Kitabı oku: «Macht in der Sozialen Arbeit», sayfa 6

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Konstruktivistisch stellt sich erstere Form der „physischen Macht“ als die Chance dar, einen Organismus zwangsweise an peripheren Reaktionen zu hindern, an einen anderen Ort zu verbringen, ihn einem veränderten Milieu auszusetzen, ihn physikalisch oder funktional zu beeinträchtigen oder gar zu schädigen etc. In manchen Fällen wird „physische Macht“ solcher Art als Gewalt zu verstehen sein und der Widerwille des/der Betroffenen evident sein. In vielen Fällen aber vollzieht sich physische Macht eher „unmerklich“, d. h. ohne wahrnehmbaren Widerstand der Mindermächtigen. Die Übergänge zu einer Handlung mit Einverständnis der Mindermächtigen sind hier fließend.69 Levold zeigt auf, dass physische Macht selbstverständlich in der Sozialisation des Kindes vollzogen wird, ohne dass damit tatsächlich die Strukturen des kognitiven Systems (Kind) determiniert werden können.

„Ein so einfaches wie bedeutsames Beispiel ist der Sozialisationsprozeß, in dem die Eltern aufgrund ihrer in vieler Hinsicht überlegeneren Position die Macht haben, den Bereich der möglichen Interaktionen ihrer Kinder sowie ihren Zugang zu Bereichen der symbolischen Umwelt zu erweitern oder einzuengen, ohne daß sie die autonome Organisation des kindlichen Nervensystems determinieren könnten.“70

Physische Macht vollzieht sich in dieser Form als die Chance, „qua Position Einfluß auf die Selektion oder Bewertung von Interaktionsmöglichkeiten zu nehmen und den Interaktionsbereich eines Individuums oder einer Gruppe damit zumindest partiell zu kontrollieren“71.

Die zweite Form der „Provokationsmacht“ beruht auf einer allgemeinen Grundlage von Kommunikation zwischen Lebewesen überhaupt. Wann immer Lebewesen sich wechselseitig auf ihr Verhalten hin „orientieren“ (wie Maturana sagt), zeigen sie sich offen, sich vom Verhalten ihrer InteraktionspartnerInnen irritieren zu lassen, d. h. mit eigenen Strukturveränderungen zu reagieren. Die wechselseitige „strukturelle Koppelung“ bringt – aus der Sicht von BeobachterInnen – so einen „konsensuellen Bereich“ abgestimmter Interaktionen hervor, der sich durch die Erwartungen der InteraktionspartnerInnen aneinander beschreiben lässt. Erfahrungsbezogen (und nicht unbedingt in sprachlicher Form) abstrahieren aus der Beobachtung der Ereignisse in ihrer Verschränktheit mit diesen Erwartungen „soziale Regeln“. Sie sind als kommunikativ arrangierte Ordnungen die „Kernstücke“ jener Herrschaftsstrukturen, die Interaktionsmacht konstituieren.72

Provokationsmacht kann sich in Formen ökonomischer oder instrumenteller Macht ebenso darstellen wie in Formen von autoritativer oder affektiv begründeter Macht oder positionaler und organisationaler Macht. In all diesen Formen vollzieht sich Macht durch die wechselseitige Verschränkung der Erwartungshorizonte zwischen InteraktionspartnerInnen. Bei ökonomischer oder instrumenteller Macht gelten die Erwartungen dem Tauschprozess, in welchem der Austausch von Ressourcen verhandelt werden soll. Durch Drohungen oder in Aussicht gestellte Belohnungen werden die Erwartungen manipuliert.

Bei autoritativer oder affektiv begründeter Macht gelten die Erwartungen der Gunst der Mächtigen. Die Mindermächtigen suchen Anerkennung und Führung, indem sie sich bemühen, die Beziehung zu den Mächtigen vorteilhaft zu beeinflussen. Durch ihre Unterwerfung gewinnen sie nicht nur die Solidarität mit den Mächtigen, sondern auch deren Verantwortlichkeit.

Positionale oder organisationale Macht entfaltet ihre provokative Kraft, indem sie die Teilhabe der Mindermächtigen an der Kommunikation mit der Institution oder Organisation von der Bedingung abhängig macht, dass diese die dortigen Regeln, Rollen und Zuständigkeiten berücksichtigen und sich in ihrem Verhalten und ihren Ansprüchen diesen unterwerfen.

In diesen drei Formen präsentiert sich Provokationsmacht insofern relativ transparent, als sie „den Willen der Mächtigen“ den Mindermächtigen gegenüber verständlich machen muss, will sie deren Erwartungen erfolgreich orientieren. Dies verhält sich anders in einer letzten Form der Provokationsmacht, die wir deshalb als „subversiv“ bezeichnen wollen.

Als „subversive Macht“ vollzieht sich Provokationsmacht in der Form, dass sie aufgrund vorliegender Herrschaftsstrukturen die Chancen zur Strukturierung neuer konsensueller Bereiche vorherbestimmt und die Mindermächtigen nicht an der Entscheidung beteiligt, wie diese konsensuellen Bereiche auszugestalten sind. Orientierend ist hier nicht der Wille der Mächtigen, sondern die Sicht eines Sachverhaltes. Indem ein Sachverhalt schon vor der Explikation in einem konsensuellen Bereich „beschrieben“ ist, d. h. in einer bestimmten sprachlichen Form die Auffassung von und der Umgang mit einer bestimmten Situation als geregelt vorgegeben wird, werden die Mindermächtigen gezwungen, um des Gelingens der Kommunikation und des Aushandlungsprozesses willen nicht ihre eigene Beobachtung zu beschreiben, sondern ihre Handlungen mit der vorliegenden Beschreibung in Übereinstimmung zu bringen. Subversive Macht ist also jene Form der Provokationsmacht, in der sich die Beobachtung der vorgegebenen Beschreibung unterwerfen muss. „Subversiv“ ist diese Macht auch insofern, als „sich die Beschreibung einer Erfahrung – zumindest zunächst – jenseits der Möglichkeiten einer aktiven Äquilibration des Subjekts in dessen Repertoire von Kodierungsregeln ‚einschleicht’“73. Als subversive Macht können alle Formen der wissensmäßigen oder datensetzenden Macht (bei Paris „Legitimationsmacht“) verstanden werden, insbesondere die Definitionsmacht und Deutungsmacht.

Gerade letztere Form der Macht lässt die dahinterstehenden Herrschaftsstrukturen oft nicht erkennen. Es gelingt hier leicht, prinzipiell zur Disposition stehende Entscheidungen hinter „Sachzwängen“ zu verstecken und damit den Willen der Mächtigen als der Not geschuldet zu tarnen. Um Macht zu „bemerken“, müssen mindermächtige SelbstbeobachterInnen um den Willen der Mächtigen wissen und ihre Unterwerfung als Not empfinden. Indem BeobachterInnen, als SelbstbeobachterInnen auch die Mächtigen und Mindermächtigen selbst, rekursiv ein Bewusstsein über die Fremdorientiertheit und Regelgeleitetheit ihrer Reaktionen ausbilden und zugleich ihre Abhängigkeit von den Gratifikationen ihrer InteraktionspartnerInnen erkennen, konstruieren sie die „Machtmetapher“. Diese Metapher beschreibt die Chancen der Mächtigen, ihre Interessen infolge der Abhängigkeit der Mindermächtigen (wie auch immer diese zu begründen ist) gegebenenfalls auch gegen deren Widerstreben durchzusetzen.

Die im Anschluss an Bateson geführte konstruktivistische Diskussion um die Absurdität von Macht (in einem ontologischen Sinne74) hat den Blick fast ausnahmslos auf die Frage gelenkt, ob angesichts der informationellen Geschlossenheit autopoietischer Systeme überhaupt noch denkbar sei, dass eine systemexterne Wirkungsgröße entscheidenden Einfluss auf menschliche Willensbildung nehme könne. Kaum hingegen ist die Frage in den Blick gerückt, welche Konsequenzen sich aus der Tatsache ergeben, dass Menschen ihre Interaktionsverhältnisse und überhaupt ihre Lebensverhältnisse mittels der „Metapher“ Macht modellieren. Dieser Frage wollen wir uns im übernächsten Abschnitt zuwenden.

2.4 Webers Machtbegriff in der Beobachterrelativität

„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“75 So hatte Weber den Begriff „Macht“ definiert. Zu fragen ist zunächst, welchen Status der Machtbegriff bei Weber einnehmen sollte, ob also seine Definition darauf abzielte, die Perspektiven und Wahrnehmungen der InteraktionspartnerInnen in ihrer sozialen Beziehung zum Gegenstand zu machen, oder darauf, Macht durch einen unabhängige BeobachterInnen, etwa einen/eine WissenschaftlerIn mittels der genannten Kriterien feststellen zu lassen. Durch den Kontext dieser Aussage in einem soziologischen Grundwerk können wir postulieren, dass letztere Annahme zutrifft.

Dennoch verpflichtet eine konstruktivistische Sicht auf diese Definition dazu, die „Beobachterrelativität“ möglicher Aussagen, die über das Vorliegen genannter Kriterien in konkreten Interaktionsverhältnissen zustande kommen könnten, zu untersuchen. Dabei fällt zunächst auf, dass Webers Definition eine doppelte und zugleich ambivalente Beobachterimplikation enthält: Das Kriterium „seinen eigenen Willen durchzusetzen“ impliziert die Selbstbeobachtung einer/s Mächtigen hinsichtlich seines/ihren Willens, das Kriterium „auch gegen Widerstreben“ impliziert eventuell die Selbstbeobachtung eines/r Mindermächtigen hinsichtlich seiner/ihrer Unwilligkeit. Offensichtlich nimmt die Definition Webers also zwei Kriterien auf, die von wissenschaftlichen FremdbeobachterInnen ohne die Stellungnahme der Betroffenen gar nicht kontrolliert werden könnten.

Betrachten wir Webers Machtbegriff unter dem Aspekt der Beobachterrelativität, stellen sich also eine Reihe von Fragen:

a) Wer „beobachtet“ den eigenen Willen des/der Mächtigen? Worin findet dieser seinen Ausdruck?

b) Wer „beobachtet“, ob ein Ziel der Mächtigen dem Willen der von Macht Betroffenen entgegengesetzt ist? Worin findet das „Widerstreben“ seinen Ausdruck?

c) Wer schätzt schließlich die „Chance“ (denn es geht hier um ein Potential, nicht um Machthandlungen) ein, dass in einer sozialen Beziehung der Wille der Mächtigen durchgesetzt werden kann?

Für alle Fragen lassen sich drei mögliche BeobachterInnen anführen: die Mächtigen, die von Macht Betroffenen und die außenstehende BeobachterInnen. Sie alle benötigen ihre „Indizien“ der Macht, d. h. Kriterien für die Interpretation von Ereignissen in der sozialen Beziehung zwischen den Mächtigen und den von Macht Betroffenen, die einen Interessenskonflikt und eine Ressourcenasymmetrie zwischen den Beteiligten andeuten.

a) Grundsätzlich ist der Wille der Mächtigen nur diesen selbst zugänglich. Externe BeobachterInnen können diesen Willen nur rekonstruieren, indem sie entweder auf der Grundlage ihres eigenen Erfahrungshintergrundes aus dem Verhalten des Mächtigen auf Absichten schließen oder indem sie einer sprachlichen Bekundung des Willens seitens der Mächtigen Glauben schenken. Eine Sicherheit über den tatsächlichen Willen der Mächtigen ist auf beide Weisen jedoch nicht zu erlangen.

b) Der Begriff „Widerstreben“ ist als solcher schon insofern zweideutig, als er sowohl eine Haltung („Widerwillen“) als auch eine Handlung („Widerstandshandlung“) bezeichnet.76 Schon erstere Bedeutung ist problematisch: Festzustellen, ob die Handlung, zu welcher die Mächtigen die Mindermächtigen auffordern, dem Willen der Letzteren entgegensteht, unterliegt den gleichen Unsicherheiten wie das vorgenannte Anliegen. Der Wille der Mindermächtigen ist wiederum nur diesen selbst einsichtig. Die Feststellung einer Widerstandshandlung mag auf den ersten Blick einem/einer externen BeobachterIn möglich sein, insofern sie eine Handlung ist. Ob sie allerdings auf einen Widerstand zurückzuführen ist, ist ebenfalls nur über das Bewusstsein der Mindermächtigen zu entscheiden.

c) Die hypothetische Erschließung einer „tatsächlichen“ Chance, eigenen Willen gegen den Widerstand eines/einer anderen durchzusetzen, ist nicht minder fragwürdig, setzt sie doch zum ersten voraus, dass die subjektiven Faktoren der Unterwerfungsbereitschaft der Mindermächtigen bekannt sind und in ihrem Zusammenwirken beurteilt werden können, und zum zweiten, dass die Unterwerfungsfähigkeit und -absicht der Mächtigen als Potential erfasst werden kann. Der einzige, außenstehenden FremdbeobachterInnen zugängliche Weg zu einer solchen Prognose wäre jener über faktische Machthandlungen, die den Umfang dieser Chance vielleicht erfahren lassen; Machthandlungen werden jedoch gerade nicht vorausgesetzt in dieser Definition, weil sie für den Begriff der Macht nicht notwendig festgestellt werden müssen. Denn alle drei möglichen BeobachterInnen können Macht auch dort vermuten, wo sie noch nicht durch die Ausführung von Machtmitteln realisiert wird, aber sich als ein Potential infolge einer besseren Ressourcenausstattung der Mächtigen (Herrschaft) und einer erkannten Abhängigkeit von diesen hinsichtlich der Erlangung der begehrten Ressource bereits andeutet. Beispielsweise können von Verschwörungstheorien begeisterte Menschen hinter politischen Entscheidungen, die dem praktischen Menschenverstand und moralischen Prinzipien der Rücksichtnahme entspringen, die Absicht von Mächtigen vermuten, ihrer Macht durch sinnlose Schikanen besonderen Ausdruck zu verleihen, z. B. zum Zweck der Unterwerfung. Bereits die Vermutung eines Machtpotentials hat bereits Wirkungen auf die Interaktionssituation, insofern – wie dies Goffman beschrieben hat – die InteraktionspartnerInnen mögliche Aktionen und Reaktionen ihres Gegenüber antizipieren und hierbei auf möglichst konfliktfreiem Wege eine günstige Situation zur Erlangung eigener Vorteile zu arrangieren trachten.

Webers vielzitierte Machtdefinition ist also aus erkenntnistheoretischer Sicht für eine wissenschaftlich adäquate Analyse höchst unzureichend, denn sie durchmischt verschiedene BeobachterInnenperspektiven und gibt dabei keine klaren Anweisungen, bezüglich welchen Kriteriums welche Perspektive ausschlaggebend sein soll. Für einen „empirischen“ Zugang zur Feststellung von Machtverhältnissen muss berücksichtigt werden, dass die Beobachtung von Macht für Fremd- und SelbstbeobachterInnen auf grundsätzlich unterschiedliche Weise erfolgt:

a) Zum einen in der Beschreibung von Machtphänomenen der „intersystemischen SelbstbeobachterInnen“ (Mächtiger/Mindermächtiger); hier ist der Machtbegriff als „konstruierte Macht“ in „beobachtersprachlich-konstruktiver“ Weise existent und wird über Eindrücke und Interpretationen der Betroffenen konstituiert – es geht um die „Rede der Macht“.

b) In der Beschreibung externer BeobachterInnen, die als FremdbeobachterInnen (beispielsweise WissenschaftlerIn) ein Konstrukt über die Einschränkung der Freiheitsgrade der Mindermächtigen durch die Mächtigen bildet und damit einen Begriff scheinbar „ontischer Macht“ hervorbringt, welcher faktische Verhältnisse unabhängig von der Wahrnehmung der Betroffenen zu beschreiben vorgibt.

Die Phänomene, die Selbst- und FremdbeobachterInnen beschreiben, sind gegenständlich verschieden, wie die nachfolgende Tabelle an Beispielen zeigen soll, auch wenn sie sich „ursächlich“ auf dieselben Gegebenheiten beziehen. „Innere Ereignisse“ wie Gefühle, Bewertungen, Absichten und Bereitschaften sind nur SelbstbeobachterInnen zugänglich; ein hiervon unabhängiger Blick auf das Interaktionsverhältnis als solches und seine Kontexte ist nur FremdbeobachterInnen möglich. Freilich ist zu konzedieren, dass alle SelbstbeobachterInnen sich „virtuell“ auch in die Position externer FremdbeobachterInnen begeben können; allerdings vermischt sich damit der Evidenzstatus von internen Beobachtungen mit dem Wissen über Machtverhältnisse (ein Beispiel hierfür wäre eine theoriegeleitete Selbstreflexion).

Die „Idee der Macht“ emergiert innerhalb konsensueller Bereiche. Ob man hinsichtlich konkreter Interaktionsverhältnisse aber von Macht sprechen kann oder nicht, unterliegt in hohem Maße den Fiktionen von BeobachterInnen, die sich auf (vermeintliche) Indizien der Macht begründen.


Intersystemische SelbstbeobachterInnenExterne FremdbeobachterInnen
Begriffsstatus„konstruierte Macht“„quasi-ontische Macht“
zu erklärende PhänomeneUnterwerfungsbereitschaftUnterwerfungsabsichtRessourceneinschätzungAbsicht des MachtmitteleinsatzesBetroffenheit durch den MachtmitteleinsatzAbhängigkeitsphänomenHerrschaftsstrukturenRessourcendifferenzenAnwendung von Macht- mittelnAuswirkungen des Machtmitteleinsatzes

2.5 Die konstruktive Wirkung der Machtmetapher

Marianne Krüll diskutiert die Machtproblematik nicht hinsichtlich der ontologischen Möglichkeit von Macht, sondern hinsichtlich des sprachpragmatischen Nutzens der Metapher in bestimmten Sprechsituationen. Ihr Gegenstand ist die Pragmatik der Rede von Macht. Krüll hält die Metapher für geeignet, etwa die Benachteiligung, Unterdrückung oder Vergewaltigung von Frauen wie auch die Unterdrückung rassischer, ethnischer und anderer Gruppen beschreiben und anprangern zu können. Durch das metaphorische Modell können MachthaberInnen entlarvt und Machtstrukturen aufgedeckt werden. Hingegen sieht sie den Gebrauch der Metapher in privaten und beruflichen Beziehungen als unangemessen und einengend an, da er die Voraussetzung egalitärer Artikulationsmöglichkeiten in Frage stellt.

„Wir sollten uns die Freiheit bewahren, den Machtbegriff manchmal als Werkzeug, manchmal als Spielzeug, manchmal als Stütze und manchmal als Waffe flexibel einzusetzen und auch, wenn es in irgendeinem Kontext angebracht erscheint, ihn gänzlich fallenzulassen.“77

Während Bateson noch die Meinung vertreten hatte, das die Anwendung der Machtmetapher überhaupt zur Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen nicht nur unangemessen, sondern in ihren Auswirkungen sogar gefährlich ist, legitimiert sich für Krüll die Nutzung der Metapher durch den Zweck, für den sie eingesetzt wird. Das „Nützlichkeitskriterium“ liegt in der analytischen Kraft der Metapher, und dies in einem doppelten Sinne. Zum einen scheint die Vorstellung von Machtverhältnissen, d. h. das „Als-ob-Modell“ der Macht, von analytischem Wert, weil es gestattet, die Absicht der Einflussnahme eines Subjektes auf ein anderes gegen dessen Willen zu antizipieren; zum anderen scheint das Aussprechen des Machtpostulats von kommunikativ-analytischem Wert, weil es einen Verständigungsanlass schafft, der in bestimmten Beziehungssituationen Unrechtsverhältnisse anzuerkennen gestattet.

Interessant ist allerdings, dass mit der Verschiebung der Diskussionsperspektive bei Krüll weg von der ontologischen Problematik auf eine sprachpragmatische die Frage der Wirksamkeit von Macht in einem völlig neuen Licht erscheint.78 Möglicherweise entsteht in der Interaktion zwischen Subjekten, die ihre Beziehung als eine Machtbeziehung wahrnehmen, tatsächlich eine Form der Einflussnahme, die Macht als ein „Ausstattungsattribut“ der Mächtigen und die von der Macht Betroffenen in weitgehender Abhängigkeit von den Mächtigen erscheinen lässt. Gewissermaßen im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung bringt so die Rede von Macht dieselbe eben erst hervor – eben dies war der Gedanke Batesons.

Es geht nun – konstruktivistisch gesprochen – nicht mehr um die Angemessenheit der Annahme einer Ontologie der Macht, sondern um die „Viabilität“ der Rede von Macht und um die Nützlichkeit des „Als-ob-Modells“ der Macht. Oder im Blick auf Lerninstruktionen formuliert: Die Frage lautet nun nicht mehr „Ist instruktive Interaktion möglich?“, sondern „Was geschieht, wenn diverse BeobachterInnen von einer instruktiven Interaktion ausgehen?“.

Diese Sicht auf das Machtphänomen macht verständlich, welche Bedeutung es sowohl für die Mächtigen wie für die Betroffenen hat, die Rede von Macht zu initialisieren. Wenn Macht erst dadurch entstehen kann, dass sie von den Betroffenen vermeintlich Mächtigen zugeschrieben wird (in welcher Form, wäre zu untersuchen), dann müsste es das Bestreben der Mächtigen sein, die Machtmetapher ins Spiel zu bringen. Andererseits: Wenn die Beobachtung von Interaktionen mittels der Beschreibung von Macht die Frage nach der Legitimation von Machtansprüchen heraufbeschwört und dabei die Grenzen dieser Ansprüche deutlich würden, dann riskieren die Mächtigen, dass der „Mythos der Macht“ als unbegründet auffliegt oder zumindest die Macht ihre Universalität verliert. Die Initiation der Rede von Macht ist also ein gefährliches Manöver, welches einen Gewinn für die Mächtigen oft nur dann erreicht, wenn Macht zwar zugeschrieben, aber nicht hinterfragt wird. Eben darin liegt das zentrale Effektivitätskriterium der „konstruierten Macht“: Wahrnehmbar, aber obskur zu bleiben.79 In vollendeter Form zeigt sich dieser Effekt in der vollständigen Tabuisierung der Macht.80

Auch für die Betroffenen hat die postulierte Macht kommunikative Funktionen. Die Anbindung der eigenen Handlungsorientierung an den Willen anderer befreit von Rechtfertigungsnöten. Je ohnmächtiger die Betroffenen ihre Lage definieren, umso mehr können sie sich als Person aus der Verantwortung für das eigene Handeln ziehen. Zugleich werden den Mächtigen jene Kompetenzen zugesprochen, die sich die Betroffenen selbst nicht zusprechen mögen. Die Attribution von Macht schafft so ein Schuldverhältnis: Die Ohnmächtigen können so nie „versagen“, aber an der Gestaltung ihres Schicksals „versagen“ die Mächtigen. Der Preis für diese Vorteilsstellung in der Verantwortungsfrage ist die Inkaufnahme verpasster Chancen, sich selbst einzubringen und die Bedingungen der eigenen Lebenslage mitzugestalten.

Aus beiderlei Perspektiven hat die Rede von Macht so ihre Vorteile und Nachteile und allemal ihre Risiken. Ist sie aber erst einmal artikuliert, hat sie Wirkung – und dies ist die konstruktivistisch eigentlich wichtigste Feststellung. Die Rede von Macht zwingt zur Analyse der Machtverhältnisse und provoziert so die Frage nach den Machtmitteln, den Ressourcen und Abhängigkeiten, den Machtquellen und Machtinteressen. Sie fordert auf, Legitimationen zu beschreiben und das Verhältnis von Geben und Nehmen, das Tauschverhältnis, unter der Maßgabe der Gerechtigkeit zu bewerten. Sie verführt auch nicht selten dazu, den Blick zurückzuwenden auf die Entstehungsgeschichte der Machtverhältnisse, um ihre Ausgangsbedingungen zu durchleuchten und so auch den historischen Verlauf von Zugewinn und Verlusten der Macht auf beiden Seiten zu rekonstruieren. Am Ende solcher Reflexions- und Aushandlungsprozesse steht nicht selten eine Bilanz, die dazu nötigt, die Verhältnisse neu zu ordnen, den Verzicht auf Grenzüberschreitungen zu erklären und ein balanciertes Gleichgewicht anzustreben.

Die Rede von Macht im Alltag wird den Begriff „Macht“ selbst nur selten benutzen; an seiner Stelle wird von Zwängen, Nötigungen, Erpressungen, aber auch von Verführungen, Überredungsabsichten, Schmeicheleien und Komplimenten gesprochen werden, davon, dass man jemandem keine Wahl lässt, dass er erst gar nicht gefragt wird, dass man ihn schon herumkriegen wird, dass er sich mit etwas wird abfinden müssen usw. Alle diese Begriffe weisen ein Merkmal auf, welches die Verschränkung der Perspektiven zweier InteraktionspartnerInnen und damit zweier Beobachter aufzeigt: Es ist zugleich von den Absichten der Mächtigen die Rede und vom Erleben der Mindermächtigen. Dies zeigt an, dass diese Begriffe ein soziales Geschehen bezeichnen und damit abgehoben sind von den Selbstbeschreibungen der einzelnen BeobachterInnen.

3 Die Mikrophysiologie der Interaktionsmacht in der Sozialen Arbeit – konstruktivistische Schlaglichter

3.1 Das Konstrukt „Macht“ und die Manifestationsstufen der Macht

Als Rahmenbedingungen sozialer Situationen lassen sich aus der Perspektive unterschiedlicher BeobachterInnen Machtphänomene im Milieu der Handelnden feststellen. Für externe BeobachterInnen (etwa WissenschaftlerInnen) lässt sich daher das Konstrukt „Macht“ als „soziale Tatsache“ aus dem Orientierungshandeln von InteraktionspartnerInnen abstrahieren. Dabei ist nicht impliziert, dass „Macht“ ein ontologischer Begriff ist, der Gegebenheiten jenseits menschlicher Konstruktivität bezeichnet; vielmehr dient der Begriff der Beschreibung von Phänomenen, die – dem Urteil BeobachterInnen entsprechend – weitgehend die in unserer definitorischen Diskussion zum Machtbegriff dargestellten Kriterien erfüllen.

Als konstitutive Momente des Konstruktes „Macht“ lassen sich zusammenfassend folgende Beschreibungskriterien81 bestimmen:

- Annahme der Reziprozität (Erwartungen sind beidseitig aufeinander gerichtet oder bestehen zumindest in der Sicht von einem/einer der beiden Betroffenen),

- das Vorliegen einer Interessensdifferenz zwischen den InteraktionspartnerInnen (Willensaspekt), aus welcher ein Durchsetzungsmotiv („Machtmotiv“) entsteht,

- Annahme einer (Ressourcen-)Asymmetrie: Verfügung über ein begehrtes Gut, Verfügung über notwendiges Wissen oder Verfügung über Sanktionen, etc.

- Annahme der (Ressourcen-)Abhängigkeit der Mindermächtigen von Mächtigen (d. h.: bevorzugte oder Monopolstellung der Mächtigen hinsichtlich der Orientierung eigenen Handelns oder der Gewährung eines begehrten Gutes, die Unmöglichkeit sich der Situation zu entziehen und die Unausweichlichkeit von Sanktionen),

- Annahme eines möglichen Einsatzes von Machtmitteln.

Die „Fiktion“ von Macht, die BeobachterInnen durch die Anwendung des „Als-ob-Modells“ der Macht zur Beschreibung und Erklärung eines Interaktionsverhältnisses benutzen, kann einige oder alle dieser Kriterien aufgreifen. Sie wird dabei die beschriebenen Sachverhalte nach dem Grad ihrer Aussagekraft modulieren, indem sie den „Manifestationsstatus“ der Machtphänomene bewertet. Es lassen sich – in Anlehnung an Hradil82 – dabei drei Manifestationsstufen unterscheiden, nach welchen sich „zugeschriebene“ Macht klassifizieren lässt:

- potentielle Macht, die ein/e BeobachterIn Mächtigen als mögliche Fähigkeit zuschreibt, z. B. wegen der Verfügung über wichtige Ressourcen, die ein anderer begehrt oder von welchen er abhängig ist,

- latente Macht, die ein/e BeobachterIn Mächtigen infolge beobachtbarer Machtphänomene und infolge der Beobachtung eines Gefälles von Durchsetzungschancen zuschreibt (sie entsteht etwa durch die Antizipation von Abhängigkeiten seitens des/der Betroffenen),

- manifeste Macht, die ein/e BeobachterIn infolge der faktischen Anwendung von Machtmitteln einem/einer Mächtigen zuschreibt.

3.2 Machtmittel in der Sozialen Arbeit

Das Interaktionsverhältnis in der Sozialen Arbeit ist als „helfende Beziehung“ von einer grundlegenden Reziprozität der Rollenkonstrukte geprägt: Der Rolle der/des hilfemächtigen Professionellen steht die Rolle der hilfebedürftigen Klientel gegenüber. Konstruktivistisch ist zu postulieren, dass Hilfemächtigkeit und Hilfebedürftigkeit nicht von vornherein für beide Seiten konsensuelle Begriffe sind, sondern ihre Reziprozität im Rahmen der wechselseitigen Zuschreibungsprozesse erst hervorgebracht wird. Erwartungen treffen hier auf Erwartungen, sie werden „begrenzt“, „erweitert“ und „berichtigt“, „bestätigt“ und „abgewiesen“. In einigen Fragen zum Arbeitsbündnis wird dabei nicht „ausgehandelt“, sondern schlichtweg „informiert“. In anderen Fragen werden die Eckdaten des Tauschverhältnisses hingegen „ausgehandelt“ – in den Grenzen, die der Wille der Beteiligten zulässt. Dabei versuchen „die Professionellen ihre Kontroll- und Eingriffsziele mit Zuschreibungen an die soziale Adresse der Hilfebedürftigen, die KlientInnen die Erfüllung ihrer Hilfewünsche mit Zuschreibungen an die Machtmittel und Machtpositionen der SozialarbeiterInnen“83 durchzusetzen.

Machtmittel in der Sozialen Arbeit, genauer in der „helfenden Beziehung“, weisen also eine ambivalente Struktur auf: Sie sind zum einen die Mittel, die den Zugang zu Ressourcen – im weitesten Sinne des Wortes – gewährleisten, zum anderen die Instrumente, die die „Lösungsrealität“ auch gegen den aktuellen Willen der Betroffenen durchzusetzen gestatten. Zum einen geht es für den Klienten/die Klientin darum, an den Ressourcen des Professionellen teilzuhaben, zum anderen lassen sich diese Ressourcen dazu einsetzen, deren Entscheidungsfreiheit zu beschränken oder gar deren Hilfeberechtigung abzuweisen. Machtmittel im Interaktionsverhältnis HelferInnen-KlientInnen sind in der Sozialen Arbeit also zugleich Instrumente der Kontrolle wie Instrumente der Hilfe – dieser Zusammenhang ist bekannt.84

Vergegenwärtigen wir uns zunächst einige der Formen von Macht im Rahmen dieses Interaktionsverhältnisses, indem wir uns an der unter 1.3 entwickelten Systematisierung orientieren:

a) physische Macht oder Aktionsmacht: Dass Soziale Arbeit eine Verfügungsmacht über den Körper des/der anderen artikuliert, kann nur in dem Sinne zutreffen, als sie im Bereich von Eingriffslegitimationen die Verbringung von Personen an einen anderen Ort (insbesondere Notaufnahmen, Heime und Anstalten) vollzieht. Zur physischen Macht (im eingeschränkten Sinne)85 gehört auch, dass Professionelle im Rahmen von Gehstrukturen – bei Hausbesuchen etwa – ihre Anwesenheit dem Klientel ungebeten zumuten.

Die Vorbildfunktion eines handlungsbestimmenden Charismas werden Professionelle ebenfalls kaum erfüllen können und auch nicht sollen. Denn sie würden so nicht nur die Eigenständigkeit der Person des Klienten/der Klientin völlig übergehen und einen peinlichen Despotismus heraufbeschwören, sondern auch die Anpassungsfähigkeit des Klienten/der Klientin an veränderte situative Anforderungen grundlegend behindern. Ansatzweise besteht eine solche Gefahr für Soziale Arbeit im Bereich von Trainingsmaßnahmen, die hochstandardisierte Lösungen vermitteln.

b) ökonomische oder instrumentelle Macht: Ökonomische Macht des/der Professionellen wird durch die gratifizierenden Ressourcen beschrieben, die er/sie als Machtmittel gegebenenfalls einsetzen könnte. Es sind die „Machtmethoden“ des Strafens und Belohnens, des Drohen und Lobens, Tadelns und Anreize Setzens (Paris), die mit dem Einsatz dieser Ressourcen verbunden sind. Gratifizierende Ressourcen sind zum einen solche, die vom Klientel begehrt werden, zum anderen solche, die gefürchtet werden. Es ist die Macht, Ansprüche zu gewähren oder zu versagen, Schaden zu verhindern oder zuzumuten. Die instrumentelle Macht des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin einzuschätzen, bedeutet nicht nur, die Verfügung über solche Ressourcen zu kennen, sondern auch, ihren aktuellen Wert aus Sicht der Klientel zu erfassen. Die instrumentelle Macht der Professionellen hängt ferner weitgehend davon ab, wie sie die Relation zwischen Interventionen gestalten, die eine Hilfe zur Selbsthilfe darstellen, und solchen, in denen sie stellvertretend für das Klientel handeln. Je umfassender sie selbst Bewältigungshandlungen übernehmen, desto abhängiger wird die Klientel von ihren Entscheidungen und desto intransparenter werden für sie die Prozesse, die zu einer Bewältigung führen oder auch nicht führen.

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22 aralık 2023
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