Kitabı oku: «Begraben », sayfa 2
Ein Schuss fiel aus Rileys Gewehr und riss Bill aus seinem Tagtraum.
Die Bilder waren in Sekundenbruchteilen gekommen und wieder verschwunden.
Einer der Feinde kippte um, getötet von Rileys Schuss.
Aber Bill selbst stand wie angefroren da. Er konnte einfach nicht abdrücken.
Der Feind, der überlebt hatte, wandte sich bedrohlich der Frau zu, und über einen Lautsprecher ertönte vom Band ein Schuss.
Die Frau krümmte sich und hielt inne.
Schließlich feuerte Bill seine Waffe ab und traf den überlebenden Feind—aber für die Geisel kam alles zu spät, da sie bereits tot war.
Für einen Moment schien die Situation schrecklich real.
„Jesus", sagte er. „Oh, Jesus, wie konnte ich das zulassen?"
Bill trat vor, fast so, als wolle er der Frau zu Hilfe eilen.
Riley trat jetzt ebenfalls vor, um ihn aufzuhalten.
„Es ist okay, Bill! Es ist doch nur ein Spiel! Das hier ist nicht echt!"
Bill blieb zitternd stehen, und versuchte sich zu beruhigen.
„Riley, es tut mir leid, es ist nur so.... für eine Sekunde war alles wieder da und...."
„Ich weiß", sagte Riley tröstend. „Ich verstehe."
Bill brach in sich zusammen und schüttelte den Kopf.
„Vielleicht bin ich noch nicht bereit dafür", sagte er. „Vielleicht sollten wir für heute aufhören.“
Riley klopfte ihm auf die Schulter.
„Nein", sagte sie. „Ich denke, es ist besser, wenn du es jetzt durchziehst."
Bill nahm ein paar lange, langsame Atemzüge. Er wusste, dass Riley Recht hatte.
Also nahmen Riley und er ihre Positionen wieder auf, und Bill sprach erneut ins Mikrofon ...
„Geiselnahme. Los geht’s.“
Die Ausgangssituation war wieder die Gleiche, mit zwei Feinden, die gefährlich nahe bei der Geisel lauerten.
Während Bill durch seine Visier blickte, atmete er langsam ein und aus.
Es ist nur ein Spiel, sagte er zu sich. Es ist nur ein Spiel.
Endlich kam der Moment, auf den er wartete. Die beiden Feinde hatten sich kaum merklich von der Geisel entfernt. Es war immer noch ein gefährlicher Schuss, aber Bill und Riley mussten es wagen.
„Feuer frei!“, sagte er.
Diesmal schoss er sofort, und den Bruchteil einer Sekunde später hörte er das Geräusch von Rileys Schuss.
Beiden feindlichen Subjekte fielen nach vorne und hörten auf, sich zu bewegen.
Bill senkte seine Waffe.
Riley klopfte ihm auf die Schulter.
„Du hast es geschafft, Bill", sagte sie lächelnd. „Das macht mir Spaß. Was sonst können wir mit diesen Bots noch anfangen?"
Bill sagte: „Es gibt ein Programm, bei dem wir auf sie zugehen können, während wir schießen."
„Lass es uns ausprobieren."
Bill sprach wieder in sein Mikrofon.
"Nahkampf."
Alle acht Feinde begannen sich zu bewegen, und Bill und Riley rückten Schritt für Schritt auf sie zu und feuerten Schuss um Schuss. Ein paar Roboter fielen, und die anderen huschten herum und wurden immer schwerer zu treffen.
Als Bill weiter schoss, wurde ihm klar, dass in dieser Simulation etwas Entscheidendes fehlte.
Sie schießen nicht zurück, dachte er.
Seine Erleichterung über die Rettung der Geisel fühlte sich seltsam hohl an. Schließlich hatten Riley und er nur das Leben eines Roboters gerettet.
Es änderte nichts an der Realität dessen, was letzten Monat passiert war.
Lucy hatte es sicher nicht wieder zum Leben erweckt.
Seine Schuld verfolgte ihn immer noch. Ob er jemals in der Lage wäre, sie abzuschütteln?
Und ob er wohl jemals wieder seine Arbeit würde ausüben können?
KAPITEL DREI
Im Anschluss an ihre Schießübung machte sich Riley immer noch Sorgen um Bill. Es stimmte, nach seinem Zusammenbruch hatte er sich schnell erholt. Und, als sie aus nächster Nähe zu schießen begonnen hatten, schien er sich richtig zu amüsieren
Als er Quantico verließ, um in seine Wohnung zurückzukehren, erschien er ihr sogar fröhlich. Dennoch war er nicht mehr der alte Bill, der so viele Jahre lang ihr Partner gewesen, und dabei längst ihr bester Freund geworden war.
Sie wusste, worüber er sich am meisten Sorgen machte.
Bill hatte Angst, dass er nie wieder zur Arbeit kommen könnte.
Sie wünschte, sie könnte ihn mit freundlichen, einfachen Worten beruhigen—etwas wie....
„Du machst einfach eine schwere Zeit durch. Das passiert uns allen. Du wirst früher drüber hinweg sein, als du denkst."
Aber dahingesagte Zusicherungen waren nicht das, was Bill jetzt brauchte. Und in Wahrheit wusste Riley auch nicht, ob es stimmte.
Sie hatte selbst eine Phase erlebt, in der sie unter PTBS litt und wusste, wie schwer der Weg zur Genesung sein konnte.
Sie würde Bill einfach helfen müssen, diesen schrecklichen Prozess durchzustehen.
Obwohl Riley zurück in ihr Büro ging, gab es für sie bei der BAU heute eigentlich wenig zu tun. Sie hatte derzeit keinen Auftrag, und diese geruhsamen Tage kamen ihr nach der Intensität des letzten Falles in Iowa sehr gelegen. Sie erledigte die Kleinigkeiten, die ihre Aufmerksamkeit erforderten, und ging.
Als Riley nach Hause fuhr, fühlte sie sich bei dem Gedanken an ein Abendessen im Kreise ihrer Familie regelrecht beschwingt. Besonders zufrieden war sie darüber, dass sie Blaine Hildreth und seine Tochter für heute Abend eingeladen hatte.
Riley war erfreut, dass Blaine Teil ihres Lebens war. Er war ein hübscher, charmanter Mann. Und wie sie war er erst seit kurzem geschieden.
Wie sich herausgestellt hatte, war er auch bemerkenswert mutig.
Es war Blaine, der auf Shane Hatcher geschossen und ihn schwer verletzt hatte, als Hatcher Rileys Familie bedroht hatte.
Riley würde ihm dafür auf ewig dankbar sein.
Bislang hatte sie bloß eine Nacht mit Blaine verbracht, da waren sie bei ihm zu Hause gewesen. Sie achteten sehr auf Diskretion, und seine Tochter Crystal hatte die Frühlingsferien bei ihren Cousins verbracht. Riley lächelte über die Erinnerung an ihr leidenschaftliches Liebesspiel.
Ob der heutige Abend genauso enden würde?
*
Rileys Haushälterin Gabriela hatte eine köstliche Mahlzeit aus Chiles Rellenos nach einem Familienrezept, das sie aus Guatemala mitgebracht hatte, zubereitet. Alle genossen die dampfenden, üppig gefüllten Paprikaschoten.
Riley war sehr zufrieden mit dem so guten Essen und der wunderbaren Gesellschaft, die sie genoß.
„Nicht zu picante?“, fragte Gabriela.
Natürlich war das Essen auch für US-amerikanische Geschmacksnerven nicht zu scharf und würzig, und Riley war sicher, dass Gabriela das wusste. Gabriela hielt sich, was ihre original mittelamerikanischen Rezepte betraf, stets zurück. Ganz offensichtlich bevorzugte sie den ,leichten Weg, Komplimente zu bekommen.
„Nein, es ist perfekt", sagte Rileys fünfzehnjährige Tochter April.
„Das beste Essen aller Zeiten", sagte Jilly, das dreizehnjährige Mädchen, das Riley gerade adoptierte.
„Einfach unglaublich", sagte Aprils beste Freundin Crystal.
Crystals Vater, Blaine Hildreth, sprach nicht sofort. Aber Riley konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass auch er von dem Gericht hingerissen war. Sie wusste auch, dass Blaines Wertschätzung professioneller Natur war. Blaine besaß hier in Fredericksburg ein gehobenes Restaurant, dass sich dabei jedoch einer lässigen Atmosphere erfreute.
„Wie machen Sie das nur, Gabriela?“, fragte er nach ein paar Bissen.
„Es un secreto", sagte Gabriela mit einem schelmischen Grinsen.
„Ein Geheimnis, ja?“, fragte Blaine. „Welche Sorte Käse haben Sie denn benutzt? Ich kann es nicht einordnen. Es ist weder Monterey Jack noch Chihuahua. Manchego vielleicht?"
Gabriela schüttelte den Kopf.
„Ich werde es Ihnen nie verraten", sagte sie lächelnd.
Während Blaine und Gabriela weiter über das Rezept scherzten, teils auf Englisch, teils auf Spanisch, fragte sich Riley, ob sie und Blaine vielleicht....
Sie errötete ein wenig bei der Idee.
Nein, heute Abend wird bestimmt nichts passieren.
Da die ganze Familie anwesend war, würde es kaum eine Möglichkeit für ein diskretes Miteinander geben.
Nicht, dass sie mit den Dingen, wie sie waren, nicht einverstanden gewesen wäre.
Von Menschen umgeben zu sein, die ihr so viel bedeuteten, war ihr an diesem besonderen Abend Freude genug. Aber als sie zusah, wie sich ihre Familie und Freunde amüsierten, wurden Rileys Gedanken von eine neuen Anliegen heimgesucht.
Eine Person am Tisch hatte bisher kaum ein Wort gesagt, und das war Liam, der Neuzugang in Rileys Haushalt. Liam war in Aprils Alter, und die beiden Teenager waren schon einmal miteinander ausgegangen. Riley hatte den großen, schlaksigen Jungen vor seinem übergriffigen, betrunkenen Vater gerettet. Er brauchte einen Platz zum Leben, und dieser Ort war jetzt eben das Sofa in Rileys Familienzimmer, auf dem er schlief.
Liam war normalerweise gesprächig und kontaktfreudig. Aber etwas schien ihn heute Abend zu beunruhigen.
Riley fragte: „Stimmt etwas nicht, Liam?"
Der Junge schien sie nicht einmal zu hören.
Riley sprach etwas lauter.
„Liam."
Liam blickte von seinem Essen auf, das er bisher kaum angerührt hatte.
„Was?“, fragte er.
„Stimmt etwas nicht?"
„Nein. Warum?"
Riley kniff unruhig die Augen zusammen. Etwas war nicht in Ordnung. Liam war selten so einsilbig.
„Ich habe mich nur gewundert", sagte sie.
Sie nahm sich vor, später mit Liam allein zu sprechen.
*
Beim Nachtisch übertraf sich Gabriela mit einer köstlichen Obstorte. Anschließend genossen Riley und Blaine einen Drink, während die vier Kinder sich im Familienzimmer unterhielten, und dann gingen Blaine und seine Tochter nach Hause.
Riley wartete bis April und Jilly auf ihre Zimmer gingen. Dann ging sie allein ins Familienzimmer. Liam saß ruhig auf dem noch zugeklappten Schlafsofa und starrte ins Leere.
„Liam, ich merke doch, dass etwas nicht stimmt. Ich wünschte, du würdest mir davon erzählen."
„Da ist nichts", sagte Liam.
Riley verschränkte ihre Arme und sagte nichts. Sie wusste vom Umgang mit den Mädchen, dass ihm Umgang mit jungen Menschen, abwarten manchmal die beste Strategie war.
Dann sagte Liam: „Ich will nicht darüber reden."
Riley war erschrocken. An die jugendliche Launen von April und Jilly war sie gewöhnt, zumindest von Zeit zu Zeit. Doch für Liam war so ein Verhalten völlig untypisch. Er war stets angenehm und zuvorkommend. Auch war er ein engagierter Schüler, und Riley schätzte seinen guten Einfluss auf April.
Schweigend wartete Riley weiter.
Schließlich sagte Liam: „Ich bekam heute einen Anruf von Dad."
Riley spürte ein Ziehen in der Magengrube.
Sie kam nicht umhin, sich an diesen schrecklichen Tag zu erinnern, als sie zu Liams Haus geeilt war, um ihn davor zu bewahren, von seinem Vater übel verprügelt zu werden.
Sie wusste, dass sie nicht überrascht sein sollte. Dennoch wusste sie nicht, was sie darauf sagen sollte.
Liam sagte: „Er sagt, dass ihm all das leid tue. Er sagt, dass er mich vermisst."
Rileys Sorge wurde größer. Sie besaß für Liam nicht das Sorgerecht. Im Moment fungierte sie als eine Art spontane Pflegemutter, und sie hatte keine Ahnung, was ihre zukünftige Rolle in seinem Leben sein würde.
„Möchte er, dass du nach Hause kommst?“, fragte Riley.
Liam nickte.
Riley konnte sich nicht dazu durchringen, die offensichtliche Frage zu stellen....
„Was möchtest du?"
Was würde sie tun ––was könnte sie tun––wenn Liam sagte, dass er zurück wolle?
Riley wusste, dass Liam ein sanftmütiger Junge war, der schnell verzieh. Wie viele Opfer von Missbrauch war auch er anfällig für konsequente Verleugnung.
Riley setzte sich neben ihn.
Sie fragte: „Warst du hier glücklich?"
Aus Liams Kehle drang ein kleines Würgegeräusch. Zum ersten Mal erkannte Riley, dass er den Tränen nahe war.
„Oh, ja", sagte er. „ Das war.... Ich war sehr glücklich."
Riley fühlte, wie ihre eigene Kehle ihr eng wurde. Sie wollte ihm sagen, dass er so lange hier bleiben konnte, wie er nur wollte. Aber was könnte sie tun, wenn sein Vater von ihm verlangte, dass er zurückkehrte? Es läge nicht in ihrer Macht, das zu verhindern.
Eine Träne lief jetzt Liams Wange hinunter.
„Es ist nur, dass.... seit Mom weg ist.... Ich bin alles, was Dad noch hat. Oder zumindest war ich das, bis ich ging. Jetzt ist er ganz allein. Er sagt, er trinkt nicht mehr. Er sagt, er würde mir nichts mehr antun."
Riley platzte beinahe hervor....
„Glaub ihm nicht. Glaube ihm nie, wenn er so etwas sagt."
Stattdessen sagte sie: „Liam, du musst wissen, dass dein Vater sehr krank ist."
„Ich weiß", sagte Liam.
„Es liegt an ihm, sich die Hilfe zu holen, die er braucht. Aber bis er das tut, wird es sehr schwer für ihn sein, sich zu ändern."
Riley schwieg für einen Moment.
Dann fügte sie hinzu: „Denk immer daran, dass es nicht deine Schuld ist. Das weißt du doch, oder?"
Liam unterdrückte ein Schluchzen und nickte.
„Bist du jemals dorthin zurückgegangen, um ihn zu sehen?“, fragte Riley.
Liam schüttelte lautlos den Kopf.
Riley streichelte seine Hand.
„Ich möchte nur, dass du mir eins versprichst. Wenn du zu ihm gehst, geh nicht allein. Ich will bei dir sein. Versprichst du mir das?"
„Ich verspreche es", sagte Liam.
Riley griff nach einer Box mit Taschentüchern und bot sie Liam an, der sich die Augen abwischte und die Nase putzte. Dann saßen beide für ein paar lange Momente der Stille beieinander.
Schließlich sagte Riley: „Brauchst du mich noch bei etwas anderem?"
„Nein. Jetzt geht es mir gut. Danke für.... naja, du weißt schon."
Er lächelte sie schwach an.
„So ziemlich alles", fügte er hinzu.
„Gern geschehen", sagte Riley und erwiderte sein Lächeln.
Sie verließ das Familienzimmer, ging ins Wohnzimmer und setzte sich allein auf die Couch.
Plötzlich entfuhr ihrem Hals ein Schluchzen, und sie fing an zu weinen. Sie war erstaunt, wie sehr sie das Gespräch mit Liam erschüttert hatte.
Doch als sie darüber nachdachte, lag der Grund auf der Hand.
Ich bin einfach überfordert, dachte sie.
Immerhin versuchte sie immer noch, Jillys Adoption zu regeln. Sie hatte das arme Mädchen aus ihrem eigenen Elend gerettet. Als Riley sie gefunden hatte, hatte Jilly versucht, aus reiner Verzweiflung ihren Körper zu verkaufen.
Was hatte sich Riley also bloß dabei gedacht, sich noch einen Teenager ins Haus zu holen?
Sie wünschte sich plötzlich, Blaine wäre noch hier, und sie könne mit ihm reden.
Blaine schien immer zu wissen, was er sagen sollte.
Sie hatte die Ruhe zwischen den Fällen für eine Weile genossen, aber nach und nach hatten sich die Sorgen eingeschlichen, vor allem um ihre Familie und heute auch um Bill.
Es fühlte sich kaum nach Urlaub an.
Riley kam nicht umhin, sich zu fragen....
Stimmt etwas nicht mit mir?
War sie irgendwie unfähig, ein ruhiges Leben zu genießen?
Jedenfalls wusste sie, dass sie sich einer Sache sicher sein konnte.
Diese Flaute würde nicht lange anhalten. Irgendwo beging gerade irgendein Monster eine abscheuliche Tat—und es lag an ihr, es aufzuhalten.
KAPITEL VIER
Am nächsten Morgen wurde Riley durch das Vibrieren ihres Telefons geweckt.
Sie stöhnte laut, als sie sich schüttelte, um wach zu werden.
Die Flaute ist wohl vorbei, dachte sie bei sich.
Sie schaute auf ihr Handy und sah, dass sie Recht hatte. Es war eine SMS von ihrem Teamchef bei der BAU, Brent Meredith. Es war ein Aufruf, ihn zu treffen, und er in dem für ihn typischen knappen Stil verfasst....
BAU, 8:00 Uhr.
Sie schaute auf die Uhr und merkte, dass sie sich beeilen musste, um es noch rechtzeitig zu diesem so kurzfristig angesetzten Termin zu schaffen. Quantico war nur eine halbe Stunde Fahrt von zu Hause entfernt, dennoch musste sie hier schnell wegkommen.
Riley brauchte nur Minuten, um ihre Zähne zu putzen, ihre Haare zu kämmen, sich anzuziehen und nach unten zu eilen.
Gabriela machte in der Küche bereits Frühstück.
„Ist der Kaffee schon fertig?“, fragte Riley sie.
„Sí", sagte Gabriela und schenkte ihr eine heiße Tasse ein.
Riley nippte eifrig an ihrem Kaffee.
„Müssen Sie ohne Frühstück aus dem Haus?“, fragte Gabriela sie.
„Ich fürchte ja."
Gabriela gab ihr einen Bagel.
„Dann nehmen Sie das mit. Sie müssen etwas in Ihrem Magen haben."
Riley dankte Gabriela, nahm noch ein paar Schlücke von dem Kaffee und eilte zu ihrem Auto.
Während der kurzen Fahrt nach Quantico überkam sie ein merkwürdiges Gefühl.
Tatsächlich fühlte sie sich besser als in den letzten Tagen, beinahe euphorisch.
Zum Teil kam das sicherlich durch den Adrenalinschub, der sie durchfuhr, als ihr Geist und ihr Körper sich auf einen neuen Fall vorbereiteten.
Aber es war auch etwas ziemlich Beunruhigendes––ein Gefühl, als ob wieder Normalität einkehrte.
Riley seufzte bei dieser Einsicht.
Sie fragte sich, was es bedeutete, dass sich die Jagd auf Monster für sie normaler anfühlte, als Zeit mit den Menschen zu verbringen, die sie liebte?
Es kann einfach nicht.... naja, normal sein, dachte sie.
Schlimmer noch, es erinnerte sie an etwas, das ihr Vater, ein brutaler und bitterer pensionierter Marineoffizier, zu ihr gesagt hatte, bevor er starb.
„Du bist eine Jägerin. Was die Leute ein normales Leben nennen, würde dich umbringen, wenn du es zu lange leben müsstest."
Riley wünschte von ganzem Herzen, dass es nicht wahr sei.
Aber in Zeiten wie diesen konnte sie nicht anders, als sich Sorgen zu machen––war es unmöglich für sie, die Rollen der Frau, Mutter und Freundin dauerhaft zu besetzen?
War es hoffnungslos, es überhaupt zu versuchen?
War ‚die Jagd‘ das Einzige, was in ihrem Leben wirklich zu ihr gehörte?
Nein, definitiv nicht das Einzige.
Sicherlich nicht einmal das Wichtigste.
Entschlossen versuchte sie die unangenehme Frage aus ihrem Kopf zu bekommen.
Als sie das BAU-Gebäude erreichte, parkte sie und eilte in Brent Meredith Büro.
Als sie ankam, sah sie, dass Jenn schon da war und viel fröhlicher und wacher aussah, als Riley sich fühlte. Riley wusste, dass Jenn, wie Bill, eine Wohnung in Quantico hatte, also hatte sie sich weniger beeilen müssen. Doch einen Teil von Jenns frühmorgendlicher Frische schrieb Riley auch deren Jugend zu.
Riley war als sie noch jünger gewesen war, genauso gewesen––sofort und zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Arbeiten bereit, und stets in der Lage, für längere Zeit ohne Schlaf auszukommen, wenn der Job es so verlangte.
Lagen diese Tage hinter ihr?
Es war kein angenehmer Gedanke, der nicht half, Rileys ohnehin schon getrübte Stimmung aufzuhellen.
Brent Meredith machte, so wie er da an seinem Schreibtisch saß, mit seinen schwarzen, kantigen Zügen, seinem breiten Körperbau und seiner immerwährenden Bodenständigkeit, wie immer eine beeindruckende Figur.
Riley setzte sich und Meredith verlor keine Zeit, sondern kam sofort zur Sache.
„Heute Morgen gab es einen Mord. Es geschah am öffentlichen Strand des Naturschutzgebietes Belle Terre. Ist eine von Ihnen mit den Örtlichkeiten vertraut?"
Jenn sagte: „Ich war einige Male dort. Ein toller Ort zum Wandern."
„Ich war auch schon dort", entgegnete Riley.
Riley erinnerte sich gut an das Naturschutzgebiet. Es war an der Chesapeake Bay, kaum mehr als zwei Autostunden von Quantico entfernt. Dort gab es mehrere hundert Hektar Wald und eine Bucht mit einem breiten, öffentlich zugänglichen Strand. Das Gebiet war bei Natur- und Sportbegeisterten sehr beliebt.
Meredith trommelte mit seinen Fingern auf seiner Schreibtischplatte.
„Das Opfer war Todd Brier, ein lutherischer Pastor aus dem nahen Sattler. Er wurde am Strand bei lebendigem Leibe begraben."
Riley schüttelte es innerlich.
Lebendig Begraben!
So etwas war in ihren Albträume schon vorgekommen, aber nie hatte sie an einem Fall gearbeitet, in dem es um diese Art grausigen Mordes ging.
Meredith fuhr fort: „Brier wurde heute Morgen gegen sieben Uhr gefunden, und es sah so aus, als wäre er erst seit einer Stunde tot gewesen."
Jenn fragte: „Was macht diesen Mord zu einem Fall für das FBI?"
Meredith sagte: „Brier ist nicht das erste Opfer. Gestern wurde in der Nähe bereits die Leiche einer jungen Frau namens Courtney Wallace gefunden."
Riley unterdrückte einen Seufzer.
„Sagen Sie nichts", sagte sie. „Auch sie wurde bei lebendigem Leib begraben.“
„Sie sagen es", sagte Meredith. „Sie wurde auf einem der Wanderwege im gleichen Naturschutzgebiet getötet, offenbar ebenfalls am frühen Morgen. Später am Tag wurde sie dann entdeckt, als ein Wanderer auf die aufgewühlte Erde stieß und den Parkwächter rief."
Meredith lehnte sich in seinem Stuhl zurück und drehte sich leicht hin und her.
Er sagte: „Bisher haben die örtlichen Polizisten keine Verdächtigen oder Zeugen. Abgesehen von den jeweiligen Orten und dem Modus Operandi des Mörders, haben sie überhaupt nicht viel. Beide Opfer waren junge, gesunde Menschen. Bislang reichte die Zeit nicht, um herauszufinden, ob es irgendeine Verbindung zwischen den beiden gibt, außer jene, dass sie beide am frühen Morgen da draußen waren."
Als Rileys versuchte, zu begreifen, was sie da gerade gehört hatte, raucht ihr der Kopf. Bisher wusste sie zu wenig, um loslegen zu können.
Sie fragte: „Hat die örtliche Polizei das Gebiet schon abgeriegelt?"
Meredith nickte.
„Sie haben das bewaldete Gebiet in der Nähe des Weges und die Hälfte des Strandes für die Öffentlichkeit gesperrt. Ich habe ihnen gesagt, dass sie die Leiche am Strand nicht bewegen sollen, bis meine Leute da sind."
„Was ist mit dem Körper der Frau?“, fragte Jenn.
„Er befindet sich im Leichenschauhaus in Sattler, der nächstgelegenen Stadt. Der Gerichtsmediziner vom Tidewater District ist gerade am Strand. Ich will, dass Sie beide so schnell wie möglich dorthin fahren. Nehmen Sie ein FBI-Fahrzeug, etwas Auffälliges. Ich hoffe, dass das FBI, wenn es am Tatort sichtbar wird, diesen Täter zumindest verlangsamen wird. Ich schätze, er ist mit dem Töten noch nicht fertig."
Meredith blickte zwischen Riley und Jenn hin und her.
„Irgendwelche Fragen?“, fragte er.
Riley hatte eine Frage, aber sie wusste nicht, ob sie sie stellen sollte.
Schließlich sagte sie: „Sir, ich möchte einen Antrag stellen."
„Und?“, sagte Meredith und lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück.
„Ich möchte, dass Special Agent Jeffreys diesem Fall zugewiesen wird."
Merediths Augen verengten sich.
„Jeffreys ist beurlaubt", sagte er. „Ich bin sicher, dass Sie und Agentin Roston das alleine regeln können."
"Ich bin mir auch sicher, das wir das können", sagte Riley. „Aber...."
Sie zögerte.
„Aber was?“, fragte Meredith.
Riley geschluckte schwer. Sie wusste, dass es Meredith nicht gefiel, wenn Agenten ihn um einen persönlichen Gefallen baten.
Sie sagte: „Ich denke, er muss wieder an die Arbeit, Sir. Ich denke, das täte ihm gut."
Meredith blickte finster drein und sagte für einen Moment nichts.
Dann sagte er: „Ich werde ihn nicht offiziell mit dem Fall beauftragen. Aber wenn Sie wollen, dass er informell mit Ihnen arbeitet, habe ich nichts dagegen."
Riley dankte ihm und versuchte dabei, nicht zu überschwänglich zu klingen, damit er seine Meinung nicht wieder änderte. Anschließend forderten sie und Jenn einen offiziellen Geländewagen des FBI an.
Als Jenn nach Süden losfuhr, holte Riley ihr Handy hervor und schrieb Bill eine SMS.
Ich arbeite mit Roston an einem neuen Fall. Der Direktor sagt, es ist okay, wenn du dich uns anschließt. Ich möchte, dass du es tust.
Riley wartete einen Moment. Ihr Herz schlug etwas schneller, als sie sah, dass die Nachricht als "gelesen" markiert wurde.
Dann tippte sie ....
Können wir auf dich zählen?
Wieder wurde die Nachricht als "gelesen" markiert, doch eine Antwort kam keine.
Rileys Mut schwand.
Vielleicht ist das hier keine gute Idee, dachte sie. Vielleicht ist es noch zu früh.
Sie wünschte, Bill würde antworten, wenn auch nur, um ihr abzusagen.