Kitabı oku: «Das Pfannen-Deckel-Prinzip», sayfa 4

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»Also ist Humor für Sie so etwas wie ein Forschungsgebiet?«, fragt Luíz.

»Ja, so kann man es nennen. Wenn das jemals Studienfach an einer Universität wird, bewerbe ich mich um den Posten als Fachbereichsleiter«, erwidere ich unbekümmert – und bekomme von Luíz ein Lachen zur Antwort. Oh, war das etwa lustig? Interessant.

»Einen Master in Humorwissenschaften würde ich auch gerne ablegen«, stimmt er mir sogar zu. »Ich glaube, der Studiengang wäre an jeder Uni gnadenlos überlaufen.«

»Wobei die Durchfallquote ähnlich hoch sein dürfte wie bei einer Epidemie des Norovirus«, spinne ich den Gedanken weiter. »Das Spektrum ist äußerst breit gefächert. Im Studium müsste man einen Schein in der Geschichte des Humors machen, dazu noch welche in Sarkasmus, Ironie, Slapstick, Parodie und Stand-up-Comedy.«

»Nicht zu vergessen den Magister in schwarzem Humor«, ergänzt Luíz. »Das sind dann die dunklen Künste. Wie bei Harry Potter.«

»Na, klasse. Jetzt habe ich Professor Snape im Kopf, wie er sich drohend vor Harry Potter aufbaut«, knüpfe ich spontan daran an. »Mr. Potter, haben Sie Ihre Hausaufgaben über die Satire im Mittelalter nicht gemacht?«, ahme ich den strengen Lehrer aus den Potter-Filmen nach.

Wir lachen gemeinsam laut los. Die anderen Besucher des Cafés drehen uns die Köpfe zu, selbst Jasmin hält mitten im Abkassieren eines Gastes inne und schaut zu mir hinüber.

Ich erwidere ihren Blick und muss unfreiwillig grinsen. Hey, es gelingt mir immer besser, mich in diesem Gespräch zurechtzufinden. Mir fällt zudem auf, dass ich relativ entspannt bleibe, was keine alltägliche Erscheinung ist.

Luíz schnaubt nun belustigt und presst die Lippen aufeinander. Anscheinend verkneift er sich nur mühsam ein weiteres lautes Lachen, um die anderen Gäste nicht über Gebühr zu stören. Fasziniert beobachte ich, wie sich sein Gesicht dabei verändert. Seine Augen werden schmal, doch sie glänzen, als hätte sich dort zu viel Tränenflüssigkeit angesammelt. Oh Mann, seine Augen sind für mich wie Ankerpunkte, an denen ich mühelos meinen Blick festmache. Dieser direkte Blickkontakt ist aufregend, vor allem, weil er selbst nach mehreren Minuten nicht unangenehm wird. Ich könnte stundenlang hier sitzen und mich zwanglos mit ihm unterhalten, was für mich zwar ungewohnt ist, sich aber ganz und gar nicht so anfühlt. Eher vertraut.

»Was ist mit der Biologie des Humors?«, fährt Luíz nun fort. »Ich finde, die körperliche Seite sollte man auch nicht unbeachtet lassen.«

»Sie meinen, welche Auswirkungen ein guter Witz hat und wie der menschliche Körper darauf reagiert?« Ich grinse amüsiert. Mit der Frage habe ich mich tatsächlich auch schon auseinandergesetzt. »Interessantes Thema. Sogar für einen Podcast.«

Mit einem Tastenklick aktiviere ich den Laptop, der schon wieder in den Stand-by-Modus gegangen ist. Sehr schön, mein Notizzettel mit Ideen für neue Folgen füllt sich dank Luíz' Mithilfe mühelos.

»Kann es sein, dass alle Menschen das Gleiche fühlen, wenn sie über einen Witz lachen? Dass die körperlichen Reaktionen immer dieselben sind, egal, welche Art von Humor wir bevorzugen?«, fragt Luíz.

Ich beiße mir nachdenklich auf die Unterlippe. Seine letzte Frage hat mich davon abgehalten, den Gedanken, den ich eben noch aufschreiben wollte, auf dem Laptop einzugeben. Meine Finger schweben über der Tastatur.

»Ich bin zwar kein Mediziner, aber sicherlich wird die Reaktion des menschlichen Körpers durch einen Anstieg des Hormonspiegels beeinflusst«, versuche ich, diese ernsthaft zu beantworten.

»Bestimmt sind es genau die Hormone, die wir auch bei anderen Gelegenheiten ausschütten. Über einen Witz lachen fühlt sich doch ähnlich an wie glücklich zu sein.« Luíz schiebt die Kaffeetasse in die Tischmitte, verschränkt die Arme auf der Tischplatte und lehnt sich mir ein Stück entgegen, um meine Notizen auf dem Laptop mitzulesen. Dabei bekomme ich eine Breitseite seines Geruchs in meine Nase. Herrje, das Aftershave, das er benutzt, riecht fantastisch. Herb, männlich, würzig, mit einer frischen Kopfnote, die mich an irgendwelche Kräuter erinnert. Oder ist das Bergamotte?

»Hm.« Ich brumme abgelenkt, besinne mich dann wieder und schreibe den Ansatz einer Idee auf, um die Gedanken festzuhalten und in die richtige Reihenfolge zu bekommen.

Humor → Biologie → Gefühl = Spaß.

Spaß → Lachen → Glückshormone?

»Jetzt nimmt die Sache langsam philosophische Züge an«, kommentiert Luíz. »Sie nehmen solche Themen gerne derart auseinander, nicht wahr?«

»Ich versuche, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie empirisch aufzuarbeiten«, weiche ich verlegen aus.

»Genau das merkt man Ihrem Podcast an«, meint Luíz. Er zuckt mit den Schultern, hebt aber den Kopf, legt diesen schief und sieht mir genau in die Augen. »Er ist einzigartig, gerade weil er an der Wurzel von ganz normalen Alltagsdingen ansetzt, diese aber von einer völlig anderen Seite, aus einer ungewohnten Perspektive heraus, betrachtet.«

Urplötzlich breitet sich Wärme in meiner Brust aus, geht nahtlos in ein Brennen über und sackt in meinen Magen hinunter, als hätte ich mir gerade einen hochprozentigen Schnaps hinter die Binde gekippt. Instinktiv atme ich tief ein und ganz langsam wieder aus, um diesem Tumult in meinem Inneren Einhalt zu gebieten. Keine Chance. Mein Körper scheint ein Eigenleben zu entwickeln und zu allem Überfluss rutscht das warme Gefühl unaufhörlich tiefer. Ein Prickeln kriecht zeitgleich meine Wirbelsäule hinab, trifft dort auf einen höchst empfindsamen Bereich und geht zusammen mit dieser komischen Hitze in ein Ziehen über. Unruhig verlagere ich mein Gewicht und rutsche auf der gepolsterten Bank herum.

Verdammte Hacke, Luíz macht mir ein simples Kompliment zu meinem Podcast und ich werde hart?

Luíz

Kämmerer antwortet mir nicht, aber seine Gesichtsfarbe vertieft sich und ein Hauch Röte überzieht seine blassen Wangen. Plötzlich weicht er jedoch meinem Blick wieder aus, nimmt die Hände vom Tisch und versteckt sie unterhalb der Tischplatte.

Verdammt. Ich hatte gehofft, unser Gespräch bald wieder auf das Bühnenprogramm zu lenken, doch just in dem Moment, wo ich den Eindruck hatte, wir würden so etwas wie einen Draht zueinander entwickeln, setzt er diese abweisende Miene auf. Dabei habe ich keine Ahnung, was seinen Stimmungsumschwung hervorgerufen haben könnte. Eben haben wir uns noch ungezwungen und sehr nett miteinander unterhalten, jetzt aber fährt er urplötzlich irgendwelche Mauern hoch.

»Wie ist die Aufnahme der Podcastfolge heute eigentlich gelaufen?« Ich versuche, mit dieser Frage zumindest beim selben Thema zu bleiben.

»Gut.« Kämmerer wirkt, als wäre er mit den Gedanken meilenweit von mir entfernt.

»Ich habe gehört, Sie schneiden die Folgen auch selbst, bevor Sie diese hochladen?« Verzweifelt suche ich nach einem neuen Anknüpfungspunkt, um die vorige Lockerheit in unserer Unterhaltung wiederherzustellen, doch er nickt lediglich und schweigt erneut.

»Okay, ich werde die Folge morgen ja zu hören bekommen.« Ich atme durch und versuche, zumindest äußerlich gelassen zu wirken, obwohl mich sein Verhalten zunehmend frustriert. Vielleicht muss ich einfach am Ball bleiben und darf mich nicht so schnell von ihm abschrecken lassen.

»Jetzt habe ich von Ihnen erfahren, womit Sie hauptberuflich Ihre Brötchen verdienen. Danke, dass Sie mir das gezeigt haben.« Ich mache eine kleine, wohlüberlegte Pause und mustere ihn abwartend, doch er rührt sich nicht und schaut auch nicht auf. »Im Gegenzug haben Sie drei Funfacts zu meiner Person bekommen. Die waren allerdings reichlich jämmerlich, das muss ich zugeben. Es tut mir leid, dass ich nicht mit allzu vielen lustigen Tatsachen über mich glänzen kann, ich bin wohl eher ziemlich gewöhnlich. Aber vielleicht kann ich mich revanchieren, indem ich Ihnen zeige, wo und wie ich arbeite?«

Endlich scheine ich sein Interesse geweckt zu haben. Kämmerer hebt den Blick zu meinen Augen, doch er zögert sichtlich.

»Wenn Sie mir jetzt noch ein paar Minuten Ihrer Zeit erübrigen können, heißt das«, schränke ich das Angebot höflich ein. In Windeseile habe ich mir einen Plan zurechtgelegt. Nun darf ich nichts überstürzen, aber auch keine Gelegenheit auslassen, Tobias Kämmerer in die richtige Richtung zu schubsen.

»Jetzt? Heute Abend?«, fragt er wie gewünscht, allerdings mit sehr dünner Stimme, nach.

Betont wichtigtuerisch schaue ich auf meine Armbanduhr. Es ist nicht einmal achtzehn Uhr. Gut, das passt prima.

»Ich habe doch gesagt, ich bin rund um die Uhr für meine Klienten da«, erinnere ich ihn ernst. »Irgendein Witzbold hat mal gemeint, mein Beruf würde deshalb Agent genannt werden, weil es keine geregelten Arbeitszeiten gibt. Wie Geheimagenten sind wir praktisch immer im Dienst. Was ist? Kommen Sie mit? Es dauert auch nicht lange. Ich will Ihnen bloß etwas zeigen.«

Ich stehe auf und stelle erleichtert fest, dass er den Laptop verstaut und seine Jacke anzieht.

»In Ordnung, ich komme mit.« Er nickt mit einem Mal kräftig, als müsse er sich selbst von diesem Entschluss überzeugen.

Kurz zögere ich, ob ich seiner Schwester wenigstens ein Trinkgeld dalassen soll oder ob das irgendwie unhöflich rüberkommen würde, doch in diesem Augenblick taucht Jasmin an unserer Seite auf und reicht mir zum Abschied die Hand.

»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Luíz«, sagt sie freundlich, obwohl ich meine, schon wieder einen scharfen Unterton in ihrer Stimme wahrnehmen zu können.

»Ganz meinerseits«, erwidere ich artig, doch sie hat sich bereits ihrem Bruder zugewendet und küsst ihn zur Verabschiedung auf die Wange.

»Tschüss, Tobi. Ruf mich an, wenn du zu Hause bist«, mahnt sie liebevoll.

»Okay.« Kämmerer macht sich hastig von ihr los, was umgehend ein Stirnrunzeln bei Jasmin hervorruft.

Ich beobachte die beiden aufmerksam. Anscheinend finde nicht nur ich es unpassend, dass die jüngere Schwester sich wie die Oberglucke aufführt; auch Kämmerer muss das unangenehm sein.

Nun ja. So ist das manchmal in einer Familie. Meine beiden älteren Brüder haben mich oft geärgert oder sich über mich lustig gemacht – aber wenn es darauf ankam, haben sie mich beschützt und bis aufs Blut verteidigt. Daher kann ich Jasmin sogar halbwegs verstehen, obwohl es für sie keinen Grund gibt, sich vor ihren Bruder zu stellen.

Schließlich will ich nur sein Bestes.

Kapitel 3

Tobias

Ich presse die Lippen zusammen und versuche, das ungute Gefühl in meinem Inneren zu ignorieren. Es kostet mich dennoch alle Kraft, nicht sofort den Heimweg anzutreten, sondern neben Luíz zu bleiben, der die Parallelstraße zum Marktplatz nimmt, aber ein für mich völlig unbekanntes Ziel ansteuert.

Wo will er hin? Was erwartet mich dort? Das habe ich nun von dem Versuch, wie jeder normale Mensch spontan zu sein. Dabei kann ich Spontanität nichts abgewinnen. Was bringt das, etwas Ungeplantes zu tun, von dessen weiterem Ablauf man nichts weiß, geschweige denn, wie es endet? Die Unwissenheit ist das, was mir am meisten zu schaffen macht. Ich mag keine unvorhersehbaren Aktionen, schon gar nicht solche, die von meinem ursprünglich angedachten Tagesablauf abweichen. Warum machen die Normalos so etwas? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!

Mit beiden Armen drücke ich die Laptoptasche an meine Brust und versuche, an etwas anderes zu denken, mich allein auf die Bewegung meiner Füße zu konzentrieren, die einen Schritt nach dem anderen machen. An der Straße stehen in regelmäßigen Abständen Platanen, die mit Granitsteinen eingefasst worden sind. Die Wurzeln der Bäume haben die Gehwegplatten an manchen Stellen minimal angehoben und ich muss aufpassen, nicht an einer der unebenen Kanten hängenzubleiben und zu stolpern.

Ich richte meinen Blick fest auf den Boden und konzentriere mich ausschließlich auf den jeweils nächsten Meter. Vielleicht kann ich darüber das ungute Gefühl ausblenden, das in mir rumort und mich auf der Stelle zur Umkehr bewegen möchte. Warum ich es dennoch nicht mache, ist für mich nicht ganz eindeutig, daher fange ich sofort an, mich zu hinterfragen.

Ich versuche offenkundig, jemanden darzustellen, der ich nicht bin, indem ich tue, was ich normalerweise aus eigenem Antrieb heraus nie machen würde. Was sich zunächst wie ein wagemutiger Schritt angefühlt hat, mutiert damit eher zu einem schauspielerischen Akt. Für einen Normalo mag es tagtäglich dazugehören, die Pläne kurzerhand umzuwerfen und etwas völlig anderes zu machen, mir aber widerstrebt dies dermaßen, dass ich Übelkeit in mir aufsteigen fühle.

Warum habe ich Luíz also zugestimmt, ihn zu begleiten? Nun ja, das lässt sich tatsächlich ziemlich leicht beantworten. Neben dem Bedürfnis, mir selbst etwas zu beweisen, ist es vor allem Luíz, dem ich zeigen möchte, dass ich völlig normal sein kann. Was ich eigentlich nicht bin und was er nicht wissen kann. Nicht wissen darf. Denn wenn ich die Chance dazu habe, dass er mich völlig unvoreingenommen kennenlernt, dann will ich diese nutzen.

Der Wunsch mag idiotisch sein, aber er erfüllt mich seit gestern und lässt mich nicht mehr los. Ich mag Luíz, er hat nicht nur unglaublich schöne Augen und ein attraktives Äußeres, sondern obendrein eine sehr nette Art. Seltsamerweise habe ich mich in seiner Gegenwart von Beginn an wohlgefühlt, habe viel weniger Beklemmungen als gewöhnlich, mit ihm als einen fremden Menschen umzugehen. Ich kann recht ungezwungen mit ihm reden und sogar lachen, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Allein das gibt mir den nötigen Mut und treibt mich an, auch einmal etwas Ungewöhnliches zu tun.

»Wohin gehen wir?«, entwischt es mir dennoch, bevor ich die Frage zurückhalten kann. Meinen eigenen Tonfall kann ich dabei nicht einschätzen und hoffe insgeheim, dass er sich nicht so jämmerlich angehört hat, wie ich mich gerade fühle.

»Wir sind schon da«, antwortet Luíz jedoch vollkommen unerwartet.

Auf der Stelle bleibe ich stehen und schaue auf. Wir sind an der Einfahrt zu einer Tiefgarage angekommen, daher ist es für mich nicht schlüssig, was er dort will. Luíz geht jedoch noch weiter, dreht sich dann zu mir um und deutet auf eine schmale Gasse, die neben der Tiefgarageneinfahrt liegt.

»Hier entlang!«, ruft er mir zu und wartet, bis ich zu ihm aufgeschlossen habe.

Verlegen tappe ich neben ihm her. Oh je, ich war so sehr auf den Weg konzentriert und in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal weiß, wo genau wir gerade sind. Das Gebäude und dieser Teil der Straße wirken seltsam vertraut, obwohl ich mir sicher bin, dass ich noch nie hier entlanggelaufen bin. Augenblicklich bleibe ich stehen und zögere.

Ach, Tobi, nun komm schon! Reiß dich zusammen!

Jetzt bin ich schon so weit gekommen, jetzt will ich es auch durchziehen.

Die schmale Seitenstraße entpuppt sich als Zufahrt zu einem weitläufigen, asphaltierten und recht kahlen Hinterhof. Der lang gezogene Bau zu unserer Rechten hat ein Flachdach, aber an der Hausfront drei ungewöhnlich große, metallene Flügeltüren, durch die ein LKW fahren könnte. Sieht aus wie ein Firmengelände.

Luíz scheint sich hier auszukennen, denn er strebt sofort eines der großen Tore an. In dieses ist eine unscheinbare Tür eingelassen, die er nun öffnet. Er wartet jedoch, bis ich näher getreten bin und zögerlich neben ihm stehen bleibe.

»Bitte schön. Hereinspaziert«, sagt er und hebt die Hand, als würde er mich an der Schulter anfassen wollen.

Instinktiv weiche ich mit einem hastigen Schritt nach links aus, drücke mich an ihm vorbei und betrete das Gebäude. Drinnen ist es ziemlich düster, kühl und es riecht merkwürdig. Nach abgestandener, muffiger Luft, nach Staub und Nässe, aber auch nach geschweißtem Metall und frisch geschnittenem Holz. Nirgendwo sind Leute zu sehen, daher bleibe ich stehen und schaue mich um. Es ist eine Halle, die innen viel größer ist, als es von außen den Anschein hat. Eine Seite wird von einer immer höher werdenden Empore eingenommen, auf der unzählige Stühle in langen Reihen stehen. Der Innenraum ist leer, doch hier wird offenbar gerade etwas gebaut. Überall stehen Kisten herum, daneben stapeln sich Rohre, Stangen und riesige Sperrholzplatten. Eine unfertige Stahlkonstruktion, die etwa brusthoch und teilweise von den stabilen Holzplatten bedeckt ist, ragt mitten in die Halle hinein. Sieht wie ein Steg aus.

»So erkennt man die Stadthalle kaum wieder, nicht wahr?«

Luíz ist an mich herangetreten und ich riskiere einen raschen Seitenblick, um ihn zu mustern. Er scheint sich das merkwürdige Stahlgebilde ebenfalls interessiert anzusehen.

Die Stadthalle? Jetzt erst fallen mir aufgrund des Dämmerlichts die unzähligen schwarzen Scheinwerfer auf, die hoch über unseren Köpfen an langen Schienen befestigt sind. Ich war noch nie hier, daher habe ich die Halle nicht auf Anhieb erkannt. Die Konstruktion rechts von uns, die an einer Stelle in den Raum hineinragt, muss also die Bühne sein.

Was will er hier? Oder eher: Was erwartet Luíz nun, was ich hier machen soll?

Luíz

»Sehen Sie? Da ist nichts Außergewöhnliches dabei.«

Ich wende mich wieder Tobias zu, der stumm neben mir steht. Seine Gesichtszüge wirken wie eingefroren, ich kann den Ausdruck darin und seine Mimik nicht deuten. Mit beiden Armen drückt er die Laptoptasche gegen seine Brust, seine Finger krallen sich so fest in das nylonartige Material, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Herrje, der Mann ist wirklich verklemmt. Echt schade, ich hab gedacht, Tobias mit dem Besuch der Stadthalle ein wenig lockerer machen zu können.

»Es ist niemand hier«, flunkere ich. »Wir können uns in aller Ruhe umsehen.«

Ich hoffe zumindest, dass Olek und sein Team schon Feierabend gemacht haben. Mit dem Chef der Bühnenbauer habe ich mich letzte Woche bekannt gemacht und dabei erfahren, dass er immer gegen achtzehn Uhr seine Mitarbeiter nach Hause entlässt. Er selbst verschwindet dann hinter der Bühne in seinem kleinen Büro, um Material zu bestellen, die Stundenzettel seiner Arbeiter zu schreiben und die Pläne des Bühnenbildners noch mal durchzugehen. Erst danach wird er die Halle abschließen, die gerade für eine Show am nächsten Samstag umgebaut wird. Wir sollten also eine halbe Stunde lang ungestört sein.

»So gut wie alle Künstler haben Lampenfieber und mitunter auch Angst vor einer großen Bühne«, erkläre ich Tobias. »Daher ist es immer hilfreich, die Hallen noch vor Fertigstellung des Bühnenbildes zu besuchen. Ohne die Bauten, die Lichttechnik und den ganzen Schnickschnack wirken Orte wie dieser auf mich immer völlig entzaubert, haben eine ganz andere Atmosphäre. Es ist, als würde man hinter die Kulissen einer Geisterbahn schauen, um dann festzustellen, dass es überhaupt keinen Grund gab, sich zu fürchten. Weil die ganze Show lediglich aus einer Menge ausgeklügelter Technik besteht.«

Ich unterdrücke ein Seufzen. Tobias wirkt leider noch viel abweisender auf mich als vorhin im Café, als er so plötzlich wieder dicht gemacht hat. Meine Chefin hat vielleicht recht gehabt, dass er ein schwieriger Fall ist – aber ich bin nicht bereit, die Flinte ins Korn zu werfen. Nicht, bevor ich nicht alles versucht habe.

»Willst du es dir nicht mal von oben ansehen?«, frage ich impulsiv. Erst im nächsten Augenblick bemerke ich, dass ich dabei zum vertraulichen Du übergegangen bin, ohne ihn vorher zu fragen, ob das okay ist. Tobias reagiert aber sowieso kaum, er steht einfach da und starrt Löcher in die Luft, ohne sich großartig zu rühren.

»Ich finde, man versteht immer erst dann, wenn man auf der Bühne steht, warum es so viel Spaß macht. Man hat von dort eine ganz andere Perspektive, eine, die nur wenigen vorbehalten ist.«

Ich hebe den Arm, um diesen freundschaftlich auf seine Schulter zu legen, aber er weicht mir erneut aus und tritt einen Schritt zur Seite. Doch als hätte ihn dies ein wenig aufgerüttelt, dreht er mir plötzlich den Kopf zu und öffnet den Mund, schließt ihn gleich darauf jedoch wieder, ohne einen Ton zu sagen. Stattdessen schluckt er sichtlich. Ich lege es optimistisch als Zustimmung aus.

Tatsächlich macht er einen Schritt nach vorne, bleibt dann jedoch erneut stehen und sieht sich nach mir um. Ich deute auf die schmale Treppe, die rechts von uns beginnt und auf die Bühne führt.

»Da geht es hinauf. Warte, ich zeig es dir.«

Kurzentschlossen gehe ich voran, steige die Stufen hinauf und stelle fest, dass er mir folgt. Unwillkürlich atme ich auf. Vielleicht ist ja jetzt das Eis gebrochen. Normalerweise ist es Pflicht, hier oben einen Helm zu tragen, solange die Bauarbeiten noch nicht fertig sind, aber ich hoffe, dass Olek noch eine Weile mit anderen Dingen beschäftigt ist.

Die Bühne ist in diesem Bereich mit einem dunkelgrauen, abriebfesten PVC-Belag versehen, überall befinden sich irgendwelche gelben und weißen Markierungen auf dem Boden. Die Hintergrundkulisse ist noch im Bau, daher bleibe ich sicherheitshalber hier vorne und gehe dicht an den Rand, wo bereits eine Reihe Strahler angebracht worden ist.

»Siehst du die kleinen Scheinwerfer hier?«, frage ich und drehe mich zu Tobias um, der mit unbewegter Miene hinter mir stehen geblieben ist. »Die blenden ziemlich. Von den Leuten im Publikum sieht man daher von hier oben sowieso nichts, allenfalls ein paar dunkle Umrisse. Das ist nicht großartig anders als ein Podcast...«

Ich unterbreche mich, weil irgendwo hinter den Kulissen ein dumpfer Schlag ertönt. Irgendjemand rumpelt dort an etwas herum. Wahrscheinlich ist es Olek, der noch mit Aufräumen beschäftigt ist.

Ohne jede Vorwarnung zuckt Tobias bei dem Geräusch zusammen, sackt in die Knie und macht gleichzeitig einen hektischen Schritt rückwärts. Er gerät ins Stolpern, stürzt. Vor Schreck bin ich wie gelähmt, kann nur zuschauen, wie er zu Boden geht und auf den Rücken fällt, ohne den Laptop loszulassen und damit eine Chance zu haben, den Sturz abzufangen.

Aus seinem Mund kommt lediglich ein Gurgeln, gleichzeitig läuft sein Gesicht rot an, die Augen sind schreckgeweitet. Mit weit geöffnetem Mund schnappt Tobias nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Um Himmels willen!

Mit zwei Schritten bin ich neben ihm, über ihm, packe ihn an den Schultern und rüttele ihn unsanft.

»Atme, Tobias!«, schnauze ich ihn fassungslos an.

In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Hat er etwa eine Panikattacke? Was macht man in einem solchen Fall? Tobias keucht und lässt endlich den Laptop los. Dafür schlägt er jedoch plötzlich wie wild um sich, rudert mit den Armen. Ich zucke zusammen, als er mir in die Seite boxt, trotzdem lasse ich ihn nicht los.

»Tobias!«

Endlich atmet er wieder halbwegs regelmäßig, wenn auch noch immer zu schnell. Seine weit aufgerissenen Augen stieren irgendwo an mir vorbei ins Leere, als würde er nichts um sich herum wahrnehmen, während er weiterhin hektisch mit den Armen rudert. Jetzt macht er mir wirklich Angst.

Ich muss Hilfe holen!

In diesem Moment fällt etwas aus seiner Jackentasche und poltert auf den Bühnenboden.

Sein Handy.

Blitzschnell schnappe ich es mir. Okay, es ist nicht gesperrt. Hat er eine Notfallnummer gespeichert? Egal, ich muss sofort einen Notarzt rufen!

Tatsächlich befindet sich direkt auf der Startseite des Displays eine App mit einem großen, runden, roten Button als Icon. Notfall, steht dort. Ich drücke einfach darauf.

»Tobias!«

Nahezu umgehend ertönt eine helle Frauenstimme durch die Freisprecheinrichtung des Smartphones, die mir nicht unbekannt ist.

»Jasmin? Ich bin's, Luíz!«, rufe ich atemlos.

Ich stöhne auf, weil Tobias mich erneut erwischt und ein Schlag in meiner Magengrube landet.

»Tobi! Verdammte Scheiße, wo ist er?«

»Stadthalle«, gebe ich knapp zurück. »Er hat eine Panikattacke oder so etwas. Rufen Sie einen Arzt!«

»Hören Sie mir gut zu, Luíz«, herrscht mich Jasmin in einem bitterbösen Tonfall an, den selbst die Klangqualität des Handys nicht abmildern kann. »In seiner Jackentasche befinden sich ein paar Ohrenstöpsel. Obere linke Brusttasche. Drücken Sie ihm die in die Ohren und halten Sie ihm seinen eigenen Jackenärmel unter die Nase. Ich bin in fünf Minuten da. Nein, in vier.« Damit unterbricht sie die Verbindung.

Fassungslos starre ich auf das Display, doch dann besinne ich mich. Trotz seiner wild umherfuchtelnden Arme schaffe ich es, eine kleine, rechteckige Plastikschachtel aus Tobias' Brusttasche zu ziehen. Mit zitternden Fingern fische ich die Ohrenstöpsel heraus, die aus einem pinkfarbenen, recht weichen Material gemacht sind. Kurzerhand stopfe ich ihm die Dinger in die Ohren. Was soll das helfen? Noch immer starrt er blicklos an die Decke, aus seinem Mund kommt ein heiseres Röcheln, bei dem mir angst und bange wird. Ich fange einen seiner Arme ein, packe ihn fest und führe ihn trotz seiner heftigen Gegenwehr an seine Nase, halte ihm den eigenen Ärmel darunter.

»Ganz ruhig, Tobias«, murmele ich dabei hilflos vor mich hin. »Es wird alles gut.«

Er reagiert nicht auf mich, wahrscheinlich, weil er mich wegen der Ohrenstöpsel sowieso nicht hören kann. Trotzdem wird er nach und nach ruhiger. Mittlerweile stehen Schweißtropfen auf seiner Stirn, ich selbst bin ebenfalls klatschnass geschwitzt. Noch immer starrt er irgendwo in die Ferne, doch wenigstens hat sich seine Atemfrequenz verändert, ist gleichmäßiger geworden. Mit einem Mal blinzelt Tobias. In seinen Augen stehen Tränen, dennoch findet mich sein verschleierter Blick. Unverwandt schaut er mich an, während sein Körper unter meinen Händen spürbar an Spannung verliert, schlaffer wird und auch seine Arme zur Ruhe kommen.

»Alles wird gut.« Ich erwische mich dabei, dass ich diese drei Worte fortlaufend vor mich hinmurmele, wie ein Mantra.

Eine Träne löst sich aus seinem Augenwinkel, rinnt an seiner Schläfe hinab und verfängt sich im Haaransatz. Vorsichtig nehme ich meine Hand weg, mit der ich noch immer seinen Arm festgehalten und ihm diesen unter die Nase gehalten habe. Er lässt ihn dennoch dort, atmet angestrengt durch den festen Stoff seiner Jacke. Mit der anderen Hand tastet er jedoch plötzlich nach meiner, ergreift sie und hält sie fest.

Ich wage es nicht, mich zu bewegen, in der ständigen Angst, wieder irgendeine panische Reaktion bei ihm zu provozieren. In diesem Moment nähern sich schnelle Schritte und ich sehe auf. Jasmin erklimmt die wenigen Stufen zur Bühne, hastet auf uns zu und geht neben Tobias' Kopf auf die Knie. Prima, sie hat offenkundig die unverschlossene Tür am Seiteneingang der Halle gefunden.

»Okay, ich bin da«, stößt sie atemlos hervor. Sicherlich ist sie vom Rathauscafé bis hierher gerannt. Sie packt ihren Bruder an der Schulter und dreht ihn auf die Seite. Gleichzeitig legt sie die andere Hand in seine Kniekehle und winkelt sein linkes Bein an, sodass es seine Seitenlage stabilisiert. Ihre Handgriffe wirken zielgerichtet und geübt, als hätte sie dies schon öfter tun müssen. Tobias schließt mit einem Schnaufen die Augen und lässt alles widerstandslos über sich ergehen.

»Was ist...«, setze ich an, doch augenblicklich hebt Jasmin den Kopf, schaut zu mir hoch und unterbricht mich mit einem hektischen »Psst!«, was mich sofort verstummen lässt.

»Lassen Sie ihn los«, flüstert sie, den Blick auf meine Hand gerichtet, in der ich noch immer die von Tobias halte. »Nicht anfassen, nicht sprechen.«

Umgehend will ich ihrer Aufforderung nachkommen und meine Hand vorsichtig zurückziehen, doch Tobias schnauft und verstärkt seinen Griff um meine Finger.

Jasmin verfolgt das mit gerunzelter Stirn, nickt mir dann aber aufmunternd zu. Mehrere Minuten vergehen, in denen wir beide neben Tobias knien und abwarten. Ich weiß nicht einmal, auf was genau wir warten, doch ich wage es auch nicht, einfach aufzustehen und mich zurückzuziehen. Die ganze Zeit über hält Tobias die Augen geschlossen, atmet durch seinen Jackenärmel und klammert sich an meine Finger, die wie seine schon ganz feucht und schwitzig sind.

Der Schock, den er mir mit seiner Panikattacke verpasst hat, lässt langsam nach, doch meine Gedanken rotieren unaufhörlich. Wie ist das passiert? Und warum hat er so heftig reagiert? Hat er irgendein Trauma durchlitten, das mit einer solchen Bühne zusammenhängt und das ich Depp nun irgendwie wieder an die Oberfläche geholt habe? Ich mache mir die größten Vorwürfe, dass ich sein Sträuben, öffentlich aufzutreten, nicht ernst genommen und ihn in diese Situation gebracht habe. Bei Gott, es tut mir unendlich leid, das habe ich nicht gewollt. Wenn er das hier überstanden hat, werde ich mich in aller Form bei ihm entschuldigen.

Plötzlich brummt Tobias leise, hustet und bewegt sich, als würde er sich aufsetzen wollen. Seine Schwester seufzt erleichtert, doch sie greift sofort nach Tobias' Schulter, hält ihn zurück und wendet sich dabei mir zu.

»Ich muss ihn nach Hause bringen. Bestellen Sie uns bitte ein Taxi«, flüstert sie, doch ich schüttele sofort den Kopf.

»Ich hol mein Auto, das geht schneller«, gebe ich ebenso leise zurück. Vorsichtig löse ich meine Hand aus Tobias' Griff, stehe auf und haste aus der Stadthalle hinaus auf die Straße.

Auf dem Weg zu meinem Wagen spulen sich die Ereignisse der letzten Minuten wie ein Film vor meinem inneren Auge ab, stoppen aber immer wieder an derselben Stelle. Genau an der, wo ich mit Tobias' erschrockenem Gesichtsausdruck konfrontiert worden bin, den er hatte, kurz bevor er rücklings zu Boden gestürzt ist. Die Panik in seinen Augen, das blanke Entsetzen, das in seinem Gesicht geschrieben stand, gehen mir unwahrscheinlich nahe.

Weil ich der Grund dafür war. Ich habe das ausgelöst.

Noch nie im Leben habe ich mich so schäbig gefühlt.

Tobias

Müde und erschöpft lehne ich mich im Sessel zurück, ziehe die Knie an meine Brust und umschlinge sie mit beiden Armen. Der gestrige Tag hängt mir noch wie Blei in den Knochen. Ich habe mehr als vierzehn Stunden am Stück geschlafen, nachdem Luíz uns nach Hause gefahren und Jasmin mich ins Bett verfrachtet hat, trotzdem fühle ich mich wie gerädert.

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