Kitabı oku: «Das Herz des Zauberers»

Yazı tipi:

Betty Kay

Das Herz des Zauberers
Der König der Nebelseelen

(Band 2)

Die Reise eines Helden, der niemals einer sein wollte

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2022

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte: © Hanna Gottschalk – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-506-0

ISBN 978-3-96089-507-7 (epub)

Inhalt:

Geschlossene Allianzen sind gebrochen worden. Die Verluste sind größer ausgefallen, als erwartet. Lesithders Herz schmerzt mehr, als er es für möglich gehalten hat. Dennoch bleibt ihm keine andere Wahl, als sich immer neuen Herausforderungen zu stellen – das Schicksal seines Volkes hängt davon ab. Je mehr er über die zahlenmäßig überlegenen Gegner erfährt, umso geringer erscheint die Chance, dass er seine Welt retten kann.

Wie soll er kämpfen, wenn er bereits so viel verloren hat?

1. Kapitel

Mit meinen Händen bedecke ich mein Gesicht. Die Scham frisst sich in meine Eingeweide. In der letzten Nacht habe ich mich Umock hingegeben. Während unserer Zusammenarbeit habe ich mich in ihn verliebt. Die Art, wie er an meine Fähigkeiten geglaubt und mich nicht ständig infrage gestellt hat, wie es mein Großvater tut, hat mein Herz für ihn erwärmt. In der letzten Nacht hat er sich den Körper meines ohnmächtigen Bruders geliehen, um mich aufzusuchen. Er hat mich verführt. Viel Widerstand habe ich ihm allerdings nicht geleistet. Diese Nacht verändert mich für immer. Kaum hat Umock das von mir erhalten, was er anscheinend die ganze Zeit wollte, ist er verschwunden. Ich knie an der Stelle zwischen den Bäumen, wo der König der Nebelseelen vor Kurzem noch mit seiner Armee gelagert hat. Nun sind sie alle weg. Weil ich schwach geworden bin.

Die Welt sieht sich ihrer größten Bedrohung gegenüber. Unbekannte Wesen haben uns angegriffen. Um sie bekämpfen zu können, haben wir einen Pakt mit Umock geschlossen. Doch der sieht sich jetzt nicht mehr dazu verpflichtet, uns zu helfen. Weil ich eine Nacht voller Leidenschaft mit ihm verbracht habe.

Ich trage die Schuld am Untergang der Welt, wie ich sie kenne. Ich trage die Verantwortung für das Sterben unzähliger Menschen. Und das alles nur, weil Umock mich anscheinend bloß als Herausforderung angesehen hat.

Ein Schluchzer entringt sich meiner Brust, als Traurigkeit und Enttäuschung sich in meinem Magen zu einem eisigen Klumpen mischen. Ich habe kein Recht, traurig zu sein, weil Umock mich im Stich gelassen hat. Auch wenn ich mich verraten fühle, ist das, was ich getan habe, um vieles schlimmer. Ich hatte eine einzige Aufgabe zu erfüllen. Der König der Nebelseelen sollte durch meine Vermittlung an unserer Seite kämpfen. Danach wollte mein Großvater durch mich wirken. Er wollte diesen Krieg gewinnen, indem er seine Fähigkeiten durch mich fließen lässt. Ich hätte einfach nur tun müssen, was er mir aufgetragen hat, und alles hätte sich zum Guten gewendet. Stattdessen habe ich geglaubt, genug Macht zu haben, um eigenmächtige Entscheidungen treffen zu können. In meinem Größenwahnsinn habe ich mich für eine wichtige Schachfigur in diesem Spiel gehalten. Jetzt hat Umock mir deutlich gezeigt, wo mein Platz tatsächlich ist.

Was soll nun werden? Die Vision meines Großvaters war sehr deutlich. Ohne die Hilfe der Armee der Nebelseelen können wir nicht als Sieger aus diesem Krieg hervorgehen. Wir benötigen die Magie von Umock, damit unsere Gegner uns nicht überrollen. Oremazz hat sich bislang nie geirrt. Er hat uns in seiner Weisheit so weit geführt. Ich darf nicht erwarten, dass es möglich ist, unseren übermächtigen Feind allein in die Flucht zu schlagen.

Schritte nähern sich hinter mir. Ein lächerlich hoffnungsvoller Teil von mir will glauben, Umock ist zurückgekehrt, er hat seine Meinung geändert und alles war nur ein großes Missverständnis. Wütend versetze ich dem letzten Rest von Naivität in mir den Todesstoß. Ich nehme die Hände von meinem Gesicht und sehe der Wahrheit ins Auge.

Ich bin allein mit den Männern, die unser Land gegen eine Übermacht verteidigen müssen.

Es liegt an mir, die Illusion aufrechtzuerhalten und den Soldaten nicht die Hoffnung zu rauben. Ich kann sie nicht zum Sieg führen. Aber ich kann verhindern, dass sie das hinterhältige Verschwinden von Umock und seiner Arme bemerken.

Langsam drehe ich mich um. Janifik steht hinter mir und beobachtet mich mit besorgtem Gesichtsausdruck.

»Ist alles in Ordnung?«, fragt er. »Wieso ist der Nebel zwischen den Bäumen verschwunden?«

»Ein neuer Plan, um unsere Gegner zu verwirren«, behaupte ich. Da niemand außer mir in der Lage ist, die Armee der Nebelseelen zu sehen, kommt diese Lüge leicht über meine Lippen. »Der König hat die Tarnung aufgegeben, sodass niemand mit Sicherheit weiß, wo seine Männer sich verstecken. Unsere Feinde sollen denken, wir wären schutzlos.«

Janifiks Gesichtsausdruck zeigt seine Skepsis. »Soll das unsere Gegner tatsächlich täuschen? Was macht es in ihren Augen für einen Unterschied? Werden sie tatsächlich denken, unsere Verbündeten hätten uns im Stich gelassen?«

Er glaubt mir nicht. Ich kann es ihm nicht verübeln. Wenn ich Glück habe, erwarten unsere Feinde einen Hinterhalt. Wenn ich Pech habe, überlaufen sie uns jetzt, und wir haben ihnen nichts entgegenzusetzen. »Zweifelst du meinen Plan an?«

Er blinzelt, überlegt, schüttelt dann den Kopf. »Es steht mir nicht zu, Eure Entscheidungen nachvollziehen zu wollen.«

»Freut mich zu hören, dass dein Vertrauen in mich noch besteht.«

»Ich frage mich jedoch, weshalb Ihr hier auf dem Boden sitzt. Euer Schauspiel für unseren Feind geht ziemlich weit.«

Eine Anmaßung, mich auf diese Art anzusprechen. »Es handelt sich um kein Schauspiel.« Ich strecke die Hand aus. »Hilf mir einfach hoch. Ich bin gestolpert und habe mich am Fuß verletzt. Wenn unsere Feinde annehmen, ich sei vor lauter Verzweiflung zusammengebrochen, soll uns das nur recht sein. Sobald ich zurück in meiner Hütte bin, kann ich meine Wunden mit einem Zauber heilen.«

Der junge Soldat zieht an meinem Arm, bis ich mich aufrappeln kann. Obwohl mein Fuß unbeschadet ist, tut es gut, mich auf Janifik zu stützen, als wir zurück zu unserem Lager kehren. Gerade fühle ich mich so einsam, ich könnte nicht aufrecht gehen.

Wie sehr ich Elevander in diesem Moment vermisse. Mit Umock ist auch meine letzte Hoffnung verschwunden, meinen besten Freund noch einmal lebend wiederzusehen. Sollte es mir gelingen, ihn von meinem Zauber zu befreien, darf ich höchstens davon träumen, er würde sich ebenfalls dazu entschließen, Teil der Nebelseelenarmee zu werden. Dann werden wir uns zumindest nach meinem Tod gegenüberstehen. Mit ihm könnte ich die Ewigkeit in Dunkelheit ertragen. Wenn er allerdings das Licht wählt … Ich schiebe den Gedanken rasch von mir.

Janifik und ich haben die ersten Häuser beinahe erreicht, als ich das erste Mal überlege, weshalb Janifik mich überhaupt gesucht hat. »Weshalb bist du bei mir aufgetaucht?«, frage ich.

»Oh, verzeiht.« Er stolpert vor Aufregung beinahe über seine eigenen Füße. »Das habe ich tatsächlich aus den Augen verloren. Der Fürst verlangt, Euch zu sehen.«

Ich bin nicht bereit, mich ihm zu stellen. Es mag ihm nach meinem Rat dürsten. Doch ich will mit meinem Schmerz allein sein. Ich möchte meine Wunden lecken. »Sag ihm, ich brauche zwei Stunden in Abgeschiedenheit, bevor ich ihm zu Diensten sein kann.«

Janifik setzt an, um mir zu widersprechen. Ein leise gemurmeltes Wort von meinen Lippen reicht aus, damit er sich meinem Willen beugt. Er bringt mich in meine Hütte und hilft mir, mich auf einem Stuhl niederzulassen.

Dann bin ich endlich allein. Die Enttäuschung überrollt mich wie eine Welle. Traurigkeit presst mein Herz zusammen.

Als es schließlich an meiner Tür klopft, zucke ich zusammen. Ich habe nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist. Habe ich mich tatsächlich zwei Stunden lang in Selbstmitleid gewälzt? Von draußen dringt Janifiks Stimme zu mir. Er klingt besorgt. Anscheinend ist der Moment gekommen, an dem meine Anwesenheit beim Fürsten verlangt wird. Statt die Gelegenheit zu nutzen, meinen Großvater um Rat zu bitten, habe ich mehr Tränen vergossen als in meinem ganzen bisherigen Leben zusammen.

»Geh weg«, brumme ich.

»Der Fürst wird bereits ungeduldig«, mahnt Janifik. »Ihr solltet ihn nicht länger warten lassen, wenn Ihr nicht in seine Ungnade fallen wollt.«

Sobald unser Fürst erfährt, was passiert ist, stehe ich ohnehin nicht mehr in seiner Gunst. Den Respekt, den ich mir mühsam erarbeitet habe, hätte ich innerhalb einer Sekunde verloren. »Ich kann ihm jetzt nicht unter die Augen treten.«

Diese Aussage zieht einen Moment entsetzten Schweigens nach sich. »Ehrenwerter Zauberer. Was soll ich ihm sagen?«

»Teile ihm mit, ich bin mitten in einer Sitzung. Ich empfange gerade Schwingungen aus allen Teilen des Landes. Diesen wichtigen Grad der Versunkenheit kann ich nicht verlassen, ohne die Geister zu verärgern.«

»Natürlich. Bei allen Göttern! Es tut mir leid, Euch gestört zu haben.«

Schlechtes Gewissen regt sich in mir. »Schon gut. Das konntest du nicht wissen. Aber jetzt geh.«

Schritte entfernen sich. Was Janifik jetzt wohl von mir denkt? Ob es ihm gelingt, den Fürsten davon zu überzeugen, dass ich unbedingt Zeit allein brauche?

Ich hole die Schüssel aus meiner Tasche und fülle sie mit Wasser. Dann konzentriere ich mich auf meinen Großvater, stelle mir sein Gesicht vor und schäme mich gleichzeitig, weil ich ihm meine Schwäche gestehen muss.

Am besten verrate ich ihm nicht alle Details der letzten Nacht. Mit Sicherheit sollte Oremazz nicht erfahren, dass ich mich dem König der Nebelseelen hingegeben habe, dass ich ihm erlaubt habe, Elevanders Körper zu benutzen, damit wir zusammen sein können. Ich kann ihm erzählen, Umock sei verschwunden, er und seine Soldaten hätten uns im Stich gelassen. Den Grund dafür kenne ich nicht. Ich weiß nicht, ob sein Aufbruch mit dem zu tun hat, was zwischen uns passiert ist. Ich kann keine direkte Verbindung zwischen den beiden Dingen herstellen, aber was verstehe ich schon von der Welt?

Habe ich letzte Nacht etwas falsch gemacht?

Sofort verachte ich mich selbst für diesen Gedankengang. Habe ich tatsächlich so wenig Selbstachtung, wieder einmal die Schuld bei mir selbst zu suchen? Es war ein Fehler, mich auf Umock auf diese intime und berauschende Art einzulassen. Doch in gewisser Weise ist meine Schwäche auch verständlich. Seit ich Umock das erste Mal getroffen habe, sind meine Emotionen auf die Probe gestellt worden. Er hat mich herausgefordert und mir das Gefühl gegeben, die Zuneigung eines anderen Wesens verdient zu haben. Ich habe ihm misstraut und mich gleichzeitig danach gesehnt, bei ihm Halt zu finden. Er hat mich glauben lassen, ich wäre etwas Besonderes. Ein Teil von mir hat immer versucht, ihn zu beeindrucken. Was nicht völlig abwegig ist und was mich zu einem besseren Zauberer gemacht hat. Umock hat mich viel Neues gelehrt.

Hätte mein Großvater diese Aufgabe übernommen, wäre es niemals so weit gekommen. Hätte Oremazz mir gezeigt, dass ich Wissen, Ehrlichkeit und Zuneigung wert bin, wäre ich nicht so empfänglich für Umocks Umwerbung gewesen. Meine Vergangenheit hat mich für seine Annäherungsversuche anfällig werden lassen. Wenn man es genau nimmt, trägt Oremazz die Verantwortung daran, dass ich Umock gegenüber schwach geworden bin. So viele Dinge in meinem Leben sind schiefgelaufen, weil der Große Zaubermeister sich mir gegenüber nie wie ein Großvater verhalten hat.

Nie ist er für mich da. Auch jetzt lässt er mich warten. Wieso zum Teufel nimmt er die Verbindung nicht an, die ich zu ihm aufnehmen will?

Wut steigt in mir auf. Dieser Tag ist bereits so schrecklich gestartet. Ich fühle mich richtig schlecht, weil Umock mich hintergangen hat. Wieso setzt sich das Drama denn auch noch an anderer Stelle fort? Weshalb lässt Oremazz mich gerade jetzt seine Überlegenheit spüren?

Ich konzentriere mich ganz auf meinen Großvater. Möglicherweise ist es nicht hilfreich, wenn ich meine Gedanken abschweifen lasse. Mein Ärger auf ihn könnte verhindern, dass wir miteinander in Kontakt treten können. Sollte das der Fall sein, würde Oremazz mir die Schuld daran geben. Ich kann ja doch nichts richtigmachen.

Als die Verbindung einfach nicht entstehen will, schließe ich meine Augen. Ich stelle mir meinen Großvater vor, lenke all meine Gedanken auf ihn, doch das Rauschen, mit dem üblicherweise die Verbindung über die Entfernung hinweg einhergeht, ist nicht zu hören. Meine Magie verpufft spürbar im Nichts. Irgendetwas stimmt nicht.

Mein Herz beginnt zu rasen. Ich fühle mich so allein, wie schon seit Langem nicht mehr. Elevander vermisse ich seit Tagen. Umock ist seit heute Morgen verschwunden. Und mein Großvater … Nein, ich brauche ihn. Jetzt, da ich alles verloren habe, seit ich ohne Umocks Unterstützung gegen unsere Feinde dastehe, benötige ich Oremazz’ Rat, sein Wissen und seine Fähigkeiten so dringend wie nie zuvor.

Hat er sich gänzlich von mir abgewendet? Er kann mich doch jetzt nicht im Stich lassen. Wenn er mir eine Lektion erteilen will, dann ist das der völlig falsche Weg.

Es fühlt sich nicht an, als würde er mich aussperren oder sich lediglich weigern, Kontakt mit mir aufzunehmen. Das hier ist anders. Ich darf nicht auf die Stimme der Unsicherheit und des mangelnden Glaubens an mich hören. Wenn ich die Anzeichen richtig lese und mich nicht von der Angst bestimmen lasse, von Oremazz wieder einmal mit Absicht auf Abstand gehalten zu werden, dann weiß ich, was hier los ist.

Die Verbindung zu meinem Großvater ist abgerissen.

Ich kann meinen Herzschlag überdeutlich laut hören. Er schwillt an, wird zu einem Rhythmus der Panik. Niemand ist hier, an den ich mich wenden kann. Die Verantwortung ruht nun ganz allein auf meinen Schultern. Niemand darf bemerken, dass die Nebelseelen uns nicht mehr unterstützen. Das, was letzte Nacht passiert ist, muss mein Geheimnis bleiben. Die Folgen wären zu schrecklich.

Vermutlich ist das die Strafe dafür, den Todesverhinderungszauber angewendet zu haben. Nun muss ich dafür bezahlen, Elevander gerettet zu haben, obwohl der Tod ihn sich bereits geholt hat. Mein Großvater hat mich gewarnt. Ich wollte ihm nicht glauben, als er behauptet hat, ich hätte einen Fehler begangen. Noch immer spüre ich das brennende Verlangen in mir, Elevander zu retten. Würde ich noch einmal auf diesem Schlachtfeld stehen und beobachten, wie mein bester Freund von dieser Waffe getroffen wird, würde ich die Worte noch einmal aussprechen. Ich kann meine Tat nicht bereuen. Es war das einzig Richtige. Und tief in meinem Herzen glaube ich nicht, dafür bestraft werden zu dürfen.

Möglicherweise hat der Zauber auch keine Schuld an meiner Unfähigkeit, die Verbindung mit meinem Großvater herzustellen. Die Götter zürnen mir möglicherweise nicht aufgrund meiner Entscheidung, Elevander zu retten. Doch letzte Nacht habe ich etwas anderes getan, was man mir zum Vorwurf machen könnte.

Ich habe mich Umock hingegeben. Mitten in gefährlichen Zeiten habe ich die Wollust über meinen Verstand bestimmen lassen. Wie viel Scham ich darüber empfinden müsste. Ich sollte mich schrecklich fühlen, weil ich etwas so Ungehöriges getan habe, während rund um mich herum Chaos ausgebrochen ist. Oremazz würde mich dafür direkt in die Hölle schicken. Unser Fürst würde mich verstoßen, würde er die Wahrheit herausfinden. Sollte er erfahren, welche Folgen meine Tat hat, würde er dafür sorgen, dass ich meines Lebens nicht mehr froh wäre.

Und doch kann ich es nicht bereuen. Umock verdanke ich eine wundervolle Erinnerung, ein Erlebnis, das mich verändert hat. Ich würde es niemals ungeschehen wünschen. Es rückgängig machen zu wollen, wäre ein Frevel, den ich nicht begehen werde. Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich vielleicht jede einzelne Sekunde dieser Nacht noch intensiver genießen. Ich würde mich ganz auf Umock einlassen, ihn näher erforschen, ihn mit meiner Magie durchleuchten, bis ich alles von ihm wissen würde. Und dann würde ich seine geheimsten Wünsche wahr werden lassen. Er würde mich nicht allein hier zurücklassen. Er würde mich nicht vergessen. Er würde die Trennung von mir nicht ertragen.

Ein letztes Mal versuche ich, Kontakt zu meinem Großvater aufzunehmen. Die Stille, die sich in meinem Kopf ausbreitet, schmerzt. Die Pein streckt sich bis zu meinem Herzen aus. Panik überrollt mich, lässt mich in eine Schreckstarre verfallen, aus der ich vielleicht niemals wieder einen Weg finden werde. Ich möchte auch für immer hier sitzen, in der Erinnerung an die letzte Nacht schwelgen, jegliche Verantwortung zur Seite schieben, alle Ängste vergessen, alle Sorgen, einfach nur sitzen und alles verdrängen, was dort draußen auf mich wartet.

Doch Manekas hat nach mir verlangt. Vor ihm kann ich mich nicht verstecken. Bestimmt taucht Janifik gleich wieder hier auf. Er muss den Auftrag unseres Fürsten erfüllen. Ich will ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.

Verdammtes schlechtes Gewissen! Wie immer mache ich mir mehr Gedanken um alle anderen als um mich selbst. Ich brauche ein paar Minuten für mich, vielleicht auch Stunden, bis ich mich wieder von diesem Verlust erholt habe. Warum bin ich nicht in der Lage, sie mir zu stehlen? Weshalb drängt alles in mir darauf, die Wahrheit auszusprechen, meinen Fehler einzugestehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen? Wieso kann ich mir nicht einfach eine Lüge ausdenken, weiter schauspielern, wie mein Großvater es von mir verlangt hat? In den vergangenen Wochen habe ich Erfahrung darin gesammelt, andere zu täuschen. Ich habe Fähigkeiten simuliert, die ich nicht besitze. Inzwischen habe ich einiges von Umock gelernt. Möglicherweise brauche ich weder ihn noch meinen Großvater, um meinen Auftrag zu erfüllen.

Vielleicht bin ich genug.

Diese Art von Selbstbewusstsein habe ich immer mit Eitelkeit in Verbindung gebracht. All die Jahre habe ich versucht, ein guter Mensch zu sein, ehrlich, freundlich, gerecht, unvoreingenommen. Und wohin hat es mich gebracht? Ich bin immer noch ein Opfer der Umstände, dem Willen und den Wünschen anderer ausgeliefert. Doch damit muss jetzt Schluss sein.

Nachdem ich den Rücken durchgedrückt habe, schiebe ich die Hoffnung, doch noch zu meinem Großvater durchzudringen, zusammen mit der Schale mit Wasser zur Seite. Ich brauche sie nicht mehr, also leere ich sie. Daraus starrt mir ohnehin nur meine Scham entgegen. Nein. Halt. So nicht.

Ich bin genug!

Beim zweiten Mal fühlt es sich nicht mehr so falsch an, die Worte in meinem Kopf entstehen zu lassen. Nein, ich bin kein schlechter Mensch. Ich bin auch nicht eingebildet, nur weil ich eine Sekunde lang nicht an mir zweifle. Ich bin es wert, Respekt vor mir selbst zu zeigen. Zur Hölle mit allen anderen, mit denen, die mich klein halten, unterschätzen, demütigen. Nun bin ich ein neues Wesen. Ein Zauberer, der nicht mehr ausschließlich der Helligkeit angehört. Ich habe direkt in das Auge des Bösen gesehen. Auch wenn ich das spät erkannt habe, zeigt es nun Auswirkungen auf mich. Ich werde der Welt zeigen, wer ich bin. Meine Ängste sind mein Geheimnis. Niemand wird wissen, wie es in mir aussieht. Denn nun spiele ich den machtvollen Magier nicht mehr mit halbem Herzen. Jetzt bin ich genau das. Und dennoch wird niemand ahnen, wozu ich wirklich fähig bin.

Endlich rapple ich mich hoch und mache mich auf den Weg aus der Hütte. Als ich an Elevander vorbeikomme, werfe ich nur einen kurzen Blick auf sein Lager. Das Schuldbewusstsein brodelt immer noch in mir. Ich habe zugelassen, dass Umock den Körper meines Freundes benutzt hat. Als ich mit Umock geschlafen habe, ist auf verdrehte Weise auch Elevander Teil dieser Erfahrung gewesen. Ich bin schwach gewesen und habe unsere Freundschaft verwirrend werden lassen. Wenn Elevander nun aufwacht …

Ich halte mitten im Schritt inne, spüre den Schauer, der mich durchläuft.

Umock hat versprochen, mir dabei zu helfen, Elevander zu retten. Er hat mir keine großen Hoffnungen gemacht, doch ohne ihn weiß ich nicht, wie ich meinen Fehler ungeschehen machen kann. Jetzt ist der König der Nebelseelen verschwunden. Er hat mich hintergangen, mich betrogen. Mit Sicherheit kehrt er nie wieder zurück. Was soll also jetzt aus Elevander werden?

Bei all der Traurigkeit, weil ich mich von Umock im Stich gelassen fühle, muss ich jetzt damit klarkommen, Elevander nicht mehr zurückzubekommen. Mir wird die Möglichkeit genommen, ein letztes Mal mit ihm zu sprechen. Wir werden uns nicht voneinander verabschieden können. Ich muss mir keine Sorgen mehr darüber machen, ob mein bester Freund zur Armee der Nebelseelen gehören will oder ob er doch noch eine Zeit lang auf dieser Erde wandeln möchte. Ich muss mir keine Gedanken darüber machen, welche Folgen mein Zauber auf ihn gehabt hat. Ich werde ihn nicht danach fragen können.

Obwohl ich die letzte Nacht eigentlich nicht bereuen wollte, obwohl ich mich nicht dafür schämen will, ein einziges Mal das getan zu haben, was ich wollte, hasse ich die Tatsache, mit meiner Tat Elevanders Rettung unmöglich gemacht zu haben.

Umock wird schon sehen, was er von seinem Verschwinden hat. Ich werde ihm nicht mehr vertrauen, selbst wenn er noch einmal zurückkehren sollte. Ich fühle mich nicht mehr an meinen Schwur ihm gegenüber gebunden. Meine Seele gehört mir allein. Auch nach meinem Tod werde ich nur mir allein gehören.

Ich marschiere weiter, trete aus der Hütte. Sofort fällt mir die im Lager herrschende Unruhe auf. Die Männer eilen zu der Hütte, in der wir unsere Waffen gelagert haben. Andere sind bei der Hütte fleißig, in der unsere Vorräte lagern. In den Gesichtern der Soldaten kann ich angespannte Vorfreude erkennen. Etwas geht vor sich, und ich bin mir nicht sicher, ob mir gefällt, was es ist.

Statt durch das Lager zu laufen, transportiere ich mich zu Manekas. Ein Teil seiner Berater tuschelt miteinander. Andere sind über die Karten gebeugt. Unser Fürst diskutiert mit Sikiwer.

»Was ist geschehen?«, frage ich irritiert.

»Da seid Ihr ja endlich.« Manekas lächelt mir zu. »Wir haben endlich einen Plan. Ihr müsst lediglich dort neun Portale erschaffen, wo wir Euch mitteilen.«

»Dann greifen wir an?«

Er nickt. »Euer Wunsch geht nun in Erfüllung. Ihr bekommt heute noch Eure Gelegenheit, die Armee unserer Feinde außer Gefecht zu setzen.«

Nur dass ich jetzt nicht mehr so begierig darauf bin, mich in eine Schlacht mit unseren Gegnern zu werfen. Nun, da ich die Unterstützung von Umock verloren habe und mein Großvater uns nicht mehr unterstützen kann, hat sich mein Bedürfnis, unseren Feinden gegenüberzutreten, in Rauch aufgelöst. Schlechtes Wortspiel.

»Heute noch?«, murmle ich unsicher.

»Es gibt keinen Grund mehr für uns, noch länger zu zögern. Das ist doch das, was Ihr Euch erhofft habt.«

»Natürlich. Ein großer Tag! Wo genau sollen diese Portale entstehen?«

Sikiwer deutet mir, mich zu ihm zu gesellen, und zeigt dann auf eine Karte. »Das ist das Lager, in dem Ihr das seltsame Gerät entdeckt habt. Ihr müsst rund um diesen Ort neun Durchgänge erschaffen. Jede Armee unserer Verbündeten soll von einer anderen Seite eintreffen. Wir überrumpeln sie. Möglicherweise sind auch mehr Portale notwendig. Oder könnt Ihr eines bauen, das mehrere Männer gleichzeitig durchqueren können?«

Im Moment bezweifle ich sogar, dass es mir gelingt, ohne Umocks Hilfe auch nur eines zu erschaffen, das nicht sofort von unseren Feinden entdeckt wird. Dennoch nicke ich. »Wir werden einen Testlauf hier im Lager starten. Wenn es nicht funktioniert, das Portal breit genug zu machen, lasse ich für jeden von unseren neun Verbündeten mehrere entstehen.«

»Ihr müsst vorab nur noch klären, ob sich die feindlichen Armeen an den Orten befinden, an denen Ihr sie zuletzt angetroffen habt.«

Ach, stimmt, da ist ja noch etwas. Die Soldaten, die dafür verantwortlich sind, die Bewegungen der Truppen zu verfolgen, sind von Umock an den vorgesehenen Ort gebracht worden. Natürlich haben sie mir nicht berichtet, was in den Lagern vor sich geht. Es ist mir nicht möglich, eine Verbindung zu Nichtmagiern herzustellen. Ob es mir überhaupt gelingt, sie zu entdecken, nachdem sie von Umock unsichtbar gemacht worden sind?

So viele Fragezeichen, so viel Unsicherheit, so viel Verantwortung. Und das, während ich mich selbst noch nicht hundertprozentig davon überzeugt habe, auch ohne Hilfe ein guter Zauberer zu sein!

»Ich mache mich gleich auf den Weg«, sage ich. »Leider gibt es noch keine Information zu dem seltsamen Gerät. Sobald wir dort eingetroffen sind, muss es jemand außer Gefecht setzen, damit unsere Truppen davon nicht verwirrt werden. Möglicherweise sollte ich diese Aufgabe übernehmen, sobald ich die Portale erstellt habe und bevor Ihr eingetroffen seid.«

»Wir werden beratschlagen, ob wir das für eine gute Idee halten«, sagt Sikiwer. In seinen Augen ist deutlich zu lesen, dass er meinem Plan ablehnend gegenübersteht. Er traut mir noch immer nicht viel zu.

Oder beeinflusst meine eigene Unsicherheit meine Wahrnehmung?

Ich nicke ihnen zu und transportiere mich dann zu dem Lager unserer Feinde, das sich am weitesten entfernt von unserer Basis befindet. Obwohl ich mich mit einem Spruch unsichtbar gemacht habe, ducke ich mich hinter einen Busch. Jetzt wird sich zeigen, ob ich ohne Umocks Anwesenheit auf die gleiche Macht zurückgreifen kann.

Unsere Gegner hocken immer noch um die Feuer des Lagers herum. Inzwischen haben sie einige Bäume gefällt, um sie als Sitzmöglichkeit zu nutzen. Dennoch scheint es nicht, als hätten sie seit meinem letzten Besuch irgendetwas unternommen, um einen baldigen Aufbruch vorzubereiten. Ich wünschte, ich könnte herausfinden, was sie tatsächlich planen. Doch die fremden Soldaten sind nicht so nett, sich laut darüber zu unterhalten.

Tatsächlich fällt mir wieder auf, dass sie nicht mit Worten kommunizieren. Ich kann keine Laute hören, die ich aus unserer Sprache höre. Da wird nur gegrunzt und geschnaubt, schmutzig gelacht und gegrölt. Einzelne Worte meine ich allerdings nichts zu erkennen.

Wo diese Männer wohl herkommen? Das überlege ich, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Nein, eigentlich habe ich mir darüber bereits Gedanken gemacht, nachdem mein Großvater mir die Bilder seiner Vision geschickt hat. Schon damals hat mich interessiert, aus welchem Land diese unmenschlich wirkenden Gestalten stammen. Oremazz war der Meinung, das würde keine Rolle spielen, aber ich hätte diese Information gerne, um sie näher zu verstehen. In dem, was wir von unserer Welt wissen, kommen keine Erzählungen über ein fremdes Land außerhalb unseres Kontinentes vor. Wir sind kein Seefahrervolk, keine Eroberer, keine Entdecker. Das könnte uns jetzt zum Verhängnis werden.

Geduckt bewege ich mich um das Lager herum auf der Suche nach dem Soldaten unserer Armee, den Umock hier abgesetzt hat. Ich muss beinahe das gesamte Lager umrunden, bevor ich ihn hinter einem Busch entdecke. Obwohl ich nicht sonderlich gut im Anschleichen bin und immer wieder ein Ast unter meinen Füßen knackt, bemerkt der Soldat mich nicht. Ob ich ihn dafür tadeln sollte? Ich bin nur froh, überhaupt in der Lage zu sein, ihn zu sehen.

Im vollen Bewusstsein, ihn zu erschrecken, lege ich ihm eine Hand auf die Schulter und gebe mich sofort zu erkennen.

Der Arme zuckt dennoch zusammen, als würde er befürchten, von einem unserer Gegner erwischt worden zu sein. Da ich mich direkt hinter ihm befinde, kann ich hören, wie er nach Luft schnappt. Zum Glück ist er allerdings klug genug, nicht laut aufzuschreien.

»Tut mir leid, Euch in Aufruhr versetzt zu haben«, murmle ich. »Könnt Ihr mich sehen?«

»Ja, das kann ich.« Der Soldat nickt bekräftigend.

»Alles in Ordnung hier?«

»Keine auffälligen Bewegungen. Diese Männer sind mir unheimlich. Sie machen aber keine Anstalten, sich auf eine Schlacht vorzubereiten. In regelmäßigen Abständen treten sie gegeneinander in Zweikämpfen an, um ihre Fähigkeiten zu trainieren. Ansonsten könnten sie genauso gut planen, sich hier häuslich niederzulassen.«

Kein Gedanke, der mir gefällt. Auch wenn ich aus dem Verhalten der Truppen nicht schlau werde, erhalte ich damit die Sicherheit, dass es sich um keinen Trick handelt, um uns in eine Falle zu locken. Sie können nicht wissen, von uns beobachtet zu werden. Was sie tun, mag einen Grund haben, der sich mir nicht erschließt. Sollten sie allerdings versuchen, uns auf eine falsche Fährte zu locken, würden sie das wohl gänzlich anders anstellen.

»Ich werde Euch noch eine Zeit lang hier benötigen«, erkläre ich dem Kundschafter. »Damit Ihr mich über Änderungen informieren könnt, falls sich an der Situation hier etwas ändert, werde ich einen Zauber versuchen.«

»Ihr habt ihn noch niemals angewendet?« Er klingt besorgt.

»Kein Grund, beunruhigt zu sein. Es wird Euch nichts passieren.«

Offensichtlich ist der Mann nicht davon überzeugt. Er setzt sich allerdings auch nicht gegen mich zur Wehr. Was hat er schon für eine Wahl? Auch wenn er sich für diese Aufgabe nicht freiwillig gemeldet hat, ist er bereit, alles zu tun, um unserem Volk zu helfen.

Im Zauberbuch meines Großvaters habe ich keinen entsprechenden Spruch entdeckt. Ein Zauber, den ich darin gelesen habe, dient zur Kommunikation eines Zaubermeisters mit einem Nichtmagier. Eigentlich bin ich über den Status des Zauberlehrlings noch nicht hinausgewachsen. Ob das zu einem Problem werden wird, können wir womöglich gleich feststellen.

Ich bemühe mich um einen aufmunternden Gesichtsausdruck und murmle die Worte, die ich zum Glück aus meiner Erinnerung abrufen kann. Danach warte ich angespannt, was weiter passiert. Im ersten Moment scheint ihm nichts zu fehlen. Ob der Zauber funktioniert hat, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

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