Kitabı oku: «Verschwunden», sayfa 4
Kapitel 7
Bill fand sich in einem Meer aus blauen Augen, keine davon echt. Er hatte normalerweise keine Albträume von einem Fall und er hatte auch jetzt keinen – aber es fühlte sich definitiv so an. In der Mitte des Puppenladens konnte man den blauen Augen nicht entkommen; alle weit offen, glänzend und wachsam.
Die kleinen kirschroten Lippen der Puppen, die meisten lächelnd, waren ebenso beunruhigend. Genau wie das penibel gekämmte, künstliche Haar, so steif und unbeweglich. Als er all diese Details betrachtete, fragte Bill sich, wie er die Absicht des Killers nicht hatte sehen können – seine Opfer so puppenähnlich wie möglich erscheinen zu lassen. Er hatte Riley gebraucht um die Verbindung herzustellen.
Gott sei Dank ist sie zurück, dachte er.
Trotzdem machte Bill sich Sorgen um sie. Er war von ihrer brillanten Arbeit im Mosby Park geblendet gewesen, aber auf der Fahrt zurück sah sie erschöpft und demoralisiert aus. Sie hatte kaum etwas zu ihm gesagt. Vielleicht war es doch zu viel für sie gewesen.
Er wünschte sich das Riley jetzt mit ihm hier wäre. Sie hatten entschieden, dass es besser wäre sich aufzuteilen, um schneller voranzukommen. Dagegen konnte er nichts sagen. Sie hatte ihn gebeten die Puppenläden in diesem Gebiet zu überprüfen, während sie sich den letzten Tatort noch einmal ansah.
Bill sah sich um und war leicht überfordert. Er fragte sich, was Riley von diesem Laden halten würde. Es war der eleganteste den er bisher gesehen hatte. Am Rand der großen Umgehungsstraße kam vermutlich viel reiche Kundschaft aus dem Norden Virginias.
Bill schlenderte durch die Regale und eine kleine Puppe fiel ihm ins Auge. Mit ihrem pinken Lächeln und der bleichen Haut erinnerte sie ihn besonders an das letzte Opfer. Auch wenn sie mit ihrem pinken Kleidchen vollständig angezogen war, saß sie in einer verstörend ähnlichen Position.
Plötzlich wurde Bill von einer Stimme neben sich überrascht.
“Ich denke Sie sind in der falschen Abteilung.”
Bill drehte sich um und stand einer stämmigen, kleinen Frau mit einem warmen Lächeln gegenüber. Etwas an ihr sagte ihm, dass sie hier das Sagen hatte.
“Warum sagen Sie das?” fragte Bill.
Die Frau lachte leicht.
“Weil Sie keine Töchter haben. Ich sehe einem Mann auf einen Kilometer Entfernung an, ob er Töchter hat oder nicht. Fragen Sie nicht wie, es ist nur eine Art Instinkt, nehme ich an.”
Bill war verblüfft und auch beeindruckt.
Sie reichte ihm die Hand.
“Ruth Behnke,” sagte sie.
Bill schüttelte ihre Hand.
“Bill Jeffreys. Ich nehme an Ihnen gehört der Laden.”
Sie lachte wieder.
“Ich sehe Sie haben auch ihre Instinkte,” sagte sie. “Freut mich Sie kennenzulernen. Aber Sie haben Söhne, oder? Ich würde sagen, drei?”
Bill lächelte. Ihre Instinkte waren mehr als gut. Er nahm an, dass sie und Riley sich gut verstehen würden.
“Zwei,” erwiderte er. “Aber ziemlich nah dran.”
Sie zwinkerte ihm zu.
“Wie alt?” fragte sie.
“Acht und zehn.”
Sie sah sich um.
“Ich weiß nicht, ob ich hier viel für sie habe. Oh, ich habe tatsächlich ein paar altmodische Soldaten im nächsten Gang. Aber das ist nichts, was Jungs heutzutage noch mögen, oder? Jetzt geht es nur noch um Videospiele. Meistens recht gewalttätige.”
“Das befürchte ich auch.”
Sie nickte wohlwollend.
“Sie sind also nicht hier um eine Puppe zu kaufen, oder?” fragte sie.
Bill lächelte und schüttelte den Kopf.
“Sie sind gut,” sagte er.
“Sind Sie vielleicht ein Polizist?” fragte sie.
Bill musste grinsen und zog seine Marke aus der Tasche.
“Nicht ganz, aber wieder gut geraten.”
“Ach du meine Güte,” sagte sie besorgt. “Was hat das FBI mit meinem kleinen Laden zu tun? Bin ich auf irgendeiner Liste?”
“Sozusagen,” erwiderte Bill. “Aber nichts worüber Sie sich Sorgen machen müssten. Ihr Laden ist bei einer Suche aufgetaucht, nach Orten, an denen Antiquitäten und Sammlerpuppen verkauft werden.”
Tatsächlich war Bill sich nicht sicher, wonach er eigentlich suchte. Riley hatte vorgeschlagen, dass er sich einige der Läden ansah, da der Mörder sie regelmäßig besuchen könnte – oder es zumindest einmal hatte. Er wusste nicht, was sie sich davon erhoffte. Erwartete sie, dass der Killer selber hier zu finden sein würde? Oder das einer der Mitarbeiter den Killer getroffen hatte?
Er bezweifelte, dass das der Fall war. Selbst wenn, dann würden sie ihn sicherlich nicht als Mörder erkannt haben. Wahrscheinlich waren alle Männer die herkamen etwas gruselig.
Wahrscheinlicher war, dass Riley versuchte Einblick in den Geist des Mörder zu bekommen, in die Art und Weise wie er die Welt sah. Falls das stimmte, würde sie vermutlich enttäuscht werden. Er hatte einfach nicht den gleichen Verstand wie sie oder ihre Gabe sich in den Mörder zu versetzen.
Es schien ihm, als würde sie nach Strohhalmen greifen. Es gab dutzende Puppenläden innerhalb des Radius’, den sie durchsuchten. Es wäre besser, dachte er, die forensischen Mitarbeiter den Hersteller der Puppen nachverfolgen zu lassen. Auch wenn das bisher leider noch nichts gebracht hatte.
“Ich würde fragen, um was für einen Fall es sich handelt,” sagte Ruth, “aber wahrscheinlich sollte ich das lieber nicht.”
“Nein,” sagte Bill, “sollten Sie nicht.”
Nicht, dass der Fall länger geheim gehalten wurde – nicht nachdem Senator Newbroughs Leute eine Pressemitteilung herausgegeben hatten. Die Medien berichteten auf allen Kanälen darüber. Wie immer wurde das Büro mit falschen Telefonhinweisen überflutet und im Internet konnte man allerlei bizarre Theorien lesen.
Das Ganze war eine lästige Angelegenheit geworden.
Aber warum sollte er der Frau davon erzählen? Sie schien nett zu sein und ihr Laden war so anständig und unschuldig, dass Bill ihn nicht mit etwas so grausigem und schockierenden belasten wollte, wie einem Serienmörder, der besessen von Puppen ist.
Es gab trotzdem noch etwas, das er wissen wollte.
“Erzählen Sie mir, wie viele Verkäufe sie an Erwachsene machen,” bat er. “Ich meine Erwachsene ohne Kinder.”
“Das sind bei weitem die meisten meiner Verkäufe. An Sammler.”
Bill war fasziniert. Damit hatte er nicht gerechnet.
“Woran, denken Sie, liegt das?” fragte er.
Die Frau lächelte ihn seltsam an und sprach in einem sanften Ton.
“Weil Menschen sterben, Bill Jeffreys.”
Bill sah sie verdutzt an.
“Wie bitte?” fragte er.
“Wenn wir älter werden, verlieren wir Menschen. Unsere Freunde und unsere Lieben sterben. Wir trauern. Puppen halten für uns die Zeit an. Sie lassen uns die Trauer vergessen. Sie trösten und beruhigen uns. Sehen Sie sich um. Ich habe Puppen hier, von denen einige fast hundert Jahre alt sind und andere fast neu. Bei vielen werden sie keinen Unterschied sehen können. Sie sind alterslos.”
Bill sah sich um. Die Augen der alten Puppen auf sich starren zu haben, war gruselig und sie fragte sich, wie viele Menschen diese Puppen überlebt hatten. Er fragte sich, was sie alles gesehen hatten – die Liebe, die Wut, die Trauer und die Gewalt. Und trotzdem starrten sie ihn mit dem gleichen, leeren Gesichtsausdruck an. Das machte für ihn keinen Sinn.
Menschen sollten älter werden, dachte er. Sie sollten alt und grau werden, so wie er, wenn man all den Horror und die Dunkelheit bedachte, die in der Welt herrschten. Nach allem was er gesehen hatte, wäre es eine Sünde, dachte er, wenn er immer noch gleich aussehen würde. Die Tatorte hatten sich wie lebende Organismen in ihn versenkt, hatten dafür gesorgt, dass er nicht mehr jung bleiben wollte.
“Sie sind also – nicht lebendig,” sagte Bill schließlich.
Ihr Lächeln wurde bittersüß, fast mitleidig.
“Ist das wirklich wahr, Bill? Die meisten meiner Kunden denken nicht so. Ich bin mir auch nicht sicher, dass ich das denke.”
Eine merkwürdige Stille breitete sich aus, das die Frau schließlich mit einem leichten Lachen unterbrach. Sie reichte ihm eine bunte kleine Broschüre mit Fotos von Puppen.
“Wie es sich gerade ergibt, bin ich bald auf einer Tagung in D.C. Vielleicht wollen Sie auch hingehen. Möglicherweise kann es Ihnen dabei helfen herauszufinden, wonach Sie suchen.”
Bill dankte ihr und verließ den Laden, dankbar für den Tipp bezüglich der Tagung. Er hoffte, dass Riley mit ihm hingehen würde. Bill erinnerte sich, dass sie an diesem Nachmittag Senator Newbrough und seine Frau befragen sollte. Es war ein wichtiges Treffen – nicht nur weil der Senator wichtige Informationen haben könnte, sondern auch aus diplomatischen Gründen. Newbrough setzte das Büro ziemlich unter Druck. Riley war genau die richtige Agentin um ihn davon zu überzeugen, dass sie alles taten, was sie konnten.
Aber wird sie wirklich auftauchen? fragte er sich.
Es kam ihm seltsam vor, dass er sich nicht sicher war. Noch vor sechs Monaten war Riley die einzige verlässliche Sache in seinem Leben gewesen. Er hatte ihr immer mit seinem Leben vertraut. Aber ihre offensichtliche Verstörtheit machte ihm Sorgen.
Noch mehr als das; er vermisste sie. So sehr er auch manchmal von ihrem schnellen Verstand eingeschüchtert war, brauchte er sie bei einem Fall wie diesem. Während der letzten sechs Wochen war ihm klar geworden wie sehr er ihre Freundschaft brauchte.
Oder war es tief drinnen vielleicht doch mehr als das?
Kapitel 8
Riley fuhr den zweispurigen Highway entlang und nippte an ihrem Energy Drink. Es war ein sonniger, warmer Morgen, ihre Autofenster waren unten und der warme Geruch von frisch gerolltem Heu erfüllte die Luft. Die Wiesen entlang der Straße wurden von Vieh beweidet und die Berge fassten das Tal auf beiden Seiten ein. Es gefiel ihr hier draußen.
Aber sie erinnerte sich selber daran, dass sie nicht hergekommen war, um sich gut zu fühlen. Sie hatte Arbeit zu tun.
Riley bog auf einen vielbefahrenen Schotterweg ab und kurze Zeit später erreichte sie eine Kreuzung. Sie bog in den Nationalpark ab und hielt dann ein Stück weiter neben der Straße.
Sie stieg aus und ging über das offene Gebiet zu einer großen, stämmigen Eiche, die an der nordöstlichen Ecke stand.
Das war der Ort. Hier war Eileen Rogers‘ Leiche gefunden worden – unbeholfen vor dem Baum positioniert. Sie und Bill waren zusammen vor sechs Monaten hier gewesen. Riley fing an die Szene in ihrem Kopf nachzubilden.
Der größte Unterschied war das Wetter. Damals war es Mitte Dezember gewesen und bitterkalt. Eine dünne Schicht Schnee hatte den Boden bedeckt.
Geh zurück, sagte sie sich selbst. Geh zurück und fühle es.
Sie atmete tief ein und aus, bis sie sich die schneidende Kälte vorstellen konnte, wie sie durch ihren Hals strömte. Sie konnte fast die dicken Wolken sehen, die sich mit jedem Atemzug vor ihrem Mund im Frost bildeten.
Der nackte Körper war steif gefroren gewesen. Es war daher nicht einfach gewesen festzustellen, welche Wunden durch ein Messer zugefügt und welche Risse durch die Kälte entstanden waren.
Riley rief sich die Szenerie zurück ins Gedächtnis, bis hin zum allerkleinsten Detail. Die Perücke. Das aufgemalte Lächeln. Die offenen Augen. Die künstliche Rose, die zwischen den ausgestreckten Beinen der Leiche lag.
Die Bilder in ihrem Kopf waren jetzt klar. Nun musste sie das gleiche tun wie am Tag zuvor – ein Gefühl für den Verstand des Killers bekommen.
Sie schloss wieder die Augen, entspannte sich und schritt in den dunklen Abgrund. Sie hieß das benommene, schwindelige Gefühl willkommen während sie sich in die Gedanken des Mörders versetzte. Bald würde sie bei ihm sein, in ihm, genau sehen was er sah, fühlen was er fühlte.
Er war nachts hierher gefahren, alles andere als selbstbewusst. Er hatte die Straße ängstlich betrachtete, besorgt über das Eis unter seinen Rädern. Was, wenn er die Kontrolle verlor und in einen Graben rutschte? Er hatte eine Leiche an Bord. Er würde mit Sicherheit geschnappt werden. Er musste vorsichtig fahren. Er hatte gehofft sein zweiter Mord würde einfacher sein als der erste, aber er war immer noch ein Nervenbündel.
Er hielt den Wagen an. Er zog den Körper aus dem Auto – nackt, nahm Riley an – ins Freie. Aber es war schon steif von der Leichenstarre. Damit hatte er nicht gerechnet. Es frustrierte ihn und erschütterte sein Selbstbewusstsein. Dass er nicht wirklich sehen konnte, was er tat, nicht einmal mit den Scheinwerfern auf den Baum gerichtet, machte es noch schlimmer. Die Nacht war viel zu dunkel. Er machte sich eine mentale Notiz das nächste Mal, wenn möglich, bei Tageslicht zu fahren.
Er zog den Körper zum Baum und versuchte ihn in der Pose zu drapieren, die er sich vorgestellt hatte. Es funktionierte nicht gut. Der Kopf der Frau war nach links gefallen, steif gefroren durch die Leichenstarre. Er riss und zog daran. Selbst nachdem er ihr Genick gebrochen hatte konnte er ihn nicht gerade nach vorne richten.
Und wie sollte er die Beine richtig spreizen? Eins der Beine war hoffnungslos angewinkelt. Er hatte keine andere Wahl als das Brecheisen aus dem Wagen zu holen und ihren Oberschenkel und ihre Kniescheibe zu zertrümmern. Dann drehte er das Bein so gut wie möglich, aber konnte es nicht zu seiner Zufriedenheit ausrichten.
Schließlich ließ er die pinke Schleife um ihren Hals zurück, die Perücke auf ihrem Kopf und die Rose im Schnee. Dann war er wieder ins Auto gestiegen und davongefahren. Er war enttäuscht und entmutigt gewesen. Und er hatte Angst gehsbt. Hatte er in seiner Unbeholfenheit einen verhängnisvollen Hinweis hinterlassen? Er wiederholte jede Handlung immer wieder in seinem Kopf, aber er konnte sich nicht sicher sein.
Er wusste, er musste es beim nächsten Mal besser machen. Er versprach sich selbst, dass er es besser machen würde.
Riley öffnete die Augen. Sie ließ die Präsenz des Killers verblassen. Sie war mit sich selbst zufrieden. Sie hatte sich nicht überwältigen lassen. Und sie hatte wertvolle Einblicke bekommen. Sie hatte ein Gefühl dafür bekommen wie der Mörder sein Handwerk lernte.
Sie wünschte nur, dass sie etwas – egal was – über seinen ersten Mord wüsste. Sie war sich sicherer als je zuvor, dass er schon vorher getötet hatte. Das hier war die Arbeit eines Lehrlings gewesen, nicht die eines Anfängers.
Gerade als Riley sich umdrehte, um zu ihrem Auto zurückzugehen, fiel ihr Blick auf etwas im Baum. Ein kleiner gelber Fleck war sichtbar, wo sich der Baum über ihrem Kopf teilte.
Sie ging an den Baum heran und sah nach oben.
“Er ist nochmal hier gewesen!” keuchte Riley laut. Schauer liefen ihr über den Rücken und sie sah sich nervös um. Niemand schien in der Nähe zu sein.
In die Äste des Baums gesetzt, starrte eine nackte, weibliche Puppe mit blonden Haaren auf Riley herunter, in der gleichen Weise positioniert, in der der Mörder sein Opfer hatte drapieren wollen.
Sie konnte noch nicht lange hier sein – höchstens drei oder vier Tage. Sie war noch nicht durch Wind bewegt oder Regen beschädigt worden. Der Mörder war hergekommen, als er sich selbst auf den Mord an Reba Frye vorbereitet hatte. So wie Riley es getan hatte, war er hergekommen um seine Arbeit zu reflektieren, seine Fehler kritisch zu betrachten.
Sie machte Fotos mit ihrem Handy und schickte sie sofort an das Büro.
Riley wusste, warum er die Puppe hier zurückgelassen hatte.
Eine Entschuldigung für vergangene Schlampigkeit, dachte sie.
Es war außerdem ein Versprechen für bessere Arbeit in der Zukunft.
Kapitel 9
Riley fuhr in die Richtung von Senator Mitch Newbroughs Herrenhaus und ihr Herz füllte sich mit Grauen, als es in Sichtweite kam. Am Ende einer langen, mit Bäumen gesäumten Auffahrt, stand es riesig, formell und einschüchternd. Sie hatte es schon immer schwerer gefunden mit den Reichen und Mächtigen umzugehen, als mit Leuten weiter unten auf der sozialen Leiter.
Sie parkte in dem gepflegten Zirkel vor dem Haus. In der Tat das Haus einer sehr reichen Familie.
Sie stieg aus und ging zu den gewaltigen Eingangstüren. Nachdem sie geklingelt hatte, wurde sie an der Tür von einem proper aussehenden Mann um die Dreißig begrüßt.
“Ich bin Robert,” sagte er. “Der Sohn des Senators. Und Sie müssen Spezialagentin Paige sein. Kommen Sie rein. Meine Mutter und mein Vater erwarten Sie.”
Robert Newbrough führte Riley ins Haus, das sie sofort wieder daran erinnerte, dass sie diese Art von pompösen Häusern nicht leiden konnte. Das Newbrough Haus war besonders groß und der Weg bis zu dem Raum, in dem der Senator und seine Frau warteten, war unangenehm lang. Riley war sich sicher, dass es eine Art Einschüchterungstaktik war seine Gäste so lange gehen zu lassen; ein Weg um mitzuteilen, dass die Bewohner dieses Hauses zu mächtig waren um sich mit ihnen anzulegen. Riley fand die Dekoration und die Möbel aus der Kolonialzeit außerdem alles andere als schön.
Mehr als alles andere graute ihr vor dem, was in dem Raum auf sie wartete. Für sie war das Reden mit den Familien von Opfern einfach nur schrecklich – viel schlimmer als mit den Tatorten oder sogar den Opfern umzugehen. Es war zu einfach sich in die Trauer, die Wut und die Verwirrung der Leute einwickeln zu lassen. Diese intensiven Emotionen störten ihre Konzentration und lenkten sie von ihrer Arbeit ab.
Während sie durch das Haus gingen, sagte Robert Newbrough, “Vater ist zu Hause, seit …”
Er brach in der Mitte des Satzes ab und Riley konnte das Ausmaß seines Verlustes spüren.
“Seit wir von Reba gehört haben,” fuhr er fort. “Es ist schrecklich. Mutter ist besonders erschüttert. Versuchen Sie sie nicht zu sehr aufzuregen.”
“Mein Beileid für ihren Verlust,” sagte Riley.
Robert ignorierte sie und führte Riley in ein geräumiges Wohnzimmer. Senator Mitch Newbrough und seine Frau saßen zusammen auf einer riesigen Couch und hielten sich an den Händen.
“Agentin Paige,” stellte Robert sie vor. “Agentin Paige, lassen Sie mich meine Eltern vorstellen, den Senator und seine Frau, Annabeth.”
Robert bot Riley einen Platz an und setzte sich dann selbst.
“Zuerst,” sagte Riley ruhig, “möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.”
Annabeth Newbrough nahm dies mit einem stillen Nicken zur Kenntnis. Der Senator starrte einfach weiter geradeaus.
In dem kurzen Schweigen, das folgte, versuchte Riley ihre Gesichter einzuschätzen. Sie hatte Newbrough oft im Fernsehen gesehen, immer mit seinem Politikerlächeln. Jetzt lächelte er nicht. Riley hatte noch nicht viel von Frau Newbrough gesehen, die die typische Fügsamkeit einer Politikerfrau zu besitzen schien.
Beide waren Anfang sechzig. Riley bemerkte, dass sie beide große Anstrengungen unternommen hatten um jünger auszusehen – Haarimplantate, gefärbtes Haar, Lifting im Gesicht, Make-up. Rileys Meinung nach hatten ihre Bemühungen nur dafür gesorgt, dass sie leicht künstlich aussahen.
Wie Puppen, dachte Riley.
“Ich muss Ihnen einige Fragen über ihre Tochter stellen,” sagte Riley und nahm ihr Notizbuch aus der Tasche. “Standen Sie in letzter Zeit in engem Kontakt zu Reba?”
“Oh ja,” sagte Frau Newbrough. “Wir stehen uns sehr nahe.”
Riley bemerkte eine leichte Steifigkeit in der Stimme der Frau. Es klang wie etwas, das sie schon zu oft gesagt hatte, ein wenig zu routiniert. Riley war sich ziemlich sicher, dass das Familienleben in Newbrough alles andere als ideal gewesen war.
“Hat Reba etwas davon gesagt, dass sie sich bedroht fühlte?” fragte Riley.
“Nein,” sagte Frau Newbrough. “Nicht ein Wort.”
Riley beobachtete den Senator, der noch nichts gesagt hatte. Sie fragte sich, warum er so ruhig war. Sie musste ihn aus seinem Schweigen locken, aber wie?
Jetzt meldete sich Robert.
“Sie hat kürzlich eine hässliche Scheidung durchlebt. Paul und sie haben sich um das Sorgerecht ihrer beiden Kinder gestritten.”
“Oh, ich konnte ihn nie leiden,” sagte Frau Newbrough. “Er war so launisch. Denken Sie, dass er möglicherweise…?”
Riley schüttelte den Kopf.
“Ihr Exmann ist kein wahrscheinlicher Verdächtiger,” sagte sie.
“Warum um Himmels willen nicht?” fragte Frau Newbrough.
Riley wog in ihrem Kopf ab was sie ihnen sagen sollte und was nicht.
“Sie haben vielleicht gelesen, dass der Mörder schon einmal zugeschlagen hat,” sagte sie. “Es gab ein ähnliches Opfer in der Nähe von Daggett.”
Frau Newbrough regte sich sichtlich auf.
“Was soll uns das bitteschön sagen?”
“Wir haben es mit einem Serienmörder zu tun,” sagte Riley. “Das hatte nichts mit einer ehelichen Streitigkeit zu tun. Ihre Tochter hat den Mörder vielleicht nicht einmal gekannt. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es nichts Persönliches.”
Frau Newbrough fing an zu weinen und Riley bereute ihre Wortwahl sofort.
“Nicht persönlich?” Frau Newbrough schrie fast. “Wie kann es etwas anderes als persönlich sein?”
Senator Newbrough sprach zu seinem Sohn.
“Robert, bitte bringe deine Mutter in ihr Schlafzimmer und versuche sie zu beruhigen. Ich muss alleine mit Agentin Paige reden.”
Robert Newbrough führte seine Mutter gehorsam aus dem Raum. Senator Newbrough sagte erst einmal nichts. Er sah Riley direkt in die Augen. Sie war sich sicher, dass er es gewohnt war Menschen mit seinem Blick einzuschüchtern. Aber es würde bei ihr nicht funktionieren. Sie starrte einfach zurück.
Schließlich griff der Senator in sein Jackett und zog einen Umschlag heraus. Er kam zu ihrem Stuhl und reichte ihn ihr.
“Hier,” sagte er. Dann ging er zurück zur Couch und setzte sich wieder hin.
“Was ist das?” fragte Riley.
Der Senator richtete seinen Blick wieder auf sie.
“Alles was Sie wissen müssen,” sagte er.
Riley war vollkommen perplex.
“Kann ich ihn öffnen?” fragte sie.
“Machen Sie nur.”
Riley öffnete den Umschlag. Es enthielt ein einzelnes Blatt Papier mit zwei Reihen von Namen darauf. Sie erkannte einige davon. Drei oder vier waren bekannte Reporter von lokalen Fernsehstationen. Andere waren prominente Politiker aus Virginia. Riley war noch verwirrter als zuvor.
“Wer sind diese Leute?” fragte sie.
“Meine Feinde,” sagte Senator Newbrough mit ruhiger Stimme. “Wahrscheinlich keine vollständige Liste. Aber das sind die, auf die es ankommt. Jemand auf dieser Liste ist schuldig.”
Riley sah ihn verblüfft an. Sie saß auf ihrem Stuhl und sagte nichts.
“Ich sage nicht, dass jemand auf dieser Liste meine Tochter von Angesicht zu Angesicht getötet hat,” sagte er. “Aber einer von ihnen hat ganz sicher jemanden dafür bezahlt.”
Riley sprach langsam und vorsichtig.
“Senator, mit allem nötigen Respekt, ich glaube ich habe bereits gesagt, dass der Mord an Ihrer Tochter vermutlich nicht persönlich war. Es gab bereits einen anderen Mord, der fast identisch mit ihrem ist.”
“Wollen Sie sagen, dass meine Tochter rein zufällig ausgewählt wurde?” fragte der Senator.
Ja, wahrscheinlich, dachte Riley.
Aber sie wusste es besser, als das laut zu sagen.
Bevor sie antworten konnte, fügte er hinzu, “Agentin Paige, Ich habe durch harte Erfahrungen gelernt, dass es keine Zufälle gibt. Ich weiß nicht warum oder wie, aber der Tod meiner Tochter war politisch. Und in der Politik ist alles persönlich. Also versuchen Sie nicht mir zu sagen es wäre nicht persönlich. Es ist ihr Job, und das des Büros, herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist und ihn zur Rechenschaft zu ziehen.”
Riley atmete tief durch. Sie betrachtete aufmerksam das Gesicht des Mannes. Sie konnte es jetzt sehen. Senator Newbrough war Narzisst, durch und durch.
Nicht, dass mich das überrascht, dachte sie.
Riley verstand noch etwas anderes. Der Senator fand es unvorstellbar, dass etwas in seinem Leben sich nicht speziell um ihn drehte, und ihn alleine. Sogar der Mord an seiner Tochter drehte sich um ihn. Reba war einfach zwischen ihm und wer auch immer ihn hasste, gefangen worden. Er glaubte das vermutlich wirklich.
“Sir,” begann Riley, “mit allem Respekt, ich denke nicht—”
“Ich möchte nicht, dass Sie denken,” sagte Newbrough. “Sie haben alle Informationen, die sie brauchen, direkt vor sich.”
Sie starrten sich für einige Sekunden an.
“Agentin Paige,” sagte der Senator schließlich, “ich bekomme das Gefühl, dass wir nicht auf der gleichen Wellenlänge sind. Das ist schade. Sie wissen es vielleicht nicht, aber ich habe gute Freunde in den oberen Rängen des FBI. Einige von ihnen schulden mir einen Gefallen. Ich werde mich gleich mit ihnen in Verbindung setzen. Ich brauche jemanden an dem Fall, der seinen Job macht.”
Riley war so geschockt, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. War der Mann wirklich so wirklichkeitsfremd?
Der Senator stand auf.
“Ich schicke jemanden, der Ihnen den Weg nach draußen zeigt, Agentin Paige,” sagte er. “Es tut mir leid, dass wir nicht einer Meinung sind.”
Senator Newbrough ging aus dem Raum und ließ Riley alleine dort sitzen. Ihr stand der Mund offen. Der Mann war ohne Zweifel ein Narzisst. Aber sie wusste, dass noch mehr dahinter steckte.
Der Senator versteckte etwas.
Und sie würde herausfinden, was das war.