Kitabı oku: «Eine Spur von Tod», sayfa 4

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KAPITEL FÜNF

Montag

Abend

Keri fuhr mit Ray zusammen hinter dem Polizeiauto her, das gekommen war um Rivers auf das Revier zu bringen. Keri hörte still zu, wie Ray telefonierte. Er redete gerade mit ihrem Boss, Lieutenant Cole Hillman. Er würde die Chefin der Einheit von West LA Reena Beecher informieren, doch zuerst ließ er sich von Ray auf den neusten Stand bringen. Hillman oder ‚der Hammer‘, wie manche Kollegen ihn nannten, hatte die Entscheidungsgewalt über die Einheit für vermisste Personen, die Mordkommission, sowie die Einheit für Sexual- und Drogendelikte.

Keri war kein großer Fan von ihm. Ihrer Ansicht nach war Hillman meistens damit beschäftigt, seinen eigenen Hintern zu retten, anstatt ihn für seine Fälle auf Spiel zu setzen. Vielleicht hatte das Alter ihn weich gemacht. Er hatte keine Skrupel, Mitarbeiter anzuprangern, die ihre Fälle nicht lösen konnten. Seinen Spitznamen ‚Hammer‘ schien er sehr zu mögen. Für Keri war er ein Heuchler. Er war unzufrieden, wenn die Fälle nicht gelöst wurden, und er war unzufrieden, wenn man zu viel riskierte um sie zu lösen. Sie fand, dass der Spitzname ‚Arschloch‘ viel besser zu ihm passte. Da sie ihn aber kaum so nennen konnte, bevorzugte sie, ihn bei seinem echten Namen zu nennen.

Keri fuhr etwas zu schnell, um den Einsatzwagen vor ihnen nicht aus den Augen zu verlieren. Ray fasste unterdessen zusammen, wie aus einem Anruf über einen verspäteten Teenager plötzlich ein ernsthafter Vermisstenfall geworden war, der einen namenhaften US Senator beinhaltete. Er beschrieb, was sie auf dem Überwachungsvideo der Pfandleihe gesehen hatten und wie sie Denton Rivers besucht hatten. Ein paar Details ließ er allerdings aus.

„Detective Locke und ich bringen Rivers jetzt aufs Revier, dort werden wir ihn weiter befragen.“

„Moment mal“, unterbrach Hillman ihn. „Was hat Detective Locke damit zu tun? Das übersteigt ihre Gehaltsklasse um ein Vielfaches.“

„Sie hat den Anruf angenommen, Lieutenant, und sie hat die Ermittlungen soweit durchgeführt. Wir sind gleich da, dann werde ich Ihnen alles Weitere erklären.“

„Einverstanden, ich komme auch dazu. Ich werde ohnehin mit Captain Beecher sprechen müssen. Sie will bestimmt Bescheid wissen. Ich habe eine Besprechung einberufen, in fünfzehn Minuten.“

Dann legte er auf.

Ray sah Keri an. „Wir stecken bis zum Hals in der Scheiße, wenn gewisse Dinge publik werden. Wenigstens sind wir mit den Ermittlungen vorangekommen.“

Keri zog eine Augenbraue hoch.

„Die werden es versauen“, sagte sie.

„Du bist nicht die einzige Spürnase hier, Keri.“

„Ich weiß. Du bist auch gut.“

„Danke für die Blumen, Partner.“

„Bitteschön.“ Sie schwieg einen Moment. Dann fügte sie hinzu: „Hillman kann mich nicht leiden.“

„Darüber weiß ich nichts. Aber für jemanden, der noch ziemlich neu in der Branche ist, kannst du manchmal ein wenig … forsch rüberkommen.“

„Vielleich. Oder er ist einfach ein Arschloch. Ich kann ihn nämlich auch nicht leiden.“

„Warum sagst du das?“

„Weil er immer alles sofort will und alles genau nach Vorschrift sein muss und er einfach nicht über seinen Tellerrand hinausblicken kann. Außerdem schaut er den Frauen nie ins Gesicht, sondern immer nur auf die Titten.“

„Wenn du das jedem Polizist vorwerfen würdest, wären alle Arschlöcher.“

Keri sah ihn resigniert an.

„Gut erkannt.“

„Ich versuche das nicht allzu persönlich zu nehmen“, sagte Ray.

„Seit wann bist du so ein Sensibelchen, Herr Eiserner Riese?“

Er saß eine Weile still neben ihr. Sie spürte, dass er irgendetwas sagen wollte, aber nicht die richtigen Worte fand. Schließlich sagte er es doch.

„Sollten wir vielleicht darüber reden, was vorhin bei Rivers passiert ist?“

„Was?“

„Ich denke, du weißt, was ich meine. Tätlicher Übergriff auf einen Minderjährigen.“

„Ach das. Besser nicht. Ich dachte, du sagtest, dass er sich den Kopf gestoßen hat.“

„Wenn sich herausstellt, dass er nichts mit dieser Sache zu tun hat, kann er eine Beschwerde einreichen. Das könnte ernste Konsequenzen haben.“

„Ich mache mir keine Sorgen.“

„Ich schon. Bist du so drauf, weil sich der Jahrestag nähert? Wann hast du zuletzt mit Dr. Blanc geredet?“

Keris schwieg. Gewissermaßen war das auch eine Antwort.

„Vielleicht solltest du das tun“, sagte er sanft.

Keri fuhr auf den Parkplatz vor dem Polizeirevier und stieg aus. Damit war das Gespräch beendet.

Denton Rivers wurde in ein Vernehmungszimmer geführt, während Keri den Bericht ausfüllte. Er hatte Ashleys Handy geklaut, insofern war Diebstahl von Privateigentum bereits ein Grund, ihn für ein paar Stunden festzuhalten. Mit etwas Glück würden sie bis dahin schon mehr wissen.

Dann ging sie zum Konferenzraum, ein großer Raum, in dem zu Beginn jeder Schicht die Aufgaben verteilt wurden. Hillmans Besprechung sollte jeden Moment beginnen.

Als sie ankamen, warteten Hillman und sechs Detectives, inklusive zwei Kollegen von der Mordkommission, bereits auf sie. Ray passte bestens in ihre Reihen. Über sich selbst war Keri sich nicht so sicher. Im Moment kam sie sich vor wie ein Käfer unter dem Vergrößerungsglas.

Rede dir keinen Quatsch ein. Du gehörst hier her.

Lt. Cole Hillman stand auf und begann zu sprechen. Er war vor ein paar Wochen fünfzig geworden, aber die tiefen Furchen in seinem Gesicht zeigten einen Mann, der aufgrund der Dinge, die er bei seinem Job zu sehen bekam, vorzeitig gealtert war. Sein graues Haar wurde langsam dünner und er hatte einen kleinen Bierbauch, den er unter weiten Hemden versteckte. Es war schon nach sieben, aber er trug immer noch Jackett und Krawatte. Keri hatte ihn noch nie etwas anderes tragen sehen.

„Zuerst möchte ich mich bedanken, dass Sie dieses Treffen so kurzfristig einräumen konnten. Wie viele bereits wissen, geht es bei diesem Fall um Ashley Penn, die Tochter von US Senator Stafford Penn. Das bedeutet höchste Priorität, nicht zuletzt weil er ein guter Freund des Bürgermeisters und des Gouverneurs ist. Das erhöht den Druck zusätzlich. Das FBI wird sich bald einschalten, aber bis es so weit ist, ist es unser Fall. Soweit ich im Bilde bin, geht der Senator derzeit nicht von einer Entführung aus. Er denkt, dass seine Tochter durchgebrannt ist, und das ist durchaus möglich. Das Überwachungsvideo, auf dem man sieht, wie sie von einem schwarzen Van mitgenommen wird, lässt keine eindeutigen Schlüsse zu. Aber solange ihr Verbleib unklar ist, werden wir jede Spur gründlich überprüfen, verstanden?“

Die Beamten nickten einstimmig und Hillman fuhr fort.

„Die Nachricht hat sich unter ihren Mitschülern an der West Venice High bereits herumgesprochen und verbreitet sich jetzt in den sozialen Netzwerken. Wir haben bereits erste Nachfragen von lokalen Medien. Morgen früh ist die Geschichte vermutlich schon in den Schlagzeilen. Im Klartext heißt das, dass Sie sich mit keinem Wort zu diesem Fall äußern, sondern alle Nachfragen an den Pressesprecher der Polizei verweisen. Verstanden?“

Wieder nickten alle.

„Gut“, sagte Hillman. „Wir haben wahrscheinlich nur noch wenige Stunden an diesem Fall zu arbeiten, bevor das FBI übernimmt. Machen wir das Beste daraus.“

Damit wandte er sich an Ray. „Detective Sands, informieren Sie uns bitte über die Einzelheiten.“

Ray, der an die Wand gelehnt war, sah aus, als würde er sich in seiner Haut gerade nicht besonders wohl fühlen. „Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, würde ich das Wort an Detective Locke weitergeben. Sie ist auf den Fall aufmerksam geworden und weiß mehr darüber.“

Alle sahen jetzt Keri an, die direkt neben ihrem Partner stand.

Hillman sah nicht begeistert aus. „Detective Locke, wären Sie so freundlich?“

Sie spannte sich an. Plötzlich sah sie wieder den weißen Van vor sich, der in einer Staubwolke verschwand, während sie mit blutigen Füßen zurückblieb.

„Detective Locke? Ist alles in Ordnung?“, fragte Hillman.

Ray schubste sie mit dem Ellbogen an.

„Keri“, flüsterte er.

„Ich sortiere nur meine Gedanken, Sir“, sagte sie und war wieder ganz bei sich, als sie begann über den Fall zu reden. Sie erklärte, was sie nach und nach herausgefunden hatten. Auf einem großen Bildschirm zeigte sie das Überwachungsvideo mit dem Van sowie Ashleys Handyfotos. Sie erzählte alles, was sie wusste, auch wenn das bedeutete, dass sie für den Fall nicht mehr wichtig wäre.

„Was hat es mit dem kleinen Rivers auf sich? Ist er wirklich ein Verdächtiger?“, fragte Detective Manny Suarez. Ihn hatte Mia Penn auf Keris Anweisung hin kontaktiert, ein stämmiger Mann Mitte vierzig, mit müden Augen und Bartstoppeln. Dabei war Suarez um einiges scharfsinniger, als er aussah. Vielleicht war gerade das seine Taktik.

„Denton Rivers, Ex-Freund der Vermissten, sitzt in Vernehmung 2. Bisher war er nicht besonders kooperativ. Er muss noch einmal gründlich vernommen werden. Vielleicht ist er den Van gefahren, hat jemanden angeheuert oder weiß irgendetwas darüber. Ashley hat vor vier Tagen mit ihm Schluss gemacht. Möglicherweise ist er ausgeflippt, nach dem Motto – wenn er sie nicht haben kann, soll niemand anderes sie bekommen. Ein Motiv hätte er also, aber das wird nicht ausreichen, um ihn lange festzuhalten.“ Keri atmete tief durch und sah sich um. Alle hörten ihr zu. Sie schienen diesen Fall sehr ernst zu nehmen. Keri redete weiter.

„Die Spurensicherung wird sich sein Haus näher ansehen. Sie müssen das Blut auf dem Teppich mit Ashleys Blut abgleichen. Außerdem habe ich sechs gestohlene Nummernschilder im Schuppen gefunden. Wir müssen herausfinden, wann sie gestohlen wurden und wer sie vermisst. Überwachungskameras in Main Street, Westminster Street und Umgebung müssen möglichst bald gesichtet werden und Ashleys neuer Freund muss ausfindig gemacht und befragt werden. Ganz zu schweigen von Ashleys Freunden und Lehrern.“

Detective Suarez pfiff leise.

„Ich habe zusammen mit Mia Penn eine Liste von Personen erstellt. Wir können sofort nach dem Meeting beginnen, die Leute zu kontaktieren.“

„Danke, Manny. Wir werden auch einen Kollegen von der Drogenfahndung hinzuziehen müssen. Ashley hat ganz offensichtlich irgendwo Gras gekauft. Ihr Dealer muss gefunden und befragt werden. Ich habe das Gefühl, dass er uns mehr über Ashleys geheimes Leben sagen kann. Ihre Freunde werden sie schützen wollen. Das gleiche gilt für die Person, die ihr den falschen Führerschein beschafft hat.“

Im Vorderzimmer klingelte ein Telefon. Lt. Hillman nahm den Anruf an und bedeutete Keri, einen Moment still zu sein.

Er stellte den Bildschirm auf Fernseh-Modus und schaltete auf einen Nachrichtensender. Amber Smith, eine lokale Reporterin, war in einem News-Update zu sehen, für das Jeopardy! extra unterbrochen wurde.

„Unseren Berichten zufolge wird Ashley Penn, die Tochter des Senators Stafford Penn, seit heute Nachmittag vermisst. Sie verschwand auf dem Heimweg von der West Venice High School und ist seitdem nicht mehr gesehen worden.“

Ein Foto von Ashley wurde eingeblendet, darunter eine Telefonnummer. Amber redete weiter.

„Das ist nur ein vorläufiger Bericht, bislang gibt es noch keine Bestätigung, aber wenn Sie einen Hinweis auf Ashley Penns Verbleib haben, dann wenden Sie sich bitte an das Los Angeles Police Department unter der eingeblendeten Telefonnummer. Wir werden Sie über diese und weitere Nachrichten in den Action News um elf Uhr informieren. Ich gebe zurück an die Redaktion.“

Hillman schaltete den Bildschirm aus. Er sah frustriert aus, aber nicht überrascht.

„Das ist unser Stichwort. Wir werden uns jetzt aufteilen und dann geht’s los. Damit das klar ist: Wir müssen zusammen arbeiten. Ich wiederhole das noch einmal: Wir MÜSSEN zusammen arbeiten. Wenn Sie sich einbilden, irgendetwas im Alleingang beweisen zu müssen, Informationen zu Ihrem Vorteil zurückhalten oder auf sonst irgendeine Art den Fall behindern, bitte ich Sie jetzt aufzustehen und den Raum zu verlassen.“

Alle sahen sich um, aber selbstverständlich stand niemand auf.

„Okay, dann los. Brody, organisieren Sie die Durchsuchung von Rivers Haus in Woodlawn. Edgerton, wenden Sie sich an den technischen Dienst und sehen Sie zu, ob wir irgendwelche hilfreichen Standortidentifizierungen aus diesem Handy holen können. Suarez, holen Sie Ashleys Freunde Thelma Gray und Miranda Sanchez für die Zeugenaussagen her. Sie sollen in Begleitung eines Erziehungsberechtigten erscheinen. Wir können uns jetzt keine Fehler leisten. Patterson, kontaktieren Sie sämtliche Geschäfte in der Nähe der Schule. Wir brauchen alle verfügbaren Aufnahmen der Sicherheitskameras. Wir suchen nach einem schwarzen Van. Sterling und Cantwell, Sie übernehmen die Befragung von Denton Rivers. Er sitzt in Vernehmung 2. An die Arbeit.“

Damit löste sich die Besprechung auf.

Nur Keri und Ray blieben mit Hillman zurück. Sie hatten noch keine Aufgabe bekommen. Hillman zeigte jetzt auf sie.

„Mitkommen.“

KAPITEL SECHS

Montag

Abend

Hillman führte sie in sein Büro. An der Wand stand eine gemütliche Couch, aber er verwies sie auf die Metallstühle an seinem Schreibtisch, an dem er auch selbst Platz nahm. Keri konnte ihn vor lauter Aktenordnern kaum mehr sehen.

„Gute Arbeit, Detectives. Ray, Sie wissen, dass Brody Ende des Jahres in Rente geht, richtig?“

„Ja, Sir, das weiß ich.“

„Das bedeutet, dass eine gute Position in der Mordkommission frei wird. Haben Sie Interesse?“

Keri beobachtete, wie Rays Kinnlade herunterklappte. Er starrte zuerst Hillman an, dann sie. Sie lächelte, obwohl es für sie ein Schock war.

„Muss ich jetzt sofort etwas dazu sagen?“, fragte Ray.

„Natürlich nicht. Warten Sie aber nicht zu lange. Viele Kollegen sind interessiert, aber ich möchte, dass Sie sich bewerben.“

„Vielen Dank, Sir.“

Hillman nickte, dann wandte er sich an Keri.

„Locke, zu allererst: gut gemacht. Dank Ihrer Hartnäckigkeit sind wir an der Sache dran. Ohne Sie würden wir weit hinterher hinken. Dank Ihrer Einschätzung konnten wir die Besprechung da drinnen schnell aufwickeln. Ich glaube, Sie haben eine große Zukunft bei uns.“

Sie wusste, was jetzt kommen würde.

„Aber…“, begann sie.

Hillman sah sie mit echtem Bedauern an.

„Aber dieser Fall ist hoch-politisch. Wir müssen genau abwägen, wen wir zu Rate ziehen. Bald wird das FBI alles übernehmen. Wir können uns keinerlei Fehltritte erlauben.“

„Es wird keine Fehltritte geben“, versicherte sie.

Hillman funkelte sie an. Jegliche Sympathie war verflogen.

„Denton Rivers hat damit gedroht, eine Beschwerde gegen Sie einzureichen.“

„Weswegen?“, fragte Keri und klang dabei selbstgerechter, als sie sich fühlte.

„Zum Beispiel wegen einer Platzwunde im Gesicht.“

„Die hatte er schon, als wir zu ihm kamen. Dann ist er gestolpert und hat sich dieselbe Stelle noch einmal am Couchtisch aufgeschlagen.“

„Sparen Sie sich den Mist! Wollen Sie mich zum Narren halten, Detective? Ich habe meine Entscheidung getroffen. Wir können uns nicht leisten, dass sich noch mehr Verdächtige an Couchtischen den Kopf aufschlagen. Sie sind von diesem Fall abgezogen.“

„Abgezogen?“, wiederholte sie erstaunt.

Hillman nickte.

„Wir werden Sie um Rat bitten, wenn Sie gebraucht werden. Sie kennen sich offensichtlich gut mit den Einzelheiten aus, aber jetzt haben Sie Feierabend. Ich kann nicht riskieren, dass Sie eine Verurteilung gefährden.“

Ray räusperte sich.

Hillman hielt nur die Hand hoch.

„Sparen Sie sich die Mühe, Sands. Es ist entschieden.“

Er sagte noch etwas, aber Keri hörte nicht mehr zu. In ihrem Kopf machte sich ein Bild breit, wie ein Mädchen in einen Van geworfen wurde, ein lauter Knall, als sie gegen die Innenwand prallte. Eine laute Stimme unterbrach diese Vision.

„Locke, hören Sie mir überhaupt zu?“ Hillmans Stimme war laut, vermutlich hat er diese Frage mehr als einmal gestellt.

„Ja, Sir“, sagt sie.

„Okay. Das war alles. Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus.“

Ray stand auf. „Sir, wenn Locke nicht mehr an dem Fall arbeitet, arbeite ich auch nicht mehr daran.“

Hillman legte die Stirn in Falten.

„Ich möchte, dass Sie Patterson helfen, die Sicherheitsaufnahmen zu prüfen.“

Ray atmete laut aus. „Detective Locke ist mein Partner. Entweder arbeiten wir beide an diesem Fall, oder nicht.“

Hillman machte jetzt ein Gesicht, das Keri fremd war. Seine Lippen waren zusammengepresst und gleichzeitig verzogen. Die Falten an seiner Stirn wurden noch tiefer. Er schien um seine Fassung zu ringen.

„Das war keine Bitte, Detective Sands“, knurrte er schließlich.

„Wenn das so ist, tut es mir leid. Ich fühle mich nicht besonders. Ich glaube, ich sollte ein paar Tage frei nehmen.“

„Nicht, Ray“, sagt Keri sanft.

Er ignorierte sie und starrte mit seinem gesunden Auge Hillman an.

Der starrte zurück. Nach einer gefühlten Ewigkeit schien er nachzugeben. Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Also gut, nehmen Sie sich frei. Und jetzt raus hier, bevor ich Sie beide suspendiere.“

Sie verließen das Büro.

Keri sah Ray an. Er sah so erschöpft aus, wie sie sich fühlte.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Keri.

„Wir treffen uns in fünf Minuten an meinem Wagen. Ich muss noch etwas erledigen.“

„Wohin gehen wir?“

„Uns betrinken“, knurrte er.

*

Fünfzehn Minuten später saßen sie im Clive’s, einer kleinen Eckkneipe, in der sich die Polizisten oft nach Feierabend trafen. Keri hielt ihren zweiten Glenlivet in der Hand, Ray nippte an einem Light Bier.

„Möchtest du deine mädchenhafte Figur halten?“, neckte sie ihn.

„Ich muss fit bleiben, falls der nächste Verdächtige, den du verhaust, zurückschlägt.“

„Schätze, das habe ich verdient. Weißt du Ray, langsam glaube ich, dass es deiner Karriere nicht besonders gut tut, mein Partner zu sein.“

„Langsam?“, wiederholte er.

„Ernsthaft. Manchmal habe ich mich einfach nicht unter Kontrolle und du musst es ausbaden. Jetzt hast du dich vor Hillman auf meine Seite gestellt und damit vielleicht deine Beförderung zur Mordkommission gefährdet. Ich bin eine menschliche Zeitbombe. Du solltest dich von mir fernhalten.“

„Und wenn ich mich nicht von dir fernhalten will?“ Sein Tonfall traf sie unvorbereitet.

Sie nahm einen großen Schluck Scotch und genoss die Wärme. Der Alkohol zeigte bereits seine Wirkung und sie erwog eine aufrichtige Antwort. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt. Ihre Stellung in der Einheit stand auf der Schneide und Ray würde vielleicht bald die Abteilung wechseln. Vielleicht sollten sie endlich darüber reden, was sie füreinander waren – Partner? Freunde? Vielleicht mehr?

Aber bevor sie etwas sagen konnte, knickte Ray ein und redete einfach drauf los.

„Ich meine, wenn ich dich als Partner verlieren würde, könnte mir niemand mehr diese Ninja-Moves beibringen.“

Keri fühlte, dass der Moment vergangen war und beschloss, ihre Gefühle für sich zu behalten – zumindest vorerst.

„Ja, ja, ohne mich wärst du wirklich verloren. Du müsstest dich wieder ganz auf rechten und linken Schlag verlassen.“

„Rechten und linken Haken“, sagte er leise und lächelte.

„M-hm, genau die.“

„Damals habe ich mit einem rechten Haken gerechnet, in diesem letzten Kampf gegen Lenny Jack. Aber er hat mich voll überrascht und – BAM – Mach’s gut, Auge. Ich war zu überheblich.“

„Überheblich würde ich dich nicht gerade nennen. Übermütig – vielleicht, aber nicht überheblich.“

„Du kanntest mich damals eben nicht, Keri. Ich war richtig arrogant. Ich habe einen rieseigen Haufen Geld verdient, hatte tolle Sachen, eine Frau und zwei Kinder, die mich über alles liebten. Und ich habe all das als selbstverständlich betrachtet. Ich habe mit Geld um mich geworfen, meine Frau betrogen, meine Kinder links liegen gelassen. Ich habe die Menschen wie Dreck behandelt. Auch diesen Kampf habe ich nicht ernst genommen. Ich dachte, ich wäre unbesiegbar. Ich schätze, ich habe bekommen, was ich verdient habe.“

„Sag das nicht.“

„Aber es ist wahr. Ich habe es verdient, diesen Kampf zu verlieren und all mein Geld. Ich habe es verdient, dass Delilah mich verlassen hat und die Kinder mitgenommen hat. Und ich habe es verdient, das Auge zu verlieren. Es hat mein Leben verändert – zum Besseren. Endlich habe ich begonnen, andere ernst zu nehmen. Ich habe mich bemüht, etwas aus meinem Leben zu machen. Das klingt wahrscheinlich komisch, aber das war vielleicht das Beste, das mir je passiert ist. Naja, fast das Beste.“

Keri ignorierte diesen letzten Kommentar und nickte. Sie hatten beide eine lebensverändernde Erfahrung gemacht und einen neuen Berufsweg eingeschlagen. Ray wollte sich für Gerechtigkeit einsetzen, Keri hatte ein anderes Ziel – sie wollte ihre Tochter finden.

„Ich hatte wieder diesen Traum“, sagt sie.

„Den im Park?“

Sie nickte.

„Diesmal war ich so nah dran. Ich bin so schnell gerannt und habe sogar meine blutigen Fußabdrücke auf dem Asphalt gesehen. Ich konnte den Van fast berühren. Evie hat mich durch das Fenster angesehen. Sie hat geschrien, aber es war kein Ton zu hören. Als der Van über ein Schlagloch gefahren ist, ist sie vom Fenster verschwunden. Dann bin ich aufgewacht. Ich war so verschwitzt, dass ich mich umziehen musste.“

„Das tut mir leid, Keri“, sagte Ray. Sie widerstand dem Impuls, ihn anzusehen, sonst hätte er die Tränen in ihren Augen bemerkt.

„Werde ich sie jemals wieder sehen, Ray?“

„Wir werden sie finden. Zusammen. Das verspreche ich dir. Und wenn es so weit ist, dann gibt es eine Menge Geburtstagspartys nachzuholen. Vielleicht komme ich als Clown“, scherzte er. Er wollte sie aufmuntern. Sie ließ es zu.

„Das ist ja überhaupt nicht unheimlich.“

„Was meinst du? Ich bin ein Scherzkeks!“

„Du bist hoffnungslos. Ein Clowns-Kostüm macht es auch nicht besser, Paul Bunyan.“

„Wie du meinst, Feivel.“

Keri öffnete gerade den Mund um etwas zu entgegnen, als Rays Handy klingelte.

„Von der Glocke gerettet“, murmelte sie.

„Was gibt’s?“, begann er. Er hörte der Person am anderen Ende zu, dann holte er einen kleinen Notizblock aus der Tasche und kritzelte etwas darauf. Er sagte lange kein Wort.

„Danke, Garrett. Ich schulde dir was.“

„Worum ging es?“, fragte Keri, als er fertig war.

„Wir müssen los“, sagte er, stand auf und legte ein paar Scheine auf den Tresen. Sie gingen zum Ausgang.

„Mit wem hast du gesprochen?“

„Detective Patterson. Ich habe ihn gebeten, mir Bescheid zu geben, wenn es Neuigkeiten gibt. Er hat sich die Überwachungsvideos rund um die Schule angesehen. Du weißt doch noch, dass das vordere Nummernschild des Vans abmontiert war, oder?“

„Ja.“

„Scheint, als hätte er das Hintere vergessen. Es ist auf der Überwachungskamera eines Tattoo-Salons in Windward. Der Wagen gehört einem Typen namens Johnnie Cotton. Er hat eine ziemlich dicke Akte. Alles Weitere erzähle ich dir im Auto. Wichtigste Info: Er ist unter anderem ein Hobby-Dealer.“

„Und warum ist das wichtig?“

„Weil du einen seiner Kunden kennst.“

„Und wen?“, fragte Keri, als sie zum Auto gingen.

„Denton Rivers. Patterson sagt, dass er das soeben Sterling und Cantwell gegenüber zugegeben hat. Von ihm hatte er auch die Kratzer und die Platzwunde. Denton hat offenbar seine Schulden nicht bezahlt.“

„Glaubst du, dass Johnnie Cotton deswegen Ashley mitgenommen hat?“

„Das wäre möglich.“

„Und warum hast du es so eilig?“

„Gib mir deine Schlüssel.“

„Was? Warum?“

„Weil du mit dem Glenlivet nicht so gut umgehen kannst, wie du denkst.“

Keri musste zugeben, dass das warme Gefühl von vorhin noch nicht nachgelassen hatte. Sie warf ihm ihren Schlüsselbund zu.

„Sagst du mir jetzt, wohin wir so dringend gehen müssen?“

„Patterson hat mir gesagt, dass Hillman gerade ein Team zusammenstellt, das in 45 Minuten Cottons Wohnung durchsuchen soll.“

„Und?“

„Er wohnt bei Baldwin Hills.“

„Das ist keine zehn Minuten von hier“, bemerkte Keri.

„Ganz genau. Lust auf einen kleinen Ausflug?“

„Wir wurden von dem Fall abgezogen.“

„Du wurdest von dem Fall abgezogen. Ich bin krank gemeldet. Aber ich fühle mich auf einmal viel besser. Was soll ich tun, wenn du zufällig mit mir unterwegs bist, wenn ich einen heißen Tipp bekomme?“ Er grinste über das ganze Gesicht.

„Hillman wird dich umbringen.“

„Nicht, wenn ich bei der Mordkommission anfangen soll. Also, bist du dabei?“

Keri hob die Augenbrauen.

Was für eine Frage.

„Fahr los“, sagte sie.

Und schon rasten sie mit Blaulicht und Sirene die Straße hinunter. So würden sie bestimmt 30 Minuten vor den anderen bei Johnnie Cotton aufkreuzen.

Wenn er Ashley etwas angetan hat, wird er beten, dass die Verstärkung bald kommt.