Kitabı oku: «Kleists Michael Kohlhaas», sayfa 6
Kleists Werke folgen also der klassischen Auffassung vom Erhabenen ebenso, wie sie sie durch ihre spezifische Erfüllung über sich hinaustreiben. Darum lässt sich die von Adorno analysierte Dynamik des Begriffs des Erhabenen246 schon an Kleist spüren. So ist der Umschlag von Ernst in Komik bei Kleist latent, denn die Kleist’sche Kunst, Handlungsumschwünge zu erfinden, lässt das Aberwitzige, das im unmittelbaren Vollzug des Werkes die Aufmerksamkeit dramatisch fesselt, beim etwas distanzierteren Zurücktreten gegenüber dem Produkt als einem mimetisch Arrangierten, die Verstrickungen auch komisch wirken, – eine Komik der clownesken Karikatur allerdings, die einem ebenso im Halse stecken bleibt wie die in den Stücken Becketts. – Außerdem konstatiert Adorno die Unverträglichkeit des Erhabenen mit dem ästhetischen Schein. Dies zeigt sich etwa an der Einziehung der epischen Distanz und besonders am Kohlhaas an der Sprengung der poetischen Formen, über die der Gehalt hinausdrängt.
In neuerer Zeit hat Bernhard Geiner247 verdienstvoller Weise das Phänomen des Erhabenen bei Kleist ins Zentrum seiner Interpretationen gestellt. Eine entscheidende Rolle spielt dabei für Greiner seine Interpretation des Textes Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft (II, 327 f.), aus dem er eine Theorie der Kleist’schen Auffassung des Erhabenen extrapoliert. Anders als es diese Arbeit tut, ist er dabei in seiner nahe an Kant gehaltenen Auffassung vom Erhabenen von der durch Lyotard angeregten zentralen Deutung von der »konstitutive(n) Nicht-Zuhandenheit des Gegenstandes in der Erfahrung des Erhabenen«248 geleitet. Leider waltet hier ein Missverständnis, das Greiners Deutung in Nicht-Übereinstimmung mit dem interpretierten Kant’schen Ausgangstext bringt. Greiner schreibt: »Nachdrücklicher noch als beim Schönen betont Kant beim Erhabenen, dass nichts über Gegenstände ausgesagt werde, die es auslösen – denn diese sind, als unfassbar, ja in keiner Form von Zuhandenheit gegeben –, sondern allein etwas über Vorgänge im aufnehmenden Subjekt: ›Erhabenheit [ist] in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserem Gemüte enthalten‹ (KdU 108).«249 Greiner behauptet hier, seine Generalthese exponierend, dass auf Grund dessen, dass Erhabenheit nicht von den Gegenständen ausgesagt werden kann, die das Gefühl des Erhabenen allerdings nur auslösen, insgesamt über diese nichts ausgesagt werden könne, da sie, mit dieser an Heidegger angelehnten Formulierung für »existieren«, nicht »zuhanden« seien. Aus Nicht-als-Erhabenes-gegeben-sein wird bei Greiner Überhaupt-nicht-gegeben-sein. Diese kunstfremde Abstraktion von der Erfahrung der Zweckwidrigkeit in der sinnlichen Darstellung korrespondiert der Abstraktheit, mit der Greiner die Problematik im Erhabenen charakterisiert: »Das Paradox einer Darstellung der Nichtdarstellbarkeit, die für Kant das Erhabene ausmacht, muss ausgehalten werden.«250 Die Formulierung Greiners von der »Darstellung der Nichtdarstellbarkeit« ist eine diskursive Formalisierung des Problems der Darstellung des Nichtdarstellbaren. Ist der Zweck der Darstellung, wie bei Greiner, die Nichtdarstellbarkeit, dann nicht mehr ein bestimmtes Nichtdarstellbares, also nicht eine bestimmte Vernunftidee, sondern das, was allen Vernunftideen gemeinsam ist: deren Nichtdarstellbarkeit. Im Unterschied zur Darstellung eines Nichtdarstellbaren als einer bestimmten Idee, kommt es bei der Darstellung der Nichtdarstellbarkeit auf die Spezifität der Darstellung selbst nicht an, denn sie ist nur Funktion des Allgemeinbegriffs und darum beliebig. Damit aber fällt der Unterschied von ästhetischer Darstellung und diskursiver Darstellung weg, denn die ästhetische Darstellung wäre nur beliebiges Symbol immer desselben, das sich einfacher theoretisch, so wie oben, formulieren lässt: das, was allen Vernunftideen gemeinsam ist, ist die Unmöglichkeit, sie sinnlich darzustellen. Das Problem der philosophischen Darlegung des Begriffs des Erhabenen bei Kant ist, dass sie in dieser formalisierenden Weise missverstanden werden kann, aber nur, wenn von den nicht rein diskursiven Bestandteilen der Argumentation – besonders den Beispielen – abstrahiert wird.
Zwei Seiten später nimmt Greiner seine Folgerung über die Nicht-Zuhandenheit selbst wieder zurück: »Obwohl das Schöne wie das Erhabene als ästhetische Urteile nur Vorgänge im urteilenden Subjekt betreffen, wofür der Gegenstand lediglich das auslösende Moment ist, unterscheidet Kant beide doch hinsichtlich ihres Gegenstandsbezuges. Als ›wichtigste[r] und innerste[r] Unterschied […] des Erhabenen vom Schönen‹ (KdU 76) wird erläutert, dass beim Schönen der auslösende Gegenstand selbst eine Zweckmäßigkeit in der Form unserer Urteilskraft bei sich führt, während das, ›was in uns […] das Gefühl des Erhabenen erregt, der Form nach […] zweckwidrig für unsere Urteilskraft‹ ist (KdU 76).«251 Nichts, da es nicht existiert, kann kein Gegenstand sein und darum auch kein zweckwidriger Gegenstand für die Einbildungskraft. Die Transformation bei Greiner von negativen Bestimmungen bei Kant in positive Bestimmungen bei ihm zerspaltet das ästhetische Problem des Erhabenen in begriffliche, in sich inkonsistente Abstraktionen: das Nichts und später das Materielle. Denn das, was Kant als Zweckwidrigkeit für das Urteilsvermögen bezeichnet, die an spezifischen Gegenständen der Natur als Zweckwidrigkeit erfahren wird, Abstoßung bewirkt und das Gefühl des Erhabenen erweckt, wird bei Greiner zu »Vorstellungen, die sich aller Synthesis-Leistungen (Formung, Gestaltung, Ausdruck) verweigern.«252 D. h.: das, was bei Kant als Prozess der Überwältigung, als Scheitern des Versuchs der Synthetisierung, bestimmt ist, wird bei Greiner resultativ zu einer Unmöglichkeit der Synthetisierung von vornherein. Das nimmt der gegenständlichen Seite an der Erfahrung des Erhabenen jede nähere und spezifische Bestimmtheit, die Kant in seinen Beispielen aufzeigt und von denen in jedem Fall der Ausdruck von Größe (mathematisch Erhabenes) oder Macht (dynamisch Erhabenes) ausgehen muss. An Stelle solcher Erfahrung am Gegenstand steht bei Greiner dann nur noch das Nichts – und da das ja nun doch nicht geht, sind es also »die schockierenden Öffnungen zum Nichts«253 als »Absprungstelle für den Übergang auf die Ebene der Vernunft«254. Zum einen wird also die Nicht-Zuhandenheit behauptet, die Nichtexistenz; dem widerspricht Greiner mit Kant selbst und hilft sich – unbeschadet der Unvereinbarkeit mit seiner These von der Nicht-Zuhandenheit des sinnlichen Gegenstandes in der Erfahrung des Erhabenen – aus dem Widerspruch durch ein sich zur rechten Zeit einstellendes Wort: »Absprungstelle« oder »Absprungimpuls«255. Die These von der Nicht-Zuhandenheit ist nicht zu halten. Greiner bestätigt das selbst, fühlt sich aber nicht intellektuell dazu verpflichtet, sie explizit zurückzunehmen, sondern sie lebt fort in der mystifikatorischen Modifikation unter dem Titel der »Öffnungen zum Nichts«.
Wie kommt nun Greiners Argumentation zum abstrakten Gegenpol des Nichts, der empirischen Materialität, m. a. W. zu dem, was gerade ausgeschlossen worden war? Durch eine in ihrer äußersten Fragwürdigkeit hier nicht auseinander zu legenden Konstruktion mit einem den Begriff des Erhabenen völlig verändernden Resultat: »Wenn überhaupt, kann damit die erhabene Wende nur aus dem Materiellen des Bildes [Greiner interpretiert noch den Kleist’schen Caspar-David-Friedrich-Text, B. W.] erfolgen. Für solche materiellen Reste, […], ist Kleist ja berühmt: der Handschuh Nataliens, […].«256 Greiners These kulminiert in der Konklusion, die hier ausführlich zitiert sei: »Die Entgrenzung des Erhabenen vom Feld der Naturerscheinungen zu einer Erfahrung, die auch ein Werk der Kunst hervorbringen kann, ist zu einem monströsen Ergebnis gelangt, indem Kleist die von Kant aufgestellte Bedingung (›Übereinstimmung mit der Natur‹ [KdU 76]) mit der ihm eigenen radikalen Wörtlichkeit übernommen hat: als Verschiebung der erhabenen Wende in die Materialität der Kunst, insofern sie aus dem Material dessen gemacht wird, das sie vorstellt.«257 Hier verliert Greiners zur Theorie des Erhabenen verallgemeinerte Deutung jeden Boden unter den Füßen, was ihm selbst nicht ganz entgeht, ihn aber nicht daran hindert, daraus weitere Schlüsse zu ziehen: »So kommt auch nur ein ins Materielle verschobenes/verschrobenes Erhabenes zustande: […]. Das aber führt, […], nicht zur strahlenden Selbstvergewisserung des Subjekts als der Ideen der Vernunft teilhaftig, es führt nicht zum Menschen in seiner sittlichen Größe und schlüge derart die gesuchte Brücke von der Welt der Determination zu derjenigen der Freiheit. Es führt vielmehr zur Entmenschung, zum Tier, zu dessen Art von Ideenhaftigkeit, die, denkt man an den Bären des […] Essays über das Marionettentheater, zumindest als zutiefst zweideutig anzusehen ist.«258 Um der – allerdings falschen – Konsequenz eines affirmativ verstandenen Kant’schen Begriffs des Erhabenen zu entgehen, wird somit bei Greiner der mögliche vernünftige Gehalt der Erfahrung des Erhabenen ebenso lapidar wie fragwürdig an die »zutiefst zweideutige« Instanz einer entmenschten, tierischen »Art von Ideenhaftigkeit« verwiesen. Kant, dem bewusst war, welche zentrale Rolle der Zweckbegriff für die Einheit der Wissenschaft spielt, hat es gleichwohl vermieden in der Kritik der Urteilskraft den physiko-teleologischen Gottesbeweis zu restituieren und darum lieber die Kunst an die Problemstellungen der praktischen Vernunft rückverwiesen. Auch Kleist ging es in seinen Kunstwerken nicht um eine skeptizistische Erkenntniskritik, nicht um »das Herausarbeiten der Aporie des transzendentalen Subjekts als des Bürgen der Gewissheit des Wissens«259, sondern um die Probleme der Kunst auf dem Hintergrund der Frage nach der Wahrheit des praktischen Handelns.
Doch nicht genug damit, dass Greiner die Passage in Kleists Text über Caspar David Friedrichs Gemälde über das Malen der Kreidefelsen mit ihrer Kreide und des Wassers mit seinem Wasser ernst nimmt, um damit die sinnliche Seite gegen sein eigenes konstruiertes Nichts zu retten, nein, dieser krude Naturalismus soll gleichzeitig bei Kleist reflexiv werden: das Material der Kunst ist am Ende die Kunst selbst. So metamorphisieren sich bei Greiner die sinnlichen Momente am Erhabenen vom Nichts zu den berühmten Kleist’schen Motiven (»›Traumreste‹ eines Ideellen«260), von diesen zum kruden Naturstoff und aus diesem wiederum zur Kunst selbst. Die Kunst sei der Kunst das Material, aus dem sie gemacht sei, »insofern die Dichtungen immer neue Experimente veranstalten, die Versprechungen des Ästhetischen auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen.«261 Selbst wenn die Kunst sich selbst Gegenstand wird, so ist sie doch nicht das Material, aus dem sie hergestellt wird. Das Material der Poesie ist die Sprache.
Der Mangel der Greiner’schen Bestimmung des Erhabenen bei Kleist ist, dass sein Missverständnis gegenüber der Zweckwidrigkeit der Anschauungen für die Einbildungskraft im Erhabenen, wodurch es sich vom zweckhaften, aber nicht begrifflich Bestimmten, also des Schönen unterscheidet, ihn in die leere Abstraktion der »Nicht-Zuhandenheit« führt, die er dennoch irgendwie wieder inhaltlich zurücknehmen muss. Das macht leider die Bestimmungen, an denen das Erhabene bei Kleist erfasst werden kann, unscharf und tendenziell inkonsistent und beliebig. Das eigentliche Problem, wie es in meiner Arbeit hier herausgearbeitet wird, wie die Zweckwidrigkeit in der Anschauung zur Kritik (in Form einer bestimmten Negation) der idealistischen Auffassung der Vernunftideen und damit einer idealistischen Ästhetik wird, lässt sich mit Greiners theoretischem Ansatz nicht verdeutlichen. Denn anstatt an den Kunstwerken die bestimmte Negation des Idealismus aufzuweisen, hält er an der idealistischen Vorstellung vom ästhetischen Brückenschlag zwischen theoretischer und praktischer Vernunft fest und konstatiert der Kunst zum einen unverbindliche Experimente über dessen Haltbarkeit und zum anderen einen prinzipiellen Skeptizismus gegenüber dem transzendentalen Subjekt. Ersteres ist deshalb schon problematisch, weil dieser sog. Brückenschlag die Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen erfordert, wie sie nach Kant aber nur für das Schöne gilt. Es verwundert darum nicht, dass in seiner Kohlhaas-Interpretation von Greiner der Versuch unternommen wird, diesen Unterschied in ein Ersetzungsverhältnis einzuebnen262. Dies ist nicht sachgerecht, beruht auf einer Missdeutung der Kant’schen Belegstelle (KdU § 49, bei Greiner fälschlich: A 142 f., richtig: A 192 f.), ist somit lediglich seinem theoretischen Ansatz geschuldet und nimmt bedauerlicher Weise die Pointierung des Erhabenen durch Greiner zurück.
Philologisch bleibt noch anzumerken, dass Greiner seine weitreichenden Folgerungen aus einem Text zieht, von dem er detailliert weiß, dass er von Kleist nur bearbeitet, aber nicht selbst geschrieben wurde263. Der Text ist eine kürzende Bearbeitung eines von Brentano verfassten Textes, der zunächst unter dem Kürzel cb. (für Clemens Brentano) abgedruckt war. Brentano hatte sich dann über die eigenwillige Kürzung und Umstellung geärgert, was Kleist veranlasste, den Text nachträglich in der nächsten Ausgabe der Berliner Abendblätter als aus seinem Geiste erwachsen zu bezeichnen. Denn anscheinend genügte es Brentano nicht, dass Kleist in seinem Brief an Arnim lediglich für seine redaktionell notwendigen Kürzungen um Verständnis bat. Durch diese Kürzungsarbeit wird der Text hinsichtlich dessen, was in ihm Ironie, was eigentliche Rede ist, äußerst inkonsistent. Greiner geht auf dieses Problem nicht ein und beendet außerdem seine Interpretation ohne auf die Schlusspassage des Aufsatzes einzugehen, in der der Ich-Erzähler des Textes seine eigenen Aussagen erheblich relativiert. Kurz: der Text erscheint mir zu problematisch, um darauf eine so grundlegende Deutung der Kleist’schen Auffassung des Erhabenen bauen zu können.
A 02) Moralphilosophische Grundlegungen
A 02–1) Vorbemerkung
Aus Kleists frühem, mit 21 Jahren 1799 geschriebenen Aufsatz, den sicheren Weg des Glücks zu finden etc.264 und dem Sembdner zufolge (II, 921) danach verfassten Brief an Christian E. Martini vom März 1799 geht hervor, dass die Vorstellung vom Glück für Kleist von höchster Bedeutung war – nicht nur intellektuell, sondern auch lebenspraktisch. Denn sie motivierte den lebensentscheidenden Entschluss Kleists, seine Militärlaufbahn zu verlassen. In beiden Texten werden Tugend und Glück als notwendig verschränkt gedacht, weil Kleist bloß äußerliche Glücksgüter als dem bloßen Zufall unterworfen und als Zerstreuung gelten, die Tugend allein aber einem Vernunftwesen, das zugleich Sinnenwesen ist, nicht Erfüllung verschaffen kann. »Es ist kein besserer Sporn zur Tugend möglich, als die Aussicht auf ein nahes Glück, und kein schönerer und edlerer Weg zum Glücke denkbar, als der Weg der Tugend.« (II, 475) Trotz dieser Bestimmung der Wechselseitigkeit tendiert Kleist sowohl in dem Brief an Martini, aber noch deutlicher in dem Aufsatz, zur einseitigen Betonung der Tugend und zur Innerlichkeit des Glücks, das dann in der »Zufriedenheit unserer selbst« (II, 305) und dem »Bewusstsein guter Handlungen« (II, 305) bestehe. Reichte diese Bestimmung der an Kant erinnernden Selbstzufriedenheit265 zunächst nur aus, um zu behaupten, »dass wir nie unglücklich sein werden« (II, 304), so steigert sich Kleist dahingehend, von »vollen und überschwenglichen Genüsse(n)« (II, 304) zu sprechen, die mit der Vorstellung einer »standhaft behaupteten Würde« (II, 305) verbunden sind und »ein sicheres tiefgefühltes und unzerstörbares Glück [zu] gründen.« (II, 305) Da Kleist in seinen Kunstwerken die Dialektik von Tugend und Glückseligkeit dezidiert zum Thema gemacht hat, ist dieses als Moment gleichwohl bewahrte, starke Motiv nicht sein letztes Wort dazu gewesen. Schon in den beiden herangezogenen Texten liegen Motive, die über Tugend und Innerlichkeit hinausweisen, nämlich die Wechselseitigkeit von Glück und Tugend und die »Aussicht auf ein nahes Glück« (II, 303). Außerdem fällt an Kleists Betrachtungen die lebenspraktische Orientierung mit der entsprechenden harmonisierenden Beschränkung der Begriffe auf. Lebenspraktisch gesehen liefert die These von der einzig das wahre Glück gründenden Tugend Kleist die Rechtfertigung dafür, mit dem Militärdienst seine sicheren Einkünfte, also äußere Glücksgüter, auszuschlagen und sich ausschließlich mit der Vervollkommnung seiner Tugend zu befassen. »Und doch hielt ich meine moralische Ausbildung für eine meiner heiligsten Pflichten, eben weil sie, […], mein Glück gründen sollte, und so knüpft sich an meine natürliche Abneigung gegen den Soldatenstand noch die Pflicht, ihn zu verlassen.« (II, 479) Es ist bekannt, dass sich die auf die Wissenschaft gegründete Hoffnung Kleists nicht erfüllt hat. Die Dialektik des Verhältnisses von Glück und Tugend hat bis zum Schluss Kleists ästhetische Produktion bestimmt. Diese Dialektik soll im folgenden Teil philosophisch vollständig dargestellt werden, um zu zeigen, wie eng bei der Interpretation Kleist’scher Werke Kunst und Philosophie aufeinander verwiesen sind und sich gegenseitig kritisieren.
A 02–2) Das höchste Gut oder der moralische Wunsch
Hegel hat Kant in der Phänomenologie des Geistes im Kapitel Die Verstellung266 mit bissiger Enerviertheit die in der Postulatenlehre kulminierenden Probleme seiner Moralphilosophie aufgewiesen, wo sich »ein ganzes Nest gedankenloser Widersprüche«267 finde. Dieses beruhe auf einer ihrem spekulativen Gegenstand nicht angemessenen dichotomischen Denkweise. »In der moralischen Weltanschauung sehen wir einesteils das Bewußtsein selbst seinen Gegenstand mit Bewußtsein erzeugen; wir sehen es denselben weder als ein Fremdes vorfinden noch auch ihn bewußtlos ihm werden, sondern es verfährt überall nach einem Grunde, aus welchem es das gegenständliche Wesen setzt; es weiß dasselbe also als sich selbst, denn es weiß sich als das tätige, das es erzeugt. Es scheint somit hier zu seiner Ruhe und Befriedigung zu kommen, denn diese kann es nur da finden, wo es über seinen Gegenstand nicht mehr hinauszugehen braucht, weil dieser nicht mehr über es hinausgeht. Auf der andern Seite aber setzt es selbst ihn vielmehr außer sich hinaus, als ein Jenseits seiner. Aber dies Anundfürsichseiende ist ebenso als ein solches gesetzt, das nicht frei vom Selbstbewußtsein, sondern zum Behuf des letzteren und durch dasselbe sei. Die moralische Weltanschauung ist daher in der Tat nichts anderes als die Ausbildung dieses zum Grunde liegenden Widerspruchs nach seinen verschiedenen Seiten; […].«268 Hegels Kritik ist berechtigt, denn das unentschiedene Behaupten und wieder Zurücknehmen der Kant’schen Argumentation, das ihrer diskursiven Form ebenso wie Kant’schen Eigenheiten – dem Primat von Kausalität – geschuldet ist, lässt sich nicht übersehen. So kann sich Kant z. B. nicht entscheiden, ob Glückseligkeit etwas ist, das in der Sinnenwelt realisiert werden kann oder muss. Dazu: a) »Wenn wir uns genötigt sehen, die Möglichkeit des höchsten Guts, dieses durch die Vernunft allen vernünftigen Wesen ausgesteckten Ziels aller ihrer moralischen Wünsche, in solcher Weite, nämlich in der Verknüpfung mit einer intelligiblen Welt, zu suchen, so muß es befremden, daß gleichwohl die Philosophen, alter so wohl, als neuer Zeiten, die Glückseligkeit mit der Tugend in ganz geziemender Proportion schon in diesem Leben (in der Sinnenwelt) haben finden, oder sich ihrer bewußt zu sein haben überreden können«269 und b) »die Bewirkung des höchsten Guts in der Welt ist das notwendige Objekt eines durchs moralische Gesetz bestimmbaren Willens.«270 So überzeugend die Hegel’sche Kritik erscheint, übergeht sie jedoch in der Sache liegende Unterschiede, die eben die Motive dazu abgeben, dass sich den von Kant verzweifelt festgehaltenen Inkonsistenzen ein vernünftiger, philosophiekritischer Sinn abgewinnen lässt. Kleist hat diesen zur ästhetischen Wahrheit ausgestaltet.
In Hegels Analyse der Kant’schen Vorstellung des Handelns liegt schon das Prinzip seiner Kritik an der Konzeption der Kritik der praktischen Vernunft. Die logische Form von Analyse und Kritik ist im Kapitel Die Schranke und das Sollen in der Hegel’schen Logik271 dargelegt.
Obwohl die Analytik der Kritik der praktischen Vernunft mit dem reinen Willen als dem apriorischen Vermögen der Freiheit als einer Spontaneität der Vernunft anhebt und gerade aus dessen Unabhängigkeit gegen das Bestimmtwerden durch das untere Begehrungsvermögen (als der Materie des Willens) dessen Bestimmbarkeit durch reine Vernunft beweist, ergibt sich im Verlauf der Argumentation, dass es zu einem Widerspruch zur Vernunftbestimmung des Individuums (der Person) als eines Zwecks an sich272 selbst führt, wenn ein endliches Subjekt sich vermöge seines aus reiner Vernunft bestimmten Willens um zukünftiger Zwecke willen aufopfert. Denn es folgt nach Kant aus der Vorstellung von »dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle Gewalt hätte«273, dass der aus der autonomen Bestimmung des Willens, also der Achtung der Menschheit in der eigenen Person, entspringenden Glückswürdigkeit des Individuums auch die proportionierte Glückseligkeit entspreche. Kant löst also die Wiederkehr des Motivs der materialen Bestimmung des Willens dialektisch durch die Vereinigung von Tugend in Gestalt der Glückswürdigkeit und Glückseligkeit als der individuellen Bestimmung der Erfüllung der Freiheit der Willkür im metaphysischen Begriff des höchsten Gutes. Er verspricht damit dem endlichen Subjekt eine Belohnung für seine Bemühungen und Leiden, die dieses sowohl selbst hervorzubringen habe; als er die Belohnung, die doch einem endlichen Wesen als sinnliche Erfüllung zugute kommen soll, auch zugleich in ein postuliertes Jenseits verlegt, in dem sie nur von Gott ausgeteilt werden kann. Hegel kritisiert das: »Lassen wir die Voraussetzung, daß es ein wirkliches moralisches Bewußtsein gibt, zuerst auf sich beruhen, weil sie unmittelbar nicht in Beziehung auf etwas Vorhergehendes gemacht wird, und wenden uns an die Harmonie der Moralität und der Natur, das erste Postulat. Sie soll an sich sein, nicht für das wirkliche Bewußtsein, nicht gegenwärtig; sondern die Gegenwart ist vielmehr nur der Widerspruch beider. In der Gegenwart ist die Moralität als vorhanden angenommen und die Wirklichkeit so gestellt, daß sie nicht in Harmonie mit ihr sei. Das wirkliche moralische Bewußtsein aber ist ein handelndes; darin besteht eben die Wirklichkeit seiner Moralität. Im Handeln selbst aber ist jene Stellung unmittelbar verstellt; denn das Handeln ist nichts anderes als die Verwirklichung des inneren moralischen Zwecks, nichts anderes als die Hervorbringung einer durch den Zweck bestimmten Wirklichkeit oder der Harmonie des moralischen Zwecks und der Wirklichkeit selbst. Zugleich ist die Vollbringung der Handlung für das Bewußtsein, sie ist die Gegenwart dieser Einheit der Wirklichkeit und des Zwecks; und weil in der vollbrachten Handlung das Bewußtsein sich als dieses Einzelne verwirklicht oder das Dasein in es zurückgekehrt anschaut und der Genuss hierin besteht, so ist in der Wirklichkeit des moralischen Zwecks zugleich auch diejenige Form derselben enthalten, welche Genuss und Glückseligkeit genannt wird. – Das Handeln erfüllt also in der Tat unmittelbar dasjenige, was nicht stattzufinden aufgestellt war und nur ein Postulat, nur jenseits sein sollte.«274
Hegels Begriff des Handelns beruht darauf, dass der individuellen Bestimmtheit, d. i. der Maxime, die Bestimmung, d. i. der Zweck, immanent sei und umgekehrt, da das Handeln als Prozess des über das Andere und über sich selbst Hinausseins, die negative Einheit der sich gegenseitig jeweils durch das Andere bestimmenden Momente ist. Freiheit ohne durch den einzelnen Willen bestimmten und hervorgebrachten Inhalt wäre leer; der bestimmte Inhalt, also die Bestimmtheit, Einzelheit, das Endliche, ist ohne sich auf einen Zweck, m. a. W. die Bestimmung, das Allgemeine, das Unendliche, hin zu entäußern, der noch nicht in ihm ist, kein Handeln. Im Handeln steht der Einzelne deshalb nicht nur in negativer Beziehung zu seinem Zweck, sondern auch gegen die anderen einzelnen Willen. Dass den in negativer Beziehung aufeinander bezogenen individuellen Willen das Allgemeine als immanente Bestimmung innewohne, entspricht der liberalistischen Vorstellung, dass sich das vernünftige Allgemeine, das Gemeinwohl, aus der Konkurrenz der freien Ausbildung der Fähigkeiten und Bedürfnisse der Bürger von selbst herstelle. Marx hat nachgewiesen, dass dieser durch die »invisible hand«275 (Adam Smith) beförderten Allgemeinheit eine allgemeine Form vorgeordnet ist, der sich die individuellen Willen in ihrem Eigeninteresse vorab unterzuordnen haben, nämlich der Markt, der den arbeitsteilig produzierten Produkten und angebotenen Dienstleistungen die Warenform und deren gegen die Subjekte verselbständigten Gesetze aufzwingt276. Diese Verselbständigung von Subjektivität gegen die Subjekte ist im Kant’schen Begriff der Pflicht implizit festgehalten: im Begriff der Rechtspflicht, insofern sich das Subjekt um seiner Selbsterhaltung willen den Regeln der Konkurrenz, der ›ungeselligen Geselligkeit‹, unterwerfen muss; und im Begriff der Tugendpflicht, insofern die Realisierung von Tugenden in einer von Konkurrenz geprägten Welt dem Individuum mindestens zum Nachteil gerät und im schlimmsten Fall im Martyrium endet. Im Kant’schen Begriff des Handelns sind darum zwei Differenzen enthalten, die bei Hegel nivelliert sind. Zum einen, dass das Handeln nach oder aus Pflicht für den Einzelnen Versagung einschließt – was sich für Kant als Gegensatz von unterem und oberem Begehrungsvermögen darstellt; und zum zweiten, dass es einen prinzipiellen Unterschied in der Zweckbestimmung gibt, nämlich die Pflicht oder das höchste Gut, denen der Rechtszustand oder das ethische Gemeinwesen korrespondieren. Für Hegel ist die Mühe der Tätigkeit unmittelbar mit der Freude über ihr Resultat verschmolzen. Eine Teilhabe an einer Glückseligkeit, die über das vermöge der Konkurrenz der Einzelwillen naturwüchsig bewirkte Gemeinwohl hinausgeht, erscheint als Gegenstand einer leeren, eigendünkelischen Sehnsucht. Nietzsche beschreibt die Hegelwelt so: »›Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?‹– so fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht. […]. ›Wir haben das Glück erfunden‹– sagen die letzten Menschen und blinzeln.«277
Gegen die Hegel’sche Identifizierung des Einzelnen mit seinen gesellschaftlichen Zwecken, also seiner Glückseligkeit mit dem ihm sozial und historisch Zugeteilten, hat Kant einen von der Vorstellung des Einzelnen als Zweck an sich selbst geschärften Blick auf dessen Spezifität ebenso, wie er die Vorstellung von allgemeiner Glückseligkeit nicht an das Bestehende verrät. Aber indem er die Differenz diskursiv festschreibt, liefert er nur postulierte Versprechen und tröstet mit ihnen über die Versagung, die er als Zwang der Pflicht dem Einzelnen gnadenlos abverlangt. Bevor aber ausgeführt werden soll, dass Hegels Harmonisierung als Moment von Erfahrung: eben der partiellen und gottbegnadeten Teilhabe des Einzelnen an der Transzendenz, durchaus gegen Kant anzuführen sinnvoll ist, möchte ich auf Kants Widersprüche noch interpretierend eingehen.
Der Anspruch des Individuums auf Erfüllung seiner sinnlichen Wünsche darf nicht geschmälert werden, d. h. das höchste Gut muss »in der Welt« (K. d. pr. V., A 205) bewirkt werden. Glückseligkeit ist ein empirisches Prinzip, »denn anders, als vermittelst der Erfahrung, kann ich weder wissen, welche Neigungen dasind, die befriedigt werden wollen, noch welches die Naturursachen sind, die ihre Befriedigung bewirken können.«278 Geschmälert sind diese Wünsche aber in dieser Welt durch die Negativität des Daseins tel quel, so dass das moralische Engagement ihnen erst die Perspektive auf ungeschmälerte Erfüllung eröffnet. Darum insistiert Kant darauf, dass es falsch ist, »die Glückseligkeit mit der Tugend in ganz geziemender Proportion schon in diesem Leben (in der Sinnenwelt) finden zu wollen« (K. d. pr. V., A 208). Spricht Kant dabei von der Verbindung mit der intelligiblen Welt, die nicht in die Sinnenwelt fällt, so kann damit vernünftigerweise nur gemeint sein, dass die Vorstellung von einer Welt mit der Menschheit als Gesamtsubjekt mit keiner aus dem Bestehenden bezogenen Vorstellung kompatibel ist, m. a. W., dass über ihr das Bilderverbot liegt.
Benennt Kant nun zwei Ursachen für das höchste Gut, nämlich zum einen Gott als den gemeinsamen Grund von intelligibler Welt und Sinnenwelt; zum anderen den »durchs moralische Gesetz bestimmbaren Willen[s]« (K. d. pr. V., A 220), dann konstruiert er wiederum eine diskursiv notwendige und unvermeidliche, aber gleichwohl sachlich unzulängliche Antinomie. Deren subjektive Seite, die für Kleist relevant ist, besteht darin, dass ein Subjekt zwar nach seinem Glück streben muss, dieses sich aber nicht nach einem methodisch geregelten Verfahren beliebig reproduzierbar herstellen lässt, sondern ihm unvermeidlich das Moment eines von Außen Hinzukommenden zugehört.279 So flüchtig Glück, wenn überhaupt, in dieser Welt erfahren wird, gehört diesem Hinzukommenden, dem auch Kleist die Bestimmung des Göttlichen gibt, die Qualität eines Zustandes an. Dieser ist ebenso existent wie er Desiderat bleibt. Thomas Mann hat in der Novelle Der Bajazzo280 das Moment des Existenten als die zur Erfahrung von Glück zugehörige fraglose Selbstverständlichkeit desselben herausgestellt. Dass es Desiderat ist, sagt Nietzsche: »Doch alle Lust will Ewigkeit –, / – will tiefe, tiefe Ewigkeit!«281
Dieses Problem der Insistenz auf Erfüllung für das endliche Subjekt und diskursiver Totalisierung in die Transzendenz drückt sich bei Kant ebenfalls in den zwei unvereinbaren Bestimmungen von Glückseligkeit aus. Zum einen ist sie die ganz auf die beschränkte empirische Realität ausgerichtete kontingente Begierde des endlichen Subjekts (»Heteronomie der Willkür«282), eben die »Natur, die bloß Objekt der Sinne ist«283. Dieser Begriff ist radikal darin, dass er es ganz und gar dem Einzelnen überlässt, worin er die Erfüllung seiner Freude findet; zugleich ist er indifferent gegen die gesellschafts- und kulturtheoretische Einsicht, dass sich mit der historischen Entwicklung die Bedürfnisse der Menschen kulturell vermitteln.
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