Kitabı oku: «Die Waffen nieder», sayfa 5

Yazı tipi:

»Ich bin froh, daß die Tanzerei vorüber ist. Es fing schon an, eintönig zu werden. Immer dieselben Touren und immer dieselben Gespräche und immer ein und derselbe Tänzer: – denn ob es nun der Husarenleutnant X, oder der Dragonerleutnant Y, oder der Ulanenrittmeister Z ist – es sind doch die gleichen Verbeugungen, die gleichen Bemerkungen, die gleichen Seufzer und Blicke. Nicht ein interessanter Mensch darunter, nicht einer. Und der einzige, der allenfalls ... reden wir nichts von dem, der gehört ja seiner Prinzessin. Sie ist eine hübsche Frau, ja – zugestanden, aber ich finde sie unsympathisch.«

Obgleich der Fasching mit seinen großen Ballfesten zu Ende war, so hatten die geselligen Vergnügungen darum nicht aufgehört. Soireen, Diners, Konzerte: der Wirbel dauerte fort. Auch eine große Liebhabertheatervorstellung ward in Aussicht genommen – dies doch erst nach Ostern. Für die Fastenzeit war doch eine Mäßigung in Vergnügen geboten – nach Tante Mariens Ansicht mäßigten mir uns lange nicht genug. Daß ich die Fastenpredigten nicht regelmäßig besuchte, konnte sie mir nicht recht verzeihen, und sie entschädigte sich für meine Lauheit, indem sie Rosa und Lilli zu allen berühmten Kanzelrednern schleppte. Die Mädchen ließen sich das gern gefallen; einmal trafen sie in den Kirchen mit ihrer ganzen gewohnten Koterie zusammen – Pater Klinkowström war ebensosehr Mode bei den Jesuiten, als die Murska in der Oper, und in zweiter Linie waren sie auch leidlich fromm.

Aber nicht nur den Predigten, auch den Soireen hielt ich mich während jener Fastenzeit ziemlich fern. Ich hatte plötzlich an geselligen Zusammenkünften den Geschmack verloren und liebte es, manchmal allein zu Hause zu bleiben – mit meinem Sohn zu spielen, und wenn der Kleine zu Bett gebracht war, mich mit einem guten Buch an das Kaminfeuer zu setzen und zu lesen. Zuweilen besuchte mich dann mein Vater und verplauderte ein bis zwei Stunden bei mir. Natürlich kamen die Feldzugserinnerungen dabei unablässig zum Vorschein. Ich hatte ihm Tillings Bericht über Arnos Ende mitgeteilt; er nahm die Geschichte jedoch ziemlich kühl auf. Ob einer mit Schmerzen oder ohne Schmerzen geendet, schien ihm eine ganz nebensächliche Frage. »Geblieben« sein – wie der Tod auf dem Schlachtfelde heißt – war seiner Anschauung nach eine so rühmliche – durch ein so erhabenes Faktum herbeigeführte Sache, daß die Details der dabei allenfalls ausgestandenen körperlichen Leiden gar nicht in Betracht kamen. In seinem Munde klang das »Geblieben« stets wie die neidende Konstatierung einer besonderen Auszeichnung, und die dem »Bleiben« nächstfolgende Annehmlichkeit war nach seiner Auffassung offenbar das »Blessiert« werden. Die Art und Weise, wie er von sich mit Stolz und von den anderen mit Respekt erzählte, daß sie bei diesem oder jenem – nach irgendeiner Ortschaft benannten – Gefecht verwundet worden, ließ einen ganz vergessen, daß das Ding eigentlich weh tun könne. Welch ein Unterschied mit der kurzen Erzählung Tillings: in der Schilderung der zehn Unglücklichen, welche, von dem platzenden Geschoß zerschmettert, in lauten Jammer ausbrachen – was lag da für ein anderer Ton erschütternden Mitleids darin! Ich habe Tillings Worte meinem Vater nicht wiederholt, denn ich empfand instinktiv, daß ihm dieselben unsoldatenmäßig erschienen wären und seine Achtung vor dem Sprecher beeinträchtigt hätten, und das hätte mich verdrossen; denn gerade der vielleicht unsoldatische, aber sicherlich menschliche Abscheu, mit welchem er das schreckliche Ende seiner Kampfgenossen geschaut und erzählt, war mir ins Herz gedrungen.

Wie gern hätte ich mit Tilling über dieses Thema noch weiter gesprochen – aber er schien meine Bekanntschaft nicht pflegen zu wollen. Seit seinem Besuche waren vierzehn Tage vergangen und weder hatte er den Besuch wiederholt, noch war ich ihm in der Gesellschaft begegnet. Nur zwei- oder dreimal auf der Ringstraße und einmal im Burgtheater war ich seiner ansichtig geworden: er grüßte ehrerbietig, ich dankte freundlich – weiter nichts. Weiter nichts? ... Warum klopfte mir bei diesen Gelegenheiten das Herz, warum konnte ich dann stundenlang die Gebärde seines Grußes nicht aus dem Sinn bringen? ...

»Liebes Kind, ich habe eine Bitte an dich.« Mit diesen Worten trat eines Vormittags mein Vater bei mir ein. Er hielt ein papierumwickeltes Paket in der Hand, »hier bringe ich dir etwas mit,« fügte er hinzu, das Ding auf einen Tisch legend.

»Eine Bitte und ein Geschenk zugleich?« lachte ich. »Das ist ja Bestechung.«

»So höre mein Anliegen, ehe du mein Geschenk auspackst und von dessen Macht geblendet wirst. Ich habe heute ein langweiliges Diner –«

»Ja, ich weiß; drei alte Generäle mit ihren Frauen.«

»Und zwei Minister mit den ihrigen; kurz, eine feierliche, steife, einschläfernde Geschichte –«

»Du mutest mir doch nicht zu, daß ich –«

»Ja, ich mute es dir zu, denn – da mich Damen mit ihrer Gegenwart beehren wollen – muß ich doch eine Dame zum Honneurs machen haben.«

»Dieses Amt hat ja Tante Marie übernommen.«

»Die ist heute wieder von ihrem gewissen Kopfschmerz befallen; es bleibt mir also nichts anderes übrig –«

»Als deine Tochter hinzuopfern – wie dies schon andere Väter im Altertum – z. B. Agamemnon mit Iphigenia – getan? Ich füge mich.«

»Übrigens sind unter den Gästen auch ein paar jüngere Elemente: Doktor Bresser, der mich in meiner letzten Krankheit so ausgezeichnet behandelt hat und dem ich die Artigkeit einer Einladung erweisen wollte; ferner Oberstleutnant Tilling – du wirst ja ganz feuerrot – was ist dir?«

»Ich? ... Es ist die Neugier: jetzt muß ich doch schauen, was du mir gebracht hast.« Und ich begann, das Paket aus seiner Papierhülle zu lösen.

»Es ist nichts für dich – erwarte nicht etwa ein Perlenhalsband. Das gehört dem Rudi.«

»Ja, ich sehe, eine Spielereischachtel – ah, Bleisoldaten! Aber Vater, das vierjährige Kind soll doch nicht –«

»Ich habe schon mit drei Jahren Soldaten gespielt – man kann nicht früh genug damit anfangen ... Meine allerersten Eindrücke waren Trommeln, Säbel – exerzieren, kommandieren: auf die Art erwachte die Liebe zum Metier, auf die Art –«

»Mein Sohn Rudolf wird nicht unter die Soldaten gehen,« unterbrach ich.

»Martha! Ich weiß doch, daß seines Vaters Wunsch –«

»Der arme Arno ist nicht mehr. Rudolf ist mein alleiniges Eigentum und ich will nicht –«

»Daß er den schönsten und ehrenvollsten Beruf einschlage?«

»Das Leben meines einzigen Kindes soll nicht im Krieg auf das Spiel gesetzt werden.«

»Ich war auch ein einziger Sohn und bin Soldat geworden. Arno hat keine Geschwister, so viel ich weiß, und dein Bruder Otto ist gleichfalls einziger Sohn und ich habe ihn doch in die Militärakademie gegeben. Die Tradition unserer Familie fordert es, daß der Sprosse eines Dotzky und einer Althaus seine Dienste dem Vaterlande weihe.«

»Das Vaterland wird ihn weniger brauchen als ich.«

»Wenn alle Mütter so dächten!«

»Dann gäbe es keine Paraden und Revüen – und keine Männerwälle zum Niederschießen – kein ›Kanonenfutter‹, wie der bezeichnende Ausdruck heißt. Das wäre auch kein Unglück.«

Mein Vater machte ein sehr böses Gesicht. Dann aber zuckte er die Achseln:

»Ach, ihr Weiber,« sagte er verächtlich. »Zum Glück wird der Junge nicht um deine Erlaubnis fragen; das Soldatenblut fließt ihm in den Adern – Na, und dein einziger Sohn wird er ja nicht bleiben. Du mußt wieder heiraten, Martha. In deinem Alter ist's nicht gut, allein sein. Erzähl' mir: gibt es keinen unter deinen Bewerbern, der vor deinen Augen Gnade findet? Da ist zum Beispiel der Rittmeister Olensky, der sterblich in dich verliebt ist – er hat mir neulich wieder vorgeseufzt. Der gefiele mir recht gut als Schwiegersohn.«

»Mir aber nicht als Gatte.«

»Da wäre noch der Major Millersdorf –«

»Und wenn du mir den ganzen Militärschematismus hersagst – es ist vergebens. Um wieviel Uhr findet dein Diner statt – wann soll ich kommen?« fragte ich, um abzubrechen.

»Um fünf. Aber komm um eine halbe Stunde früher. Und jetzt adieu – ich muß fort. Grüß mir den Rudi – zukünftigen Oberbefehlshaber der k.k. Armee.«

* * *

Eine feierliche, steife, einschläfernde Geschichte – so hatte mein Vater sein bevorstehendes Diner genannt und so würde ich die Zeremonie auch aufgefaßt haben, wäre nicht der eine Gast gewesen, dessen Nähe mich eigentümlich bewegte ...

Baron Tilling war knapp vor dem Speisen gekommen; ich hatte daher, als er mich im Salon begrüßte, nur zu einem ganz kurzen Wortaustausch Zeit gefunden, und bei Tisch, wo ich zwischen zwei eisgrauen Generälen saß, war der Baron so weit von mir entfernt, daß ich ihn unmöglich in die an unserem Tischende geführte Unterhaltung ziehen konnte. Ich freute mich auf die Rückkehr in den Salon; dort wollte ich Tilling an meine Seite rufen und ihn noch weiter ausforschen über jene Schlachtszene; ich sehnte mich danach, noch einmal jenen Ton zu hören, der mich das erstemal so sympathisch berührt hatte.

Doch zur Ausführung dieses Vorhabens bot sich mir anfänglich keine Gelegenheit; die beiden Eisgrauen blieben mir auch nach Tische treu und nahmen an meiner Seite Platz, als ich im Salon mich anschickte, den schwarzen Kaffee einzugießen. Dazu gesellten sich noch, im Halbkreis, mein Vater, der Minister ***, Doktor Bresser – und auch Tilling, aber die sich entspinnende Unterhaltung war eine allgemeine. Die übrigen Gäste, darunter sämtliche Damen, ließen sich in einer anderen Ecke des Salons nieder, wo nicht geraucht wurde; während in unserer Ecke – auch ich hatte mir eine Zigarette angezündet – das Rauchen gestattet war.

»Ob es denn nicht bald wieder losgehen wird?« warf einer der Generäle hin.

»Hm,« meinte der andere, »den nächsten Krieg werden wir mit Rußland haben, denk' ich.«

»Muß es denn immer einen nächsten Krieg geben?« warf ich dazwischen, aber niemand achtete darauf.

»Eher mit Italien,« versicherte mein Vater. »Wir müssen doch unsere Lombardei zurückbekommen ... So einen Einmarsch in Mailand, wie im Jahre 49 mit Vater Radetzky an der Spitze – das wollte ich doch noch erleben. Es war an einem sonnigen Vormittag –«

»Ach, die Geschichte vom Einmarsch in Mailand kennen wir alle.« unterbrach ich.

»Auch die vom braven Hupfauf?«

»Ich schon – und ich finde dieselbe sogar höchst widerwärtig.«

»Was verstehst du davon?«

»Lassen Sie hören, Althaus – wir kennen die Geschichte nicht.«

Das ließ sich mein Vater nicht zweimal sagen.

»Der Hupfauf also – vom Regiment Tiroler Jäger – selber ein Tiroler, hat ein famoses Stück'l aufgeführt. Er war der beste Schütz', den man sich denken kann; bei allen Scheibenschießen war er immer König – er traf fast jedesmal ins Ziel. Was hat der Mann getan, als die Mailänder revoltierten? Er erbat sich die Erlaubnis, mit vier Kameraden auf das Dach des Domes zu steigen und von dort auf die Rebellen herab zu schießen. Man hat's ihm erlaubt und er hat's auch ausgeführt. Die vier anderen, von welchen jeder einen Stutzen trug, taten weiter nichts, als ohne Unterlaß ihre Waffen laden und sie dem Hupfauf reichen, damit dieser keine Zeit verliere. Und so hat er hintereinander neunzig Italiener totgeschossen.«

»Abscheulich!« rief ich. »Jeder dieser totgeschossenen Italiener, auf die er eben aus sicherer Höhe zielte, hatte eine Mutter und eine Geliebte zu Haus und hing wohl selber an seinem Leben.«

»Jeder war ein Feind, Kind; das ändert den ganzen Standpunkt.«

»Sehr richtig,« sagte Doktor Bresser; »so lange der Begriff Feindschaft unter den Menschen sanktioniert wird, so lange können die Gebote der Menschlichkeit keine allgemeine Geltung erlangen.«

»Was sagen Sie, Baron Tilling?« fragte ich.

»Ich hätte dem Manne einen Orden gewünscht, der ihm die tapfere Brust geschmückt – und eine Kugel, die ihm das harte Herz durchschossen hätte. Beides wäre verdient gewesen.«

Ich warf dem Sprecher einen warmen, dankbaren Blick zu; die anderen aber, mit Ausnahme des Doktors, schienen von den eben gehörten Worten unangenehm berührt. Es entstand eine kleine Pause. Cela avait jeté un froid.

»Haben Sie schon von dem Buche eines englischen Naturforschers namens Darwin gehört, Exzellenz?« wandte sich jetzt der Doktor an meinen Vater.

»Nein, nichts.«

»Doch, Papa ... erinnere dich nur: schon vor vier Jahren, als es eben erschienen war, hat uns unser Buchhändler das Buch geschickt und du sagtest noch damals, er werde bald von aller Welt vergessen sein.«

»Was mich betrifft, so hab ich's auch vergessen.«

»Alle Welt hingegen wird dadurch ziemlich in Aufregung versetzt,« sagte der Doktor. »Es wird aller Orten für und gegen die neue Abstammungslehre gestritten.«

»Ach, Sie meinen wohl die Affentheorie?« fragte der General zu meiner Rechten. »Davon war gestern im Kasino die Rede. Die Herren Gelehrten kommen oft auf sonderbare Einfälle – der Mensch soll ursprünglich ein Orang-Utan gewesen sein!«

»Allerdings,« nickte der Minister – (wenn Minister *** »allerdings« sagte, so war das ein Zeichen, daß er sich zu einer längeren Rede den Anlauf Nahm), »die Sache klingt etwas komisch; doch kann dieselbe nicht als Scherz aufgefaßt werden. Es ist eine nicht ohne Talent und mit dem Apparat fleißig gesammelter Tatsachen aufgestellte wissenschaftliche Theorie, welche allerdings von den Männern vom Fach schon genügend widerlegt worden, welche aber, wie alle abenteuerlichen Ideen – so abgeschmackt dieselben auch seien – einen gewissen Effekt hervorgebracht hat und ihre Verteidiger findet. Über Darwin zu disputieren, ist Mode geworden. Es wird nicht lange dauern, so kann man das Wort »Darwinismus« erfinden – allerdings wird dann die so benannte Theorie selber schon aufgehört haben, ernst genommen zu werden. Es ist ein Fehler, daß die Leute in Bekämpfung dieses englischen Sonderlings sich so erhitzen; dadurch wird seiner Lehre eine Wichtigkeit beigelegt, die ihr nicht zukommt. Namentlich ist es die Geistlichkeit, welche sich gegen die allerdings herabwürdigende Zumutung zur Wehr setzt, daß der nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene Mensch jetzt plötzlich als dem Tierreich entstammend gedacht werden soll, eine vom religiösen Standpunkte aus allerdings höchst anstößige Annahme. Jedoch ist bekanntermaßen die kirchliche Verdammung einer unter dem Gewand der Wissenschaftlichkeit auftretenden Lehre, nicht imstande, der Verbreitung derselben Einhalt zu tun. Dieselbe wird erst dann unschädlich, wenn sie von den Vertretern der Wissenschaft ad absurdum geführt worden ist, was gegenüber der Darwinischen allerdings –«

»Aber der Unsinn!« unterbrach mein Vater, welcher fürchten mochte, daß noch eine lange Kette von »allerdings« seine übrigen Gäste ermüden konnte, »der Unsinn: ›vom Affen, der Mensch!‹ Da genügt doch wohl der sogenannte gesunde Menschenverstand, um solche tolle Einfälle abzuweisen –, da braucht man doch nicht erst gelehrte Widerlegungen« ...

»Nun, für gar so apodiktisch sicher möchte ich diese Widerlegungen doch nicht halten,« nahm nun der Doktor das Wort, »Es haben sich zwar Zweifel erhoben, aber die Theorie hat doch manches Wahrscheinliche für sich und es wird noch eine Zeit brauchen, bis die Gelehrten einig werden.«

»Ich glaub', die Herren werden nie einig«, bemerkte der General zu meiner Linken, welcher in barschem Ton und im Wiener Dialekt zu sprechen pflegte, »die leben ja vom Disputieren. Ich hab' von der Affeng'schicht auch schon was g'hört. War mir aber zu dumm, um aufzupassen. Wenn man sich immer um alles Geschwätz kümmern sollt', mit dem uns die Sterngucker und Graspflücker und Froschhaxel-Untersucher ein X für ein U vormachen wollen – da müßt einem ja Hören und Sehen vergehen. Übrigens habe ich neulich in einer illustrierten Zeitung dem Darwin sein G'sicht g'sehen und das ist selber so affenmäßig, daß ich fast glauben möcht, sein Großvater is ä Schimpans g'wesen.«

Diesem letzten, den Sprecher sehr befriedigenden Witz ließ derselbe ein schallendes Gelächter folgen, in welches mein Vater aus hausherrlicher Zuvorkommenheit einstimmte.

»Gelächter ist allerdings auch eine Waffe,« sprach der Minister ernst, – »beweist aber nichts. Dem Darwinismus – ich benütze schon das neue Wort – kann man doch auch ernsthafte, auf wissenschaftlicher Basis ruhende Argumente siegreich entgegenstellen. Wenn man gegen einen Schriftsteller ohne Autorität, Namen wie Linné, Cuvier, Agassiz, Quatrefages, anführen kann, so muß dessen System zusammenstürzen. Andererseits läßt sich allerdings nicht leugnen, daß zwischen Mensch und Affe eine große Stammesähnlichkeit besteht und daß –«

»Trotz dieser Ähnlichkeit ist die Kluft doch eine meilenweite,« unterbrach der sanfte General. »Läßt sich ein Affe denken, der den Telegraphen erfinden könnte? Die Sprache allein erhebt den Menschen so weit über das Tier –«

»Entschuldigen Sie, Exzellenz,« sagte Doktor Bresser, »Sprache und technische Erfindungen waren dem Menschen nicht ursprünglich angeboren – ein Wilder wird auch heute noch keinen Telegraphenapparat konstruieren; das alles sind Früchte langsamer Vervollkommnung und Entwicklung –«

»Ja, ja, lieber Doktor,« versetzte der General, »ich weiß: Entwicklung ist das Schlagwort der neuen Theorie – aber aus einem Känguruh entwickelt sich kein Kameel ... und warum sieht man heutzutage keinen Affen Mensch werden?«

Jetzt wandte ich mich an Baron Tilling.

»Und was sagen Sie? Haben Sie von Darwin gehört und zählen Sie sich zu seinen Anhängern oder – Gegnern?«

»Gehört habe ich über diesen Gegenstand schon vieles, Gräfin; aber ich kann kein Urteil abgeben, denn das in Frage stehende Werk: The origin of species habe ich nicht gelesen.«

»Ich muß gestehen,« sagte der Doktor, »ich auch nicht.«

» Gelesen habe ich es allerdings auch nicht,« gestand der Minister.

»Ich auch nicht« – »ich auch nicht« – »ich auch nicht« – kam es nun von den anderen.

»Aber,« fuhr der Minister fort, »das Thema wird so vielfach besprochen, die Schlagwörter des Systems sind in aller Mund; »Kampf ums Dasein« – »natürliche Zuchtwahl,« – »Evolution« und so weiter, daß man sich doch einen klaren Begriff vom Ganzen machen kann und sich resolut auf die Seite der Anhänger oder der Gegner stellen, zu welch erster Kategorie allerdings nur umsturzliebende und effekthaschende Heißsporne gehören, während die kaltblütigen, nach positiven Beweisen verlangenden, streng kritischen Leute unmöglich einen anderen, als den von so bedeutenden Fachgelehrten geteilten Standpunkt der Gegnerschaft einnehmen können; ein Standpunkt, der allerdings –«

»Nicht mit Sicherheit zu behaupten ist, wenn man denjenigen der Anhängerschaft nicht kennt,« ergänzte Tilling. »Um zu wissen, was die Gegenargumente wert sind, welche man, so oft eine neue Idee auftaucht, um sich herum im Chor vorbringen hört, muß man in diese neue Idee auch selber eingedrungen sein. Gewöhnlich sind es die schlechtesten und seichtesten Gründe, die mit solcher Einstimmigkeit von den Waffen wiederholt werden – und auf diese hin fällt mir nicht ein, ein Urteil zu stützen. Als die Lehre das Kopernikus auftauchte, konnten nur diejenigen, die sich bei Mühe unterzogen, die kopernikanischen Berechnungen nachzurechnen, einsehen, daß dieselben richtig waren; die anderen, die ihr Urteil nach den Bannflüchen richteten, welche von Rom aus gegen das neue System geschleudert wurden –«

»In unserem Jahrhundert werden, wie ich schon früher bemerkte,« unterbrach der Minister, »wissenschaftliche Hypothesen, wenn sie irrig sind, nicht mehr vom Standpunkte der Orthodoxie, sondern von demjenigen der Wissenschaft abgefertigt.«

»Nicht nur wenn sie irrig sind,« versetzte Tilling, »auch wenn sie sich später bewahrheiten sollen, werden neue Hypothesen anfänglich immer von einer Zopfpartei unter den Gelehrten bestritten. Diese läßt auch heute nicht gern an ihren althergebrachten Anschauungen und Dogmen rütteln; gerade so wie damals nicht nur die Kirchenväter, sondern ebenso die Astronomen gegen Kopernikus geeifert.«

»Wollen's damit behaupten,« fiel der barsche General ein, »daß dem verrückten Engländer seine Affenidee so richtig ist, wie daß die Erd' um die Sonn' herumlauft?«

»Ich will gar nichts behaupten, weil ich, wie gesagt, das Buch nicht kenne. Doch nehme ich mir vor, dasselbe zu lesen; vielleicht – aber auch nur vielleicht, denn meine einschlagenden Kenntnisse sind nur gering – werde ich wir dann ein Urteil bilden können. Bis dahin muß ich mich darauf beschränken, meine Meinung auf den Umstand zu stützen, daß bis Theorie auf verbreiteten und leidenschaftlichen Widerspruch stößt, ein Umstand, welcher nur allerdings eher für als gegen deren Richtigkeit zeugt.«

»Du tapfrer, gerader, heller Geist«, apostrophierte ich in Gedanken, den Sprecher.

* * *

Gegen acht Uhr brachen sämtliche Gäste auf. Mein Vater wollte sie noch alle zurückhalten und auch ich murmelte verbindlich ein paar gastliche Phrasen, wie »Doch wenigstens noch eine Tasse Tee?« aber vergebens. Jeder brachte eine Entschuldigung vor: der eine wurde im Kasino, der andere in einer Soiree erwartet; eine der Damen hatte ihren Logentag in der Oper und wollte den vierten Akt der Hugenotten hören; die zweite erwartete noch Gäste bei sich; kurz, man mußte sie – und nicht so ungern als es den Anschein hatte – ziehen lassen.

Tilling und Doktor Bresser, die sich gleichzeitig mit den andern erhoben hatten, empfahlen sich zuletzt.

»Und was haben Sie beide noch wichtiges vor?« fragte mein Vater.

»Ich eigentlich nichts,« antwortete Tilling lächelnd; »da aber sämtliche Gäste sich entfernen, wäre es unbescheiden –«

»Dasselbe gilt von mir,« fiel der Doktor ein.

»Nun dann lasse ich keinen von beiden fort.«

Ein paar Minuten später hatten mein Vater und der Doktor am Spieltisch Platz genommen und vertieften sich in eine Partie Piket, während Baron Tilling sich an meine Seite zum Kamin setzte. – »Eine ›einschläfernde Geschichte‹ dieses Diner? – Nein, wahrlich, angenehmer und anregend hätte sich mir kein Abend gestalten können –« flog es mir durch den Sinn, und laut:

»Eigentlich sollte ich Ihnen Vorwürfe machen, Baron Tilling, warum haben Sie nach Ihrem ersten Besuch den Weg in mein Haus vergessen?

»Sie hatten mich nicht aufgefordert, wiederzukommen.«

»Ich teilte Ihnen doch mit, daß an Sonnabenden –«

»Ja, ja, zwischen zwei und vier ... Das dürfen Sie mir nicht zumuten, Gräfin. Aufrichtig: ich kenne nichts Schrecklicheres, als diese offiziellen Empfangstage. In einen mit fremden Leuten angefüllten Salon eintreten; – sich vor der Hausfrau verbeugen; – am äußersten Ende eines Halbkreises Platz nehmen; – Bemerkungen über das Wetter austauschen hören und, wenn man zufällig neben einen Bekannten zu sitzen kam, eine eigene Bemerkung hinzufügen; – von der Hausfrau über alle Hindernisse weg mit einer Frage ausgezeichnet zu werden, die man eifrigst beantwortet, hoffend, daß sich nun mit derjenigen, die man besuchen wollte, ein Gespräch entspinnen werde – vergebens: soeben tritt wieder ein anderer Gast ein, der begrüßt werden muß und der sich hierauf auf das nächste leere Plätzchen des Halbkreises niederläßt und – in der Meinung, das Thema sei noch nicht berührt worden – eine neue Bemerkung über das Wetter in Umlauf bringt; dann nach zehn Minuten – wenn abermals Besuchsverstärkung kommt, womöglich eine Mama mit vier heiratsfähigen Töchtern, für die nicht genug Sessel mehr frei wären – im Verein mit einigen anderen aufstehen, von der Hausfrau sich empfehlen und gehen ... nein, Gräfin, so etwas übersteigt meine ohnehin nur schwachen geselligen Fähigkeiten.«

»Sie scheinen überhaupt der Gesellschaft sich fern zu halten – man sieht Sie nirgends. Sie sind ein Menschenfeind? ... Doch nein, diese Frage nehme ich zurück. Aus manchem, was Sie sagten, habe ich herausgehört, daß Sie alle Menschen lieben.«

»Die Menschheit liebe ich, aber alle Menschen? – Nein. Es gibt zu viele nichtswürdige, bornierte, selbstsüchtige, kaltblütig grausame darunter – die kann ich nicht lieben, wenngleich ich sie bedaure, daß ihnen Erziehung und Umstände nicht gestattet haben, liebenswert zu sein.«

»Umstände und Erziehung? Der Charakter hängt doch hauptsächlich von den angeborenen Anlagen ab – meinen Sie nicht?«

»Was Sie angeborene Anlagen nennen, sind doch weiter nichts als auch Umstände, ererbte Umstände.«

»Dann sind Sie der Ansicht, daß ein schlechter Mensch an seiner Schlechtigkeit unschuldig und darum nicht zu verabscheuen sei?«

»Der Nachsatz ist durch den Vordersatz nicht bedingt: unschuldig wohl – aber dennoch zu verabscheuen. Sie sind an Ihrer Schönheit auch unschuldig und darum doch bewunderungswürdig.«

»Baron Tilling! Wir haben angefangen, als zwei vernünftige Leute ernste Dinge zu sprechen – verdiene ich da, plötzlich als komplimentensüchtige Salondame behandelt zu werden?«

»Verzeihen Sie mir, so war es nicht gemeint. Ich habe nur das mir zunächst liegende Argument gebraucht.«

Es entstand eine kleine Pause. Tillings Blick hing mit einem bewundernden, fast zärtlichen Ausdruck an meinen Augen, die ich nicht senkte ... Ich weiß, wohl, daß ich hätte wegschauen sollen – aber ich tat es nicht. Ich fühlte meine Wangen erglühen und wußte, daß, wenn er mich hübsch fand, ich in diesem Augenblick noch hübscher erscheinen mußte ... es war ein angenehmes, »bösgewissiges«, verworrenes Gefühl und dauerte eine halbe Minute. Länger durfte es nicht dauern; ich hob den Fächer vors Gesicht und veränderte meine Stellung. Dann in gleichgültigem Tone:

»Sie haben vorhin dem Minister »Allerdings« eine vortreffliche Antwort gegeben.«

Tilling schüttelte den Kopf, als ob er sich aus einem Traume risse:

»Ich? ... Vorhin? ... Ich erinnere mich nicht. Im Gegenteil: mir scheint, daß ich Ärgernis gegeben habe mit meiner Bemerkung über den Springauf – Hopsauf – oder wie der brave Schütze hieß.«

»Hupfauf.«

»Sie waren die einzige, der ich zu Dank gesprochen. Die Exzellenzherren hingegen habe ich mit meiner, für einen k. k. Oberstleutnant höchst unpassenden Äußerung natürlich verletzt ... ›hartes Herz‹, von einem, der so braves Bestschießen auf den Feind leistet: Lästerung! Soldaten sind doch bekanntlich – je kaltblütiger sie töten – desto gutmütigere Kumpane; es gibt keine sentimentalere Rührfigur im melodramatischen Repertoir, als den schlachtenergrauten, weichherzigen Krieger: keiner Fliege könnte der stelzfüßige Veteran etwas zu Leide tun.«

»Warum sind Sie Soldat geworden?«

»Mit dieser so gestellten Frage beweisen Sie, daß Sie mir ins Herz geschaut haben. Nicht ich – nicht der neununddreißigjähnge Tilling, der drei Feldzüge gesehen, habe den Beruf gewählt, sondern der zehn- oder zwölfjährige kleine Fritzl, der unter hölzernen Streitrossen und bleiernen Regimentern aufgewachsen und den sein Vater, der ordensgeschmückte General, und sein Onkel, der mädchenerobernde Leutnant, aufmunternd fragten: »Junge, was willst du werden? Was sonst als wirklicher Soldat, mit einem wirklichen Säbel und einem lebendigen Pferd?«

»Für meinen Sohn Rudolf wurde mir heute auch eine Schachtel Bleisoldaten gebracht – ich werde sie ihm nicht geben. – Doch warum – als der Fritzl zum Friedrich sich entwickelt hatte, warum haben Sie da nicht einen Stand verlassen, der Ihnen verhaßt geworden?«

»Verhaßt? Das ist zuviel gesagt. Ich hasse den Zustand der Dinge, der uns Menschen so grausige Pflichten auferlegt, wie das Kriegführen; da dieser Zustand nun aber einmal da ist – unvermeidlich da ist – so kann ich die Leute nicht hassen, welche die daraus erwachsenden Pflichten auf sich nehmen und gewissenhaft, mit Aufwand ihrer besten Kräfte, erfüllen. Wenn ich den Militärdienst verließe, würde darum weniger Krieg geführt? Gewiß nicht. Es würde nur an meiner Stelle ein anderer sein Leben einsetzen – das kann ich schon auch selber tun.«

»Könnten Sie Ihren Mitmenschen nicht in einem anderen Stande mehr Nutzen bringen?«

»Ich wüßte nicht. Ich habe nichts anderes gründlich gelernt als die Soldaterei. Man kann um sich herum immer gutes und nützliches wirken; ich habe Gelegenheit genug, den Leuten, die unter mir dienen, das Leben zu erleichtern. Und was mich selber betrifft – ich bin sozusagen auch ein Mitmensch – so genieße ich den Respekt, welchen die Welt meinem Stande entgegenbringt; ich habe eine leidlich gute Karriere gemacht – bin bei den Kameraden beliebt, und freue mich dieser Erfolge. Vermögen besitze ich keins, als Privatmann hatte ich weder die ... Druck unleserlich ... anderen noch mir zu nutzen – aus welchem Grunde hätte ich da meine Laufbahn aufgeben sollen?«

»Weil Ihnen das Totschlagen widerstrebt.«

»Wenn es gilt, das eigene Leben gegen einen anderen Totschläger zu verteidigen, so hört die persönliche Tötungsverantwortung auf. Der Krieg ist oft und ganz zutreffend ein Massenmord benannt worden, aber der einzelne fühlt sich nicht als Mörder. Daß mir jedoch der Kampf widerstrebt, daß mir die Jammerauftritte des Schlachtfeldes Schmerz und Ekel einflößen, das ist wahr. Ich leide dabei, leide intensiv ... aber so muß auch mancher Seemann während des Sturmes von der Seekrankheit leiden, und dennoch, wenn er ein halbwegs braver Kerl ist, hält er aus auf Deck, und wagt sich, wenn es sein muß, immer wieder hinaus ins Meer.«

»Ja, wenn es sein muß. Muß der Krieg denn sein?«

»Das ist eine andere Frage. Aber mitziehen muß der einzelne – und das gibt ihm, wenn auch nicht Lust, so doch Kraft zu seiner Amtserfüllung.«

So sprachen wir noch eine Zeitlang fort – in leisem Ton, um die Piketspieler nicht zu stören – und wohl auch, um von ihnen nicht gehört zu werden, denn unsere getauschten Ansichten – Tilling schilderte noch einige Schlachtenepisoden und seinen dabei empfundenen Abscheu, ich teilte ihm die von Buckle aufgestellten Betrachtungen über den mit steigender Zivilisation abnehmenden Kriegsgeist mit – diese Reden paßten nicht für die Ohren des Generals Althaus. Ich empfand, daß es ein Zeichen großen Vertrauens von seiten Tillings war, mir über dieses Thema so rückhaltlos sein Inneres aufzudecken – es war da ein Strom von Sympathie von einer Seele zur anderen übergegangen ...

₺185,42

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
550 s.
ISBN:
9783966512114
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu