Kitabı oku: «Stimmen des Yukon», sayfa 4

Yazı tipi:

EINE STUTE NAMENS »SPOOK«

Julie half Trudy noch beim Abwasch. Im Anschluss kontrollierte sie, ob der Fotoapparat in der Jackentasche steckte und zog sich dann zügig an. Das Wetter hatte sich in der Zwischenzeit wesentlich verbessert und so hingen nun die Schichtwolken nicht mehr ganz so tief wie zuvor. Es hatte ganz aufgehört zu regnen. Voller Zuversicht, dass es während ihres Ausritts auch keinen Regen geben würde, machte sie sich nun in freudiger Erwartung auf in Richtung der Pferde.

Schon von weitem sah Julie die Pferde angebunden und teilweise bereits gesattelt dastehen. Ian war zunächst nirgends zu sehen und so betrachtete sie die Pferde etwas genauer.

Zwei große dunkelbraune Wallache standen beieinander. Deren Blick war sehr ruhig und sie schienen sich nicht für Julie zu interessieren. Ein wenig weiter links stand ein kräftiges Kaltblut, wie Julie vermutete. Es hatte die Zeichnung eines rotbraunen Appaloosas. Die Stute stand dösend und mit angewinkeltem Bein da und war ebenso gänzlich unbeeindruckt von Julies Anwesenheit. In der Nähe der Sattelkammer war eine kleine, kräftig gebaute Stute angebunden, die etwas ungeduldig schien. Gelegentlich hob sie ihren Vorderhuf oder wechselte ihre Position. Ihr Haarkleid war dunkelbraun und von weißem Stichelhaar durchzogen. Auf der Stirn hatte sie eine keilförmige Blesse und ihre kurze Mähne verlieh ihr etwas Freches.

Julie überlegte, während sie erneut ihren Blick von einem zum anderen Pferd schweifen ließ, welches der Pferde ihr Ian wohl ausgesucht hatte. Sie spekulierte, dass es wohl eines der größeren sein würde. Als letztes blickte sie wieder hinüber zu der kleinen Stute. »Er wird wohl kaum dich für mich ausgesucht haben«, überlegte sie.

Die Stute stand plötzlich wie versteinert still und sah direkt zu Julie hinüber.

Ihre Blicke trafen sich.

Die kleine Stute sah Julie in die Augen und Julie überkam ein seltsames Gefühl, welches ihr aber nicht unbekannt war. »Was sie jetzt wohl denken mochte?«, überlegte sie und zugleich taten ihr ihre vorherigen Gedanken leid. In diesem Moment trat Ian mit einem weiteren Sattel aus der Sattelkammer, gefolgt von einem mächtigen, wunderschönen grau-weißen Alaskan Malamute, und steuerte die Appaloosa-Stute an. Sowohl Julie als auch die kleine Stute wurden dadurch aus ihren jeweiligen Gedanken gerissen. Für einen kurzen Moment sahen sie Ian und dem Hund hinterher.

Julie eilte Ian nach und fragte, ob sie denn noch irgendetwas helfen könne. Sie konnte ja nicht wissen, dass er so schnell alle Pferde gesattelt hatte. Nun hatte sie ein schlechtes Gewissen.

»Ich bin schon fertig. Jetzt müssen nur noch die zwei Frauen kommen, dann kann es losgehen.« Ian sah zu seinem Hund, der in der Zwischenzeit ganz aufgeregt die Gegend erkundete.

»Ist das dein Hund, Ian?«

»Ja, er heißt Hildago, aber ich nenne ihn immer nur Dago.«

Im selben Augenblick bog ein Geländewagen auf den Weg zur Ranch ein. Er hielt in etwas Entfernung zum Paddock der Pferde an. Zwei Frauen stiegen aus und kamen direkt auf Ian und Julie zu. Sie stellten sich als Katharina und Yvonne vor. Ian erkundigte sich nur kurz, ob die beiden mit Trudy alles geklärt hatten, und wandte sich dann auch schon wieder den Pferden zu. Als er mit dem Nachgurten der Sättel fertig war, fragte er die beiden, ob sie reiten könnten. Sie verneinten. Daraufhin gab er ihnen eine kurze Einweisung, worauf sie achten mussten, und wies jeder einen der Wallache zu.

Ian würde sich wohl kaum mit seiner Größe auf die kleine Stute setzten. Er hatte sie für Julie ausgesucht. Julie hatte also richtig vermutet.

»Wie heißt sie denn?«

»Ihr Name ist Spook.«

Julie ging zu Spook hinüber und streichelte sie am Kopf. »Du hast von vorn herein mehr gewusst als ich, wie es mir scheint. Gutes Mädchen!«

Während Ian den beiden Frauen in den Sattel half, war Julie bereits aufgestiegen. Sie betrachtete das für Yvonne und Katharina doch reichlich schwer zu scheinende Unterfangen des Aufsteigens und amüsierte sich innerlich darüber. Nachdem auch Ian aufgestiegen war, verließen sie die Ranch mit Dago als Führung und ritten ein Stück die Schotterstraße in westlicher Richtung entlang, bevor sie auf einen schmalen Waldpfad abbogen. Der Fish Lake lag still zu ihrer Linken. Nur leichte Wogen entstanden auf seiner Oberfläche durch eine feine Brise. Es hatte zwar aufgehört zu regnen, aber immer noch war die Umgebung wie durch einen unsichtbaren Nebel in Feuchtigkeit gehüllt. Julie sog die frische Luft tief in ihre Lungen. Sie schloss die Augen, um sich voll und ganz auf die Gerüche der Umgebung einlassen zu können. Nur langsam atmete sie wieder aus. Dies wiederholte sie einige Male. Es roch nach Kiefern und Fichten und dadurch, dass die Pferde den Waldboden mit ihren Hufen lockerten, drang ebenso der süßlich modrige Geruch der Erde in ihre Nase. Sie wurde jäh aus dieser Entspannung gerissen, als ihre Stute plötzlich mit voller Wucht den Kopf senkte, um einen Grasbüschel, der in saftigem Grün am Wegesrand stand, zu erreichen. So etwas war Julie zwar auch von ihren beiden Pferden zuhause gewohnt, aber nicht mit solch einer Vehemenz.

Der Pfad, den sie entlangritten, wurde nun immer steiler. Gelegentlich konnte Julie einen Blick durch die Bäume auf den Fish Lake und die Umgebung erhaschen. Sie wurde dabei regelrecht unruhig. Der Ausblick war fantastisch. Sie hielt ihren Fotoapparat bereit, für den Fall, dass sie eine Lichtung passieren und dadurch freie Sicht auf den See haben sollten. Gelegentlich versuchte sie durch die Bäume hindurch ein gutes Bild zu ergattern. Wieder wurde sie von der Stute mit voller Wucht nach unten gezogen. Dies wiederholte sich auf den nächsten paar hundert Metern einige Male. Sie versuchte so gut es ging dem Zug der Stute Stand zu halten und hoffte, dass sie es mit der Zeit leid sein würde, gegen das Gebiss zu stoßen.

Und da passierte es. Ausgerechnet in dem Moment, als Julie eine wunderbare Sicht hatte und ihren Fotoapparat gerade in der Hand positionierte, zog die Stute so ruckartig und schnell nach unten, dass sie mit beiden Händen zu kämpfen hatte das Pferd mit dem Kopf oben zu halten. Der Fotoapparat knallte mit voller Wucht auf das Sattelhorn. »Oh nein! Oh nein! Bloß das nicht!«, schoss es Julie durch den Kopf. Sie betrachtete den Fotoapparat und musste feststellen, dass das Display komplett kaputt war. Sie versuchte, ob es dennoch möglich war weiterhin zu fotografieren. Der Auslöser war zwar in Takt, aber dennoch sah sie nun nicht mehr, was sie fotografierte. Julie hatte solch eine Wut im Bauch. Sie ärgerte sich über die kleine Stute, die ja eigentlich nichts für ihr Ungeschick konnte, aber am meisten ärgerte sie sich über sich selbst. Sie ärgerte sich noch eine ganze Weile, ehe sie zu dem Entschluss kam, dass sie jetzt sowieso nichts mehr an der Tatsache ändern konnte, dass ihr Fotoapparat hinüber war. Allmählich wurde sie daher wieder ruhiger. »Na, das Wesentliche ist ja sowieso, dass ich das, was ich hier sehe, live erlebe!«, überlegte sie und schon begann sie wieder vor sich hin zu lächeln. Außerdem streichelte sie der Stute den Hals und fand, dass sie ihr Unrecht tat. So galt dies als Entschuldigung dem Pferd gegenüber.

Ian drehte sich gelegentlich um und überprüfte, ob noch alle da waren. Er fragte die beiden Journalistinnen, ob sie sich gut fühlten, und Julie, ob alles in Ordnung sei.

Katharina und Yvonne nickten freudig und schwärmten von dem Ritt, während Julie Ian anlächelte und mit einem nur kurzen »Jep!« antwortete. Sie wollte ihm später von ihrem Missgeschick erzählen.

Dago befand sich meistens ganz vorne und ab und an leitete ihn seine Nase in das Unterholz, um der einen oder anderen Wildspur zu folgen. Gelegentlich sprang er aber auch ganz unverhofft hinter den Pferden auf den Weg und preschte mit angelegten Ohren und lang heraushängender Zunge an ihnen vorbei, um vorne angelangt wieder die Führung zu übernehmen. Die Pferde waren jedoch völlig unbeeindruckt von seiner quirligen Art.

Julie hatte überhaupt kein Zeitempfinden und wusste nicht, wie lange sie mittlerweile unterwegs waren. Sie wusste nur, dass sie bereits eine ganz schön lange und steile Strecke zurückgelegt hatten. Dies ließ sich daran erkennen, dass jedes Mal, wenn die Sicht durch die dichten Bäume zum See frei wurde, die Aussicht noch wunderbarer wurde.

Schlagartig lichtete sich nun der Wald und sie ritten auf freies Gelände. Sie erreichten ein Plateau, das ihnen trotz des trüben Wetters eine meilenweite Aussicht in alle Himmelsrichtungen ermöglichte. Ian hielt seine Stute an. Yvonne, Katharina und Julie taten es ihm gleich. Der Ausblick, der sich ihnen von diesem Platz aus bot, war nicht schön, wie es Trudy zuvor definiert hatte, nein, es war der atemberaubendste und majestätischste Ausblick, den man sich nur vorstellen konnte, fand Julie. Wenn sie in östliche Richtung sahen, aus der sie gekommen waren, lag der gesamte Fish Lake in voller Größe zu ihren Füßen. Er war eingebettet in eine dichte dunkelgrüne Waldlandschaft und Bergketten umgaben ihn, soweit das Auge reichte. Obwohl Julie wusste, wie groß der See tatsächlich war, schien er von hier oben im Verhältnis zu den imposant emporragenden Bergen und der nahezu unendlich scheinenden Weite eher klein zu sein. In westlicher Richtung erstreckte sich ein Tal, in dem sich drei Seen unterschiedlicher Größe befanden. Es war ebenso wie der Fish Lake von unzähligen Bergen umgeben. In diesem Tal standen zwar vereinzelt nur zwergartige Koniferen, dafür war es aber stellenweise übersät mit niedrig wachsenden, sattgrünen Sträuchern. Der sich über alles erstreckende, unendliche Himmel vermittelte einem das Gefühl absoluter Freiheit und die Stille, die herrschte, betonte die harmonische Schönheit der Landschaft. Ein Gefühl tiefsten Friedens durchströmte Julie. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Es war ihr nicht möglich, diese Schönheit der Natur in Gedanken in Worte zu fassen. Ihr stockte unmerklich der Atem und sie konnte sich nicht sattsehen.

Als sich Julie wieder einigermaßen gefasst hatte, wandte sie sich Ian zu. »Ian, wie heißen diese Seen?« Sie zeigte mit dem Finger in Richtung des Tales, in dem sich die drei Seen befanden.

»Das sind die ›Bonneville Lakes‹.«

Sie blieben einige Zeit an Ort und Stelle, um den Journalistinnen genügend Zeit zum Fotografieren einzuräumen. Dabei erzählte Julie Ian von ihrem Missgeschick mit dem Fotoapparat.

»Nun, wir können nächste Woche in der Stadt einen neuen besorgen«, meinte Ian gelassen.

»Okay, klasse, denn ich brauche hier unbedingt einen Fotoapparat!« Bei sich dachte Julie jedoch, wie sie denn die erste Woche ohne Fotoapparat überstehen sollte. »Meine Güte!«, schoss es durch ihre Gedanken. »Erst nächste Woche! Das kann nicht wahr sein!«

Ian spürte, was es für Julie bedeutete, ohne Fotoapparat zu sein. »Ich habe eine ziemlich gute Kamera. Ich werde sie die kommenden Tage mitnehmen und Bilder machen. Dann hast du auf jeden Fall welche.«

»Oh, das wäre fantastisch! Großartig! Danke!« Julie war sichtlich erleichtert.

Nachdem Ian noch ein paar weitere Minuten hatte verstreichen lassen, trieb er seine Stute an und gemeinsam machten sie sich auf den Heimweg.

Wieder auf der Ranch angekommen half Julie Ian alle Pferde abzusatteln, nachdem sich Yvonne und Katharina verabschiedet hatten. Sie fütterten gemeinsam die Pferde und machten sich anschließend auf den Weg zurück zur Lodge. Dort wurden die beiden von Trudy begrüßt. Außerdem waren Adam und Jocelyne anwesend.

Adam, der gerade dabei war ein paar Teller aus einem Regal zu nehmen, war ein sportlicher, gutaussehender Typ mit kurzen schwarzen Haaren, im Alter von Mitte zwanzig. Er trug ein verschmitztes Lächeln und feine, muldenförmige Grübchen bildeten sich dabei auf seinen Wangen.

Jocelyne, eine sympathische Mittdreißigerin mit dunkelblondem halblangem Haar, das durch ein breites grünkariertes Band zurückgehalten wurde, machte sich gerade in der Küche zu schaffen.

Während sich Julie und Ian ihrer Kleidung und Stiefel entledigten, begann Trudy bereits die beiden vorzustellen. »Julie, das hier sind Jocelyne und Adam, von denen ich dir bereits kurz erzählt habe.«

Julie hüpfte in diesem Moment aus ihrem zweiten Stiefel und trat den beiden lächelnd entgegen, um ihnen die Hand zu geben. »Hallo, ich bin Julie«, begrüßte sie sie, etwas zaghaft, aber herzlich.

Wie zuvor Trudy und Ian, hießen auch Jocelyne und Adam sie offenherzig willkommen.

Voller Erleichterung entspannte sich Julie wieder und roch sogleich einen angenehmen rauchigen Essensduft.

»Ich dachte mir, ich koche etwas leckeres zur Begrüßung«, sagte Jocelyne und durchbrach dadurch den kurzen Moment des Schweigens. »Ihr seid später zurückgekommen, als erwartet. Ihr müsst hungrig sein. Wie war der erste Eindruck, Julie?«

Während Jocelyne sprach, halfen alle den Tisch fertig zu decken und danach setzten sie sich. Julie kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus und jeder einzelne am Tisch musste insgeheim vor sich hin schmunzeln. Sehr schnell ergab sich eine entspannte, familiäre Atmosphäre und eine rege Unterhaltung entwickelte sich.

»Was habt ihr morgen vor?«, fragte Adam während er zu Ian hinübersah.

»Nun, ich dachte mir, wir machen einen Tagesritt Richtung Norden zum Franklin und Jackson Lake.«

Julie verfolgte interessiert deren Unterhaltung und sah von einem zum anderen.

»Kommst du mit?«

»Leider kann ich morgen nicht, da noch einmal eine Ladung mit Hundefutter kommt, das ich dann lieber gleich verarbeiten möchte.«

»Ah, verstehe. Aber zur ›Coal Lake Cabin‹ wirst du dann übermorgen mitreiten, oder? Wir werden insgesamt vier Tage unterwegs sein.«

»Ja, auf jeden Fall!«

Damit war dies eine besprochene Sache und Julie hatte nun zumindest eine vage Vorstellung, wie die kommenden Tage verlaufen werden.

Nachdem sie das Abendessen beendet hatten, verabschiedeten sich alle nacheinander. Nur Jocelyne blieb zunächst noch da. Sie zeigte Julie, wie sie mit dem Ofen umzugehen hatte, falls es ihr in der Nacht kalt werden würde und sie den Ofen anheizen wollte.

»Okay, alles klar, danke Jocelyne, ich glaube, das bekomme ich hin.«

»Gut, dann mach ich mich jetzt auch mal auf die Socken und gehe nach Hause.« Jocelyne schlenderte zur Türe und hob zum Abschied, während sie die Türe öffnete, kurz ihre Hand. Sie war eigentlich schon fast draußen, als sie doch noch einmal anhielt und sich zu Julie umdrehente. »Ach übrigens, abschließen brauchst du nicht, hier oben ist eh niemand außer uns. Also gute Nacht!«

»Gute Nacht, Jocelyne«, rief ihr Julie nach, bevor sie die Türe endgültig hinter sich schloss.

Da stand sie nun, mit leicht geöffnetem Mund, ganz alleine in der großen Lodge. Nicht dass es ihr etwas ausmachte, aber sie war trotzdem ganz schön perplex, wie man sie bereits als so selbstverständlich ansah und sie gleich in der ersten Nacht hier alleine übernachten ließ. Natürlich hatte jeder der zuvor Anwesenden ein eigenes Zuhause und die Lodge diente eigentlich ausschließlich den Touristen, die hierherkamen, um Urlaub zu machen, aber ein wenig wunderte sie sich dennoch. Trotz der Verwunderung gefiel ihr die offene, unkomplizierte Art der anderen sehr und sie freute sich, über das entgegengebrachte Vertrauen. Gähnend wandte sie sich nun von der Türe ab, löschte die Lampen und ging in ihr Zimmer, um sich schlafen zu legen. Kaum hatte sie sich hingelegt, war sie auch schon eingeschlafen.

Ausgeschlafen räkelte und streckte sich Julie in ihrem Bett und sogleich roch sie den herrlichen Duft von frischem Kaffee. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass sich das Wetter im Vergleich zu gestern nicht wesentlich verändert hatte. Sie stand auf, zog sich an, schnappte sich ihren Kulturbeutel und sah Ian in der Küche bei der Zubereitung des Frühstücks, nachdem sie die Treppe hinuntergelaufen war. »Guten Morgen, Ian!«

»Guten Morgen, Julie! Hast du gut geschlafen?«

»Oh, und wie gut, danke der Nachfrage. Ich werde mich schnell frisch machen gehen. Ich bin gleich wieder da.«

»Lass dir Zeit, ich mache uns solange Frühstück.«

Die Toiletten befanden sich außerhalb der Lodge, einige Meter entfernt. Es waren zwei einfache Plumpsklos, wie es für solch eine Gegend typisch war. Auf halber Strecke befand sich ein hölzerner Unterstand, unter dem sich zwei Waschbecken in einer Holzplatte befanden. Neben jedem Waschbecken stand ein Plastikkanister mit Wasser. Julie putzte sich die Zähne und wusch sich das Gesicht, bevor sie wieder zur Lodge zurückkehrte.

Ian bereitete in der Zwischenzeit eine riesige Pfanne mit Rührei zu, in das er Zwiebeln, Tomaten und Paprika gab. Oben drüber legte er eine dicke Schicht Käse und lies diesen über den Eiern schmelzen. Während sie aßen, redeten sie nicht besonders viel. Für Julie war dies völlig in Ordnung. Sie machte Ian für sein Rührei ein großes Kompliment und stellte für sich selber fest, dass dies eines der besten Rühreier war, das sie je gegessen hatte.

»Okay, dann können wir ja demnächst schon starten«, meinte Ian, nachdem sie mit dem Frühstück fertig waren.

»Ja, klar, prima!« Die Vorfreude war Julie ins Gesicht geschrieben.

Sie räumten die Küche auf, zogen sich an und machten sich gemeinsam auf zu den Pferden. Auf der Veranda vor der Lodge saß Dago geduldig und freute sich, als er nicht mehr alleine war. Dicht an Ians Seite begleitete er ihn nun.

Die Pferde warteten bereits am Eingang des eingezäunten Auslaufes, als Ian und Julie dort ankamen. Julie stellte mit Entsetzen fest, als sie die Stute begrüßte, dass ihr deren Namen nicht mehr einfiel. »Ian, wie heißt sie nochmal?«, rief sie zu Ian hinüber, der gerade daran war, seine Stute zu halftern.

»Spook!« Er lächelte vor sich hin, als er den Namen wiederholte.

Julie dachte, dass Ian sie für blöde halten musste, wenn sie sich nicht einmal für einen Tag einen Namen merken konnte. Dementsprechend unangenehm war ihr das erneute Nachfragen. In Gedanken wiederholte sie mehrmals ihren Namen, und sie hoffte, dass sie ihn nicht noch einmal vergessen würde. »Zu dumm aber auch! Nahezu idiotisch!«, schoss es ihr durch den Kopf. Nun, sie kannte sich ja selbst recht gut und musste insgeheim über sich selbst lachen.

Gesattelt und startklar machten sie sich auf und ritten in nordwestliche Richtung. Natürlich gefolgt, begleitet und geführt von Dago. Nach ein paar hundert Metern waren auf der linken Seite in der Ferne ein paar Pferde zu sehen. Sie gaben ein harmonisches Bild ab mit den grüngefärbten Bergen im Hintergrund und den tiefhängenden, weißgrauen Nebelschwaden, von denen sie umgeben waren. Plötzlich lauschten sie auf und begannen zu wiehern. Sie hatten nun auch Julie, Ian und deren Pferde entdeckt. Es dauerte nicht lange, bis sie den Weg durch die Büsche zu den beiden gefunden hatten. Sie wollten ein Stück mitlaufen, jedoch war das Ian gar nicht recht. »Los, verschwindet! Geht zurück! Ihr könnt nicht mitkommen!« Er schwang sein Zügelende kreisförmig in der Luft, um sie zum Umdrehen zu bewegen, während er ihnen entgegenritt.

Einem wohl jüngeren, leicht aufmüpfigen Braunen passte das nicht so sehr. Er wäre gerne mitgekommen. Es schien, als würde er mit den Zähnen knirschen und er ließ sich nur mit viel Mühe wieder zurückschicken.

Julies kleine Stute hatte sich durch den Burschen anstacheln lassen und war nun etwas unruhig. Julie versuchte sie zu beruhigen, indem sie ihr leicht mit der flachen Hand auf den Hals klopft und ruhig zu ihr sprach. Dabei bemerkte sie, dass sie schon wieder nach deren Namen in ihrem Gedächtnis kramte. »Herrje, das darf doch wohl nicht wahr sein! So schwierig ist der Name doch nicht, dass ich jetzt schon wieder überlegen muss«, brummte sie vor sich hin. Sie achtete dabei darauf, dass sie außerhalb Ians Reichweite war, damit er nicht hören konnte, was sie sagte. Noch einmal konnte und wollte sie ihn unmöglich fragen. Sie überlegte und überlegte. »Hm…, Sp…, Sp…, Spocky, ja, ich glaube Spocky.« Zufrieden entspannte sich Julie wieder und war froh, dass sie alleine auf den Namen gekommen war. »Gute Spocky, ja, so ist es fein, ganz ruhig!«

Sie ritten einige Zeit dem Schotterweg folgend, bevor sie auf einen Waldweg gelangten. Die Nebelschwaden hatten sich währenddessen zurückgezogen und der Himmel zeigte eine einheitlich graugefärbte Tönung.

»Ian, wer beschlägt denn die Pferde?«

Etwas mit Verzögerung wandte sich Ian Julie zu. Er räusperte sich. »Nun …«, wieder pausierte er und setzte dabei seinen Hut zurecht. »Manchmal kommt ein Schmied aus der Stadt. Meistens mache ich es aber selbst.«

»Oh, wow, du kannst das selbst? Hast du das irgendwo gelernt?«, fragte Julie neugierig und bereute zugleich, die Frage gestellt zu haben.

»Nein, ich mache es eben einfach. So etwas lernt man mit der Zeit, wenn man hier oben alleine lebt.«

»Ah, verstehe!«, meinte Julie dennoch beindruckt. »Ja, natürlich muss man sich hier oben mit den meisten Dingen alleine zu helfen wissen«, ging es ihr durch den Kopf. »Hier liegen die Entfernungen in ganz anderen Dimensionen, als bei uns, und wenn sich Ian mit Touristen zu Pferd irgendwo im Nirgendwo befindet, muss er sich logischerweise selbst damit auskennen.« Sie bemerkte noch deutlicher, wie stupide ihre Frage eigentlich war.

Ian wusste jedoch, dass es eben die Unerfahrenheit Julies in der Einsamkeit der Wildnis war, die sie solche Fragen stellen ließ.

Außer Frage stand dennoch, dass Julie schon mal nichtsdestotrotz einfach darauf losplapperte, ohne dass sie zuvor wirklich darüber nachdachte. Das führte oftmals dazu, dass man über Julie lächeln konnte, ohne sie allerdings für dumm zu halten. Meistens nahmen es die beteiligten Personen eher als liebenswerten Charakterzug von ihr wahr.

Sie kamen an eine Weggabelung und Julie bemerkte, wie Ian auf eine Art zögerte und überlegte, welchen Weg er nun einschlagen sollte. »Wo reiten wir hin, Ian?«, fragte sie vorsichtig.

»Ich weiß auch noch nicht so genau. Ich war schon lange nicht mehr hier«, gab er sehr ruhig und gelassen zur Antwort. Kurz darauf entschied er sich für den linken Weg.

»Er wird schon wissen, was er tut«, war sich Julie sicher.

Nach einer Weile bemerkte Ian jedoch, dass sie doch den verkehrten Weg genommen hatten. Anstelle umzudrehen, ritt er nun einfach vom Weg ab und schlug sich vor Julie durch das dichte Geäst der Kiefern, Lärchen und Tannen. Dago hatte dabei den meisten Spaß. Er sprang und rannte stellenweise wie ein Pfeil durch das Unterholz. Manchmal kam er aber auch ganz nah zu Ian und sah ihn erwartungsvoll an. »Guter Hund!«, sagte Ian dann nur kurz. Dago zeigte sich daraufhin zufrieden und ging wieder weiter seine eigenen Wege.

Obwohl Ian mit seiner Stute einiges größer war als Julie, schien es, als ob er viel besser mit den tief hängenden Ästen zurechtkam als sie. Wie in Zeitlupe wich er mit solch einer Geschmeidigkeit den Hindernissen haargenau auf den Millimeter aus, dass Julie dies kaum fassen konnte. Ihr hing ständig ein Ast mal von der linken und mal von der rechten Seite ins Gesicht oder die Sträucher streiften sie mit schrillem Ton an ihrem langen schwarzen Mantel. Ihr schien, sie würde im Vergleich zu Ian regelrecht durch den Wald walzen.

Abrupt erreichten sie den richtigen Weg und kamen schon bald an einen Bachlauf. Ein breites aschgraues Kiesbett und eine sehr steile erdige Böschung erstreckten sich zu beiden Uferseiten. Das Wasser war kristallklar und schimmerte Türkis. Sanft plätscherte es vor sich hin. Hier und da ragten größere Steine aus dem Wasser und gekonnt schlängelte es sich in feinen Windungen um die scheinbaren Hindernisse. An diesem Platz kam es Julie in den Sinn, wie gerne sie doch das Leben mit einem Bachlauf oder Fluss verglich. »An der Quelle, wo der Bach beginnt, kennt er seinen Weg noch nicht. Er kennt noch nicht einmal sein Ziel. Welchen Weg, der geprägt sein kann von Hindernissen und Heimtücken, die es zu umgehen und zu überwinden gilt, er auch einschlagen mag, ist völlig egal, da er auf jeden Fall den richtigen Weg wählen wird. Denn es ist sein Weg und nur dieser führt ihn zu seinem Ziel. Das Ziel, das er als solches erst erkennt, wenn er es erreicht hat und das ihn für seine Mühen entlohnen wird.«

»Wir müssen da rüber«, waren Ians tiefe ruhige Worte, die Julie aus ihren Gedanken rissen.

»Bist du sicher?«, fragte sie scherzhaft mit flauem Gefühl in der Magengegend, obwohl sie wusste, dass es sein Ernst war.

Nicht der Bach an sich ließ in Julie Unwohlsein bei dem Gedanken aufkommen, diesen überqueren zu müssen, als vielmehr die steile Böschung.

»Ja, warum? Hast du ein Problem damit?«

»Nein!« Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. »Kein Problem.«

Und schon war Ian die Böschung unten.

Julie vertraute ihrer Stute und ließ sie einfach laufen. »Du wirst dir den besten Weg raussuchen«, sprach sie leise. Dabei bemerkte sie, wie trittsicher dieses kleine Pferd war und dass sie ihr ebenso vertraute. Zügig und beinahe unmerklich standen die beiden neben Ian am Ufer.

Ian und Julie trieben die Pferde in das fein rauschende Wasser und sobald sie das frische Nass betreten hatten, forderten die Pferde gierig nach einem langen Zügel, um ihren Durst stillen zu können. Für kurze Zeit verweilten sie im Bach, um den Pferden die Möglichkeit zu geben, sich abzukühlen. Die Böschung am anderen Ufer hatten sie danach schnell erklommen und schon bald gelangten sie auf einen schmalen weichen Waldweg. Sowohl der Weg, als auch der gesamte restliche Waldboden war über und über mit den verschiedensten Moosarten bedeckt. Deren Grüntöne reichten von leuchtendem Gelbgrün über Minzgrün und Farngrün, bis hin zu tiefdunklem Opalgrün. Die moosige Waldbodenoberfläche sah aus wie ein endlos scheinender, geschmeidiger Teppich.

Völlig lautlos ritten sie den Pfad entlang, als auf einmal direkt vor ihnen auf dem Weg ein Stachelschwein saß. Dago bemerkte es als erster und hüpfte aufgeregt um es herum. Ian ermahnte ihn beim Namen und nur langsam zog er sich zurück. Gemächlich wich das Stachelschwein aus und Ian ritt vorbei.

Julie konnte es nicht glauben. »Ein Stachelschwein direkt vor uns und ich habe keinen Fotoapparat!« Sie seufzte innerlich. Sie wusste nicht, warum sie zögerte Ian zu fragen, ob er wohl ein Bild machen könnte, und dennoch tat sie es nicht. Auch sie ritt vorbei und schaute ihm traurig nach, als auch es seinen Weg fortsetzte.

Nach einigen Metern jedoch hielt Ian seine Stute auf einmal an. »Nun, ich sollte absteigen, um ein Bild zu machen«, meinte er mit völliger Gelassenheit.

Julie juchzte innerlich, hielt sich aber etwas zurück. »Gute Idee!«, meinte sie nur. »Seltsam«, wunderte sie sich, »ob er es gespürt hat?«

Ian stieg langsam ab, während es Julie nicht schnell genug gehen konnte. Sie ließen die Pferde an Ort und Stelle einfach stehen und gingen die paar Meter zurück, bis zu der Stelle, an der das Stachelschwein zuvor gesessen hatte. Es war weit und breit nichts mehr von ihm zu sehen. Ian aber wusste es besser und suchte die Gegend bis in die Baumwipfel ab und siehe da, nach dort oben hatte sich der Bursche zurückgezogen. Ian versuchte es vor die Linse zu bekommen, aber Julie konnte sich nicht vorstellen, dass das Bild bei den Lichtverhältnissen etwas werden würde. Dennoch war sie glücklich, dass er es zumindest versucht hatte.

Sie ritten noch ein gutes Stück, ehe sie auf einer herrlichen Lichtung mitten im hohen saftigen Gras und umgeben von mannshohen Weidenbüschen eine Mittagsrast einlegten. Schweigsam aßen sie die mitgenommenen Snacks und genossen die Stille. Nur gelegentlich war das sanfte Zwitschern ein paar weniger Singvögel zu hören.

Auf dem Rückweg ritten sie an einem wunderschönen idyllischen See vorbei, in dem die Biber zwei Nester gebaut hatten. Die aus einer Unmenge an alten, von der Witterung gezeichneten aschfahlen Holzästen und Holzstämmchen bestehenden Biberburgen ragten wie Zwillinge aus der Wasseroberfläche. Sie waren halb umgeben von tiefgrünen Kiefern, Tannen, Sträuchern und Gras, das bis weit in das Wasser hineinragte. Die Vegetation spiegelte sich auf der nahezu unbewegten Wasseroberfläche und zwei kleine Seetaucher zerrissen das smaragdgrüne Bild mit ihren seichten Bewegungen, während sie sich vom Ufer in Richtung der Seemitte bewegten. Ian hielt dieses malerische Bild mit seiner Kamera fest.

»Die sehen toll aus!«, erwähnte Julie, während er fotografierte.

»Ja.« Ian pausierte kurz. »Aber gleich werden wir eine noch größere Biberburg sehen.«

»Na dann bin ich aber gespannt«, entgegnete Julie ihm in freudiger Erwartung.

Tatsächlich dauerte es nicht sehr lange und die beiden erreichten einen weiteren, noch größeren See. Im Vergleich zu dem vorherigen schien dieser jedoch etwas trist. Das Ufer bestand ringsum aus blanker dunkelbrauner Erde und hier und da ragte scheinbar uraltes Holz hervor. Stellenweise waren es regelrecht dicke Holzschichten, die zum Vorschein kamen. Erst nach einigen Metern vom Ufer entfernt, begann wieder bewaldetes Gebiet.

»Da vorne ist sie«, sagte Ian, als sie fast das Ufer erreicht hatten.

»Was ist da vorne?«, fragte Julie irritiert.

»Die Biberburg.«

»Ah, ach so!« Allerdings hatte Julie keine Ahnung, wovon Ian da sprach, denn sie sah weit und breit nichts als einen von Ödland umgebenen, einfachen See. »Ian, ich kann sie nicht finden. Wo genau ist sie denn?«, fragte sie nervös.

»Genau vor uns.«

Julie ließ es für den Moment gut sein, denn sie dachte, sie würde diese Burg schon noch finden, von der Ian sprach.

Sie ritten am Ufer entlang, aber Julie hielt vergeblich Ausschau. Sie sah nichts, aber auch rein gar nichts, was einer Biberburg glich. Es ließ ihr keine Ruhe und so versuchte sie es doch noch einmal. »Ian, wo ist sie denn? Ich kann sie nicht sehen!«

Ians Gesichtsausdruck sprach Bände, aber sein Gemütszustand blieb unbeirrt ruhig. »Du reitest auf ihr!«

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺184,15