Kitabı oku: «Vorher Stellt Er Ihnen Nach», sayfa 3
Auf dem Weg zu ihren Autos meinte Webber: „Möchtest du dir noch mehr ansehen oder sollen wir uns an die Unterlagen machen?“
„Ich denke, wir können direkt zum Büro fahren“, sagte Mackenzie. „Insofern ich nichts Offensichtliches übersehen habe, glaube ich nicht, dass es hier etwas gibt, was von den Forensikern nicht bereits katalogisiert wurde.“
„Da stimme ich zu. Du kannst mir hinterherfahren.“
Mackenzie ging zurück zu ihrem Wagen und verdrehte die Augen über Webbers jungenhafte Aufregung, die er beim Einsteigen in sein Auto demonstriert hatte. Es war schon eine Weile her, seitdem jemand sie an ihre Vergangenheit und die Geschichte erinnert hatte, wie sie so zügig die Karriereleiter vom Kleinstadtcop zum legendären FBI-Agenten erklommen hatte. Es war schön, einen Blick auf die Vergangenheit zu werfen; eine Erinnerung daran, wo sie herkam und was sie bereits erreicht hatte.
Aber all das lag nun in der Vergangenheit. Als sie an die Frau dachte, die sie einmal gewesen war, fühlte es sich an, als versuche sie sich an die Handlungen und Eigenschaften einer Fremden zu erinnern.
Vielleicht ist das die Erinnerung, die ich brauche, um wirklich wieder in den Sattel zu steigen, dachte Mackenzie. Aber selbst als sie Webber aus dem Parkhaus in die Stadt folgte, war die Vorstellung, sich an den Vogelscheuchen-Mörder und ihr chaotisches Privatleben zu erinnern, vielmehr wie ein Schritt in ein Geisterhaus. Ein Haus, dessen Türen jemand von außen verschlossen hatte.
Kapitel fünf
Webber zeigte ihr ihr temporäres Büro – eine Räumlichkeit so groß wie ein geräumiger Kleiderschrank. Er installierte ihren Laptop und versorgte sie mit den Ausdrucken all der Unterlagen der beiden Mordfälle. Er bot sogar an, ihr Kaffee und einen Donut zu bringen – begierig, alles zu tun, um ihr das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Sie wünschte sich, er würde damit aufhören, da er sich bereit jetzt mehr wie ein Assistent als ein Agent benahm. Wenn er nicht bald damit aufhörte, würde sie mit ihm reden müssen.
Zum Glück gab es keine neuen Erkenntnisse, die sie durchforsten mussten. Die Informationen, die ihr nach dem Durchlesen der Akten am vergangenen Abend noch gefehlt hatten, waren von Webber bereits im Parkhaus geklärt worden. Zuerst sah sie sich nun den Bericht des Gerichtmediziners im Fall des ersten Opfers, Amy Hill aus Portland, an. Sie las den Bericht und sah schnell, wie man zu der Schlussfolgerung gekommen war, dass sie mindestens vier Mal mit einem Eichenast geschlagen worden war – direkt gegen die Augenbraue und einmal auf den Hinterkopf. Beim Betrachten der Wunde und der Lektüre der Akte fragte sie sich, wie jemand überhaupt davon hatte ausgehen können, dass die Verletzungen durch einen Hammer herbeigeführt worden waren.
Dann bat sie um Zugang zu den Aufnahmen der Videokamera des Pfandleihhauses. Sie sah sich die Aufnahmen mehre Male an und verbrachte etwa eine halbe Stunde damit, denselben Achtzehn-Sekunden-Film wieder und wieder anzusehen. Da nur eine einzige Kamera für die Aufnahme zuständig gewesen war, konnte sie das Video aus nur einer Perspektive betrachten. Trotzdem reichte es aus, zu erkennen, dass die Person, die hinter Sophie Torres aufgetaucht war, ihr Bestes gegeben hatte, ihr ungesehen zu folgen. Die gesamte Szene war an den Rändern verschwommen, vermutlich ein Ergebnis des Regens, der in jener Nacht gefallen war.
Sie konnte kein Stückchen Haut erkennen. Selbst die Hände der Person steckten in den Taschen der Regenjacke. Er ging mit entschlossenem Schritt, gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern. Nicht einmal sah er nach hinten, um zu sehen, ob jemand ihm folgte. Nachdem Mackenzie das Video elf Mal angesehen hatte, schloss sie die Datei und sah weg. Die Aufnahme brachte keine neuen Erkenntnisse.
„Haben wir den Wetterbericht von Portland in der Nacht von Amy Hills Tod?“, fragte Mackenzie.
„Ich glaube nicht“, sagte Webber. „Aber ich kann problemlos einen besorgen. Denkst du, dass das Wetter etwas mit dem Vorgehen des Täters zu tun haben könnte?“
„Keine Ahnung. Aber im Moment suche ich einfach nach allen Ähnlichkeiten, die ich finden kann.“
„Verstehe“, sagte Webber und zog sein Handy heraus wie ein lustloser Revolverheld. Er klickte und scrollte, während Mackenzie die Tatortbilder vom Fall Amy Hill heraussuchte. Da ihre Leiche an einem öffentlichen Brunnen gefunden worden war, war es unmöglich, anhand der Bilder zu erkennen, ob es zum Zeitpunkt ihres Todes geregnet hatte.
„Soweit ich hier erkennen kann“, sagte Webber und zeigte ihr Portlands Wetterbericht der letzten sieben Tage, „war der Himmel zur Tatnacht klar. Kein Regen.“
„Der Bericht indiziert, dass sie zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens umgebracht wurde“, meinte sie, als sie die Informationen der Akte zum vierten Mal durchlas. „Das ist in etwa dasselbe Zeitfenster, in dem auch Sophie Torres ermordet wurde. Und wenn ich nichts übersehen habe, ist das die einzige Ähnlichkeit.“
„Nun, das und die Tatsache, dass beide am Kopf getroffen wurden“, erwiderte Webber. „Sicher, wir wissen, dass es sich in beiden Fällen um unterschiedliche Waffen handelte, aber dennoch war es ein Schlag gegen den Kopf. Das ist nicht viel, aber …“
Sie bemerkte, dass er zögerlich sprach, als fürchte er, sie könnte ihn korrigieren oder anderer Meinung sein. Sie fragte sich, ob er mit jedem Agenten-Partner so agierte oder ob es wirklich sie war, die diese Wirkung auf ihn hatte. Wenn letzteres zutraf, hätte sie Mitleid mit ihm. Sie verdiente es nicht, so ehrfürchtig behandelt zu werden. Vermutlich waren ihr erstes Jahr und vor allem der plötzliche Übergang vom Kleinstadtcop zum FBI-Agenten einige Zeitungsüberschriften wert gewesen. Aber jetzt fühlte sie sich wie jeder andere Agent. Sie war verheiratet, hatte ein Kind und war häuslich geworden. Und während sie ihre Familie und ihren Job sehr liebte, hatte sie nicht das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
„Wir müssen herausfinden, ob es eine Verbindung zwischen den Opfern gibt“, sagte Mackenzie. „Wissen wir, ob jemand mit der Familie Hill gesprochen hat?“
„Niemand von hier. Wir haben nur einen Bericht der Polizei in Portland. Das Ergebnis war unauffällig: Kein Ärger mit der Familie, keine Sorgen mit dem Freund, keine Alarmglocken.“
„Und was ist mit Sophie Torres?“
„Auch in dem Fall hat nur die örtliche Polizei mit der Familie gesprochen. Mir wurde angewiesen, nicht vor deiner Ankunft in der Hinsicht zu handeln.“
„Nun, ich bin hier“, sagte Mackenzie und stand auf.
„Das bist du“, stimmte Webber zu. Seine Stimme wies darauf hin, dass er möglicherweise versuchte, mit ihr zu flirten. Sie fühlte sich etwas unwohl, aber nicht unwohl genug, um etwas zu sagen und die Situation für alle unangenehm zu machen.
„Du kennst die Stadt besser als ich“, sagte sie. „Macht es dir etwas aus, zu fahren?“
„Überhaupt nicht.“
„Webber, darf ich dich etwas fragen? Hast du je dauerhaft mit einem Partner zusammengearbeitet?“
„Mit meinem letzten Partner waren es eineinhalb Jahre. Dann wurde er nach Denver versetzt. Davor habe ich immer nur kurzzeitig mit anderen Agenten gearbeitet. Aber ich weiß, warum du fragst. Mir wurde gesagt, dass ich etwas sonderbar rüberkomme. Und ja – das Wort, genau das Wort, wurde verwendet. Aber es ist keine Bezeichnung, die ich jemals verwenden würde.“
„Ich würde nicht sonderbar sagen“, meinte sie. „Du scheinst … nun, du scheinst den Job ein bisschen zu sehr zu genießen. Aber nicht auf besessene oder grüblerische Art und Weise. Eher wie ein Kind, das mit seinem Dad zur Arbeit gegangen ist … und der Dad arbeitet mit Sprengstoffen oder ist ein Football-Spieler oder so.“
Sein Lachen machte ihn in ihren Augen sympathischer. Es war ehrlich und vermutlich ihr erstes Mal, ein wahrhaftiges, ungestelltes Wiehern zu hören.
„Ich bin mir sicher, dass darin indirekt eine Beleidigung steckt, aber das stört mich nicht“, sagte er. „Denn weißt du was – genauso fühle ich mich manchmal. Ich mag das Geheimnisvolle. Die Puzzles, das Rätsellösen und alles. Und, wie gesagt, die Tatsache, mit dir zusammen arbeiten zu dürfen …“
„Bedeutet absolut nichts“, unterbrach Mackenzie ihn. „Hör zu, Webber. Ich bin froh, mit dir zu arbeiten und denke, dass wir den Fall schnell lösen können. Und so gerne eine Frau auch hört, wie wundervoll sie ist, bitte ich dich doch, genau das sein zu lassen. Soweit ich weiß, bin ich nicht besser als du. Also sollten wir auf einer Ebene agieren, okay? Ich bin nicht deine Vorgesetzte und will deine Ideen und Gedanken hören. Unsere Vorgesetzten dürfen uns dann loben, wenn wir den Fall abgeschlossen haben. In Ordnung?“
Webber wirkte zuerst verwirrt, doch dann nickte er langsam. „Ja, das ist in Ordnung. Es tut mir leid. Mir war nicht bewusst, dass ich mich noch immer wie ein Fanboy verhalten habe.“
„Kein Problem. Einem Teil von mir gefällt das ja sogar. Aber das ist nicht der Teil, der gut darin ist, Verbrechen aufzuklären.“
Webber hatte dem scheinbar nichts entgegenzusetzen. Er winkte ihr lediglich zu, ihm zu folgen und zusammen verließen sie das Gebäude. Es war ein bewölkter Morgen und der Himmel drohte mit Regen.
Kapitel sechs
Er bereute es, keine Fotos gemacht zu haben. Der Anblick ihres Falles war ihm noch immer in frischer Erinnerung, genau wie die Delle in ihrem Kopf. Aber er wusste, dass Erinnerungen fehlerhaft sein konnten. Und er wusste, dass Erinnerungen mit der Zeit verblassen würden. Selbst die besten wurden mit jedem Jahr schwächer.
Und diese Erinnerung wollte er nicht verlieren.
Außerdem war es sein erster Mord gewesen – und viel besser als erwartet.
Er hatte nur mit zwei Frauen geschlafen. Bei der ersten, einer Prostituierten, war er neunzehn gewesen. Er hatte ihr erklärt, Jungfrau zu sein und dass sie ihn hart drannehmen aber ihm auch ein paar Dinge beibringen sollte. Das hatte sie getan und es war eine unglaubliche Erfahrung gewesen.
Doch sein erster Mord war wesentlich besser gewesen als sein erstes Mal. Es war unvergleichlich.
Hätte wirklich ein Foto machen sollen.
Aber er wusste, dass das Fotografieren seiner Opfer ein dummer Akt wäre. Quasi eine Einladung, gefunden zu werden.
Er selbst saß an seinem Computer in seiner dunklen Wohnung, sah sich die Bilder von anderen Leuten online an und wunderte sich über deren Dummheit, solche Dinge zu posten. Es waren Bilder von Schussopfern, von Taxifahrern, die erstochen wurden, von Menschen, die tief gefallen waren. Auf einem Foto war ein Mann abgebildet, der von einem Humvee überfahren worden war. Selbst im Dark Web – so ziemlich das einzige Internet, das er derzeit nutzte – konnte die Regierung herausfinden, was man sich ansah oder selbst hochstellte.
Und obwohl es kein Verbrechen war, sich Materialien wie diese anzusehen, war es meistens illegal, sie zu posten. Und er wusste, dass die meisten Leute, die solche Dinge hochluden, Idioten waren, die geradezu darauf warteten, erwischt zu werden.
Nun, das stimmte wohl für manche. Aber nicht für ihn. Mit seiner Ausbildung und drei Jahren Erfahrung im Informatikbereich wusste er, wie er sich schützen konnte. Die meisten Idioten wussten das nicht, doch das war nicht sein Problem.
Er betrachtete die Fotos auf dem Bildschirm. Die toten Menschen. Das Video des einen Opfers, das dem Tod nahe war – der einzige Hinweis darauf, dass es noch lebte, waren die kleinen, stockigen Atemzüge, die alle fünf Sekunden erfolgten. Dann waren da die Bilder von Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Und die Fotos des Mannes, der den Tod seiner Frau aufgenommen hatte, als er sie während dem Sex im Bett erstickte.
Vermutlich würden manche sagen, dass er krank im Kopf war, dass bei ihm etwas nicht stimmte. Er glaubte nicht, dass das der Fall war – aber wer weiß? Manche würden vielleicht annehmen, dass er ein furchtbares Kindheitstrauma erlitten, etwas Unmenschliches erfahren hatte, das ihn zu dem Menschen machte, der er war. Aber auch das stimmte nicht. Seine Kindheit war großartig gewesen und seine Eltern liebevoll. Noch immer sprach er mindestens einmal pro Woche mit ihnen und seine Mutter fragte sich noch immer, wann er sich endlich niederlassen würde, um zu heiraten und ihnen Enkelkinder zu schenken.
Seine Mutter hatte sich auch gefragt, was mit den drei Katzen geschehen war, die sie im Zeitraum von fünf Jahren besessen hatte. Er kannte die Antwort. Er hatte sie umgebracht. Und das auf unterschiedliche Art und Weise, um zu sehen, wie es sich anfühlte. Um zu sehen, wie das Leben aus ihren Augen verschwand.
Er hatte es nicht besonders genossen. Es hatte kaum einen Kampf gegeben und am Ende hatte es sich angefühlt, als erwürge er ein Stofftier.
Mit Sophie war es anders gewesen. Gott, das war ein fantastisches Gefühl. Unbeschreiblich.
Also vielleicht, und nur vielleicht, stimmte mit ihm tatsächlich etwas nicht. Die meisten würden wohl sagen, dass das der Fall war, aber er hatte noch immer nicht das Gefühl, dass das stimmte.
Nein, nichts davon entsprach der Wahrheit. Ihm ging es gut. Er genoss es einfach nur, andere leiden zu sehen. Er genoss den Anblick sterbender Menschen.
Und ihm gefiel auch die Herausforderung. Denn das war es, was die Stimme ihm schenkte: Herausforderungen.
Die Stimme hatte ihm in den letzten Monaten mehrere Aufgaben gestellt. Es hatte langsam angefangen, fast schon spielerisch. Beobachte das verheiratete Pärchen am Ende der Straße beim Sex. Lass einen Stein auf den Straßenhund fallen – aus dem Fenster im vierten Stockwerk. Schicke eine Bombendrohung an die örtliche Grundschule.
Die Stimme hatte einen Namen und er kannte ihn. Aber er bezeichnete sie gerne als die Stimme. Das hielt ihn auf Abstand und erleichterte es ihm, die Aufgaben auszuführen und die Instruktionen zu beachten.
Die ersten Herausforderungen waren einfach gewesen – obwohl er sich gewünscht hätte, der Hund wäre sofort gestorben, nachdem der Stein ihn getroffen hatte. Er hatte noch immer Albträume deswegen.
Nach den ersten Aufgaben waren die richtigen Herausforderungen gekommen. Die, in denen es um Mord ging. Die Stimme wusste, was er sich im Internet ansah. Manchmal glaubte er, die Stimme kenne ihn besser als er selbst und kontrolliere ihn von innen.
Ja, die Stimme hatte ihn schließlich darum gebeten, zu töten – eine Fantasie auszuleben, statt nur davon zu träumen, während er im Dark Web browste.
Die Stimme hatte ihn herausgefordert. Und er war ihr gefolgt.
Und nun gab es eine neue Aufgabe.
Die Stimme hatte sie ihm vor einer Stunde erteilt. Deshalb browste er gerade durch Foren und schaute sich Videos tabuisierter Inhalte an – Inhalte, von denen er wusste, dass sie ihm Gefängniszeit einbringen konnten, wenn er jemals erwischt wurde.
Er arbeitete daran, den Mut aufzubringen. Denn die Stimme hatte ihn erneut gebeten, zu töten. Und dieses Mal sollte er es am helllichten Tag tun.
Die Vorstellung war mehr als aufregend – fast schon erregend. Er konnte an nichts anderes denken. Er war sich nicht sicher, wie er es anstellen sollte, aber er hatte bereits ein Opfer im Kopf. Er hatte schon darüber nachgedacht, bevor die Stimme überhaupt damit begonnen hatte, mit ihm zu sprechen. Eine andere Frau, eine andere wunderschöne Kreatur, die ihm das Gefühl gab, schmutzig und schlecht zu sein. Sie verdiente es vermutlich nicht, zu sterben, aber das lag nicht in seiner Hand.
Die Stimme hatte die Herausforderung gestellt und er konnte nichts dagegen tun. Selbst wenn er es wollte. Sein Verstand, sein Körper und sein Herz waren bereit, die Aufgabe anzunehmen. Es würde einfach sein. Wie atmen oder schlafen. Es wäre natürlich, wie alles andere auch, worum die Stimme ihn gebeten hatte.
Tu es erneut. Dieses Mal am helllichten Tag.
Er konnte die Stimme in seinem Kopf noch immer hören. Jedes Wort langsam und langgezogen.
Sie war noch immer da, als er auf seinem Schreibtischstuhl einschlief, der Bildschirm mit den erbärmlichen Fotos vor ihm.
Kapitel sieben
Es war nie einfach, die Familie eines Opfers so kurz nach dem Tod eines geliebten Menschen zu besuchen – vor allem wenn man vorhatte, genau darüber Fragen zu stellen. Mackenzie hatte aufgehört, zu zählen, wie oft sie diesen Besuch gemacht hatte, aber es gab einige, die sie nie vergessen würde. Trauer wurde immer auf unterschiedlichste Weise ausgedrückt, aber noch nie hatte sie gesehen, dass sie durch pure Wut geäußert wurde.
Der Besuch bei Sophies Torres Eltern war anders. Die Mutter – eine spindeldürre Frau mit dem Namen Esmeralda – war vor Trauer offensichtlich fix und fertig. Das sah sie in ihren Augen und in ihrem Gesicht, als sie ihr Haus betrat.
Esmeralda führte sie wie ein Gespenst durchs Haus, als übe sie, in ihrem eigenen Zuhause herum zu spuken. „Bitte kommen Sie herein“ war alles, was sie herausgebracht hatte. Sie lief, als verlören ihre Beine ihre Kraft, als sähe kein einziger Muskel in ihrem Körper auch nur einen Grund, weiterzumachen, jetzt, wo ihre Tochter nicht mehr am Leben war.
Dies war wirklich der eine Teil ihres Jobs, den Mackenzie hasste. Sie schielte zu Webber und sah, dass er feierlich und fast schon bedauernd wirkte. Es passte nicht zu ihm – sie hatte ihn bisher ganz anders kennengelernt.
Esmeralda brachte sie in ihre Küche. Dort sah Mackenzie ihren Mann, der am Küchentisch saß. Vor ihm ein Fotoalbum und ein Dekanter mit einer Art von Likör. Sein Gesicht war wie eine Steinmauer, sein Körper eine Hülle der Wut. Sie war so dick, dass Mackenzie glaubte, sie spüren zu können wie eine Feuerwand.
„Mein Mann“, sagte Esmeralda und winkte abwesend in seine Richtung. Sie nannte nicht einmal seinen Namen und schien nichts mehr zu tun, als ein wahlloses Möbelstück zu identifizieren.
Zuerst sagte er nichts. Doch als die Agenten die Küche betraten, stand er auf. Er ließ das Fotoalbum auf dem Tisch liegen, nahm sich aber den Likör. Noch immer sagte er nichts und lehnte sich lediglich gegen den Küchentresen.
„Tee?“, fragte Esmeralda. „Kaffee?“
Mackenzie wollte nichts, aber sie war schon oft in dieser Situation gewesen. Sie wusste, dass es für Esmeralda Torres eine große Hilfe sein würde, etwas zu tun zu haben. Eine Beschäftigung zu haben gab Menschen in dieser Situation das Gefühl, die Kontrolle über irgendetwas zu behalten.
„Wir wissen, wie unglaublich schwer das ist“, sagte Webber, während sie sich auf die kleinen Barstühle setzten. „Vielen Dank für Ihre Kooperation. Dabei helfen Sie uns in vielerlei Hinsicht, diesen Fall besser zu verstehen.“
Esmeralda sagte nichts, sondern beschäftigte sich mit dem Tee. Kein einziges Wort wurde in der Küche der Torres gesprochen, bis der Wasserkessel auf dem Herd pfiff und sie das Wasser in die Tassen gab, an deren Seiten Teebeutel hingen.
Esmeralda überreichte ihnen ihre Teetassen. Mackenzie nippte sofort daran. Der Tee war stark, vermutlich eine Art Grüntee, wenn sie richtig lag. Sie hatte schon immer Kaffee bevorzugt.
„Was können wir für Sie tun?“, fragte Esmeralda schließlich.
„Wir versuchen, herauszufinden, ob Sophie möglicherweise Leute kannte, die Sie als ihre Feinde betrachten würden“, sagte Mackenzie. „Ich benutze dieses harte Wort nicht gerne, aber gewisse Details ihres Todes bringen uns zu der Annahme, dass er womöglich mit einem anderen aktuellen Fall in Verbindung steht.
„Feinde, nein …“, sagte Mrs. Torres. „Aber es gab einige Dinge, die …“
Sie verstummte, blickte zu Boden und gab offensichtlich ihr Bestes, nicht zu weinen. In der Zwischenzeit war Mr. Torres mehr als glücklich, ihren Satz fortzuführen. Und die Wut, die Mackenzie schon zuvor gespürt hatte, wurde in seiner Stimme noch deutlicher.
„Keine Feinde“, sagte er und sprach mit dem Tonfall eines Ausbilders beim Militär. „Aber ihr Ex-Freund ist ziemlich an die Decke gegangen, als sie mit ihm Schluss gemacht hat. Er hat ihr furchtbare Nachrichten geschickt.“
„Wann ging die Beziehung zu Ende?“, fragte Mackenzie.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht vor etwa einer Woche. Es ist definitiv nicht länger als zwei Wochen her.“
„Woher wissen Sie von den Nachrichten?“, fragte Webber.
„Sie hat sie uns gezeigt“, sagte Mr. Torres. „Sie kam vorbei und schien irgendwie ängstlich zu sein. Sie wollte wissen, ob wir es für angebracht hielten, die Polizei zu rufen. Ich meinte, ich würde mit dem kleinen Arschloch reden und habe ihn angerufen. Aber er ist nicht rangegangen. Ich habe ihm eine relativ aggressive Nachricht hinterlassen und soweit ich weiß, gab es danach keinen Kontakt mehr.“
„Was stand in den Nachrichten des Ex-Freunds?“, fragte Mackenzie.
„Obsessive Dinge. Er schrieb, dass sie einen Fehler gemacht hatte und er ihr folgen konnte, wann immer er wollte. Dass er immer wusste, wo sie war. In einer Nachricht hoffte er, sie eines Tages so sehr zu verletzen, wie sie es getan hatte.“
„Du hast nicht zufällig ihr Handy?“, fragte Mackenzie und sah zu Webber.
„Nein“, sagte Webber. „Das ist noch immer bei der örtlichen Polizeidienststelle.“
„Haben Sie diesen Freund je kennengelernt?“, fragte Mackenzie.
„Einmal“, sagte Mr. Torres. „Er kam zum Abendessen vorbei und ich hätte schwören können …, dass er ein anständiger Junge ist. Aber sie hat durchdringen lassen, dass die Beziehung eher holprig war. Und dann diese verdammten Nachrichten …“
„Wie lange waren die beiden zusammen?“, fragte Webber.
„Vielleicht ein Jahr?“, vermutete Mr. Torres. „Könnte auch etwas länger sein, nehme ich an.“
„Wissen Sie, warum die Beziehung auseinander ging?“, fragte Mackenzie.
„Ich denke, er wurde zu anhänglich.“ Jetzt sprach Mrs. Torres. Sie hatte offenbar die Kontrolle über ihre Emotionen zurückerlangt und wollte helfen. „Sophie war bereit, sich wie eine Erwachsene zu verhalten. Sie wollte mit dem Kellnern aufhören und ihre Model-Karriere weiterverfolgen.“
„Sie war Model?“
„Nur in Teilzeit“, sagte Mrs. Torres. „Sie hatte keine großen Jobs. Ein paar Aufnahmen für Print- und Onlineanzeigen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde sie für einen Werbespot gecastet, aber der wurde nie ausgestrahlt.“
„Wann haben Sie beide zum letzten Mal mit ihrem Ex-Freund gesprochen?“, fragte Webber.
„Außer der Nachricht, die ich ihm hinterlassen habe“, meinte Mr. Torres, „haben wir nur mit ihm gesprochen, als sie ihn zum Essen mitgebracht hat.“
„Hat er einen Namen?“, fragte Mackenzie.
„Ken Grainger“, antwortete Mrs. Torres.
„Wenn Sie ihn treffen“, sagte Mr. Torres, „stellen Sie sicher, dass er weiß, dass eine seiner ungehobelten Nachrichten vermutlich das letzte war, was mein Baby vor ihrem Tod gesehen hat. Und wenn sich herausstellt, dass er dahintersteckt … ich würde viel Geld dafür bezahlen, wenn ich nur fünf Minuten mit ihm allein sein darf.“
Eine Träne schlich sich aus seinem rechten Auge. Mackenzie glaubte nicht, jemals jemanden dabei beobachtet zu haben, vor Wut zu weinen. Weder sie noch Webber kommentierten seine Aussage. Sie packten ihre Sachen zusammen und verließen das Haus. Mackenzie hatte das Gefühl, Mr. Torres‘ Wut klebe an ihr wie ein Spinnennetz.
* * *
Mithilfe der Techniker auf dem Revier war Mackenzie in der Lage, innerhalb von fünfzehn Minuten Adresse, Arbeitgeber und Handynummer von Ken Grainger herauszufinden. Seine Wohnung lag elf Kilometer vom Haus der Torres entfernt und im schäbigeren Teil Downtowns. Das Stadtgebiet schien in der Vergangenheit stecken geblieben zu sein. Graffiti an Gebäudewänden lasen NIRVANA FOREVER, RIP KURT und LAYNE LEBT.
„Ich verstehe die Nirvana und Kurt Cobain Anspielungen“, sagte Mackenzie. „Aber was bedeutete ‚Layne lebt‘?“
„Layne Staley, Sänger von Alice in Chains. In diesem Stadtteil kann man der Grunge-Bewegung nicht entkommen.“
Mackenzie nickte. Seattle war nicht für Starbucks und Dauerregen bekannt, sondern auch als Geburtsstadt der Grunge-Musik. Auf dem Weg zu Graingers Wohnung entdeckte sie weitere Graffiti, kleine Clubs und eine alarmierende Zahl an Schallplattenladen. Dort angekommen standen sie vor verschlossener Tür. Das war nicht allzu schockierend, schließlich war es mitten am Tag und die meisten Leute bei der Arbeit.
Doch ein Anruf bei seinem Arbeitgeber ‚Next Wave Graphics‘ brachte ähnliche Ergebnisse. Ein sehr ärgerlich klingender Mann teilte ihnen mit, dass Ken Grainger seit drei Tagen nicht bei der Arbeit erschienen war und außerdem nicht ans Telefon ging. Der wütende Mann bat Mackenzie, Ken darüber zu informieren, dass er gefeuert war.
„Klingt mehr als verdächtig, wenn du mich fragst“, sagte Webber.
„Geht mir ähnlich“, meinte Mackenzie. „Wir müssen ihn schnell finden. Wenn er unser Mann ist und kein Problem damit hat, die Staatsgrenzen zu überschreiten, wird es schwer, ihn zu lokalisieren.“ Sie dachte eine Weile darüber nach, während sie und Webber im Wagen saßen und an ihrem Kaffee nippten. „Fällt dir im Büro jemand ein, der ein Talent dafür hat, schnell persönliche Informationen herauszufinden? Sozialversicherungsnummer, Kreditkarteninformationen, solche Dinge?“, fragte Mackenzie, während sie über die nächsten Schritte nachdachte.
„Naja, das ist Standard, es würde also nur etwa zwanzig Minuten dauern, diese Infos zu besorgen“, sagte Webber.
„Schneller wäre mit lieber. Lass die Sozialversicherungsnummer weg und sieh nach, ob wir eine Kreditkartennummer finden können, die unter Ken Grainger gelistet ist.“
Webber nahm sein Handy fast schon zu gehorsam in die Hand und folgte ihren Anweisungen. Er blickte von Mackenzie zur Straße und wieder zurück, während er telefonierte. Mackenzie lauschte und war beeindruckt, wie gut Webber die Person am anderen Ende händelte. Sie begann, zu verstehen, dass viele Beamten im Büro in Seattle Webber ziemlich zu respektieren schienen. Wenn er um etwas bat, bekam er es für gewöhnlich schnell und ohne Nachfragen.
Bei Ken Graingers Kreditkarteninfos war es nicht anders. Webber bekam, was er wollte und zwar innerhalb von sechs Minuten. Er legte seine Hand aufs Handy-Mikrofon und sah Mackenzie an. „Ich habe die Infos. Er checkt gerade, wann die Karte zum letzten Mal benutzt wurde …“ Er hielt inne und richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung zu. „Ja … oh, wirklich? Ja, das wäre perfekt. Danke.“
Er beendete den Anruf und ließ den Wagen an. „Ken Graingers Kreditkarte wurde etwa fünfundzwanzig Kilometer von hier an einer Tanksteller verwendet. Das war heute Morgen um 8.37 Uhr.“
„Er ist also noch in der Stadt“, sagte Mackenzie. „Das war vor weniger als drei Stunden.“
„Es wird noch besser“, sagte Webber. „Zu der Zeit wurde die Karte zum letzten Mal in ihrer physischen Form benutzt. Mein Kollege meint, dass die Kreditkarte aber vor weniger als einer Stunde verwendet wurde, um eine Amazon-Bestellung zu bezahlen.“
„Wissen wir wo?“
„Noch nicht. Es wird daran gearbeitet, die IP-Adresse und deren Location zu finden. Im Moment fahre ich in Richtung der Tankstelle, schließlich muss er irgendwo in der Nähe sein. Genaueres liefert uns dann hoffentlich die Amazon-Bestellung.“
„Tolle Arbeit“, sagte sie.
Das Kompliment brachte Webbers Augen zum Leuchten, als er in den besseren Teil der Stadt zurückfuhr. Unterwegs begann es wieder, leicht zu regnen, doch der Himmel war größtenteils blau und wolkenlos.
Weniger als zwei Minuten später klingelte Webbers Handy. Er antwortete sofort, sprach nur wenige Worte und legte dann mit aufgeregtem Grinsen auf.
„Die Amazon-Bestellung wurde von einem Laptop etwa sechs Minuten von hier entfernt getätigt“, informierte er sie.
In diesem Moment verstand Mackenzie, dass bestimmte Dinge manchmal schlichtweg universal waren. Sie hatte so lange mit Ellington gearbeitet, dass sie fast schon vergessen hatte, wie es war, die Aufregung eines anderen Agenten mitzuerleben. Weder sie noch Webber sprachen ein Wort. Es war fast wie eine Achterbahnfahrt: Sobald die Metallstange auf deinem Schoß lag und der Wagen ins Rollen kam, verstummten all die lockeren Gespräche und Witzeleien. Webber beschleunigte sein Auto und begab sich zu der Adresse, die man ihm genannt hatte. Beide saßen sie zurückgelehnt im Wagen und schwiegen.
Mackenzie fühlte sich etwas schuldig, so gespannt und aufgeregt zu sein. Mit Ellington war ihre Arbeit schnell vorhersehbar und routiniert geworden. Sie hatten sich aneinander gelabt und hin und wieder sogar auf fast telepathische Weise miteinander kommuniziert. Aber das hatte auch einen Nachteil mit sich gebracht: Die Arbeit war alltäglich, fast schon langweilig geworden. Und als Webber durch die Straßen raste und manche Kurven so scharf nahm, dass das Wagenheck schon leicht ins Schleudern geriet, fragte sich Mackenzie, ob sie genau das gebraucht hatte. Ein bisschen Adrenalin in ihrer Karriere, nachdem sie endlich ihren verlängerten Mutterschutz hinter sich gelassen hatte, würde vielleicht Wunder bewirken.
Vier Minuten später erreichten sie ihr Ziel und Webber parkte auf dem kleinen Parkplatz. Die Wohnung war Teil eines Apartmentkomplexes. Als Webber ausstieg, folgte Mackenzie ihm ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Er sah sie an, als warte er darauf, zu sehen, ob sie die Führung übernehmen würde, aber sie überließ sie ihm.
In seinem Schritt lag keine Dringlichkeit, als er zur Wohnungstür lief. Die rasante Fahrt hatte sie auf schnellstmögliche Weise zum Ziel gebracht. Die Amazon-Bestellung war vor etwas über einer Stunde getätigt worden und Ken Grainger hatte seinen Aufenthaltsort seither möglicherweise verlassen. Nun war es an der Zeit herauszufinden, ob er das getan hatte oder nicht.
Webber klopfte an die Tür. Sie hörten Bewegungen von drinnen und ein sehr leises Geräusch, das Mackenzie für Flüstern hielt.
Webber klopfte erneut, dieses Mal lauter. Einige Augenblicke später wurde die Tür von einem jungen Mann, vermutlich Anfang zwanzig, geöffnet. Er hatte kurz geschnittenes Haar und trug ein weißes Tanktop und weite Shorts.
„Ja?“, sagte er und versuchte, cool und gesammelt zu erscheinen. „Kann ich helfen?“
„Sind Sie Ken Grainger?“, fragte Webber.
„Wer? Ne, Mann.“
„Wie heißen Sie?“
Der Typ sah schon fast beleidigt aus. Er trat in den Türrahmen und versuchte, tough rüberzukommen. „Sie haben an meine Tür geklopft, Mann – wer sind Sie?“
Webber bewegte sich langsam und bedeutungsvoll, als er seine Marke und seinen Ausweis herauszog. Mackenzie verkniff sich ein Lächeln, als sie beobachtete, wie sich der Gesichtsausdruck des Mannes überrascht veränderte.
„Agent Webber, FBI. Das ist meine Kollegin, Agent White. Also, ich frage nochmal: Wie heißen Sie?“
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