Kitabı oku: «Wenn Sie Wüsste», sayfa 3
KAPITEL VIER
Zwar hatte Kate ihren alten FBI Ausweis nicht mehr, aber sie hatte noch ihre letzte Dienstmarke. Sie lehnte auf dem Kaminsims wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, kaum besser als ein verblichenes Foto. Als sie die Wache des Third Precinct verließ, fuhr sie nach Hause und griff danach. Sie dachte schwer darüber nach, ob sie auch ihre Waffe mitnehmen sollte. Sehnsüchtig blickte sie die M1911 an, ließ dann aber doch in ihrer Nachttischschublade. Sie mitzunehmen hieße, sich Ärger einzuhandeln.
Die Handschellen, die sie zusammen mit anderen kleinen Schätzen ihrer Karriere in einem Schuhkarton unter dem Bett aufbewahrte, entschloss sie sich jedoch mitzunehmen.
Nur für den Fall.
Sie verließ das Haus und fuhr zu der Adresse, die Deb ihr gegeben hatte. Sie befand sich in Shockoe Bottom, das von ihrem Zuhause aus mit dem Auto in zwanzig Minuten zu erreichen war. Sie war nicht nervös, während sie fuhr, aber sie spürte eine Art von Erregung. Sie wusste, dass sie es eigentlich nicht tun sollte, aber gleichzeitg war es ein gutes Gefühl, wieder draußen und auf der Jagd zu sein – und sei es im Geheimen.
Gerade, als sie die Adresse von Julie Hicks‘ früherem Freund erreichte, einem Kerl namens Brian Neilbolt, musste Kate an ihren Mann denken. Immer wieder dachte sie an ihn, doch gelegentlich blieb er ihr für eine ganze Weile im Sinn. Genau das passierte, als sie in die Straße einbog, die sie suchte. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie er frustriert seinen Kopf schüttelte.
Kate, du weißt genau, dass du dies hier nicht tun solltest, schien er zu sagen.
Sie grinste ein wenig. Manchmal vermisste sie ihren Mann ganz wahnsinnig, ganz im Kontrast zu der Tatsache, dass sie manchmal dachte, dass sie über seinen Tod ziemlich schnell hinweg gekommen war.
Während sie ihren Wagen vor der ihr durchgegebenen Adresse parkte, schüttelte sie die Spinnweben der Erinnerung ab.
Es handelte sich um ein ziemlich hübsches Haus, das in zwei Apartments unterteilt war, die wiederum durch jeweils eine Veranda voneinander getrennt waren. Als sie ausstieg, konnte sie sofort hören, dass jemand zuhause war, denn von drinnen drang eine sehr laute Stimme.
Als sie die Treppe zur Veranda hinaufstieg, fühlte sie sich zeitlich etwa um ein Jahr zurückversetzt. Sie fühlte sich wieder wie ein Agent, trotz der fehlenden Waffe an ihrer Hüfte. Trotzdem war sie nun einmal ein Agent im Ruhestand, und sie hatte keine Ahnung, was sie eigentlich sagen sollte, wenn sie an die Tür klopfte.
Davon ließ sie sich jedoch nicht aufhalten. Mit der gleichen Autorität, die sie bis vor einem Jahr an den Tag gelegt hatte, klopfte sie an die Tür. Während sie noch das laute Sprechen drinnen hörte, entschied sie sich, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn sie sich erwischen ließ in dieser Situation, in der sie sich eigentlich gar nicht befinden sollte, dann machte das Vortäuschen falscher Tatsachen alles nur noch schlimmer.
Der Mann, der die Tür öffnete, erschreckte Kate ein wenig. Er war circa 1,90 Meter groß und absolut durchtrainiert. Allein seinen Schultern konnte man ansehen, dass er viel Zeit im Fitness Studio verbrachte. Er hätte leicht als professioneller Wrestler durchgehen können. Aus seinen Augen blitzte der Zorn.
„Ja?“, fragte er. „Wer sind Sie?“
Sie tat dann etwas, was sie sehr vermisst hatte. Sie hielt ihm ihre Dienstmarke unter die Nase. Sie hoffte, dass der Anblick der Marke etwas Gewicht trug, um ihr das Vorstellen zu erleichtern. „Ich bin Kate Wise. Ich bin pensionierter FBI Agent. Ich würde gerne einen Moment mit Ihnen sprechen.“
„Und worüber?“, fragte er. Seine Worte kamen schnell und abgehackt.
„Sind Sie Brian Neilbolt?“, fragte sie.
„Der bin ich.“
„Ihre Ex-Freundin war also Julie Hicks, richtig? Vormals Julie Meade?“
„Ach Scheiße, nicht schon wieder. Hören Sie, die Scheißbullen haben mich schon abgeholt und verhört. Jetzt auch noch das FBI?“
„Sie können ganz beruhigt sein, ich bin nicht hier, um Sie zu verhören. Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.“
„Hört sich für mich nach einem Verhör an“, meinte er. „Außerdem sagten Sie gerade, dass Sie pensioniert sind. Da bin ich mir ziemlich sicher, dass ich gar nichts muss, worum Sie mich bitten.“
Sie tat so, als machte ihr diese Antwort etwas aus und wandte sich ab. In Wirklichkeit aber blickte sie über seine massigen Schultern hinweg in den Raum hinter ihm. Sie sah einen Koffer und zwei Rücksäcke, die an der Wand lehnten. Sie erblickte auch einen Zettel, der auf einem der Rucksäcke lag. An dem großen Logo konnte sie erkennen, dass es sich um einen Beleg von Orbitz, einem Billiganbieter für Reisen, handelte. Augenscheinlich war Brian Neilbolt drauf und dran, die Stadt zu verlassen.
Nicht gerade das beste Szenario, wenn die eigene Ex-Freundin gerade ermordet aufgefunden und man selbst gerade verhört und kurz darauf von der Polizei wieder freigelassen worden war.
„Wohin geht die Reise?“, fragte Kate.
„Das geht Sie nichts an.“
„Mit wem haben Sie eben, bevor ich geklopft habe, so laut telefoniert?“
„Nochmal, das geht Sie nichts an. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden…“
Er wollte die Tür schließen, aber Kate ließ nicht locker. Sie trat einen Schritt vor und stellte ihren Fuß zwischen Tür und Türrahmen.
„Mr. Neilbolt, ich bitte Sie um nichts weiter als fünf Minuten Ihrer Zeit.“
Eine Welle von Zorn schien über sein Gesicht zu gleiten, war aber gleich darauf wieder verschwunden. Er ließ den Kopf hängen, und für einen Augenblick meinte sie, er sähe geradezu traurig aus. Es ähnelte dem Gesichtsausdruck, den sie bei den Meades gesehen hatte.
„Sie sagten, Sie sind ein pensionierter Agent, richtig?“, fragte Neilbolt.
„Richtig“, bestätigte sie.
„Pensioniert“, sagte er. „Dann verpissen Sie sich von meiner Veranda.“
Sie blieb stehen und machte dadurch klar, dass sie nicht vorhatte, zu verschwinden.
„Ich sagte verpissen Sie sich von meiner Veranda!“
Er nickte und seine Hand schoss vor, um sie zu schubsen. Sie spürte die Kraft seiner Hände, als sie auf ihre Schultern krachten und reagierte, so schnell sie konnte. Sie war erstaunt, wie schnell ihre Reflexe und Muskeln in ihre alten Bewegungsmuster verfielen.
Als sie nach hinten stolperte, schlang sie beide Arme um Neilbolts rechten Arm. Im selben Moment, ließ sie sich auf ein Knie fallen, um nicht nach hinten zu stürzen. Dann versuchte sie, ihn per Hüftwurf zu Fall zu bringen, aber er war einfach zu groß und schwer. Als ihm klar wurde, was sie im Sinn hatte, rammte er ihr seinen harten Ellenbogen in die Rippen.
Der Atem wurde aus Kate heraus getrieben, aber da er seinen Ellenbogen benutzt hatte, verlor er die Balance. Diesmal gelang der Hüftwurf. Und weil sie ihr ganzes Gewicht einsetzte, gelang er ein wenig zu gut.
Neilbolt flog geradezu von der Veranda. Bei der Landung schlug er auf den unteren zwei Stufen auf. Er schrie auf vor Schmerz und versuchte sofort, wieder auf die Füße zu kommen. Erschrocken schaute er zu ihr auf, während er versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war. Angeheizt durch seine Wut und Überraschung, humpelte er benommen die Stufen hinauf auf sie zu.
Als er sich der obersten Stufe näherte, rammte sie ihm ihr rechtes Knie ins Gesicht. Er wollte ausweichen, aber sie erwischte ihn noch an der Seite seines Kopfes und er ging wieder runter auf die Knie. Sie rammte seinen Kopf in die Veranda, während seine Arme und Beine verzweifelt versuchten, auf der Treppe Halt zu finden. Sie zog die Handschellen aus dem Inneren ihrer Jacke und legte sie Neilbolt mit einer Geschwindigkeit und fließenden Bewegung an, wie man sie nur nach dreißig Jahren Erfahrung drauf hat.
Sie trat einen Schritt zurück und schaute von oben auf Neilbolt herab. Er wehrte sich nicht gegen die Handschellen, tatsächlich sah er eher verwirrt.
Kate griff nach ihrem Handy, um die Polizei zu rufen und bemerkte, dass ihre Hand zitterte. Adrenalin schoss durch ihren Körper. Sie wurde sich des Lächelns auf ihrem Gesichts bewusst.
Mein Gott, wie habe ich das vermisst.
Allerdings, der Schlag in ihre Rippen tat wirklich höllisch weh – ganz sicher mehr als es vor fünf oder sechs Jahren der Fall gewesen wäre. Und hatten ihr die Kniegelenke immer nach einem Handgemenge so weh getan?
Sie gab sich einen Moment, um ihr Werk zu bewundern, und rief dann endlich die Polizei. Brian Neilbolt lag derweil groggy zu ihren Füßen und fragte sich wahrscheinlich, wie eine Frau, die zwanzig Jahre älter war als er, es geschafft hatte, ihn so k.o. zu schlagen.
KAPITEL FÜNF
Ehrlich gesagt hatte Kate natürlich ein kleines Donnerwetter erwartet für das, was sie getan hatte, aber nichts in der Größenordnung, wie es ihr zuteil wurde, als sie die Wache des Third Precinct erreichte. Sie wusste, dass etwas kommen würde, als sie die Blicke der Polizisten sah, die während ihrer Bürotätigkeiten an ihr vorbeikamen. Einige der Blicke konnte man als ehrfurchtsvoll deuten, während andere hinter ihr her zu geifern schienen.
Kate war das egal. Sie war noch viel zu aufgebracht von ihrer Konfrontation auf Neilbolts Veranda, als dass es ihr etwas ausmachte.
Nachdem sie mehrere Minuten im Foyer gewartet hatte, kam ein nervöser Beamter auf sie zu. „Sind sind Ms. Wise, richtig?“, fragte er.
„Richtig.“
An seinen Augen konnte sie sehen, dass er sie erkannte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sie diesen Blick ständig eingefangen hatte von Beamten, die ihr zum ersten Mal begegneten und bis dahin nur ihren Ruf kannten. Sie vermisste diese Blicke des Erkennens.
„Chief Budd möchte Sie sprechen.“
Ehrlich gesagt war sie ziemlich überrascht. Sie hatte gehofft, mit jemandem vom Rang von Deputy Commissioner Greene zu sprechen. Während er am Telefon den harten Kerl hatte heraushängen lassen, wusste sie, dass er in einem persönlichen Gespräch leichter zu überzeugen war. Chief Randall Budd jedoch war jemand, den man nicht umgarnen konnte. Sie war ihm nur einmal vor einigen Jahren begegnet. Sie konnte sich kaum mehr an die eigentliche Gelegenheit erinnern; woran sie sich allerdings erinnerte war die Tatsache, dass Budd starrköpfig und absolut professionell war.
Trotzdem wollte Kate nicht eingeschüchtert oder besorgt wirken. Daher erhob sie sich und folgte dem Beamten durch den Wartebereich und das Großraumbüro. Sie kamen an mehreren Schreibtischen vorbei, wo ihr noch mehr unsichere Blicke zugeworfen wurden, und gingen dann einen Flur hinunter, der zu Randall Budds Büro führte. Die Tür stand offen, so als warte er schon seit geraumer Zeit auf sie.
Der Beamte hatte kein Wort gesagt. Sobald er sie an der Tür zu Budds Büro abgeliefert hatte, machte er auf dem Absatz kehrt und ging. Kate schaute ins Büro hinein und sah, wie Chief Budd sie zu sich herein winkte.
„Kommen Sie doch herein“, sagte er. „Ich werde Sie nicht anlügen. Ich bin nicht glücklich über Ihre Aktion, aber ich beiße auch nicht. Bitte machen Sie die Tür hinter sich zu.“
Kate trat ein und schloss die Tür. Sie nahm Platz auf einem der drei Stühle gegenüber des Chiefs Schreibtisch. Auf dessen Oberfläche fanden sich mehr persönliche Dinge als solche, die mit seiner Arbeit zu tun hatten: Familienfotos, ein signierter Baseball, ein Kaffeebecher mit persönlichem Schriftzug und eine sentimentale Patronenhülse, die in eine Plakette eingelassen war.
„Lassen Sie mich damit beginnen, dass ich mir ihres Rufes und Ihrer Erfolgsbilanz durchaus bewusst bin. Mehr als einhundert Verhaftungen während Ihrer Karriere. Klassenbeste in der Academy. Gold und Silber Medaillen in acht aufeinanderfolgenden Kickboxing Wettkämpfen neben der Standardausbildung des FBI, wo Sie auch alles niedergemäht haben. Ihr Name wurde hoch gehandelt, während Sie die Leitung hatten, und die meisten Leute hier beim Virginia State Police Department respektieren Sie höllisch.“
„Aber?“, sagte Kate. Sie sagte dies nicht, um witzig zu sein. Sie wollte ihm nur zu verstehen geben, dass sie genug Größe besaß, ermahnt zu werden… obwohl sie persönlich nicht der Meinung war, es wirklich verdient zu haben.
„Doch trotz alledem können Sie nicht durch die Gegend laufen und Leute angreifen, nur weil Sie denken, dass sie mit dem Tod der Tochter einer Ihrer Freundinnen zu tun haben könnten.“
„Ich habe ihn nicht mit dem Vorsatz aufgesucht, ihn anzugreifen“, sagte Kate. „Ich habe ihn aufgesucht, um ihm einige Fragen zu stellen. Als er handgreiflich wurde, habe ich mich natürlich verteidigt.“
„Er hat meinen Leuten erzählt, dass Sie ihn die Verandatreppen hinuntergestoßen und seinen Kopf auf den Boden geknallt haben.“
„Dass ich stärker bin als er kann mir ja wohl niemand vorwerfen, oder?“, fragte er.
Er blickte sie scharf an. „Ich kann wirklich nicht sagen, ob Sie versuchen, witzig zu sein, ob Sie diese ganze Sache auf die leichte Schulter nehmen oder ob dies wirklich Ihre alltägliche Einstellung ist.“
„Chief, ich kann nachvollziehen, dass es Ihnen Kopfschmerzen bereitet, wenn eine pensionierte fünfundfünfzigjährige Frau einen Kerl k.o. schlägt, den Ihre Leute kurz vorher vernommen und dann wieder freigelassen haben. Aber Sie müssen verstehen, dass ich nur bei Brian Neilbolt war, weil meine Freundin mich darum gebeten hat. Und als ich etwas mehr über ihn erfahren habe, fand ich die Idee ehrlich gesagt gar nicht so schlecht.“
„Sie sind also davon ausgegangen, dass meine Leute ihren Job nicht anständig machen?“, fragte Budd.
„Davon war nicht die Rede.“
Budd rollte die Augen und seufzte. „Sehen Sie mal, ich will mich darüber nicht streiten. Mir wäre nichts lieber, als wenn Sie in ein paar Minuten mein Büro verlassen, und damit wäre die Sache erledigt. Ich muss aber sicherstellen, dass Sie verstehen, dass Sie hier eine Grenze überschritten haben, und dass ich Sie festsetzen lassen muss, wenn so etwas noch einmal vorkommt.“
Kate fiel so einiges ein, was sie am liebsten geantwortet hätte, aber sie meinte, wenn Budd die Sache auf sich beruhen lassen konnte, dann konnte sie das auch. Ihr war klar, dass er ihr so richtig die Hölle heiß machen konnte, sofern er das wollte. Daher beschloss sie, so höflich wie möglich zu sein.
„Ich verstehe“, sagte sie.
Budd schien über etwas nachzudenken, bevor er die Finger beider Hände ineinander und dann die Hände vor sich auf den Schreibtisch legte, so als wolle er seine Mitte finden. „Damit Sie Bescheid wissen, wir sind sicher, dass Brian Neilbolt Julie Hicks nicht ermordet hat. In der Nacht, in der sie ermordet wurde, ist er von Überwachungskameras vor einer Bar aufgenommen worden. Gegen zehn ist er rein und nicht wieder herausgekommen bis nach Mitternacht. Ferner haben wir Aufzeichnungen von SMS zwischen ihm und seiner derzeitigen Flamme, die zwischen eins und drei Uhr morgens gesendet wurden. Der Kerl ist sauber. Er war es nicht.“
„Er hatte Rucksäcke und eine Tasche gepackt“, warf Kate ein. „Als wolle er die Stadt schnell verlassen.“
„In den SMS haben er und seine Flamme verabredet, sich in Atlantic City zu treffen. Er wollte heute Nachmittag los.“
„Aha“, nickte Kate. Es war ihr nicht regelrecht peinlich, aber ein bisschen bereute sie schon, sich so aggressiv auf Neilbolts Veranda verhalten zu haben.
„Ach ja, und noch etwas“, sagte Budd. „Sie müssen die Dinge von meinem Standpunkt aus betrachten. Ich hatte keine Wahl, als Ihren früheren Vorgesetzen beim FBI zu informieren. Das ist die korrekte Vorgehensweise. Sicherlich wissen Sie das.“
Natürlich wusste sie das, hatte aber tatsächlich nicht daran gedacht. In ihr breitete sich leichter Ärger aus.
„Ich weiß“, gab sie zurück.
„Ich habe mit Assistant Director Duran gesprochen. Er war nicht glücklich über diese Sache und will mit Ihnen sprechen.“
Kate rollte die Augen und nickte. „Gut. Ich rufe ihn an und lasse ihn wissen, dass die Instruktion von Ihnen kommt.“
„Nein, Sie das verstehen das nicht richtig“, sagte Budd. „Die wollen Sie sehen. In Washington DC.“
Und mit diesen Worten verwandelte sich der Ärger, den sie gerade noch verspürt hatte, in echte Sorge.
KAPITEL SECHS
Nach ihrer Unterredung mit Chief Budd tätigte Kate ein paar Anrufe, um ihre früheren Vorgesetzten wissen zu lassen, dass sie über ihre Instruktionen informiert war. Übers Telefon bekam sie keine Informationen und sprach auch mit niemandem direkt, der etwas zu sagen hatte. Sie konnte nicht anders, als einige Rezeptionistinnen mit ziemlich unhöflichen Kommentaren zu bedenken, was tatsächlich half, den Stress etwas abzubauen.
Am folgenden Tag fuhr sie um acht Uhr morgens los. Interessanterweise war sie eher aufgeregt als nervös. Sie dachte bei sich, dass sich so ein Universitätsabgänger fühlen musste, der nach einer zeitweiligen Abwesenheit wieder seinen Campus aufsuchte. Das ganze letzte Jahr über hatte sie das FBI furchtbar vermisst und freute sich auf ihre alte Umgebung – selbst wenn der Grund dafür war, abgemahnt zu werden.
Sie lenkte sich mit einem Podcast über Kinofilme, den ihre Tochter ihr empfohlen hatte, ab. Schon nach fünf Minuten hörte sie dem Moderator nicht mehr zu und dachte stattdessen über die letzten Jahre nach. Sie war im Allgemeinen kein sentimentaler Mensch, aber aus irgendeinem Grund, der ihr selbst nicht ganz klar war, wurde sie beim Fahren wehmütig und fing an nachzudenken.
Anstatt dem Podcast zuzuhören, dachte sie an ihre Tochter – ihre schwangere Tochter, die in ungefähr fünf Wochen ihr Kind bekommen würde. Es wurde ein Mädchen und sollte Michelle heißen. Der Vater des Kindes war ein guter Mann, war aber in Kates Augen nie gut genug für Melissa Wise gewesen. Melissa, die von Kate seit ihrem Kindesalter Lissa genannt wurde, wohnte in Chesterfield, das technisch zu Richmond gehörte, von den Einwohnern aber als eigenständig betrachtet wurde. Obwohl sie es Melissa nie erzählt hatte, war dies der Grund, warum Kate wieder nach Richmond gezogen war. Nicht nur wegen ihrer Verbindung zur Stadt auf Grund ihrer Collegejahre, sondern weil dies der Ort war, an dem ihre Familie lebte – und wo ihre Enkel aufwachsen würden.
Eine Enkelin, dachte Kate oft. Wie ist Melissa so schnell groß geworden? Himmel, wie bin ich selbst so schnell alt geworden?
Und wenn sie an Melissa und die noch ungeborene Michelle dachte, wanderten ihre Gedanken unweigerlich zu ihrem verstorbenen Ehemann. Vor sechs Jahren war er ermordet worden, durch einem Schuss in den Hinterkopf, als er abends den Hund ausführte. Sein Handy und sein Portemonnaie waren verschwunden, und keine zwei Stunden, nachdem er mit dem Hund das Haus verlassen hatte, wurde sie gerufen, um den Leichnam zu identifizieren.
Ihre Wunden waren noch frisch, aber meistens gelang es ihr, diese zu verbergen. Sie war acht Monate vor dem offiziellen Zeitpunkt in Ruhestand gegangen. Denn es war ihr unmöglich gewesen, sich voll und ganz ihrer Arbeit zu widmen, nachdem sie die Asche ihres Mannes auf einem alten Baseballfeld nahe seines Heimatorts Falls Church verstreut hatte.
Vielleicht war sie deshalb das ganze letzte Jahr so down gewesen. Sie hatte Monate, bevor sie hätte gehen müssen, das Handtuch geworfen. Was hätte in diesen Monaten alles passieren können? Was hätte sie mit ihrer Karriere vielleicht noch anfangen können?
Sie hatte sich immer darüber Gedanken gemacht, ohne aber irgendetwas zu bereuen. Michael verdiente zumindest einige Monate ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit. Natürlich hätte er sehr viel mehr als das verdient, aber sie war sicher, dass er niemals gewollt hätte, dass sie seinetwegen ihre Arbeit noch mehr vernachlässigte. Trauerarbeit in ihrem Fall bedeutete, so lange wie möglich nach seinem Tod beim FBI zu bleiben.
Als sie sich Washington DC näherte, war sie erleichtert festzustellen, dass sie nicht das Gefühl hatte, Michael zu betrügen. Sie persönlich glaubte daran, dass der Tod nicht das Ende bedeutete. Zwar wusste sie nicht, ob es einen Himmel gab oder Wiedergeburt möglich war, aber eigentlich musste sie dies auch nicht wissen. Was sie allerdings wusste, war, dass Michael glücklich gewesen wäre, sie wieder nach DC fahren zu sehen – und sei es, um abgemahnt zu werden.
Wenn überhaupt, lachte er sich wahrscheinlich gerade tot über sie.
Bei diesem Gedanken musste Kate lächeln. Sie schaltete den Podcast ab und konzentrierte sich auf die Straße, auf ihre eigenen Gedanken, und wie das Leben immer wieder zynisch erschien.
***
Sie wurde nicht von Emotionen übermannt, als sie durch die Eingangstür in das große Foyer des FBI Hauptquartiers trat. Wenn überhaupt, so war sie sich schmerzlich bewusst, dass sie nicht mehr hierher gehörte – wie eine Frau, die ihre alte High School besuchte und feststellte, dass die Flure sie eher traurig anstatt sentimental stimmten.
Das Gefühl der Vertrautheit half allerdings. Obwohl sie sich fehl am Platze fühlte, hatte sie auch das Gefühl, nicht allzu lange weg gewesen zu sein. Sie durchquerte die Lobby, trug sich am Empfang ein und ging dann zu den Aufzügen, ganz so, als sei sie erst letzte Woche hier gewesen. Selbst der enge Aufzug hatte etwas Tröstliches, als sie damit zum Büro des Assistant Director Duran hinauf fuhr.
Als sie aus dem Aufzug und in das Vorzimmer von Duran trat, sah sie die gleiche Sekretärin hinter dem gleichen Schreibtisch wie noch vor einem Jahr. Sie hatten sich nie wirklich beim Vornamen genannt, aber trotzdem kam die Frau hinter ihrem Schreibtisch hervor und umarmte sie herzlich.
„Kate! Es ist so schön, Sie zu sehen!“
Gott sei Dank fiel ihr im letzten Augenblick der Vorname der Sekretärin ein. „Ich freue mich auch, Dana“, sagte Kate.
„Ich habe bezweifelt, dass der Ruhestand etwas für Sie ist“, witzelte Dana.
„Ja, es ist schon ein bisschen wie ein langes Nickerchen.“
„Gehen Sie ruhig hinein“, sagte Dana. „Er erwartet Sie schon.“
Als sie an die geschlossene Bürotür klopfte und von der anderen Seite die leicht barsche Stimme vernahm, fühlte sie sich wie zuhause angekommen.
„Es ist offen“, vernahm sie die Stimme des Assistant Director Duran.
Kate öffnete und trat ein. Sie hatte sich auf dieses Meeting vorbereitet und sich gestählt. Was sie allerdings nicht erwartet hatte war ihr früherer Partner, Logan Nash, der sie sofort anlächelte und sich von einem der Stühle vor Durans Schreibtisch erhob.
Beinahe verlegen schaute Duran kurz zur Seite, um den beiden einen privaten Moment für ihr Wiedertreffen zu erlauben. Kate und Logan Nash nahmen sich freundschaftlich in die Arme. Für die letzten acht Jahre ihrer Karriere hatten die beiden zusammen gearbeitet. Er war zehn Jahre jünger als sie und zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens gerade dabei gewesen, sich selbst eine ansehnliche Karriere aufzubauen.
„Schön, dich zu sehen, Kate“, flüsterte er ihr ins Ohr, als sie sich umarmten.
„Dich auch“, antwortete sie. Ihr ging das Herz auf und egal, wie sehr sie sich dagegen gesträubt hatte, diesen Teil ihres Lebens hatte sie das ganze letzte Jahr wahnsinnig vermisst.
Als sie sich aus der Umarmung lösten, nahmen sie beide vor Durans Schreibtisch Platz. Während ihrer Zeit als Partner hatten sie zahllose Male genau hier gesessen. Aber niemals, um sich eine Abmahnung abzuholen.
Vince Duran atmete schwer ein und seufzte dann laut. Noch konnte Kate nicht abschätzen, wie sauer er war.
„Also, lasst uns nicht um den heißen Brei herum reden“, fing Duran an. „Kate, wir alle wissen, weshalb Sie hier sind. Ich habe Chief Budd versichert, diese Angelegenheit effektiv zu handhaben. Er war damit zufrieden und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Geschichte, dass Sie einen Verdächtigen von seiner Veranda befördert haben, unter den Teppich gekehrt wird. Was ich allerdings wissen möchte, ist, wie Sie überhaupt dazu gekommen sind, sich auf der Veranda dieses armen Mannes zu befinden.“
Ihr wurde in diesem Augenblick klar, dass das schlimme Gespräch, das sie erwartet hatte, ausbleiben würde. Duran war ein Monster von Mann, locker 150 Kilogramm schwer, hauptsächlich bestehend aus Muskeln. In seinen Zwanzigern war er in Afghanistan gewesen, und obwohl sie nicht über alle Details Bescheid wusste hinsichtlich dessen, was genau er dort getan hatte, waren saftige Gerüchte darüber im Umlauf. Er hatte krasse Dinge gesehen und getan und manchmal spiegelte sich dies in den Falten seines Gesichts wieder. Aber heute schien er guter Laune zu sein. Vielleicht deshalb, weil er nicht mehr mit ihr als ihr Vorgesetzter sprach. Es war fast, als ob sie sich mit einem alten Freund unterhielt.
Das machte es einfach für sie, ihm von dem Mord an Julie Hicks, der Tochter ihrer guten Freundin Deb Meade, zu berichten. Sie begann mit ihrem Besuch im Hause der Meades, schilderte dann die Szene auf Neilbolts Veranda und erklärte, dass sie sich zur Wehr gesetzt hatte, wobei sie allerdings einräumte, dass sie vielleicht ein wenig zu weit gegangen war.
Hin und wieder hörte sie Logan kichern, während Durans Gesicht ausdruckslos blieb. Als sie geendet hatte, wartete sie gespannt auf seine Reaktion und war überrascht, als er nur mit den Schultern zuckte.
„Also, soweit es mich betrifft… ist hier gar nichts passiert. Während Sie vielleicht Ihre Nase in Angelegenheiten gesteckt haben, die Sie nichts angehen, ist der Kerl zu weit gegangen, indem er Hand an Sie gelegt hat, vor allem, nachdem Sie ihm gesagt hatten, dass Sie beim FBI gewesen sind. Das einzige, worüber ich mich wundere, ist, dass Sie ihm Handschellen verpasst haben.“
„Wie ich schon sagte… ich gebe zu, die Grenze etwas überschritten zu haben.“
„Du?“, fragte Logan mit gespielter Überraschung. „Niemals!“
„Was wissen Sie über den Fall?“, wollte Duran wissen.
„Nur, dass sie umgebracht wurde, während ihr Mann auf Geschäftsreise war. Der Ex-Freund war die einzige Spur und die Polizei hat ihn schnell als Verdächtigen ausgeschlossen. Später habe ich herausgefunden, dass er ein wasserdichtes Alibi hat.“
„Sonst nichts?“, fragte Duran.
„Nein, sonst nichts.“
Duran nickte und rang sich ein Lächeln ab. „Wie läuft denn der Ruhestand für Sie, abgesehen davon, dass Sie große Männer von ihrer Veranda befördern?“
„Furchtbar“, gab sie zu. „Die ersten Wochen waren toll, aber dann wurde es langweilig. Ich vermisse meinen Job. Ich habe eine geradezu irre Zahl an Kriminologiebüchern gelesen. Ich habe viel zu viele Krimisendungen auf dem Biography Channel geschaut.“
„Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie oft wir von Agenten während der ersten sechs bis zwölf Monate ihres Ruhestands hören. Einige kommen und betteln geradezu nach irgendeinem Job. Egal was. Selbst Papierkram.“
Kate sagte nichts, gab jedoch mit einem Nicken zu verstehen, dass sie sich damit identifizieren konnte.
„Aber trotzdem haben Sie nicht angerufen“, meinte Duran. „Um ehrlich zu sein, hatte ich das erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie einfach so sang- und klanglos verschwinden. Und dieser kleine Zwischenfall gibt mir Recht.“
„Bei allem Respekt“, sagte Kate, „haben Sie mich einbestellt, um mir einen Klaps auf die Hände zu geben oder um mir vor Augen zu führen, dass ich meinen alten Job nicht loslassen kann?“
„Weder noch“, antwortete Duran. „Nachdem ich gestern den Anruf aus Richmond bekommen habe, habe ich mir Ihre Akte angesehen. Ich habe gesehen, dass Sie gebeten worden sind, bei einer Bewährungsanhörung auszusagen. Ist das korrekt?“
„Ja, das ist es. Es geht um den Fall Mueller. Doppelmord.“
„War dies das erste Mal, dass Sie seit Beginn ihres Ruhestands arbeitstechnisch kontaktiert wurden?“
„Nein“, sagte sie, und war sich ziemlich sicher, dass er die Antwort bereits kannte. „Ungefähr zwei Monate nach meiner Pensionierung hat mich der Assistent eines Agenten angerufen hinsichtlich eines alten Falls, den ich 2005 bearbeitet habe. Und einige der Jungs in der Recherche haben mich kontaktiert hinsichtlich meiner Methodik bei einigen der alten Fälle.“
Duran nickte und lehnte sich ein wenig in seinem Stuhl zurück. „Sie sollten auch wissen, dass einige der Ausbilder an der Academy ihre Arbeitsweise als Fallbeispiele heranziehen. Sie haben hier beim FBI Spuren hinterlassen, Agent Wise. Und ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass Sie einer derjenigen Agenten sind, die anrufen, um zu sehen, wie Sie helfen können, auch nachdem Sie nicht mehr offiziell bei uns sind.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Sie möchten, dass ich an einigen Fällen mitarbeite?“, fragte Kate. Sie gab ihr Bestes, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen.
„Nun ja, ganz so einfach ist es nicht. Wir überlegen, ein oder zwei Agenten mit herausragender Erfolgsbilanz an alten Fällen arbeiten zu lassen. Nichts langfristiges oder Vollzeit. Und als wir über die in Betracht kommenden Agenten diskutierten, waren Sie die einzige, die immer wieder von allen grünes Licht bekam. Wir wollen trotz allem, dass Sie sich entspannen können. Nehmen Sie sich frei. Machen Sie mal Pause.“
„Das mache ich“, sagte Kate. „Danke.“
„Danken Sie mir lieber noch nicht“, meinte Duran. „Es könnte noch einige Monate dauern. Und ich fürchte, dass ich das Angebot zurückziehen muss, wenn Sie weiterhin durch die Gegend laufen und um einiges jüngere Männer auf ihrer Veranda k.o. schlagen.“
„Ich glaube, ich werde mich zurückhalten können“, meinte Kate.
Neben ihr konnte Logan sein Lachen gerade noch unterdrücken.
Duran schien genauso amüsiert, als er aufstand.