Kitabı oku: «Verschwunden», sayfa 5
Kapitel 10
Das erste was Riley ins Auge fiel, war die Puppe – die gleiche nackte Puppe, die sie am Tag zuvor in dem Baum in der Nähe von Daggett gefunden hatte. Für einen Moment war sie davon überrascht sie hier im forensischen Labor des FBI, umgeben von Hightech Ausrüstung, zu sehen. Sie passte nicht hierher – sie sah aus wie ein kranker, kleiner Schrein für vergessene Tage.
Jetzt war sie einfach nur ein weiteres Beweismittel, beschützt durch eine Plastiktüte. Sie wusste, dass das Team sofort losgefahren war nachdem sie sie angerufen hatte. Es war trotzdem eine verstörende Ansicht.
Spezialagent Meredith trat auf sie zu, um sie zu begrüßen.
“Es ist lange Herr, Agentin Paige,” sagte er warm. “Willkommen zurück.”
“Es ist gut wieder hier zu sein, Sir,” sagte Riley.
Sie gingen zu dem Tisch, an dem Bill bereits mit dem Labortechniker Flores saßen. Was sie auch immer für Bedenken hatte, es fühlte sich gut an Meredith wiederzusehen. Sie mochte seine nüchterne, ernste Art und er behandelte sie immer mit Respekt.
“Wie ist es beim Senator gelaufen?” fragte Meredith.
“Nicht gut, Sir,” erwiderte sie.
Riley bemerkte eine leichte Verärgerung auf dem Gesicht ihres Chefs.
“Denken Sie, dass es uns Probleme machen wird?”
“Dessen bin ich mir sicher. Es tut mir leid.”
Meredith nickte mitfühlend.
“Ich bin sicher, es ist nicht Ihre Schuld,” sagte er.
Riley nahm an, dass er eine ziemlich gute Vorstellung von dem hatte, was passiert war. Senator Newbroughs Verhalten war vermutlich typisch für einen narzisstischen Politiker. Meredith hatte wahrscheinlich schon öfter damit zu tun gehabt.
Flores tippte mit flinken Fingern über eine Tastatur und während er das tat, wurden grausige Fotos, offizielle Berichte und Zeitungsberichte auf den Monitoren des Raums aufgerufen.
“Wir haben einige Nachforschungen angestellt und wie es aussieht hatte Agentin Paige recht,” sagte Flores. “Der gleiche Mörder hat vorher schon einmal zugeschlagen, lange vor dem Daggett Mord.”
Riley hörte Bills befriedigtes Brummen und für einen Augenblick fühlte sie sich bestätigt, fühlte ihr Selbstvertrauen zurückkehren.
Aber dann sank ihre Stimmung wieder. Eine weitere Frau hatte einen schrecklichen Tod gefunden. Das war kein Anlass zum Feiern. Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich gewünscht, dass sie unrecht hatte.
Warum kann ich nicht einmal genießen Recht zu haben? fragte sie sich.
Eine gigantische Karte von Virgina zeigte sich auf dem Hauptbildschirm und zoomte dann auf die nördliche Hälfte des Staates. Flores markierte einen Ort oben auf der Karte, nahe der Grenze zu Maryland.
“Das erste Opfer war Margaret Geraty, Sechsundreißig Jahre alt,” sagte Flores. “Ihre Leiche wurde auf Farmland etwas dreißig Meilen außerhalb von Belding gefunden. Sie wurde am fünfundzwanzigsten Juni vor fast zwei Jahren ermordet. Das FBI wurde nicht zum Tatort gerufen. Die örtliche Polizei hat den Fall kalt werden lassen.”
Riley sah auf die Tatortfotos, die Flores auf einem anderen Monitor anzeigen ließ. Der Mörder hatte offensichtlich nicht versucht die Leiche zu positionieren. Er hatte sie eilig abgeladen und war verschwunden.
“Vor zwei Jahren,” sagte sie nachdenklich während sie die Details aufnahm. Ein Teil von ihr war überrascht, dass er schon so lange dabei war. Auf der anderen Seite wusste sie, dass diese kranken Killer über Jahre operieren konnten. Sie konnten eine erstaunliche Geduld zeigen.
Sie untersuchte die Fotos.
“Wie ich sehe hatte er seinen Stil noch nicht entwickelt,” bemerkte sie.
“Richtig,” sagte Flores. “Sie trug eine Perücke und ihre Haare waren kurz geschnitten, aber er hat keine Rose hinterlassen. Sie wurde aber mit einer pinken Schleife erdrosselt.”
“Er hat das Szenario durchgepeitscht,” sagte Riley. “Seine Nerven haben nicht mitgemacht. Es war das erste Mal und er hatte nicht genug Selbstbewusstsein. Bei Eileen Rogers war er etwas besser, aber erst mit dem Mord an Reba Frye ist er richtig in Fahrt gekommen.”
Sie erinnerte sich an etwas, das sie hatte fragen wollen.
“Haben Sie irgendeine Verbindung zwischen den Opfern gefunden? Oder zwischen den Kindern der beiden Mütter?”
“Bis jetzt noch nicht,” sagte Flores. “Bei der Überprüfung der Elterngruppen haben wir nichts gefunden. Keine scheint die jeweils andere gekannt zu haben.”
Das entmutigte Riley, aber es überraschte sie auch nicht wirklich.
“Was ist mit der ersten Frau?” fragte Riley. “Sie war auch eine Mutter, nehme ich an.”
“Nein,” erwiderte Flores schnell, als hätte er nur auf die Frage gewartet. “Sie war verheiratet, aber kinderlos.”
Riley war überrascht. Sie war sich sicher gewesen, dass der Killer es auf Mütter abgesehen hatte. Wie hatte sie so falsch liegen können?
Sie konnte spüren wie ihr steigendes Selbstbewusstsein plötzlich schlagartig abnahm.
Als Riley zögerte fragte Bill, “Wie sieht es mit der Identifikation von Verdächtigen aus? Seid ihr in der Lage gewesen etwas von den Kletten aus Mosby Park zu bekommen?”
“Kein Glück,” sagte Flores. “Wir haben Spuren von Leder anstatt Blut gefunden. Der Täter hat Handschuhe getragen. Er scheint penibel zu sein. Selbst am ersten Tatort hat er keine Fingerabdrücke oder DNA hinterlassen.”
Riley seufzte. Sie hatte so sehr gehofft, dass sie etwas gefunden hatte, was von anderen übersehen worden war. Jetzt fühlte sie sich wieder ganz am Anfang.
“Besessen von Details,” kommentierte sie.
“Das mag sein, ich denke aber trotzdem, dass wir näher kommen,” fügte Flores hinzu.
Er nutze einen Laserpointer um die Tatorte anzuzeigen und zeichnete Linien zwischen ihnen.
“Nachdem wir jetzt von seinem ersten Mord wissen, haben wir die Reihenfolge und eine bessere Vorstellung vom Gebiet,” sagte Flores. “Wir haben die Nummer Eins, Margaret Geraty in Belding, hier oben, Nummer Zwei, Eileen Rogers, drüben im Westen in Mosby Park und Nummer Drei, Reba Frye, weiter im Süden in der Nähe von Daggett.”
Riley sah, wie die drei Orte ein Dreieck auf der Karte bildeten.
“Wir haben ein Gebiet von etwa tausend Quadratmetern,” sagte Flores. “Aber das ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. In dem Gebiet finden sich hauptsächlich Farmland und ein paar kleine Städte. Im Norden haben wir ein paar größere Anwesen, wie das des Senators. Viel offenes Land.”
Riley sah den Blick professioneller Zufriedenheit auf Flores’ Gesicht. Es war deutlich zu sehen, dass er seine Arbeit liebte.
“Ich lasse jetzt alle registrierten Sexualstraftäter in diesem Gebiet anzeigen,” sagte er. Er tippte einen Befehl ein und in dem Dreieck leuchteten etwa zwei Dutzend kleine rote Punkte auf.
“Jetzt eliminiere ich die Pädophilen,” sagte er. “Ich denke wir können uns sicher sein, dass unser Killer nicht dazugehört.”
Flores tippte einen weiteren Befehl ein und etwa die Hälfte der Punkte verschwand.
“Jetzt grenzen wir es auf die harten Fälle ein – Kerle, die im Gefängnis waren für Vergewaltigung, Mord oder beides.”
“Nein,” sagte Riley abrupt. “Das ist falsch.”
Alle drei Männer sahen sie überrascht an.
“Wir suchen nicht nach einem gewalttätigen Verbrecher,” sagte sie.
Flores schnaubte. “Von wegen!” protestierte er.
Ein Schweigen senkte sich über den Raum. Riley fühlte wie sich eine Einsicht formte, aber sie konnte sie noch nicht richtig greifen. Sie starrte die Puppe an, die immer noch auf groteske Weise auf dem Tisch saß.
Wenn du doch nur reden könntest, dachte sie.
Dann fing sie langsam an ihre Gedanken zu erklären.
“Ich meine er ist nicht offensichtlich gewalttätig. Margaret Geraty wurde nicht vergewaltigt. Wir wissen bereits, dass das auch bei Rogers und Frye nicht der Fall war.”
“Sie wurden alle gefoltert und getötet,” grummelte Flores.
Anspannung füllte den Raum; Meredith sah beunruhigt aus, während Bill starr auf einen der Monitore sah.
Riley zeigte auf eine Detailaufnahme von Margaret Geratys verstümmeltem Körper.
“Sein erster Mord war sein gewalttätigster,” sagte sie. “Diese Wunden sind tief und hässlich – schlimmer als bei seinen nächsten beiden Opfern. Ich wette Sie haben bereits herausgefunden, dass er diese Wunden schnell zugefügt hat, eine nach der anderen.”
Flores nickte bewundernd. “Sie haben Recht.”
Meredith sah Riley neugierig an. “Was hat Ihnen das verraten?”
Riley atmete tief ein. Sie fühlte, wie sie wieder in den Verstand des Mörders rutschte.
“Ich bin mir bei einer Sache sehr sicher,” sagte sie. “Er hatte noch nie in seinem Leben Sex mit einem anderen Menschen. Er hatte wahrscheinlich noch nicht einmal eine Verabredung. Er ist gewöhnlich und unattraktiv. Frauen haben ihn immer zurückgewiesen.”
Riley hielt für einen Moment inne und sortierte ihre Gedanken.
“Eines Tages ist er schließlich ausgerastet,” sagte sie. “Er hat Margaret Geraty entführt, hat sie gefesselt und ausgezogen und hat dann versucht sie zu vergewaltigen.”
Flores schnappte nach Luft als er plötzlich verstand. “Er konnte es nicht tun!”
“Richtig, er ist impotent,” sagte Riley. “Und als er sie nicht vergewaltigen konnte, hat er einen Wutanfall bekommen. Er hat angefangen auf sie einzustechen – näher kam er nicht an sexuelle Penetration. Es war der erste gewalttätige Akt in seinem Leben. Meine Vermutung ist, dass er sich nicht einmal die Mühe gemacht hat sie lange am Leben zu lassen.”
Flores zeigte auf einen Abschnitt des offiziellen Reports.
“Da liegen Sie richtig,” sagte er. “Geratys Leiche wurde nur einige Tage nach ihrem Verschwinden gefunden.”
Riley fühlte wie sich das Grauen bei ihren eigenen Worten verstärkte.
“Und es hat ihm gefallen,” sagte sie. “Er mochte Geratys Panik und ihren Schmerz. Ihm hat es gefallen sie zu verletzen und auf sie einzustechen. Also hat er es zu seinem Ritual gemacht. Und er hat gelernt sich dabei Zeit zu lassen, jede Minute davon zu genießen. Bei Reba Frye ist die Angst und die Folter über eine Woche gegangen.”
“Was ist die Verbindung zu den Puppen?” fragte Meredith. “Warum sind Sie sich sicher, dass er Puppen erschaffen will?”
“Die Leichen sehen aus wie Puppen,” sagte Bill. “Zumindest die letzten Beiden. Riley hat Recht damit.”
“Es geht um Puppen,” sagte Riley leise. “Aber ich kann noch nicht genau sagen warum. Es gibt wahrscheinlich ein Element von Rache.”
Schließlich fragte Flores, “Also denken Sie, dass wir gar nicht nach einem registrierten Verbrecher suchen?”
“Könnte sein,” erwiderte Riley. “Falls doch, dann nicht nach einem Vergewaltiger, keinem gewalttätigen Verbrecher. Es müsste etwas weniger bedrohliches sein – ein Voyeur, ein Exhibitionist oder jemand, der in der Öffentlichkeit masturbiert.”
Flores Hände flogen über die Tastatur.
“Okay,” sagte er, “ich nehme die Gewaltverbrecher raus.”
Die Nummer der Punkte auf der Karte nahm weiter ab.
“Also, wen haben wir noch übrig?” fragte Riley Flores.
Flores blickte für einen Moment auf die Daten und schnappte dann nach Luft.
“Ich glaube ich habe ihn,” sagte er. “Ich glaube ich habe unseren Täter gefunden. Sein Name ist Ross Blackwell. Hören Sie sich das an. Er hat in einem Spielzeugladen gearbeitet, bis sie ihn dabei erwischt haben, wie er Puppen in anzüglichen Posen aufgestellt hat. Als hätten sie alle Arten von seltsamem Sex. Der Besitzer hat die Polizei gerufen. Blackwell hat Bewährung bekommen, aber die Behörden haben seit dem ein Auge auf ihn.”
Meredith strich sich nachdenklich über das Kinn. “Könnte unser Kerl sein,” sagte er.
“Sollen Agentin Paige und ich ihn uns gleich einmal ansehen?” fragte Bill.
“Wir haben nicht genug um ihn festzunehmen,” sagte Meredith, “oder um einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen. Wir sollten ihn besser nicht alarmieren. Wenn er unser Mann ist und so clever, wie wir glauben, dann schlüpft er uns durch die Finger. Besuchen Sie ihn morgen. Finden Sie heraus, was er zu sagen hat, aber seien sie vorsichtig.”
Kapitel 11
Es war bereits dunkel, als Riley zurück nach Fredericksburg kam und sie hatte das sichere Gefühl, dass ihre Nacht nur schlimmer werden konnte. Sie verspürte fast ein Gefühl von Déjà-vu als sie vor dem großen Haus in der respektablen Vorstadt Nachbarschaft hielt. Sie hatte einst dieses Haus mit ihrem Mann und ihrer Tochter geteilt. Es gab hier eine Menge Erinnerungen, viele davon gut. Aber mehr als nur ein paar waren auch nicht so gut, und andere regelrecht fürchterlich.
Gerade als sie aus dem Auto steigen und zur Tür gehen wollte, öffnete sie sich. April kam raus und Ryan stand als Silhouette in dem hellen Licht, das aus dem Flur nach draußen fiel. Er winkte Riley kurz zu, als April zu ihr kam, ging dann zurück ins Haus und schloss die Tür hinter sich.
Es schien, als hätte er die Türe unnötig hart geschlossen, aber sie wusste, dass das vermutlich nur ihre Einbildung war. Diese Tür hatte sich vor einer langen Zeit geschlossen und das Leben dahinter war weg. Aber die Wahrheit war, dass sie niemals in eine solch sichere, respektable, farblose Welt der Ordnung und Routine gepasst hatte. Ihr Herz war immer draußen im Einsatz, wo Chaos, Unvorhersehbarkeit und Gefahr regierten.
April erreichte den Wagen und setzte sich in den Beifahrersitz.
“Du bist spät,” schnappte sie und verschränkte die Arme.
“Entschuldige,” sagte Riley. Sie wollte mehr sagen, wollte April vermitteln, wie leid es ihr wirklich tat, nicht nur für diesen Abend, nicht nur wegen ihrem Vater, sondern für ihr ganzes Leben. Riley wollte so sehr eine bessere Mutter sein, zu Hause sein, für April da sein. Aber ihre Arbeit ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
Riley fuhr los.
“Normale Eltern arbeiten nicht den ganzen Tag und auch noch die ganze Nacht,” sagte April.
Riley seufzte.
“Ich habe dir schon mal gesagt—” begann sie.
“Ich weiß,” unterbrach April. “Verbrecher nehmen sich nicht frei. Das ist ziemlich lahm, Mom.”
Riley fuhr schweigend weiter. Sie wollte mit April reden, aber sie war einfach zu müde und zu überwältigt von ihrem Tag. Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte.
“Wie ist es bei deinem Vater gewesen?” fragte sie schließlich.
“Lausig,” gab April kurz angebunden zurück.
Es war eine vorhersehbare Antwort. April schien noch wütender auf ihren Vater zu sein als auf ihre Mutter.
Wieder Stille.
Dann, in einem weicheren Ton, fügte April hinzu, “wenigstens ist Gabriela da. Es ist immer schön zur Abwechslung mal ein freundliches Gesicht zu sehen.”
Riley lächelte leicht. Sie schätzte Gabriela, die guatemalische Frau mittleren Alters, die seit Jahren für sie als Haushälterin arbeitete, sehr. Gabriela war immer verantwortungsbewusst und bodenständig, was mehr war, als sie von Ryan behaupten konnte. Sie war froh, dass Gabriela noch in ihrem Leben war – und dass sie sich immer noch um April kümmerte, wenn sie bei ihrem Vater war.
Während der Fahrt nach Hause hatte Riley ein spürbares Verlangen mit ihrer Tochter zu reden. Aber was konnte sie sagen, um zu ihr durchzudringen? Es war nicht so, als könnte sie nicht verstehen, wie April sich fühlte – vor allem in einer Nacht wie dieser. Das arme Mädchen musste sich einfach ungewollt fühlen wenn sie zwischen den Häusern ihrer Eltern hin und her geschoben wurde. Das musste hart für eine Vierzehnjährige sein, die sowieso schon wütend auf Gott und die Welt war. Glücklicherweise hatte April zugestimmt jeden Tag nach ihrem Unterricht zum Haus ihres Vaters zu gehen. Aber heute, gleich am ersten Tag der neuen Abmachung, war Riley so unheimlich spät gewesen.
Riley war den Tränen nahe während sie fuhr. Ihr fiel nichts ein, was sie sagen konnte. Sie war einfach zu erschöpft. Sie war immer zu erschöpft.
Als sie nach Hause kamen ging April wortlos in ihr Zimmer und schloss die Türe lautstark hinter sich. Riley stand für einen Moment verloren im Flur. Dann klopfte sie an Aprils Tür.
“Komm raus, Liebling,” sagte sie. “Lass uns reden. Lass uns doch ein wenig in der Küche sitzen und einen Pfefferminztee trinken. Oder vielleicht im Garten. Es ist eine schöne Nacht. Es wäre schade sie zu verschwenden.”
Sie hörte Aprils Stimme durch die Tür. “Mach das doch, Mom. Ich bin beschäftigt.”
Riley lehnte sich resigniert gegen den Türrahmen.
“Du sagst doch immer, dass ich nicht genug Zeit mit dir verbringe,” sagte Riley.
“Es ist nach Mitternacht, Mom. Es ist wirklich spät.”
Riley spürte, wie sich ihr Hals zuzog und ihr Tränen in die Augen stiegen. Aber sie wollte sich nicht gehen lassen und weinen.
“Ich versuche es, April,” sagte sie. “Ich tue was ich kann – mit allem.”
Nach einem langen Schweigen sagte April schließlich, “Ich weiß.”
Dann war alles ruhig. Riley wünschte sich sie könnte das Gesicht ihrer Tochter sehen. War es möglich, dass sie eine Spur von Mitgefühl in diesen beiden Worten gehört hatte? Nein, wahrscheinlich nicht. War es Ärger? Auch das nicht, dachte Riley. Dann war es wahrscheinlich Distanziertheit.
Riley ging ins Badezimmer und nahm eine lange, heiße Dusche. Sie ließ den Dampf und die auf sie niederprasselnden heißen Tropfen ihren Körper massieren, der nach diesem langen und anstrengendem Tag schmerzte. Nachdem sie fertig war und ihre Haare getrocknet hatte fühlte sie sich physisch besser. Aber innerlich fühlte sie sich immer noch leer und aufgewühlt.
Und sie wusste, dass sie noch nicht bereit war zu schlafen.
Sie zog ihre Hausschuhe und ihren Bademantel an und ging in die Küche. Als sie den Küchenschrank öffnete, war das Erste was sie sah die halbvolle Flasche Bourbon. Sie dachte darüber nach sich einen doppelten Whiskey einzugießen.
Keine gute Idee, sagte sie sich selbst.
In ihrem momentanen Zustand würde sie nicht nach einem aufhören. Trotz all der Schwierigkeiten der letzten Wochen hatte sie es geschafft sich nicht vom Alkohol überwältigen zu lassen. Das war nicht die Zeit die Kontrolle zu verlieren. Sie machte sich stattdessen eine heiße Tasse Tee.
Dann setzte sie sich ins Wohnzimmer und breitete die Ordner mit Fotos und berichten über die drei Morde vor sich aus.
Sie wusste bereits etwas über das Opfer von vor sechs Monaten in der Nähe von Daggett – von dem sie jetzt wussten, dass es der zweite von drei Morden gewesen war. Eileen Rogers war eine verheiratete Mutter von zwei Kindern gewesen, die mit ihrem Ehemann ein Restaurant besaß und leitete. Und natürlich hatte Riley auch den Tatort des dritten Opfers, Reba Frye, gesehen. Sie hatte auch Fryes Familie, einschließlich des von sich selbst eingenommenen Senators, besucht.
Aber der zwei Jahre alte Belding Fall war neu für sie. Während sie die Berichte las, nahm Margaret Geraty Form für sie an, eine Frau, die einst gelebt und geatmet hatte.
Sie hatte in Belding als Wirtschaftsprüferin gearbeitet und war erst kürzlich aus New York nach Virginia gezogen. Ihre Familie, neben ihrem Ehemann, umfasste zwei Schwestern, einen Bruder und eine verwitwete Mutter. Freunde und Verwandte beschrieben sie als freundlich, aber eher zurückgezogen.
Während sie an ihrem Tee nippte konnte Riley nicht umhin sich zu fragen was aus Margaret geworden wäre, wenn sie noch leben würde. Mit sechsunddreißig hielt das Leben noch alle Möglichkeiten bereit – Kinder und noch so viel mehr.
Riley fühlte einen Schauer, als ihr noch ein anderer Gedanke kam. Vor gerade einmal sechs Wochen war ihr Leben sehr kurz davor gewesen in einem solchen Ordner zu enden, der jetzt vor ihr lag. Ihre gesamte Existenz hätte zu einem Stapel schrecklicher Fotos und offizieller Berichte reduziert werden können.
Sie schloss die Augen, versuchte den Gedanken abzuschütteln, als sie merkte wie die Erinnerungen zurückkamen. Aber sie konnte sie nicht stoppen.
Als sie durch das dunkle Haus schlich hörte sie Kratzen, das von unterhalb der Bodendielen kam, dann einen Hilferuf. Nachdem sie die Wände abgesucht hatte, fand sie sie – eine kleine, viereckige Tür, die sich in einen Zwischenraum unter dem Haus öffnete. Sie leuchtete mit ihrer Taschenlampe hinein.
Der Lichtstrahl fiel auf ein angstverzerrtes Gesicht.
“Ich bin hier um zu helfen,” sagte Riley.
“Sie sind gekommen!” weinte das Opfer. “Gott sei Dank sind Sie gekommen!”
Riley kroch über den dreckigen Boden zu dem kleinen Käfig in der Ecke. Sie hantierte einen Moment mit dem Schloss. Dann zog sie ihr Taschenmesser heraus und stocherte in dem Schloss herum, bis sie es aufbekommen hatte. Eine Sekunde später kroch die Frau aus dem Käfig.
Riley und die Frau krochen zurück zu dem viereckigen Ausgang. Aber die Frau war kaum draußen, als eine bedrohliche männliche Figur Rileys Weg versperrte.
Sie war gefangen, aber die andere Frau hatte eine Chance.
“Lauf!” schrie Riley. “Lauf!”
Riley riss sich aus den Gedanken zurück in die Gegenwart. Wann würde sie jemals frei von diesem Horror sein? An einem neuen Fall zu arbeiten, der Folter und Tod beinhaltete, machten es sicherlich nicht einfacher für sie.
Zumindest gab es eine Person, an die sie sich für Unterstützung wenden konnte.
Sie nahm ihr Telefon und schrieb Marie.
Hey. Bist du noch wach?
Nach ein paar Sekunden kam eine Antwort.
Ja. Wie geht’s?
Riley tippte: Ziemlich zittrig. Und du?
Zu ängstlich um zu schlafen.
Riley wollte etwas schreiben, das sie beide besser fühlen lassen würde. Irgendwie reichte diese Art von Nachrichten nicht.
Willst du reden? Schrieb sie. Ich meine REDEN –nicht nur texten?
Es dauerte eine Weile bis Marie antwortete.
Nein, ich denke nicht.
Riley war einen Moment überrascht. Dann wurde ihr klar, dass ihre Stimme womöglich nicht immer beruhigend für Marie war. Vielleicht rief sie schlechte Erinnerungen für sie hervor.
Riley erinnerte sich an Maries Worte, als sie das letzte Mal gesprochen hatten. Finde den Hurensohn und töte ihn für mich. Und während sie darüber nachdachte, kam Riley der Gedanke, dass sie Nachrichten hatte, die Marie vielleicht hören wollte.
Ich bin wieder arbeiten, schrieb Riley.
Maries Antwort kam in einer Welle von schnellen Phrasen.
Oh, gut! Ich bin froh! Ich weiß es ist nicht einfach. Ich bin stolz auf dich. Du bist sehr mutig.
Riley seufzte. Sie fühlte sich nicht mutig – nicht in diesem Moment zumindest.
Marie schrieb weiter.
Danke. Zu wissen, dass du wieder arbeitest lässt mich so viel besser fühlen. Vielleicht kann ich jetzt schlafen. Gute Nacht.
Riley schrieb: Halte durch.
Dann legte sie ihr Handy weg. Sie selbst fühlte sich auch etwas besser. Schließlich hatte sie etwas erreicht indem sie wieder zurück zur Arbeit gegangen war. Langsam aber sicher fing sie an zu heilen.
Riley trank den Rest ihres Tees und ging dann direkt ins Bett. Sie ließ sich von ihrer Erschöpfung übermannen und schlief sofort ein.
Riley war sechs Jahre alt und in einem Süßwarenladen mit Mami. Sie war glücklich über all die Süßigkeiten, die Mami ihr kaufte.
Aber dann kam ein Mann auf sie zu. Ein großer, furchterregender Mann. Er trug etwas über seinem Gesicht – eine Nylonstrumpfhose, genauso eine wie die, die ihre Mami an ihren Beinen trug. Er zog eine Waffe. Er schrie Mami an ihm ihre Tasche zu geben. Aber Mami hatte so viel Angst, dass sie sich nicht bewegen konnte. Sie konnte sie ihm nicht geben.
Und er schoss sie in die Brust.
Sie fiel blutend zu Boden. Der Mann griff sich ihre Handtasche und rannte weg.
Riley schrie und schrie und schrie.
Dann hörte sie Mamis Stimme.
“Es gibt nichts was du tun kannst, Liebes. Ich bin weg und du kannst nichts dagegen tun.”
Riley war immer noch in dem Süßwarenladen, aber sie war jetzt erwachsen. Mami war genau vor ihr und stand über ihrer eigenen Leiche.
“Ich muss dich zurückbringen!” weinte Riley.
Mami lächelte Riley traurig an.
“Das kannst du nicht,” sagte Mami. “Du kannst die Toten nicht zurückbringen.”
Riley setzte sich schwer atmend auf, durch ein klapperndes Geräusch aus dem Schlaf gerissen. Sie schaute sich nervös überall um. Das Haus war jetzt ruhig.
Aber sie hatte etwas gehört, dessen war sie sich sicher. Wie ein Geräusch an der Haustür.
Riley sprang auf als ihre Instinkte wach wurden. Sie nahm ihre Taschenlampe und ihre Waffe aus der Schublade und bewegte sich vorsichtig durch das Haus bis zur Eingangstür.
Sie spähte durch die kleine Glasscheibe in der Tür, aber sah nichts. Alles war ruhig.
Riley riss sich zusammen, öffnete schnell die Tür und leuchtete mit ihrer Taschenlampe nach draußen. Niemand. Nichts.
Während sie den Lichtstrahl bewegte, wurde sie auf etwas aufmerksam. Auf der Stufe zum Eingang lagen ein paar Kieselsteine. Hatte sie jemand an die Tür geworfen und das Klappern verursacht?
Riley versuchte sich krampfhaft daran zu erinnern, ob die Steine schon dagewesen waren, als sie nach Hause kamen. In ihrer Benommenheit war sie sich nicht sicher.
Riley stand für einen Moment an der Tür, aber sie konnte niemanden entdecken.
Sie ging zurück ins Haus und verschloss die Tür bevor sie den kurzen Flur zu ihrem Schlafzimmer zurückging. Am Ende des Flurs angekommen war sie überrascht zu sehen, dass Aprils Tür einen Spalt offen stand.
Riley öffnete die Tür und sah hinein.
Ihr Herz schlug vor panischer Angst.
April war nicht da.