Kitabı oku: «Ruhend», sayfa 3
KAPITEL FÜNF
Als Samantha morgens das Rushville Polizeirevier betrat, hatte sie das ungute Gefühl, dass ihr einiger Ärger bevorstand. Gestern hatte sie ein paar Anrufe getätigt, die sie vielleicht nicht hätte machen sollen.
Vielleicht sollte ich endlich lernen, mich nur um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, dachte sie.
Doch irgendwie fiel es ihr schwer, sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
Sie versuchte immer, die Dinge richtigzustellen – manchmal auch Dinge, die nicht richtiggestellt werden konnten, oder Dinge, von denen andere Leute nicht wollten, dass man sie richtigstellte.
Wie immer wenn sie zur Arbeit kam, konnte Sam keinen einzigen Cop weit und breit entdecken. Nur die Sekretärin des Chiefs, Mary Ruckle, saß bereits an ihrem Platz.
Die anderen Polizisten machten sich oft über Sam lustig…
„Die gute alte verlässliche Sam“, sagten sie. „Morgens immer die erste und abends die letzte.“
Jedoch klangen diese Bemerkungen meist eher nach Spott als nach Anerkennung. Sie versuchte sich stets vor Augen zu führen, dass es für sie ganz natürlich war, die „gute alte verlässliche Sam“ aufzuziehen. Sie war jünger als sie alle und arbeitete zudem noch nicht so lange auf dem Rushville Revier. Es half auch nicht, dass sie die einzige Frau im gesamten Revier war.
Einen Moment lang schien Mary Ruckle Sams Ankunft gar nicht bemerkt zu haben. Sie war damit beschäftigt, sich die Fingernägel zu lackieren – eine Beschäftigung, mit der sie den Großteil des Arbeitstages zubrachte. Sam verstand den Reiz einer Maniküre nicht. Sie hatte unlackierte Nägel, die sie regelmäßig schnitt, was einer der vielen Gründe sein mochte, weshalb die Leute sie für nun ja…
Unweiblich hielten.
Nicht dass Sam gefunden hätte, dass Mary Ruckle sonderlich attraktiv gewesen wäre. Ihr Gesicht war immer angespannt und hatte diesen Ausdruck von Gemeinheit, so als hätte ihr jemand eine zwickende Wäscheklammer auf die Nase gesetzt. Immerhin war Mary verheiratet und hatte drei Kinder, und nur wenige Leute in Rushville trauten Sam zu, vergleichbares zu erreichen.
Ob Sam selbst so ein Leben wollte, wusste sie nicht. Sie versuchte, nicht zu viel über die Zukunft nachzudenken. Vielleicht war das der Grund, aus dem sie sich immer so intensiv auf genau das konzentrierte, was ihr an jedem gegebenen Tag bevorstand. Sie konnte sich nicht wirklich irgendeine Zukunft für sich selbst vorstellen, zumindest sagte ihr keine derjenigen Optionen zu, die ihr hier in Rushville offenstanden.
Mary pustete auf ihre Nägel und als sie zu Sam aufschaute sagte sie…
„Chief Crane will dich sehen.”
Sam nickte seufzend.
Genau wie erwartet, dachte sie.
Sie betrat das Büro des Chiefs. Er spielte gerade Tetris auf seinem Computer.
„Einen Moment“, grummelte er, als er hörte, dass Sam den Raum betreten hatte.
Abgelenkt von Sams Ankunft verlor er das Spiel nur wenige Augenblicke später.
„Verdammt“, sagte er und starrte weiter auf den Bildschirm.
Sam machte sich bereit. Er war wahrscheinlich schon vorher sauer auf sie gewesen. Das Verlieren der Tetrispartie hatte seine Laune bestimmt nicht besser gemacht.
Der Chief drehte sich in seinem Drehstuhl zu ihr um und sagte…
„Kuehling, setzen.“
Sam setzte sich gehorsam auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Er starrte sie einige Momente lang betont nachdenklich an während seine Fingerspitzen in Dreieckspose wichtigtuerisch in die Höhe ragten. Wie immer konnte er Sam damit nicht beeindrucken.
Crane war um die Dreißig, er sah auf eine langweilige Art und Weise gut aus – so wie Sam sich einen Versicherungskaufmann vorstellte. Dank des Machtvakuums das Chief Jason Swihart hinterlassen hatte als er vor zwei Jahren plötzlich wegzog, war Crane zum Polizeichief aufgestiegen.
Swihart war ein guter Chief gewesen, und alle hatten ihn gemocht, Sam miteingeschlossen. Swihart hatte ein tolles Jobangebot von einer Sicherheitsfirma im Silicon Valley bekommen, das er verständlicherweise sofort angenommen hatte.
Deshalb unterstanden nun Sam und all die anderen Cops dem neuen Chief Carter Crane. In Sams Augen verkörperte er die Mittelmäßigkeit der gesamten sehr mittelmäßigen Abteilung. Sam hätte es nie offen zugegeben, aber sie war überzeugt, dass sie ein hellerer Kopf war als Crane und alle anderen Cops ihres Reviers zusammengenommen.
Es wäre schön, mal eine Chance zu bekommen, das auch zu zeigen, dachte sie.
Endlich sagte Crane: „Ich habe einen interessanten Anruf gestern Nacht erhalten – von einem gewissen Spezialagenten Brent Meredith aus Quantico. Du wirst nicht glauben, was er mir erzählt hat. Andererseits, wer weiß, vielleicht weißt du selbst es ja schon viel besser als ich.“
Sam seufzte entnervt und sagte: „Komm schon, Chief. Komm auf den Punkt. Ich habe gestern Nachmittag das FBI verständigt, ja. Ich habe mit mehreren Leuten gesprochen, bevor ich dann mit Meredith verbunden wurde. Ich dachte, dass irgendjemand das FBI schließlich benachrichtigen müsste. Sie sollten hier sein und uns helfen.“
Crane grinste böse und sagte: „Lass mich raten, du denkst noch immer, dass Gareth Ogdens vorgestern Nacht von einem Serienmörders ermordet worden ist. Und zu allem Überfluss kommt der deiner Meinung nach auch noch direkt aus Rushville.“
Sam verdrehte die Augen.
“Muss ich das wirklich alles nochmal erklären?“, fragte sie. „Die gesamte Bonnett Familie wurde hier vor einigen Jahren eines Nachts ermordet. Irgendjemand hat ihnen die Köpfe mit einem Hammer eingeschlagen. Der Fall ist nie gelöst worden.“
Crane nickte und sagte: „Und du denkst, dass derselbe Mörder nun nach zehn Jahren aus seinem Versteck gekommen ist.“
Sam zuckte mit den Schultern und sagte: „Das ist eine ziemlich offensichtliche Verbindung. der modus operandi ist identisch.“
Crane wurde plötzlich laut.
„Es gibt hier keinerlei Verbindung. Wir sind das doch alles gestern schon einmal durchgegangen. Der modus operandi ist ein bloßer Zufall. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Gareth Ogden von einem durchreisenden Obdachlosen umgebracht wurde. Wir verfolgen jede Spur, die wir haben. Doch wenn er seine Tat nicht irgendwo noch einmal wiederholt, werden wir ihn vermutlich nie erwischen.“
Sam spürte, wie Ungeduld in ihr zu kochen begann.
Sie sagte: „Wenn es bloß ein durchreisender Obdachloser war, wieso gibt es keinerlei Anzeichen eines Raubs oder Überfalls?“
Crane schlug mit der Handfläche auf den Tisch.
„Verdammt nochmal, du willst auch wirklich nicht aufgeben, oder? Wir wissen nicht, ob nichts gestohlen wurde. Ogden war dumm genug, seine Eingangstür nicht abzuschließen. Vielleicht war er auch so dumm, einen Haufen Geld auf dem Kaffeetisch liegen zu lassen. Der Mörder hat das gesehen und beschlossen, es sich unter den Nagel zu reißen, bevor oder nachdem er Ogden den Schädel eingeschlagen hat.“
Crane legte seine Hände ineinander und fügte hinzu…
„Klingt das nicht wesentlich plausibler, als von irgendeinem Psychopath auszugehen, der zehn lange Jahre… im Übrigen was genau gemacht hat? Winterschlaf?“
Sam holte tief Luft.
Fang diese Diskussion jetzt nicht noch einmal von vorne an, sagte sie sich.
Es ergab keinen Sinn, noch einmal zu erklären, was genau an Cranes Theorie sie störte. Zum einen war es der Hammer. Sie hatte selbst nachgesehen und bemerkt, dass Ogdens Hammer alle noch säuberlich in seinem Werkzeugkasten verstaut waren. Schleppte dieser Durchreisende also einen Hammer mit sich, wenn er von einer Stadt zur nächsten zog?
Das war sicherlich möglich.
Doch es kam ihr ein bisschen lächerlich vor.
Crane grummelte beleidigt: „Ich habe diesem Meredith Typen gesagt, dass du gelangweilt bist und eine überaus aktive Fantasie hast, und dass er es vergessen soll. Aber um ehrlich zu sein, war das ganze Gespräch ziemlich peinlich. Ich mag es nicht, wenn meine Leute über mich hinweg eigene Entscheidungen treffen. Es war nicht deine Sache, diese Anrufe zu machen. Das FBI um Hilfe zu bitten ist meine Aufgabe, nicht deine.“
Sam musste sich auf die Zunge beißen, um ihre Gedanken nicht laut auszusprechen.
Es gelang ihr, mit ruhiger Stimme zu sagen…
„Ja, Chief.“
Crane gab einen scheinbar erleichterten Seufzer von sich.
„Ich werde es dieses eine Mal dabei belassen und kein Disziplinarverfahren einleiten“, sagte er. „Um ehrlich zu sein, wäre ich echt froh, wenn keiner der Kerle herausfindet, dass das alles passiert ist. Hast du irgendjemandem von dem Quatsch erzählt, den du da getrieben hast?“
„Nein, Chief.“
„Dann sollte das auch so bleiben“, sagte Crane.
Daraufhin wandte er sich von ihr ab und begann ein neues Tetrisspiel. Sam verließ sein Büro, ging zu ihrem Tisch und setzte sich, um in Ruhe über diese Niederlage nachzudenken.
Wenn ich mit niemandem darüber sprechen darf, explodiere ich, dachte sie.
Doch hatte sie gerade versprochen, den anderen Cops nichts von alldem zu erzählen.
Wer blieb dann noch?
Ihr fiel genau eine Person ein… diejenige, die überhaupt der Grund gewesen war, weshalb sie hier war, um sich in diesem Job zu behaupten…
Mein Dad.
Er war selbst Cop gewesen, als damals die Bonnett Familie hier ermordet worden war.
Die Tatsache, dass der Fall nie gelöst worden war, hatte ihn jahrelang beschäftigt.
Vielleicht kann mir Dad irgendetwas darüber erzählen, dachte sie.
Vielleicht hatte er irgendwelche Gedanken dazu.
Doch Sam begriff schnell, dass das wahrscheinlich keine sonderlich gute Idee war. Ihr Vater wohnte jetzt in einem örtlichen Altersheim und war mittlerweile dement. Er hatte gute und schlechte Tage, doch einen Fall aus seiner Vergangenheit zu erwähnen, würde ihn ganz bestimmt nur verstören und verstimmen. Und das wollte Sam nicht.
Bevor ihr Partner Dominic für ihre morgendliche Rundfahrt hier eintrudelte, gab es nicht viel zu tun. Sie hoffte, dass er bald kommen würde, sodass sie ihre Runde fahren konnten, bevor die Hitze zu drückend wurde. Heute wurden außerordentlich hohe Temperaturen erwartet.
Sich bis dahin den Kopf über etwas zu zerbrechen, an dem sie sowieso nichts ändern konnte, war wohl wenig sinnvoll – auch wenn es sich dabei um einen Serienmörder handelte, der sich direkt hier in Rushville aufhielt, einen Mörder, der sich womöglich gerade darauf vorbereitete, erneut zuzuschlagen.
Versuch nicht daran zu denken, sagte sie sich.
Dann gähnte sie und murmelte…
„Als ob mir das gelingen würde.“
KAPITEL SECHS
Blaine saß am Steuer und fuhr sie zurück nach Fredericksburg, als Rileys Handy vibrierte. Sie war überrascht und besorgt zu sehen, von wem der Anruf kam.
Handelt es sich um irgendeinen Notfall? fragte sie sich.
Gabriela rief nie einfach nur an, um zu quatschen, und sie hatte explizit versprochen, sie während ihrer zwei Wochen am Strand nicht zu stören. Sie hatte Riley nur ab und zu eine SMS geschickt, um sie wissen zu lassen, dass zuhause alles in Ordnung war.
Rileys Vorahnung schien sich zu bewahrheiten, als sie den Anruf annahm und sofort die Panik in Gabrielas Stimme ausmachte…
„Señora Riley – wann werden Sie zuhause sein?“
„In ungefähr einer halben Stunde“, antwortete Riley. „Wieso?“
Sie hörte, wie Gabriela tief Luft holte bevor sie weitersprach…
„Er ist hier.“
„Von wem sprichst du?“, fragte Riley nach.
Als Gabriela nicht sofort antwortete, verstand Riley endlich…
„Oh mein Gott“, sagte sie. „Ryan ist da?“
„Sí“, antwortete Gabriela.
„Was will er?“, wollte Riley wissen.
„Er sagt es mir nicht. Aber er sagt, es ist wichtig. Er will auf Sie warten.“
Beinahe hätte Riley Gabriela gebeten, Ryan ans Telefon zu holen. Doch dann dämmerte ihr, dass, was auch immer Ryan von ihr wollte, er das sicherlich nicht am Telefon mit ihr besprechen wollte. Nicht während die anderen im Auto ihr zuhörten.
Stattdessen sagte Riley: „Lass ihn wissen, dass ich bald zuhause sein werde.“
„Das werde ich“, antwortete Gabriela.
Sie legte auf und starrte aus dem Autofenster.
Nach wenigen Augenblicken sagte Blaine: „Ähm… habe ich gerade richtig gehört, war da die Rede von…?“
Riley nickte.
Die Mädchen hatten auf der Rückbank Musik gehört und von dem Gespräch nichts mitbekommen. Doch nun war auch ihre Aufmerksamkeit geweckt.
„Was ist?“, fragte April. „Was ist los?“
Riley seufzte und sagte: „Es ist dein Vater. Er ist zuhause und wartet auf uns.“
April und Jilly stöhnten beide laut auf.
Dann fragte Jilly: „Kannst du Gabriela nicht sagen, dass sie ihn vor die Tür setzen soll?“
Riley war versucht zu gestehen, dass sie tatsächlich große Lust dazu gehabt hätte. Allerdings hätte sie es nicht fair gefunden, diese Aufgabe auf Gabriela abzuwälzen.
Stattdessen sagte sie…
„Du weißt, dass ich das nicht machen kann.“
April und Jilly stöhnten beide erneut, dieses Mal noch genervter.
Riley konnte nur zu gut verstehen, wie ihre beiden Töchter sich fühlten. Ryans letzter unangekündigter Besuch bei ihnen Zuhause war für alle unangenehm verlaufen – nicht zuletzt für Ryan selbst. Sein wiederholter Versuch sich bei den Mädchen anzubiedern, hatte nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. April hatte sich ihm gegenüber sehr kühl benommen und Jilly war einfach nur unhöflich gewesen.
Riley konnte keiner der beiden deshalb Vorwürfe machen.
Einmal zu viel hatte Ryan ihnen Hoffnungen gemacht, dass er ihnen ein Vater sein würde, nur um sie im Nachhinein wieder komplett hängenzulassen. Die Mädchen wollten nun nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Was will er nur schon wieder? fragte Riley sich und seufzte.
Was auch immer es war, sie hoffte, dass es nicht ihre gute Laune und die schönen Erinnerungen an den Urlaub, den sie gerade miteinander verbracht hatten, trüben würde. Es waren wundervolle zwei Wochen gewesen, trotz Rileys Traum von ihrem Vater. Seitdem hatte sie ihr Bestes gegeben, um Agent Merediths Anruf zu vergessen.
Doch nun schien die Nachricht von Ryans Besuch ihre düsteren Gedanken wieder hervorzulocken.
Ein Hammer, dachte sie.
Jemand wurde mit einem Hammer ermordet.
Sie ermahnte sich streng, dass sie das Richtige getan hatte, als sie Chief Meredith abgesagt hatte. Außerdem hatte er sie seitdem auch nicht noch einmal angerufen, was sicherlich nur bedeuten konnte, dass er es doch nicht so ernst genommen hatte.
Es war wahrscheinlich nichts, dachte sie.
Nur ein Fall für die örtliche Polizei.
*
Die Anspannung hatte merklich zugenommen als Blaine endlich den SUV vor Rileys Townhaus parkte. Ein teurer Audi parkte bereits dort. Es war natürlich Ryans Auto – doch konnte Riley sich nicht erinnern, ob es dasselbe Auto war, mit dem er letztes Mal gekommen war. Es gefiel ihm, immer das neueste Modell zu fahren, unabhängig davon, wie viel ihn das kostete.
Nachdem sie geparkt hatten, begann Blaine nervös einige Worte zu stammeln. Er wollte Riley und ihren Töchtern helfen, ihre Koffer ins Haus zu tragen, aber…
„Wäre das nicht komisch?“, fragte Blaine Riley.
Riley unterdrückte ein genervtes Seufzen.
Natürlich war es das, dachte sie.
Blaine und Ryan hatten sich nur wenige Male gesehen, und diese Treffen waren alles andere als herzlich verlaufen – zumindest was Ryans Verhalten anging. Blaine hatte sein Bestes gegeben, Ryan gegenüber wohlgesonnen zu sein, doch Ryan hatte durchgehend gekränkt und feindselig gewirkt.
Riley, April und Jilly konnten ihre Koffer ohne Probleme auch alleine ins Haus bringen. Sie waren nicht wirklich auf Blaines Hilfe angewiesen. Außerdem wollte Riley vermeiden, Blaine in eine unangenehme Situation zu bringen, und doch…
Warum zur Hölle sollte es ausgerechnet Blaine unangenehm sein, sich in meinem Haus aufzuhalten?
Blaine und Crystal wegzuschicken, war keine Lösung für ihr Problem.
Riley sagte zu Blaine: „Kommt einfach mit rein.“
Also stiegen sie aus und trugen sämtliche Koffer ins Haus. Zusammen mit Darby, Jillys kleinem Hund, der riesige Ohren hatte, stand Gabriela bereits an der Tür und nahm die Heimkehrenden in Empfang. Der Hund sprang freudig um sie herum, doch Gabriela sah nicht annähernd so freudig aus wie Darby.
Als sie die Koffer im Flur abstellten, konnte Riley Ryan bereits im Wohnzimmer sitzen sehen. Eine leichte Panik stieg in ihr auf, als sie sah, dass er zwei Koffer dabeihatte…
Plant er etwa, hier wieder einzuziehen?
Aprils schwarzweiße Katze Marbles lag schnurrend auf seinem Schoß.
Ryan schaute auf.
Er lächelte schwach und sagte mit ziemlich wehleidiger Stimme…
„Ein Kätzchen und ein Hund! Wahnsinn, wie viel sich verändert hat!“
Mit flinken Händen und einem genervten Murmeln riss April die Katze von Ryans Schoß.
Ryan sah so aus, als hätte ihn die Geste verletzt. Doch Riley konnte verstehen, wie sich April fühlen musste.
Als April und Jilly sich beide in Richtung der Treppe aufmachten, sagte Riley…
„Wartet, Mädchen. Habt ihr Blaine und Crystal nichts zu sagen?“
Ein wenig bestürzt darüber, dass sie es beinahe vergessen hatten, dankten April und Jilly Blaine und Crystal für die schöne Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten.
Crystal umarmte jede von ihnen. „Ich rufe dich morgen an“, sagte sie zu April.
„Und nehmt eure Sachen mit nach oben“, wies Riley die beiden an.
April und Jilly schnappten sich beide ihre Koffer. Da April noch immer Marbles auf dem Arm hatte, sammelte Jilly die restlichen Sachen auf. Mit Darby auf ihren Fersen, stiegen die beiden schließlich die Treppe hinauf. Wenige Sekunden später hörte man das Knallen zweier Türen.
Gabriela warf Ryan einen bestürzten Blick zu und verschwand in ihre eigene Wohnung.
Ryan sah Blaine an und sagte vorsichtig: „Hi, Blaine. Ich hoffe, ihr hattet alle einen guten Urlaub.“
Riley stand vor Staunen der Mund offen.
Er macht sich die Mühe, höflich zu sein, dachte sie.
Nun war sie sich sicher, dass hier etwas mächtig faul war.
Blaine machte eine leichte Bewegung mit der Hand und sagte: „Es war super, Ryan. Wie geht es dir?“
Ryan zuckte mit den Schultern und antwortete nicht.
Riley hatte fest vor, sich von Ryan nicht beeinflussen zu lassen.
Sie küsste Blaine liebevoll auf den Mund und sagte: „Danke für die wundervolle Zeit.“
Blaine wurde rot, offensichtlich verunsichert durch die Gesamtsituation.
„Danke dir – und den Mädchen“, sagte er.
Crystal schüttelte Riley die Hand und dankte ihr ebenso.
Blaine flüsterte Riley zu: „Ruf mich nachher an.“
Riley nickte, und Blaine verließ mit seiner Tochter das Haus.
Riley holte tief Luft und wandte sich nun der letzten im Wohnzimmer verbleibenden Person zu. Ihr Ex-Mann starrte sie mit einem stummen und flehenden Blick an.
Was will er? fragte sie sich aufs Neue.
Immer wenn Ryan auftauchte, hatte Riley sich normalerweise eingestehen müssen, dass ihr Ex-Mann nach wie vor ein sehr attraktiver Mann war – etwas größer, älter und durchtrainierter als Blaine, immer perfekt gepflegt und gut gekleidet. Doch dieses Mal war etwas anders. Er sah zerknittert, traurig und kaputt aus. Sie hatte ihn noch nie so gesehen.
Riley wollte ihn gerade fragen, was los sei, als er sagte…
„Hast Du vielleicht etwas zu trinken?“
Riley blickte ihm ins Gesicht. Es sah mager und fahl aus. Sie fragte sich…
Ob er in letzter Zeit öfter trinkt?
Hat er bereits etwas getrunken, bevor er hierhergekommen ist?
Sie spielte kurz mit dem Gedanken seine Bitte abzulehnen, stand dann aber auf, ging in die Küche und machte zwei Gläser mit Bourbon auf Eis fertig. Sie brachte die Drinks ins Wohnzimmer und setzte sich in den Sessel direkt gegenüber von ihm. Sie wartete bis er selbst zu sprechen begann.
In sich zusammengesunken und mit hängenden Schultern sagte er schließlich mit heiserer Stimme…
„Riley – ich bin ruiniert.“
Rileys Mund stand offen.
Was meinte er damit? fragte sie sich.
KAPITEL SIEBEN
Riley saß da und starrte ihn an. Ryan wiederholte seine Worte abermals…
„Ich bin ruiniert. Mein ganzes Leben – ruiniert.“
Riley war erschüttert. Sie konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so viel Niedergeschlagenheit ausgestrahlt hatte. Arroganz und Selbstsicherheit waren viel eher seine Art.
„Was meinst du damit?“, fragte sie ihn.
Er seufzte tief und elendig und sagte dann: „Paul und Barrett – sie drängen mich aus der Kanzlei.“
Riley konnte ihren Ohren nicht trauen.
Paul Vernasco und Barrett Gaynor waren Ryans Partner seitdem die drei die Kanzlei zusammen gegründet hatten. Darüber hinaus waren sie immer Ryans engste Freunde gewesen.
Sie fragte: „Was um Himmels Willen ist denn zwischen euch passiert?“
Ryan zuckte mit den Schultern und sagte zurückhaltend: „Sie meinen, dass ich zur Bürde für die Kanzlei geworden bin… ich weiß es nicht.“
Doch Riley hatte den starken Eindruck, dass er genau wusste, wovon die Rede war und wieso seine Partner ihn loswerden wollten.
Sie brauchte nur einen Versuch, um den Grund zu erraten.
„Sexuelle Belästigung“, sagte sie.
Ryan stöhnte auf.
„Schau, es war alles nur ein Missverständnis“, sagte er.
Riley musste sich fast auf die Zunge beißen, um nicht zu antworten…
„Ja, na klar war es nur ein Missverständnis.“
Rileys Blick vermeidend begann Ryan: „Ihr Name ist Kyanne, sie ist Juniorpartnerin. Sie ist jung…“
Seine Stimme verstummte für einen Moment, und Riley dachte…
Natürlich ist sie jung.
Sie waren immer alle jung.
Ryan sagte: „Ich dachte, dass alles auf Gegenseitigkeit beruhte. Wirklich. Es hat mit einem harmlosen Flirt begonnen – auf beiden Seiten, glaub mir. Dann ist alles eskaliert… naja, sie ist zu Paul und Barrett und hat sich über das feindseliges Arbeitsumfeld beschwert. Sie haben versucht, sie mit einer Vertraulichkeitsvereinbarung zu besänftigen, aber sie wollte nicht klein beigeben. Sie war nicht zu überzeugen, außer damit, dass ich gehe.“
Er verstummte wieder, und Riley versuchte sich das, was er ungesagt ließ, dazu zu denken. Es war nicht schwer, sich ein mögliches Szenario vorzustellen. Ryan war von einer schönen und lebhaften Juniorpartnerin bezaubert worden, womöglich einer ambitionierten jungen Frau, die ein Auge auf eine mögliche Partnerschaft in der Kanzlei geworfen hatte.
Wie weit ist Ryan gegangen? fragte Riley sich.
Sie bezweifelte, dass er ihr im Tausch gegen sexuelle Gefälligkeiten eine Beförderung versprochen hatte…
So ein Widerling ist er nun auch wieder nicht, dachte sie.
Und vielleicht sagte Ryan ja sogar die Wahrheit, wenn er meinte, dass die Anziehung auf Gegenseitigkeit beruht hatte, zumindest anfangs. Vielleicht hatten sie sogar eine Affäre mit beidseitigem Einverständnis gehabt. Doch an irgendeinem Punkt war etwas schief gegangen und der Frau, Kyanne, hatte nicht gefallen, was dann passiert war.
Wahrscheinlich aus gutem Grund, dachte Riley sich.
Was hätte Kyanne auch anderes tun können, als zu erkennen, dass ihre Zukunft in der Kanzlei von ihrer Beziehung zu Ryan abhing? Er war schließlich ein vollwertiger Partner. Er hatte die Macht in ihrer Beziehung.
Und doch stimmte etwas nicht, das konnte Riley spüren…
Sie sagte: „Also drängen Paul und Barrett dich zum Gehen? Das ist ihre Lösung?“
Ryan nickte, und Riley schüttelte ungläubig den Kopf.
Paul und Barrett waren selbst keine Heiligen. Im Laufe der Jahre hatte Riley mehrfach mitanhören müssen, zu welch abwertende Bemerkungen sich die drei Partnern hinabließen. Sie war sich sicher, dass deren eigenes Verhalten dem Ryans um nichts nachstand – möglicherweise sogar um einiges schlimmer war.
Sie sagte: „Ryan, du hast gesagt, dass sie keine Vertraulichkeitsvereinbarung unterzeichnen wollte.“
Ryan nickte und nahm einen Schluck.
Sehr vorsichtig fuhr Riley fort: „Wie viele Vertraulichkeitsvereinbarungen wegen sexueller Belästigung sind denn über die Jahre auf deinem Konto verbucht worden?“
Ryan stöhnte erneut auf, und Riley wusste, dass sie auf die schmerzhafte Wahrheit gestoßen war.
Sie fügte hinzu: „Und Paul und Barrett – wie viele Vertraulichkeitsvereinbarungen gehen auf deren Konten?“
Ryan fuhr fort: „Riley, ich würde nur äußerst ungerne solche Details –“
„Nein, natürlich würdest du das nur ungern preisgeben“, unterbrach Riley ihn. „Ryan, du wirst hier als Sündenbock benutzt. Das weißt du, oder? Paul und Barrett versuchen das Image der Kanzlei reinzuwaschen, es so aussehen zu lassen, als hätten sie eine Null-Toleranz Grenze was Belästigung angeht. Indem sie dich loswerden, wollen sie das demonstrieren.“
Ryan zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich weiß. Aber was soll ich machen?“
Riley wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie wollte ihm gegenüber kein Mitgefühl zeigen. Er hatte sich diese Grube über die Jahre hinweg selbst gegraben. Trotzdem ärgerte es sie, wie seine Partner ihn jetzt ans Messer lieferten.
Aber sie wusste, dass es nichts gab, was er jetzt noch dagegen unternehmen konnte. Außerdem bereitete ihr etwas anderes mehr Sorgen.
Sie zeigte auf die Koffer und fragte: „Was sollen denn die hier?“
Ryan blickte einen Augenblick zu den Koffern.
Dann sagte er mit stockender Stimme: „Riley, ich kann nicht nach Hause.“
Riley musste Luft holen.
„Was meinst Du damit?“, fragte sie. „Hast du dein Haus verloren?“
„Nein, noch nicht. Es ist nur…“
Ryans Stimme stockte, dann sagte er…
„Ich kann das nicht alleine durchstehen. Ich kann nicht alleine in diesem Haus wohnen. Ich erinnere mich andauernd an glückliche Zeiten mit dir und April. Ich denke ständig daran, wie ich alles ruiniert habe. Das Haus bricht mir das Herz, Riley.“
Er holte ein Taschentuch hervor und betupfte seine Augen. Riley war ratlos. Sie hatte Ryan sehr selten weinen gesehen. Beinahe hätte sie selbst zu weinen begonnen.
Doch sie wusste, dass sie gerade ein ernsthaftes Problem zu lösen hatte.
Sie sagte mit sanfter Stimme…
„Ryan, hier kannst du nicht bleiben.“
Ryan fiel in sich zusammen wie ein Luftballon, in den sich ein Nagel bohrte. Riley wünschte, dass ihre Worte ihn weniger verletzt hätten. Aber sie musste ehrlich mit ihm sein.
„Ich habe jetzt mein eigenes Leben“, sagte sie. „Ich habe zwei Mädchen, um die ich mich kümmern muss. Und es ist ein gutes Leben. Blaine und ich meinen es ernst miteinander – sehr ernst. Es ist sogar so, dass…“
Sie wollte ihm schon von Blaines Plänen erzählen, sein eigenes Haus für sie auszubauen.
Aber sie sah ein, dass das gerade zu viel gewesen wäre.
Stattdessen sagte sie: „Du kannst das alte Haus verkaufen.“
„Ich weiß“, sagte Ryan, immer noch leise weinend. „Das hatte ich geplant. Aber in der Zwischenzeit… ich kann einfach nicht dort wohnen.“
Riley wollte gerne etwas tun, um ihn zu trösten – seine Hand halten, ihn umarmen oder ihm irgendeine andere körperliche Geste des Trosts geben.
Es war verlockend und einige ihrer alten Gefühle für ihn kamen wieder in ihr hoch, aber…
Tu es nicht, sagte sie sich.
Bleib cool.
Denk an Blaine.
Denk an die Kinder.
Ryan schluchzte nun wie ein Schlosshund. Mit beinahe schon wahnsinniger Stimme sagte er…
„Riley, es tut mir leid. Ich will noch einmal von vorne anfangen. Ich will ein guter Ehemann und ein guter Vater sein. Ich könnte es bestimmt, wenn wir es nur… noch einmal versuchen würden.“
Sie hielt weiterhin Abstand zu ihm und sagte…
„Ryan, das können wir nicht. Dafür ist es viel zu spät.“
„Es ist nie zu spät“, rief Ryan. „Lass uns einfach wegfahren, nur wir beide, alles wird wieder gut.“
Riley spürte einen Schauder.
Er begreift nicht, was er da sagt, dachte sie.
Er hat gerade einen Nervenzusammenbruch.
Sie war sich nun ziemlich sicher, dass er schon früher am Tag getrunken haben musste.
Dann sagte er mit einem nervösen Lachen…
„Ich hab’s! Lass uns zur alten Hütte deines Vaters fahren! Ich war noch nie dort, kannst du dir das vorstellen? Nicht einmal in all den Jahren. Wir könnten dort einige Tage verbringen und –“
Riley unterbrach ihn scharf: „Ryan, nein.“
Er starrte sie an, als könne er seinen Ohren nicht trauen.
In besänftigendem Ton fuhr Riley fort: „Ich habe die Hütte verkauft, Ryan. Aber selbst wenn ich sie noch gehabt hätte…“
Sie verstummte für einen Moment und sagte dann…
„Ryan, du musst dich da jetzt selbst durchkämpfen. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich kann es nicht.“
Ryans Schultern sackten nach unten, und sein Schluchzen wurde leiser. Er schien sich Rileys Worte zu Herzen zu nehmen.
Sie sagte: „Du bist ein starker, kluger, einfallsreicher Mann. Du kannst das alles noch zu deinen Gunsten wenden. Ich weiß, dass du das kannst. Aber ich kann da nicht mitspielen. Es wäre nicht gut für mich – und wenn du ehrlich mit dir selbst bist, dann weißt du, dass es auch für dich nicht gut wäre.“
Ryan nickte elendig.
„Du hast Recht“, sagte er, nun mit festerer Stimme. „Ich hab’ es mir selbst eingebrockt, und nun muss ich es auch selbst wieder geradebiegen. Es tut mir leid, dass ich dich damit belästigt habe. Ich gehe jetzt.“
Als er sich erhob, sagte Riley…
„Warte einen Moment. Du bist gerade in keinem Zustand um hinters Steuer zu steigen. Lass mich dich fahren. Du kannst zurückkommen und dein Auto abholen, wenn es dir wieder besser geht.“
Ryan nickte erneut.
Riley war erleichtert, dass sie sich jetzt nicht erst darüber streiten mussten, und dass sie nicht gezwungen war, ihm die Autoschlüssel mit Gewalt wegzunehmen.
Riley wagte es nun auch, ihn am Arm zu nehmen, um ihn hinaus und zu ihrem eigenen Auto zu führen. Er schien sie auch tatsächlich als Stütze zu brauchen.
Während der Fahrt schwiegen sie beide. Als sie vor dem großen schönen Haus vorfuhren, in dem sie einst alle zusammen gewohnt hatten, sagte er: „Riley, es gibt da etwas, dass ich dir noch sagen wollte. Ich… ich finde, dass du das richtig toll machst. Und ich wünsche dir wirklich alles Gute.“
Riley hatte plötzlich einen Kloß im Hals.
„Oh, Ryan –“, begann sie.
„Nein, hör mir bitte zu, das ist jetzt wichtig. Ich bewundere dich. Du hast so viele großartige Dinge getan. Du warst immer eine gute Mutter für April, und nun hast du Jilly adoptiert, und jetzt hast du eine neue Beziehung begonnen, und ich sehe, dass er ein wirklich toller Kerl ist. Und nebenbei hast du zu allem Überfluss auch noch deine Arbeit gemacht, die Bösen geschnappt und Leben gerettet. Ich weiß nicht, wie du es machst. Dein Leben ist einfach stimmig.“
Riley war zutiefst überwältigt – und gleichzeitig zutiefst verstört.
Wann war das letzte Mal gewesen, dass Ryan so etwas zu ihr gesagt hatte?
Sie wusste einfach nicht, was sie ihm antworten konnte.
Zu ihrer Erleichterung stieg Ryan aus, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Riley saß noch im Auto und starrte auf das Haus, in dem Ryan verschwand. Sie fühlte wirklich mit ihm. Sie konnte sich selbst nicht vorstellen, jetzt alleine in diesem Haus zu sein – nicht mit all den Erinnerungen, die es beherbergte, den guten wie den schlechten.