rowohlt Verlag die deutsche Taschenbuchausgabe 1969 unter dem Titel Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. So neu und provokant sie wirken mochten, die Methoden der sogenannten antiautoritären Erziehung waren alt und schon fast wieder in Vergessenheit geraten.

Unter »antiautoritär« wurde nicht zuletzt »sexuell freizügig« verstanden. Die Sexwelle, die in den sechziger Jahren heranrollte, erfasste nun auch Kinder, und das galt als – politisch gesehen – gut so. Das berühmte Foto aus der Kommune 1 zeigt nackte Männer und Frauen neben nackten Kindern. In Universitätsstädten wurden »Kinderläden« gegründet, die sich – wie Buchläden von Buchhandlungen – vom Kindergarten dadurch unterschieden, dass sie »fortschrittlich« und mehr oder weniger antiautoritär waren. Auch in jungen Familien setzte sich ein »antiautoritärer« Erziehungsstil durch, der den Eltern das Gefühl gab, auf der Höhe der Zeit zu sein, aber eigentlich nur darin bestand, dass man die Kinder machen ließ, was sie wollten.

In manchen der Kinderläden konnten die Kleinen schon bis vier zählen und lernten die Parole: »Eins, zwei, drei, vier. Kommunisten sind wir!« Eine politische Identität wurde ihnen so früh wie möglich eingetrichtert. Eine sexuelle auch. Theorien, die die Themen Sexualität und Marxismus verbanden, wurden abgestaubt und wiederaufgelegt; Hans-Peter Gente gab die Taschenbücher Marxismus Psychoanalyse Sexpol Band 1 und 2 heraus – das Kurzwort Sexpol steht für den von Wilhelm Reich begründeten Reichsverband für proletarische Sexualpolitik, eine Unterorganisation der damaligen KPD. Im Jahre 1970 schrieb Hans-Jochen Gamm, der bekannt war für eine radikal verstandene pädagogische Parteilichkeit, die sich am Marxismus orientiert: »Wir brauchen die sexuelle Stimulierung der Schüler, um die sozialistische Umstrukturierung der Gesellschaft durchzuführen und den Autoritätsgehorsam einschließlich der Kinderliebe zu den Eltern gründlich zu beseitigen.«

Was ist die Grundidee – damals wie heute? Zuerst wird ein Keil zwischen die Generationen getrieben. Die Kinder werden den Eltern entfremdet, um sie dem Staat zu überlassen, dem sie dann schutzlos ausgeliefert sind.

Können wir das hinnehmen?

Wenn wir jemanden an unsere Kinder heranlassen, der sie für »Vielfalt öffnen« will, können wir dann nicht auch erwarten, dass er seinerseits offenlegt, was für Interessen er hat und wie vielfältig diese sind? Wir sollten Aufklärung über die Aufklärer verlangen. Was wollen sie? Wollen sie die Gesellschaft umstürzen? Bisher verbotene Gelüste legalisieren? Wollen sie bei einer Mode mitmachen, weil sie gewohnheitsmäßig allem nachlaufen, was von oben kommt? Oder wollen sie einfach nur die Chance auf mediale Aufmerksamkeit nutzen und sich in Szene setzen?

Dass es nicht um das Wohl der Kinder geht, ist offensichtlich. Johann Friedrich Herbart, Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Immanuel Kant, gilt als ein Klassiker der Pädagogik. Er gab zu bedenken, dass wir alles, was wir Kindern antun, erst in deren späterem Alter bemerken werden. Ein kluger Gedanke, der nur auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als bringe die Erziehungswissenschaft lediglich Banalitäten hervor – weil es doch jeder sowieso wisse. Inzwischen sollte es tatsächlich jeder wissen: Schäden, die in früher Kindheit entstehen, zeigen sich erst später und können sich ein Leben lang auswirken. Auch dass die Kindheit »irreversibel« ist, wie Herbart betont, sollte hinreichend bekannt sein. Wir können bei Kindern nicht wie bei einem Computer auf »Neustart« gehen, noch mal von vorn anfangen und kurzerhand alle Dateien, die wir nicht mehr wollen, löschen.

Das heißt in unserem Fall, dass wir das Kindeswohl nicht losgelöst von der späteren Entwicklung beurteilen können. Wer es trotzdem tut, erweist sich als Scharlatan. Studien, die belegen wollen, dass das Kindeswohl nicht gefährdet ist, sind wertlos. Sie können die Problematik überhaupt nicht erfassen, es sei denn, die Forscher wären – wie bei einem Sciencefiction-Film – in eine Zeitmaschine gestiegen und wohlbehalten mit guten Nachrichten zurückgekehrt.

Wir haben es mit »Experten« vom Schlage einer Bettina Wulff zu tun, einer Anna-Maria Philipps oder einer pädagogischen Blindgängerin wie Prof. Dr. Luise F. Pusch, nach deren Vorgaben sich die Anhänger der »geschlechtergerechten« Sprache richten. Sie machte 1991 anlässlich einer Kindergärtnerinnensynode, bei der ausgerechnet sie als »Expertin« geladen war, den Vorschlag, den »Buben« – wie man in Winterthur sagt, wo das Treffen stattfand –, »Wunden« zuzufügen, falls sie sich »frauenfeindlich« zeigen; denn diese »Verletzungen heilen sowieso wieder zu schnell.«

Wir sprechen von einem »blutigen Laien«, wenn jemand keine Ahnung hat. Günther Anders hat vorgeschlagen, lieber von »blutigen Experten« zu sprechen, weil es gerade die Fachidioten seien, an deren Fingern Blut klebe. Nicht alle Experten sind Fachidioten, aber viele sind nützliche Idioten.

Die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung – Pro Familia bildet neuerdings Teenager zu sogenannten »Sexperten« aus. Das sind Vierzehn- oder Fünfzehnjährige, die vor Gleichaltrigen über verschiedene Sexualpraktiken referieren und durch ihre jugendlich unbefangene Art dazu beitragen sollen, Hemmungen zu überwinden.

Ein Experte ist heute nicht etwa jemand, der wissenschaftlich arbeitet und sich auf seinem Fachgebiet besondere Qualifikationen erworben hat, er muss vielmehr in der Lage sein, genau den Moment abzupassen, wenn die Politik dabei ist, ein neues Terrain abzustecken, auf dem sie sich ausbreiten will. Der Experte von heute meldet sich immer dann zur Stelle, wenn neue Opfergruppen erfunden werden und nach neuen Maßnahmen gerufen wird. Er gilt als besonders kritisch – und damit als mutig und glaubwürdig –, wenn er im großen Stil Vorwürfe gegen die gesamte Gesellschaft erhebt und ihr ein schändliches Versagen vorhält, das nicht länger zu ertragen sei. Zum »Beweis« werden dann Betroffene präsentiert, die sich aber oft nicht gut genug darstellen und ihre Nöte nicht richtig formulieren können. Dafür gibt es dann die Experten, die sich dadurch ausweisen, dass sie mit Begriffen, die wir noch nie gehört haben, auftrumpfen und neue Abkürzungen in die Welt setzen – wie LSBTTIQ.

Was ist das?

Es ist ein überparteilicher und weltanschaulich nicht gebundener Zusammenschluss von lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuellen und »queeren« Gruppen, Vereinen und Initiativen, LSBTTIQ also. Die Buchstabenkombination erinnert an Zungenbrecher, wie sie Kinder mögen; der Volksmund spricht sie »Lesbo-Titti-Kuh« aus. Um diese Kuh wird bei der Durchführung der »Bildungsplanreform 2015« in Baden-Württemberg ein Tanz veranstaltet, als wäre es der Tanz um das Goldene Kalb: Alles dreht sich um die Lesbo-Titti-Kuh, deren Interessen fächerübergreifend berücksichtigt werden sollen. In Zukunft sollen Lehrkräfte die Schüler an eine neue Sexualethik heranführen, in der sämtliche LSBTTIQ-Lebensstile ohne ethische Beurteilung als gleichermaßen erstrebenswert hingestellt werden. Alle Varianten der Sexualität werden dadurch als neue Norm angesehen und der Ehe zwischen Mann und Frau gleichgestellt.

Solche Initiativen sollte man nicht leichtfertig als »Lobby-Gruppen« bezeichnen. Sie halten sich nämlich gar nicht erst in der Lobby – also im Vorraum – auf, wo sie darauf warten müssten, irgendwann vorgelassen zu werden. Sie haben längst in der guten Stube der Politik Platz genommen. Sie sind die neuen Günstlinge, die es geschafft haben, die Gunst der Stunde zu nutzen.

Es hat sich in zweierlei Hinsicht eine »Verantwortungslücke« aufgetan. Zum einen gibt es keine Personen, die Verantwortung übernehmen könnten. Zum anderen erlaubt der Faktor Zeit, auf den Herbart hingewiesen hat, unverantwortliches Handeln. Man kann also in unserem Fall nicht sagen, dass irgendjemandem »die Zeit davonläuft«, vielmehr erlaubt die Zeit allen Tätern und Mittätern davonzulaufen. Erst mitlaufen, dann weglaufen – so machen es die, die es nachher nicht gewesen sein wollen. Wann sollte denn auch der richtige Zeitpunkt für eine kritische Überprüfung der Maßnahmen zur sexuellen Verfügbarmachung der Kinder sein? Wen sollte man dann für die seelischen Verwundungen verantwortlich machen?

Verantwortungslücken sind brandgefährlich; denn sie erlauben, wie es Günther Anders nennt, die »Möglichkeit zur unbestraften Unmenschlichkeit«, sie locken speziell Leute an, die so eine Chance nutzen wollen, um das auszuleben, was ihnen sonst untersagt wäre. »Schwärmer, wie bist du getäuscht, nimmst du die Menschen für gut!«, sagt Goethe in einer Zeile aus den Xenien.

Das Gute ist nicht selbstverständlich.

Das Böse schon. Es gibt einen Bodensatz von Feindseligkeit in jeder Beziehung, der durch besondere Umstände aktiviert werden könnte. Darauf hinzuweisen ist banal und müßig. Um das Schlechte und Böse zu vermeiden, müssen Verantwortungslücken sorgsam beobachtet und nach Möglichkeit geschlossen werden. An die neuen »Aufklärer« und »Befreier«, die oft selber keine Kinder haben und sich fremden Kindern zuwenden, müssen wir besonders hohe Ansprüche stellen, wenn uns das Kindeswohl etwas wert ist.

Ist es das? Den meisten Eltern gewiss, aber im Streitfall ist es ein Muster ohne Wert. Jugendämter und Gerichte agieren in einem unübersichtlichen Verschiebebahnhof von Zuständigkeiten: Da treten selbstgerechte Vereine und Interessengruppen auf, gelangweilte Richter (die sich hinter Gutachtern verstecken), teure Gutachter (die sich hinter Richtern verstecken), überforderte Prozessbegleiter (die sowieso nicht zuständig sind) und angeberische Rechtsanwälte (die ihr eigenes Geld verdienen wollen). Wenn ein Kind bei diesem grausamen Schauspiel den Eindruck hat, dass alle aus Eigeninteresse über seinen Kopf hinwegreden, dann trügt er nicht.

Das Kindeswohl ist in diesem Drama so etwas wie ein Joker und eine Karo Sieben zugleich. Einerseits sticht die Karte bei Familienstreitigkeiten, andererseits ist sie nichts wert. Familienrichter wissen, dass sie über das Kindeswohl substantiell nichts wissen können. Sie müssten eigentlich im Zweifel stets im Interesse der Kinder handeln und möglichen Schaden von ihnen abhalten. Doch gerade das tun sie nicht. Sie wissen, dass Scheidungen einem Kind Wunden zufügen; sie wissen, dass die Ausgrenzung eines Elternteils das Kind quält. Sie wissen, dass Prozessverzögerungen dem Kind schaden – und sie wissen, dass es letztlich um Geld geht.

Auch für die von der Politik abhängigen »Wissenschaftler«, »Experten« und Verfasser von Expertisen ist das Kindeswohl terra incognita. Es wird nicht einmal eine vorläufige Bestandsaufnahme gemacht. Wenn einzelne Studien bekannt werden, die das Elend dokumentieren, werden sie ignoriert. Wer wissen will, wie es Scheidungskindern geht und wie sich Kukkuckskinder fühlen, muss sich an Selbsthilfeorganisationen und private Initiativen wenden. Die Politik beschränkt sich darauf, Schaden anzurichten. Würde sie ihn zur Kenntnis nehmen, dürfte sie nicht mehr so weitermachen.

Ginge es nach dem Willen der Politik, dürften Kinder bei der Non-Stop-Sex-Party der Erwachsenen mitmachen, wenn sie auf ihre Kindheit verzichten, wenn sie sich sexualisieren und schon im Kindergarten auf ein »vielfältiges« Sexleben vorbereiten lassen. Neuerdings wird behauptet, Kinder hätten ein »Recht« auf Sexualität, es wird aber »vergessen«, dass sie zunächst einmal ein Recht auf Identität haben, ein Recht darauf zu wissen, wer der Vater ist.

Es wird so getan, als gäbe es die seriösen Forschungen zu dem Thema nicht mehr und als könnte man alles über Bord werfen, was Pädagogik und Psychologie hervorgebracht haben, alles, was man an Lehren aus der literarischen Überlieferung und der Geschichte – und aus den Erfahrungen unserer Eltern – ziehen könnte. Als könnten wir unser Schiff noch ein Weilchen vor dem Sinken bewahren, indem wir es leichter machen.

Vorwärts in die Vergangenheit

Der Mensch ist ein sehr fragiles Lebewesen. Es gab Zeiten, da erreichten achtzig Prozent der Kinder nicht das zwölfte Lebensjahr, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts schaffte nur jedes zweite Kind das fünfte. Michel Montaigne sagt von sich, er wisse gar nicht, wie viele Kinder er hatte, er wisse nur, dass sie alle jung gestorben seien. Das mag roh und kaltherzig klingen, als hätten die Menschen in grauer Vorzeit nur eine geringe Wertschätzung für Kinder gehabt. Doch wir müssen bedenken, dass es sich die Menschen nicht leisten konnten, eine Anhänglichkeit zu einem Neugeborenen zu entwickeln, wie wir sie heute kennen, weil die Kindersterblichkeit enorm hoch war. Es war eine evolutionsbiologische Notwendigkeit, dass sich der Mensch gegen seine Zuneigung und Begeisterung für das Kind immunisieren konnte.

Das ist heute anders. Die Kindersterblichkeit ist – zumindest auf den ersten Blick – niedrig. Doch die Abtreibungszahlen sind hoch. Und im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik kommt es über die Selektion von Embryonen (nach der künstlichen Befruchtung) zu einer neuen Form von Kindersterblichkeit, der Embryonensterblichkeit.

Es lohnte sich früher nicht, Kinder unter allen Umständen am Leben zu halten oder sich wenigstens um ihr Seelenheil zu kümmern. Manchmal aber doch. Bei dem kleinen Antonio Vivaldi, der sehr schwächlich wirkte, wurde eine Nottaufe vorgenommen, weil man fürchten musste, dass er gleich sterben würde, was er glücklicherweise nicht tat. Leopold Mozart wird gelegentlich vorgeworfen, seine Kinder viel zu großen Belastungen ausgesetzt zu haben, indem er sie auf gefährliche Reisen mitnahm. Doch er war überzeugt, das unbedingt tun zu müssen, weil Gott ihm diese Talente geschenkt hatte, die er nicht für sich behalten durfte. Er musste schon deshalb den kleinen Wolferl und das Nannerl so schnell wie möglich in der großen weiten Welt vorführen, weil beide, wie er fürchtete, nicht lange zu leben haben würden. Damals gab es schon so etwas wie eine Sensationspresse mit Meldungen über Wunderkinder, die alle früh verstarben.

Aus dieser Überlegung heraus kam auch die Kritik am Verhalten von Vater Mozart. Dass man Kinder »lieben«, wie es Voltaire und andere Aufklärer seinerzeit forderten, dass man ihnen ihr Leben auf Erden gönnen solle und sie schonen müsse, weil ihre Zeit womöglich nicht lange währte, das waren ungewohnte Töne. Es war nicht selbstverständlich.

Es gab in der Geschichte immer wieder Zeiten, in denen nicht zu viele, sondern zu wenige Kinder geboren wurden. Schon bei den Griechen gab es solche Phasen. Etwa 150 v. Chr. mussten sie fürchten, dass Griechenland sich abschafft, wie man in Analogie zum Titel von Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab sagen könnte. Der Geschichtsschreiber Polybios sieht in seinen Historien die Ursache für das damalige Elend, das er mit ansehen musste, im Rückgang der Geburtenraten, weil »die Menschen keine Lust mehr zum Heiraten haben«. Kinder hatten keinen Wert mehr. Sie wurden in Jauchegruben geworfen und auf Misthaufen ausgesetzt.

Heute werden Kinder in den Mikrowellenherd oder in eine Tiefkühltruhe gesteckt. Meldungen dieser Art schaffen es gelegentlich auf die Titelseiten der Sensationspresse. »Früher dachte ich, das sind Einzelfälle«, sagte der Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos. Doch über die Jahre sah er sich immer wieder mit unvorstellbaren Grausamkeiten konfrontiert, die er in dem Buch Deutschland misshandelt seine Kinder (2014) schildert, das er mit Saskia Guddat zusammengestellt hat. Da wird von Müttern berichtet, die Kleinkinder auf heiße Herdplatten oder in Badewannen mit kochend heißem Wasser setzen, und von Vätern, die ihre Kinder ins Koma prügeln. Pro Woche sterben in Deutschland drei Kinder durch Quälerei und Gewalt. Der Präsident des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke spricht davon, dass in Deutschland jeden zweiten Tag ein Kind Opfer eines Tötungsdeliktes wird.

Hier gibt sich der »Krieg gegen das Kind« in seiner grausamsten Form zu erkennen.

Die öffentliche Aufregung darüber hält sich in Grenzen. Auf der Internetseite Deutsches Dokumentationszentrum weiblicher Gewalt werden solche Fälle seit dem Jahre 2003 gesammelt. Der Name klingt, als wäre es eine offizielle Seite – so ist es nicht. Die Seite wurde von einer Privatinitiative erstellt, und die Betreiber weisen extra darauf hin, dass sie nicht vom Bundesministerium gefördert werden. Das ist nicht überraschend: Sie geben die Schuld an dem grausamen Geschehen nicht ausschließlich den Männern, sie klagen ebenfalls die Frauen an.

So vermitteln es uns die Politiker und die Medien nicht. Wenn bei uns jemals zwischen Prominentenklatsch und Katastrophenmeldungen aus fernen Ländern über dieses Thema berichtet wird, dann stets so, dass Frauen dabei in Schutz genommen und selbst aus überführten Täterinnen Opfer gemacht werden: »Wie einsam muss eine Frau sein, die heimlich ein Kind zur Welt bringt, es tötet und im Keller versteckt, um kurz darauf wieder neben ihrem Mann vor dem Fern seher zu sitzen? Wie blind muss ein Partner sein, wenn er die Schwangerschaft nicht bemerkt?«, fragt der Spiegel, der in derselben Ausgabe berichtet, dass die Zahl der Kindstötungen seit dem Jahre 2010 um zwanzig Prozent gestiegen ist.

Wenn es um die Bestrafung von Frauen geht, wird eher Rücksicht genommen als bei Männern. Es wird sogar eine generelle Straffreiheit für Frauen diskutiert. Neuerdings wird gefordert, dass Abtreibungen noch im neunten Monat legal sein sollen – selbst nach der Geburt noch, was nichts anderes wäre als Kindstötung. Ausgelöst wurde die Debatte darüber durch einen Artikel des Medizinethikers (!) Alberto Giubilini und der Philosophin Francesca Minerva: After-birth-abortion: Why should the baby live? aus dem Jahre 2012. Frauen sollen entschuldigt werden. Sie sollen sich nicht vor dem Gesetz fürchten. Auch nicht vor einer moralischen Verurteilung. Sie sollen sich vor niemandem verantworten müssen. Auch nicht vor ihrem Gewissen. Auch nicht vor Gott.

»I AM GOD« stand auf der entblößten Brust einer Femen-Aktivistin zu lesen, die sich im Kölner Dom in Szene setzte. Die Frau sieht sich also als Gott. Doch sie ist es nicht, sie beansprucht lediglich einen Tyrannen-Status. Tyrannen können Todesurteile aussprechen. Es ist jedoch nicht so, wie man gemeinhin sagt, dass sie über »Leben und Tod« entscheiden können. Sie können nur über den Tod entscheiden. Nicht über das Leben. Sie können Leben zerstören, aber nicht erschaffen.

Wie konnte es zu solchen schamlosen Selbstüberhebungen und Kaltherzigkeiten gegenüber Kindern kommen?

Ist womöglich das Kinderkriegen eine Herausforderung, die mehr gefürchtet als ersehnt wird? Ist es etwa so, dass in Zeiten, in denen es den Menschen relativ gut geht und sie das Gefühl haben, sie hätten ein Niveau erreicht, das sich nicht mehr steigern lasse, der Nachwuchs vernachlässigt wird? Wird das Kinderkriegen in dem Moment als gefährlich und werden Kinder als lästig empfunden, wenn die Gesellschaft im Luxus lebt und meint, auf solche Risiken verzichten zu können? Wenn man zurückblickt, scheint es gar, als hätten Menschen eine Art Kippschalter und könnten von Kinderliebe, die bis zur Selbstaufopferung reicht, problemlos auf Gleichgültigkeit und Taubheit gegenüber Kindern umschalten, deren sie sich dann ohne Gewissensbisse entledigen können.

Wir vergessen leicht, dass das Gebären und die Mühe, ein Kind wenigstens über die ersten Runden des Lebens zu bringen, im wahrsten Sinne des Wortes eine Lebensaufgabe war. Im Mittelalter gab es Frauen, die nur selten oder fast gar nicht ihre Periode hatten, weil sie ständig schwanger waren oder gerade stillten. Oft haben nicht nur Kinder, sondern auch ihre Mütter die Geburt nicht überlebt. Es verstarben derartig viele dabei, dass man das Kindbett als »Schlachtfeld der Frauen«, auf dem sie den »Heldentod« starben, bezeichnet hat. Nur in Ausnahmefällen blieb Frauen Zeit für anderes, als zu gebären und Kinder aufzuziehen.

Aus feministischer Sicht erscheint diese Situation als eine einzige Unterdrückung. Es wird unterstellt, dass eine Verschwörung von Männern selbst den hochbegabten Frauen grundsätzlich eine »faire Teilhabe« am gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Leben verwehrt hätte. Aber warum hätten Männer so etwas tun sollen? Es war das Leben selbst, das lebensbedrohlich war, und es war die Weitergabe des Lebens, die Frauen vollständig in Beschlag nahm. Die feministische Sichtweise macht da aus einem malum naturale ein malum morale und macht den Mann pauschal für etwas verantwortlich, was in der Natur (die man leugnet) liegt und nicht im Einflussbereich der Männer (die man als allmächtig imaginiert).

Die noble Venezianerin Modesta Fonte, die wir als sehr frühe – möglicherweise erste – Stimme der querelle des femmes kennen, konnte sehr wohl ein Buch schreiben und sich am geistigen Leben der Stadt beteiligen. Niemand verwehrte ihr das (sie sperrte allerdings ihrerseits Männer aus ihrem Colloquium aus). Sie starb im Jahre 1592 an Komplikationen nach der Geburt ihres vierten Kindes. Für die streitbare Ur-Feministin war – wie für andere Frauen auch – das Kinderkriegen eine Selbstverständlichkeit. Und es war lebensgefährlich.

Wie empfindet eine Frau das Wunder und den Schrecken der Geburt? Eine eindrucksvolle Beschreibung finden wir an einer Stelle, an der wir es nicht erwarten. Maria Montessori fügt in ihrem Buch Kinder sind anders ein kleines »Biologisches Zwischenspiel« ein. Es ist kursiv gesetzt, also auch optisch herausgehoben. Damit ändert sie die Tonlage, in der ihr Buch sonst gehalten ist, als würde sie beiseite treten und plötzlich an einem ganz anderen Buch schreiben. Es muss für sie eine dramatische Situation gewesen sein, weil es um die Geburt ihres eigenen, unehelichen Kindes ging, das sie lange verheimlicht hat. »Von einem Menschen habe ich gehört, der in der Stille gelebt hatte«, schreibt sie. Schließlich kommt dieser Mensch in einem gewaltigen Kraftakt auf die Welt und »stößt einen lauten Schrei aus«. Und was hört die Mutter aus diesem Schrei heraus?

Der Mensch ruft: »Warum hast du mich verlassen?«

Die ersten Worte des Menschen sind zugleich die letzten Worte Jesu. »Und das ist das erste Mal, dass der Mensch in seinem Dasein den sterbenden Christus wie auch den Christus der Auferstehung widerspiegelt.«

Es scheint eine dünne Trennwand zwischen Leben und Tod zu geben. Wenn wir uns den Vorgang der Geburt als riskante Reise vorstellen, auf der man verschiedene Hindernisse überwinden muss, dann ist mindestens eines dabei, das lebensgefährlich ist. Lebenslust und Todeskult berühren einander, und es scheint im Grenzverlauf undichte Stellen zu geben. Bei einer Geburt reicht eine Frau dem Tod den kleinen Finger, und die Nähe zum Schöpfungsgeheimnis ist gleichzeitig eine Begegnung mit dem Mysterium des Todes. Wenn man religiös ist, wie es Maria Montessori war, kann man darin eine Gnade Gottes sehen, eine Nähe zum Schöpfer, die den Frauen gewährt ist und die ihnen ein einmaliges Glück verschaffen kann, das allerdings mit einem existentiellen Risiko verbunden ist und Menschen zu Dankbarkeit und Demut bringt. So erklärt sich auch die Schutzbedürftigkeit der Frau, die zu der Bezeichnung »schwaches Geschlecht« geführt hat, und so erklärt sich ihre Angst. Sie bestimmt das Verhältnis zum Kind. Daran ändern auch die neue Medizin und der Feminismus nichts.

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