Kitabı oku: «Vorher Stellt Er Ihnen Nach», sayfa 2
Kapitel zwei
Wegen des kleinen Schlags gegen den Kopf, der durch den Fall verursacht worden war, saß Ellington auf einem Krankenbett, statt einfach nur wegen seines Armes in der Orthopädie behandelt zu werden. Nachdem Mackenzie sich am Empfang nach ihm erkundigt hatte, fand sie ihn auf der Krankenstation. Er sah ziemlich miserabel aus – soweit sie sehen konnte, lag das aber nicht an den Schmerzen, sondern daran, auf einem Krankenbett sitzen zu müssen.
Seine Augen leuchteten auf, als er Mackenzie sah. Und noch mehr, als er entdeckte, dass sie einen Autositz in der Hand hielt.
„Mein Gott, du hast ihn in ein Krankenhaus gebracht“, sagte Ellington.
„Halt die Klappe. Wie geht’s dir? Wie ist das passiert?“
„Naja, die Röntgenaufnahmen bestätigen, dass ich ein gebrochenes Handgelenk und eine Torusfraktur habe. Sie haben eben die Gehirnerschütterungsuntersuchungen abgeschlossen. Es müsste bald jemand kommen, um mir einen Gips anzulegen.“
Mackenzie stellte den Autositz aufs Krankenhausbett, damit Kevin seinen Vater sehen konnte.
„Habt ihr den Typen wenigstens gekriegt?“, fragte Mackenzie. Sie versuchte, gleichmütig zu klingen. Doch zu sehen, dass er offensichtlich Schmerzen hatte und versuchte, diese kleinzureden, störte sie mehr als erwartet.
„Ja. Ich bin auf ihn drauf gefallen, als ich zu Boden ging. McAllister hat ihm Handschellen angelegt und dann einen Notarzt für mich gerufen.“
Mackenzie konnte sich nicht zurückhalten. Sie untersuchte seinen Kopf und fand die Stelle, die er angeschlagen hatte. Direkt über seinem linken Auge. Es war nicht geschwollen, aber er hatte eine Schnittwunde und seine Haut war verfärbt. Die Verletzung machte eher den Eindruck, von einem leichten Faustschlag als von einem Treppensturz zu stammen.
„Du hättest nicht kommen brauchen“, sagte Ellington. „Wirklich.“
„Ich weiß. Aber ich wollte kommen. Außerdem dachte ich, es wäre eine gute Möglichkeit, Kevin zu demonstrieren, dass er immer vorsichtig sein muss, wenn er Bösewichte jagt.“
„Lustig. Hey, weißt du was … McGrath hat heute Morgen angerufen. Unter uns – ich glaube, er wollte nach dir sehen. Er hat gefragt, ob ich denke, dass du bereit für einen Fall bist. Ich vermute, dass er in ein paar Wochen was für dich hat.“
„Das sind tolle Neuigkeiten“, sagte sie. „Aber im Moment möchte ich mich auf dich konzentrieren.“
„Da gibt’s nicht viel zum Konzentrieren. Ich bin die Treppen runtergefallen und habe mir den Arm gebrochen.“
Hinter Mackenzie betrat ein Arzt den Raum, in der Hand einige Röntgenaufnahmen. „Und wie“, sagte er. „Ein hässlicher Bruch. Wir müssen nicht schrauben, wie ich ursprünglich befürchtet hatte, aber die Heilung wird etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen, als angenommen. Dass die Fraktur so nahe am Bruch ist – das ist doppeltes Pech.“
Mackenzie nahm Kevins Autositz, als der Arzt auf Ellington zuging. „Bereit, eingegipst zu werden?“
„Habe ich eine Wahl?“
„Nein“, sagte Mackenzie. „Nein, das hast du nicht.“ Im Autositz machte Kevin ein Pfff-Geräusch, als wäre er ganz ihrer Meinung.
Sie sah dem Arzt dabei zu, den Gips im großen Spülbecken auf der anderen Zimmerseite vorzubereiten und ging auf Ellington zu. „Spiel nicht den Helden. Wie geht es dir?“
„Es tut verdammt weh, aber ich habe fünf Minuten vor deiner Ankunft ein Schmerzmittel gekriegt, das sollte jetzt bald wirken.“
„Und dein Kopf?“
„Leichte Kopfschmerzen. Vielleicht schlimmer, aber das ist schwer zu sagen, weil der Arm so hämmert. Wie gesagt, ich wurde auf Zeichen einer Gehirnerschütterung untersucht und …“
Mackenzies Handy klingelte und unterbrach ihn. Sie checkte das Display in der Annahme, dass es sich um ein Follow-Up ihrer Recherche handelte. Als sie jedoch McGraths Namen auf dem Bildschirm sah, wusste sie, dass es um etwas anderes gehen musste.
„Hast du McGrath Bescheid gegeben, was passiert ist?“, fragte sie.
„Nein, aber McAllister. Warum? Ist er das?“
Mackenzie nickte, als sie leicht verwirrt abnahm. „Agent White.“
„Hi White. Ich nehme an, Sie haben bereits von Ellingtons kleinem Unfall gehört?“
„Ja, Sir. Ich bin bei ihm. Er kriegt gleich seinen Gips.“
„Nun, das könnte diese Unterhaltung etwas unangenehm gestalten. Ich spreche nicht gerne mit Ihnen über die Arbeit, während Sie bei ihm im Krankenhaus sind, aber ich bin etwas unter Zeitdruck.“
„Das ist okay. Was ist los?“
„Ich war gerade dabei, den Papierkram für Ellingtons nächsten Fall fertig zu machen, als McAllister anrief und mir von dem Unfall erzählte. Das mag jetzt vielleicht unsensibel klingen, aber ich brauche einen Agenten für den Fall und zwar sofort.“
Mackenzie wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen und schwieg daher. Doch als auch McGrath nichts weiter sagte, konnte sie sich nicht zurückhalten. „Ich kann es machen, Sir.“
„Deshalb rufe ich an. Ich hatte vor, McAllister zu schicken, aber ich will ihn nicht von dem Fall wegziehen, in dem er gerade steckt. Vor allem da er und Ellington den schon fast unter Dach und Fach haben.“
„Dann geben Sie ihn mir.“
„Sind Sie sicher, dass Sie bereit sind?“
Die Frage irritierte sie, aber sie schluckte die Verunsicherung herunter. War sie bereit? Nun, sie war nur fünf Monate nach ihrem Kaiserschnitt einem Mörder an eine Felswand gefolgt. Die folgenden drei Monate, die sie zu Hause verbracht hatte, waren seine Entscheidung gewesen. Sie war anderer Meinung gewesen, hatte sich aber bemüht, folgsam zu sein.
„Ja, Sir. Ich hätte nächste Woche sowieso wieder anfangen sollen, oder?“
„Abhängig von dem Resultat unseres Treffens, ja. Aber, White … der Fall ist in Seattle. Sind Sie dafür bereit?“
Sofort wollte sie ja sagen. Aber als ihr das Wort auf der Zunge lag, überlegte sie, wie es sein würde, so weit weg von Kevin zu sein. In den letzten drei Monaten waren sie noch enger zusammengewachsen und sie hatte die Art von Bonding erlebt, von denen alle Bücher sprachen. Sie würde alles für ihren Sohn tun und der Gedanke, für unbestimmte Zeit auf der anderen Seite des Landes zu sein, gefiel ihr nicht. Vor allem, da Kevin mit einem Elternteil zurückbleiben würde, der nur einen Arm zur Verfügung hatte.
Aber McGrath gab ihr sozusagen ihre Karriere zurück. Und das auf einem Silberteller. Sie musste zusagen.
„Das sollte in Ordnung sein, Sir.“
„In Ordnung reicht nicht, White. Hören Sie … ich gebe Ihnen und Ellington zehn Minuten, um darüber zu sprechen. Aber ich brauche einen Agenten, der spätestens heute Abend um sieben im Flieger nach Seattle sitzt. In zweieinhalb Stunden geht ein Flug.“
„Okay. Ich rufe gleich zurück.“
Sie beendete den Anruf und sah, dass Ellington sie beobachtete. Der Arzt hatte damit begonnen, den nassen Gips auf seinen Arm aufzutragen und wickelte die Lagen um das geschwollene, verfärbte Handgelenk. Ellingtons Blick verriet ihr alles, was sie wissen musste. Er hatte zumindest einen Teil der Unterhaltung mitangehört und noch nicht entschieden, wie er dazu stand.
„Also, wo ist es?“, fragte Ellington. „Das ist das einzige, was ich nicht verstehen konnte.“
Er grinste sie an und sie wusste, dass er das gesamte Telefonat gehört hatte. Sie witzelten oft, wie unglaublich laut McGrath am Telefon war.
„Seattle. Ich würde heute Nachmittag oder Abend losmüssen.“ Sie sah Kevin an und schüttelte den Kopf. „Aber ich kann dich nicht mit ihm alleine lassen … nicht mit einem gebrochenen Arm.“
„Mac, ich kann sehen, wie gerne du annehmen möchtest. Kevin und ich kommen schon klar.“
„Liebling, du kannst seinen Windeln ja kaum mit zwei Händen wechseln.“
Er nickte. Obwohl sie scherzte, verstand er ihr Argument. Doch er schien einen Gedanken zu haben. Eine Weile schwiegen sie beide. Lediglich das Anlegen der nassen Gipslagen störte die Stille. Auch der Arzt schwieg und gab sich Mühe, ihre seltsame Situation zu respektieren.
„Weißt du was?“, sagte Ellington. „Meine Mutter hat schon mehrmals gefragt, wann sie mal wieder Zeit mit Kevin verbringen kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sofort ja sagen würde. Du hast doch nicht vergessen, wie sehr sie das Gefühl liebt, den Tag gerettet zu haben?“
Mackenzie dachte darüber nach. Sie und Ellington hatten beide keine einfache Beziehung zu ihren Müttern. Doch seitdem sie ihnen einen Enkel geschenkt hatten, waren Wunder geschehen. Und ja, es war egoistisch, aber seine Mutter zu Besuch zu haben, wenn sie selbst nicht vor Ort war, wäre prima. Mackenzie gab zwar vor, sie zu mögen, wenn sie in der Nähe war, doch auch Ellington wusste, dass seine Mutter und Mackenzie aneinander aneckten.
„Hat sie überhaupt Zeit?“
„Wir sprechen von meiner Mutter“, sagte Ellington. „Was könnte sie sonst vorhaben? Außerdem hat der Kleine sie längst um den Finger gewickelt. Selbst wenn sie etwas anderes vorhätte, würde sie das für ihn nur zu gerne ausfallen lassen. Ich ruf sie an. Und du gibst McGrath Bescheid.“
Bevor sie etwas entgegensetzen konnte, zog Ellington bereits mit seinem gesunden Arm das Handy aus der Tasche. Der Arzt sah ihn streng an und unterbrach das Eingipsen.
Mackenzie rief McGrath ebenfalls an. Während das Telefon klingelte, sah sie Kevin an. Er war damit beschäftigt, seinen Vater anzusehen und zu lächeln. Obwohl ihr Herz bereits vor Aufregung klopfte, so plötzlich wieder zu arbeiten, bereitete es ihr auch Sorgen, wie es sein würde, so weit weg von ihrem Baby zu sein. Vermutlich würde sie sich oft in dieser Lage befinden, solange sie zwischen ihren zwei großen Lieben – der Arbeit und der Familie – stand.
Und jetzt, wo ein frischer Fall auf der anderen Seite des Landes auf sie wartete, wusste sie, dass sie sich an dieses Gefühl auch nie wirklich gewöhnen würde.
Kapitel drei
Der Abschied fiel Mackenzie schwerer, als erwartet. Es half nicht, dass ihr Mann einen frischen Gips hatte und ihre Schwiegermutter noch nicht angekommen war, als sie das Haus bereits verlassen musste. Kevin hielt zum Glück gerade seinen Mittagsschlaf. Sie wusste, dass er noch mindestens eine weitere Stunde schlafen und Ellingtons Mutter bis dahin hoffentlich eintreffen würde. Trotzdem hatte sie das Gefühl, ihre Familie im Stich zu lassen. So ähnlich hatte sie sich beim letzten Fall gefühlt, doch dieses Mal traf es sie härter. Dieses Mal war sie selbstbewusster in ihrer Rolle als Mutter und kannte die Kraft, die sie und Ellington gemeinsam hatten.
„Es wird alles gut gehen“, versicherte Ellington ihr, als er sie zur Tür brachte. „Meine Mutter ist absolut überwältigend, sie wird sich zu gut um Kevin kümmern. Und um mich. Gott, sie wird es genießen. Und vielleicht nie wieder gehen.“
„Das hilft nicht gerade.“
Ellington küsste sie auf den Mund. Es war ein Kuss, der noch länger auf ihren Lippen verweilte. Sie hatte sich in den letzten Monaten zu sehr daran gewöhnt. Manche würden sogar sagen, sie sei verwöhnt.
„Geh“, sagte er, während er ihr mit tiefgründiger Leidenschaft in die Augen sah. „Verlier dich für eine Weile in der Arbeit. Ich denke, das wird dir guttun. Wir werden hier sein, wenn du zurückkommst.“
Er gab ihr einen Klaps auf den Po, um die Ernsthaftigkeit seiner Stimme zu verdrängen. Sie liebten einander mit aller Kraft und das wussten sie. Aber keiner von beiden, und vor allem nicht Ellington, war je besonders gut darin gewesen, das auszudrücken.
Sie küssten einander noch ein letztes Mal und dann war Mackenzie im Flur und die Tür hinter ihr schloss sich. Sie hatte einen Rollkoffer bei sich, der klein genug war, um als Handgepäck durchzugehen. Sonst nichts. Langsam ging sie zum Fahrstuhl. Sie war mehr als bereit, zur Arbeit zurück zu kehren, aber vermisste ihre Familie jetzt schon.
* * *
Im Flugzeug versuchte sie, einen Film anzusehen, aber schlief, zu ihrer Überraschung, bereits nach fünfzehn Minuten ein. Als sie aufwachte, kündigte der Pilot gerade an, dass sie bereits im Landeanflug auf Seattle waren und sie hatte das Gefühl, man hätte ihr Zeit gestohlen. Auf der anderen Seite war sie sich nicht sicher, wann sie zum letzten Mal ein Nickerchen gemacht hatte. Obwohl sie sich in einem Flugzeug befand, war es angenehm gewesen.
Sie fragte sich, ob die Schuldgefühle, die das Nickerchen ausgelöst hatte, von ihren Gehirnbereichen Ehefrau, Mutter oder beiden zusammen getriggert worden waren.
Als das Flugzeug landete, war es 20.31 Uhr Ortszeit und der Himmel bewölkt. Ihr Flug war bereits in Washington DC um eine Stunde verspätet gewesen und ihre Ankunft in Seattle fand nun zu einer Uhrzeit statt, die sie dazu brachte, den Ermittlungsstart auf den nächsten Tag zu verschieben.
Sie sprach mit dem stellvertretenden Direktor des Regionalbüros, der sie tatsächlich anwies, sich direkt am nächsten Morgen mit einem Agenten am Tatort zu treffen. Ihr wurde der Name des Agenten – Ryan Webber – mitgeteilt und dann gefragt, ob sie alle aktuellen Informationen erhalten hatte. Sie bestätigte, die Unterlagen von Direktor McGrath in Washington in Empfang genommen zu haben. Als sie ihren Koffer auf die Rückbank des Mietwagens legte, waren sämtliche Formalitäten abgehakt.
Es war ein seltsames Gefühl, das sie nicht wirklich beschreiben konnte. Als sie den Wagen startete, überrollte sie eine Welle der Freiheit, die sie seit Kevins Geburt nicht mehr verspürt hatte. Sie realisierte, dass sie es wirklich schaffen und Familie und Karriere erfolgreich balancieren konnte. Sie war voller Aufregung (und vielleicht etwas Nervosität, aber nur von positiver Natur), den Fall anzupacken und störte sich sogar daran, bis zum Morgen warten zu müssen. Aber sie wünschte sich auch, Ellington bei sich zu haben. Sie nahm an, dass Tom Brady sich so fühlen musste, wenn er nicht von Bill Belichick trainiert wurde …
Guter Gott, Ellington färbt bereits auf mich ab, dachte sie und wischte den Vergleich weg. Aber sie konnte nicht anders, als zu lächeln.
Der Gedanke trieb sie an, schnell ins Motel zu kommen, um Ellington und Kevin über FaceTime anrufen zu können.
Doch vor allem musste sie auch damit beginnen, wie eine Agentin zu denken. Es fühlte sich ungeheuer komisch an, sich daran erinnern zu müssen. Auf dem Weg zum Parkplatz des Mietwagenverleihs hatte sie bereits die Unterlagen von McGrath durchgesehen und sich mit dem Büro in Seattle in Verbindung gesetzt.
Sie wusste auch, dass sie weitere Unterlagen zur Durchsicht bekommen hatte. McGrath und sein Assistent hatten ihr versprochen, ihr bis 18 Uhr Ostküstenzeit alles Wissenswerte per E-Mail zu schicken. Sie freute sich auf die Unterlagen, um sich einen Überblick zu verschaffen, bevor sie sich am nächsten Tag mit dem zuständigen Agenten treffen würde. So besorgte sie sich die Einzelheiten eines Falles am liebsten: Unzensiert und unkommentiert.
Sie checkte knappe zehn Kilometer vom Flughafen in ein Motel ein und verlor keine Zeit. Noch bevor sie den Koffer auch nur geöffnet hatte, saß sie auf dem Bett, um Ellington anzurufen. Fast sofort antwortete er und sein Gesicht erfüllte den Bildschirm. Auch Kevin, der auf Ellingtons Schoss saß, was teilweise sichtbar. Kevin schien jedoch mehr daran interessiert zu sein, das Kinn seines Vaters zu erforschen.
„Hey Jungs“, sagte Mackenzie. „Ich habe es geschafft, ich bin in Seattle.“
„Gut“, sagte Ellington. „Ich werde den Kleinen bald ins Bett bringen. Er durfte heute etwas länger aufbleiben, damit er dich sehen kann, aber wie du siehst, hat er eine wichtige Angelegenheit mit meinem Kinn zu klären.“
„Kevin … hey Liebling.“
Langsam drehte sich ihr Sohn um und entdeckte ihr Gesicht auf dem Bildschirm. Sein kleiner Mund verwandelte sich in ein Lächeln und er klatschte gegen das Handy.
„Na endlich“, sagte Ellington. „Sag Gute Nacht zu Mommy.“
Die restlichen fünf Minuten der Unterhaltung waren, so Mackenzies Vermutung, die albernsten und lustigsten ihres Lebens. Doch am Ende des Anrufs fühlte sie sich gut, kraftvoll und bereit, den Fall in Angriff zu nehmen.
Mit dem Gedanken schaltete sie den Laptop ein und richtete sich einen kleinen Arbeitsplatz her. Sie bestellte chinesisches Essen, holte sich eine Soda aus dem Getränkeautomaten im Flur und verbrachte die nächsten Stunden damit, die Fallunterlagen zu studieren. Es gab nicht so viel wie erwartet, aber was sie las, war gerade dunkel genug, um den Regen draußen eine unheilvolle Aura zu geben.
Es gab zwei Opfer, die beide auf fast identische Weise umgebracht worden waren. Der größte Unterschied war, dass der jüngste Mord hier in Seattle stattgefunden hatte – der andere in Portland, Oregon. Die beiden Städte lagen weniger als drei Stunden voneinander entfernt, es war also nicht unmöglich, vor allem da vier Tage zwischen den beiden Fällen gelegen hatten.
Der jüngste Tatort befand sich in einem Parkhaus knapp zehn Kilometer von ihrem jetzigen Standort entfernt. Beim Opfer handelte es sich um die dreiundzwanzigjährige Sophie Torres, die Teilzeit als Kellnerin und als Model gearbeitet hatte. Erster Tatort war ein kleiner, öffentlicher Park in Portland gewesen. Das Opfer, Amy Hill, war in einem kleinen Brunnen gefunden worden. Sie war, wie Sophie Torres, mit einem harten Objekt im Gesicht getroffen worden. Es war zuerst unklar gewesen, ob die Schläge die Todesursache gewesen waren oder ob sie ertrunken war, da die Autopsie auch Anzeichen dafür lieferte.
Mackenzie machte sich einige Notizen, um Ähnlichkeiten und Unterschieden der Fälle festzuhalten. Es waren die Ähnlichkeiten, die am hervorstechendsten waren. Bei beiden Opfern handelte es sich um junge Frauen, die in den Augen der meisten Männer als gutaussehend betrachtet werden konnten. Sie waren beide ins Gesicht geschlagen worden, die Wunden und Blutergüsse ähnelten einander. Laut Fallakten nahmen die Forensiker an, dass in beiden Fällen ein Hammer verwendet worden war. Aufgrund der seltsamen Waffenwahl, dem Alter und dem Geschlecht der Opfer, wurden beide Morde als Arbeit derselben Person betrachtet.
Hätten sich die Morde in derselben Stadt zugetragen, würde auch Mackenzie keine Zweifel hegen. Aber die dreistündige Entfernung und die Tatsache, dass Sophie Torres direkt vor ihrem Wagen umgebracht worden war, riefen bei Mackenzie Fragen auf.
Als sie die verfügbaren Unterlagen gelesen und ihr Hähnchen Süß-Sauer samt Pepsi verschlungen hatte, wandte sie sich wieder ihren eigenen Notizen zu. Es gab nicht genug, um ein bedeutsames Profil zu erstellen, sie würde also am nächsten Tag tiefer graben müssen. Die E-Mail von McGrath verriet ihr, dass sie mit einem Agenten des Büros in Seattle zusammenarbeiten würde und ihn um acht Uhr am jüngsten Tatort treffen sollte. Obwohl ihr das nicht gefiel, hatte sie Verständnis dafür. Sie hoffe nur, mit jemandem zusammen zu arbeiten, der ihr gegenüber nicht stur oder aufsässig war, weil sie aus DC kam.
All diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, als sie sich entschied, Feierabend zu machen. Sie duschte und lag noch vor 23 Uhr im Bett. Doch ihr voller Kopf erlaubte es ihr nicht, vor Mitternacht einzuschlafen. Immer wieder glaubte sie, von Kevins Weinen geweckt zu werden, da dieser noch immer mindestens ein Mal pro Nacht gewickelt werden musste.
Doch das Hotelzimmer blieb ruhig und das einzige Geräusch stammte von dem prasselnden Regen draußen. Endlich nickte sie ein und die leere Betthälfte neben ihr irritierte sie nur ein bisschen. Ja, sie vermisste Ellington, aber sie glaubte, dass es gut war, sich hin und wieder etwas Raum zu gönnen. Als sie endlich einschlief, war es ein fester Schlaf und zum ersten Mal seit etwa acht Monaten schlief sie durch.
Kapitel vier
Mackenzie war erst einmal in Seattle gewesen und zwar für eine zweitägige Konferenz. Damals war es sonnig gewesen und der Himmel blau. Sie hatte geglaubt, dass das alte Klischee des immer verregneten Seattles unverhältnismäßig sei. Doch als sie an diesem Morgen aufwachte und kurz nach sieben Uhr das Motel verließ, war der Himmel wolkenverhangen und es regnete so leicht, dass es kaum als Nieselregen bezeichnet werden konnte. Doch die Luft fühlte sich nass an und eine dünne Schicht Nebel schien alles zu umgeben. Es war kein Problem, zu verstehen, warum eine Musikrichtung mit dem Namen Grunge aus einer Stadt wie dieser stammte.
Im Starbucks gegenüber holte sie sich einen Kaffee und fuhr dann zum Parkhaus, wo Sophie Torres ermordet worden war. Es befand sich in einem Teil der Stadt, der nicht vom Berufsverkehr verstopft war und, so vermutete sie, zwischen dem Gebiet um Downtown und der geschäftigeren Seite der Stadt beherbergt zu sein schien.
Als sie dort ankam, fuhr sie mit ihrem Wagen in die hintere Reihe der zweiten Parkebene – genau wie in den Fallunterlagen beschrieben. Sie erkannte einen schwarzen Crown Vic, der horizontal vor dem Parkplatz stand, um diesen abzusperren. Ein Mann stand an die Motorhaube gelehnt. Hin und wieder nippte er an seinem Kaffee, während er in die Leere starrte.
Mackenzie fand den nächstbesten Parkplatz und stieg aus. Der Mann drehte sich zu ihr, lächelte und drückte sich dann vom Wagen weg.
„Agent White?“, fragte er.
„Das bin ich“, sagte Mackenzie.
„Wie schön, dich kennen zu lernen. Ryan Webber, zu Diensten.“
Als sie sich mit Handschlag begrüßten, bemerkte Mackenzie, dass sein Lächeln sie etwas abschreckte. Sein Blick hielt ihr Gesicht fest und sein breites Grinsen erinnerte sie an Heath Ledgers Joker-Portrait. Webber schien Ende zwanzig zu sein, genau wie sie. Er wirkte geschniegelt, sein dunkles Haar passte zum Schnitt des Anzugs im FBI-Stil. Er war zurechtgemacht und spielte seine Agenten-Rolle gut. Ja, er schien das perfekte Abbild der männlichen Agenten zu sein, die man üblicherweise im Fernsehen zu sehen bekam.
„Sorry“, sagte Webber. „Ich sollte das vermutlich gleich loswerden: Ich bewundere dich unheimlich und verfolgte deine Karriere schon bevor du zum FBI gewechselt bist. Der Vogelscheuchen-Killer … alles. Ich hatte an der Akademie eine Gruppe von Freunden und … naja, du warst wie eine Art Rockstar für uns. Und als du zum FBI beordert wurdest, hatten wir auch das Gefühl, es schaffen zu können. Weißt du, was ich meine?“
Mackenzie spürte, wie sie rot wurde, aber sie kämpfte dagegen an. Manchmal vergaß sie, wie bekannt sie mit manchen ihren Fällen geworden war. Ganz zu schweigen von ihrem eher unorthodoxen Einstieg beim FBI, der definitiv bewundernswert war.
„Nun, das weiß ich zu schätzen. Und ja, ich hatte großes Glück. Aber das ist alles Schnee von gestern. Heute bin ich wie jeder andere Agent. Dieselbe Arbeitsmenge, dieselben Regeln, dasselbe Leben. Verheiratet, ein Kind.“
„Wow. Du hast Kinder?“ Er schien es kaum glauben zu können. Mackenzie war sich nicht sicher, warum er wie ein Kind aussah, der gerade die Wahrheit über den Weihnachtsmann herausgefunden hatte.
„Bisher nur das eine.“ Die Unterhaltung schien eine seltsame Richtung anzunehmen, also sah sie an ihm vorbei zum Parkplatz. „Ist das der Tatort?“
„Genau“, sagte er. „Hast du Zugang zu allen Fallakten bekommen?“
„Das habe ich“, antwortete sie.
Webber öffnete die Fahrertür seines Wagens und zog ein iPad aus der Mittelkonsole. Er öffnete die digitalen Kopien der Unterlagen – dieselben, die Mackenzie am Abend zuvor gelesen hatte – und ging auf den Parkplatz zu.
„Gibt es Neuigkeiten? Oder vergrabene Infos, die die offiziellen Akten nicht beinhalteten?“, fragte Mackenzie.
„Nun, ich weiß, dass die Akten indizieren, dass sie vermutlich nicht ausgeraubt wurde. Wir haben jetzt die Info, dass das definitiv nicht der Fall war. Wir haben ihre Bankkonten und Kreditkarten durchleuchtet, um sicherzugehen, dass in ihrer Handtasche nichts fehlte. Es hat außerdem keine Geldabhebungen oder anderweitig verdächtigen Aktivitäten bezüglich ihrer Sozialversicherungsnummer oder anderen Kontoinformationen gegeben. Wenn sie also ausgeraubt worden war, hält der Killer an seinem Diebstahl fest.“
„Genau wie in Portland?“
„Scheint so“, sagte Webber. „Es gab keine Anzeichen dafür, dass Amy Hill etwas abhandengekommen ist und auch ihre Kontodaten sind unverdächtig.“
„Hattest du bereits die Möglichkeit, dir die Leiche anzusehen?“
„Nein, noch nicht. Wir haben erst gestern spätnachmittags das Okay vom Gerichtsmediziner gekriegt. Aber ich denke, dass uns die Fotos vom Tatort alles sagen, was wir wissen müssen.“
„Ja. Und ich denke, dass die Vermutung stimmt, dass ein Hammer als Tatwaffe verwendet wurde.“
„Ah, aber es gibt nun Beweise, dass das erste Opfer mit einem Eichenast angegriffen wurde.“
„Das klingt … wahllos.“
„Das dachte ich auch. Aber die Beweise sind da. Risse in der Haut, die beim zweiten Opfer nicht zu erkennen sind und Holzspuren in den Wunden, die sich als Eiche herausstellten. Oh, hey – gestern Abend haben wir eine Überwachungskamera gefunden, eineinhalb Häuserblöcke weiter, die eine vermummte Person bei der Verfolgung unseres Opfers zeigt. Ich habe einen Blick auf die Aufnahmen geworfen und sie geben leider nicht viel her. Eine Person in einer Regenjacke mit Mütze bekleidet, die Ms. Torres von ihrem Arbeitsplatz, dem Imbiss, bis hierher zum Parkhaus gefolgt ist. Was mich angeht, gibt es keinen Zweifel, dass es sich bei der vermummten Person um den Mörder handelt, aber das Video gibt nicht mehr her als die verdammte Regenjacke.“
Mackenzie war leicht irritiert, dass all diese Informationen in den Unterlagen, die sie erhalten hatte, fehlten. Aber ihr war bewusst, dass das Büro nichts für spontan entdeckte Fakten konnte.
„Wer hat die Aufnahmen gemacht?“
„Sie stammen aus einem Pfandleihhaus. Der Besitzer scheint ziemlich cool zu sein. Er meinte, ich kann erneut vorbeikommen, wenn nötig, aber das Büro hat auch bereits eine Kopie der Überwachungsaufnahmen vorliegen.“
Mackenzie ging um Webbers Crown Vic herum und betrachtete den Parkplatz. „Weiß man, wie lange ihr Wagen hier war, bis er bewegt wurde?“, fragte sie.
„Die Stadt hat ihn gestern abgeschleppt. Die Forensiker haben ihn davor jedoch gründlich durchsucht. Der einzige, erwähnenswerte Fund war Torres‘ Blut am Türrahmen.“
Mackenzie beäugte den leeren Platz. Außer einigen alten Ölflecken und Zigarettenstummeln konnte sie nichts sehen. Kein Blut, keine Haare oder Fasern.
„Wir haben im Büro Zugang zur Videoüberwachung, nicht wahr?“
„Ja, und die upgedateten Fallakten. Wie du bestimmt weißt, kommen viele Infos erst nach Feierabend rein. Ich weiß nicht, wie aktuell die Infos waren, die du erhalten hast.“
Das breite Grinsen war zurück. Und obwohl er sie keinesfalls begaffte, betrachtete er sie doch mit undurchdringlichem Blick. Er ertappte sich dabei und schien eine Art Fluchtreflex abzuschütteln. Er schüttelte den Kopf, als wolle er sich einen klaren Kopf verschaffen.
„Tut mir leid. Ich … ähm, ich versuche immer noch, die Tatsache zu akzeptieren, dass du hier bist. Und ich mit dir arbeiten darf.“
„Es ist keine große Sache“, sagte Mackenzie. „Glaub mir.“
„Bescheiden. Ich verstehe. Aber ob es dir gefällt oder nicht – du bist eine Art Legende für all diejenigen, die in den letzten drei Jahren auf der Akademie waren.“
Seine Worte schmeichelten ihr. Egal, wie bescheiden jemand auch sein mochte, war es immer schön, positive Dinge über sich selbst zu hören. Es war auf jeden Fall ermutigend. Aber sie fühlte sich definitiv nicht wie eine Legende. Wenn Webber ihre Selbstzweifel oder Ängste, die immerzu in ihrem Herzen weilten, kennen würde, hätte er ein anderes Bild von ihr. Das war ihr Hauptgrund, ihn davon abzuhalten, ihr Loblied zu singen und stattdessen die Klappe zu halten.
„Ich würde gerne sehen, wo die Person auf dem Überwachsungsvideo gelaufen ist“, sagte sie.
„Sicher. Sollen wir fahren oder gehen? Es sind nur zwei Blocks.“
„Dann laufen wir.“
Webber schien kein Problem damit zu haben und entschied, mit seinem Wagen weiterhin den Tatort abzuschirmen. Die Agenten verließen das Parkhaus und traten hinaus ins Tageslicht. Webber brachte sie zum Pfandleihhaus, wo die Überwachungskamera positioniert war, die die Person in Regenjacke aufgenommen hatte.
Der Laden war zu so früher Stunde noch geschlossen, aber Mackenzie schien das nicht zu stören. Um ehrlich zu sein, würde sie das Video viel lieber an einem Laptop anschauen, den sie kontrollierte, statt im Pfandleihhaus, wo der Besitzer sich mit seinen Geräten besser auskannte als sie.
„Der Blickwinkel des Videos zeigt ziemlich gerade die Straße runter“, sagte Webber. „Das Parkhaus ist außer Sichtweite, wir sehen also nicht, wie er es betritt.“
Sie gingen langsam die Straße entlang. Mackenzie sah sich auf dem Gehweg um und betrachtete die Schaufenster, unsicher, wonach sie suchte. Sie entdeckte eine Seitengasse, doch die war abgesperrt. Sie drehte sich um und suchte nach anderen Orten, wo die Person sich hätte verstecken können.
Als könne er ihre Gedanken lesen, zeigte Webber auf eine Stelle drei Häuser weiter. „Dort drüben gibt es eine Seitengasse. Die habe ich mir gestern angesehen. Ich habe nichts gefunden, aber unser Täter hat möglicherweise dort auf Ms. Torres gewartet.“
Gemeinsam gingen sie zum ‚Sixteenth Street Diner‘. Vom vorderen Eingang aus war das Parkhaus gut sichtbar; es lag lediglich einen Häuserblock entfernt. Mackenzie betrachtete die Tür des Imbisses. Der schwere Geruch von Speck und Kaffee wehte in ihre Richtung.
„Hattest du die Gelegenheit, dich mit ihren Arbeitskollegen zu unterhalten?“, fragte Mackenzie. Sie verspürte den Drang, den Diner zu betreten, um selbst nach Informationen zu suchen, aber sie hatte noch nie befürwortet, eine Arbeit zwei Mal zu erledigen. Wenn Webber zufriedenstellende Arbeit geleistet hatte, gab es keinen Grund für sie, die Befragung zu wiederholen.
„Ja. Vier Angestellte inklusive ihres Vorgesetzten. Steht alles in den Notizen. Ehrlich gesagt kam dabei aber nur wenig raus. In einigen Fällen mussten ein paar Typen wegen unangemessenen Grapschens aus dem Imbiss geleitet werden. Niemand redet schlecht von Ms. Torres, aber es war klar, dass einige ihrer Kolleginnen neidisch auf sie waren. Eine hat sogar behauptet, sich immer Sorgen um einen solchen Vorfall gemacht zu haben. Anscheinend hat Ms. Torres ihr ausladendes Dekolleté und ihre kurzen Lederröcke eingesetzt, um gutes Trinkgeld zu kassieren. In Establishments wie diesem ist diese Art von Dresscode zu späten Stunden okay.“
Sie setzten ihre Unterhaltung fort, bis sie wieder am Parkhaus angelangt waren. Mackenzie hatte nichts Nennenswertes gesehen, aber gleichzeitig das Gefühl, sowohl Opfer als auch Killer nun besser zu kennen, indem sie denselben Weg gegangen war und damit zumindest Ms. Torres‘ letzten Schritte verfolgen hatte können.