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KAPITEL VIER

Riley blickte immer wieder auf ihre neue Partnerin, als sie auf den Highway aus Quantico hinaus aufgefahren waren. Irgendwie konnte sie nicht ganz glauben, dass Ann Marie Esmer wirklich eine FBI Rekrutin war.

In diesem Augenblick war die junge Frau am Telefon und sprach mit dem County Sheriff in Maryland. Sie teilte ihm mit, dass sie und Riley auf dem Weg waren und machte mit ihm ein Treffen aus. Ann Marie machte sich Notizen, während sie sprach.

Ihre Stimme, ultra-höflich und ultra-fröhlich, klang für Riley nach der einer Nobel-Empfangsdame oder vielleicht einer Stimmenschauspielerin in einer Fernsehwerbung. Sie war gutaussehend – eigentlich auffällig hübsch, mit leuchtenden blauen Augen und blonden Haaren, die hinten so perfekt zusammengebunden und frisiert waren, dass es ein Friseur gemacht haben musste.

Ann Marie war in Merediths Büro vollkommen vorbereitet und ausgerüstet mit einer Reisetasche erschienen, genau wie Bill und Riley. Sie verstand offensichtlich die Notwendigkeit in jedem Moment bereit dafür zu sein, ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort verlassen zu müssen. Ebenso war sie ziemlich wohlüberlegt gekleidet in einen einfachen, legeren Hosenanzug und komfortable Schuhe. Trotzdem machte ihre Kleidung einen neuen und teuren Eindruck und sie trug einen gemusterten Schal, dessen Farben auf ihre Haarfarbe und ihren Hautton abgestimmt zu sein schienen.

Sie beendete den Anruf und sagte in ihrer angenehmen, zwitschernden Stimme zu Riley: „Sheriff Wightman ist super froh, dass wir auf dem Weg sind. Er will uns am Tatort treffen, wenn wir in Winneway angekommen sind. Der Bezirksgerichtsmediziner ist gerade dort und untersucht die Leiche.“

Ann Marie klopfte mit dem Stift auf ihren Notizblock und fügte hinzu: „Ich habe die Anfahrtsbeschreibung aufgeschrieben. Keine Sorge, wir werden uns nicht verfahren. Ich bin sehr gut mit Wegbeschreibungen! Ich werde uns hinlotsen, selbst wenn das GPS System ausfällt.“

Ich habe keinerlei Zweifel, dachte Riley.

Dieses Mädchen war nichts, wenn nicht effizient und aufmerksam.

Dann sagte Ann Marie: „Wow. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich habe das Gefühl, dass ich mich zwicken muss, um sicherzugehen, dass ich nicht träume. Ich meine, hier bin ich nun bei meinem ersten Fall nachdem ich in Quantico wochenlang Papiere hin- und hergeschoben habe. Und ich bin mit Spezialagentin Riley Paige gepartnert!“

Sie lachte musikalisch und fügte hinzu: „Wenn die Leute an der Academy mich jetzt bloß sehen könnten. Die Leute an der Academy sprechen andauernd von Ihnen, wissen Sie? Wir haben sehr viele Ihrer Fälle studiert. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich das so sage, aber… Agentin Paige, Sie sind so brillant! Und das wissen auch alle.“

Riley wusste, dass sie sich geehrt fühlen sollte. Stattdessen fühlte sie sich etwas unangenehm berührt.

Sie sagte zu Ann Marie: „Wie sind denn die Dinge an der Academy?“

„Naja, ziemlich aufregend für jemanden wie mich. Aber für Sie wäre es langweilig, da bin ich mir sicher.“

Ann Marie begann dann über ihre Kurse an der Academy zu plappern – nicht so sehr über die Inhalte ihrer Ausbildung, wie über die Geschichten und Gerüchte ihrer Kommilitonen, einschließlich der Aufzählungen ihres Dating-Lebens in dieser Zeit.

In einer Sache hatte sie Recht, dachte Riley, während sie ein Seufzen unterdrückte. Für mich ist das alles langweilig.

Riley kam es komisch vor, vom Leben an der FBI Academy aus einem solch sozialen Blickwinkel zu hören. Ann Marie hatte offensichtlich eine tolle Zeit dort gehabt und hatte allerlei verschiedener Freundschaften geschlossen. Die Erfahrungen, die Riley selbst vor vielen Jahren dort gemacht hatte, waren nicht annähernd so…

Naja, gemütlich.

Wie Ann Marie auch, war Riley zum FBI Honors Programm zugelassen worden und dann zur Academy selbst zum Teil beruhend auf einer starken Empfehlung eines sehr respektierten Agenten. Das bedeutete, dass jede von ihnen bereits ungewöhnliche Fähigkeiten demonstriert hatte, doch es bedeutete auch, dass sie beide anderen qualifizierten Bewerbern den Platz weggenommen hatten. Schlimmer noch, Riley war aus dem Programm gezogen worden, um ihrem Mentor bei einigen kritischen Fällen zu helfen. Als sie wieder in den Unterricht zurückkehrte, fühlte sie sich isoliert von den anderen und sogar abgelehnt. Sie hatte nur eine gute Freundin während ihrer Zeit an der Academy gehabt – ihre Zimmernachbarin, Frankie Dow.

Es kam Riley also komisch vor, dass die Erfahrungen dieses Mädchens sich so von ihren eigenen unterschieden.

Die Leute mögen sie, nehme ich an.

Riley fühlte nicht gerade dasselbe für ihre neue Partnerin, obwohl sie zugeben musste, dass es wahrscheinlich nicht allein Ann Maries Schuld war. Es war nicht nur die hyper-fröhliche Persönlichkeit der jungen Frau, die ihr bitter aufstieß. Die Wahrheit war, dass Riley mehr als nur etwas irritiert war von dieser Ausgestaltung der Dinge. Sie konnte nicht anders, als zu denken, dass mit irgendjemand anders als mit Bill zusammenzuarbeiten, nie gutging. Ihre letzten Juniorpartnerinnen hatten nicht die FBI Karrieren eingeschlagen, für die sie vorbestimmt gewesen schienen.

Riley hatte Lucy Vargas wirklich ins Herz geschlossen und dann war alles wirklich schlimm ausgegangen. Ihr Tod hatte Bill an den Rand des Selbstmordes getrieben.

Es war schwieriger gewesen, sich an Jenn Roston zu gewöhnen, aber Riley und Jenn hatten einander über die Zeit einige ziemlich dunkle persönliche Geheimnisse anvertraut.

Riley begriff, dass sie sich immer noch nicht damit abgefunden hatte, dass Jenn weg war.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich umdrehen würde und erwartete dort Jenn statt Ann Marie zu sehen – erwarten würde Jenns starke, afro-amerikanische Gesichtszüge zu sehen, statt den blassen, perfekten Teint dieser jungen Frau; Jenns sichere, feste Stimme, anstatt all dieses zwitschernden Geplappers.

Riley unterdrückte ein Seufzen, als Ann Marie mit den Gerüchten aus der Academy fortfuhr.

Das hier wird nicht einfach, dachte sie.

Sie erinnerte sich an etwas, das Meredith gesagt hatte.

„Ich vermute, Sie werden diesem Streich auf den Grund gehen und morgen früh schon wieder auf dem Weg zurück sein.“

Riley hoffte das jedenfalls.

Obwohl heute noch besser wäre.

Sie hoffte ebenfalls, dass diese Partnerschaft nur eine einmalige Sache bleiben würde.

*

Als Riley über die Woodrow Wilson Memorial Brücke fuhr, und den Potomac Fluss nach Maryland überquerte, spürte sie, dass diese kurze Reise sich sehr viel länger anfühlte, als sie es eigentlich sein sollte. Ann Marie hatte aufgehört zu plappern, hatte aber das Autoradio aufgedreht und einen Pop-Sender gefunden, der viel zu fröhliche und dämliche Musik für Rileys Geschmack spielte. Sie war wirklich froh, wenn das GPS System die Musik hin und wieder unterbrach, um ihnen Fahranweisungen zu geben.

In der Zwischenzeit kehrten Rileys Gedanken immer wieder zu dem Treffen mit Meredith zurück. Sie verzog die Miene, als sie sich daran erinnerte, wie Meredith sie und Bill angestarrt hatte.

„Gibt es etwas, was Sie beide mir nicht sagen?“, hatte er gefragt.

Natürlich hatte Meredith Recht mit seinen Vermutungen. Schließlich hatte seine Vorladung ihr erstes echtes Date mit Bill unterbrochen – eine Entwicklung, die Meredith mit gutem Recht neugierig machen würde.

Und jetzt haben wir ihn angelogen.

Beide.

Sie schauderte, wenn sie an die Konsequenzen dachte, die diese Lügen eventuell haben könnten. Schlimmer noch, sie fühlte sich schuldig Meredith gegenüber. Er war ihr jahrelang ein intelligenter, fairer und respektvoller Vorgesetzter gewesen.

Wir hätten ihm die Wahrheit sagen sollen, dachte Riley.

Doch was war die Wahrheit denn genau?

Das war das wahre Problem. Sie wusste nicht, was sie Meredith hätten sagen können. Sie hatten keine Zeit gehabt es für sich selbst zu klären.

Riley und Bill wussten immer noch nicht in welche Richtung sich ihre Beziehung entwickelte. Sobald sie beide eine bessere Vorstellung davon haben würden, könnten sie sich womöglich mit Meredith zusammensetzen und reinen Tisch machen. Sie hoffte, dass Meredith verständnisvoll sein würde und sich vielleicht sogar für sie freuen würde.

Nach ungefähr einer Stunde Fahrt kamen sie in Winneway an, einer teuren, geschichtsbewussten Stadt. Riley fand es unpassend, dass einige der großen, schönen Häuser, deren Alter teilweise bis in die Kolonialzeiten zurückreichte, nun von Pools flankiert wurden. Riley fühlte sich immer fehl am Platz in solch wohlhabenden Gegenden. Die Menschen, denen sie in einem solchen Rahmen begegnete, tendierten dazu FBI Agenten eher wie Angestellte zu behandeln, als wie die hochqualifizierten Beamten, die sie waren.

Endlich ließ das GPS System sie wissen, dass sie am Ironwood Park angekommen waren – einer großflächigen gutgepflegten Grünlandschaft, auf der kleine Waldstücke verteilt waren. Die bunten Herbstblätter machten den Anblick besonders angenehm.

Riley bog auf eine kurvige Straße, die in den Park hineinführte. Bald schon stießen sie auf eine Gruppe haltender Fahrzeuge – ein paar Polizeiautos, das Auto des Bezirkssheriffs und der Van des Gerichtsmediziners.

„Hier muss es sein!“, zwitscherte Ann Marie fröhlich.

Riley zuckte bei der Unbeschwertheit von Ann Maries Ton zusammen. Sie hatte das Bedürfnis die junge Frau zu warnen, dass sie gleich eine todernste Situation betreten würden – einen Tatort, an dem die Leiche der Ermordeten immer noch anwesend war.

Doch Riley hielt sich davor zurück irgendetwas zu sagen.

Lassen wir es einfach eine Überraschung bleiben, dachte sie und unterdrückte ein ironisches Lächeln.

 

Sie wusste, dass Ann Marie während ihres Trainings an der Academy bereits Leichen gesehen hatte. Aber das war nur in einer klinischen, forensischen Umgebung. Eine Leiche am Tatort zu sehen war eine ganz andere Erfahrung – eine, auf die, da war sich Riley ziemlich sicher, diese scheinbar soziale Partymaus nicht vorbereitet war. Wenn die Neue das nicht verkraften könnte, wäre Riley mehr als bereit sie sofort zurück nach Quantico zu schicken.

Sie stiegen aus dem Auto und gingen zu einem Waldstück rüber, dass von der Polizei abgesperrt worden war. Riley war erfreut darüber zu sehen, dass eine Art Zelt zwischen den Bäumen errichtet worden war, offensichtlich um den Tatort vor den Elementen zu schützen. Ein paar Polizisten standen vor dem Zelt Wache.

Die Polizei hier weiß, was sie tut, dachte sie.

Riley und Ann Marie zeigten ihre Dienstmarken vor und schlüpften unter dem Absperrungsband hindurch, um ins Zelt zu gelangen. Das Innere des Zelts wurde von ein paar stehenden Flutlichtern erleuchtet. Ein paar Männer befanden sich im Inneren und standen um ein großes Loch an dessen einer Seite ein Haufen Erde aufgeschüttet war und auf dessen anderer Seite sich auf dem Boden eine bedeckte Leiche befand.

Riley stellte sich und die Junioragentin dem Bezirkssheriff Emory Wightman und dem Hauptgerichtsmediziner Mark Tyler vor, die auf ihre Ankunft gewartet hatten. Der Sheriff war ein solider Mann in seinen Vierzigern, obwohl ein Bierbauch vermuten ließ, dass er nicht wirklich auf seine Figur achtete. Der dünne und drahtige Gerichtsmediziner schien etwas älter zu sein. Beide Männer machten einen Moment lang einen bedrückten Eindruck, dann sagte Wightman endlich: „Ich nehme an, sie wollen die Leiche untersuchen.“

„Es ist kein schöner Anblick“, kommentierte Tyler.

Wightman fügte hinzu: „Ich nehme an, Agenten wie sie haben bereits sehr viele solcher Anblicke –“

„Natürlich“, unterbrach Riley ihn.

Sie vermutete, dass die Zurückhaltung des Sheriffs sich damit erklären ließ, dass beide Agentinnen Frauen waren, doch selbst wenn ihre jüngere Partnerin nicht bereit für den Anblick war, hatte Riley genug Leichen gesehen, um sich nicht vor dem, was sie erwartete, zu fürchten.

Ohne weiteres Zögern hob Wightman vorsichtig die Bedeckung an.

Der Anblick der Leiche schockierte Riley tatsächlich.

Die Verwesung war bereits ziemlich weit vorangeschritten, da die Leiche anscheinend bereits seit Langem begraben gewesen war. Doch das wirklich komische an dem Anblick war, dass das Opfer ein Skelett-Kostüm trug, ein schwarzes Outfit mit aufgedruckten weißen Knochen.

Ein Skelett, dass als Skelett verkleidet ist, dachte sie.

Bevor sie irgendwelche Fragen stellen konnte, hörte sie Ann Marie einen lauten Aufschrei von sich geben – doch es war kein Aufschrei des Entsetzens.

„Oh, das ist so interessant!“

Ann Maries Gesichtsausdruck war einer von erfreuter Faszination, als sie sich neben die Leiche hockte. Sie bückte sie vor, um einen besseren Blick auf die Überbleibsel der Haut und der Haare zu bekommen, die an dem kahlen menschlichen Schädel hafteten.

Das war wohl kaum die Reaktion, die Riley von dieser jungen Frau erwartet hätte. Sie fragte sich welch andere Überraschungen ihre neue Partnerin für sie parat haben könnte.

KAPITEL FÜNF

Riley schaute sie überrascht an, als Ann Marie neugierig das Gesicht der Leiche aus nächster Nähe betrachtete. Der Kopf des Opfers war kaum mehr, als ein Schädel, der mit angetrockneter Haut überzogen war. Er spiegelte auf eine gruselige Art und Weise die Schädelmaske des Kostüms wider, die abgenommen worden war und neben dem Gesicht des Opfers lag.

Die junge Frau schien absolut gewöhnt zu sein an derartige Anblicke. Sie holte sogar tatsächlich ihr Handy zum Vorschein und begann Fotos von der Leiche zu machen.

Riley war erstaunt.

Weiß sie nicht, dass die Jungs hier sicherlich schon Fotos gemacht haben? fragte sie sich.

Riley wollte ihr schon beinahe sagen, dass sie aufhören sollte, doch sie wollte Ann Marie nicht vor allen anderen direkt am Tatort kritisieren.

Ann Marie schaute zum Gerichtsmediziner auf und sagte: „Ich habe noch nicht viele Leichen in diesem Zustand gesehen. Die meisten, die ich untersuchen durfte waren… naja, frischer, könnte man sagen. Diese hier ist eine ‚sie‘, nicht wahr?“

Als Antwort nickte Tyler bloß.

Ann Marie fragte: „Was meinen Sie, wie lange war sie hier vergraben?“

Tyler zuckte leicht mit den Schultern. „Schwer zu sagen“, sagte er ihr. „Ich nehme an, mehrere Monate. Genauer kann ich es erst nach der Autopsie sagen.“

Sheriff Wightman fügte hinzu: „Wir sind uns ziemlich sicher, dass der Name des Opfers Allison Hillis ist. Sie ist vor etwas mehr als einem Jahr verschwunden. Gerichtsmediziner Tyler wird einige Untersuchungen durchführen, um sicherzustellen, dass es sich um dieselbe Person handelt. Aber Allison trug genau das gleiche Kostüm, als sie verschwunden ist.“

Ann Marie schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge.

„Wie traurig, dass es so für sie geendet ist“, sagte sie. „Aber ich nehme an ein Jahr ist eine lange Zeit. Es ist schwer zu erwarten, dass jemand, der nach so langer Zeit gefunden wird, noch am Leben ist.“

Dann schaute sie sich wieder das Gesicht an und sagte: „Aber irgendetwas an ihr ist ungewöhnlich. Sie wurde vor einem Jahr nicht sofort begraben, direkt nachdem sie umgebracht wurde, nicht wahr?“

Tyler legte neugierig den Kopf schief.

„Wieso meinen Sie das?“, sagte er.

Ann Marie machte eine Nahaufnahme von der Hand der Leiche und sagte: „Naja, ich habe nicht viele exhumierte Leichen gesehen, aber diejenigen, die ich gesehen habe, kamen alle aus Särgen, nicht direkt aus der Erde. Und selbst diejenigen, die vor viel kürzerer Zeit begraben worden waren, sahen sehr viel verwester aus, als diese hier – die fielen so ziemlich auseinander, wirklich. Die Haut auf dieser hier ist viel erhaltener – beinahe so, als wäre sie mumifiziert worden oder so.“

„Ja, das habe ich auch bemerkt“, sagte Tyler mit Interesse.

„Ich habe eine kleine Theorie, wenn sie nichts dagegen haben, sie zu hören“, sagte Ann Marie.

Der Gerichtsmediziner mittleren Alters strich sich über den Schnurrbart und lächelte – ein kleines bisschen flirtend, dachte Riley sich.

„Ich würde sie liebend gerne hören“, sagte Tyler.

Ann Marie sagte: „Naja, ich denke, dass sie eine Weile lang eingefroren gewesen ist, bevor sie hier begraben wurde. Das könnte die ungewöhnliche Erhaltung erklären.“

Sie zeigte auf einen Fleck am Hals und fügte hinzu: „Sehen Sie diese Risse? Die sehen für mich nach Frostschäden aus, nicht nach normaler Verwesung.“

„Na, verdammt“, sagte er. „Ich habe mir so ziemlich dasselbe gedacht.“

Nun sagte Ann Marie in einem etwas flirtendem Ton, während sie ihm zuzwinkerte: „Naja, Sie wissen schon, große Geister denken gleich.“

Tyler schielte neugierig. Dann sagte er zu ihr: „Hey, haben Sie gesagt, dass ihr Nachname Esmer ist?“

Ann Marie nickte.

Tyler fragte: „Sie sind nicht zufällig mit Sebastian Esmer drüben in Georgetown verwandt?“

Ann Maries Augen funkelten.

„Er ist mein Dad“, sagte sie mit einem Unterton von Stolz.

Tylers Lächeln wurde breiter.

„Ich hätte es wissen sollen“, sagte er mit einem Kopfschütteln. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

„Ich nehme an, das stimmt“, sagte Ann Marie.

Riley war nun durch und durch verblüfft.

Wer ist dieses Mädel? dachte sie.

Und warum zum Teufel weiß sie so gut über Leichen Bescheid?

Doch nun war nicht die Zeit, um all das zu klären. Sie wusste immer noch nicht genau, was sie hier eigentlich sollten.

Sie fragte den Sheriff und den Gerichtsmediziner: „Wurde die Todesursache festgestellt?“

„Vielleicht“, sagte Sheriff Wightman.

„Wir sind uns aber nicht sicher“, fügte Tyler hinzu. „Ich zeige Ihnen, was ich meine.“

Riley ging neben Ann Marie und Tyler vor der Leiche in die Hocke.

Tyler zeigte auf einen Bereich, an dem das Kostüm aufgeschnitten war, um eine Wunde in der Mitte der Brust offenzulegen.

„Sie wurde durch das Brustbein mitten ins Herz gestochen“, sagte Tyler. „Aber nicht mit einem Messer.“

Er fuhr an der merkwürdigen Wunde mit dem Finger entlang und fügte hinzu: „Wie Sie sehen können, ist die Öffnung beinahe exakt rund. Es sieht so aus, als wäre sie mit etwas extrem Scharfem und Zylindrischem erstochen worden.“

Ein Pfahl durchs Herz? fragte Riley sich, während Ann Marie ein Foto der Wunde machte. Sicherlich nicht.

Doch die Einzelheiten des Mordes kamen ihr von Minute zu Minute immer merkwürdiger vor.

Riley fragte: „Haben Sie eine Vermutung, welche Art Waffe möglicherweise benutzt wurde?“

Bevor Tyler antworten konnte, japste Ann Marie.

„Oh, schauen Sie sich das an!“, sagte sie.

Nun machte sie Fotos von Markierungen auf dem Kostüm.

Tyler sagte: „Ja, die sind wirklich komisch. Schauen Sie mal hier.“

Er zeigte Riley und Ann Marie eine andere Stelle, an der er das Kostüm zerschnitten hatte, um einen besseren Blick auf die Leiche werfen zu können. Dort konnte man sehen, dass die Markierungen auf dem Kostüm mit Einkerbungen auf dem Körper übereinstimmten. Es sah so aus, als wäre der Körper mit etwas Schwerem und Hammerähnlichem geschlagen worden.

Was Riley besonders auffiel, was die komische Form der Markierungen. Sie hatten eine Art Birnenform, waren jedoch in der Mitte geteilt. Bevor Riley in der Lage war zu überlegen, an was genau sie das erinnerte, meldete Ann Marie sich zu Wort.

„Sie sehen aus die Hufabdrücke.“

„Das finde ich auch“, sagte Tyler.

Riley spürte einen Stich der Verwirrung.

Sie fragte: „Wollen Sie sagen, dass die Frau von irgendeinem Paarhufer zu Tode getrampelt wurde?“

Tyler schüttelte den Kopf. „Ich will noch gar nichts sagen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob diese Abdrücke vor oder nach der Wunde in der Brust entstanden sind. Aber meine Vermutung ist, dass sie erst nachher dazukamen, nachdem das Opfer bereits erstochen worden war.“

Ann Marie japste erneut.

Sie sagte: „Und das Objekt, das sie erstochen hat, hat die Form eines Horns! Als wäre sie aufgespießt worden!“

„So sieht es aus“, sagte Tyler.

Riley konnte kaum glauben, was sie da hörte.

Sie sagte: „Wollen Sie sagen, dass diese Frau von irgendeinem großen Tier aufgespießt worden ist, welches dann auf ihrem Körper rumgetrampelt ist?“

Tyler zuckte mit den Schultern: „Wie schon gesagt, noch will ich gar nichts sagen.“

Ann Marie fragte: „Aber von welchem Tier reden wir möglicherweise?“

Sheriff Wightman meldete sich mit einer überraschenden Note der Sicherheit in der Stimme.

„Von einer Ziege.“

Riley schaute zum Sheriff. Sie konnte seinem Gesichtsausdruck ansehen, dass er das, was er soeben gesagt hatte, ernst meinte.

„Ich verstehe nicht“, sagte Riley.

„Ich auch nicht“, sagte Wightman. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass weitere Leute zu Tode kommen werden, wenn wir dem hier nicht ein Ende setzen. Ich zeige Ihnen wieso, wenn wir auf dem Revier sind. Ich hoffe, dass er für Sie von der Verhaltensanalyse irgendeinen Sinn ergeben wird. Meinen Sie Tyler und sein Team können die Leiche jetzt abtransportieren?“

„Ja, das ist in Ordnung“, sagte Riley.

Als Tyler begann seinem Team Anweisungen zu geben, sagte Wightman zu Riley und Ann Marie: „Lassen Sie uns zum Revier fahren. Sie können mir mit ihrem Auto folgen. Wenn wir dort angekommen sind, gebe ich Ihnen einen kompletten Bericht darüber, was wir bisher wissen.“

Riley war ganz verwirrt, als sie und Ann Marie zurück zu ihrem Auto liefen. Dieser Mord war merkwürdiger, als sie sich hätte vorstellen können – zu merkwürdig, vermutete sie, dass die örtliche Polizei alleine damit fertig werden könnte.

Würde sich das alles hier doch als echter Fall für das FBI herausstellen?

Während sie und ihre neue Partnerin ins Auto stiegen und begannen dem Wagen des Sheriffs zu folgen, begann etwas anderes Riley zu beschäftigen – Ann Maries Verhalten am Tatort. Es hatte den Eindruck gemacht, als hätte der Gerichtsmediziner mehr über Ann Marie gewusst, als Riley es tat. Das musste sich ändern.

Riley versuchte sich zu überlegen, wie sie das Thema taktvoll ansprechen könnte. Aber ihre Ungeduld übermannte sie und als sie sich an Ann Marie wandte, platzte es ihr einfach heraus: „Wer bist du eigentlich?“