Kitabı oku: «Geliebtes Carapuhr», sayfa 12
Kapitel 15
Er hatte Schmerzen und ihm war schlecht.
Mit den Armen nach oben hing er an einem Pfahl, die Eisenringe um seine Handgelenke waren so eng, dass sie ihm in die Haut schnitten, der Regen spülte das Blut über seine Arme, das zerfetzte Hemd wies rotbraune Flecken auf und klebte an seinem Leib.
Desith kniete, seine Füße zeigten nach hinten und er konnte sich nicht aus eigener Kraft oben halten. In dieser verrenkten Position schmerzte die Wunde in seinem Rücken umso mehr. Sie brannte sich regelrecht in sein Fleisch. Er konnte spüren, wie sie nässte. Der Bolzen war tief eingeschlagen, hatte Muskeln zerfetzt und Knochen zertrümmert und ein riesiges Loch verursacht. Desith hatte eine Weile Blut gehustet, er leckte sich die trotz Regen trockenen Lippen und schmeckte noch den metallischen Geschmack auf der Zunge. Aber seine Wunderkräfte ließen ihn nicht im Stich, seine Lunge heilte nach einiger Zeit ab, nur ein Kratzen blieb zurück, auch die verletzten Knochen und Muskeln setzten sich wieder zusammen, noch während er dort im Regen hing. Aber es schmerzte. Sein Körper kämpfte und es tat weh, zu heilen. Magie hatte eben auch ihren Preis.
Desith war zu schwach, um Körperspannung zu halten, sein gesamtes Gewicht zerrte an seinen Armen, an denen man ihn aufgehängt hatte. Eine Weile schien er bewusstlos gewesen zu sein und er wünschte sich, er könnte einfach das Schlimmste verschlafen.
Es regnete noch immer in Strömen, der Boden unter ihm wurde zum blutigen Sumpf, seine roten Haarspitzen hingen ihm im Gesicht und tropften, sein Kinn ruhte kraftlos auf der Brust.
Er wollte nicht aufsehen, wollte nicht den Kopf heben. Er wusste, wo er sich befand, wusste, was Melecay ihm antun wollte. Er hing wie ein Opfer angekettet vor dem offenstehenden Zelt, das Derricks fetten Drachenkörper vor dem Regen schützte. Der schwere Atem der Flugechse grollte über den verwaisten Platz.
Er würde nicht auf sehen. Niemals. Er würde einfach so tun, als wäre er an einem anderen Ort, die Augen geschlossen haltend und sich einreden, das Grollen wäre eine andere Art von Donner.
Desith konnte Rick nicht ansehen, nicht mehr. Er wollte es nicht zugeben, aber es tat weh, ihn zu sehen.
Das leise, dunkle Lachen des Großkönig ertönte neben ihm. Desith ließ den Kopf hängen, sah aber die schwarzen Stiefel, die in sein Blickfeld in eine Pfütze traten. Brauner Schlamm klebte an ihnen.
»Zäher Bastard.«
»Ich bin kein Bastard«, keuchte er trotzig.
»Wohl nicht«, stimmte Melecay amüsiert zu. Er trat um Desith herum, bis er vor ihm stand. Desith sah nicht auf. Melecay griff unter seinen vor Nässe triefenden Mantel und zog seine lange Klinge aus der Scheide. Desith bekam es mit der Angst zu tun und atmete schwerer, schenkte dem Großkönig jedoch nicht die Genugtuung, ihm seine Furcht zu zeigen.
Etwas Kaltes, Hartes legte sich unter sein Kinn und hob sein Gesicht an. Der Knauf des Schwertes. Er ließ es nur widerwillig geschehen und sah dann voller Trotz zu Melecay auf. Er ignorierte Derricks massigen Leib im Hintergrund.
»Ich respektiere deinen Drang, dich zu wehren, das spricht für deine Stärke«, sagte der Großkönig zu ihm, »aber denk nicht einmal daran, mich anzuspucken.«
Dieser Mann konnte Gedanken lesen. Desith wollte es trotzdem tun, aber der winzige Fetzen Vernunft, mit dem er gesegnet war, hielt ihn letztlich doch davon ab. Er Schluckte den gesammelten Speichel wieder runter.
Der Großkönig lächelte leicht, zufrieden. »Siehst du, Desith, ich verstehe dich. Besser als vermutlich jeder andere. Du bist wütend – Nein, warte, lass es mich passender ausdrücken: Du bist stinksauer und willst alles um dich herum zertrümmern, weil die Welt dir etwas genommen hat. Deinen Gefährten, deine Zukunft, sieben Jahre deines Lebens. Du hast das Gefühl, alle sind gegen dich und unterschätzen dich und du musst beweisen, dass du auch ohne Derrick stark bist.« Er legte den Kopf schief und musterte Desiths Gesicht. »Ich bewundere diese Wut und ich bewundere dich für deinen Trotz. Auch ich war oft wütend, vor allem in deinem Alter, und auch heute noch. Dein Problem ist allerdings, dass du nichts hast, außer dir selbst. Du bist allein.« Er zog den Knauf zurück und gab Desiths Gesicht frei, der aber noch immer trotzig das Kinn reckte. Der Großkönig ging vor ihm in die Hocke, bis sie auf Augenhöhe waren. »Du hast deinem Vater getrotzt, für die Liebe, du hättest einen Krieg in Kauf genommen, für die Liebe. Das habe ich an dir geschätzt, dir ist alles gleich, du interessierst dich nur für dich selbst. Und das ist gut, ein Mann sollte sein Schicksal immer selbst bestimmen«, sagte er ernst zu ihm, »aber das kann er nur, wenn er sich aus dem Nichts eine Grundlage schafft. Kurz um, du bist immer noch allein, Desith, niemand steht dir bei, niemand folgt dir. Du kannst nicht allein gewinnen, verstehst du? Aber das heißt nicht, dass du verloren hast. Du und ich, wir sind keine Feinde. Und manchmal nimmt ein Mann ein Schicksal an, um es zu gegebener Zeit zu seinen Gunsten zu wenden.« Dabei tippte er sich an die Schläfe. »Du musst auf deinen Kopf vertrauen, Junge, nicht auf deine Furcht, nicht auf dein Herz. Denk nach«, beschwor er ihn, »ich weiß, hinter all der Wut steckt auch ein kluges Köpfchen. Sieh in einer ausweglosen Situation deinen eigenen Vorteil. Verstehst du, was ich dir sagen will?«
Desith starrte ihm ungerührt ins Gesicht, er hatte Schmerzen und er musste einiges an Überwindung aufbringen, dem Großkönig nicht ins Gesicht zu kotzen. Aber ja, er verstand es.
Er verstand, dass Melecay versuchte, ihm eine Sache schön zu reden, die nicht schön war.
So einfältig ließ er sich nicht manipulieren.
Melecay kam noch etwas näher, seine Augen nahmen ein seltsames Leuchten an, und als hätte er Desiths Gedanken erraten, sagte er: »Denk nicht an eine ausweglose Flucht, Junge. Ich habe vorgesorgt. Deine Ketten bestehen aus Silber, selbst wenn du dich auflösen könntest, würden sie es verhindern. Du kannst nicht entkommen. Und du hast keine Wahl. Erlange meine Gunst, das ist der einzige Weg, deine Freiheit zu garantieren. Oder lebe ein Leben in Knechtschaft, denn ich bin nicht dein Vater, mir trotzt du nicht.«
Sich auflösen? Er wagte zu bezweifeln, dass irgendein Sterblicher das konnte, aber es war interessant zu hören, was man ihm zutraute.
Desith lehnte den Kopf an den Pfahl und strafte Melecay mit eisernem Schweigen.
Der Großkönig belächelte ihn nur. »So stolz, so stark. Als ob man in den Spiegel sähe.« Doch er schüttelte bedauernd den Kopf. »Nur leider keinen Funken Weitsicht.«
Er stand auf, und Desith verfolgte ihn mit durchbohrenden Augen. »Ich gebe dir etwas zum Nachdenken.« Melecay faltete die Hände über dem Knauf seiner Klinge. »Es ist keine Liebe, die Ehen, Bündnisse und Paare ein Leben lang zusammenhält.«
»Sondern?«, erwiderte Desith mit rauer, gelangweilter Stimme.
»Es ist Macht.« Damit ließ der Großkönig ihn allein im Regen zurück.
Und tatsächlich, obwohl Desith sich dagegen wehrte, dachte er ungemein intensiv über seine Worte nach.
*~*~*
»Ah das brennt!« Gereizt zog er das Gesicht aus ihrem Griff und fluchte vor sich hin.
Seine Mutter verpasste ihm einen Klapps auf den Hinterkopf. »Jetzt stell dich nicht so an.« Trotzdem nahm sie den in Brandwein getränkten Lappen aus seinem Gesicht. »Du kannst froh sein, dass du genauso eine dicke Haut, wie einen Dickschädel hast. Diese Wunden werden Narben hinterlassen.«
»Das zeugt von Charakter«, gab er zynisch zurück.
Sie runzelte die Stirn und betrachtete ihn einen Moment sorgenvoll. Er wich geflissentlich ihrem forschenden Blick aus und starrte auf den Boden seines Zeltes. Der Tisch, an dem er am Abend zuvor mit Desith gesessen hatte, war noch genauso verwüstet, wie sie ihn verlassen hatten, die Karte beiseite gewischt, Desiths Fingerabdrücke im Fett, der Krug mit schalem Met und die beiden Becher. Das Lager war zerwühlt, roch nach einem Hauch von Feigen – roch nach Desith. Das Bärenfell vor dem Bett wies einen Abdruck auf, wo sie gelegen und geschwitzt hatten. Wo er, Vynsu, … genau wie so oft in letzter Zeit einfach alles hingenommen hatte, wie ein Sklave, der allen anderen gehorchen musste.
Er hasste sich in diesem Moment für das, was er war, vermisste den unbeschwerten, von seinen Instinkten geleiteten Burschen, der er vor gerade mal sieben Jahren noch gewesen war. Bevor Ehen, Pflichten, Vaterschaft, Verlust und Reue ihn zu diesem, wie Desith es nannte, seelenlosen Mann ohne Biss gemacht haben.
Seine Mutter stellte seufzend ihre Utensilien beiseite und setzte sich auf den Hocker, den sie vor ihn gezogen hatte. Vynsu lehnte halb auf dem Tisch, sein Blick glitt ins Leere.
»Vermisst du es?«, fragte sie, klug wie sie war, und wrang den Lappen in einer Schale mit sauberem Wasser aus.
»Was?«, knurrte er.
»Dieser unbeschwerte Junge zu sein, der lieber dem Haus fernblieb, Huren bestieg und an jeder Ecke einen blutigen Streit anzettelte?« Sie klang nicht tadelnd, nur neugierig.
Das brachte Vynsu dazu, die angespannten Schultern hängen zu lassen und sie anzusehen. »Ja, vielleicht. Manchmal.« Er schämte sich dafür.
Sie lächelte mitfühlend. »Du wirst erwachsen, Vynsu, das ist normal. Du hast deine Jugend damit verbracht, deinem Onkel nachzueifern, in dessen Fußstapfen du treten solltest. Und dann wurdest du überlistet, man hat dir die Frau genommen, weil du nicht da warst, um zu verhindern…«
Er drehte gequält das Gesicht fort.
»Das hat dir gezeigt, dass du angreifbar bist, dabei dachtest du, du wärst so unantastbar wie dein Onkel.« Sie faltete den Lappen, hing ihn über den Schüsselrand und schob beides ein Stück von sich, ehe sie sich zu ihm umwandte und ihm eine Hand auf den Arm legte. »Dein Onkel ist auch nicht unverwundbar, Vynsu, das müsstest du wissen. Er mag dich geprägt haben, du magst ihm nachgeeifert haben, aber das Herz, das jetzt in deiner Brust schlägt und dir sagt, was du zu tun hast und wie viel es ertragen kann, das ist ganz allein dein Herz, mein Sohn. Das bist du. Und nichts anderes will ich, dass du bist. Melecay ist nicht das Vorbild, von dem ich mir erhoffte, dass es dich beeinflusst.«
»Er hat trotz vieler Feinde nie zugelassen, dass Prinzgemahl Dainty oder ihrem Ziehsohn Derrick irgendetwas zustößt«, warf er ein und sah sie bekümmert an. »Ich schon, Mutter, ich schon. Weil ich ein dummer Junge war, der nur daran dachte, sich den Ruhm auf dem Schlachtfeld abzuholen, sich einen Namen mit Blut in die Geschichte zu schreiben, so wie Onkel es getan hat. Ich war ein Hitzkopf und ein Hurenbock.«
Sie lächelte leicht. »Und warum vermisst du diesen dummen Jungen dann?«
Na prima, sie hatte ihn überlistet. Genervt drehte er wieder das Gesicht fort.
Sanft legte sie die Hand an seine Wange und drehte ihn wieder zu sich herum, mütterliche Wärme strahlte ihm entgegen, sie roch nach Orchideen. »Damals warst du nur ein Junge, Vynsu. Heute bist du ein Mann. Dir wurde etwas weggenommen, das zu schützen du geschworen hast, es aber letztlich doch nicht konntest. Heute bist du ein Mann, und was ich sehe, erinnert mich stark an deinen Vater. Diesen liebevollen, einfühlsamen Mann, der seinen einzigen Sohn mit Liebe aufzog, auch wenn dieser nur in seinem Onkel einen Helden sah.«
Vynsu lächelte entschuldigend. »Ich muss Pa unbedingt sagen, wie du von ihm schwärmst, wenn wir nach Hause kommen.«
Sie sah ihm ernst in die Augen. »Besonnenheit ist keine Schwäche, wenn man weiß, wofür man es tut.«
Traurig sah er sie an und gestand leise: »Ich habe mir nichts daraus gemacht, Gemahl und Vater zu sein, ich denke, es war die Strafe des Allvaters, mir etwas davon zu nehmen. Ich sah es für all zu selbstverständlich.«
Bedauernd legte sie ihren lockigen Kopf schief.
»Jetzt haben meine Kinder nur noch mich«, flüsterte er ängstlich, »und ich kenne sie so gut wie gar nicht, sie nennen mich nicht Pa, sondern Vater, voller Furcht, weil sie mich nicht kennen, sie weinen, wenn ich sie auf dem Arm nehme, und gehen mir aus dem Weg. Jetzt habe ich sie zwei Jahre nicht gesehen, weil ich mich fürchte, mich ihnen zu stellen.«
Sie blickte ihn so voller Verständnis an, dass er gar nicht anders konnte, als sie zu lieben.
»Aber«, fuhr er fort, bevor sie etwas erwidern konnte, »auch wenn ich fast ein Fremder für sie bin, sie wissen, wer ihr Vater ist. Und ich will nicht, dass ihnen irgendjemand sagt, dass ich ein hitzköpfiger Hurenbock bin, der auf dem Schlachtfeld viel Blut seines eigenen Volkes vergoss, auf der Suche nach Macht und Ruhm und Weibern.« Er schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, dass sie das von mir denken, Mutter. Lieber bin ich kein Barbar mehr und lasse mich feige und kastriert nennen, als zuzulassen, dass sie sich meinetwegen schämen müssen oder sie meinetwegen gefürchtet werden. Oder gar meinetwegen Feinde haben, die ich mir im Leben schaffe. Ich will nur, dass es ihnen gut geht, auch ohne Mutter, die ich nicht für sie beschützt habe.«
Das nagte an ihm, er konnte es nicht abschütteln.
Sie verzog mitfühlend die Lippen und streichelte seine Wange. »Warum kränkt es dich dann so, was Desith im Kampf sagte?«
Weil er ebenso wenig wie er wollte, dass seine Kinder ein schlechtes Bild von ihm hatten, wollte, dass Desith ihn für weichgeworden und schwach hielt. Oder gar langweilig.
Vynsu wandte den Blick ab und griff nach dem Krug mit dem schalen Met. Er trank großzügig aus, statt ihr eine Antwort darauf zu geben.
Sie legte die Stirn nachdenklich in Falten und richtete sich wieder etwas auf. »Hm. Nun, wenn du glaubst, dass dein Gott dir etwas genommen hat, glaubst du dann vielleicht auch, dass er bereit ist, dir eine zweite Gelegenheit zu bieten?«
Er wandte ihr irritiert das Gesicht zu. »Wie meinst du das?«
»Hm.« Sie bekam diesen Ausdruck, den sie immer hatte, wenn sie Ränke schmiedete. »Oder was ist, wenn dir eine hehre Fügung Lohna nicht zur Strafe nahm, sondern sie schlicht ihren Zweck erfüllte? Du weißt, der Wille eines Gottes kann grausam sein, aber er ist nie sinnlos. Hättest du je Jori und seine Bande kennengelernt, wäre Lohna getötet worden? Nein, natürlich nicht, du wärest nie fortgelaufen und dieser liebenswerte, viel zu gutherzige Söldner hätte dich niemals im Schweinedreck gefunden, dich aufgenommen und dir gezeigt, dass mehr als Wut einen Mann ausmacht. Du hättest deine besten Freunde nie kennen gelernt, wäre alles anders gekommen. Dann wärst du vermutlich nie in den Dschungel gegangen und hättest Desith nie gefunden und ihn aufgrund deiner Schuld wie deinen Augapfel gehütet. Vielleicht wäre er jetzt tot, wäre seine Schwester nicht gestorben.«
Kopfschüttelnd drängte er sie: »Was willst du mir sagen?«
Sie legte den Kopf auf die Seite, als wäre sie selbst noch nicht sicher. »Ich weiß nicht recht, ich dachte nur gerade an das, was Desith sagte. Dass du – dass wir – einfach Melecays Entschluss, dich zu enterben, hinnahmen. Aber was, wenn es dein Schicksal ist, die Krone zu erben, und wenn es jetzt einen Weg gäbe, dir dein Erbe zurückzuholen, und gleichzeitig deinen Feinden, die deine Ehe mit Lohna beendeten, ein Schnippchen zu schlagen?«
Manchmal überraschte es ihn, dass sie nicht minder verschlagen dreinblicken konnte als der Großkönig selbst.
Trotzdem, er wurde ganz Ohr. »Wie soll das gehen? Ich versuche seit zwei Jahren, Onkels Respekt zurückzuerlangen, aber je mehr ich es versuche…«
»Je weniger hält er von dir.« Sie nickte und sah ihn an, als wäre er einfältig. »Natürlich! Melecay hat eine ganze Schar voll Speichellecker. Du erlangst nicht den Respekt des Großkönigs, indem du immer nur blind wie ein dressierter Gaul gehorchst. Er wird denken, du wirst dich von deinen Untertanen an der Nase herumführen lassen. Du musst ihn beeindrucken.«
»Macht bedeutet Gefahr, auch für meine Kinder«, warf er zögernd ein.
»Sie sind eine Verbindung zwischen Eagle und Melecay«, erinnerte sie ihn, »eine Verschmelzung des Bündnisses. Sie sind immer in Gefahr, Vynsu, aber vielleicht sind sie geschützter, wenn ihr Vater wieder der zukünftige König ist.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich will dafür nicht töten, ich will keine blutige Krone.«
»Das sollst und musst du auch nicht!« Sie war ein wenig empört, dass er ihr so etwas unterstellte. »Die Krone, die du tragen wirst, wird nicht mit Blut errungen, mein Sohn.«
Neugierig betrachtete er sie. »Was schlägst du vor, Ma?«
»Das wird dir nicht gefallen.« Aber sie lächelte.
Kapitel 16
Eine sanfte Hand glitt über seinen vernarbten Rücken, verursachte ihm gleichzeitig eine Gänsehaut und einen Schrecken. Die letzte sanfte Berührung schien soweit in der Vergangenheit zu liegen, dass er ganz vergessen hatte, wie wohltuend sie sich anfühlen konnte. War es nicht sein Vater gewesen, der ihn zuletzt in den Arm genommen hatte? Vermutlich, früher hatte er sich nie viel aus Berührungen gemacht. Nun vermisste er es, vermisste seine Familie, seine Väter. Er wollte zurück.
Seine Aura strahlte, waberte freudig. Weißer Nebel, der von frostblauen Bahnen durchzogen wurde. Nur für eine andere Hexe sichtbar. Schwach noch, aber wieder vorhanden, wie eine weiße, fluffige Wolke, die immer größer, dicker … dunkler wurde. Von Energie geladen.
»Erstaunlich«, flüsterte Chusei und zog seine Hand zurück, um seine Arbeit wieder aufzunehmen. Seine Ketten klirrten, als er die Arme hob und die Spitzhacke auf das schwarze Gestein führte. »Als würdest du über Nacht heilen.«
Sarsar hob ebenfalls wieder die Arme und trug weiter Erz ab. Sie arbeiteten an jenem Tag weit an der Oberfläche, es war heiß, selbst in den dunklen, feuchten Gängen der Minen. Eine nasse, klebrige Hitze, der man nicht entkommen konnte. Er hatte das Hemd ausgezogen, so wie viele andere auch, nun tuschelten die anderen Sklaven verwundert über seinen abgeheilten Rücken, obwohl er erst zwei Tage zuvor ausgepeitscht worden war. Chusei tupfte ihm zwar fast jeden Abend die Wunden ab, aber auch er hatte die verheilten Narben noch nicht bei Tageslicht gesehen, das von dem Eingang der Höhlen direkt hinter ihnen auf Sarsar blassen, weißen Rücken strahlte.
»Bin eben stur«, erwiderte Sarsar und lächelte schief.
Chuseis Ohren zuckten nach vorne. »Wäre mir neu, dass Trotz ein Wunderheilmittel wäre, aber wenn mich das nächste Mal Peitsche und Prügel treffen, werde ich an deine Worte denken.«
»Alles eine Frage des Glaubens.«
»Dann bist du also doch gläubig?«, foppte der Panther ihn.
Sarsar lachte schnaubend, die Arbeit war kräftezehrend, die Unterhaltung mit seinem einzigen Freund jedoch eine willkommene Erheiterung. »Nein, wahrlich nicht. Sagte ich dir nicht, dass ich aus Nohva stamme? Wir haben unsere Götter verbannt.«
»Oh ja, der verschollene Prinz«, erwiderte Chusei voller Ironie, »wie konnte ich dieses Hirngespinst vergessen?«
Sarsar lachte in sich hinein. Chusei wollte ihm einfach nicht glauben, woher er stammte und wer er war. Sarsar machte es ihm nicht zum Vorwurf, manchmal wachte er morgens in der Zelle auf und fragte sich selbst, ob die Erinnerungen an sein Zuhause nicht doch nur ein Hirngespinst waren.
Warum suchte niemand nach ihm? Vermutlich hielten sie ihn alle für tot, Riath musste glauben, dass er ihn getötet hatte, dass er damit durchgekommen war.
»Verbannt oder nicht, irgendein Gott muss seine Hand über dich halten, so schnell habe ich noch keine Wunde heilen sehen.« Chusei grunzte angestrengt, während er die Hacke führte, aber ihm ging nie der Atem aus, um ein Gespräch am Laufen zu halten. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, zu reden, so viel er konnte, auch wenn Sarsar einen schlechten Tag hatte und sich in kummervolles Schweigen hüllte. »Weißt du, wie wir Tierstämme solche Wunder nennen würden? Wille der Natur.«
Sarsar lief der Schweiß über Rücken und Gesicht, aber er vernahm die schlurfenden Schritte der stämmigen Wärterin, die bei ihrem Rundgang wieder in ihre Nähe kam. Er biss die Zähne zusammen und schwang die schwere Hacke weiter, auch wenn jeder einzelne seiner Muskeln brannte.
»Glaub mir, das hat etwas zu bedeuten«, plapperte Chusei weiter, »wir Tierstämme glauben daran, dass alles von der Natur vorherbestimmt ist. Sie schenkt und nimmt Leben. Sie lässt Verletzungen auf wundersame Weise verheilen, oder sorgt dafür, dass ein kleiner Schnitt bereits tödlich endet. Sie schenkt Kinder, wenn der Waldbestand reich ist, und nimmt Kinder, wenn der Wald sie nicht versorgen kann. Sie sorgt für das Gleichgewicht, sie ist allmächtig und sie weiß alles. Sie bestimmt das Leben. Und sie hat entschieden, dass du leben sollst.«
Sarsar lächelte wieder schief. »Dann muss es wohl so sein, mein Freund.«
Wieder zuckten Chuseis Ohren freudig und seine Augen strahlten in der beinahe kindlichen Unschuld, die seinem Volk eigen schien. Er mochte es, wenn Sarsar ihn als Freund bezeichnete.
Sarsar wollte ihn eigentlich auch nicht anlügen, aber er bezweifelte, dass ein einfacher Sklave es verstehen würde. Es fiel sogar ihm schwer, eine Erklärung zu finden. Es musste die Magie sein, die er in sich aufgenommen hatte, denn bevor sie in ihm war, hatte er solche Kräfte nicht besessen. Zumal es nicht einmal eine richtige Kraft war, er nutzte sie nicht bewusst, er heilte, ohne seine eigene Magie anwenden zu müssen. Es geschah einfach, er konnte es weder aufhalten noch beschleunigen oder lenken, er hatte keine bewusste Kontrolle darüber.
Vor dem Eingang der Höhle geschah irgendetwas. Chuseis Ohren drehten sich nach hinten, er legte die Stirn in Falten, und dann hörte auch Sarsar den leisen Tumult, der vor den Minen in der Bergbaustadt für Lärm sorgte.
Kurz darauf trabte auch schon die Wärterin heran, brüllte einen Befehl und schwang drohend die Peitsche. Sarsar sah verwundert zu, wie seine Kameraden die Spitzhacken fallen ließen und sich aufrichteten. Er tat es ihnen gleich und drehte sich in die Reihe um. Ihnen wurden wieder Eisenringe um die Handgelenke geschnallt, Ketten verbanden sie miteinander und sie hatten demütig die Köpfe zu senken.
»Die Stammesführerin kommt zur Kontrolle«, erklärte Chusei ihm leise, verstummte aber sofort, als die in Lederbänder und Pelze gehüllte Wärterin ihren harten Blick auf ihn richtete und mit einem gebrüllten Wort die Peitsche vor ihm auf den Boden knallen ließ. Sarsar und Chusei zuckten zurück. Da rissen die Sklaven links und rechts von ihnen an den Ketten und warfen sie zu Boden. Sie landeten auf den Füßen, die anderen lachten. Die beiden Kerle, die es gewagt hatten, an den Ketten zu ziehen, wurden mit einem frontalen Peitschenhieb bestraft, aber das schien es ihnen wert gewesen zu sein.
Sarsar und Chusei halfen sich gegenseitig wieder auf, sie taten einfach so, als wäre nichts gewesen. Chusei war nicht aufmüpfig, Sarsar hielt es für klüger, bei einer solchen Übermacht besonnen zu bleiben.
Besonnen, aber stolz. Er ließ sich die Demütigung schlicht nicht anmerken. Und wenn sie ihn noch hundertmal zu Boden stießen, schlugen und traten, er würde ihnen nicht die Genugtuung bieten, ihre Misshandlungen in seine Seele eindringen zu lassen. Körperlich mochten sie ihm wehtun, aber es lag bei ihm, ob er sich das zu Herzen nahm.
Sie waren auch nur Sklaven, verbittert, kannten nur ihre kleine Welt in dieser Zelle, einen Fremdländer zu quälen erlöste sie für ein paar Momente von ihrem eigenen Elend.
Was aber nicht hieß, dass er gern die Wange hinhielt, ihm blieb im Moment schlicht keine andere Wahl, wenn er seine Lage nicht auch noch verschlechtern wollte.
Sie wurden in Reih und Glied aus den Minen getrieben. Über der Bergstadt waren die Baumkronen licht, Rauch stieg von zahlreichen Schmelzöfen in den Himmel, die Sonne stach wie Speere in den Augen, allein deshalb hielten alle die Köpfe gesenkt, und wer es nicht tat, wurde von der unnachgiebigen Peitsche dringend dazu aufgefordert.
Aneinander gekettet konnten sie nur langsam vorwärts gehen, die Ketten und Eisenringe, die sie um Hand- und Fußgelenke, sowie um die Hälse trugen, klirrten in der Mittagssonne. Zum ersten Mal war Sarsar nicht zu erschöpft und musste durch die Sonne geschleift werden. So konnte er sich zum ersten Mal selbst betrachten. Er war mager – mehr als früher – und auf seiner hellen Haut sah er den Schmutz besser als auf der dunklen Haut seiner Mitleidenden. Seine Hände waren aufgeschürft, er hatte blutige Blasen an den Innenflächen und den nackten Füßen. Nichts, was bis zum Morgen nicht wieder verheilt wäre. Um am nächsten Tag erneut aufzureißen. Er sah und spürte bereits Hornhaut an den Handballen. Es waren nicht mehr die Hände eines Prinzen und Magiers, es waren die Hände eines Sklaven.
Sie wurden vor den bienenwabenartigen Eingängen der Höhlen aufgereiht und mussten sich wieder umdrehen. Sarsar stand so eng gedrungen, dass seine Schultern die seiner Nebenmänner steiften. Wobei es eher ihre muskulösen Oberarme waren, denn Sarsar war gewiss nicht so hochgewachsen wie diese Dschungelgeborenen.
Er wagte nicht, den Kopf zu heben, aber seine Augen machten sich selbstständig und schielten empor. Viele Kriegerinnen hatten sich auf dem Platz versammelt, darunter eine muskulöse Frau, im besten Alter, mochte er meinen, die auffallenden Federschmuck und eine Weste aus schwarzem Panther trug, ihr Lederrock war kurz, stramme Bänder zogen sich um ihre starken Waden, an ihrer Hüfte baumelte ein gebogenes Schwert, ihr schwarzes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, so wie es alle Kriegerinnen trugen.
Sie war nicht das, was ihm auffiel, es war der große, muskulöse Mann, der ihr wie ein Hund folgte. Das markante Kinn stolz emporgehoben, die langen Haare mit zwei Strähnen locker nach hinten gesteckt, damit sie nicht in sein dunkles Gesicht fielen. Sein Blick war leer, er trug einen dicken Eisenring um den Hals, aber keine Kette, und war nackt bis auf ein Lendenleibchen, das zu knapp saß. Schwarze Bemalung zierte seine Brust und Schenkel, grimmige Falten vertieften seine Mundwinkel und auf seinem Arm trug er ein Brandmal. Einen Halbmond.
Sarsar erinnerte sich an den Stern, den man ihm als Markierung in die Haut gebrannt hatte und der sich entzündet hatte.
»Das ist der persönliche Zuchtsklave der Stammesführerin«, flüsterte Chusei ihm zu. »Siehst du wie viel kräftiger er ist? Diese Burschen könnten unsere Arbeit locker erledigen, aber dafür sind sie zu schade. Verstehst du? Werden nur zur Zucht für starke Kriegerinnen genommen. Wir Mistgeburten dürfen schuften.«
»Dein Vater war doch kein Zadestianer«, erinnerte sich Sarsar. Chusei hatte ihm erzählt, dass seine Mutter – eine Katzenfrau – in einem Zirkus in Elkanasai aufgetreten war. Als sie von einem Elkanasai geschändet wurde und ihn empfing, ging sie in die Wälder und suchte einen Stamm, der sie aufnahm. Aber sie gerieten zu nahe an die Zadestianische Grenze, weil die Stämme der Tiervölker die Grenzen der Kontinente nicht verstehen, und wurden von Kriegerinnen überfallen. Alle Männer und Jungen wurden in die Sklaverei verdammt, weil es in Zadest ein Frevel war, einen Mann frei umherstreifen zu lassen.
»Zuchtsklave«, flüsterte Sarsar nachdenklich vor sich hin und musterte den großen Zadestianer wieder von oben nach unten. Er hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Fen, aber in gewisser Hinsicht fiel es Sarsar ohnehin noch schwer, Unterschiede unter den dunkelhäutigen Stämmen zu erkennen.
»Warum schwitzt er so?«, fragte Sarsar leiser, es war ihm gleich aufgefallen. Die Stammesanführerin hatte ihr Gespräch mit den führenden Aufseherinnen beendet und kam näher. »Er müsste die Hitze gewohnt sein, er schwitzt wegen etwas anderem. Die Perlen auf seiner Stirn sind dick und milchig, seine Nasenflügel scheinen gebläht und seine Augen gerötet… Tut ihm etwas weh? Bereitet ihm etwas Schmerzen?«
Chusei zuckte neben ihm mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht sein Schwanz, weil er zu sehr beansprucht wird«, gab er zynisch hinzu.
Die Schmerzen schienen stark zu sein, Sarsar versuchte, ihn näher zu betrachten, aber als sie vor ihm standen, konnte er nur noch die großen Füße sehen. Die Stammesführerin schlenderte die Reihe entlang und nickte zufrieden. Sie blieb vor Sarsar stehen, hob sein Kinn an und verengte kritisch die Augen. Hinter ihr blitzte der leere Blick ihres Zuchthengstes auf, als er Sarsars schneeweiße Iriden bemerkte. Er starrte ihm unverwandt überrascht ins Gesicht. Unbewegt starrte Sarsar zurück.
Die Stammesführerin drehte sich zu einigen wartenden Kriegerinnen um, sagte etwas, und alle lachten gehässig.
Sarsar zeigte keine Rührung, er wusste, dass sie ihn für zu klein und zierlich hielten, aber er hatte bewiesen, dass er arbeiten konnte. Sie ging weiter, noch immer amüsiert. Vermutlich hatten die Wärterinnen Wetten laufen, wie lange er durchhielt.
Sarsar schielte ihrem nachlaufenden Sklaven nach, versuchte zu erkennen, was diesen quälte.
»Der hat es gut«, murmelte Chusei neidisch. »Reinrassig müsste man sein.«
»Ich weiß nicht, ob ich mich vergewaltigen lassen würde, um dem Erzabschürfen zu entkommen«, gab Sarsar zurück.
Chusei schnaubte. »Ich würde lieber täglich zwischen irgendwelche Schenkel sinken, als hier zu schuften. Als Zuchtsklave einer Stammesanführerin hast du ein eigenes Gemach, ein Bett, gutes Essen, fast sogar so etwas wie Achtung. Jedenfalls hab ich das so gehört, und er sieht mir nicht sonderlich unterernährt oder ausgepeitscht aus, findest du nicht?«
Nein, dem musste Sarsar zustimmen, es war der gepflegteste, gesündeste Sklave, den er seit er hier war gesehen hatte.
Er verengte seine weißen Augen und blickte dem Sklaven hinterher. Dieser sah ebenfalls noch ein letztes Mal zurück, direkt in Sarsars Gesicht, schien noch immer irritiert von dessen Antlitz.
»Dann sind diese Sklaven also wie … das kostbare Haustier der Stammesführerinnen?«, fragte er nachdenklich. »Wirklich wie ein Zuchthengst?«
»Weiß nicht, was ihr Westländer immer mit euren Zuchthengsten habt, aber wenn es bedeuten soll, dass man sie behandelt, als wären sie fast menschlich, dann ja, davon kannst du ausgehen, Freund«, stimmte Chusei zu, »die bekommen sogar das Fell gebürstet.«