Kitabı oku: «Totensee», sayfa 2

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Überschrift 1

5. Kapitel

„Entschuldige die Störung Großmutter, aber du kannst jetzt in aller Ruhe mit deiner Geschichte fortfahren.“, ermunterte sie die alte Dame.

„Irgendwann sahen wir von meiner Schwester Margot nur noch einen kleinen Punkt in der Ferne und dann gar nichts mehr. Sie ist einfach nicht zurückgekommen. Verschwunden. Wir haben uns die Seele aus dem Leib gerufen. Wir haben geschrien und gebrüllt. Als das alles nichts half, sind wir ins Dorf gerannt und haben Hilfe geholt. Dann sind einige Männer aus dem Dorf, zusammen mit deinem Uropa, hinausgerudert um sie zu suchen. Nichts. Wie vom Erdboden verschluckt. Genau wie es die Legende beschreibt.“

Lisa hörte inzwischen höchst gespannt dieser unglaublichen Geschichte zu und fragte mit angehaltenem Atem nach:

„Und was war mit dem Boot? Ist das wieder aufgetaucht? Oder blieb das auch verschwunden?“

Ihre Großmutter wirkte zerbrechlicher denn je. Lisa bemerkte, wie ihre Lebenskräfte stetig schwanden. Sie hatte in ihrem jungen Leben schon genug alte Menschen beim Sterben begleitet, um die Anzeichen zu deuten. Also drängte sie ihre Großmutter fort zu fahren, sonst würde sie das Ende der Geschichte womöglich nie mehr hören.

„Ja, das kleine Boot ist wieder aufgetaucht. Am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrühe, wurde es gefunden. Das Seltsame war jedoch, dass es wieder vertäut am Steg des Ufers lag, genau wie am Tag zuvor. Wie von Geisterhand. Kein Mensch im ganzen Dorf konnte sich das erklären. Überall wurde herum gefragt, ob jemand das Boot gefunden und an der Anlegestelle angebunden hätte. Aber keiner hatte etwas gesehen oder gehört. Alle waren der Meinung, dass könne nur ein Gespenst gewesen sein. Es gab einfach keine normale Erklärung.“

„Was ist in den Jahren nach dem Verschwinden deiner Schwester geschehen? Hat man ihre Leiche jemals gefunden? Oder blieb sie verschwunden?“, fragte Lisa atemlos nach.

Die geheimnisvolle Geschichte hatte sie nach und nach ganz in ihren Bann gezogen. Aber ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie nun wirklich zum Ende kommen mussten, wenn sie nicht zu viel von ihrer Schicht versäumen wollte. Inzwischen war der heiße Spätsommertag dem Abend gewichen und es war so dämmerig im Raum geworden, dass Lisa die kleine Nachttischlampe anknipste. Ihr müdes Gesicht spiegelte sich in der dunklen Scheibe des Fensters wider.

Mit aller letzter Kraft, wie es Lisa schien, fuhr die todkranke Frau mit ihrer Erzählung fort.

„Ich weiß nicht mehr, was später passiert ist…Ich bin dann weggezogen. Unsere Eltern sind an ihrer Trauer fast zerbrochen. Es war ja nicht das einzige Unglück… und es wurde viel gemunkelt. Die Gerüchteküche kochte… Ich kann mich nur dunkel erinnern, dass es ein Denkmal für die verschwundenen Opfer des Totensees gab, damit die Angehörigen wenigstens einen Ort zum Trauern hatten.

Meine letzte Bitte an dich, meine liebe Enkelin, ist, dass du herausfindest, ob diese Gedenkstätte noch existiert. Ich möchte gerne, dass du dort einen Strauß roter Rosen im Gedenken an deine Großtante nieder legst. Außerdem bitte ich dich inständig darum, die überaus seltsamen Umstände ihres Verschwindens aufzuklären. Ich konnte mich nie, mein ganzes Leben lang nicht, damit abfinden, dass ihr Tod von so vielen Rätseln umgeben ist. Jetzt freue ich mich darauf, ihr im Jenseits wieder zu begegnen.“

Nach diesen Worten, die sie mit immer schwächer werdender Stimme von sich gab, schloss ihre Großmutter die Augen für die Ewigkeit. Nachdem sie ihren letzten Atemzug getan hatte, verlosch auch die Kerze auf dem kleinen Besuchertischchen. Auch sie hatte das Ende ihrer Brenndauer erreicht. Ein zarter Rauchfaden kringelte sich hinauf zur hohen Zimmerdecke.

Lisa erschauerte unwillkürlich, sie fühlte, wie der Sensenmann in diesem Augenblick die Seele ihrer Großmutter ins Jenseits entführte, während ihr Körper als sterbliche Hülle im Zimmer zurückblieb. Mit einer zarten, fast streichelnden Handbewegung schloss sie ihrer Großmutter die Augen. Dann ging sie mit entschlossenen Schritten zum Fenster und zog mit beiden Armen die Fensterflügel weit auf.

„Flieg, Großmütterchen, flieg hinauf in den Himmel.“ Wisperte sie mit heiserer Stimme.

Jetzt konnte Lisa ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie rannen ihr über das Gesicht bis hinunter auf ihr Sommerkleid. Sie blieb noch einige Zeit neben der sterblichen Hülle ihrer Großmutter sitzen. Nach einer kleinen Ewigkeit erhob sie sich und verließ das Zimmer, um der Pflegekraft den Tod ihrer Großmutter zu melden.

Als alle Formalitäten erledigt waren und sie endlich das Hospiz verließ, spürte sie die kühle Nachtluft auf ihrer Haut und erzitterte unwillkürlich in ihrer dünnen Kleidung. Bereits jetzt fühlte sie die große Bürde, die diese letzte Bitte ihrer Großmutter für sie bedeutete, schwer wie Blei auf ihrer Seele lasten.

Unvermittelt überkam sie eine Welle der Übelkeit. Lisa war froh über die schützende Dunkelheit, als sie sich hinter einem Hortensienstrauch erbrach. Mit wackeligen Knien schleppte sie sich zum Parkplatz weiter, wo der Kleinwagen ihrer Mutter auf sie wartete. In der Ferne hörte sie bereits das wütende Donnergrollen, das nach diesem schwülen Tag ein heftiges Unwetter ankündigte. Sie flüchtete vor dem heranziehenden Gewitter ins Innere des Wagens. Gerade als sich ein krachender Donnerschlag, genau über ihrem Kopf entlud, schlug Lisa hinter sich die Autotür zu.

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6. Kapitel

Die vergangenen Wochen waren überaus schmerzhaft und anstrengend für alle Beteiligten gewesen. Lisa hatte zusammen mit ihren Eltern, die Bestattung ihrer verstorbenen Großmutter organisiert. Es waren eine Menge Leute zu der Beerdigungsfeier auf dem Friedhof des Dorfes gekommen. Nachdem eine würdevolle Zeremonie am Grab stattgefunden hatte, die ihrer Großmutter sicher gefallen hätte, trafen sich alle in der alten Gaststätte nebenan zu Schnittchen und Torte und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen über die Verstorbene.

Viele Menschen, fremde und alte Bekannte klopften ihr tröstend auf die Schulter und sprachen Lisa ihr Beileid aus. Als ob das etwas an ihrem Kummer ändern würde, dachte sie. Aber auf eine besondere Weise tröstete es sie doch ein wenig. Sie merkte, wie allseits beliebt ihre Großmutter gewesen war.

Erst nach der Bestattung, als Lisa nach ihren aufreibenden Arbeitstagen wieder über etwas Freizeit verfügte, hatte sie Zeit gefunden, im Internet nach dem schwarzen See zu suchen. Erstaunlicherweise fand sie bereits nach nur wenigen Minuten Recherche im Netz, eine aufwendig gestaltete Internetseite über eine Hotelanlage in einem ehemaligen Kloster, die sich in der Nähe dieses Gewässers befand. Auch heute waren Teile der Anlage immer noch ein Kloster, das von dem Orden der Brüder des heiligen Hieronymus bewirtschaftet wurde und sich zu einem regelrechten Geschäftsbetrieb mit Klosterbrauerei, Gemüse- und Kräutergärten und einem Hotelbetrieb entwickelt hatte.

Als sie die Internetseite hinunter scrollte, stieß sie auch auf einen Abschnitt, der sich mit der Geschichte der Klosteranlage und ihrer Lage am See beschäftigte.

Die riesige Klosteranlage mit ihrem wunderschönen Kirchenbau war im Jahre 1165 gegründet worden. Das Wasser des großen Sees versprach eine gute Versorgung mit Fischen und mit Wasser für die Gemüse- und Kräutergärten.

Allerdings fand Lisa keinerlei Hinweise auf die dunkle Legende, die sich um den See rankte oder gar einen Bericht über die geheimnisvollen Vorgänge, die sich dort angeblich zugetragen hatten. Auch ein Hinweis auf die Gedenkstätte fehlte.

Es kam Lisa fast so vor, als ob man die Legende möglichst totschweigen wollte. Vielleicht waren diese Vorkommnisse der Vergangenheit der heutigen Bewirtschaftung des Klosters abträglich. Immerhin wurde das Hotel als ruhe Oase für unter „Burn out“ und „Stress“ leidende Menschen beworben. Auf der Website wurde absolute Ruhe und Abgeschiedenheit versprochen. Angeboten wurden Entspannungskurse, Meditationskurse sowie Töpfer- und Malkurse. Alles klang irgendwie ruhig und beschaulich. Sie vermutete, dass man bei soviel angepriesener Entspannung sicherlich keine Gruselgeschichten über verschwundene Dorfbewohner gebrauchen konnte, auch wenn sich die Vorfälle bereits vor Ewigkeiten abgespielt hatten.

Lisa fand die Übernachtungspreise allerdings keineswegs beschaulich. Vor lauter Arbeit und angehäuften Überstunden, hatte sie aber kaum Zeit zum Geldausgeben gefunden. Aus diesem Grund hatte sich, trotz ihres bescheidenen Gehalts, auf ihrem Konto ein ansehnliches Sümmchen Geld angehäuft.

Sie beschloss spontan, mehrere Tage Urlaub zu nehmen und sich in diesem Kloster einige Übernachtungen zu gönnen. Im Hinterkopf spukte ihr dabei auch der Gedanke herum, dass sie so die Gelegenheit beim Schopf ergreifen konnte, das Versprechen, das sie ihrer Großmutter auf dem Totenbett gegeben hatte, einzulösen.

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7. Kapitel

Bereits eine Woche später saß Lisa im Zug, der sie in die, dem Kloster am Nächsten gelegenen, Kleinstadt fahren sollte. Von hier aus musste sie mit dem Bus weiter reisen. Auch das hatte die Internetseite dem interessierten Leser nicht verschwiegen, dass nämlich die Anreise etwas umständlich und beschwerlich sei. Aber dieser Umstand garantiere die Ruhe und Abgeschiedenheit des Reiseziels.

Lisa schaute verträumt aus dem Fenster des Zuges auf die schnell vorbei fliegende Landschaft, die sich stetig veränderte. Erst allmählich gelang es ihr, die Gedanken an die Arbeit abzuschütteln und sich auf die kommenden Urlaubstage zu freuen. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, nahm sie ihre Ohrstöpsel und hörte ihre Lieblingsmusik, die sie auf ihrem Handy gespeichert hatte.

Als ihr absoluter Lieblingssong gespielt wurde, der sich als Ohrwurm geradezu in ihr Gehirn gefressen hatte, riss sie die Ohrstöpsel abrupt heraus. Durch diesen Song wurden ihre Gedanken unweigerlich in eine andere schmerzhafte Richtung gelenkt. Der Song erinnerte sie zu stark an ihre verflossene Liebe zu ihrem Exfreund David und überflutete sie mit trübseligen Gedanken. Lisa war immer noch verletzt und wütend zugleich über die Geschichte, wie ihr Exfreund sie mit ihrer Freundin betrogen hatte. Letztendlich hatte sie gehandelt und ihm den Laufpass gegeben. Aber sie war, was diese Angelegenheit betraf, wahnsinnig empfindlich, obwohl die Trennung jetzt schon sechs Monate hinter ihr lag.

Lisa schob alle düsteren Gedanken von sich und konzentrierte sich wieder auf die am Zugfenster vorbeiziehende Landschaft.

Erst fuhr der Fernzug durch Felder und Wiesen, dann wurde es langsam hügeliger und waldiger. Als sie auf der letzten Etappe ihrer Zugreise in einen Regionalzug umsteigen musste, zockelte der Triebwagen beschaulich durch eine felsige, romantische Waldlandschaft. In der Ferne konnte Lisa bereits das in der Sonne glitzernde Wasser des schwarzen Vulkansees erahnen. Die ganze Szenerie wirkte friedlich und Lisa konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass hier jemals etwas Schreckliches passiert war.

Als der Zug mit quietschenden Rädern in den kleinen, verlassen daliegenden Kleinstadtbahnhof einfuhr, schulterte sie erwartungsvoll ihren Wanderrucksack und kletterte auf den Bahnsteig. Auf dem Bahnhofsvorplatz trat sie in die warme Sonne des Spätsommers hinaus. Genießerisch atmete sie die würzige Landluft ein, die bereits den Hauch des Frühherbstes in sich trug.

Falls es ihr nicht gelang, irgendetwas Wichtiges heraus zu finden, konnte sie sich wenigstens auf einige ruhige Wandertage freuen. Dieser Gedanke zog ihr durch den Kopf, als sie bereits auf dem Bahnhofsgelände die ersten Wegweiser für die zahlreichen ausgewiesenen Wanderwege erblickte, die hier in der Gegend zu finden waren. Das reinste Wanderparadies versprachen die Wanderbücher.

Sie erspähte die Busstation auf dem verlassen wirkenden Bahnhofsvorplatz und hielt nach dem Fahrzeug Ausschau, das sie direkt zum Kloster bringen sollte.

Endlich fand sie den richtigen Bus und wechselte mit dem Fahrer einige Worte, der offensichtlich gelangweilt hinter dem Steuer hockte und sich über ein Gespräch freute. Sie erzählte ihm, dass sie zum Kloster unterwegs sei, weil sie dort einen Wanderurlaub verbringen wolle.

Er lachte gutmütig und meinte:

„Ja, hier kommen viele erschöpfte Touristen zum Wandern her. Sind alle ganz begeistert von dem Kloster und den Kursen dort. Lauter seltsame Sachen bieten die dort an. Yoga, Töpfern, Meditation und all so ein Zeugs.“

Als sich der Bus nach und nach mit anderen Reisenden gefüllt hatte, brach er das Gespräch ab, legte energisch den Gang ein und fuhr los.

Nach einer Weile kam das mittelalterliche Kloster in Sicht und Lisa reckte ungeduldig den Hals, um einen Blick zu erhaschen. Das düster anmutende Ensemble der mächtigen Bauten lag eingebettet in die wild romantische Landschaft, deren bewaldete Hügelketten sich bis an den fernen Horizont erstreckten. In der Nähe glitzerte eine Wasserfläche durch das dichte Laub der Bäume.

Direkt vor der Klostermauer, auf einem gepflasterten Platz mit einer riesigen Eiche in der Mitte, umgeben von einer schmiedeeisernen Bank zum Rasten, lud der Bus seine menschliche Fracht aus.

Lisa und noch einige andere Passagiere standen plötzlich etwas verloren auf dem Vorplatz herum und wussten erstmal nicht wohin mit sich und dem Gepäck.

Zum allerersten Mal streifte Lisa der Gedanke, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, sich vollkommen allein und schutzlos auf die Spurensuche der unerklärlichen Todesfälle zu begeben. Ganz in den Tiefen ihres Magens machte sich ein Gefühl dumpfer Angst breit, das langsam von ihr Besitz ergriff. Ehe sie sich diesem Gefühl ganz und gar auslieferte, riss sie sich zusammen und beschloss, sich auf die Umgebung zu konzentrieren.

Aus den Augenwinkeln heraus unterzog Lisa ihre Mitreisenden einer heimlichen Musterung. Es handelte sich überwiegend um ältere Herrschaften, wie sie bereits nach einem Blick feststellte. Außer ihrer Person zählte sie noch zehn weitere Gäste. Sie ging jedenfalls stark davon aus, dass es sich, genau wie sie, um neue Gäste des Klosters handelte. Es waren sieben ältere Damen, mit vom Wetter gegerbten Gesichtern und in sportlicher Wanderkluft, dabei. Lisa kam es vor, als ob sie eine Art Club bildeten, so eng wie die zusammengluckten.

Dann beobachtete Lisa noch zwei ältere Herren. Sie wirkten ebenfalls sehr sportlich für ihr Alter und aus den Gesprächsfetzen, die zu ihr hinüberwehten, erfuhr sie, dass es sich um zwei befreundete Männer handelte, die sich hier im Kloster von ihrer Herz-Kreislauf Reha erholen wollten. Sie unterhielten sich über Kardiosport in der Kurklinik und hofften hier auf ruhigere Zeiten.

Der einzige jüngere Klostergast war zumindest annähernd in Lisas Alter. Sie schätzte ihn auf Ende Zwanzig, also höchstens sechs, sieben Jahre älter als sie selbst.

Allerdings entsprach er genau dem Typus Mann, den Lisa heimlich als grässlich unattraktiv einstufte. Er war groß, dürr und braungebrannt wie eine Vogelscheuche auf dem Acker.

Seine brünetten Haare fielen bis auf seine mageren Schultern und das Gesicht verdeckte zum Großteil ein ungepflegter Zottelbart, aus dem seine braunen Augen interessiert in die Welt schauten. Ein riesiger Wanderrucksack türmte sich auf seinem Rücken. Olivgrüne Bermudashorts schlotterten um seine Beine, ein T-Shirt mit dem Logo eines allseits bekannten Naturschutzvereins in Schlammfarbe und robuste Wanderstiefel vervollständigten seinen Look. Ganz offensichtlich ein Naturfreund und Ökofreak. Gekrönt wurde seine ganze Erscheinung noch von einem teuer aussehenden Fernglas, das vor seiner Brust baumelte.

Überschrift 1

8. Kapitel

Innerlich stöhnte Lisa gequält auf, dieser Typ war auch noch ein Vogelfreak. Diese Spezies konnte sie noch nie besonders gut leiden. Solche Typen weckten stets unangenehme Erinnerungen an ihren Biolehrer in ihr. Allerdings kannte sie sich mit Vogelarten erstaunlich gut aus, seit sie seinen Unterricht genossen hatte.

Aber was ging sie der Typ überhaupt an, fragte sie sich im gleichen Moment. Sie konnte definitiv keine Zeit mit solchen Überlegungen vergeuden, schließlich hatte sie eine Mission zu erfüllen. Auch wenn sie vielleicht nur die Angelegenheit mit dem Blumenstrauß bewältigen konnte, das würde sie auf jeden Fall erledigen. Lisas Gedanken ratterten prompt in eine andere Richtung. Wo bekam sie in dieser Einöde bloß einen Strauß roter Rosen her, die sie auf das Grab ihrer Großtante legen konnte?

Ihre Überlegungen wurden allerdings im nächsten Moment von einer seltsamen Gestalt unterbrochen, die das riesige Tor in der Mauer zum Innenhof der Klosteranlage öffnete und die Gruppe der neuen Gäste herzlich willkommen hieß. Lisa war etwas irritiert. Zum ersten Mal in ihrem Leben begegnete sie einem leibhaftigen Mönch. Der Mitarbeiter war ganz offensichtlich ein Mitglied des Ordens des heiligen Hieronymus, da er in eine erdfarbene Kutte gehüllt war. Zumindest sah er genau so aus, wie man sich typischerweise Mönche vorstellte, wenn man Filme über das Mittelalter gesehen hatte.

Der Mönch stellte sich der neuen Reisegruppe umständlich als Bruder Ansgar vor und verkündete, dass er ihnen jetzt ihre Zimmer zeigen würde.

„Anschließend treffen wir uns in der Hotelhalle zu einem Begrüßungsumtrunk,“ erklärte er abschließend.

„Wir hoffen auf ein kühles Bier der Klosterbrauerei“, riefen die beiden herzkranken Sportsmänner dazwischen.

Bruder Ansgar lachte dröhnend:

„Hier gibt’s nur eine Kräuterlimonade aus unserem berühmten Klostergarten. Bier können sie gerne zum Abendessen bestellen.“

Einige Minuten später besichtigte Lisa bereits ihr Hotelzimmer. Dieser Gebäudeflügel der insgesamt sehr alten, teilweise verwitterten Klosteranlage war von einem teuren Architekten sorgfältig modernisiert und den Bedürfnissen der heutigen Gäste angepasst worden. Gleichzeitig war ihm das Kunststück gelungen, die altertümliche Atmosphäre des Mittelalters zu bewahren. So waren zwar moderne Bäder eingebaut worden, aber die Wände und Fußböden der Schlafzimmer waren nahezu im Urzustand erhalten. Die weiß gekalkten Zimmer mit ihren alten, knarrenden Bodendielen verströmten eine beruhigende Gemütlichkeit.

Lisa ließ sich auf das mit rot-weiß karierter Bettwäsche bezogene Bett plumpsen und zückte ihr Handy, um ihrer Mutter Bescheid zu geben, dass sie gut angekommen war. Ihre Mutter reagierte ganz entspannt und freute sich, dass ihre Tochter einige erholsame Wandertage vor sich hatte.

„Du hast schließlich einen sehr anstrengenden Job, da musst du dir unbedingt mal eine Auszeit gönnen, mein Schatz“, meinte ihre Mutter am Telefon. In Lisa regte sich ein wenig das schlechte Gewissen. Sie hatte ihre Mutter in kompletter Ahnungslosigkeit über die tatsächlichen Umstände dieses Urlaubs gelassen.

Aber Lisa wusste genau, dass ihre Mutter sich nur irrsinnige Sorgen gemacht hätte, wenn sie den Grund ihrer Reise genannt hätte, deshalb durfte sie nichts verraten.

Ihre Mutter wäre entsetzt gewesen und hätte mit allen Mitteln versucht, sie von diesem gefährlichen Ausflug abzuhalten.

Wie nicht anders zu erwarten, lag auf dem Nachttischchen eine Bibel und vom Bett aus fiel ihr Blick auf das obligatorische Heiligenbildchen. Jesus am Kreuz. Der konzentrierte Ausdruck seiner dunklen Augen erinnerte Lisa stark an den Naturfreak von vorhin. Immerhin, sie befanden sich hier in einem Klosterhotel, da durfte man so etwas erwarten. Sie merkte langsam, dass sie doch etwas müde und verschwitzt von der langen Zugreise war und erhob sich vom Bett um das Bad zu inspizieren und sich frisch zu machen.

Anschließend verließ Lisa ihr Gästezimmer im ersten Stock, um sich mit den anderen Gästen pünktlich in der Hotelhalle zur Kräuterlimo zu treffen. Als sie die Treppenstufen hinunter schritt bewunderte sie erneut, wie gut es bei dem Umbau zum Hotel gelungen war, die anheimelnde, ein wenig museale Atmosphäre zu erhalten. Die Hotellobby präsentierte sich wie ein alter Rittersaal. Ein riesiger, dunkler geschnitzter Eichentisch dominierte den Saal. Unter den dunklen Deckenbalken, entlang der Wände zierten uralte Porträts längst verstorbener Mönche den Raum.

Lisa sah auf einen Blick, dass die Reisegruppe bereits vollzählig versammelt und in muntere Gespräche vertieft war. Nur Bruder Ansgar fehlte noch. Allerdings beobachtete Lisa, die als Letzte kam, wie seine breite Gestalt mit einem Tablett in den Händen auf sie zueilte. Die aus grobem Stoff gewebte, erdfarbene Kutte umwehte seinen korpulenten Körper wie ein Zelt. Vermutlich kam er gerade aus der Küche.

Jeder Gast nahm sich ein Glas mit eisgekühlter Kräuterlimonade und probierte vorsichtig. Die teils misstrauischen Gesichtsausdrücke der Gäste verwandelten sich prompt in helle Begeisterung, als alle den ersten Schluck gekostet hatten. Auch Lisa musste zugeben, dass diese Limonade köstlich und erfrischend schmeckte.

Sie umklammerte ihr Limonadenglas, nippte immer wieder kleine Schlucke und hielt sich etwas abseits der Gespräche. In diesem Augenblick hatte sie keine Lust mehr auf Smalltalk, weil sie sich gedanklich darauf vorbereiten wollte, welche Schritte sie demnächst unternahm. Alles, was sie bislang hier kennen gelernt hatte, wirkte ausgesprochen nett und harmlos. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich hier in dieser Gegend in der Vergangenheit tragische Todesfälle ereignet hatten, auch wenn das letzte Unglück hoffentlich schon einige Zeit zurück lag. Später musste sie sich allerdings eingestehen, dass sie, hätte sie in diesem Moment gewusst, welche Gefahren hier auf sie lauerten, auf der Stelle die Flucht ergriffen hätte.

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