Kitabı oku: «Fliederbordell», sayfa 2

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3. KAPITEL

„Der Bereich hier“, sagte Krause unbekümmert und deutete mit dem Kugelschreiber auf die ausgewaschenen Haare der Leiche, „der ist so zertrümmert, dass ich euch weiß Gott nicht sagen kann, womit dem der Schädel eingeschlagen worden ist. Da hat einer wie verrückt drauf gedroschen und … naja, was dabei rauskommt, seht ihr ja. Das macht kein Schädel mit. Reinster Brei.“

„Also nichts Konkretes“, meinte Thamm angewidert und trat einen Schritt von der Leiche zurück. Das hier war echt nicht sein Metier. Schon allein die bis zur Decke hoch gefliesten Wände, die so überdeutlich verkündeten, dass es hier nicht ganz sauber zuging in diesen Räumen, jagten ihm regelrecht Schauer über den Rücken. Hier ging es nicht um den friedlichen Tod, das sanfte Entschlafen, und auch nicht um den lieben Verblichenen, den irgendwer gnädig doch noch zu sich gerufen hatte. Der Tod, wie er hier zur Debatte stand, war nicht so verklärt, aber irgendwie auch nicht rein wissenschaftlich – das höchstens für die Gerichtsmediziner, die auf unbegreifliche Weise gelernt hatten, völlig unbeteiligt tote Menschen aufzusäbeln und auseinanderzunehmen und dabei doch nur Organe und Gewebe zu sehen. Ja, solche Leute wie Krause konnten den ganzen Tag in einem kalten Brustkorb wühlen und anschließend nach Hause fahren und die Kinder am Kaffeetisch nach den Hausaufgaben fragen. Sie brauchten dafür nicht einmal eine Dusche.

Thamm konnte das nicht so einfach. Für ihn ging es nicht um den Menschen, um die Traurigkeit des Todes oder um den Anblick einer sezierten Leiche – zart besaitet war er nie gewesen. Was ihn ekelte, war der Gedanke an Verwesung und Fäulnis, an Bakterien und Viren, die sich von der Leiche aus überallhin verteilten, selbst an den schön geputzten, weißen Fliesen saßen und auch auf ihn übergingen. Er spürte sie regelrecht auf seiner Haut, wie sie sich vermehrten und auch ihn langsam befielen. Das beklemmende Gefühl, von widerwärtigen Keimen umgeben zu sein, löste in ihm heftigen Brechreiz aus, der sich nur schwer zurückhalten ließ.

„Und dafür rufst du uns in deine Katakomben?“, fragte er entnervt. „Für rein gar nichts?“

„Junge, ich hab den Kerl erst seit gestern Abend auf dem Tisch, also was willst du?“, giftete Krause unbeeindruckt zurück.

„Und gibt es noch andere Anzeichen von Gewaltanwendung?“, fragte Wolff nach und lenkte das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema. Ihn schien der Anblick der Leiche kein bisschen zu bewegen, stellte Thamm verständnislos fest. Oder tat der neue Kollege nur so, um sich vor ihm zu behaupten?

„Genau deswegen hab ich euch ja runtergebeten!“, meinte Krause, nun doch ein wenig verärgert. „Wenn mich nur mal einer ausreden lassen würde, dann hätten wir das auch alles schon längst geklärt! Da sind natürlich jede Menge Hämatome, aber alle nicht der Rede wert. Aber hier“, zeigte er wieder mit dem Kugelschreiber, diesmal ein paar Handbreit unter dem Kopf, in die Mitte des Rückens. Thamm versuchte, sich ganz auf die angedeutete Stelle zu konzentrieren und bloß nicht noch einmal auf den Hinterkopf zu sehen, wo er die gräuliche Masse zwischen den offenen Knochen noch deutlicher erkennen würde, jetzt, nachdem Krause die Leiche gesäubert hatte.

Dort aber, zwischen den Rippen, sah es dagegen beinah harmlos aus. Nur ein hässlicher Bluterguss, der sich dunkel auf der hellen Haut abgesetzt hatte, nicht mehr.

„Ein Schlag?“, fragte Wolff.

„Dachte ich auch erst“, gab Krause zu. „Aber dann hab ich die Einstiche bemerkt.“

Thamm horchte auf. Einstiche? Er überwand seinen Ekel und beugte sich tief über den toten Körper. Ja, da konnte er sie deutlich erkennen: zwei oder drei eng nebeneinander gesetzte Stiche, ziemlich breit für eine Injektionsnadel und doch … was sollte es anderes sein?

„Bevor ihr weiter rumratet, sag ich es euch mal lieber gleich“, fuhr Krause fort. „Ich hab natürlich zuerst auf eine Vergiftung getippt. Aber dann stellte sich heraus, dass hier jemand versucht hat, den Kerl ein bisschen aufzupumpen.“

Krause blickte in zwei fragende Gesichter. „Jemand hat ihm Luft injiziert“, erklärte er nachdrücklich.

„Du meinst, er wurde mit Luft vergiftet?“, fragte Thamm zweifelnd nach, aber Krause verdrehte nur die Augen. „Doch nicht durch so ein bisschen Rumgekiekse im Rücken! Da müsste man schon die Vene treffen und dann ganz gezielt … Das kriegt ein Laie gar nicht zustande.“

„Jetzt bin ich draußen“, gestand Wolff. „Also wurde ihm jetzt doch keine Luft eingespritzt?“

„Nein“, gab Krause ziemlich genervt zur Antwort. „Noch mal zum Mitschreiben. Jemand hat dem Kerl hier den Schädel eingeschlagen, ist ja unschwer zu erkennen, okay? Und hinterher hat er, scheinbar um ganz sicherzugehen, versucht, ihn noch mit Luft zu töten.“

„Nach so einem Gemetzel?“, fragte Thamm ungläubig.

„Klingt komisch, ist aber so. Und das lässt darauf schließen, dass der Täter extrem panisch agiert hat. Wer erstens so eine Dresche verteilt und zweitens dann noch die Lage so verkennt, dass er dieses sinnlose Spritzen für nötig hält – der hat sie nicht mehr alle.“

Thamm rümpfte leicht die Nase. Er mochte es nicht sonderlich, wenn Krause seine Befunde schon mal frei von der Leber weg interpretierte. Das war Thamms Aufgabe.

„Möglich“, sagte er deshalb nur, was Krause nicht gerade beflügelte. Wolff aber hatte sich an einem anderen Detail festgebissen. „Müssten wir den Täter also im medizinischen Bereich suchen?“, fragte er den Pathologen. Doch der hielt sich nun nach Thamms Zurückhaltung bedeckt. „Kann sein“, sagte er abwiegelnd. „Eine Spritze hat doch heute fast jeder im Haus. Und wenn nicht, kriegst du die in jeder Apotheke. Darauf würde ich mich jetzt nicht unbedingt versteifen.“

Seitenblick zu Thamm, der so tat, als würde er ihn nicht bemerken.

„Kommen wir mal zu einer ganz anderen Sache“, meinte er. „Wissen wir schon, mit wem wir es hier eigentlich zu tun haben?“

Krause schüttelte den Kopf. „Da haben wir nichts. Ein DNA-Abgleich hat nichts erbracht. Den Kerl führen wir nicht bei uns in der Kartei. Könnt ihr nur auf die Vermisstenmeldungen und einen Zahn-Abgleich hoffen. Das dürfte sich aber hinziehen, immerhin müsstet ihr dafür alle Zahnärzte in der Stadt abklappern. Gut daran ist, dass unser Tote hier erst kürzlich beim Zahnarzt war. Er hat nämlich zwei ziemlich neue Kronen auf den Backenzähnen. Also hütet irgendein Arzt definitiv Unterlagen zu dem Kerl hier. Schlecht ist, dass wir nicht wissen, ob er überhaupt aus Merseburg kommt und auch hier beim Arzt war. Also hoffen wir das Beste. Und vielleicht landet ihr ja bei den Vermissten einen Treffer.“

„Und kannst du wenigstens schon was zum Todeszeitpunkt sagen?“, hakte Thamm nach, aber hier tat sich Krause schwer. „Da hast du mich erwischt“, gestand er mit einem schiefen Lächeln im Gesicht. „Die Leiche befand sich etwa einen Tag lang im Wasser. Fragt nicht erst nach verwertbaren Spuren – die gibt’s nicht. Und den Zeitpunkt der Tat kann ich auch nicht genauer einschränken. Wahrscheinlich am Sonntag zwischen zwanzig Uhr und Mitternacht. Die Ausbreitung der Totenstarre und das Absinken der Körpertemperatur sind abhängig von der Umgebungstemperatur der Leiche. An der kalten Nachtluft beispielsweise erstarrt eine Leiche langsamer …“

Thamms Telefon klingelte. Er nutzte den Anruf, um sich ein wenig von Krauses Seziertisch abzuseilen. Aber allzu sehr konnte er sich nicht an dem angenehmen Abstand von der Leiche erfreuen, denn was Jette ihm am anderen Ende sagte, war nicht gerade aufbauend. „Scheiße“, fluchte er in das Handy, dann legte er auf.

Wolff sah ihn fragend an. „Die Vermisstenmeldungen müssen warten, Krause – wir haben noch einen Toten.“

4. KAPITEL

Wolff wirkte ziemlich unruhig. Waren das die Nerven, fragte sich Thamm, jetzt schon? Das hatte ihm gerade noch gefehlt, dass sein neuer Kollege bei jeder kleinen Aufregung gleich eine blasse Nase bekäme – auch wenn er zugeben musste, dass ihm selbst dieser Fall hier auch nicht besonders geheuer war.

„Wissen wir schon irgendetwas über den Toten?“, wollte Wolff wissen.

„Nichts“, gab Thamm zurück. „Nur, dass er tot ist.“

Er parkte den Wagen direkt vor dem Eingang vom Südpark. Eigentlich eine viel zu friedliche Gegend für einen Mord, dachte Thamm. Immerhin kamen hier Familien her, Kinder – eine recht harmlose Ecke von Merseburg.

Exotisches Vogelgezwitscher flirrte durch die morgendliche Stille.

„Kommt das aus dem Park?“, wunderte sich Wolff.

Nun kam Thamm doch nicht drum herum, dem Neuen kurz zu umreißen, wo sie sich im Augenblick befanden. „Der Südpark ist so eine Art kleiner Zoo, lauter heimische Tiere – und solche, die es mal waren. Früher hatten die hier auch Tiger und ich glaube auch Pumas, aber …“

„Und hier kommt jeder rein – ohne Kontrolle?“, fiel ihm Wolff ins Wort.

Gleich wieder verschissen, dachte Thamm leicht verärgert. „Ich glaub schon“, meinte er zähneknirschend, „aber die Kollegen vor Ort werden es uns sicherlich gleich genauer sagen können.“

Den Rest des kurzen Weges in den Park hinein schwiegen sich die beiden Kommissare aus. Thamm bemerkte etwas entfernt den Streifenwagen vor dem südlichen Seiteneingang, das flatternde Absperrband zwischen dem Wildschweingehege und den Volieren. Davor hatten sich schon einige Schaulustige versammelt. Thamm sah unwillkürlich auf die Uhr. Gerade einmal kurz nach neun, dazu noch werktags: Das hatte aber schnell die Runde gemacht! Aus der Menge löste sich ein Polizist und kam auf die Kommissare zu.

„Wer leitet den Einsatz?“, fragte Thamm nach einer flüchtigen Begrüßung.

„Polizeihauptmeister Mehlhorn“, meldete der Polizist ein bisschen zu dienstbeflissen. Versucht wahrscheinlich, hinter dieser Maskerade seine Unsicherheit zu verbergen, ging es Thamm durch den Kopf. Flüchtig warf er einen Blick auf die Dienstgradabzeichen – ein Anwärter auf den Polizeimeister, auch das noch. Armes Schwein, ganz sicher nur im Praktikum beim Streifendienst und dann gleich ein Toter.

„Dann bringen Sie uns mal zu dem“, forderte Thamm etwas belustigt und folgte dem jungen Kollegen in Ausbildung, der schnurstracks die beiden Kommissare durch die kleine Menschentraube zu dem Wildschweingehege lotste.

Der Weg lag im Schatten einiger Bäume, linkerhand von den schwarz lackierten Vogelkäfigen begrenzt, aus denen ein paar herum hüpfende Kolkraben krächzende Laute von sich gaben, rechts fiel das Schweinegehege in eine dunkle Mulde ab, die von hier oben aus schwer einzusehen war. Weiter hinter lichtete sich der Baumbestand wieder, der Weg ging in eine sonnenbeschienene Wiese über. Davor hing schon wieder das nächste Absperrband, an dem sich zwei andere Streifenpolizisten allem Anschein nach nervös herumdrückten. Als sie die Kommissare erblickten, eilte einer von ihnen auf sie zu.

„Der Tierpfleger hat ihn vor etwa einer dreiviertel Stunde gefunden“, erklärte der Polizist, an Thamm gewandt. „Horst Mehlhorn, ich leite den Streifendienst hier. Wir sind seit etwa einer halben Stunde vor Ort.“

Thamm winkte ab. Das alles interessierte ihn kaum, das war ja nur der übliche Kram, der die Protokolle füllte. „Unsere Sekretärin sagte am Telefon, der Tote wäre im Schweinegehege gefunden worden. Ist das richtig?“

Mehlhorn bejahte. „Die Tiere sind inzwischen vom Pfleger in ihren Stall zurückgetrieben worden. Aber wie lange sie mit der Leiche da unten alleine waren, weiß kein Mensch. Wahrscheinlich die ganze Nacht.“ Er deutete auf die Mulde inmitten des Geheges. Dort standen die Bäume etwas dichter beieinander, ein morastiges Wasserloch war vom letzten Regen übrig geblieben. Im von den Schweinen zerwühlten Schlamm war undeutlich der Umriss eines menschlichen Körpers auszumachen. Da war er – der zweite Tote.

Thamm sah sich nach Wolff um. „Wie wollen wir vorgehen?“, fragte er diplomatisch. Nicht, dass er es nicht gewusst hätte, aber er wollte dem Neuen eben mal eine Chance geben. Wolff blickte abwechselnd auf die Leiche und dann wieder auf die herumstehenden Menschen. Es passte ihm anscheinend nicht in den Kram, dass hier so viel Volk zusammengelaufen war. Auch wurden es da vorn am Absperrband irgendwie immer mehr. „Ist die Spurensicherung schon informiert worden?“, fragte Wolff schließlich. Mehlhorn nickte. „Müsste gleich da sein.“

„Gut“, meinte Wolff unverbindlich. „Dann bringen Sie jetzt erst einmal die Leute aus dem Park. Sperren Sie doch bitte gleich am Eingang ab, damit niemand den Tatort einsehen kann. Falls jemand von der Presse auftaucht, verweisen Sie ihn an den Pressesprecher vom Revier. Keine Stellungnahme, keine Bestätigung, kein Dementi, verstanden?“

Mehlhorn nickte wieder, dann holte er seinen Kollegen heran, um mit ihm und dem überkorrekten Polizeimeisteranwärter die Schaulustigen zurückzudrängen.

„Und nun zu uns“, wandte sich Wolff lächelnd an Thamm. „Wir haben eine Leiche im Tümpel, vielleicht mit Fraßspuren, was ihren Anblick nicht appetitlicher macht, und die Befragung des Pflegers, die sicher ziemlich unspektakulär verlaufen wird. Beides kein Vergnügen. Aber ich habe heute noch nicht gegessen und daher ziehe ich – wo du mir schon die Wahl lässt – ausnahmsweise den Pfleger vor. Viel Spaß da unten!“, fügte er leicht spöttisch hinzu und ließ den überraschten Thamm zurück am Gehege. Das hätte er ja nicht gedacht, dass Wolff so loslegen konnte! Nicht schlecht, ihm so ganz galant die Leiche zuzuschieben, dachte Thamm und murmelte einen gutgemeinten Fluch. Dann stieg er über das Gatter. Ein vorsichtiger Blick in das braune Unterholz, ob da auch wirklich alle Schweine weg waren – das fehlte ihm ja noch, dass ihn eine wilde Sau über den Haufen rannte – und dann arbeitete er sich langsam zu dem Wasserloch hinunter, wobei er in der aufgeweichten Erde bald knöcheltief versank. „Mist, verfluchter“, zischte Thamm, als er spürte, wie ihm der Schlamm über die Schuhe schwappte. Hier unten hielt sich die Nässe aber ganz schön.

Thamm versuchte, wenigstens etwas Holz unter die Füße zu bekommen und seiltänzelte über das kümmerliche Reisig, das die Wildschweine nicht untergewühlt hatten. Aber immer wieder versank er erneut im Dreck. Schließlich gab er es auf. „Scheiß drauf“, knurrte er und ging, die Schuhe nun vollkommen versaut, querfeldein auf die Mulde zu.

Die Leiche lag dreckverschmiert mit dem Kopf im flachen Wasser – oder vielmehr mit dem, was vom Kopf noch übriggeblieben war. Thamm suchte eilig nach einem Taschentuch. Schon wieder ein total zertrümmerter Schädel, schon wieder eine breiige, blutige Masse, die da aus dem dunklen Tümpel ragte. Gepresst atmete er in das Tuch, das nach Drogerie und Sauberkeit roch. Langsam beruhigte er sich wieder. Alles kein Problem, redete er sich ein, dafür bist du ja da. Das ist genau deine Kragenweite.

Aber das nahm er sich selbst nicht so ganz ab. „So eine Scheiße!“, rief er laut und stampfte energisch auf. Bis zuletzt hatte er gehofft, dass es sich um zwei Einzeltaten handelt würde. Lieber eine merkwürdige Häufung von Morden als ein Serientäter, der scheinbar gerade erst richtig in Fahrt gekommen war. Aber schon als Jette ihn angerufen hatte, war da diese Vorahnung gewesen. Und jetzt waren die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Toten unverkennbar: Sie waren brutal erschlagen worden, in Panik, wie Krause wohl richtig vermutet hatte, und nur halbherzig beseitigt. Die eine Leiche trieb in der Saale, die andere musste hier ja geradezu zwangsläufig gefunden werden. Wer machte so was?

Einer plötzlichen Eingebung folgend, hockte sich Thamm neben die Leiche und lockerte ein wenig den Jackenkragen. Einen Moment zögerte er noch, dann aber krempelte er sich den Ärmel hoch und fuhr dem Toten in den Nacken und weiter über den Rücken. Vorsichtig tastete er sich voran. Und da – tatsächlich! War da nicht eine Unebenheit, irgendwo unter dem einen Schulterbein? Einstiche von einer Kanüle, war sich Thamm sicher.

Er zog die Hand aus dem Hemd des Toten und betrachtete unschlüssig die Leiche. Zumindest kein Gehirn, dachte er. Das Blut in den Haaren war verkrustet, die Pfütze braun von Erde. Wäre das Opfer hier getötet worden, hätte das viele Blut, das aus der aufgeplatzten Schädeldecke geströmt wäre, den Tümpel deutlicher verfärbt. Auch wäre es unmittelbar an der Austrittsstelle nie geronnen. Der Mord war eindeutig woanders passiert.

Thamm ließ den Blick über den unebenen Boden schweifen. Diese verdammten Wildschweine hatten jeden möglichen Fußabdruck verwischt, nur ein paar Schleifspuren waren noch zu erahnen. Der Täter war demnach aus westlicher Richtung, von der angrenzenden Hochschule, gekommen und hatte sich offensichtlich keine Mühe gegeben, die Abdrücke, die der hierher gezerrte Leichnam im Schlamm hinterlassen hatte, zu verbergen.

Nachdenklich folgte Thamm den Spuren, die immer schwächer wurden, je trockener der höher gelegenere Boden war, bis sie schließlich am Gatter kaum noch zu sehen waren. Mit was für einem Arschloch hatten sie es hier zu tun?

Es könnte alles so schön hier sein, dachte Thamm. Wenn die Bäume nur nicht so eng stehen würden, wenn die Schweine vielleicht auch ein bisschen Gras hier stehen gelassen hätten, dass es nicht alles so eintönig braun wäre … Nur nicht sentimental werden, ermahnte er sich selbst und fuhr sich übers Gesicht. Das konnte er jetzt echt nicht gebrauchen.

Dort hinten mühten sich die Jungs von der Spurensicherung zu der Mulde. Zwei von ihnen wendeten sich sofort der Leiche zu, ihre Kollegen suchten das nähere Gelände ab. Thamm marschierte zu ihnen hinab und machte sich an den ersten, der ihm über den Weg lief, ran. „Schaut euch mal den Zaun dort hinten an“, empfahl er und deutete nach Westen. „Wahrscheinlich ist er von dort gekommen.“

„So sicher, dass es nur einer war?“, fragte der Experte lax. Thamm warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Für solche blöden Kommentare hatte er echt keinen Nerv. „Zu zweit hätten sie ihn bestimmt getragen und nicht geschleift, du Klugscheißer“, meinte er.

Dem Kerl versteinerte augenblicklich das Gesicht, er versuchte irgendeine Ausflucht, gab es aber schnell wieder auf und trollte sich. Was für Hilfskräfte, regte sich Thamm auf – und dieser elende Schlamm! Seine Schuhe konnte er wohl vergessen, das kriegte er nicht mehr aus den Poren vom Futter. Das war doch von vorn bis hinten eine total beschissene Angelegenheit hier.

Thamm wollte weiter zu den Kerlen, die sich an der Leiche zu schaffen machten, da bemerkte er Wolff, der auf ihn zukam und wartete.

„Und, steht schon was fest?“, fragte Wolff und deutete mit einem Nicken in Richtung Mulde.

„Dasselbe wie gestern“, meinte Thamm. „Eingeschlagener Schädel, Fundort ist nicht Tatort. Hoffentlich blüht uns das jetzt nicht jeden Tag. Und bei dir?“

„Der Tierpfleger sagt, er hätte den Toten heute Morgen gegen acht entdeckt“, meinte Wolff mit Blick auf seine Notizen. „Zwischen vier und fünf hat der Nachtwächter zum letzten Mal seine Runde gedreht und wahrscheinlich nichts bemerkt. Sonst hätte er es wohl gemeldet. Den werde ich mir aber noch aufs Revier bestellen, damit wir den Zeitpunkt der Tat genauer einschränken können. Generell sieht es aber so aus, als wäre die Leiche zwischen fünf und acht hier abgelegt worden.“

„Schön“, befand Thamm tonlos. Er hatte Wolff kaum zugehört, seine Gedanken waren ganz woanders. „Die Schleifspuren im Matsch scheinen darauf zu deuten, dass der Täter von Westen kam, also nicht von der Bundesstraße. Im Westen grenzt der Park an die Fachhochschule. Keine Ahnung, ob um die Uhrzeit da schon jemand ist, der da irgendwas beobachtet haben könnte. Hoffen wir mal, dass die so eine Art Hausmeister oder Gebäudewart haben.“

„Also brauchen wir den Nachtwächter und die Hochschulverwaltung“, fasste Wolff zusammen.

„Ich würde sagen, das machst du“, fügte Thamm schnell hinzu, um Wolff zuvorzukommen. Er lächelte breit in Wolffs empörtes Gesicht. „Wo du schon mal so gut beim Befragen bist. Und da lernst du gleich noch die Stadt ein bisschen kennen. Nein ehrlich, soll ein wunderschöner Campus sein.“

„Und was machst du inzwischen?“, fragte Wolff mürrisch.

Thamm deutete auf das Wasserloch. „Ich guck mal nach den Jungs dort unten und halte den ersten Eindruck für die Akten fest. Datenabgleich und erste Analyse anschließend im Büro, okay?“

Wolff zog ein unzufriedenes Gesicht. Er hatte die Laufburschenarbeit abbekommen, während Thamm den Chef raushängen ließ. „Dafür krieg ich den Wagen“, knurrte er.

„Und wie komm ich zurück ins Revier?“, fragte Thamm perplex.

„Ist doch deine Stadt hier. Ich bin mir sicher, dass du den Weg findest“, gab Wolff zurück und hielt Thamm die Hand hin. Widerwillig rückte der die Schlüssel raus.

„Dann bis nachher“, meinte er verdrießlich. Wolff aber ging ohne Gruß.

Soll er doch, dachte Thamm und war schon wieder ganz auf den Fall konzentriert. Mit großen Schritten machte er sich zu dem Tümpel auf, neben dem zwei Männer von der Spurensicherung im Schlamm knieten.

„Nowak“, sagte einer der Forensiker ohne den Blick von der Leiche abzuwenden. „Werner“, stellte sich prompt auch der andere vor und blinzelte Thamm entgegen. Der war schon am Vortag mit an der Saale dabei gewesen, glaubte der Kommissar.

„Wir haben bislang nichts Brauchbares gefunden“, setzte Werner nach. „Ist viel zu feucht hier unten und dann haben auch noch die Wildschweine rumgewühlt. Der Dreck unter den Fingernägeln könnte auf einen Kampf hindeuten, kann aber genauso gut erst hier drunter gekommen sein. Das muss die Untersuchung im Labor feststellen.“ Wie zum Beweis hielt er Thamm ein Tütchen mit Erdkrummen entgegen.

Krause würde sich freuen! Der war noch nicht mal mit der einen Leiche fertig, da bekam er schon die nächste geliefert.

„Gibt es irgendwelche Hinweise auf die Identität des Toten?“, fragte Thamm. Wie konnten die nur so teilnahmslos an der Leiche rumfummeln! Da schabten sie dort ein bisschen und machten da eine Nahaufnahme – Thamm verstand das nicht. Ihm wurde schon vom reinen Zugucken schlecht und er stand nicht mal in nächster Nähe. Und die …

Nun hob Nowak doch mal den Kopf. „Nee“, sagte er und ein schiefes Grinsen huschte dabei über sein Gesicht. „Papiere hatte er nicht bei sich und leider ist er auch ein bisschen maulfaul.“ Dämliches Arschloch, dachte Thamm. Werner vermittelte. „Das läuft wohl auf einen DNA-Abgleich raus. Ach, Franke, was gibt’s?“

Der Kerl, der Thamm so dumm gekommen war, näherte sich der Mulde. „Eigentlich nichts“, meinte er nur und dann, an Thamm gewandt und ziemlich bedachtsam: „Es ist genau so, wie Sie vermutet haben. Der Täter kam von Westen, stieg dort hinten über den Zaun und brachte die Leiche hierher. Darauf lassen die Schleifspuren und die abgebrochene Rinde am Geländer schließen. Irgendwelche verwertbare Abdrücke von Füßen oder sogar Fingern konnten aber nicht gesichert werden, die Oberfläche vom Holz ist zu rau dafür.“

Thamm nickte. Das hatte er sich schon so in etwa gedacht. Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein!

In diesem Moment griffen Nowak und Werner nach der Leiche, zogen sie vorsichtig aus dem Wasser und legten sie auf die Seite. Schon wieder so ein aufgeweichtes, schwammiges Gesicht, das sich langsam aufzulösen schien, dazu die leeren Augen – Thamm wandte den Blick ab.

„Scheiße“, entfuhr es Nowak mit einem nervösen Lachen, „ein Fidschi.“ Wieder dieses schiefe Grinsen. Thamm atmete tief durch. Es hatte für ihn außer Frage gestanden, dass auch dieser Tote asiatischer Herkunft war – darauf konnte man auch ohne den Vorfall an der Saale kommen. Die Statur, die dunkle Haut im Nacken, Farbe und Schnitt der Haare – was war dieser Nowak nur für eine Flasche! Und das nicht nur in fachlicher Hinsicht.

Thamm versuchte, sachlich zu bleiben. Er verspürte keine Lust nach einer Grundsatzdiskussion. Nicht mit diesem Idioten, nicht jetzt. Da lag immerhin eine Leiche, die war wichtiger.

Werner dozierte. „Wie zu erwarten war, ist das Gesicht nicht sonderlich aufgedunsen. Es lag nicht lange im Wasser, ein paar Stunden, höchstens. Wir haben es hier mit einem Asiaten zu tun …“

„Das erklärt, warum wir keine Papiere in seinen Taschen gefunden haben“, fiel ihm Nowak ins Wort. „Das wird wohl ein schnelles Ermitteln. Von so einem Illegalen finden Sie eh keine Spur, Herr Kommissar.“

„Schnauze, Hubert“, zischte Werner aufgebracht, doch Thamm winkte nur ab. „Gehen Sie mal eine rauchen“, sagte er ohne eine Miene zu verziehen zu Nowak. Der stutzte. „Wie bitte?“ Er suchte Augenkontakt zu dem Kommissar – Nowak hätte vom Alter und der Statur her glatt sein Vater sein können, doch Thamm hielt dem herausfordernden Blick gelassen stand. Ihm ging es nicht mal darum, den Einsatzleiter raushängen zu lassen. Auch hatte er nichts persönlich gegen diesen Typ. Aber er konnte Nowaks dummes Gequatsche einfach nicht ertragen.

„Also bitte“, meinte er deshalb nur mit Nachdruck. „Den Rest kläre ich mit Ihrem Kollegen.“ Werner knuffte Nowak in die Seite, warf einen vielsagenden Blick in Richtung Parkweg. Und der Alte trottete ab, murmelte noch irgendwas und war schon aus Thamms Sichtfeld verschwunden.

„Also, wir haben es hier mit einem Asiaten zu tun“, sagte Werner vorsichtig, nachdem sich Thamm über den Anblick der Leiche für ein paar Augenblicke in Schweigen gehüllt hatte. Jetzt verschränkte er die Arme und zog die Stirn in Falten. „Ein Vietnamese, meinen Sie?“, fragte er schließlich.

„Gut möglich“, erwiderte Werner. Er rückte seine Brille zurecht und erhob sich von der Leiche. Auch er war nicht mehr der Jüngste, streckte den Rücken langsam durch. „Kann ich vom Aussehen der Leiche natürlich nicht sagen. Aber immerhin gibt es hier ja einige von denen. Könnte aber auch ein Chinese oder Thai sein oder ein Kambodschaner oder so. Was weiß ich. Da könnte nur einer von der Uni weiterhelfen. Ein Ethnologe oder so ein Ostasienforscher. Ein Fachmann halt. Aber ob der Ihnen was nutzt …“

„Nein, mich interessiert die Identität eigentlich mehr. Und da können Sie mir nicht weiterhelfen, oder?“ Werner verneinte. „Keine Papiere, wie gesagt. Den Rest macht die Gerichtsmedizin.“

Thamm nickte. Dieses dreckverschmierte Gesicht des Toten machte ihm zu schaffen. Er versuchte, die Leiche nicht direkt anzusehen und bekam doch nicht den Blick von ihr los, wie sie da auf der Seite lag, auch noch zu ihm hin gedreht, als wollte sie ihm noch etwas sagen, ein letzter Hilfeschrei lag noch auf ihren Lippen … Grässlicher Gedanke.

„Gut, dann …“ Er reichte Werner die Hand, der ihm mit einem verschmierten Handschuh entgegenkam. Sofort zog Thamm seine Hand wieder zurück. Nein, nein, Ekel vor Höflichkeit. Er nickte dem Forensiker zur Verabschiedung zu und ging.

Komisch – Thamm hatte so gut wie nichts in der Hand und trotzdem war er sich sicher, den Fall schnell lösen zu können. Zumindest glaubte er plötzlich, einen guten Ansatz gefunden zu haben.

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