Kitabı oku: «Gesicht des Todes», sayfa 2
„Du hast da draußen nicht viel gesagt“, sagte Shelley und brach endlich das Schweigen.
Zoe antwortete nicht sofort. „Nein“, stimmte sie zu, versuchte, freundlich zu klingen. Es gab nicht viel, das sie tun konnte, außer zuzustimmen.
Wieder herrschte Stille. Zoe berechnete im Kopf die Sekunden, begriff, dass es länger war, als für eine normale Pause in der Unterhaltung üblich.
Shelley räusperte sich. „Die Partner, die ich im Training hatte, die haben mit mir geübt, den Fall durchzusprechen“, sagte sie. „Zusammenzuarbeiten, um ihn zu lösen. Nicht alleine.“
Zoe nickte, ihr Blick blieb fest auf der Straße. „Ich verstehe“, sagte sie, obwohl Panik in ihr aufstieg. Sie verstand nicht – nicht völlig. Auf eine Art verstand sie, wie die Leute um sie herum empfanden, weil sie es ihr immer mitteilten. Aber sie wusste nicht, was sie damit anfangen sollte. Sie versuchte es schon, versuchte es, so gut sie konnte.
„Sprich nächstes Mal mit mir“, sagte Shelley, lehnte sich tiefer in ihren Sitz, als ob nun alles geklärt war. „Wir sind Partner. Ich möchte wirklich zusammenarbeiten.“
Das verhieß für die Zukunft nichts Gutes. Zoes letzter Partner hatte wenigstens ein paar Wochen gewartet, bevor er sich beschwert hatte, wie ruhig und unnahbar sie war.
Sie hatte gedacht, sie hätte es diesmal besser hinbekommen. Hatte sie nicht die Becher mit Kaffee gekauft? Und Shelley hatte sie vorhin angelächelt. Musste sie mehr Getränke kaufen, um es wieder auszugleichen? Gab es eine bestimmte Anzahl, auf die sie hinarbeiten sollte, um ihre Beziehung angenehmer zu gestalten?
Zoe sah die Straße vor der Windschutzscheibe vorbeirasen, unter einem sich allmählich verdunkelnden Himmel. Sie spürte, dass sie wohl noch etwas sagen sollte, aber sie wusste nicht, was. Das war alles ihre Schuld und sie wusste es.
Es schien für andere Leute immer so einfach zu sein. Sie sprachen und sprachen und sprachen, und wurden über Nacht Freunde. Sie hatte es oft geschehen sehen, aber es schien keine Regeln zu geben, die man befolgen konnte. Es wurde nicht durch eine festgelegte Zeitspanne definiert, oder der Anzahl der Interaktionen, oder der Menge der Dinge, die Menschen gemeinsam haben mussten.
Sie waren einfach wie durch Magie gut darin, mit anderen Leuten zurechtzukommen, so wie Shelley. Oder sie waren es nicht. Wie Zoe.
Nicht dass sie wusste, was sie falsch machte. Leute sagten ihr, sie solle wärmer und freundlicher sein, aber was genau bedeutete das? Niemand hatte ihr je ein Handbuch gegeben, in dem all die Dinge erklärt waren, die sie wissen musste. Zoe griff das Steuer fester, versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie aufgebracht sie war. Das war das Letzte, das Shelley sehen sollte.
Zoe begriff, dass sie selbst das Problem war. Sie machte sich darüber nichts vor. Sie wusste nur nicht, wie sie anders sein sollte, als sie war, während andere Leute es wussten und sie sich schämte, dass sie es nie gelernt hatte. Das zuzugeben würde irgendwie noch schlimmer sein.
* * *
Der Flug zurück nach Hause war noch ungemütlicher.
Shelley blätterte beiläufig durch die Seiten einer Frauenzeitschrift, die sie im Flughafen gekauft hatte, bedachte jede Seite lediglich mit einem oberflächlichen Blick, bevor sie aufgab und weiterblätterte. Nachdem sie sie von vorne bis hinten durch hatte, warf sie Zoe einen Blick zu, dann gelangte sie wohl zu der Überzeugung, dass es besser war, keine Unterhaltung anzufangen, und öffnete die Zeitschrift wieder, vertiefte sich mehr in die Artikel.
Zoe hasste es, so etwas zu lesen. Die Bilder, die Worte, alles sprang sie von der Seite aus an. Nicht zusammenpassende Schriftgrößen und Gesichter, widersprüchliche Artikel. Bilder, die beweisen sollten, dass irgendeine Prominente sich unters Messer gelegt hatte, die aber nur die normalen, durch Zeit und Alter verursachten Änderungen eines Gesichtes zeigten, die für jeden mit einem Grundverständnis menschlicher Biologie leicht berechenbar waren.
Mehrere Male versuchte Zoe zwanghaft, sich etwas einfallen zu lassen, was sie zu ihrer neuen Partnerin sagen könnte. Sie konnte nicht über die Zeitschrift reden. Was könnten sie sonst gemeinsam haben? Ihr fiel nichts ein.
„Gutes Ergebnis für unseren ersten Fall“, sagte sie schließlich, murmelte es, traute sich fast nicht, es zu sagen.
Shelley sah überrascht auf, ihre Augen einen Moment lang groß und leer, bevor sie grinste. „Oh ja“, sagte sie. „Wir waren gut.“
„Der nächste Fall wird hoffentlich ebenso glatt laufen.“ Zoe fühlte, wie sich ihr Inneres zusammenkrümmte. Warum war sie so schlecht im Plaudern? Es kostete sie absolute Konzentration, sich den jeweils nächsten Satz auszudenken.
„Vielleicht können wir nächstes Mal schneller sein“, schlug Shelley vor. „Du weißt schon, wenn wir wirklich aufeinander eingespielt sind, werden wir viel schneller arbeiten.“
Für Zoe fühlte es sich wie ein Schlag an. Sie hätten den Kerl schneller schnappen, den Hubschrauber direkt nach ihrer Ankunft an seinen genauen Aufenthaltsort schicken können, wenn Zoe nur mitgeteilt hätte, was sie wusste. Wenn sie nicht so besorgt darüber gewesen wäre, wie sie ihr Wissen erlangt hatte, dass sie es für sich behalten hatte.
„Vielleicht“, sagte sie unverbindlich. Sie versuchte, Shelley auf eine beruhigende Art anzulächeln, von erfahrener Agentin zu Neuling. Shelley erwiderte es ein wenig zögerlich und konzentrierte sich wieder auf ihre Zeitschrift.
Bis zur Landung sprachen sie nicht mehr.
Kapitel zwei
Zoe öffnete ihre Wohnungstüre mit einem Seufzer der Erleichterung. Das war ihr Himmel, der Ort, an dem sie sich entspannen konnte und nicht mehr versuchen musste, die Person zu sein, die alle akzeptierten.
Als sie das Licht anmachte, erklang aus Richtung der Küche ein leises Miauen und sobald Zoe ihre Schlüssel auf den Beistelltisch gelegt hatte, ging sie sofort dorthin.
„Hi, Euler“, sagte sie, beugte sich hinunter, um eine ihrer Katzen hinter den Ohren zu kraulen. „Wo ist Pythagoras?“
Euler, eine grau getigerte Katze, miaute als Antwort nur erneut und sah zum Schrank, in dem Zoe die Beutel und Dosen mit Katzenfutter aufbewahrte.
Zoe brauchte keinen Übersetzer, um das zu verstehen. Katzen waren einfach genug. Die einzige Interaktion, die sie wirklich brauchten, war Essen und ein gelegentliches Schmusen.
Sie nahm eine neue Dose aus dem Schrank und öffnete sie, löffelte den Inhalt in den Futternapf. Ihr Burmese, Pythagoras, witterte bald den Geruch und tapste aus irgendeinem anderen Teil ihres Zuhauses heran.
Zoe sah ihnen eine Weile beim Essen zu, fragte sich, ob sie lieber einen weiteren Menschen hätten, der sich um sie kümmerte. Ihr Alleinleben bedeutete, dass sie gefüttert wurden, wenn sie nach Hause kam, egal zu welcher Zeit das geschah. Sicher hätten sie einen regelmäßigeren Ablauf bevorzugt – aber wenn sie hungrig wurden, gab es genug Mäuse in der Gegend, die sie fangen konnten. Und Pythagoras hatte in letzter Zeit einige Pfund zugelegt. Eine Diät würde ihm gut tun.
Zoe würde ohnehin nicht in nächster Zeit heiraten – weder wegen der Katzen, noch aus irgendeinem anderen Grund. Sie hatte bisher noch nicht einmal eine ernste Beziehung gehabt. So, wie sie aufgewachsen war, hatte sie sich schon fast damit abgefunden, dass sie dazu bestimmt war, alleine zu sterben.
Ihre Mutter war streng religiös gewesen, im Sinne von intolerant. Zoe hatte nie die Stelle in der Bibel gefunden, die vorschrieb, dass man wie alle anderen kommunizieren und in sprachlichen Rätseln anstatt in mathematischen Formeln denken sollte, aber ihre Mutter hatte trotzdem genau das dort herausgelesen. Sie war überzeugt gewesen, dass mit ihrer Tochter etwa nicht in Ordnung war, etwas Sündiges.
Zoes Hand wanderte zu ihrem Schlüsselbein, fuhr die Linie entlang, an der einst ein silbernes Kreuz an einer Silberkette gehangen hatte. Während der vielen langen Jahre ihrer Kindheit und Jugend hatte sie das Ding nicht abnehmen können, ohne der Blasphemie beschuldigt zu werden – nicht einmal zum Duschen oder Schlafen.
Dagegen hatte sie nicht viel tun können, ohne dass sie beschuldigt wurde, das Kind des Teufels zu sein.
„Zoe“, hatte ihre Mutter dann gesagt, ihr mit dem Finger gedroht und die Lippen geschürzt. „Du hörst sofort mit dieser Dämonenlogik auf. Der Teufel steckt in dir, Kind. Du musst ihn austreiben.“
Dämonenlogik bedeutete anscheinend Mathematik, insbesondere wenn sie von einem sechsjährigen Kind benutzt wurde.
Ihre Mutter erwähnte immer und immer wieder, wie anders sie war. Wenn Zoe sich nicht mit den Kindern ihres Alters im Kindergarten oder in der Schule beschäftigte. Wenn sie keinem der nachmittäglichen Clubs beitrat, abgesehen von Zusatzunterricht in Mathematik und Wissenschaften, und nicht einmal dort Gruppen bildete oder Freundschaften schloss. Wenn sie die Verhältnisse zwischen den Zutatenmengen verstand, nachdem sie ihre Mutter nur einmal etwas backen gesehen hatte.
Zoe hatte sehr schnell gelernt, ihren natürlichen Sinn für Zahlen zu unterdrücken. Wenn sie die Antworten auf Fragen der Leute wusste, ohne es auch nur ausrechnen zu müssen, blieb sie ruhig. Wenn sie durch reine Charakterkenntnis und zurückgelassene Hinweise herausfand, welcher ihrer Klassenkameraden den Schlüssel des Lehrers gestohlen und versteckt hatte, und wo er versteckt sein musste, sagte sie kein Wort.
Es hatte sich wenig geändert, seitdem die verängstigte Sechsjährige, begierig, ihrer Mutter zu gefallen, aufgehört hatte, jeden kleinen seltsamen Gedanken auszusprechen und angefangen hatte, so zu tun, als ob sie normal sei.
Zoe schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Das war mehr als fünfundzwanzig Jahre her. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken.
Sie sah aus ihrem Fenster auf die Skyline von Bethesda, richtete ihren Blick wie immer präzise in die Richtung von Washington, D.C. aus. An dem Tag, an dem sie den Mietvertrag unterschrieben hatte, hatte sie herausgefunden, wie sie in die richtige Richtung sah, hatte mehrere örtliche Wahrzeichen bemerkt, die sich wie zu einem Kompass aufreihten. Es war nicht aus politischen oder patriotischen Gründen, sie mochte einfach die Art, wie sie zusammenpassten und auf der Landkarte eine perfekte Linie bildeten.
Es war dunkel draußen und sogar die Lichter in den anderen Gebäuden um sie herum wurden allmählich ausgemacht. Es war spät, spät genug, um alles zu erledigen und ins Bett zu gehen.
Zoe machte ihren Laptop an und tippte rasch ihr Password ein, öffnete ihr Emailpostfach, um zu sehen, ob es etwas Neues gab. Die letzte Aufgabe ihres Tages. Einige Mails konnte sie schnell löschen – Junkmail, vorwiegend Mitteilungen über Ausverkäufe von Marken, von denen sie nie etwas gekauft hatte und Gaunereien vorgeblicher nigerianischer Prinzen.
Nachdem sie den Junk gelöscht hatte, gab es nur noch einige Mails, die sie lesen und dann entfernen konnte, Botschaften, auf die keine Antwort erwartet wurde. Aktualisierungen von Social Mediaseiten, die sie selten besuchte und Newsletter von Websites, denen sie folgte.
Eins war etwas interessanter. Eine Nachricht von ihrem Online Dating Profil. Eine kurze, aber süße Nachricht – irgendein Typ, der nach einer Verabredung fragte. Zoe klickte sich zu seiner Seite durch und betrachtete seine Bilder, zog ihn in Erwägung. Sie ermittelte schnell seine tatsächliche Größe und war angenehm überrascht, dass sie mit dem übereinstimmte, was er in seine Angaben geschrieben hatte. Vielleicht jemand, der tatsächlich ehrlich war.
Die nächste Mail war noch interessanter, aber trotzdem war Zoe nicht danach, sie gleich zu lesen. Sie war von ihrer Mentorin und früheren Professorin, Dr. Francesca Applewhite. Sie konnte sich auch so vorstellen, um was die Professorin sie bitten würde und dass es ihr nicht gefallen würde.
Zoe seufzte und öffnete die Mail trotzdem, um das Unvermeidliche hinter sich zu bringen. Dr. Applewhite war brillant, die Art Mathematikerin, die sie in ihren Träumen immer hatte sein wollen, bis sie begriff, dass sie ihre Talente im Polizeidienst nutzen konnte. Francesca war auch der einzige andere Mensch, der wusste, auf welche Art ihr Gehirn arbeitete – die Synästhesie, die Hinweise in ihrem Gehirn in sichtbare Zahlen und dann Informationen verwandelte. Der einzige Mensch, den sie genug mochte und dem sie genug vertraute, um darüber zu reden.
Dr. Applewhite war diejenige gewesen, die sie überhaupt erst auf das FBI gebracht hatte. Sie schuldete ihr viel. Aber das war nicht der Grund, aus dem sie zögerte, ihre Email zu lesen.
Hi Zoe, stand in der Mail. Ich wollte nur fragen, ob Du die Therapeutin kontaktiert hast, die ich vorgeschlagen hatte. Konntest Du schon einen Termin ausmachen? Lass mich wissen, wenn Du Hilfe brauchst.
Zoe seufzte. Sie hatte die Therapeutin nicht kontaktiert und wusste eigentlich nicht, ob sie es tun würde. Sie schloss die E-Mail, ohne zu antworten, stufte sie auf eines der morgen anzugehenden Probleme zurück.
Euler sprang auf ihren Schoß, war offensichtlich mit dem Abendessen fertig und begann, zu schnurren. Zoe streichelte ihn erneut, sah auf ihren Bildschirm, überlegte.
Pythagoras miaute empört über die Vernachlässigung und Zoe sah ihn mit einem liebevollen Lächeln an. Es war nicht unbedingt ein Zeichen, aber es reichte, um sie tätig werden zu lassen. Sie kehrte zu der vorherigen Mitteilung von der Datingseite zurück und tippte eine Antwort, bevor sie es sich überlegen konnte.
Ja, ich würde mich gerne treffen. Wann passt es Dir? – Z.
* * *
„Nach dir“, sagte er lächelnd und deutete auf den Brotkorb.
Zoe erwiderte das Lächeln und nahm ein Stück Brot, berechnete in Gedanken automatisch die Breite und Höhe jedes Stücks, um eines zu wählen, das irgendwo in der Mitte lag. Sie wollte nicht zu gierig aussehen.
„Also, was machst du, John?“ fragte Zoe. Es war einfach genug, die Unterhaltung auf diese Art zu beginnen – sie war schon auf genügend Verabredungen gewesen, um zu wissen, dass es die Standardeinleitung war. Außerdem war es immer eine gute Idee, sicherzustellen, dass er einen guten Verdienst hatte.
„Ich bin Anwalt“, sagte John und nahm auch ein Stück Brot. Das größte Stück. Um die 300 Kalorien. Er würde halb satt sein, bevor der Hauptgang serviert wurde. „Ich habe meistens mit Eigentumsstreitigkeiten zu tun, also gibt es zwischen deiner und meiner Arbeit nicht viele Überschneidungen.“
Zoe dachte an das durchschnittliche Einkommen eines Anwalts für Eigentumsrecht in der Gegend und nickte stumm, während Berechnungen durch ihr Gehirn rasten. Zusammen würden sie sich leicht die Hypothek für ein Haus mit drei Schlafzimmern leisten können, und das war nur für den Anfang. Platz für ein Kinderzimmer. Genug Karriereentwicklungsmöglichkeiten, um sich später noch zu verbessern.
Sein Gesicht war auch fast symmetrisch. Seltsam, wie oft das in letzter Zeit vorkam. Es wurde nur durch eine Sache gestört, die Art, wie er nur mit der rechten Wange lächelte, während die linke fast unbeweglich blieb. Ein schiefes Lächeln. Das war irgendwie charmant, vielleicht wegen der Asymmetrie. Sie zählte die korrekte Anzahl perfekt gerader weißer Zähne, die zwischen seinen Lippen aufblitzten.
„Wie sieht es mit deiner Familie aus? Geschwister?“ probierte John mit leicht stockender Stimme.
Zoe begriff, dass sie zumindest irgendeine Bemerkung zu seiner Arbeit hätte machen müssen und rappelte sich gedanklich auf. „Nur ich“, sagte sie. „Meine Mom hat mich aufgezogen. Wir sind uns nicht nah.“
John zog für den Bruchteil einer Sekunde eine Augenbraue hoch, bevor er nickte. „Oh, das ist Mist. Meine Familie steht sich sehr nah. Wir treffen uns mindestens einmal im Monat zu einem Familienessen.“
Zoes Blick flitzte über seine schlanke Gestalt und sie ging davon aus, dass er bei diesen Treffen sicher nicht wenig aß. Allerdings ging er offensichtlich ins Fitnessstudio. Was er wohl stemmen konnte? Wenn man von den sich unter einem blaugestreiften Hemd abzeichnenden Armmuskeln ausging, sicher 200 Pfund.
Es hatte nun eine Weile Schweigen zwischen ihnen geherrscht. Zoe riss ein Stück Brot ab und schob es sich in den Mund, kaute es dann so schnell wie sie konnte, um ihren Mund wieder freizubekommen. Die Leute sprachen nicht mit vollem Mund, zumindest nicht in guter Gesellschaft, also diente es ihr als eine Art Ausflucht.
„Bist du das einzige Kind?“ fragte Zoe, sobald der Bissen dick und stockend ihre Kehle heruntergerutscht war. Nein, dachte sie. Mindestens zwei Geschwister.
„Ich habe einen älteren Bruder und Schwester“, sagte John. „Es liegen nur vier Jahre zwischen uns, also verstehen wir uns ziemlich gut.“
Hinter ihm, über seine Schulter hinweg, sah Zoe ihre nicht mal 1,60 Meter große Kellnerin mit einem schweren Getränketablett kämpfen. Zwei Weinflaschen inmitten von sieben Gläsern, alle für einen lärmenden Tisch am Ende einer Reihe mit Sitznischen. Alle im gleichen Alter. Freunde aus dem College, die Wiedersehen feierten.
„Das ist sicher schön“, sagte Zoe vage. Sie dachte eigentlich nicht, dass es schön wäre, ältere Geschwister zu haben. Sie hatte keine Ahnung, wie es sein würde. Es war lediglich eine weitere Erfahrung, die sie nie gemacht hatte.
„Ja, das würde ich sagen.“
Johns Antworten wurden distanzierter. Er stellte ihr keine Fragen mehr. Sie hatten noch nicht mal den Hauptgang hinter sich gebracht.
Zoe war ziemlich erleichtert, als sie die Kellnerin mit zwei Tellern zu ihnen kommen sah, die perfekt auf ihrem Arm balanciert wurden, das Gewicht gleichmäßig zwischen Ellbogen und Handfläche verteilt.
„Oh, unser Essen ist da“, sagte sie, eher um ihn abzulenken, als aus irgendeinem anderen Grund.
John sah sich um, bewegte sich mit einer geschmeidigen Anmut, die seine regelmäßigen Fitnessstudiobesuche definitiv bestätigte. Er war kein übler Kerl, gut genug. Gutaussehend, charmant, mit einem guten Job. Zoe versuchte, sich auf ihn zu konzentrieren, sich einzubringen. Beim Essen sollte es einfacher sein. Sie starrte das Essen auf ihrem Teller an – siebenundzwanzig Erbsen, das Steak genau fünf Zentimeter dick – und versuchte, sich durch nichts von dem ablenken zu lassen, was er sagte.
Trotzdem bemerkte sie die unbehaglichen Gesprächspausen genauso wie er.
Als sie fertig waren, bot er an, alles zu bezahlen – 37,97 $ wäre ihr Anteil gewesen – und Zoe nahm dankbar an. Sie vergaß, dass sie zumindest einmal widersprechen sollte, um ihm die Möglichkeit zu geben, darauf zu bestehen, aber es fiel ihr ein, als sie bemerkte, dass seine Mundwinkel sich leicht nach unten zogen, als er der Kellnerin seine Kreditkarte gab.
„Nun, das war ein toller Abend“, sagte John, während er sich umsah und im Aufstehen seine Anzugjacke zuknöpfte. „Das ist ein nettes Restaurant.“
„Das Essen war wunderbar“, murmelte Zoe und stand ebenfalls auf, obwohl sie lieber noch etwas sitzen geblieben wäre.
„Ich habe mich gefreut, dich kennenzulernen, Zoe“, sagte er. Er streckte seine Hand aus. Als sie sie nahm, beugte er sich vor und küsste sie auf die Wange, so knapp wie möglich, bevor er sich wieder entfernte.
Kein Angebot, sie zu ihrem Auto zu begleiten, oder nach Hause zu fahren. Keine Umarmung, keine Bitte, sie wiederzusehen. John war freundlich genug – ganz schiefes Lächeln und behutsame Gesten – aber die Botschaft war deutlich.
„Ich mich auch, John“, sagte Zoe, ließ ihn vor ihr das Restaurant verlassen, während sie ihre Handtasche aufnahm, damit es auf dem Gang zum Parkplatz kein weiteres gezwungenes Geplauder geben würde.
In der Abgeschiedenheit ihres Autos ließ Zoe sich auf den Fahrersitz fallen und verbarg ihren Kopf in ihren Händen. Dumm, dumm, dumm. Das konnte man keinem erzählen, dass man mit der Schrittweite der verschiedenen Kellner so beschäftigt war, dass man sich nicht auf die charmante, gutaussehende, ausgesprochen geeignete Verabredung konzentrieren konnte.
Es wurde zu viel. Zoe wusste es tief in ihrem Herzen, und hatte es wahrscheinlich schon eine ganze Weile gewusst. Sie konnte sich mittlerweile kaum auf Hinweise im sozialen Umgang konzentrieren, ohne dass sie von Berechnungen und Ergründung von Mustern abgelenkt wurde. Es war schlimm genug, dass sie die meisten Hinweise nicht verstand, wenn sie sie sah oder hörte, aber sie nicht einmal zu bemerken, war noch schlimmer.
„Was für ein Freak“, murmelte sie, sich bewusst, dass außer ihr niemand sie hören würde. Angesichts dessen wollte sie zugleich lachen und weinen.
Auf der gesamten Heimfahrt ging Zoe die Ereignisse des Abends gedanklich immer und immer wieder durch. Siebzehn unbehagliche Sprechpausen. Mindestens zwanzig Momente, in denen John von ihr mehr Interesse erwartet haben musste. Wer weiß, wie viele sie nicht einmal bemerkt hatte. Ein kostenloses Abendesse mit Steak – kein ausreichender Trost für das Gefühl, sich wie die Art Außenseiter zu fühlen, die alleine und einsam sterben würde.
Mit Katzen, natürlich.
Nicht einmal Euler und Pythagoras, die miauten und den Abend über darum wetteiferten, wer auf dem Sofa auf ihren Schoß springen durfte, konnten sie aufheitern. Sie hob beide hoch und setzte sie runter, nicht im Geringsten überrascht, als sie sofort das Interesse verloren und auf der Rückenlehne des Sofas herumstreiften.
Sie öffnete erneut Dr. Applewhites Email, betrachtete die Nummer der Therapeutin, die sie ihr geschickt hatte.
Es könnte nicht schaden, oder?
Zoe tippte langsam eine Zahl nach der anderen in ihr Handy, obwohl sie die Nummer nach einem Blick auswendig gewusst hatte. Sie fühlte, wie ihr Atem stockte, während ihre Finger über der grünen Anruftaste schwebten, drückte sie trotzdem, hob das Handy ans Ohr.
Ring-ring-ring.
Ring-ring-ring.
„Hallo“, erklang eine weibliche Stimme am anderen Ende.
„Hallo—“ begann Zoe, unterbrach sich aber selbst, als die Stimme fortfuhr.
„Sie haben das Büro von Dr. Lauren Monk erreicht. Leider rufen Sie außerhalb unserer Sprechzeiten an.“
Zoe stöhnte innerlich. Anrufbeantworter.
„Wenn Sie einen Termin machen, einen Termin verschieben oder eine Nachricht hinterlassen möchten, tun Sie dies bitte nach dem P—“
Zoe riss das Handy von ihrem Ohr, als ob es in Flammen stünde und beendete den Anruf. Pythagoras maute lautstark in die Stille hinein, sprang dann von der Seitenlehne des Sofas auf ihre Schulter.
Sie musste diesen Termin machen und das bald. Sie versprach es sich. Aber es würde nicht schaden, noch einen Tag zu warten, nicht wahr?